In Zukunft Chillingham - Volker König - E-Book

In Zukunft Chillingham E-Book

Volker König

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Beschreibung

Zornige Chillingham-Rinder beschließen die Vernichtung der Menschheit. Das Universum haben sie auf ihrer Seite. Die Überlebenden der globalen Katastrophe entsenden zwar Jahrhunderte später ihren besten Mann in die Vergangenheit, um Licht in ihre Herkunft zu bringen. Doch genau das hätten sie besser gelassen ...

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Zitat 

754 v. Tom 

381 n. Tom 

3112 n. Tom 

381 n. Tom 

756 v. Tom 

496 v. Tom 

456 v. Tom 

Tom 

42 n. Tom 

381 n. Tom 

756 v. Tom 

82 v. Tom 

127 n. Tom 

Tom 

128 n. Tom 

109 n. Tom 

128 n. Tom 

50 n. Tom 

125 n. Tom 

109 n. Tom 

381 n. Tom 

68 n. Tom 

Tom 

128 n. Tom 

68 n. Tom 

381 n. Tom 

128 n. Tom 

Tom 

129 n. Tom 

381 n. Tom 

129 n. Tom 

381 n. Tom 

147 n.Tom 

381 n. Tom 

148 n. Tom 

381 n. Tom 

162 n. Tom 

381 n. Tom 

173 n. Tom 

130 n. Tom 

199 n. Tom 

128 n. Tom 

199 n. Tom 

381 n. Tom 

 

Volker König 

In Zukunft Chillingham 

Roman 

Impressum

© Neuauflage Dezember 2019 

© 2013 Volker König 

Kämmereihude 14, 45326 Essen 

www.vkoenighome.de 

Bildquelle: pixabay 

ISBN der Printversion: 9 783750 416475 

Das große Q im Cover des Titels steht für Qindie 

als qualitativ hochwertige Indie-Publikationen. 

Für weitere Informationen, News und Veranstaltungen 

besuchen Sie die Website: http://www.qindie.de/ 

Zitat

Wenn wir bedenken, 

dass wir alle verrückt sind, 

ist das Leben erklärt. 

 

Mark Twain 

754 v. Tom

Ich bin der Stärkste!

Ich grase.

Einer nähert sich meinen.

Keine zwanzig Halme konnte ich fressen.

Er beschnuppert sie. Sie wendet sich ab. Vielleicht seine Mutter. Er sucht weiter, als sei er der Stärkste.

Jetzt sieht er mich, geht abseits. Für einen Kampf das erste Zeichen. Er fegt sich Gras auf den Rücken. Das zweite Zeichen. Er brüllt. Das dritte Zeichen!

Ich senke den Kopf.

Er ist jünger, leichter. Ich werfe einen gewaltigen Haufen Erde und Gras auf meinen Rücken. Der Hunger ist vergessen.

Er brüllt lauter, aggressiver, aber er zittert. Sein Blick brennt sich in meinen. Kurz schweift er ab. Sein Verlangen ist größer als die Angst. Ein schlechtes Zeichen. Ich bin zum Letzten bereit.

Ich trabe.

Ich rase.

Ich stoße ins Leere!

Sein Horn streift meine Flanke. Schlecht gezielt. Ich wende, ramme ein Horn in seine Hüfte. Er stöhnt. Plötzlich sein Horn vor meinem Auge. Ich ducke mich, treffe seine Brust, hebe ihn vom Boden, werfe ihn hin und her. Er zieht sich zurück. Schweiß bedeckt und blutend verschwindet er hinter den Bäumen. Ich brülle. Die Kühe antworten. Da kommt der nächste.

381 n. Tom

Im harten, beinahe waagerecht peitschenden Regen erschien in Augenhöhe wie zufällig eine kleine Wolke. Die Wolke war ein Multipler, und er hasste solchen Regen.

Von Zeit zu Zeit zitterte der Boden wegen, so vermutete der Multiple, seismischer Aktivitäten des Planeten. Unter dem Multiplen, der kleinen Wolke, erstreckte sich ein mit großen Steinplatten bedeckter Platz, den größtenteils abgedeckte, baufällige Hütten nebst Laternen umstanden. Selbst ein Laie konnte erkennen, dass es mehr von diesen Hütten gegeben hatte vor nicht allzu langer Zeit. Die Bretter, aus denen sie gefertigt worden waren, lagen überall herum. Eine Handvoll kleinerer Nagetiere hatte sich darunter geflüchtet. Am Rand des Platzes parkten ein paar elektrische Fahrzeuge.

Eine Wolke konnte der Multiple nicht bleiben, denn er hatte einen Auftrag zu erfüllen, einen sehr ausgeklügelten Auftrag. Für gewöhnlich war es dem Multiplen egal, welche Form er annahm. Er war schon alles Mögliche gewesen: Pflanze, Tier, intelligente Lebensform, Schleim, aber auch Tür, Stehlampe oder gar Schrubber. Diesmal aber musste er wegen seines Auftrages die Form eines Menschen annehmen. Der Platz jedoch war menschenleer.

Ein Stöhnen ging durch das Raum-Zeit-Kontinuum.

Damit hatte der Multiple gerechnet. Das Raum-Zeit-Kontinuum, das Universum, musste den Multiplen zur Formwerdung in eine bestimmte räumliche Matrix einbinden, musste also für seine räumliche Ausdehnung sorgen. Das ist sein Job.

Wenn das Universum aber nicht auf ein am Ort der Formwerdung vorhandenes Muster zurückgreifen kann, weil sich die Multiplen etwas aussuchten, dann bedeutet das, mehr oder weniger Materie vom Ort der Formwerdung nutzen zu können, als vorhanden ist. Denn da die Menge der Materie, der Energie, immer gleich bleiben muss in ihrer Gesamtheit – das weiß selbst das kleinste Universum – die Multiplen sich aber trotzdem was aussuchten, so ist aus ihrer Umgebung entweder etwas wegzunehmen oder dazuzutun. Das führt zu Komplikationen mit der umgebenden Materie. Wer sich schon einmal seinen Kopf an einem niedrigen Querbalken in einem dunklen Kellergeschoss gestoßen hat, sollte die Schuld auf den extravaganten Wunsch eines raumzeitreisenden Multiplen schieben. In solch einem Fall zu stöhnen hielt das Kontinuum für gerechtfertigt.

Es stöhnte noch einmal und etwas lauter als gewöhnlich. Trotzdem setzte es den speziellen Wunsch des Multiplen unverzüglich um. Die kleineren Nagetiere sowie ein paar herumliegende Bretter verschwanden urplötzlich. Dafür verwandelte sich die kleine Wolke in einen mittelgroßen Mann mit Umhang und breitkrempigem Hut über zielstrebigen blauen Augen, einem langen, grauen Bart und einem Stock, auf den er sich stützte. So hergerichtet würde er hier als weitgereist gelten, als weise, phantastisch, mystisch wie überall sonst in den rückständigeren Bereichen des Universums außer auf Hänk, denn da gab man nichts auf Mystik, Phantastik oder gar Weisheit, was die katastrophalen Bedingungen dort hinreichend erklärte.

Die Steine des Pflasters gaben unter den Schritten des Multiplen etwas nach. Gleichzeitig leuchteten einige der Laternen in seiner Nähe auf. Geschickt, geschickt, dachte der Multiple. Er war sich nach wenigen Schritten über die Größe des Planeten sicher. Die Schwerkraft hatte es ihm verraten. Er blieb stehen und saugte die würzige Luft ein, verachtete den Regen, aber freute sich, dass er durch seine neue Form beste Voraussetzungen für das Gelingen seines Auftrages geschaffen hatte. Hier würde er es problemlos eine Weile aushalten können, selbst wenn ihn der Auftrag etwas Zeit kostete. Aber was war schon Zeit?

Die Tür einer noch halbwegs intakten Hütte öffnete sich. Eine Frau mit einem Tuch um den Kopf und einem Korb am Arm warf einen mürrischen Blick zum Himmel, zog sich den Mantel enger um den Körper, stürzte dann, unverständliche Verwünschungen ausstoßend und eine ganze Kette von Laternen aufleuchten lassend, am Multiplen vorüber durch den peitschenden Regen und verschwand eilig in einer der drei Gassen am anderen Ende des Platzes. Der Multiple folgte ihr.

Die Frau sprang über Pfützen, wechselte ihretwegen aber auch mehrfach die Seite der Gasse und erreichte schließlich ein ausgedehntes, höheres und darum aufwändiges Gebäude am nördlichen Rande der Siedlung. Es bestand im Gegensatz zu allen anderen Gebäuden größtenteils aus Metall und war, ebenfalls im Gegensatz zu allen anderen Gebäuden, kreisrund. Offenbar war es einmal beschädigt worden, aber die Schäden waren mit Holzlatten so kunstvoll behoben, dass sie dem ganzen Gebäude etwas Erhabenes gaben. Nur seiner Bauart hatte es dieses Gebäude zu verdanken, dass es den Sturm und die Beben bisher überstanden hatte. Die Frau verschwand in einer Luke.

Die Erfahrung früherer Reisen ließ den Multiplen ahnen, dass dies ein Gebäude für Würdenträger war.

Zivilisationen verfahren in sehr ähnlicher Weise, wenn sie eine wie auch immer geartete Hierarchie kenntlich machen wollen. Würdenträger besetzen die aufwändigsten Gebäude, und wenn es solche nicht gibt, dann lassen sie welche errichten. Den Multiplen reizte es, ebenfalls durch diese Luke zu steigen, aber er musste vorsichtig sein. Gerade die Mächtigsten eines Volkes mögen es gar nicht, wenn man ihnen unvermittelt zu nahe kommt. Für gewöhnlich ist eine beliebig komplizierte Abfolge ritualisierter Handlungen nötig, um den Mächtigsten einer Gemeinschaft Auge in Auge gegenüberstehen zu dürfen. Eine Missachtung dieser formalen Annäherung kann lebensgefährlich sein. Der Multiple konnte nicht seines Lebens beraubt werden. Aber es war ungeschickt, sich schon zu Beginn der Mission Möglichkeiten zu verstellen. Ihr Erfolg wäre gefährdet.

Er näherte sich einem Fenster und blickte durch die verregnete Scheibe. Dort waren Menschen versammelt, und die Frau von eben verteilte gerade den Inhalt ihres Korbes an sie. Vor den versammelten Menschen saß ein großer Kerl, dessen linke Hand auf einem keuligen Gebilde ruhte. Ein paar Meter hinter ihm erhob sich die monströse, steinerne Statue einer rundlichen Frau, die in der einen Hand eine Stange mit einer Fahne hielt, in der anderen ein Objekt, das der Multiple nichts ihm Bekanntem zuordnen konnte. Es sah aus wie eine längliche Feldfrucht, schien aber technischer Natur zu sein.

Die Gesellschaft wirkte entspannt. Der Multiple beschloss, durch die Luke zu steigen.

Der Sturm riss ihm die Lukenklappe aus der Hand und ließ sie an die Gebäudewand krachen. Alle Anwesenden drehten sich ihm zu, der regennass in der Öffnung verharrte und nach einem entschuldigenden Lächeln suchte. Er hütete sich, etwas zu sagen, denn noch kannte er ihre Sprache nicht.

Der große Kerl am Ende des Raumes erhob sich.

„Sie wünschen?“

Das genügte dem Multiplen für eine Antwort.

„Entschuldigen Sie. Ich hatte nicht stören wollen.“

„Den habe ich doch schon auf dem Platz gesehen!“, rief die Frau mit dem Korb.

„Dann müssen wir also annehmen, dass Sie hier nicht fremd sind!“, rief der große Kerl mit einer Geste, die alle anderen davon abhielt, sich auf den Multiplen zu stürzen. „Zumindest sind Sie nicht so fremd, wie Sie es gerade eben noch gewesen sind. Wie heißen Sie?“

Der Multiple ging einige Parameter durch, eliminierte die meisten davon, fügte was hinzu, schuf eine Verbindung und sagte dann: „Für gewöhnlich bin ich der, der ich bin. Aber ihr könnt mich Vilori nennen, wie meine Frau Aschera es auch tut.“

„Dann wollen wir es auch so halten und heißen dich, Vilori, bei uns herzlich willkommen! Ich bin Pembantu, der Kanzler.“

Der Kanzler setzte sich zurück in seinen Sessel, neben dem ein weiterer stand, den der Multiple durch das Fenster nicht hatte sehen können. Auf dem Sessel kauerte eine junge Frau, die im Gegensatz zu allen anderen von der Natur ... der die Natur ... die hässlich war. Jetzt flüsterte sie dem Kanzler  etwas ins Ohr.

„Richtig. Fahren wir fort.“

Der Multiple nahm in der hintersten Reihe Platz. Alsbald wurde ihm etwas vom Inhalt des Korbes gereicht. Es sah aus wie eine Praline und schmeckte auch so, aber die Schokolade fehlte.

„Meine lieben Freunde“, begann Kanzler Pembantu, „in der vergangenen Nacht, als ich gerade in Zwiesprache mit Urmutter Bee stand …“

Er drehte sich mit einer halben Verbeugung zur Statue hinter sich um. Ein Wispern ging durch den Raum, dem der Multiple entnahm, dass Kanzler Pembantu des öfteren Gespräche mit Bee, der Urmutter, der Schöpferin ihres Lebens, der Gestaltgeberin, führte. Alle Kanzler besaßen offenbar diese Gabe, aber für gewöhnlich wurde keine Versammlung einberufen, wenn sie genutzt worden war.

„… klopfte es an meine Tür.“

„Wer war es?“, rief einer.

„Es ist gut, dass du danach fragst, mein Freund, und ich will bald darauf zurückkommen“, rief Pembantu und blickte mit erhobenen Händen zur Decke des Saales. „Es gibt einen Grund, warum der Wind in letzter Zeit so häufig wütet und dabei unsere Hütten zerstört. Es gibt einen Grund, weshalb die Wasser vom Himmel fallen, alles fruchtbare Land fortschwemmen und uns schlechte Ernten bescheren.“

„Wir wissen alle, wem wir diese Zustände verdanken“, rief die junge Frau neben dem Kanzler und erhob sich. „Als Überwacherin des Ritus klage ich, Genivev, dich, Pembantu, an, deine Pflichten versäumt zu haben. Als Gemahl der Urmutter Bee bist du verantwortlich für unser aller Wohlergehen. Wir sind hier nicht versammelt, um uns dein Gewinsel anzuhören, sondern wir erwarten, dass du die Konsequenzen deines Versagens trägst. Ich frage dich also hiermit vor der Versammlung in aller Form: Bist du bereit, dein Los anzunehmen?“

Der Kanzler war im Verlauf ihrer Rede zusammengesunken, jetzt straffte er sich.

„Selbstverständlich bin ich bereit. Es liegt mir fern, mein Schicksal von mir zu weisen. Als ich mein Amt antrat, wusste ich um die große Verantwortung, die mir damit auferlegt ist.“

„Und die besteht nicht nur darin, für Nachkommen zu sorgen, sondern auch darin, unsere Ernährung zu gewährleisten!“; rief Genivev.

„Das ist ja der Punkt“, entgegnete Pembantu. „Mir sind Informationen zugetragen worden, die mein Versagen in einem anderen Licht erscheinen lassen, die es sogar erklären können. Es liegt nicht in meiner Macht, für gutes Wetter und gute Ernten zu sorgen, solange nicht ...“

„Du gibst es also zu“, zischte Genivev.

„Ja, ich gebe es zu, aber der Grund für mein vermeintliches Versagen liegt an anderer Stelle.“

„Nenn uns den Grund!“, forderten die Anwesenden.

Kanzler Pembantu faltete seine Hände vor der Brust und neigte sein Haupt.

„Wir haben Urmutter Bee nicht genug Respekt erwiesen. Wir haben es uns gemütlich gemacht, haben uns zurückgelehnt und für ganz selbstverständlich gehalten, dass wir durch sie beschenkt wurden.“

„Das ist ja alles Unsinn!“, rief ein kleiner Kerl aus der Mitte der Versammlung und drängte nach vorne. „Schon vergangene Nacht hatte ich dir doch erklärt, dass das nur ein sekundärer Grund sein kann.“

Es war dem Kanzler anzusehen, dass er seine Rede gerne in der einmal eingeschlagenen Richtung fortgeführt hätte, sah sich aber durch den Einwurf genötigt, ihr eine Wendung zu geben, verfrüht, wie er fand, denn viel lieber hätte er diese Wendung etwas dramatischer herausarbeiten wollen. So blieb ihm nur die Kurzfassung.

„Also gut. Grondil hatte an meine Tür geklopft. Er hat etwas herausgefunden. Aber sag es ihnen doch selbst.“

Pembantu lehnte sich mürrisch in seinen Sessel zurück und überließ Grondil das Feld.

„Es geht hier weniger um Urmutter Bee, als vielmehr um die Urväter!“, begann Grondil und blickte möglichst vielen scharf in die Augen.

„Wie ihr wisst, beschäftige ich mich mit allerhand Sachen, seit fünf Jahren aber nur noch mit einer einzigen: Unserer Herkunft. Schon vor drei Jahren hatte ich eine Vermutung, musste sie aber erst überprüfen. Ihr erinnert euch, dass wir von jedem einzelnen Blutproben genommen haben.“

Ja, daran erinnerten sich alle. Vor allem an die Probe, die Genivev, der Überwacherin des Ritus, entnommen werden sollte. Aus Angst vor der Spritzennadel war sie, nur knapp einem elektrischen Vehikel ausweichend, über den Marktplatz und um das große Luftrad herum geflüchtet, hatte den Wassertank hinaufklettern wollen, diesen Weg aber als Sackgasse erkannte und war darum an Grondils Forschungsstation vorübergejagt. Dann war sie über einen Zaun gesprungen, den nicht einmal der starke Makut hätte überspringen können. Dann hatte ein Baum ihre Flucht gestoppt. Für die Blutprobe hatte man ihr nicht mehr in den Arm stechen müssen, dafür aber siebenmal in ihre rechte Augenbraue, um die Platzwunde zu nähen.

„Wie sich nun herausgestellt hat“, fuhr Grondil fort, „also das ist jetzt sicher, wir haben immerhin fünftausend Proben untersucht, und zwar mehrfach, im Kreuztest ...“

„Nun rück´ schon raus damit!“, rief einer.

Grondil blickte erneut möglichst vielen scharf in die Augen.

„Entgegen unserer bisherigen Anschauung von den vielen Vätern kann es nur einen einzigen Urvater geben! Wir stammen alle von den gleichen beiden Menschen ab.“

Das feine Grinsen, das sich in Erinnerung an Genivevs Flucht in die Gesichter gezeichnet hatte, verschmierte.

„Ist das nicht irre?“, fragte Kanzler Pembantu.

„Das ist es ganz und gar nicht!“, rief Grondil. „Oder seht ihr hier eine zweite Statue?“

Die Versammelten schüttelten langsam die Köpfe.

„Die gehört da aber hin!“, rief Grondil.

In die Stille mischte sich ein Hauch Verwirrung. Was das denn mit ihrem Problem zu tun habe, meldete sich jemand zu Wort, und Grondil musste sich sehr beherrschen, um bei so viel Unverständnis nicht aus der Haut zu fahren.

Urmutter Bee, so mächtig sie sich in der Vergangenheit auch erwiesen habe, sei für die Abwendung dieser Katastrophen nicht mächtig genug, erklärte er. Ein bisher nicht verehrter und darum zorniger Urvater aber könne hingegen dafür verantwortlich sein. Sie müssten eine Statue zu seinen Ehren errichten, und er, Grondil, sei überzeugt, dass sie so den zürnenden Urvater beschwichtigen könnten.

„Da hört ihr es!“, rief Kanzler Pembantu. „Niemand kann von mir verlangen, mich mit einem Wesen in Verbindung zu setzen, das mir völlig unbekannt ist.“

„Da hast du natürlich Recht“, meinte Genivev nachdenklich. „Wenn die Dinge so liegen, dann haben wir ein Problem, das mit deiner Opferung nicht behoben werden kann.“

„So sieht es aus!“, rief Pembantu erleichtert. „Doch ich bin zuversichtlich. Ein erkanntes Problem kann in Angriff genommen werden. Was schlägst du also vor, Grondil?“

Grondil sackte in sich zusammen.

„Das ist es, was mir zu schaffen macht“, flüsterte er. „Ich weiß nicht, was wir tun können. Um den Urvater angemessen ehren zu können, müssten wir mehr von ihm wissen. In den Aufzeichnungen steht aber kein Wort über ihn. Nicht einmal ein Bild von ihm ist dort zu finden. Wir sollten aber keine Statue bauen, die dem Urvater unähnlich ist. Am Ende verschlimmert sich unsere Situation noch. Wir müssen seine Geschichte kennen.“

Kanzler Pembantu nahm Haltung an.

„Da über einen gemeinsamen Urvater nichts geschrieben steht, können wir nichts über ihn wissen. Wenn Grondil nicht so gescheit wäre und die Zusammenhänge aufgedeckt hätte, und zwar per Kreuztest“, er nickte Grondil zu, der zurück nickte, „dann wüssten wir noch nicht einmal um die Existenz dieses Urvaters. Ich muss nichts verantworten, was sich nicht nur meinem und unserem Wissen, sondern auch meinen und unseren Möglichkeiten entzieht. Der Urvater wird uns für immer verborgen bleiben. Wir müssen uns unserem Schicksal stellen.“

„Wenn ich dazu etwas sagen dürfte?“

Der Multiple hatte sich erhoben. Der Augenblick war günstig, um der Erfüllung seines Auftrages etwas mehr Schwung zu geben.

Kanzler Pembantu nickte ihm langsam zu.

„Ihr müsst den Urvater suchen. Ihr müsst ihn suchen und herbringen. Dann könnt ihr ihn befragen und ehren.“

„Ein kühner Plan“, meinte der Kanzler nachdenklich. „Ein Urvater, dem man Fragen stellen kann. Da würden wir sicher auch etwas über uns erfahren. Wir könnten ihm alles zeigen, was wir bisher erreicht haben, könnten ihm beweisen, dass wir etwas aus uns gemacht haben, dass wir etwas wert sind. Ich bin sicher, er wäre stolz auf uns.“

Grondil sah ihn ungläubig an.

„Aber der Mann wird lange tot sein. Außerdem sagte ich doch schon, dass wir keinerlei Anhaltspunkt haben, wer er ist“, rief Grondil. „Wie soll das also gehen?“

„Nichts leichter als das“, meinte der Multiple, und seine Augen blitzten ungeheuer zielstrebig. „Wie ich sehe, habt ihr da eine Zeitmaschine.“

3112 n. Tom

Das Problem des Zeitreisens wird für gewöhnlich stark überschätzt. Entscheidend für seine Lösung ist nämlich weniger die Frage, ob es überhaupt möglich ist, sondern vielmehr, ob man es wirklich will.

Da man sich in den rückständigen Bereichen des Kontinuums, außer auf Hänk, vor allem die erste Frage stellt, ist man dort auf diesem Gebiet bis heute nicht weitergekommen. Tatsächlich gab es aber – oder wird es geben – in einer ganz nahen Galaxis einen Horst Bischof. Er hatte nicht das Zeug dazu, ein Regal über seinem Lesesessel ordnungsgemäß zu befestigen, wollte aber auch niemanden damit beauftragen. Mit Hilfestellungen dieser Art sah er seine Autorität in Frage gestellt. Das Regal aber brach unter der Last der Gegenstände aus der Wand und traf den darunter sitzenden Horst Bischof am Kopf. Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, deutete er die durch die Ohnmacht verursachte Verwirrung völlig richtig als Störung des Raum-Zeit-Kontinuums. Denn jener Horst Bischof war Naturwissenschaftler und beschäftigte sich mit solch seltsamen Phänomenen wie Schwarzfeldradien, Hyperrotationsvektoren und seiner Katze. In jener ganz nahen Galaxis hieß das Tier, das ihm manches Ungeziefer wegfing und ihm durch sein wohliges Brummen und seine Selbständigkeit viel Freude bereitete, zwar Katze, und es verhielt sich auch haargenau so. Rein äußerlich war es aber nicht mit einer unserer Katzen zu vergleichen. Diese Katze war nämlich ein wenig kubisch.

Nach dem Schlag auf sein Haupt ließ er Radien, Vektoren und Katze das sein, was sie sind, seltsame Phänomene nämlich, und stellte fortan Versuche mit schweren Gegenständen unter Laborbedingungen an. Neben dem unausweichlichen wissenschaftlichen Erfolg waren noch drei weitere Gründe ausschlaggebend für seine Beschäftigung.

Da war sein Wunsch, einmal unglaublich reich zu werden. Das würde die Voraussetzung für die Erfüllung seines zweiten Wunsches sein, denn Horst Bischof hatte viele Kinder. Jedes einzeln war selbstverständlich hochbegabt und sollte entsprechend gefördert werden, damit es es einmal besser hätte als er. Dazu brauchte er Geld, viel Geld. Mit dem vielen Geld für seine Erfindung würde es seinen Kindern tatsächlich einmal besser gehen als ihm selbst. Zusammen mit seinen vielen Kindern und seiner Frau, die mit fast schwachsinniger Euphorie beinahe sein ganzes Geld für neue Kleider auf den Kopf haute, lebte er in einem Verschlag mit einem weiteren Verschlag als Anbau, an dem noch ein Verschlag lehnte.

Der dritte Grund für die Entwicklung der Zeitmaschine war seine stille Hoffnung, ab und zu eine ruhige Kugel in der Vergangenheit oder der Zukunft schieben zu können, wo es dann keine hochbegabten Kinder und keine Frau geben würde. Ja, die, die beides haben, wollen beides loswerden, aber die, die nichts von beidem haben, wollen nichts sehnlicher. Ein Dilemma auch in anderen Galaxien.

Er begann also mit seinen Experimenten. Der Fall eines vierpfündigen Hammers aus exakt zweikommadrei Metern Höhe schickte ihn lediglich in stille Träume. Ein austarierter Gegenstand vom Gewicht eines Kleinwagens hingegen bescherte ihm den ersten Zeitsprung eines lebenden Stückes Materie in der Geschichte des Universums um ganz genau elf Jahre, sechs Monate, fünfzehn Tage und siebenkommaachteinseins Minuten.

Man hätten ihm ein Denkmal gesetzt. Aber Bischof wollte seine Maschine dann doch von jemandem, der geschickter in solchen Dingen war als er, bauen lassen. Und so wurde ihm seine Erfindung vom leitenden Mitarbeiter der Firma, zu der Bischof ging, gestohlen. Dieser leitende Mitarbeiter hatte natürlich seine Gründe dafür. Hauptsächlich wollte er irrsinnig viel Geld damit verdienen, damit seine ungeheure Anzahl hochbegabter Kinder es einmal besser haben sollte als er selbst.

Selbstverständlich ließ dieser leitende Mitarbeiter die Methode verbessern. Er beschrieb die feine Beziehung zwischen Masse und Wucht, desgleichen auch den überaus wichtigen Aufschlagwinkel, den er erst Bischof-In-Memoriam-Winkel, auch kurz BIM-Winkel, taufen wollte. Von dieser verräterischen Idee verabschiedete er sich aber rasch, denn wie hätte er den winzigen Verschlag an seinem Haus erklären sollen, der unmittelbar nach Bischofs Besuch bei ihm dort entstanden war? In diesem winzigen Verschlag lag die Leiche von Horst Bischof begraben. Der Kopf war mit einer Keule zerschlagen worden.

Nachdem der leitende Mitarbeiter seine Entdeckung der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, ließ man alle anderen Versuche mit hoch komplizierten Maschinen bleiben zu Gunsten einer noch komplizierteren Maschine, die große Ähnlichkeit mit einer steinzeitlichen Streitkeule hatte.

Diese Maschine konnte die Kraft für einen Schlag auf den Kopf, der zu einer Zeitreise führt, exakt dosieren. Schlagkraft und Reisezeit sind nicht linear, sondern nur ganz knapp exponentiell voneinander abhängig. Der Exponent zur Basis Eh ist dreizehnsiebenhundertzweiunddreißigstel. Herausgefunden hat das eine Frau mit Namen Wilburga Hänsli, weswegen der Exponent auch schlicht „Hä“ heißt. Dann stehen noch ein paar Faktoren in der Abhängigkeitsgleichung zusammen mit einem weiteren Faktor, der der Einfachheit halber meist vernachlässigt wird, weil sich in ihm vor allem die aktuelle Großwetterlage niederschlägt.

Als kleiner Nebeneffekt ist zu verzeichnen, dass mit der Zeitreise auch eine Raumreise einhergeht. Das liegt am Raum-Zeit-Kontinuum. Bei Raumreisen reist man zwangsläufig in der Zeit, folglich muss man bei Zeitreisen auch im Raum reisen. Um an dieselbe Stelle in einer anderen Zeit zu gelangen, reist man tatsächlich ein oder mehrmals durch das gesamte Raum-Zeit-Kontinuum wie auf einer Sinuskurve, die periodisch die Nulllinie kreuzt. Bischof hatte hierüber bereits Vermutungen in nicht beachteten Skripten geäußert.

---ENDE DER LESEPROBE---