Invasion - Der Angriff - John Ringo - E-Book

Invasion - Der Angriff E-Book

John Ringo

4,4
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Ruhe vor dem Sturm

Den Menschen ist es, dank technologischer und genetischer Aufrüstung, gelungen, die Posleen-Invasion auf zwei Welten aufzuhalten. Erstmals kehrt Ruhe auf den Schlachtfeldern ein, und die Veteranen kehren zur Erde zurück. Doch die Posleen planen einen direkten Vorstoß auf den Heimatplaneten der Menschen – und sie sind nicht gewillt, den Soldaten eine Atempause zu gönnen. Doch dann macht ein geheimer Stoßtrupp von US-Marines auf einem fremden Planeten eine atemberaubende Entdeckung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 1183

Bewertungen
4,4 (16 Bewertungen)
9
4
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Titel der englischen Originalausgabe GUST FRONT Deutsche Übersetzung von Heinz Zwack Das Umschlagbild ist von David Mattingly Die Übersetzung der Gedichte von Rudyard Kipling ist von Gisbert Haefs
Redaktion: Werner Bauer
Copyright © 2001 by John Ringo Copyright © 2004 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 Münchenwww.heyne.de
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
ISBN 978-3-641-12192-1V002
www.penguinrandomhouse.de

Inhaltsverzeichnis

PrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64Kapitel 65Kapitel 66Kapitel 67Kapitel 68Kapitel 69Kapitel 70Kapitel 71Kapitel 72Kapitel 73VisionenNachwort des AutorsAnmerkung des ÜbersetzersVergleich amerikanischer und deutscher Army-(Heeres-)DienstgradeDie Dienstgrade und Kampffahrzeuge der PosleenGlossarCopyright

In stetem Gedenken an William Pryor Ringo, Engineer extraordinaire

»Nun, Tir, bist du der Ansicht, dass hinsichtlich der Menschen alles nach deinen Planungen abläuft?«

Der Darhel-Ghin schwenkte ein Räucherstäbchen und legte die Botschaft an die Herren auf den Altar der Kommunikation. Im Hintergrund tönten melodisch Singkristalle, und die silbern verspiegelten Kolonnaden halfen ihm dabei, die verschiedenen Ereignisstränge zu betrachten und abzuwägen, aus denen sich unterschiedliche alternative Zukunftswelten entwickeln konnten; die meisten dieser zukünftigen Welten machten ihm einen düsteren Eindruck.

Seine Indowy-Leibdiener hoben seine Gewänder an, als er aufstand und sich dem Tir-Diener zuwandte. Das an einen Fuchs erinnernde Gesicht des jüngeren Darhel zeigte die geschulte Miene eines Darhel-Managers von Rang. Höflich fragendes Ohrenzucken des Ghin erwiderte er gleichmütig und distanziert. Tatsächlich war der Generalplan zu mehr als zwei Dritteln völlig aus der Bahn geraten, und dies war zum größten Teil dem Handeln eines einzigen Individuums zuzuschreiben, welches Glück gehabt hatte. Dies zuzugeben freilich war für den Weg zur Macht nicht gerade förderlich. Und es gab nur wenig, was dieses alte Fossil zerpflücken konnte. In seiner Gesamtheit war der Plan einzig und allein ihm bekannt.

»Es gibt keinen Plan, der sich in Vollkommenheit entfaltet«, sagte der Tir glattzüngig. »Aus diesem Grund gibt es Management.«

Der elfenhafte Ghin schnippte wieder mit den Ohren – eine Geste, die bewusst vieldeutig war. Sie hätte höfliche Übereinstimmung bedeuten können, ebenso gut aber auch höflichen Zweifel. Der Unterschied war überaus subtil. »Wir behalten Diess.«

Der Ghin bewertete das bewusst weder positiv noch negativ. Die Vernichtung der alliierten menschlichen Streitkräfte, die sich zur Verteidigung des Planeten versammelt hatten, hätte ein Teil der Planung dieses jungen Schnösels sein können, ebenso gut aber auch nicht. Die Mehrdeutigkeit seiner Aussage war eine bewusste Falle, wobei er bezweifelte, ob dem Tir die Untertöne bewusst wurden.

Der Tir blähte beipflichtend die Nasenflügel und ließ den Blick über die versammelten Indowy schweifen. »Es ist eine wichtige Welt.« Die Wirtschaftsunternehmen von Diess befanden sich trotz der Milliarden von Indowy, die den Planeten bewohnten, voll und ganz unter Darhel-Kontrolle. Die Arbeiter der Föderation waren ebenso entbehrlich wie Bakterien. »Die erzielten Einkünfte sind beträchtlich.«

Die Nasenflügel des Ghin blähten sich. Wie von ihm erwartet, hatte der junge Narr sich ablenken lassen. »Und Barwhon ebenfalls.«

»Bedauerlicherweise waren die menschlichen Verluste groß.« Der Gesichtsausdruck, den er jetzt zur Schau stellte, war einer, den er den Menschen abgeguckt hatte: Seine Augen mit den Katzenpupillen und den vertikalen Lidern öffneten sich weit und sein breiter beweglicher Mund zog sich nach unten, so dass man seine haifischartigen Zähne sehen konnte. Selbst die Ohren sanken herab. Es war ein subtiler und äußerst wirksamer Ausdruck, einer, den man nur schwer kopieren konnte. Menschen hätte man die Niederlage ebenfalls angesehen, doch die Darhel kannten das Gefühl der Niedergeschlagenheit nicht. Hass, das wohl. Wut, ganz entschieden. Niedergeschlagenheit? Nein.

Der Ghin nahm sich einen Augenblick Zeit, um seine eigenen Pläne zu durchdenken. Er wusste, dass man den Pfad zur Meisterschaft nicht mit Plänen allein beschreiten konnte. Von entscheidender Wichtigkeit war, dass man eine klare Vorstellung von der Realität hatte. Dass der junge Narr bis zu seiner augenblicklichen Position aufgestiegen war, schien ihm ein untrügliches Zeichen dafür zu sein, dass die Qualität seiner Opposition nachgelassen hatte.

Oder es deutete auf einen klugen, sorgfältig ausgedachten Plan.

Der Ghin blähte seine Nase, so dass man es nicht sehen konnte. Nein. Wohl überlegte Pläne lagen hier nicht vor. Seine eigenen Pläne waren so angelegt, dass für seine Absichten jeder einzelne Pfad in die Zukunft offen stand und diesem jungen Tölpel jeder Pfad verschlossen war. Es gab keine Fehler in seiner Vorgehensweise. Ein Gefühl der Wärme breitete sich in ihm aus.

»Dein Plan bedarf weiterer … Anpassung? Die Handlungen eines einzelnen Menschen haben deine Pläne auf Diess durchkreuzt.«

»Ja, Euer Ghin«, pflichtete der Tir ihm bei. Er hatte die Falle aufgestellt, und der alte Narr war geradewegs hineinmarschiert. »Ich befürchte, für die nächste Phase wird meine Anwesenheit auf der Erde erforderlich sein.«

»Und die wäre?« Der Ghin stellte die Targan-Falle und wartete, dass seine Beute hineintappte.

Die Gesichtszüge des Tir wurden noch undurchdringlicher. Die nächste Phase war offensichtlich, selbst für diesen alten Trottel. »Die Menschen müssen den Pfad der Erleuchtung beschreiten. Individualität ist auf dem Wege zur Gesamtheit ein Hindernis, das man überwinden muss.«

»Und wie beabsichtigst du das zu bewerkstelligen?« Wieder zuckten die Ohren des Ghin auf jene bewusst vieldeutige Art.

»Es gibt so viele Pfade zum Erfolg, dass es Tage dauern würde, sie alle zu beschreiten. Ich denke, es sollte genügen, wenn ich sage, dass die Menschen auf dem Pfad der Erleuchtung wie Spielfiguren sein müssen. Ihr Mythos der Individualität muss zermalmt werden und damit auch ihre Leidenschaft. Der Pfad der Leidenschaft ist bei unseren gegenwärtigen Bemühungen nicht der, der zum Erfolg führt. Und er ist auch nicht der Pfad zur Erleuchtung.«

Der Tir hielt inne, zitterte leicht. »Die Zeit der Helden ist vorbei. Und die Zeit bestimmter Individuen im Speziellen ist schon lange vorbei.« Der Tir war ein Meister in der Kunst, seine Gesichtszüge zu kontrollieren, aber seine Körpersprache hatte er noch nicht völlig unter Kontrolle. Die Art und Weise, wie er tief Atem holte und wie die Muskeln an seinen oberen Gliedmaßen zuckten, deuteten auf eine Aufwallung von Zorn hin.

Dieser junge Narr befand sich am Rande des Lintatai! Der Ghin zwang seine Gesichtszüge zur Unbeweglichkeit. Der Tir hatte zu viele Berichte und Analysen gelesen. Er hatte vergessen, dass tief unter dem Firnis der Zivilisation das Herz der Darhel, das Herz eines enttäuschten Kriegers schlug. Und genau gegen dieses Gefühl kämpfte er jetzt an. Und sein Kriegerherz verriet dem Ghin, dass sein Gegenüber sich ernsthaft verrechnet hatte. Die Menschen als eine Bedrohung der allumfassenden Kontrolle der Darhel würden nicht so leicht zu besiegen sein.

»Es freut mich, dass unser Volk so hervorragend geführt wird«, sagte der Ghin. Dann ahmte auch er einen menschlichen Gesichtsausdruck nach und zog die Lippen in einem breiten Lächeln zurück. Raubtierzähne blitzten auf, so dass alle sie sehen konnten, und die Indowy im Raum schlossen die Augen und wandten sich ab. Keiner von ihnen war so dumm wegzurennen oder in anderer Weise das Missfallen der Darhel-Herren zu erregen, aber keiner von ihnen würde je diesen Anblick vergessen. »Unsere Zukunft ist in guten Händen.«

Kabul town was ours to take –Blow the trumpet draw the sword –I’d ha’ left it for is sake –I’m that left me by the ford.Ford, ford, ford o’ Kabul river,Ford o’ Kabul river in the dark!

»Ford O’Kabul River«Rudyard Kipling

Kabul lag zum Greifen da – Blas das Horn und zieh das Schwert – Für ihn hätt ich’s sausen lassen, ihn, der mich ließ an der Furt. Furt, Furt, Furt vom Kabul River, Furt vom Kabul River in der Nacht!

»Furt vom Kabul River«

Ein Feuerstoß aus der Maschinenpistole drang dem vordersten Posleen in die Brust. Die orangefarbene Leuchtspur der fünften Kugel fegte an dem zusammensackenden Alien vorbei, während sein dampfendes gelbes Blut die purpurfarbenen Farngewächse besudelte. Die Kompanie von Zentauren stob nach beiden Seiten auseinander, als der Rest der Menschen das Feuer eröffnete. Aus der Furt hinter den Menschen war ein feuchtes Glucksen zu hören, als würde sie die armen Soldaten auslachen, deren Tod ihr unerwartetes Auftauchen bedeuten konnte. Captain Robert Thomas spähte durch die allgegenwärtigen Nebelschwaden und gab flüsternd den Befehl zum Feuern, während die Posleen neue Positionen bezogen. Seine Kompanie war der vor ihnen aufgetauchten und jetzt immer näher rückenden Posleen-Kampfgruppe deutlich unterlegen, und es mangelte ihr ebenso an Soldaten wie an Munition und Kampfmoral. Aber sie hatten sich diesseits der Furt in dem schlammigen Boden eingegraben, also hatten sie die Wahl, ob sie kämpfen oder sterben wollten. Die Furt mit den Posleen im Rücken zu überqueren bedeutete den sicheren Tod.

Ihre Lage war verzweifelt, Gegenwehr kam dem Selbstmord gleich. Aber wenn jemand jetzt nicht schleunigst handelte und ihnen Verstärkung schickte, würde dieser Überraschungsschlag der Posleen zur Folge haben, dass die ganze Flanke der Fourth Armored Division zusammenbrach. Thomas wusste, worin in dieser Situation seine Pflicht bestand. Er musste seine Soldaten an die gefährlichste Stelle bringen, die das Terrain zu bieten hatte: Wenn die einzige Alternative zum Kämpfen der Tod ist, neigen Soldaten dazu, am verbissensten zu kämpfen. Das war die älteste Grundregel, die es beim Militär überhaupt gab.

Die dichte Vegetation, die auf Barwhon vorherrschte, hatte es unmöglich gemacht, die Zentauren auf Distanz anzugreifen, und deshalb befanden sie sich jetzt in einem Gefecht Mann gegen Mann, oder besser Mann gegen Alien, und darin waren die Posleen deutlich im Vorteil. Thomas knurrte wütend, als eine Welle Plasmafeuer die ganze Maschinengewehrabteilung seines Zweiten Platoon vernichtete, und knurrte dann, als der erste Gottkönig auftauchte.

Man konnte die Gottkönige der Posleen auf verschiedene Weise von den »Normalen« unterscheiden, die das Gros der Posleen-Streitkräfte bildeten. Zunächst einmal waren sie größer als die Normalen, also an der komplizierten Doppelschulter etwa siebzehn Hand (also ca. 68 inches und damit rund 1,70 m) hoch, gegenüber den vierzehn bis fünfzehn Hand, die ein Normales dort maß. Zum Zweiten hatten sie hohe, fast wie Gefieder wirkende Mähnen, die über den ganzen Rücken verliefen und von vorne fast wie der Federschmuck der Prärie-Indianer aussahen. Aber am besten konnte man einen Gottkönig natürlich von den ihm in Lehnspflicht verbundenen Normalen durch seine silberfarbene Bodeneffekt-Untertasse unterscheiden, in der er flog.

Dabei handelte es sich nicht nur um ein Transportmittel. Seine Existenz verdankte es in erster Linie einer zapfengelagerten, schweren Waffe – in diesem Fall einem Hochgeschwindigkeitswerfer. Darüber hinaus verfügte das Fahrzeug über eine Unmenge modernster Sensoren. Manche Gottkönige setzten sie aktiv, andere passiv ein, aber jedenfalls war die Sensorik dieser Untertassen auf ihre Art ebenso gefährlich wie die schwere Waffe. Dem Feind Informationen vorzuenthalten ist die zweitälteste Lektion, die man beim Militär gelernt hat. Im letzten Jahr der Dschungelkämpfe auf Barwhon V hatten die Menschen allerdings auch noch einiges andere darüber gelernt, wie man gegen Gottkönige kämpft. Und deshalb richteten sich jetzt sämtliche schweren Waffen der Kompanie auf die feindlichen Streitkräfte rings um die Untertasse, während der Scharfschütze der Kompanie den Gottkönig und sein Fahrzeug aufs Korn nahm.

Die amerikanischen Streitkräfte hatten schon eine Weile, ehe sie den blauweißen Ball Terras verlassen hatten, damit begonnen, ihre Waffen zu modifizieren, um sich auf die veränderte Gefahrenlage einzustellen. Zunächst war an die Stelle des altehrwürdigen M-16 ein Karabiner mit größerem Kaliber getreten, der dazu geeignet war, einem Posleen den Garaus zu machen, immerhin einem Gegner von der Größe eines Pferdes. Außerdem waren die Scharfschützeneinheiten neu organisiert worden. Die Diskussion über eine geeignete Standardwaffe für Scharfschützen hatte bereits in den achtziger Jahren begonnen, als man damit angefangen hatte, wieder in größerem Umfang Scharfschützen einzusetzen. Dieser Debatte hatte ein spezielles Einsatzkommando ein Ende gemacht, das auf Barwhon Erfahrungen gesammelt hatte. Dass nämlich überhaupt jemand von dem Erkundungsteam überlebt hatte und zu den grünen Hügeln der Erde zurückgekehrt war, war dem Umstand zuzuschreiben, dass der Scharfschütze des Teams einen Karabiner vom Kaliber .50 benutzt hatte.

Im weiteren Verlauf hatten sich die Gemüter dann an der Frage erhitzt, ob man besser Repetiergewehre oder halbautomatische Waffen einsetzen sollte. Das war allerdings eine Debatte, die eher militärphilosophischen Charakter hatte. Die Wahl war schließlich auf das M-82, das semiautomatische »Murfreesboro Five-Oh«, gefallen.

SP-4 John Jenkins demonstrierte in diesem Augenblick, weshalb das so war. Er hatte sich für eine kleine Bodenerhebung ein Stück hinter der Kompanie und auf der anderen Seite der Furt entschieden. Sein Umhang, an den überall herunterhängende Rupfenstreifen angenäht waren, machte ihn für normale Augen praktisch unsichtbar. Die Sensoren des Gottkönigs freilich ließen sich nicht täuschen. Um daher sicherzustellen, dass der Scharfschütze nicht entdeckt wurde, musste die Kompanie ihm massiven Feuerschutz geben.

Während die M-60-Panzer der drei Platoons die Streitkräfte um den Gottkönig herum unter starken Beschuss nahmen, feuerte der Specialist einen einzelnen Schuss aus seiner knapp fünfzehn Kilo schweren Waffe ab. Trotz der neunzig Kilo, die Jenkins wog, ließ ihn der Rückstoß nach hinten taumeln, und der sumpfige Boden unter ihm gab schmatzende Geräusche von sich.

Im Prinzip war das Geschoss, das er benutzte, dasselbe, wie es das altehrwürdige M-2-Maschinengewehr Kaliber .50 verfeuerte. Es war etwa dreimal so groß wie ein .30-06-Geschoss und hatte eine Mündungsgeschwindigkeit, wie man sie sonst bei Flugabwehrkanonen findet. Den Bruchteil einer Sekunde, nachdem der Rückstoß den schwergewichtigen Scharfschützen ins Wanken gebracht hatte, traf das panzerbrechende Geschoss die Untertasse ein Stück links von dem zapfengelagerten HVM-Werfer.

Das mit einem Wolfram-Kern versehene, teflonbeschichtete Projektil durchschlug die Verschalung einer unauffälligen Box zu Füßen des Gottkönigs, durchdrang anschließend die etwas massivere innere Wand und durchschlug gleich darauf eine Kristallmatrix. Es hätte die Matrix völlig durchschlagen, hatte aber beim Eindringen das komplizierte Gleichgewicht der Energiekristalle gestört, die den schweren Antigrav-Schlitten antrieben.

Diese Energiekristalle hielten mit Hilfe eines Ladungsfeldes Moleküle in einem Gleichgewicht hoher Ordnung, das es erlaubte, in den Kristallen gewaltige Energiemengen zu speichern. Dieses Gleichgewicht wurde allerdings von einem kleinen Feldgenerator in den Tiefen der Matrix erzeugt, und als die dem Projektil vorauseilende dynamische Schockwelle den Feldgenerator zertrümmerte, wurde die gesamte, in den Kristallen gespeicherte Energie in einer gewaltigen Explosionswelle freigesetzt, deren Kraft etwa einer halben Tonne modernster Sprengstoffe entsprach.

Der Gottkönig verschwand in einem grünen Lichtblitz und mit ihm etwa die Hälfte seiner Kompanie, als die Splitterwelle der zerfetzten Untertasse nach allen Seiten davon stob. Der Feuerball verschlang die zwei Dutzend weiteren hochrangigen Normalen in der unmittelbaren Umgebung der Untertasse, und Explosion und Splitter töteten zusätzlich etwa hundert Posleen.

Verglichen damit kam Captain Thomas die erste Salve von Streugranaten, die darauf folgte, fast wie eine Enttäuschung vor. Die nachfolgende Welle von Posleen war da allerdings anderer Ansicht.

»Echo Drei Fünf, hier Pappa Eins Sechs, Ende«, flüsterte Thomas heiser. Die letzten zwei Stunden waren ihm wie ein abstraktes Gemälde vorgekommen, auf dem angreifende Posleen, hämmerndes Artilleriefeuer und sterbende Soldaten übergangslos ineinander verschwammen. Er hatte das Gefühl, dass sie ziemlich erledigt waren. Während er sich in die Hände blies, um sie zu wärmen, starrte er auf das Schlachtfeld hinaus. Die leichte Böschung, die zu ihrem Standort hinunterführte, war mit Posleen-Leichen bedeckt, aber die verdammten Gäule rückten ständig nach. Wie üblich war nicht zu erkennen, wie viele von ihnen noch da waren – in Anbetracht der Sensoren und Waffen der Gottkönige war so etwas wie Luftaufklärung ein Ding aus einer fernen Vergangenheit. Aber vor seiner Kompanie lagen mindestens zweitausend Posleen-Leichen herum. Die knappe Hundertschaft Soldaten, die er in Stellung gebracht hatte, hatten das Zwanzigfache ihrer eigenen Zahl vernichtet. Aber diese entsetzlichen gegnerischen Verluste waren ohne Belang. Ihm stand nicht mehr als ein verstärktes Platoon zur Verfügung, und der nächste feindliche Angriff würde ihre Reihen auseinanderschneiden, so wie ein heißes Messer ein Stück Butter teilte. Wenn man gegen Posleen kämpfte, war das Problem selten das, wie man sie tötete; das Problem war vielmehr, genügend von ihnen zur Strecke zu bringen, dass es wirklich etwas ausmachte. Wenn die versprochenen Verstärkungen jetzt nicht bald eintrafen, hatte er seine ganze Kompanie für nichts und wieder nichts geopfert. Der Captain war seit der ersten Landung der Alliierten-Expeditionsstreitkräfte auf Barwhon gewesen und konnte durchaus damit umgehen, seine ganze Kompanie zu opfern. Das wäre nicht das erste Mal und würde sicherlich auch nicht das letzte Mal sein; die Einheit hatte im Verlauf des letzten Jahres mehr als zweihundert Prozent »Umsatz« gehabt. Aber sie umsonst geopfert zu haben, das ging ihm an die Nieren.

Missmutig ließ er sich in sein bis zu den Hüften voll Wasser stehendes Schützenloch zurückfallen. Wenn er sich setzte, reichte ihm die kalte klebrige Flüssigkeit bis zur Hüfte. Er nahm die Unbequemlichkeit einfach nicht zur Kenntnis – Schlamm war auf Barwhon ebenso eine Selbstverständlichkeit wie der Tod –, schob ein weiteres Magazin 20-mm-Granaten in sein AIW und machte wieder einmal den Versuch, mit der Brigade Verbindung zu bekommen. »Echo Drei Fünf, hier Pappa Eins Sechs, Ende.« Keine Antwort. Er zog einen Stahlspiegel aus der Schenkeltasche und hielt ihn in die Höhe, um das Schlachtfeld sehen zu können. Dann schüttelte er müde den Kopf, steckte den Spiegel weg und lud eine Granate durch.

Langsam ging er in die Hocke und atmete tief durch. Dann schoss er mit einem Ruck in die Höhe und feuerte ein paar Granaten auf eine Anzahl Normale ab, die so aussahen, als würden sie gleich angreifen.

Wenn ihre Gottkönige getötet wurden, pflegten die Normalen im Allgemeinen noch eine Salve um des Ruhmes willen abzugeben und dann wegzurennen. Aber einige von ihnen waren etwas aggressiver als die anderen. Diese Gruppe hier war nicht abgehauen, sie feuerte noch recht wirksam in die Gegend und war insgesamt ziemlich lästig. Da die meisten seiner Leute mit der Munition sparten und auch im Augenblick damit beschäftigt waren, ihre Wunden zu versorgen und sich auf die nächste schwere Angriffswelle vorzubereiten, hatten sie keine Zeit, den Gegner unter Druck zu setzen. Das wäre Jenkins’ Aufgabe gewesen, aber der hatte bereits vor einer Stunde den Löffel abgegeben. Und deshalb jagte der Kompaniechef eine weitere Salve zu den dämlichen Zentauren hinüber, ließ sich dann wieder in sein Schützenloch fallen und holte das nächste Magazin heraus. Und dann dasselbe noch mal. Über ihm peitschte eine Salve von Flechettes auf den Erdwall, der sein Schützenloch umgab, verstummte dann aber gleich wieder. Posleen-Normale waren so dämlich, dass es, seit man sie kannte, überhaupt keinen Spaß mehr machte, irgendwelche ethnische Witze über andere Nationalitäten zu reißen.

»Echo Drei Fünf, hier Pappa Eins Sechs«, flüsterte er ins Mikrofon. »Wir stehen unter schwerem Beschuss. Schätze den Gegner mindestens auf Regimentsstärke. Brauchen Verstärkung. Ende.« Seine Kompanie war gut; nach der langen Zeit musste sie das einfach sein. Aber wenn man zehn zu eins in der Minderzahl war, dann war das ein wenig heftig, wenn man keine vorbereiteten Verteidigungsanlagen besaß. Verdammt, zehn zu eins gegen die Posleen mit vorbereiteten Verteidigungsanlagen war immer noch ziemlich viel. Was sie brauchten, war ein Betonwall oder wenigstens einer aus Gebäudeschutt  – dazu ein Graben mit spitzen Punji-Stäben. Und nicht eine Kompanie am Arsch der Welt, die nicht einmal genug Zeit gehabt hatte, sich einzugraben. Keine Minen, keine Claymores, kein Stacheldraht und, Teufel noch mal, keinerlei Unterstützung!

Im Funkgerät knisterte es. »Pappa Eins Sechs, hier Echo Drei Fünf, effektiv.« In dem Augenblick wusste Captain Thomas, dass er erledigt war. Wenn der Brigadekommandant sich meldete, konnte das nur bedeuten, dass die Kacke jetzt wirklich am Dampfen war.

»Situation verstanden. Das zweite Platoon der Einsachtundneunzig ist bei dem Versuch, Ihnen zu Hilfe zu kommen, in einen Hinterhalt geraten. Wir haben mindestens noch ein Regiment, das sich im hinteren Bereich der Brigade unkoordiniert bewegt.«

Eine kurze Pause trat ein; Thomas schloss die Augen und machte sich klar, was das zu bedeuten hatte. Wenn sich im ungesicherten hinteren Bereich der Brigade über zweitausend Posleen herumtrieben, hatten die nicht die leiseste Chance, Verstärkung für ihn und seine Leute abzuzweigen.

»Ihre Rückzugsroute ist nicht passierbar, Captain. Dort wimmelt es von Posleen.« Wieder eine Pause. Das Seufzen am anderen Ende war trotz einer Funkverbindung, die wesentliche Frequenzen abschnitt, deutlich zu hören. »Es ist von entscheidender Wichtigkeit, dass Sie Ihre Stellung halten. Wenn wir genügend Zeit haben, kommen wir klar. Aber wenn jetzt ein weiteres Oolt’ondar durchbricht, könnte es sein, dass die ganze Frontausbuchtung beim Teufel ist.« Wieder eine Pause, während der Colonel am anderen Ende der Funkverbindung versuchte, sich noch etwas einfallen zu lassen.

Captain Thomas dachte darüber nach, wie es wohl sein musste, am anderen Ende dieser Leitung zu stehen. Der Brigadekommandeur war ebenso lang wie Thomas hier auf Barwhon V und sie kannten einander gut; der Kommandeur war es gewesen, der Thomas seine Streifen als Lieutenant und später als Captain angesteckt hatte. Und jetzt hockte er in der taktischen Einsatzzentrale, starrte sein Funkgerät an und erklärte einem seiner nachgeordneten Offiziere, die Situation habe es gerade mit sich gebracht, dass er ein toter Mann war. Dass er und seine ganze Einheit jetzt Zentauren-Futter waren. Und dass sie nicht nur sterben mussten, sondern so ziemlich auf die unangenehmste Weise, die man sich vorstellen konnte, nämlich allein und verloren, eingehüllt in purpurfarbene Nebelschwaden.

Die Hälfte seiner Einheit waren Veteranen, das war bei erfahrenen Fronteinheiten das übliche Verhältnis. Nach der ersten Woche der Feuergefechte waren die meisten weg, die keine Überlebenstypen waren. Im Lauf der Zeit musste auch der eine oder andere Veteran dran glauben, und dafür überlebte der eine oder andere Neue. Im Allgemeinen vollzog sich der »Zweihundert-Prozent-Umsatz« bei den Neuen, die nicht schnell genug lernten. Zum augenblicklichen Zeitpunkt ging Captain Thomas davon aus, dass der größte Teil der Neuen bereits gefallen war und es sich bei den Überlebenden hauptsächlich um Veteranen handelte. Und das bedeutete, dass sie ihr Leben wahrscheinlich tatsächlich so teuer verkaufen würden, wie das die Brigade von ihnen erwartete.

Er schüttelte den Kopf und starrte in den violetten Himmel hinauf. Dann schloss er kurz die Augen und versuchte sich den Himmel über Kansas auszumalen. Den Geruch von Weizenfeldern und den heißen, trockenen Wind, der über die Prärie fegte. Die blaue Himmelsschüssel an einem kühlen Herbsttag, wo dieser Himmel sich bis in alle Ewigkeit zu dehnen schien. Mit einem letzten Seufzer schaltete er das Funkgerät auf Lokalfrequenz und drückte den Sprechknopf.

Staff Sergeant Bob Duncan schob die blicklosen Augen des Captain zu und sah sich um. Der Autoprojektor seines Helmsystems registrierte, dass sich seine Nackenmuskeln spannten, und er schaltete die Sichtfläche auf eine Panoramadarstellung der Furt. Zielpunkte und sonstige Informationen – von winzigen Laserdioden ausgestrahlt – scrollten über sein Sichtfeld, ohne dass er sie wahrnahm. Berechnungen der Posleen-Verluste und auch der eigenen Streitkräfte huschten oben über die Sichtfläche, während die KI – die künstliche Intelligenz, die den Panzer lenkte – Schadensbewertungen anstellte. Die aufbereitete Luft, die ihm stoßweise über Mund und Nase zog, war glücklicherweise völlig geruchlos. Nanniten huschten über seine Lider und sammelten automatisch die Feuchtigkeit, die sonst seine Sicht behindert hätte.

Der gepanzerte Kampfanzug passte automatisch das jeweilige Beleuchtungsniveau an und sorgte für konstant gleichbleibende Helligkeit. Auf diese Weise gab es keinerlei Schatten, so dass die sich ihm darbietende Szenerie eigenartig flach wirkte. Nach eineinhalb Jahren Kampfeinsatz hatte Duncan sich so daran gewöhnt, dass er diesen Effekt überhaupt nicht mehr wahrnahm, sofern er nicht seinen Panzer auszog. Und da dies zuletzt vor fast sechs Wochen der Fall gewesen war, schien ihm »reale« Sicht abnormal.

Die vorrückenden Posleen-Streitkräfte hatten wie üblich sämtliche Leichen vom Schlachtfeld entfernt. Da sowohl Menschen wie Posleen essbar waren, betrachteten sie Menschen nur als taktische Probleme oder Proviant. In der Posleen-Sprache wurden Menschen als »Threshkreen« bezeichnet. Wörtlich übersetzt bedeutete das etwa »Nahrung mit Stachel«, und deshalb war es umso ungewöhnlicher, dass die Leiche des Captain nicht belästigt worden war.

Duncan hob den Stock auf, der neben dem Offizier im Boden steckte. Einen solchen Stock hatte er bis jetzt nur genau zweimal zu Gesicht bekommen, beide Male, wenn die Leichen von Kommandeuren unbelästigt geblieben waren. Diesmal lag die Leiche freilich auf einem Erdhaufen, den zu errichten eine Weile in Anspruch genommen haben musste. Duncan musterte die nicht entzifferbare Schrift auf dem Stock ein paar Augenblicke lang und hob dann die bereits steif werdende Leiche mit beiden Armen auf. Für den motorbetriebenen Kampfanzug war das Gewicht der Leiche belanglos, der Körper war leicht wie eine Feder, die Seele wohl in irgendeine Region jenseits dieses blutbesudelten Schlachtfelds entflohen. Er setzte sich in Bewegung.

»Duncan«, rief sein Platoon Sergeant, der seine Bewegung zuerst mit seinen Sensoren wahrgenommen und sich dann umgedreht hatte, um dem sich entfernenden Anzug nachzublicken. »Wo zum Teufel läufst du denn hin?«

Duncan schien taub geworden zu sein. Er trottete weiter den Pfad zurück, auf dem die Anzüge vorgerückt waren, um die Furt zurückzuerobern. Hier hatte sich das Posleen-Regiment ihnen gestellt. Die gigantischen Bäume des Dschungels von Barwhon waren zerfetzt, von den Zweigen waren die Blätter abgestreift und die mächtigen Stämme teils vom Beschuss mit schweren Waffen in Stücke gerissen.

Dort waren die letzten Überreste des zersprengten Posleen-Regiments schließlich überrannt worden. Ein letzter Haufen Leichen zeigte an, wo die Normalen sich um ihren belagerten Gottkönig geschart hatten, in einem letzten Versuch, ihn vor dem Vorrücken der gepanzerten Ungeheuer zu schützen. Ein Haufen Kampfanzüge legte Zeugnis dafür ab, wie wirksam die Posleen zu kämpfen wussten, wenn man sie in die Enge trieb.

Und an dieser Stelle war es auch, wo die Anzüge ihrerseits in einen Hinterhalt geraten waren. Die Leiche eines Gottkönigs lag in einer Pfütze von gelbem Blut über einem aufgerissenen Anzug, der darauf wartete, geborgen zu werden. Den Soldaten in ihm würden die Wunder der modernen Technik nicht mehr retten können; die Anzeigen des Anzugs meldeten, dass er durchdrungen worden war.

Sobald ein panzerbrechendes Posleen-Projektil die Panzerung durchdrang, blieb es in der Regel drinnen und raste wie die Klinge eines Mixers hin und her. Die einzige Schadensspur, die der Panzer zeigte, war ein winziges Loch, aus dem immer noch ein rotes Rinnsal tropfte. Private Arnold war ein Neuer, und da er jetzt püriert war, war die Kompanie aus nominell einhundertdreißig Anzügen auf zweiundfünfzig Funktionsfähige zusammengeschrumpft. Und als die Einheit schließlich die Furt zurückerobert hatte, waren aus jenen zweiundfünfzig vierzig geworden.

Duncan hetzte mit den weit ausgreifenden Sprüngen der gepanzerten Kampfanzüge weiter. In seinem Hirn herrschte völlige Leere, da war kein Ziel, kein Zweck, kein Verlangen, er bewegte sich wie ferngesteuert.

Schließlich erreichte er die Kommandozentrale der Brigade. Man war bereits dabei, die verstreuten Positionen neu zu besetzen. Beschädigte Fahrzeuge wurden repariert oder abgeschleppt und Registrier-Teams waren unterwegs, um die Leichen der gefallenen Soldaten zu »etikettieren und einzutüten«. Jeder Gefallene bekam einen Anhänger, auf dem sein Name, der Ort, an dem er gefallen war, seine Einheit und die Todesursache vermerkt waren; anschließend wurden die Leichen in schwarze Kunststoffsäcke gesteckt, um begraben zu werden. Die Schneise der Verwüstung, die die GKA-Anzüge geschlagen hatten, würden die Säuberungstrupps zu gegebener Zeit in Angriff nehmen; bei der Posleen-Schneise war das naturgemäß nicht nötig.

Als Duncan sich der Einsatzzentrale näherte, wurde er allmählich langsamer. Desinteressiert nahm er den Gesichtsausdruck der Militärpolizisten am Eingang und der Soldaten rings um den Befehlsposten zur Kenntnis.

Die von den Galaktern gelieferten Kampfanzüge hatten keine Gesichtsschilde; das wäre ein Schwachpunkt gewesen, und in Anbetracht ihrer hochentwickelten Bildverarbeitungstechnik waren solche durchsichtigen Platten nicht erforderlich. Die Militärpolizisten sahen sich daher einer völlig glatten Plastahl-Platte gegenüber, die für jegliche terrestrische Waffe undurchdringlich war; ein ähnlicher Anzug hatte sogar eine Atomexplosion überlebt. Obwohl es in der Kampfzone einige HV-Werfer gab, gab es diese in der Kommandozentrale nicht. Dieses Monstrum war daher nicht aufzuhalten, es sei denn, die Vernunft oder die Befehle wirkten.

Eine der Militärpolizistinnen beschloss es zu versuchen. Sie war entweder mutiger oder dümmer als ihre Kameraden, als sie Duncan in den Weg trat und wie ein Verkehrspolizist die Hand hob.

»Stehen bleiben, Soldat. Mir ist völlig egal, ob Sie Fleet sind oder nicht, Sie sind einfach nicht befugt …« Duncan wurde nicht einmal langsamer, und sein eine halbe Tonne schwerer Anzug schob sie beiseite, als wäre sie eine Gliederpuppe. Ihre Kolleginnen und Kollegen von der MP rannten zu ihr, aber abgesehen von einer Rippenprellung und einer ziemlichen Beule, die ihre Würde bekommen hatte, war sie unversehrt.

Bei der Kommandozentrale handelte es sich um drei miteinander verbundene, vorgefertigte Bauten. Die Türen waren nicht dafür gebaut, für gepanzerte Kampfanzüge Einlass zu bieten, aber das war ohne Belang. Tür und Türrahmen hielten seinem Anzug etwa so lange stand wie Seidenpapier, und er hetzte durch einen Besprechungsraum und einen kurzen Korridor zum Büro des Kommandeurs. Zwei erschreckte Stabsoffiziere folgten ihm auf den Fersen.

Die Tür des Brigadekommandeurs stand offen. Der Colonel sah zu, wie die noch von der Schlacht geschwärzte Gestalt durch den Flur auf ihn zukam, ohne dass sein Gesichtsausdruck sich dabei veränderte. Der Anzug war von Streifschüssen zerkratzt und mit allmählich trocknendem Posleen-Blut bespritzt. Er sah aus wie ein mechanischer Dämon aus einer ganz der Schlacht gewidmeten Hölle. Als dem Kommandanten klar wurde, was dieses Monstrum in den Armen hielt, veränderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Augen wurden glasig und die Kinnlade sackte ihm herunter.

Duncan ging auf den Schreibtisch des Kommandeurs zu und legte die sterblichen Überreste des Captains bedächtig auf die dort verstreuten Papiere. Einer der allgegenwärtigen Käfer, von denen Barwhon zu wimmeln schien, schwebte über dem offenen Mund und dem schrecklich entstellten Gesicht. Der tödliche Schlag eines Posleen-Säbels hatte Thomas’ Kopf wie ein Ei gespalten. Duncan tippte an einen Schalter am Unterarm seines Anzugs und aktivierte damit seine Lautsprecher. »Ich habe ihn heimgebracht«, sagte er.

Der Colonel starrte unentwegt das gepanzerte Monstrum vor seinem Schreibtisch an. Der Anzug strahlte noch Wärme von Treffern mit kinetischen Energiewaffen ab, und der Gestank von verwesendem Posleen-Fleisch lag dick und drückend in der Luft. Dann setzte er zum Reden an, machte den Mund auf, hielt aber inne, als wolle er sich räuspern.

»Ich habe ihn heimgebracht«, wiederholte Duncan und legte den Stock über die Leiche des Captains.

Das Symbol war seit der Landung allgemein vertraut geworden. Man konnte bei den Soldaten der Nachhut viele solche Stöcke finden, und alle waren angeblich authentisch. Tatsächlich waren nur acht bestätigt geborgen worden, und diese echten Stöcke wurden alle mit Bedacht mit ihren Besitzern zur ewigen Ruhe gelegt. Zusammen hatten die Besitzer dieser Stöcke vier Medals of Honor, drei Distinguished Service Crosses und unzählige Silver Stars angesammelt. Der Stock alleine garantierte einem wenigstens den Silver Star. Die Hand des Colonels legte sich über seinen Mund, dann rollten ihm beim Anblick des neunten Stocks unmännliche Tränen über die Wangen. Er räusperte sich erneut und atmete tief durch. »Danke, Sergeant«, sagte er und riss seinen Blick gewaltsam von dem Kriegerstab los. »Danke.« Der Anzug schwankte vor seinen Augen, und einen Moment lang glaubte er, es sei eine optische Sinnestäuschung. Aber bald wurde klar, dass das nicht der Fall war. Duncan sank mit einem Dröhnen, das den zerbrechlichen Behelfsbau in seinen Grundfesten erzittern ließ, auf die Knie und schlang beide Arme um sich.

Was jetzt im Inneren dieses Anzugs vor sich ging, war unmöglich zu erkennen, aber der Colonel konnte es sich recht gut vorstellen. Er stand auf und ging um seinen Schreibtisch herum, versetzte dabei seinem ehemaligen Untergebenen, der jetzt sein Blut über einen Bericht mit dem Titel »Mannschaftsanforderung FY 2008« verströmte, einen leichten Klaps auf die Schulter und kauerte sich dann nieder und legte dem gigantischen Anzug die Arme um die Schultern.

»Kommen Sie, Sergeant«, sagte er, während ihm immer noch Tränen über die Wangen rannen. »Wir holen Sie jetzt aus diesem Anzug raus.«

Das hätte völlig anders laufen sollen, dachte Lieutenant Colonel Frederic (Fred) Hanson.

Der neue Kommandeur des First Battalion 555th Mobile Infantry Regiment war bereits vor Jahren als Führungsoffizier der 82nd Airborne Division Brigade in den Ruhestand getreten. In seiner langen Dienstzeit hatte er die Erfahrung gemacht, dass das Militär fähig ist, manchmal geradezu monumentalen Mist zu bauen, aber was er hier erlebte, stellte alles bisher Erlebte in den Schatten.

Normalerweise wird eine Einheit von oben nach unten in Dienst gestellt – gleichgültig, ob sie nun neu aufgestellt oder aus »Regimentsreserven« aufgebaut wird. Die Kommandeure der jeweils aktivierten Einheiten trafen sich dazu mit ihren Offizieren und arbeiteten sich gemeinsam durch den Aktivierungsplan, der ihnen entweder vorher zur Verfügung gestellt worden war oder den einer von ihnen erstellt hatte. Dann trafen allmählich die verschiedenen leitenden Unteroffiziersdienstgrade ein, in der Regel etwa gleichzeitig mit den nachgeordneten Offizieren der Kommandostruktur und ihren Stäben. Anschließend trafen die Soldaten ein, zwar ehe die ganze Struktur funktionierte, aber immerhin nachdem alle Offiziere und Unteroffiziersdienstgrade einigermaßen festen Boden unter den Füßen hatten. Daran anschließend wurde dann schweres Gerät geliefert, die Ausbildungspläne fertig gestellt und freigegeben, und die einzelnen Einheiten nahmen ihre Funktion auf. Und dann wurde aus dem Ganzen langsam eine Einheit, formte sich aus einer Ansammlung von Individuen. Und nach einiger Zeit schickte man sie dann in den Krieg hinaus – es kam nur ganz selten vor, dass in Friedenszeiten Einheiten sozusagen aus dem Lager geholt wurden –, und dann geriet die harte Arbeit der Einheitsbildung allmählich in Vergessenheit und die wesentlich härtere Arbeit des Kämpfens setzte ein.

Selbst unter noch so günstigen Umständen ist es ein mühsames Geschäft, die richtige Zahl von Offizieren und Unteroffiziersdienstgraden gleichzeitig mit ihrem schweren Gerät bereit zu stellen. Kanonenfutter findet sich in jeder Art von Krieg am leichtesten, am schwierigsten ist es, ausgebildete und fähige Unteroffiziersdienstgrade zu finden.

Was das First Battalion 555th MIR anging – und im Übrigen auch jedes weitere Bataillon, das irgendwo auf der Welt aufgestellt wurde –, vollzog sich diese ganze Prozedur nicht so glatt. Fred Hanson war bisher der Ansicht gewesen, bereits jede mögliche Kombination von Fehlern und Pannen zu kennen, die die US Army zu bieten hatte. Als sein ausgeborgter Humvee in das Gelände einbog, musste er freilich zugeben, dass er Unrecht hatte. Diesmal hatte die Army nur einen winzigen Fehler gemacht, mikroskopisch könnte man sagen, aber die Folgen waren gigantisch.

Das Terran Ground Defense Command – das neu gebildete Zentralkommando der diversen nationalen Verteidigungsstreitkräfte der ganzen Erde – machte sich keine Sorgen um ausgebildetes Personal. Als Gegenleistung dafür, dass die Menschheit sich bereit erklärt hatte, gegen die Posleen zu kämpfen, hatte die galaktische Föderation als eine der ersten Techniken einen Verjüngungsprozess angeboten. Ein längst im Ruhestand befindlicher hoher Offizier konnte sich einer sorgfältig abgestuften Folge von Injektionen unterziehen, möglicherweise auch ein paar einfache chirurgische Eingriffe an sich vornehmen lassen und dabei eine ganze Anzahl Jahre abgeben. Innerhalb weniger Wochen, allerhöchstens einiger Monate, war der Patient dann, wie es aussah, wieder um die zwanzig. Auf diese Weise stand ein Großteil militärischer Führungskräfte, die in den vorangegangenen Jahrzehnten in den Ruhestand getreten waren, in Zeiten planetarischer Not wieder für neue Einsätze zur Verfügung. Das Ganze hatte nur einen winzigen Haken.

Das Verjüngungsprogramm basierte auf einer Kombination des jeweils höchsten erreichten Ranges und des gegenwärtigen Alters. Ein E-9, das konnte ein Sergeant Major in der Army oder ein Senior Master Chief in der Navy sein, wurde aufgerufen, wenn er vierzig Dienstjahre geleistet hatte, ein E-8 nach neununddreißig. Die Skala reichte bis hinunter zu dem Punkt, wo ein Soldat oder Matrose, der als E-1 den Dienst quittiert hatte, mit zwanzig Dienstjahren wieder einberufen werden konnte. Ein ähnliches Schema galt für Offiziere.

Zuallererst wurde Personal der obersten Dienstgrade, sowohl der Offiziers- als auch der Unteroffizierslaufbahn, aufgerufen, dessen Pensionierung am weitesten zurücklag. Auf diese Weise kam es in den Vereinigten Staaten zu einer plötzlichen Flut ranghoher Offiziers- und Unteroffiziersdienstgrade, von denen viele ihre letzten Kampfhandlungen anlässlich der Tet-Offensive im Vietnamkrieg erlebt hatten.

Zur gleichen Zeit kam es zu einer allgemeinen Einberufung von Soldaten und Offizieren, die erst vor kurzem aus dem Dienst ausgeschieden waren, und darüber hinaus wurde die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt. Dies löste eine wahre Flut von Offizieren und Unteroffiziersdienstgraden der unteren Ränge und gemeiner Soldaten aus. Das Verjüngungsprogramm war darauf abgestimmt, eine äquivalente Zahl erfahrener Führungskräfte zur Verfügung zu stellen, jener Kräfte also, die dem mittleren Management der Wirtschaft entsprachen.

Natürlich gab es eine Lücke, aber die Kapazität sollte mehr als ausreichend sein, um auf die Weise eine Kommandostruktur aufzubauen und funktionsfähige Einheiten auf die Beine zu stellen. Zum ersten Mal würde in einem Katastrophenfall erfahrenes Führungspersonal nicht nur ausreichend, sondern sogar im Übermaß zur Verfügung stehen.

Die beiden Programme waren sorgfältig und strategisch abgestimmt worden, um sicherzustellen, dass für alle zu besetzenden Positionen genügend Führungsoffiziere und Unteroffiziersdienstgrade zur Verfügung standen. Wenn alles gut ging, würden die Brigade- und Bataillonskommandeure mit ihren Stäben vor dem Eintreffen der Second Lieutenants, First Lieutenants und Captains mit ihren jeweiligen Platoon Sergeants und First Sergeants eingetroffen sein, Position bezogen und »Kriegsbemalung angelegt« sowie einen Aktivierungsplan ausgearbeitet haben, der dann nur noch in die Praxis umgesetzt werden musste.

Unglücklicherweise für diesen Plan wurden allerdings etwa zu dem Zeitpunkt, an dem das Verjüngungsprogramm die Master Sergeants und Colonels, Brigadekommandeure und oberen Stabsoffiziere erreicht hatte, die Nanniten knapp. So beeindruckend die galaktische Technologie war, so rückständig war die galaktische Produktionskapazität – nachhaltig beeinträchtigt dadurch, dass sie in der Organisationsform kleiner Gewerbebetriebe erfolgte. Zwar setzten sich auch hier allmählich menschliche Vorgehensweisen durch, ähnlich wie das mit den Gefechtstechniken der Fall war, doch angesichts der akuten und kritischen Knappheit von Nanniten hatte das bisher noch keine Wirkung gezeitigt.

Die Ausbildung und die In-Dienst-Stellung der im Rahmen der neu eingeführten allgemeinen Wehrpflicht eingezogenen Soldaten und der zu verjüngenden Veteranen zu verlangsamen, war praktisch unmöglich, und so kam es, dass Army und Navy plötzlich über eine Unmenge Häuptlinge und nur ganz wenige Indianer verfügten – und damit nur ganz wenige, die ihnen bei der Kommunikation mit ihren Untergebenen behilflich sein konnten.

Colonel Hanson war über diese Situation ins Bild gesetzt worden, so dass der Anblick einer bis zum Horizont reichenden Kette von Trailern keinen Schock für ihn darstellte, wohl aber die herrschenden Zustände.

Das Gelände war früher einmal ein Schießplatz gewesen. Er hatte hier eine unangenehme, heiße Woche als Beobachter /Kontrolloffizier verbracht, an die er sich noch sehr gut erinnerte. Jetzt war der ehemalige Schießplatz die schneebedeckte Heimat von zwei regulären Infanteriedivisionen und eines Fleet Strike Bataillons gepanzerter Kampfanzüge sowie der Logistik für die bereits aktivierte, aber im Augenblick noch weit verstreute 28th Mechanized Division der ehemaligen Pennsylvania-Nationalgarde.

Der Organisationsplan einer Infanteriedivision umfasst sechsundzwanzigtausend Soldaten und Soldatinnen, der eines GKA-Bataillons knapp achthundert. Hanson war einer der ersten Empfänger der Verjüngungsbehandlung unterhalb der O-5-Ebene und sich darüber im Klaren, dass diese brodelnde Masse von Menschen an kritischer Knappheit von Führungsoffizieren litt.

Die Trailer waren nach Bataillons- und Brigadeformation ausgerichtet, wobei die Bataillonsbüros jeweils vorne (was immer man als vorne bezeichnete) angeordnet waren und die Behausungen des Bataillonskommandeurs, seines Stabes und der höherrangigen Unteroffiziersdienstgrade sich beiderseits davon anschlossen. Links und rechts von diesem »Führungsschuppen« verlief eine Kompaniestraße, auf deren einer Seite hinter dem Bataillonsbereich sich die Kompaniebüros, umgeben von den Quartieren der Offiziere und der oberen Unteroffiziersdienstgrade sowie der Logistik befanden. Auf der anderen Straßenseite gab es die Kasernen der gemeinen Soldaten mit jeweils zwei Gemeinschaftsräumen für je sechs Mann und zwei Einzelzimmer für die Gruppenführer.

Die Kompanien eines Bataillons grenzten an der Rückseite an einen Exerzierplatz; auf der anderen Seite des Exerzierplatzes kam das nächste Bataillon, und dann fing das Ganze von vorne an. Im Augenblick freilich drängten sich auf dem Gelände über neuntausend Trailer auf einer Strecke von mehr als zwei Meilen. Und obwohl die Soldaten theoretisch in der Nähe der Unteroffiziersdienstgrade untergebracht waren, waren die meisten von ihnen noch gar keine Soldaten, geschweige denn, dass sie Einheiten bildeten. Und die oberen Unteroffiziersdienstgrade waren praktisch nicht existent.

Zu dem Zeitpunkt, als die Situation des Verjüngungsprogramms kritische Ausmaße erreicht hatte, war die Pipeline bereits mit Soldaten gefüllt gewesen. Da Soldaten in der Grundausbildung ständig überwacht und betreut werden müssen, wurde die Mehrzahl der neu eintreffenden oberen Unteroffiziersdienstgrade sofort zu Ausbildungseinheiten versetzt. Bataillone in dieser durcheinander wuselnden Masse wurden von Captains befehligt, Kompanien von Second Lieutenants, die erst vor wenigen Tagen auf diese Position befördert worden waren. Die meisten Kompanien hatten Staff Sergeants als First Sergeants, und das nur, wenn sie Glück hatten, häufig auch nur Sergeants E-5. Und ohne den Rückhalt eines soliden Unteroffiziers- und Offizierskorps waren Befehlskette und Kontrolle im besten Fall lückenhaft. Die Kinder waren alle zu Hause, aber die Eltern verspäteten sich.

Etwa so konnte man die Informationen zusammenfassen, die ihm der Personaloffizier der 15th Mechanized Infantry Division vermittelt hatte, und was er hier vorfand, war noch wesentlich schlimmer als das irgendeine theoretische Einweisung hätte vermitteln können. Er sah Teile des Geländes, wo offenbar jede Kontrolle zusammengebrochen war. Er konnte Wäsche an den Barackenwänden hängen sehen, die Kompaniestraßen waren mit Unrat aller Art übersät, hie und da prügelten sich Soldaten. Gruppen von Soldaten hockten um Lagerfeuer herum, einige von ihnen in zerfetzten Uniformen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ausreichten, um dem kalten Winter Pennsylvanias standzuhalten. Sein schweifender Blick fiel auf eine Ansammlung ausgebrannter Trailer, wo offenbar eine Party gefeiert worden und außer Kontrolle geraten war. Andere Bereiche waren wieder durchaus ordentlich anzusehen und ließen erkennen, dass dort Vorgesetzte am Werk waren, die sich auf ihr Handwerk verstanden.

Ohne seine Bataillonskommandeure und die zugehörigen Brigade- und Bataillonsstäbe waren Hanson als für die Aktivierung zuständigem Kommandeur praktisch die Hände gebunden. Es war schlicht unmöglich, dass ein paar Generäle, eine Hand voll Colonels und einige wenige Sergeant Majors die Kontrolle über fünfzigtausend Menschen ausübten. Die ganze Aktivierung baute voll und ganz auf das Verjüngungsprogramm und drohte ohne dieses in Stücke zu gehen. Allmählich traf jetzt Proviant und Gerät ein, und das hatte diesen halbstarken Verbrechern auf dem Gelände gerade noch gefehlt.

Als der Humvee in »seinen« Bataillonsbereich rollte, wäre Colonel Hanson am liebsten in Tränen ausgebrochen. Das Areal sah besonders schlimm aus, die Art von Gelände, die er unter normalen Umständen nicht ohne Waffe und Splitterschutzweste betreten hätte. Er bedeutete dem Fahrer, er solle in eine der Kompaniestraßen einbiegen und war noch mehr entsetzt. Der Bataillonsbereich sah noch einigermaßen gut aus. Es gab dort immerhin eine mit Steinbrocken abgegrenzte Zufahrt zum Hauptquartier, und die Gehwege waren frei geschaufelt und gefegt. Die Kompaniebereiche hingegen waren  – mit einer einzigen Ausnahme – eine Schande. Er konnte Baracken sehen, bei denen irgendwelche Vandalen die Bretter von den Wänden abgerissen hatten, und der Boden war mit Müll und Unrat förmlich übersät.

Als der Fahrer in den hinteren Teil des Bataillonsbereichs einbog, sah Hanson, dass die letzte Kompanie ihr Gelände einigermaßen in Ordnung hatte. Darüber hinaus hatte sie vor den Kompaniebüros Posten in der grauen »Kampfseide« von Fleet Strike aufgestellt, zwischen den Baracken waren zwei Mann Patrouillen unterwegs. Da diese mit M-300-Gravkarabinern bewaffnet waren, vermittelte das ein beeindruckendes Bild der Stärke. Der M-300 wog knapp elf Kilo – ebenso viel wie die M-60-Maschinenpistole aus der Zeit des Vietnamkriegs, der er auch glich –, aber die meisten Soldaten, die er sah, schienen mühelos damit umgehen zu können. Diese Leute waren fit und diszipliniert, und das war für ihn die erste gute Nachricht dieses Tages.

Diese dünnen Uniformen sollten hinreichenden Schutz gegen normale Kälte bieten, und das war allem Anschein nach auch der Fall; den leicht bekleideten Soldaten schien der eisige Wind jedenfalls überhaupt nichts auszumachen. Obwohl Kampfseide die offizielle Alltagsuniform aller Fleet Strike-Einheiten war, schienen die meisten Soldaten im restlichen Bataillonsbereich normale Kampfanzüge und -jacken zu tragen. Das beantwortete Hanson auch die Frage, ob irgendwelches GalTech-Gerät zur Verfügung stand. Was der amtierende Bataillonskommandeur über das Tragen der Uniform zu sagen hatte, würde recht interessant sein. Colonel Hanson fragte sich, weshalb der Rest des Bataillons nicht die vorgeschriebene Uniform trug und wo wohl er seine Kampfseide bekommen würde.

Er gab dem Fahrer ein Zeichen, vor dem Kompaniehauptquartier anzuhalten.

»Tragen Sie mein Gepäck in mein Quartier und kommen Sie dann wieder hierher zurück.« Er hätte sich gewünscht, den Mann behalten zu können – der junge Mann machte einen guten, intelligenten Eindruck –, aber der Personaloffizier hatte sich dazu eindeutig geäußert. »Schicken Sie den Fahrer mit seinem Humvee zurück, ist das klar?«

»Yes, Sir.«

»Wenn Ihnen jemand bei meinem Quartier irgendwelchen Ärger macht, dann holen Sie mich. Ich bin beim Chef der Bravo-Kompanie.« Er deutete mit dem Daumen auf die Kompaniebaracke.

»Yes, Sir.«

Als Colonel Hanson den schneebedeckten, aber frei geschaufelten Weg zu dem Trailer einschlug, nahmen die beiden Posten auf ein gebelltes »Ach-tung« des Postens zur Rechten Haltung an. Der Wachposten konnte erkennen, dass da ein babygesichtiger Junge ankam, aber der Junge war in einem Humvee gekommen, und fahrbare Untersätze waren hier schwer zu bekommen. Ergo war es kein Junge; es war ein verjüngter Offizier oder Unteroffiziersdienstgrad und dem Aussehen nach ein Offizier. Als der Private First Class schließlich feststellte, dass die schwarzen Rangabzeichen am Kragen des Kampfanzugs des Jungen Eichenblätter waren, lobte er sich selbst ob seiner weisen Voraussicht. Die beiden Männer nahmen wieder Rührt-Euch-Stellung ein, als Hanson ihre Ehrenbezeigung erwiderte, und sahen einander achselzuckend an, nachdem der Colonel den Trailer betreten hatte. Der dienstältere Private blies sich auf die eiskalten Hände und lächelte. Dem Aussehen des Kommandeurs nach zu schließen stand es um die Bravo-Kompanie entweder sehr gut oder sehr schlecht. Und was ihn betraf, so war er bereit, darauf Wetten abzuschließen.

Colonel Hanson war angenehm überrascht, hinter einem Tisch dicht hinter der Tür einen Sergeant, der auf vierundzwanzig Stunden der Kompanie zugeteilt worden war, in Hab-Acht-Stellung stehen zu sehen. Der schmächtige, dunkelhaarige Sergeant, der so aussah, als wäre er noch zu jung, um sich zu rasieren, salutierte.

»Sir, Sergeant Stewart, Bravo Company, First Battalion, 555th Mobile Infantry. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Sir?«

Der Sergeant war entweder runderneuert oder sehr gut ausgebildet, und Colonel Hanson hätte so aus dem Stegreif nicht sagen können, was von beidem zutraf.

»Nun, Sergeant«, sagte er und erwiderte die Ehrenbezeigung, »Sie können mir zeigen, wo das Büro des Kompaniechefs ist und mir eine Tasse Kaffee besorgen, wenn das geht. Wenn nicht, dann bitte Wasser.«

»Yes, Sir«, sagte der Sergeant ein gutes Stück zu laut. Fred fragte sich, warum er das tat, bis ihm klar wurde, dass man das durch die papierdünnen Wände würde hören können. Er lächelte innerlich, als der Sergeant mit nach wie vor lauter Stimme fortfuhr: »Colonel, wenn Sie mir bitte zum Büro des Kompaniechefs folgen würden, kümmere ich mich inzwischen um den Kaffee!« Colonel Hanson gab sich alle Mühe, nicht laut aufzulachen, konnte aber ein leises Glucksen nicht verhindern.

»Pardon, Sir?«, fragte Sergeant Stewart, während er dem Colonel durch einen schmalen Gang auf einer Seite des Trailers voranging.

»Ich musste husten.«

»Ja, Sir.«

Der schmale Gang führte an einer Tür vorbei, auf der »Schwemme« stand, einer zweiten mit der Aufschrift »Latrine« und einer dritten gerade in Reparatur befindlichen mit der Aufschrift »First Sergeant«. Am Ende des Korridors wurde der gang breiter und gab den Blick auf einen Schreibtisch frei, hinter dem jemand, bei dem es sich vermutlich um den Kompanieschreiber handelte, Haltung angenommen hatte. Auf dem Tisch stand eine Tasse Kaffee, und die militärisch korrekte Haltung des Private wurde dadurch beeinträchtigt, dass er in der linken Hand ein kleines Kännchen mit Sahne hielt. Er salutierte.

»Sahne, Sir?«

»Schwarz. Haben Sie Zucker?«

»Sir!« Der Private hielt ihm eine Handvoll Zuckerpäckchen hin.

»Eines, bitte.« Der Zucker wurde in die Tasse geschüttet und umgerührt, während Sergeant Stewart an die Tür klopfte. »Herein«, schnarrte es dahinter.

Bei einem Kommandowechsel hatte der neu eintreffende Kommandeur normalerweise die Wahl, die offenen Akten – sie wurden als 201-Akten bezeichnet – und die Leistungsbewertungen seiner Offiziere zu studieren. Außerdem hatte er Gelegenheit, mit dem vorangegangenen Kommandeur über Stärken und Schwächen seiner Untergebenen zu sprechen. In diesem Fall hatte der für solche Dinge zuständige G-1 bedauernd eingeräumt, dass er ihm lediglich die Namen der Offiziere bieten konnte und dass auch dies einige Schwierigkeiten bereitete. Die Informationssysteme waren ebenso durcheinander wie alles andere auch, und in den meisten Fällen lagerten die Akten der Offiziere noch im Zentralarchiv in St. Louis. Das Einzige, woran Colonel Hanson sich noch erinnerte, war, dass der Chef seiner Bravo-Kompanie O’Neal hieß.

»Sir, hier ist ein Lieutenant Colonel Hanson, der Sie sprechen möchte«, meldete Stewart respektvoll durch die halb geöffnete Tür.

Colonel Hanson hatte Stewart bereits als eines jener Individuen eingestuft, die es bei jeder Truppe gibt und die imstande sind, über das Wohl und Wehe einer kleinen Einheit zu bestimmen. Man würde ihm irgendeinen klaren Verantwortungsbereich zuteilen müssen, und er würde seine Vorgesetzten respektieren müssen, andernfalls war zu befürchten, dass es in Kürze großen Ärger gab. Der Respekt, den er seinem Kompaniechef gegenüber an den Tag legte, verriet daher Hanson einiges. Der Zustand der Kompanie hatte das natürlich bereits ebenfalls getan, aber der konnte verschiedenen Ursachen zuzuschreiben sein. Vielleicht hatte dieser Captain O’Neal einen äußerst tüchtigen Senior Sergeant, vielleicht war er ein Schinder und so weiter und so fort. Aber es gab schon mal mindestens einen harten Brocken, der O’Neal aus der Hand fraß, und das sagte bereits eine ganze Menge über seinen Führungsstil. Jetzt war nur noch zu hoffen, dass er auch etwas von Taktik verstand.

Solche Gedanken gingen Fred Hanson durch den Kopf, als sich eine menschliche Gestalt durch die Tür wälzte, die fast ebenso breit wie hoch war und die er trotz einer dünnen Schweißschicht, die Hanson auf nur wenige Minuten zurückliegende athletische Übungen zurückführte, sofort aus zahlreichen Fernsehauftritten wieder erkannte. Als der Captain salutierte, bemerkte Hanson die Narben an O’Neals Unterarm.

»Captain Michael O’Neal, Sir, Commander Bravo Company, First Battalion, 555th Mobile Infantry Regiment. Was kann ich für Sie tun, Sir?«

Fred Hanson erwiderte die Ehrenbezeigung bedächtig und so korrekt, wie er das bisher nur selten in seinem Leben getan hatte. Aber so macht man das halt, wenn man die Ehrenbezeigung von jemandem erwidert, dem die Medal of Honor verliehen worden ist.

»Lieutenant Colonel Frederic Hanson«, erwiderte er dann in das eingetretene Schweigen hinein. »Ich bin im Begriff, das Kommando über die Eins-Fünf-Fünf-Fünf zu übernehmen und dachte mir, Sie würden vielleicht mitkommen wollen.«

Hanson bildete sich ein, ein kurzes Zucken unterdrückter Genugtuung über O’Neals Gesicht huschen zu sehen, aber in der Stille, die seinen Worten folgte, war das Schlurfen von Stewarts Stiefeln das einzige Geräusch.

»Yes, Sir, das würde ich sehr gern tun. Stewart, suchen Sie den Gunny und kommen Sie dann ins Bataillon.«

»Yes, Sir.«

»Wollen wir dann?«, fragte der babygesichtige Bataillonskommandeur.

»Nach Ihnen, Sir«, antwortete O’Neal, und seine Augen glänzten.

»Ich denke, das ist recht gut gegangen«, sagte der Colonel und schloss die Tür hinter dem Major, der soeben den Raum verlassen hatte.

»Ja, Sir. Ich glaube, Major Stidwell wird für die Standortkommandantur ein echter Gewinn sein«, nickte O’Neal. »Obwohl es ihm vielleicht nicht schaden würde, sich ein bisschen besser zu überlegen, wen er das nächste Mal als ›rotznäsigen Jungen‹ bezeichnet.«

»Ich denke auch«, fuhr der Colonel fort und grinste dabei leicht, »dass irgendwelche Beschwerden, die Major Stidwell vielleicht vorbringen könnte, trotz des Schadens, den das vielleicht seiner Karriere zugefügt hat, eher formaler Natur sein werden.«

»Sie haben doch sicherlich keine Zweifel, Sir, an der, äh … inneren Stärke des Majors, oder, Sir?«

»Eigentlich nicht«, sagte Colonel Hanson und musterte seinen nach Dienstalter jüngsten Kompaniechef über den breiten Schreibtisch hinweg. Dann fing der neue Bataillonskommandeur an, allmählich die umfangreiche »Ich-liebemich«-Wand des Major Stidwell zu demontieren. Sie war insgesamt ebenso wie individuell betrachtet äußerst beeindruckend. Angefangen mit seinem Diplom von West Point bis hin zu seinem Prüfungszertifikat des Command and Staff College, schien Major Stidwell sämtliche Leistungszertifikate zu besitzen, die einem Infanterieoffizier überhaupt zugänglich waren. Major Stidwell hatte sowohl die Ranger School wie auch den Qualifikationskurs der Special Forces absolviert und war daher befugt, in Uniform den Tower of Power zu tragen, den »Turm der Macht« – die drei übereinander angeordneten Abzeichen der Ranger, der Special Forces und der Airborne. Er besaß das PT-Abzeichen für körperliche Ertüchtigung und war vermutlich auch imstande, mit zwei Stückchen Holz Feuer zu machen.

Aber irgendwann und irgendwo schien der Major nicht begriffen zu haben, worum es wirklich ging. Woran nämlich auffälliger Mangel herrschte, waren irgendwelche Zertifikate von bisher geführten Kommandos. Dafür gab es zwei Möglichkeiten, und Colonel Hanson konnte, ohne seine Personalakte gesehen zu haben, nicht entscheiden, was wahrscheinlicher war. Entweder hatte jede Einheit, in der er je das Kommando geführt hatte, Stidwell so gründlich gehasst, dass sie seinen Abgang ohne jegliche Spur von Bedauern gefeiert hatten, oder er hatte nur sehr wenige Führungspositionen bekleidet. Nach einigem Nachdenken gelangte er zu dem Schluss, dass wohl Letzteres der Fall war; schließlich gab es immer irgendeinen Arschkriecher, der sich zu einer Plakette durchrang, ganz gleich wie katastrophal der Chef auch gewesen war.

»Obwohl Major Stidwell dem Anschein nach über alle erforderlichen Qualifikationsmerkmale eines Vorgesetzten verfügt«, räumte der Colonel ein und deutete dabei auf die Wand, »bedeutet eine solche Ansammlung von Zertifikaten nicht unbedingt, dass jemand auch über Führungsqualitäten verfügt. In Friedenszeiten lässt sich derartige Führungsunfähigkeit häufig durch tüchtige Mitarbeiter verschleiern. Aber in Zeiten starker Belastung, wenn schnell und exakt entschieden werden muss, ohne dass man über objektiv korrekte Antworten verfügt und ohne dass man von einem fähigen Stab unterstützt wird, wird die Unfähigkeit, Menschen zu führen, geradezu kristallklar. Ich habe den Verdacht, dass Major Stidwell als untergeordneter Führungsoffizier ganz gut funktioniert und als Stabsoffizier sogar Beispielhaftes leistet. Aber als Befehlshaber, insbesondere im Kampfeinsatz, dürfte er unfähig sein.« Er beendete seinen Vortrag mit einem Achselzucken. »So etwas gibt es.«

»Erwartet man von Ihnen, dass Sie mit Ihnen nachgeordneten Offizieren über die Fähigkeiten höherer Dienstgrade diskutieren, Sir?«, fragte Mike und lehnte sich in einem recht zerbrechlich wirkenden Sessel zurück, der vermutlich aus dem Fundus stammte und den irgendeine Kantine als zu alt und wackelig bereits ausgesondert hatte.

»Na ja, Captain«, antwortete der Colonel, »es gibt nachgeordnete Offiziere und nachgeordnete Offiziere. Was Sie angeht, so können Sie sich darauf verlassen, dass ich mit Ihnen über alles sprechen werde, von dem ich glaube, dass es Ihnen in Ihrer militärischen Entwicklung hilft, und ich meinerseits werde mir regelmäßig Ihren Rat über GKA-Taktik holen. Ich beabsichtige nicht, alles, was Sie sagen, als Wort Gottes zu betrachten. Aber zuhören werde ich.«

»Wegen meiner Medal of Honor?«, fragte Mike einstudiert gelassen und zog dabei eine Zigarre aus dem Ärmel seiner grauen Seidenkombination.

Das war nicht das erste Mal, dass Colonel Hanson von Michael O’Neal gehört hatte. Er war DER O’Neal. Mighty Mite. Ironman O’Neal. Der Held von Diess. Colonel Hanson hatte in seiner militärischen Laufbahn mehr als einen echten Helden kennen gelernt und wusste, dass man, ohne selbst dabei gewesen zu sein, unmöglich nachvollziehen konnte, was vor Ort geschehen oder nicht geschehen war und die Verleihung eines Ordens, ganz besonders eines so hohen, zur Folge gehabt hatte. Manchmal erwiesen sich die heroischsten Geschichten als reiner Bockmist, während sich andere, die zunächst schlicht und klar erschienen, als unerwartet kompliziert erwiesen. Manche echten Helden waren Prahlhänse, andere ganz ruhig. Häufig hatten Helden einfach nur das Glück gehabt, am falschen Ort zu sein und zu überleben. Und manchmal war alles ganz genau so, wie es berichtet wurde.

Was Michael O’Neal betraf, gab es wohl in der ganzen Geschichte aller militärischen Einsätze keine so gründlich analysierte, sezierte und erforschte Ereignisfolge wie die, die dazu geführt hatte, dass man ihn mit Orden förmlich überhäuft hatte. Und als die Medien O’Neals Story zu packen bekamen und sich ihrer erst einmal angenommen hatten, war die Reaktion unvermeidbar gewesen. Zuerst machten sie ihn zum Idol, anschließend versuchten sie, die Story zu zerpflücken, fanden aber keine einzige Einzelheit, die nicht genau den berichteten Tatsachen entsprach. Es hieß sogar, die Version, die man den Medien zur Verfügung gestellt hatte, sei stark untertrieben.

Der damalige Lieutenant O’Neal war dem Diess-Expeditionskorps als Berater für den Einsatz von GKA-Anzügen zugeteilt worden und hatte das Kommando über die Überreste des GKA-Bataillons übernommen, nachdem dieses auf dramatische Weise mit der ersten Welle von Posleen in Berührung gekommen war. Seine Gruppe von der Größe eines Platoons, ursprünglich waffenlos infolge einer Explosion, die ihr gesamtes Arsenal weggefegt hatte, hatte schließlich den Ring gesprengt, in dem die Posleen die Panzerdivisionen der Expeditionsstreitkräfte eingekesselt hatten. Im Verlauf des Geschehens hatten sie eine große Zahl von Posleen vernichtet und schließlich ein Kommandoschiff der Posleen zerstört, das den Streitkräften der Posleen zu Hilfe gekommen war. Diese letzte Heldentat hatte O’Neal vollbracht, indem er in seinem Kommandoanzug zu dem Schiff hinaufgeflogen war und dort von Hand eine improvisierte Antimaterie-Haftmine gezündet hatte.

Der Anzug, in dem der junge Mann gesteckt hatte, der ihm jetzt gegenüber saß und seine Zigarre musterte, als wäre sie eine Waffe, war fünf Kilometer weit durch die Luft und das Mauerwerk einiger Gebäude katapultiert und schließlich mit dem, was von O’Neal übrig geblieben war, weitere zwei Kilometer aufs Meer hinausgeschleudert worden und dort gesunken. Wochen später hatte ein Bergungsteam der SEALs die automatische Bake geortet und sich, erfreut, einen Kampfanzug im Wert einer halben Milliarde Credits bergen zu können, diesen noch teilweise intakt vorgefunden. Zu ihrer Verblüffung hatte der Panzer gemeldet, dass sein Insasse noch einsatzfähig war.

»Nicht nur wegen des Ordens. Mehr wegen der Art und Weise, wie Sie Ihre Kompanie zusammengehalten haben. Das ist das Zeichen eines guten Führungsoffiziers.«

»Gutes Führungsteam, Sir, entschuldigen Sie, wenn ich Sie korrigiere. Gunny Pappas ist Spitze.«

»Die haben uns einen Marine geschickt? Ich dachte, die würden hauptsächlich der Flotte zugeteilt.« Die Art und Weise, wie die Galaktische Föderation ihren Krieg gegen die Posleen führte, hatte in der Methodik, wie das Militär der Vereinigten Staaten seine Aufgaben erledigte, eine ganze Anzahl von Verwerfungen herbeigeführt. Die Föderation der Aliens finanzierte ihre Flotte aus Mitteln, die von den mehr als zweihundert der Föderation angehörenden Planeten aufgebracht wurden.

Ihre Bodenverteidigung andererseits mussten Planeten, die aktiv gegen die Posleen kämpften, aus eigenen Mitteln finanzieren. Soweit das etablierte Planeten waren, verfügten deren große Wirtschaftsunternehmen, deren Handel vom Krieg beeinträchtigt werden konnte, über Zugang zu zahlreichen Planeten, die für diese Verteidigungsmaßnahmen aufkommen konnten. Dem Planeten Diess, auf dem O’Neal gedient hatte, hatte man Streitkräfte aus dem gesamten Spektrum der Armeen der Erde zugeteilt, wohingegen der Planet Barwhon, der trotz seines Mangels an Industrie über umfangreichere Finanzmittel verfügte, nur von NATO-Truppen verteidigt wurde.

Da die Erde erst vor dreieinhalb Jahren von der Föderation gehört hatte, verfügte sie über keinerlei Geldmittel, mit Ausnahme derer, die sie dadurch aufbringen konnte, dass sie ihre Streitkräfte meistbietend versteigerte, und das hatte den zusätzlichen Nutzen, dass die Streitkräfte der Erde für die in weniger als zwei Jahren erwartete Invasion ausgebildet wurden. Dennoch schien es unmöglich, aus den einzelnen Staaten der Erde eine politische Einheit herzustellen und sich sozusagen als geeinter Planet auf die Invasion vorzubereiten. Und das verursachte eine Anzahl von Kompromissen.

Einige Streitkräfte von Fleet Strike wurden direkt der Flotte unterstellt, während andere den Planeten zugeordnet wurden, auf die bereits ein Angriff erfolgt war oder bei denen ein solcher unmittelbar bevorstand. Die für die Verteidigung der Erde eingeteilten Einheiten sollten für den Einsatz durch ihre jeweiligen Herkunftsländer zurückgehalten werden, unterstanden aber den Vorschriften und auch der Kommandostruktur von Fleet. Das Personal der Flotte rekrutierte sich in erster Linie aus den jeweiligen Marinestreitkräften der Erde, wobei man die Verbände von Fleet Strike – also die für den Bodenkampf, für Sondereinsätze und für die Luftwaffe vorgesehenen Gruppierungen aus den jeweiligen Marine-, Luftwaffen- und Kommandoeinheiten eines jeden Landes aufgebaut hatte.

Infolge der Größe der Streitkräfte der Vereinigten Staaten und der NATO nahmen diese auch innerhalb der Verteidigungsflotte die erste Stelle ein, dicht gefolgt von russischen und chinesischen Streitkräften. Die Folge war, dass sich, sah man einmal von einem Bataillon in Japan ab, praktisch sämtliche Bodeneinheiten von Fleet Strike in Nordamerika, Europa, Russland oder China befanden. Das hatte in der Dritten Welt empörte Proteste ausgelöst, aber diesmal fand einfach niemand die Zeit, auch nur zuzuhören.

Diese Kräfteverteilung und die neu hinzugekommene galaktische Technologie hatten dazu geführt, dass das Militär der Vereinigten Staaten sich von einigen lang gehegten Traditionen verabschieden musste. Das amerikanische Kontingent von Fleet Strike bestand jetzt aus den Fleet Strike Divisionen Eins bis Vier, die sich aus Einheiten der Marines, nämlich den 82nd, 101st und 11th Divisions sowie dem 508th, 509