Industrie 4.0 - Marion Steven - E-Book

Industrie 4.0 E-Book

Marion Steven

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Beschreibung

Industrie 4.0, d. h. die Anwendung von Digitalisierungstechnologien in der Fertigungsindustrie, ist ein Thema, das seit der Begriffsprägung auf der Hannover Messe Industrie im Jahr 2011 sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch in Politik und Praxis zunehmende Aufmerksamkeit erfahren hat. Mit dem Begriff wird eine Hightech-Strategie bezeichnet, die zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit am Produktionsstandort Deutschland beitragen soll. Bei Industrie 4.0 erfolgt eine durchgängige Digitalisierung der an der Leistungserstellung beteiligten Objekte (Maschinen, Werkzeuge usw.) und sämtlicher Prozessschritte. Das Einführungswerk der Reihe Moderne Produktion stellt die zugehörigen Grundlagen, die Arbeitsweise, die vielfältigen Auswirkungen und die Entwicklungsperspektiven des Konzepts Industrie 4.0 übersichtlich und gut strukturiert zusammen - es ist damit als Lehrbuch und für das Selbststudium bestens geeignet.

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Moderne ProduktionHerausgegeben von Marion Steven

Marion Steven

Industrie 4.0

Grundlagen – Teilbereiche – Perspektiven

Verlag W. Kohlhammer

 

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagsbild: ©zapp2photo – stock.adobe.com

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032591-3

E-Book-Formate:

pdf:    ISBN 978-3-17-032592-0

epub: ISBN 978-3-17-032593-7

mobi: ISBN 978-3-17-032594-4

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Einleitung

 

 

 

Industrie 4.0, d. h. die Anwendung von Digitalisierungstechnologien in der Fertigungsindustrie, ist eines der Themen, die derzeit in der öffentlichen und politischen Diskussion omnipräsent sind. Seit dem Jahr 2011, als der Begriff auf der Hannover Messe Industrie erstmals geprägt wurde, hat er sowohl in der wissenschaftlichen Durchdringung als auch in der Praxis zunehmende Aufmerksamkeit erhalten.

Die Äußerungen reichen von überschwänglicher Euphorie, die darin zum Ausdruck kommt, dass die mit Industrie 4.0 verbundenen Veränderungen als disruptiver bzw. radikaler Wandel bezeichnet werden und deren erfolgreiche Umsetzung als wichtigste Zukunftsaufgabe der deutschen Industrie eingeschätzt wird, bis hin zu eher konservativen Einstellungen, die das Konzept lediglich für eine konsequente Fortsetzung verschiedener Entwicklungen auf dem Gebiet der Informationstechnologie halten, die sich bereits seit etlichen Jahren in der Wirtschaft verbreiten. Je nachdem, welche Erscheinungsformen und Anwendungen von Industrie 4.0 man betrachtet, haben sicherlich beide Ansichten ihre Berechtigung. Um ein möglichst umfassendes Bild von den unter der Bezeichnung Industrie 4.0 diskutierten Phänomenen zu erhalten, wird in diesem Buch ein umfassendes Begriffsverständnis zugrunde gelegt, das sowohl disruptive als auch evolutionäre Entwicklungen umfasst.

In erster Näherung versteht man unter Industrie 4.0 die Durchführung von industriellen Produktionsprozessen mithilfe von hochentwickelten Informations- und Kommunikationstechniken, die über eine durchgängige Digitalisierung der an der Leistungserstellung beteiligten Objekte – Maschinen, Werkzeuge, Werkstücke, Fahrzeuge usw. – und sämtlicher Prozessschritte erfolgt. Die wichtigsten Kennzeichen von Industrie 4.0-Anwendungen sind eine konsequente Ausrichtung der Produkte an individuellen Kundenwünschen, die intensive Zusammenarbeit von Lieferanten und Abnehmern in komplexen Wertschöpfungsnetzwerken und eine damit einhergehende umfassende unternehmensinterne und -externe Vernetzung. Dies wird unterstützt durch eine starke Modularisierung und Dezentralisierung sowohl von Planungs- als auch von Produktionsprozessen, die auf dem Einsatz von cyberphysischen Systemen basieren und die Abstimmung sowie den erforderlichen Datenaustausch in Echtzeit über das Internet der Dinge und Dienste abwickeln.

In den letzten Jahren ist eine beeindruckende Menge an Publikationen zum Thema Industrie 4.0 erschienen, die sehr unterschiedliche Schwerpunkte haben und sich auf verschiedene Facetten der Thematik konzentrieren. Das vorliegende Buch, das als Einführungsband einer mehrbändigen Reihe konzipiert ist, konzentriert sich auf die ökonomische Perspektive der mit dem Übergang zu Industrie 4.0 verbundenen Veränderungen in Unternehmen der deutschen Fertigungsindustrie.

Ausgehend von einer Begriffsdefinition, einer historischen Einordnung und den grundsätzlichen Anforderungen von Industrie 4.0, die im ersten Kapitel behandelt werden, stehen in den nachfolgenden Kapiteln die zentralen Einflussfaktoren und die in den jeweiligen Bereichen relevanten Entwicklungen im Vordergrund. In Übereinstimmung mit dem Großteil der vorliegenden Literatur werden dabei auch solche Konzepte, Komponenten und Methoden behandelt, die zwar schon seit einiger Zeit in der Wirtschaft eingesetzt oder diskutiert werden, aber inhaltlich wichtige Voraussetzungen oder gute Ergänzungen von Industrie 4.0 darstellen. Bei jedem Bereich erfolgt eine Veranschaulichung des derzeitigen Umsetzungstands anhand von aktuellen Beispielen aus der Unternehmenspraxis.

Kapitel 2 untersucht zunächst, in welchem Zusammenhang die Entwicklung von Industrie 4.0 mit der seit einigen Jahrzehnten zu beobachtenden Tendenz zur Globalisierung und der zunehmenden Dynamik von wirtschaftlichen Aktivitäten steht. Im Anschluss an eine Diskussion der aktuellen und zukünftigen Bedeutung von Industrie 4.0 für die deutsche Wirtschaft werden die sich daraus ergebenden Chancen und Herausforderungen mithilfe einer SWOT-Analyse herausgearbeitet.

Eine grundlegende Voraussetzung für Industrie 4.0 ist die Digitalisierung, die sich ausgehend vom Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik immer stärker sowohl auf die Produkte als auch auf die für ihre Herstellung und Distribution erforderlichen Produktions- und Logistikprozesse auswirkt. Die zugehörigen Basistechnologien sind Big Data, das Internet der Dinge und Dienste und die cyberphysischen Systeme. Das Zusammenspiel dieser Technologien sowie die sich aus der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Informationen im Produktionsbereich ergebenden Potentiale, aber auch die insbesondere aus dem überbetrieblichen Datenaustausch resultierenden Risiken in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit werden in Kapitel 3 untersucht.

Gegenstand von Kapitel 4 sind die Veränderungen bei den Produktions- und Logistikprozessen, die durch den Übergang zu Industrie 4.0 ausgelöst werden. Es wird gezeigt, wie sich die Digitalisierung der Fertigungsprozesse auf die Abläufe innerhalb einer Smart Factory auswirkt und welche Gestaltungsmöglichkeiten auf Produkt- und Prozessebene sich für Industrieunternehmen in Zukunft durch die auch als 3D-Druck bezeichneten additiven Fertigungstechnologien eröffnen. Ein Kernbereich von Industrie 4.0 im deutschen Maschinen- und Anlagenbau wird das Angebot von Smart Services sowie von verbesserten Produkt-Service-Systemen sein. Die durchgängige Abstimmung der Material- und Informationsflüsse sowohl innerhalb einer Smart Factory als auch über das einzelne Unternehmen hinaus erfordert den Aufbau einer Logistik 4.0.

In Kapitel 5 wird analysiert, inwieweit sich unternehmensübergreifend ablaufende Wertschöpfungsprozesse durch Industrie 4.0 verändern. Das erfordert eine Ausweitung der Untersuchung auf Supply Chains bzw. Industrie 4.0-Netzwerke, die durch die Kombination der Kernkompetenzen von verschiedenen Partnern entstehen. Durch die Netzwerkorganisation lassen sich die für eine erfolgreiche Umsetzung von Industrie 4.0 erforderliche Flexibilität und damit auch die Effektivität und Effizienz der Produktions- und Logistikprozesse deutlich steigern. Darüber hinaus ermöglicht die auf verschiedene Netzwerkpartner verteilte Wertschöpfung eine Streuung und damit Verringerung von Industrie 4.0-spezifischen Risiken im Rahmen eines aktiven Risikomanagements.

Im Mittelpunkt von Kapitel 6 steht die mit der Einführung von Industrie 4.0 verbundene Veränderung der Kundenbeziehungen. Individuelle Kundenwünsche und Mass Customization werden bereits seit mehreren Jahrzehnten diskutiert, aber erst die für Industrie 4.0 typischen, hochgradig flexiblen Produktionsprozesse erlauben deren Umsetzung zu marktfähigen Kosten und Preisen. Plattformmärkte, die Sharing Economy und neue, digitale Geschäftsmodelle sind typische Entwicklungen, die die Vermarktung der mithilfe von Industrie 4.0 erzeugten Produkte unterstützen. Dabei sind die besonderen Anforderungen der nachwachsenden Käufergruppen, die als Digital Natives einen intuitiven Umgang mit webbasierten Anwendungen pflegen, zu berücksichtigen.

Vor dem Hintergrund der zunehmenden globalen Ressourcenknappheit befasst sich Kapitel 7 mit der Frage, wie sich die Transformation von Produktionsunternehmen in Richtung Industrie 4.0 auf die ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit auswirkt. Am Beispiel einer Investitionsentscheidung in eine additive Fertigungstechnologie wird gezeigt, wie sich mithilfe eines quantitativen Entscheidungsunterstützungsverfahrens die ganzheitliche Nachhaltigkeit verschiedener Investitionsalternativen beurteilen lässt.

Zum Abschluss geht Kapitel 8 anhand einiger aktueller Entwicklungstrends auf die Zukunftsaussichten von Industrie 4.0 ein.

Zur Veranschaulichung der Ausführungen werden Beispiele herangezogen, die teils aus dem industriellen Bereich, teils aus dem alltäglichen Erfahrungskontext stammen. Dies erfolgt einerseits, um das Verständnis der oft komplexen Zusammenhänge zu erleichtern, und andererseits, um die Durchdringung sämtlichen Lebensbereiche mit digitalen Technologien zu betonen.

Angesichts der schnellen Entwicklungen in sämtlichen Teilbereichen von Industrie 4.0 können die Ausführungen im vorliegenden Buch nur eine Bestandsaufnahme darstellen und mögliche Entwicklungsszenarien für die Zukunft aufzeigen. Es muss sich zeigen, inwieweit diese Szenarien Wirklichkeit werden und welche Auswirkungen die mit Industrie 4.0 verbundenen Technologien tatsächlich auf die Wirtschaft und die Gesellschaft haben werden.

Inhalt

 

 

 

Einleitung

1. Das Phänomen Industrie 4.0

1.1 Was heißt Industrie 4.0?

1.2 Komponenten von Industrie 4.0

1.3 Entwicklung von Industrie 4.0

1.3.1 Industrielle Revolutionen

1.3.2 Kondratjew-Zyklen

1.3.3 Beispiel für den Wandel eines Produktionsprozesses

1.3.4 Einflussfaktoren auf Industrie 4.0

1.4 Anforderungen von Industrie 4.0

1.4.1 Integration und Digitalisierung der Wertschöpfungsketten

1.4.2 Digitalisierung der Produkte

1.4.3 Wandel der Geschäftsmodelle

1.4.4 Transformationsprozess

2. Potentiale von Industrie 4.0 in einer globalisierten Welt

2.1 Bedeutung der Globalisierung für Industrie 4.0

2.2 Innovation und Dynamik von Industrie 4.0

2.3 Gesamtwirtschaftliche Bedeutung von Industrie 4.0

2.3.1 Analyse der Ausgangssituation

2.3.2 Volkswirtschaftliche Potentiale von Industrie 4.0

2.3.3 Technologische Potentiale von Industrie 4.0

2.3.4 Branchenspezifische Umsetzung von Industrie 4.0

2.3.5 Künftige Entwicklungen

2.4 Chancen und Herausforderungen von Industrie 4.0

2.4.1 Anwendungsbereiche von Industrie 4.0

2.4.2 SWOT-Analyse für Industrie 4.0

2.5 Beispiele für globale Wertschöpfungsprozesse mit Industrie 4.0

3. Digitalisierung in Industrie 4.0

3.1 Digitalisierung als Voraussetzung für Industrie 4.0

3.2 Basistechnologien der Digitalisierung

3.2.1 Big Data

3.2.2 Internet der Daten, Dinge und Dienste

3.2.3 Cyberphysische Systeme

3.2.4 Zusammenhang der Basistechnologien

3.3 Vernetzung von Informationen und Informationssystemen

3.3.1 Bedeutung der Informationsintegration

3.3.2 Auto-ID-Systeme

3.3.3 Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0

3.4 Datenschutz und Datensicherheit in Industrie 4.0

3.4.1 Gesetzliche Regelungen zum Datenschutz

3.4.2 Datensicherheit

3.4.3 IT-Sicherheit

3.5 Beispiele für die Digitalisierung von Unternehmen für Industrie 4.0

4. Produktions- und Logistikprozesse in Industrie 4.0

4.1 Veränderung von Produktions- und Logistikprozessen durch Industrie 4.0

4.1.1 Innerbetriebliche Veränderungen

4.1.2 Branchenspezifische Veränderungen

4.2 Industrie 4.0 und Lean Management

4.3 Smart Factory

4.3.1 Aufbau einer smarten Fabrik

4.3.2 Produktionsplanung und -steuerung in einer smarten Fabrik

4.4 Additive Fertigung

4.4.1 Typen von Fertigungsverfahren

4.4.2 Vorgehen der additiven Fertigung

4.4.3 Beurteilung der additiven Fertigung

4.4.4 Einsatzbereiche der additiven Fertigung

4.5 Produkt-Service-Systeme

4.5.1 Wandel der Anforderungen und Angebote im Maschinen- und Anlagenbau

4.5.2 Integrierte Produkt-Service-Systeme

4.5.3 Smart Services

4.6 Logistik 4.0

4.7 Beispiele für Produktions- und Logistikprozesse in Industrie 4.0

5. Industrie 4.0-Netzwerke

5.1 Entstehung von Industrie 4.0-Netzwerken

5.1.1 Supply Chains und Supply Chain Management

5.1.2 Lebenszyklus von Industrie 4.0-Netzwerken

5.1.3 Merkmale von Industrie 4.0-Netzwerken

5.2 Flexibilität von Industrie 4.0-Netzwerken

5.2.1 Bedeutung der Flexibilität für Industrie 4.0-Netzwerke

5.2.2 Ausprägungen der Flexibilität von Industrie 4.0-Netzwerken

5.2.3 Beurteilung der Flexibilität von Industrie 4.0-Netzwerken

5.2.4 Fallbeispiel zur Industrie 4.0-Readiness

5.3 Risikomanagement in Industrie 4.0-Netzwerken

5.3.1 Identifikation von Risiken in Industrie 4.0-Netzwerken

5.3.2 Umgang mit Risiken in Industrie 4.0-Netzwerken

5.4 Beispiele für Industrie 4.0-Netzwerke

6. Kundenbeziehungen in Industrie 4.0

6.1 Individualisierung der Leistungen

6.2 Veränderungen des Leistungsangebots durch Industrie 4.0

6.2.1 Smarte Produkte für Digital Natives

6.2.2 Smarte Leistungsangebote in der Industrie

6.3 Veränderungen der Märkte

6.3.1 Plattformmärkte

6.3.2 Sharing Economy

6.4 Geschäftsmodelle für Industrie 4.0

6.4.1 Grundlagen Geschäftsmodelle

6.4.2 Geschäftsmodellkonzept »Business Model Canvas«

6.4.3 Anforderungen an Geschäftsmodelle für Industrie 4.0

6.4.4 Digitale Geschäftsmodelle für Smart IPSS

6.5 Beispiele für Kundenbeziehungen in Industrie 4.0

7. Nachhaltigkeitseffekte von Industrie 4.0

7.1 Nachhaltigkeitsbegriff

7.2 Dimensionen der Nachhaltigkeit

7.2.1 Ökonomische Nachhaltigkeit

7.2.2 Ökologische Nachhaltigkeit

7.2.3 Soziale Nachhaltigkeit

7.3 Investitionsentscheidung für additive Fertigungsverfahren auf Basis ganzheitlicher Nachhaltigkeit

7.3.1 Ausgangssituation

7.3.2 Ableitung eines Indikatorensets für die Nachhaltigkeitsbeurteilung

7.3.3 Grundlagen von PROMETHEE

7.3.4 Anwendung von PROMETHEE zur Nachhaltigkeitsbeurteilung

7.4 Beispiele für Nachhaltigkeitseffekte von Industrie 4.0

8. Zukunftsperspektiven von Industrie 4.0

Literatur

1.         Das Phänomen Industrie 4.0

 

 

 

Was haben selbstfahrende Autos, das Mautsystem Toll Collect, der Dash Button von Amazon, die Verfolgung des Zustellprozesses einer Bestellung über das Internet und der Einkauf im Real Future Store der Metro Group gemeinsam? Es handelt sich um mehr oder weniger bekannte und fortgeschrittene Anwendungen von Digitalisierungstechnologien, die auch den Kern von Industrie 4.0 bilden. Dabei werden verschiedenartige Objekte über intelligente, echtzeitfähige und über das Internet verknüpfte Anwendungen so miteinander verbunden, dass für alle Beteiligten ein Mehrwert entsteht.

Im Zusammenhang mit der Zukunft der deutschen Industrie und der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland fällt vielfach der Begriff Industrie 4.0. In diesem einleitenden Kapitel wird gezeigt, wie dieser Begriff entstanden ist und auf welchen Grundlagen er aufbaut. Dazu erfolgt eine erste inhaltliche Konkretisierung des Konzepts Industrie 4.0. Anschließend wird aufgezeigt, über welche Schritte die Entwicklung des Wertschöpfungskonzepts Industrie 4.0 stattgefunden hat und von welchen Einflussfaktoren bzw. Treibern sie abhängt. Daraus ergeben sich die Perspektiven und Fragestellungen, die in den nachfolgenden Kapiteln untersucht werden. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Zusammenstellung der wesentlichen Anforderungen, mit denen sich ein Unternehmen bei der aktiven Beteiligung an Industrie 4.0 konfrontiert sieht.

1.1       Was heißt Industrie 4.0?

Seit der Begriff Industrie 4.0 im Jahr 2011 im Rahmen der Hannover Messe Industrie in die Öffentlichkeit eingeführt wurde (vgl. Kagermann et al. 2011), hat er eine beeindruckende Popularität gewonnen. Es gibt derzeit kaum ein Magazin oder eine Nachrichtensendung zu wirtschaftspolitischen Themen, in denen Industrie 4.0 nicht in irgendeiner Weise thematisiert wird. Obwohl die damit adressierten Sachverhalte im Englischen üblicherweise mit »Industrial Internet of Things« bezeichnet werden, findet der eingängige Begriff Industry 4.0 (oder sogar Industrie 4.0) auch in englischsprachigen Publikationen Verwendung (vgl. z. B. Shafiq et al. 2015, Zezulka et al. 2016, Wang et al. 2017).

Unter Industrie 4.0 versteht man in erster Näherung ein neuartiges Konzept für die industrielle Produktion, bei dem verstärkt Digitalisierungstechniken zum Einsatz kommen. Die bereits implementierten Beispiele sind dadurch gekennzeichnet, dass die reale und die virtuelle Welt über Datennetze und IT-Anwendungen eng miteinander verknüpft werden. Physische Produktionsanlagen und die darauf hergestellten Produkte verbinden sich dynamisch, flexibel und weitgehend in Selbstorganisation mithilfe von fortgeschrittenen Informations- und Kommunikationstechnologien mit datenbasierten virtuellen Objekten oder Räumen und den zugehörigen Anwendungen.

Der Name Industrie 4.0 ist in Anlehnung an Versionsbezeichnungen bei der Software-Entwicklung entstanden, wo eine neue Versionsnummer auf eine stark veränderte Version hinweist. Die Bezeichnung deutet darauf hin, dass es sich um einen disruptiven Transformationsprozess in der Wirtschaft handelt, der aufgrund seiner weitreichenden Auswirkungen auch als die vierte industrielle Revolution bezeichnet wird ( Kap. 1.3.1). Eine eingehende Begriffs- und Literaturanalyse findet sich z. B. bei Herrmann et al. (2015). Dort wird auch die folgende, vor allem auf die Digitalisierung als Kernelement abstellende Definition von Industrie 4.0 gegeben:

»Industrie 4.0 ist eine Sammelbezeichnung für Konzepte und Technologien zur Organisation von (unternehmensübergreifenden) Wertschöpfungsaktivitäten. In modular aufgebauten smarten Fabriken werden cyberphysische Systeme eingesetzt, um eine virtuelle Abbildung der realen Welt zu erstellen und dezentrale Entscheidungen zu treffen. Diese kommunizieren und kooperieren untereinander sowie mit menschlichen Akteuren in Echtzeit über das Internet der Dinge. Über das Internet der Dienste werden sowohl interne als auch organisationsübergreifende Dienstleistungen von den an der Wertschöpfungskette Beteiligten angeboten und in Anspruch genommen.«

(Hermann et al. 2015, S. 11)

Die Definition der 2013 gegründeten nationalen Plattform Industrie 4.0 orientiert sich hingegen stärker am Systemcharakter und an den für die Umsetzung von Industrie 4.0 erforderlichen Abläufen:

»Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Dieser Zyklus orientiert sich an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die Auslieferung eines Produkts an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen.

Basis ist die Verfügbarkeit aller relevanten Informationen in Echtzeit durch Vernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Instanzen sowie die Fähigkeit, aus den Daten den zu jedem Zeitpunkt optimalen Wertschöpfungsfluss abzuleiten. Durch die Verbindung von Menschen, Objekten und Systemen entstehen dynamische, echtzeitoptimierte und selbstorganisierende, unternehmensübergreifende Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie beispielsweise Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen.«

(zitiert nach PricewaterhouseCoopers 2014, S. 16)

Bei Industrie 4.0 handelt es sich somit um einen fundamentalen Paradigmenwechsel für die Durchführung von Wertschöpfungsprozessen, der mit veränderten Prozessabläufen in Produktion und Logistik, einer stärkeren Integration des Endkunden sowie mit neuen Geschäftsmodellen verbunden ist.

Bei den bereits umgesetzten Anwendungen von Industrie 4.0 tritt der Endkunde häufig als Koproduzent auf, indem er bestimmte Teile des Wertschöpfungsprozesses übernimmt. Weiter kann er seine spezifischen Anforderungen an das Produkt in den Leistungserstellungsprozess einbringen, so dass der Individualisierungsgrad der Produkte steigt. Dadurch erhöhen sich sowohl der Kundennutzen als auch die Preisbereitschaft. Ein Beispiel für eine solche starke Produktindividualisierung auf der Endkundenebene ist der Müslihersteller mymuesli.com, bei dem sich der Kunde online aus über 566 Billionen Variationsmöglichkeiten sein persönliches Bio-Müsli zusammenstellen und sogar die Dose mit einem selbst gewählten Namen für seine Kreation beschriften lassen kann.

Im Industriekundenbereich sind die Produkte und damit auch die Wertschöpfungsprozesse deutlich komplexer. Bei Industrie 4.0-Produktionsprozessen steuern sich die Produktionsaufträge über datentechnische Anwendungen entsprechend ihren individuellen Anforderungen selbsttätig durch die Fertigung und kommunizieren über Datennetze direkt mit den von ihnen benötigten Anlagen, Werkzeugen und Transportmitteln. Dadurch wird die Produktionsplanung stärker dezentralisiert und kann schneller auf wechselnde Anforderungen und Umwelteinflüsse reagieren ( Kap. 4.3.2).

Aufgrund der für die Umsetzung einer solchen selbststeuernden Fertigung erforderlichen Kompetenzen ist das Thema Industrie 4.0 auf der Schnittstelle von Betriebswirtschaftslehre, Ingenieurwissenschaften und Informatik angesiedelt. Eine der Vorreiterindustrien bei der Einführung von Industrie 4.0 ist – wie auch bei früheren Neuerungen in der Produktionsplanung und -steuerung – die Automobilindustrie, die daher mehrfach als Beispiel herangezogen wird.

1.2       Komponenten von Industrie 4.0

Ausgehend von den beiden in Abschnitt 1.1 zitierten Definitionen von Industrie 4.0 lassen sich die in Abbildung 1.1 dargestellten charakteristischen Komponenten dieses neuartigen Wertschöpfungskonzepts identifizieren. Da die zugehörigen Konzepte und ihre Einsatzmöglichkeiten im Rahmen von Industrie 4.0 in den nachfolgenden Kapiteln detailliert dargestellt werden, erfolgt an dieser Stelle zunächst eine kurze Beschreibung, um einen ersten Überblick über die vielfältigen Bestandteile von Industrie 4.0 und ihr Zusammenspiel zu geben.

•  Ein wesentliches Element von Industrie 4.0 ist die Weiterentwicklung des Internets der Daten zum Internet der Dinge bzw. Internet der Dinge und Dienste, das in Abschnitt 3.2.2 ausführlich behandelt wird. Es entsteht dadurch, dass physische Objekte aus der realen Welt über Datennetze Informationen über ihren aktuellen Zustand austauschen und damit gleichzeitig einen Ansatzpunkt für digitale Services

Abb. 1.1: Komponenten von Industrie 4.0

    bieten. Ein Beispiel ist die automatische Nachbestellung von Druckerpatronen, wenn ein im Gerät eingebauter Chip erkennt, dass der Füllstand sich dem Ende nähert. In der Vision von Industrie 4.0 sind die Wertschöpfungspartner, ihre Fertigungseinrichtungen und auch die in Bearbeitung befindlichen Produkte auf vielfältige Weise vernetzt und kommunizieren miteinander in Echtzeit über das Internet der Dinge und Dienste.

•  Die im Zusammenhang mit Industrie 4.0 anfallenden Datenmengen werden als Big Data bezeichnet ( Kap. 3.2.1). Das Adjektiv »groß« bezieht sich nicht nur auf den Umfang der Daten, sondern auch auf andere Eigenschaften wie die Geschwindigkeit der Datengenerierung und des Datentransfers sowie die Bandbreite der Datentypen und Datenquellen. Die für die Fertigung in Industrie 4.0-Prozessen benötigten bzw. dabei anfallenden Daten werden zum großen Teil über Sensoren in den beteiligten Anwendungen erhoben und lokal oder in einer Datencloud gespeichert. Sie können von den Wertschöpfungspartnern bei Bedarf abgerufen und für den nächsten Schritt im Fertigungsprozess genutzt werden. Das ermöglicht nicht nur eine bedarfsgerechte Einlastung von Aufträgen und die echtzeitnahe Steuerung von Fertigungsanlagen, sondern bietet auch die Möglichkeit zur Simulation von alternativen Auftragskonfigurationen und Prozessvarianten. Von großer Bedeutung im Zusammenhang mit Big Data sind die Erfordernisse des Datenschutzes und der Datensicherheit, denn die neuen Möglichkeiten des Datenaustauschs bei Industrie 4.0 eröffnen auch zuvor nicht bekannte Angriffsmöglichkeiten ( Kap. 3.4).

•  Ein Kernelement von Industrie 4.0 ist der zunehmende Einsatz cyberphysischer Systeme in vielen Bereichen der Wertschöpfung. Unter einem cyberphysischen System versteht man ein um Sensoren, eingebettete Systeme und Aktoren erweitertes physisches System, das teilautonom agieren kann, z. B. Fertigungsroboter, fahrerlose Transportsysteme, die den besten Weg für einen Transportauftrag finden, oder auch ein Kleinteilebehälter, der seinen Füllstand selbstständig ermittelt und bei Bedarf eine Nachbestellung auslöst. Cyberphysische Systeme sind über digitale Netze sowohl unternehmensintern als auch über die Unternehmensgrenzen hinaus mit anderen Akteuren im Wertschöpfungsprozess verbunden und können z. B. über das Internet der Dinge und Dienste miteinander kommunizieren. Abschnitt 3.2.3 setzt sich eingehend mit cyberphysischen Systemen auseinander.

•  Durch den flächendeckenden Einsatz von cyberphysischen Systemen wird ein Industriebetrieb zur Smart Factory. Die Wertschöpfung wird bei Industrie 4.0 dezentral organisiert und findet räumlich verteilt auf smarten Produktionsanlagen statt, indem die Fertigungsaufträge mit den Maschinen kommunizieren, weitgehend autonom Material, Werkzeuge und Kapazitäten für die als nächstes anstehenden Fertigungsschritte reservieren und so ihren Weg durch die Fertigung selbst steuern. Die Zusammenarbeit von intelligenten Maschinen und Mitarbeitern findet z. B. mithilfe von Augmented Reality-Anwendungen in virtuellen Räumen statt. Durch den Einsatz additiver Fertigungsverfahren lassen sich komplexe Werkstückgeometrien direkt aus Konstruktionsdaten und CAD-Programmen heraus erzeugen, so dass kleine Losgrößen bis hin zur Einzelfertigung schnell und kostengünstig realisiert werden können. Die Abläufe in einer Smart Factory sind Gegenstand von Abschnitt 4.3.

•  Die an den Industrie 4.0-Wertschöpfungsprozessen beteiligten Unternehmen sind auf vielfältige Weise in Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden. Dabei tragen die Wertschöpfungspartner mit ihren unterschiedlichen Kernkompetenzen arbeitsteilig zur Fertigstellung von Kundenaufträgen bei, indem sie sich jeweils auf den von ihnen beherrschten Teil des Gesamtprozesses konzentrieren. Der für diesen intensiven Austausch von Material, Zwischenprodukten und Dienstleistungen erforderliche Informationsaustausch wird unter anderem durch schnelle Datenleitungen und Cloud Computing unterstützt. Abschnitt 5.1 befasst sich mit der Weiterentwicklung von herkömmlichen Supply Chains zu Industrie 4.0-Netzwerken.

•  Industrie 4.0 eröffnet die Möglichkeit, individualisierte Produkte nach Kundenspezifikation herzustellen und mit kurzen Lieferzeiten zu versenden ( Kap. 6.1). Dies erfordert Produktions- und Logistikprozesse, die gleichzeitig eine große Flexibilität und eine hohe Produktivität aufweisen und zeitlich perfekt aufeinander abgestimmt sind. Damit wird die Fertigung der Losgröße Eins für viele Produkte realistisch. Vielfach ist der Kunde in den Wertschöpfungsprozess integriert, indem er seine Präferenzen einbringt oder sogar Teile des Produktionsprozesses übernimmt. Im Maschinenbau, aber auch in der endkundenorientierten Automobilindustrie werden Produktkonfiguratoren eingesetzt, die den Kunden bei der Spezifikation seiner Anforderungen an das Produkt unterstützen.

Keine dieser Komponenten von Industrie 4.0 ist vollständig neu, sondern die zugehörigen Konzepte und Methoden werden zum größten Teil bereits seit etlichen Jahren in den Unternehmen eingesetzt und dabei – getrieben durch die Möglichkeiten, die die zunehmende Digitalisierung eröffnet – sukzessiv immer weiter entwickelt. Bei der gemeinsamen Nutzung bzw. Umsetzung dieser Komponenten im Rahmen von Industrie 4.0 treten allerdings zusätzliche Synergieeffekte auf, die sich positiv auf die Effizienz und Effektivität der Wertschöpfungsprozesse auswirken. Dadurch lassen sich zum Teil erhebliche Verbesserungen in Bezug auf die strategischen Ziele Qualität, Zeit und Kosten erreichen.

1.3       Entwicklung von Industrie 4.0

In diesem Abschnitt wird untersucht, wie sich die Entwicklung von Industrie 4.0 aus industriegeschichtlicher Perspektive beschreiben lässt. Nach einer Einordnung von Industrie 4.0 in den Kontext der bisherigen industriellen Revolutionen wird ein Zusammenhang mit dem Konzept der Kondratjew-Zyklen hergestellt. Anschließend wird an einem gut nachvollziehbaren Beispiel aufgezeigt, wie sich ein Produktionsprozess über Jahrhunderte immer wieder verändert hat, wobei der Übergang zu den für Industrie 4.0 charakteristischen Strukturen die vorerst letzte Stufe bildet. Schließlich werden die wesentlichen Einflussfaktoren herausgearbeitet, die die Entwicklung von Industrie 4.0 ausgelöst haben und kontinuierlich vorantreiben.

1.3.1     Industrielle Revolutionen

Die Industrie fungiert in Deutschland nach wie vor als Motor für die Stabilität und das Wachstum der Volkswirtschaft. Wie bereits in Abschnitt 1.1 angesprochen wurde, steht der Begriff Industrie 4.0 für die vierte industrielle Revolution. Von einer industriellen Revolution spricht man, wenn die bisherigen Produktionsmethoden durch eine neue Technologie tiefgreifend und dauerhaft verändert werden (vgl. Bauer et al. 2014, S. 12). Dies bringt in der Regel beachtliche Produktivitätssteigerungen mit sich, erfordert von den Unternehmen aber auch erhebliche Anpassungsmaßnahmen in Bezug auf die Fertigungsprozesse und die Organisation der Produktion. Eine Steigerung der Produktivität liegt dann vor, wenn sich die je Arbeitsstunde hergestellte Produktionsmenge bzw. die geleistete Wertschöpfung erhöht.

Nicht nur die Produktionsverfahren, sondern auch die Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeiter haben sich bei jeder dieser Revolutionen grundlegend verändert. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive führt ein Produktivitätsfortschritt tendenziell zu einer Freisetzung von Arbeitskräften in den jeweils betroffenen Industriezweigen. Wenn es gelingt, diese an anderer Stelle im volkswirtschaftlichen Wertschöpfungsprozess einzusetzen, kommt es zu einer weiteren Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt. Abbildung 1.2 gibt einen Überblick über den zeitlichen Ablauf und die wesentlichen Elemente der bisherigen Stufen der industriellen Revolution (vgl. z. B. Hofmann 2017, S. 3 f.).

Erste industrielle Revolution

Die erste industrielle Revolution begann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Ihr wesentliches Kennzeichen ist der Übergang von der handwerklichen Fertigung in Manufakturen zur industriellen Produktion in Fabriken (vgl. Hansmann 2006, S. 12 ff.). Das wesentliche Kennzeichen dieser industriellen Revolution ist die Mechanisierung, d. h. der Einsatz von Maschinen und technischen Hilfsmitteln. Ihr Auslöser war die Erfindung der (Dampf-)Maschine, die zuvor von Menschen verrichtete Tätigkeiten besser, schneller und kostengünstiger ausführen konnte. Die Dampfmaschine wandelt Wärmeenergie in mechanische Energie um, die sich zum Antreiben von Fertigungsmaschinen verwenden lässt.

Abb. 1.2: Stufen der industriellen Revolution (Quelle: acatech 2013, S. 17)

Der Ausgangspunkt dieser industriellen Revolution lag in der englischen Textilindustrie, von dort aus hat sie sich schnell auf andere Industriezweige und Regionen verbreitet. 1765 erfand James Hargreaves die erste Spinnmaschine, durch die die Arbeitsproduktivität gegenüber dem Spinnen von Hand um den Faktor 24 gesteigert wurde, wobei sich gleichzeitig die Qualität des erzeugten Garns verbesserte. 1787 konstruierte Edmund Cartwright für die dem Spinnen nachgelagerte Produktionsstufe des Webens einen mechanischen Webstuhl, der gegenüber dem Handwebstuhl mit der 20-fachen Produktivität arbeitete (vgl. Steven 2007, S. 7).

Die industrielle Produktion erfordert eine räumliche Zusammenfassung der vorher dezentral zu Hause arbeitenden Spinner und Weber in Fabriken. Diese Organisationsform erlaubt eine zentrale Energieversorgung, die Ausnutzung von Rationalisierungseffekten aus der Arbeitsteilung und eine Verkürzung der Transportzeiten zwischen den Fertigungsschritten. Durch die damit einhergehenden Kostensenkungen können die hergestellten Produkte zu einem geringeren Preis angeboten werden, wodurch neue Käuferschichten erschlossen und zusätzliche Umsätze generiert werden.

Zweite industrielle Revolution

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts kam es zu einer erneuten grundlegenden Veränderung der Produktionsweise in der Industrie. Auslöser der zweiten industriellen Revolution war die Umstellung der Produktionsanlagen von Dampfkraft auf Elektrizität als Antriebsenergie für die Maschinen. Dies erlaubte eine Mechanisierung weiterer Fertigungsschritte sowie die Entwicklung von automatisch angetriebenen Fördereinrichtungen. Das Fließband wurde zuerst um 1870 in den Schlachthöfen von Cincinnati eingesetzt, um die Tierkadaver schnell und in großer Stückzahl von einem Arbeitsschritt zum nächsten zu befördern. Die Fließfertigung ermöglicht eine stark arbeitsteilige Massenproduktion zu geringen Stückkosten.

Schon bald wurde diese innovative Idee der Fertigungsorganisation zunächst von der Automobilindustrie und später auch von anderen Industriezweigen übernommen. Henry Ford setzte ab 1918 Fließbänder in seinen Werken ein, um den Materialfluss zu vereinfachen und zu beschleunigen. Weiter orientierte er sich an den von Frederic Winslow Taylor entwickelten Methoden des Scientific Management (vgl. Taylor 1919) und verbesserte dadurch die Arbeitsabläufe systematisch. Die zweite industrielle Revolution weist folgende Kennzeichen auf (vgl. Steven 2007, S. 8 f.):

•  Rationalisierung: Die Arbeitsproduktivität lässt sich erheblich steigern, indem die Produktion stärker arbeitsteilig organisiert wird. Dazu wird ein wiederholt durchzuführender, komplexer Fertigungsprozess in aufeinander folgende Einzelschritte zerlegt, die jeweils von spezialisierten Arbeitskräften möglichst effizient und in einem vorgegebenen Arbeitstakt durchgeführt werden.

•  Automatisierung: Auch der vermehrte Einsatz von Maschinen zur Durchführung der verschiedenen Fertigungsaufgaben trägt zu einer weiteren Erhöhung der Produktivität bei. Dies gilt insbesondere bei einer automatisierten Verkettung der Arbeitsschritte in der Fließfertigung.

•  Standardisierung: Die Herstellung von einheitlichen Massengütern für anonyme Märkte erlaubt die Ausnutzung von Kostendegressionseffekten und macht die Nutzung der kapitalintensiven Produktionsanlagen noch wirtschaftlicher. So wurde das unter dem Namen »Tin Lizzy« bekannte Erfolgsmodell T von Ford zunächst nur in einer standardisierten Ausstattung und ausschließlich in der Farbe schwarz angeboten.

Dritte industrielle Revolution

Die nächste bahnbrechende Veränderung in der Fertigungstechnologie, die der dritten industriellen Revolution entspricht, fand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts statt. Sie wurde durch die Fortschritte in der Informationstechnologie ausgelöst und wird daher auch als »digitale Revolution« bezeichnet (Hermann et al. 2015, S. 5). Computer, Programme und Mikroprozessoren wurden zum Bestandteil von immer mehr Industrieanlagen und übernahmen immer weitere Teile der Produktionssteuerung. 1969 wurde die Modicon 084 als erste speicherprogrammierbare Steuerung in eine Fertigungsanlage eingebaut. Damit folgen die Maschinen nicht mehr festen Bearbeitungsabläufen, sondern können in Abhängigkeit von den Anforderungen eines Auftrags in kurzer Zeit umprogrammiert werden. Die Voraussetzungen für diese Entwicklung waren eine immer weitergehende Miniaturisierung von elektronischen Bauteilen sowie die Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit.

In den 1990er Jahren verbreitet sich die in der japanischen Automobilindustrie entwickelte Strategie der Lean Production, die auch als zweite Revolution in der Automobilindustrie bezeichnet wird (vgl. Womack/Jones/Roos 1992). Das Ziel von Lean Production bzw. Lean Management ist eine radikale Senkung der Produktionskosten durch die weitgehende Vermeidung von Verschwendung in den Fertigungsabläufen. Dies führt zu einer Verschlankung der Produktion, die in verschiedenen Bereichen (Lagerbestände, Personalbedarf, Flächenbedarf, Investitionsvolumen, Lieferzeiten, Produktentwicklungszeiten) eine Halbierung der bei der Massenfertigung benötigten Ressourcen anstrebt (vgl. z. B. Steven 2014, S. 210 f.). Durch die immer weitere Verkürzung von Rüstzeiten wird als Ideal eine Losgröße von Eins angestrebt, so dass individuelle Kundenwünsche immer besser erfüllt werden können. Die zuvor zentrale Steuerung der Produktionsabläufe wird durch dezentrale, selbststeuernde Einheiten abgelöst, deren Aktivitäten in Echtzeit überwacht und aufeinander abgestimmt werden müssen. Gleichzeitig verlagern die Unternehmen immer mehr Fertigungsschritte, die nicht zu ihren Kernkompetenzen zählen, im Rahmen des Outsourcings auf Zulieferer, mit denen sie in Supply Chains bzw. Wertschöpfungsnetzwerken zusammenarbeiten.

Vierte industrielle Revolution

Die Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologie gehen Anfang des 21. Jahrhunderts fließend über in die als Industrie 4.0 bezeichnete vierte industrielle Revolution. Im Gegensatz zu den bisherigen industriellen Revolutionen ist diese die erste, die bereits als solche bezeichnet wird, bevor sie vollständig umgesetzt ist (vgl. Drath 2014, S. 2). Ein wesentliches Kennzeichen von Industrie 4.0 ist die Nutzung der aus der Digitalisierung, die auch in anderen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft immer weiter voranschreitet, resultierenden Möglichkeiten. Es erfolgt eine weitgehende Digitalisierung von Produktions- und Logistikprozessen mithilfe von cyberphysischen Systemen, die sowohl innerhalb des einzelnen Unternehmens als auch über die Unternehmensgrenzen hinaus eingesetzt werden. Ein weiteres Merkmal, das über die Automatisierung bei der dritten industriellen Revolution hinausreicht, ist die umfassende Vernetzung von realen und virtuellen Objekten im Internet der Dinge, die mithilfe von intelligenten Anwendungen erfolgt (vgl. Bousonville 2017, S. 4). Dies führt insbesondere zu den folgenden Veränderungen bei den Abläufen in Produktion und Logistik:

•  Produktionsanlagen, Werkzeuge, Einsatzmaterial, Produkte bzw. Aufträge und Transportmittel werden je nach Bedarf mit RFID-Chips, Sensoren und Aktoren versehen und können darüber vernetzt werden. Das digitale Produktgedächtnis speichert die für die Produktion relevanten Produkteigenschaften und protokolliert wichtige Daten aus dem laufenden Betrieb.

•  Über virtuelle Netzwerke werden die verschiedenen Objekte vielfältig miteinander verknüpft, auch in verschiedenen Unternehmen durchgeführte Prozesse werden aufeinander abgestimmt und können online überwacht werden.

•  Fertigungsaufträge werden autonom durch die Produktion gesteuert und sind z. B. in der Lage, die für den jeweils nächsten Fertigungsschritt benötigten Ressourcen in Echtzeit anzufordern.

•  Materialbestände werden laufend überprüft und bei Bedarf durch automatisierte Bestellungen bei den Lieferanten aufgefüllt.

•  Produktionsanlagen wandeln sich zu intelligenten cyberphysischen Systemen, die über ein virtuelles Abbild der relevanten Objekte der realen Welt verfügen und selbstständig mit diesen interagieren können.

•  Kunden können die von ihnen gewünschten Produktvarianten online konfigurieren, wobei das physische Produkt durch Anreicherung mit digitalen Komponenten und Dienstleistungen immer mehr zum Leistungsbündel wird.

Im Unterschied zu den vorherigen industriellen Revolutionen wirkt sich Industrie 4.0 nicht lediglich auf einzelne Bestandteile des Fertigungsprozesses, sondern auf die gesamte inner- und zwischenbetriebliche Wertschöpfungskette aus (vgl. Nicolai/Schuster 2018, S. 18).

Teilweise wird die Meinung vertreten, dass bei den als Industrie 4.0 bezeichneten Veränderungen im Produktionsbereich kein disruptiver Wandel, sondern eine evolutionäre Weiterführung bisheriger Entwicklungen vorliegt (vgl. insbesondere Mertens/Barbian 2016). Angesichts der Neuheit des Konzepts ist es sicherlich noch zu früh, hierzu eine abschließende Beurteilung abzugeben.

1.3.2     Kondratjew-Zyklen

Der ständige Wandel bei den Produkten und den Erscheinungsformen der industriellen Produktion wird einerseits vom technischen Fortschritt und andererseits von den in der Gesellschaft vorherrschenden Bedürfnissen vorangetrieben. Es lässt sich beobachten, dass technologische Neuerungen vielfach in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten von Konjunkturzyklen stehen. Der russische Ökonom Nikolaj Kondratjew hat untersucht, inwiefern empirisch nachweisbare langfristige Wellenbewegungen der Weltkonjunktur in Verbindung mit dem Aufkommen und dem späteren Niedergang von technischen Innovationen stehen. Diese zyklischen Konjunkturschwankungen wurden später als Kondratjew-Zyklen bezeichnet. Dabei umfasst ein Kondratjew-Zyklus jeweils ca. 40 bis 50 Jahre.

Tab. 1.1: Kondratjew-Zyklen und gesellschaftliche Bedürfnisse (Quelle: Steven 2014, S. 70)

ZeitTechnologieBedürfnis

Es lässt sich beobachten, dass am Anfang eines Konjunkturaufschwungs jeweils eine bestimmte Basisinnovation steht, die zur Befriedigung von bis dahin vernachlässigten gesellschaftlichen Bedürfnissen dient. Lassen sich durch die zugehörige Technologie keine zusätzlichen Umsätze mehr erzielen, so setzt ein gesamtwirtschaftlicher Abschwung ein, der so lange anhält, bis durch eine neue Basisinnovation bzw. Technologie der nächste Aufschwung ausgelöst wird (vgl. Pötzl 2004, S. 40). In Tabelle 1.1 sind die seit dem 19. Jahrhundert beobachteten Kondratjew-Zyklen mit den zugehörigen Basistechnologien und Bedürfnissen zusammengestellt.

•  Der erste Kondratjew-Zyklus entspricht dem Beginn der ersten industriellen Revolution. Durch die mit der Automatisierung der Spinn- und Webmaschinen in der Textilindustrie ausgelösten Produktivitätssteigerungen wurde das Bedürfnis der Bevölkerung nach kostengünstiger Bekleidung befriedigt.

•  Im weiteren Verlauf der Industrialisierung führte der zweite Kondratjew-Zyklus mit dem Ausbau der Stahlindustrie und dem Bau von Eisenbahnen dazu, dass der Massentransport von Personen und Gütern über weite Strecken möglich wurde.

•  Der dritte Kondratjew-Zyklus korrespondiert mit der zweiten industriellen Revolution. Die durch den Fortschritt in der Elektrotechnik, aber auch in der Chemieindustrie ausgelösten Entwicklungen von neuen Produktionsverfahren und Produkten führten dazu, dass die Bevölkerung in den Industriestaaten mit Massengütern versorgt werden konnte.

•  Der Aufschwung der vielfältig miteinander verbundenen Branchen Automobilindustrie und Petrochemie im vierten Kondratjew-Zyklus erlaubte es, das Bedürfnis nach individueller Mobilität zu erfüllen.

•  Der fünfte Kondratjew-Zyklus korrespondiert mit der dritten industriellen Revolution. Seine Grundlage waren die Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnik, durch die die Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung und zur individuellen Kommunikation deutlich verbessert wurden. Da die verbesserte Kommunikation nicht nur für den Informationsaustausch zwischen Menschen, sondern auch zwischen Maschinen und anderen Objekten eingesetzt werden kann, bildet dies gleichzeitig die technische Basis für Industrie 4.0.

•  Aktuell befinden wir uns im Übergang zum sechsten Kondratjew-Zyklus. Es wird erwartet, dass seine Basistechnologien entweder angesichts der globalen Umweltprobleme im Bereich der Umweltschutztechnologien liegen werden oder dass er von der Biotechnologie dominiert wird, die sich auf die Gesundheitsbedürfnisse von alternden Gesellschaften konzentriert.

Abbildung 1.3 zeigt den Zusammenhang dieser Kondratjew-Zyklen mithilfe von empirischen Finanzmarktdaten graphisch auf. Dazu wurden die rollierenden 10-Jahresrenditen auf Basis der Standard & Poor’s 500 Aktienrendite herangezogen. Es lässt sich gut erkennen, dass diese Kondratjew-Zyklen weitgehend mit den in Abschnitt 1.3.1 diskutierten Stufen der industriellen Revolution korrespondieren.

Abb. 1.3: Kondratjew-Zyklen im Zeitverlauf (Quelle: Shiller 2005; Datastream 2016)

1.3.3     Beispiel für den Wandel eines Produktionsprozesses

Anhand eines gut nachvollziehbaren Beispiels – der Herstellung von Büchern – wird gezeigt, wie sich ein Produktionsprozess aufgrund der Verfügbarkeit von neuen Technologien und durch Änderungen in den organisatorischen Abläufen im Zeitablauf immer wieder gewandelt hat.

Im Mittelalter konnten Schriftstücke und – meist für den kirchlichen Gebrauch bestimmte – Bücher über Jahrhunderte hinweg nur vervielfältigt werden, indem man sie von Hand abschrieb ( Abb. 1.4). Dieses Abschreiben der Manuskripte erfolgte vor allem in den Skriptorien von Klöstern, denn die Mönche beherrschten im Gegensatz zur einfachen Bevölkerung das Lesen und Schreiben. Bei dieser manuellen Herstellungsweise ließen sich nur geringe Stückzahlen erzeugen und der Schreibprozess war sehr anfällig für Übertragungsfehler. Alternativ wurde für einfache Schriftstücke eine als Holztafeldruck bzw. Blockdruckverfahren bezeichnete Stempeltechnik eingesetzt, bei der der Text seitenverkehrt aus einem Holzblock geschnitzt oder in eine Metallplatte graviert wurde.

Abb. 1.4: Skriptorium (Quelle: Holzschnitt aus Macer Floridus. De viribus herbarum carmen. Famosissimus medicus et medicorum Speculum, Genf, Jean Belot, nach 1500)

Durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen, in Blei gegossenen Lettern und der Druckerpresse durch Johannes Gutenberg zur Mitte des 15. Jahrhunderts wurde die Herstellung von Büchern revolutioniert. Nunmehr war die Herstellung einer großen Anzahl identischer Druckstücke möglich und es begann die maschinelle Massenproduktion von Büchern. Das erste mit dieser Technologie gedruckte Buch war die Bibel; später, als immer mehr Menschen lesen konnten, wurde auch Unterhaltungsliteratur publiziert. Die Druckereien wurden meist im Auftrag von Verlagen tätig, die vom Autor die Druckrechte für ein Buch erwarben und das gedruckte Buch vermarkteten.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert wurde mit der Monotype eine automatische Setzmaschine erfunden, die die zuvor manuell und separat durchgeführten Vorgänge des Gießens und Setzens der Lettern für eine gesamte Druckseite zusammenführte und damit eine erhebliche Beschleunigung des Setzvorgangs erlaubte. Die Produktivität der Monotype betrug bis zu 8.000 Lettern in der Stunde. Die von den Autoren gelieferten, meist von Hand oder mit Schreibmaschine geschriebenen Manuskripte wurden von der Druckerei gesetzt, die Druckfahnen wurden vom Autor nochmals Korrektur gelesen und erst dann konnte das Buch in Druck gehen. Die Rolle der Verlage blieb weitgehend gleich.

Eine deutliche Veränderung des Prozesses der Bücherproduktion erfolgte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Durch die Erfindung des Offsetdrucks wurde der Guss der Lettern in Blei durch ein fotomechanisches Verfahren abgelöst. Beim Fotosatz werden die Reproduktionsvorlagen erzeugt, indem die Schriftzeichen durch ein optisches System auf ein lichtempfindliches Papier oder einen Film übertragen werden. Um mehrfarbige Drucke zu erhalten, müssen vier Druckplatten mit den Grundfarben Schwarz, Cyan, Magenta und Gelb nacheinander eingesetzt werden. Einige Verlage gingen dazu über, den Satz der Bücher nicht mehr durch die Druckereien durchführen zu lassen, sondern von den Autoren die Ablieferung kamerareifer Druckvorlagen zu verlangen.

Die nächste Entwicklungsstufe bestand um die Jahrtausendwende darin, dass beim Digitaldruck keine Druckplatten mehr erzeugt werden müssen, sondern die digitalen Vorlagen direkt an die Druckmaschine, meist einen Laserdrucker, weitergegeben werden. Durch den Verzicht auf die Erzeugung von Druckplatten lassen sich auch kleine Auflagen kostengünstig erzeugen. Dies führt zu dem Angebot des »Book on Demand«, bei dem Werke mit geringer Nachfrage vom Verlag erst dann gedruckt werden, wenn ein Kundenauftrag vorliegt. Hierdurch entfallen Lagerhaltungskosten und das Absatzrisiko reduziert sich.

Noch einen Schritt weiter geht das Konzept der E-Books, bei denen der digitalisierte Inhalt bzw. Content grundsätzlich nicht mehr ausgedruckt, sondern dem Leser vom Verlag über das Internet entweder online oder zum Herunterladen auf sein Endgerät bereitgestellt wird. Die online bereitgestellten Inhalte stehen den Nutzern zu jeder Zeit und an jedem Ort zur Verfügung, wenn eine Internetverbindung besteht. Auf einem E-Book-Reader lassen sich unzählige Bücher platzsparend zum Lesen bereithalten, was von den Nutzern vor allem auf Reisen als sehr praktisch empfunden wird.

Neben der geschilderten Entwicklung der Buchproduktion hat sich auch die Bereitstellung von Inhalten und Informationen durch das Internet grundlegend gewandelt. Auf Homepages und in Foren kann grundsätzlich jeder Nutzer sämtliche Inhalte, die ihm wichtig erscheinen, für die Allgemeinheit posten oder zum Download bereitstellen. Dabei sind die Inhalte nicht mehr auf Texte und Bilder beschränkt, sondern können auch in Form von Audio- oder Video-Dateien vorliegen.

In Web 2.0-Anwendungen wie Wikipedia arbeiten registrierte Nutzer als Cloud gemeinsam, aber unabhängig voneinander an Artikeln zu verschiedensten Themen. Die Kontrolle der Inhalte erfolgt über die Community, eine Aktualisierung oder die Korrektur von Fehlern ist jederzeit möglich. Jeder Internetnutzer hat grundsätzlich Zugriff auf sämtliche im World Wide Web bereitgestellten Inhalte. Er kann sich z. B. bei Wikipedia kostenlos die Artikel, die ihn interessieren, im PDF-Format herunterladen und selbst ausdrucken oder auch mehrere Artikel zu einem Buch zusammenstellen, das dann von einer Druckerei als Dienstleister individuell für ihn gedruckt und ihm direkt zugesandt wird.

Die beiden letztgenannten Ausprägungen der Herstellung von Büchern weisen viele Merkmale von Industrie 4.0 auf:

•  Der Prozess der Buchproduktion wurde vollständig neu organisiert.

•  Die Inhalte des Buches liegen in digitaler Form vor und die Abstimmung der Beteiligten erfolgt über das Internet.

•  Das Übertragungsformat ist standardisiert.

•  Das Endprodukt, d. h. das gedruckte Buch, wird vom Kunden entsprechend seiner Bedürfnisse konfiguriert und der Druckvorgang wird durch ihn veranlasst.

•  Es kommen neue Abrechnungs- und Geschäftsmodelle zum Einsatz.

•  Die Bedeutung der Druckereien und Verlage ist stark zurückgegangen, da viele Vorgänge vom Kunden selbst ausgeführt werden.

•  Es ist deutlich schwieriger, geistiges Eigentum und die Rechte der Autoren zu schützen.

1.3.4     Einflussfaktoren auf Industrie 4.0

Die Entwicklung von Industrie 4.0 wird von einer Reihe von Einflussfaktoren aus verschiedenen Bereichen im Umfeld der Unternehmen vorangetrieben. In Abbildung 1.5 sind die wesentlichen Auslöser bzw. Treiber dieser Entwicklung zusammengestellt, deren Einfluss in den nachfolgenden Kapiteln untersucht wird.

Abb. 1.5: Einflussfaktoren auf Industrie 4.0

•  Bereits seit mehreren Jahrzehnten besteht eine Tendenz zur Globalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten. Ausgehend von der Bearbeitung internationaler Märkte auf der Absatzseite sind – getrieben von Kostensenkungspotentialen im Einkauf – auch die Beschaffungsaktivitäten vieler Unternehmen geografisch immer weiter ausgedehnt worden. Diese zunehmende internationale Arbeitsteilung führt zu einem immer intensiveren Wettbewerb, der sowohl Chancen als auch Risiken mit sich bringt. Die Steuerung globaler Supply Chains erfordert neue Planungs- und Steuerungsverfahren. Aus der Globalisierung resultiert für die meisten Unternehmen ein ständig wachsender Anpassungsdruck. Die Bedeutung dieses Einflussfaktors von Industrie 4.0 für die deutschen Unternehmen wird in Kapitel 2 näher untersucht.

•  Die ständig verbesserten und erweiterten Potentiale der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) eröffnen den Unternehmen immer neue Möglichkeiten zur schnellen Reaktion auf Kundenanforderungen und auf Veränderungen des Wettbewerbsumfelds. Durch die zunehmende Digitalisierung von Geschäftsprozessen erfolgt eine verstärkte informationstechnische Verknüpfung mit Partnern innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Erst durch den kontinuierlichen Zugriff auf immer aktuellere und umfassendere Informationen werden die für Industrie 4.0 typischen Produktionsverfahren möglich. Die Bedeutung der Digitalisierung für die Entwicklung von Industrie 4.0 ist das Thema von Kapitel 3.

•  Der technische Fortschritt bildet eine wichtige Basis für die Entwicklung von Industrie 4.0. Aufgrund der Beschleunigung des technischen Fortschritts sowohl bei der Entwicklung neuer Produkte als auch bei den zugehörigen Produktionsverfahren entsteht immer neuer Anpassungsdruck. Gleichzeitig verkürzen sich die Produktentwicklungszeiten und die Produktlebenszyklen. Die Veränderungen im Bereich der für Industrie 4.0 erforderlichen Produktionstechnik sowie der zugehörigen Logistikprozesse stehen im Mittelpunkt von Kapitel 4.

•  Ein weiterer Trend ist die zunehmende Reduktion der Fertigungstiefe, d. h. des im eigenen Unternehmen erbrachten Anteils an der Wertschöpfung. Im Rahmen des Outsourcings werden Fertigungsschritte und Dienstleistungen, die nicht zu den Kernkompetenzen eines Unternehmens zählen, immer stärker auf spezialisierte Zulieferer und Dienstleister ausgelagert. Je bedeutender der von einem Zulieferer erbrachte Wertschöpfungsanteil aus strategischer Perspektive ist, desto intensiver muss die Zusammenarbeit sein. Daher schließen sich Unternehmen aus unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen zu Supply Chains bzw. Industrie 4.0-Netzwerken zusammen, um nicht nur die operative Abwicklung der für ein Produkt erforderlichen Produktions- und Logistikprozesse, sondern auch die zugehörigen Planungs- und Entwicklungsaktivitäten arbeitsteilig durchzuführen und langfristig in netzwerkartigen Strukturen zusammenzuarbeiten. Das Supply Chain Management befasst sich mit der Koordination der Aktivitäten in einem solchen Wertschöpfungsverbund und mit der integrierten Planung, Steuerung und Kontrolle der in einer Supply Chain auftretenden Produktions- und Logistikprozesse sowie der zugehörigen Material- und Informationsflüsse (vgl. z. B. Chopra/Meindl 2009). In Kapitel 5 wird auf die Bedeutung der Kooperation in Netzwerken für Industrie 4.0 eingegangen.

•  Bereits seit dem Wandel der Märkte von Verkäufer- zu Käufermärkten in den 1970er Jahren verlangen die Kunden in vielen Branchen eine immer stärkere Individualisierung ihrer Produkte. Im Extremfall führt dies zur Produktion »on demand« und der Losgröße Eins. Da die Fertigung von individuellen Produkten mit auf die Kundenbedürfnisse abgestimmten Eigenschaften eine große Komplexität der Produktionsabläufe und hohe Kosten mit sich bringt, wird im Rahmen der Mass Customization versucht, gleichzeitig die Vorteile sowohl der Massenfertigung (Fließband, hohe Produktivität, geringe Stückkosten) als auch der Einzelfertigung (Werkstatt, hohe Flexibilität und Individualität) zu nutzen. Die Fertigung einer Vielzahl von unterschiedlichen Varianten und die Sicherstellung einer hohen Produktqualität bei gleichzeitig kurzen Lieferzeiten erfordern eine große Flexibilität und den Einsatz aufwendiger, komplexer Planungsverfahren sowie den Übergang zu neuen, digitalen Geschäftsmodellen. Kapitel 6 befasst sich mit dem Einfluss der veränderten Kundenbeziehungen auf Industrie 4.0.

•  Ausgelöst durch das Bewusstsein für die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen gewinnt die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit der betrieblichen Aktivitäten seit einigen Jahrzehnten eine immer größere Bedeutung. In Kapitel 7 wird daher untersucht, welche Nachhaltigkeitseffekte von Industrie 4.0 ausgehen und welche Möglichkeiten ein Unternehmen hat, seine Produktionsprozesse nachhaltiger zu gestalten.

1.4       Anforderungen von Industrie 4.0

Der Übergang eines Industrieunternehmens zu Industrie 4.0 erfordert eine grundlegende Transformation fast aller Geschäftsprozesse sowie eine Neuausrichtung des Produkt- und Serviceportfolios. Dabei spielen die in Abbildung 1.6 dargestellten Bereiche und deren Anforderungen eine entscheidende Rolle (vgl. PricewaterhouseCoopers 2014, S. 15 f.).

Abb. 1.6: Anforderungen von Industrie 4.0 (Quelle: In Anlehnung an PricewaterhouseCoopers 2014, S. 15)

1.4.1     Integration und Digitalisierung der Wertschöpfungsketten

Um die vollen Potentiale von Industrie 4.0 nutzen zu können, ist eine umfassende Integration und Digitalisierung der an der Wertschöpfung beteiligten Aktivitäten sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Richtung erforderlich. Nur so lässt sich erreichen, dass isolierte, funktionsbezogene Sichtweisen durch eine ganzheitliche Prozesssicht abgelöst werden.

Vertikale Integration der Wertschöpfung