Invasion - Der Aufmarsch - John Ringo - E-Book

Invasion - Der Aufmarsch E-Book

John Ringo

4,5
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Invasion beginnt

Wir dachten, wir wären allein im Universum – bis zu dem Tag, an dem der amerikanische Präsident erfährt, dass gigantische Flotteneinheiten einer aggressiven außerirdischen Zivilisation – die Posleen – auf die Erde zumarschieren. Weltweit wird das gesamte Militär in Alarmbereitschaft versetzt. Man rechnet mit einem Angriff in zwei bis drei Jahren. Doch dann tritt plötzlich ein Posleen-Großraumschiff aus dem Hyperraum und setzt an mehreren Orten Landungsboote mit Hunderttausenden von Kämpfern ab. Die Invasion hat begonnen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 672

Bewertungen
4,5 (36 Bewertungen)
25
3
8
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Titel der englischen Originalausgabe A HYMN BEFORE BATTLE Deutsche Übersetzung von Heinz Zwack Das Coverbild ist von David Mattingly
Redaktion: Werner Bauer Coypright © 2000 by John Ringo Copyright © 2003 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels
ISBN 978-3-641-12193-8V003
www.heyne.dewww.penguinrandomhouse.de

Inhaltsverzeichnis

WidmungAbkürzungen und BegriffsdefinitionenProlog1 - Norcross, Georgia, Sol III2 - Bragg, North Carolina, Sol III3 - Fort McPherson, Georgia, Sol III4 - Fort Bragg, North Carolina, Sol III5 - Fort McPherson, Georgia, SOL III6 - Im Orbit, Barwhon V7 - Washington D.C., SOL III8 - Fort Bragg, North Carolina, SOL III9 - New York, New York SOL III10 - Fort Benning, Georgia, SOL III11 - San Diego, Kalifornien, SOL III12 - Fort Bragg, North Carolina, SOL III13 - Provinz Ttckpt, Barwhon V14 - Habersham County, Georgia, SOL III15 - Camp McCall, North Carolina, SOL III16 - Ttckpt, Provinz Barwhon V17 - Planetarischer Transporter Maruk, N-Raum/Transit Terra-Diess18 - Washington, District of Columbia, SOL III19 - Provinz Ttckpt, Barwhon V20 - Planetarischer Transporter Maruk, N-Raum/Transit Terra-Diess21 - Camp McCall, North Carolina, SOL III22 - Im Orbit, Diess IV23 - Ttckpt Provinz, Barwhon V24 - Im Orbit, Diess IV25 - Fredericksburg, Virginia, SOL III26 - Andata Provinz, Diess IV27 - Andata Provinz, Diess IV28 - Fort Indiantown Gap, Pennsylvania, Sol III29 - Andata Provinz, Diess IV30 - Andata Provinz, Diess IV31 - Fort Indiantown Gap, Pennsylvania, Sol III32 - Andata Provinz, Diess IV33 - Fort Indiantown Gap, Pennsylvania, Sol III34 - Andata Provinz, Diess IV35 - Fort Indiantown Gap, Pennsylvania, Sol III36 - Andata Provinz, Diess IV37 - Andata Provinz, Diess IV38 - Andata Provinz, Diess IV39 - Andata Provinz, Diess IV40 - Andata Provinz, Diess IVEPILOG - Im Orbit, Diess IVAnmerkung des ÜbersetzersCopyright

Dieses Buch ist meiner lieben Frau Karin und meinen beiden wunderbaren Töchtern Jenny und Holindy gewidmet, als Dank dafür, dass sie mich nicht verlassen haben, während ich es schrieb.

Das Leben mit einem Schriftsteller ist so etwas Ähnliches wie der erste Kreis der Hölle.

AI:Artificial Intelligence (Künstliche Intelligenz)AID:Artificial Intelligence Device (computergesteuertes, off planet-taugliches Kommunikationsgerät)CID:Criminal Investigation Department (hier: ... Division/ svw. – im Militärdienst eingesetzte – Kriminalpolizei)EDT:Eastern Daylight Time (Sommerzeit an der Ostküste der USA)EMP:electro magnetic pulse (elektromagnetischer Impuls)GMT:Greenwich Mean Time (westeuropäische Zeit)HVM:High Velocity Missile (Hochgeschwindigkeitsgeschoss)JSOC:Joint Special Operations Command (svw. Koordinations-stelle der Spezialeinsatz-Kommandos)Nuke:nuclear device (Atomwaffe)Railgun:elektromagnetische Waffe, bei der das Projektil ähnlich einem Linearmotor durch Elektromagnete beschleunigt wirdSEAL:Eliteeinheit der US MarinesSigInt:Signals Intelligence – die Art von nachrichtendienstlicher Tätigkeit, die ihre Erkenntnisse aus »Signalen«, also beispielsweise Satellitenfotos, bezieht. Im Gegensatz dazu stehen HumInt (Human Intelligence), also Spionage- und sonstige Agententätigkeit sowie ElInt (Electric Intelligence), also Abhörmaßnahmen aller ArtSOCOM:Special Operations Command (Spezialeinsatz-Kommando)Tank:schwerer Panzer(kampf)wagenTop:Bezeichnung für den ranghöchsten unmittelbar einem Offizier unterstellten First Sergeant einer EinheitXO:Executive Officer (hier: stellv. Kommandeur)

»Wie viele Welten sind das jetzt?« Das Gespräch fand vor einem Bildschirm statt, der eine ganze Wand einnahm und Szenen zeigte, die einen nicht gerade fröhlich stimmten.

Der Adjutant wusste, dass es sich um eine rhetorische Frage handelte. Der Ghin fing an alt zu werden, und das machte ihn weich, weniger zielstrebig. Aber mächtig war er immer noch.

»Zweiundsiebzig.«

»Barwhon und Diess sind da aber noch nicht mitgezählt.«

»Die sind noch nicht gefallen.«

Schweigen, dann:

»Wir werden die Menschen einsetzen.«

»Endlich!«

»Ja, Euer Ghin.«

Schweigen, ein Blick auf den Bildschirm.

»Das macht dich glücklich, nicht wahr, Tirr?«

»Ich halte es für eine kluge Entscheidung. Alle Eure Entscheidungen sind klug, Euer Ghin.«

»Aber zu langsam, zu spät. Ohne Entschlusskraft, ohne – wie nennen das die Menschen? – ›Elan‹.«

Der Adjutant wählte seine Worte mit großer Sorgfalt. »Wäre die Entscheidung früher getroffen worden, dann wäre der Nutzen vielleicht größer gewesen. Jedenfalls hätte es die Verluste eingeschränkt.«

Eine endlos lange Minute später kam die Antwort: »Auf kurze Sicht wird der Nutzen sicherlich größer sein. Aber mit welchen Verlusten auf lange Sicht, Tirr?«

»Die Programme haben doch ganz sicherlich Wirkung gezeigt. Die Menschen sind kontrollierbar.«

»Das hat die Rintar-Gruppe auch gedacht.«

»Jene Menschen waren nur halb geformt, primitiv. Ungebildet und wild. Die neuen Rassen sind viel besser zu formen und auch mit Technik vertraut. Sie sind kaum gefährlich, und die Wenigen, die nach der Invasion übrig bleiben, werden uns für jeden Knochen dankbar sein, den wir ihnen hinwerfen.«

Wieder ein längeres Schweigen, während der Ghin starr den Bildschirm musterte.

»Vielleicht hast du Recht, Tirr. Aber ich zweifle daran. Weißt du, warum ich zulasse, dass das Menschenprojekt durchgeführt wird?«

»Wenn Ihr an den Voraussetzungen zweifelt, dann frage ich mich das tatsächlich.«

Schweigen.

»Warum?«

»Rate mal.«

Wieder längeres Schweigen, ein tiefer Atemzug und dann erneut Schweigen.

»Weil wir ohne Hilfe der Menschen noch eine Menge weitere Welten verlieren werden?«

»Teilweise. Tirr, ohne die Menschen werden wir sämtliche Welten verlieren.«

»Euer Ghin, aus unseren Projektionen geht hervor, dass die Posleen scheitern werden, wenn sie ihr Tempo nicht steigern können, sie werden vergreisen. Aber bis es dazu kommt, riskieren wir den Verlust weiterer zweihundert Welten, und das ist doch ganz sicherlich nicht akzeptabel.«

»Diese Projektionen stimmen nicht, genauso wie unsere Projektionen, was die Menschen angeht, falsch sind. Am Ende dieser Ära werden die Menschen die Herrschaft angetreten haben, dann werden die Darhel eine Rasse von Ausgestoßenen sein, die am Rande der Zivilisation von den Abfällen und Brosamen fortgeschrittenerer Rassen leben werden. Und dein Menschenprojekt wird die Ursache davon sein.«

Der Tirr bemühte sich, seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bekommen. »Ich ... habe Zweifel an dieser Projektion, Euer Ghin.«

»Das ist keine Projektion, du junger Narr, das ist eine Feststellung.«

Auf dem Bildschirm stand eine ganze Welt in Flammen.

Michael O’Neal war Junior-Programmierer in einer Firma in Atlanta, die Webpages entwickelte. In der Praxis bedeutete das, dass er acht bis zwölf Stunden am Tag mit HTML, Java und Pearl arbeitete. Wenn die Junior-Vertriebsbeauftragten oder die Vertriebsbeauftragten selbst jemanden brauchten, der wirklich eine Ahnung davon hatte, was das System leistete, wenn beispielsweise dem Kundenteam ein Ingenieur oder ein Computerfreak angehörte, pflegte man Michael zu der Besprechung einzuladen, wo er dann still sitzen musste, bis die Verhandlung irgendwie zum Stocken kam. In einem solchen Augenblick erwartete man von ihm, ein Mindestmaß an Computer-Chinesisch auszuspucken, das dem Kunden dann meist ausreichte und ihn überzeugte, dass wenigstens eine Person an seiner Website arbeitete, die etwas von der Sache verstand und nicht nur einen guten Friseur und ein niedriges Golf Handicap hatte. Anschließend lud dann der Vertriebsbeauftragte den Kunden zum Mittagessen ein, und Mike kehrte in sein Büro zurück.

Mike hatte zwar ebenfalls einen guten Haarschnitt, spielte aber weder Golf noch Tennis, war hässlich wie ein Troll und klein wie ein Kobold. Trotz dieser Handicaps war er dabei, sich auf der Hierarchieleiter stetig nach oben zu arbeiten. Vor kurzem hatte man sogar sein Gehalt erhöht, ohne dass er darum gebeten hatte. Das war eine gewaltige Überraschung für ihn gewesen, und man munkelte sogar, er könne möglicherweise mit weiteren Beförderungen rechnen. Das Büro, das ihm die neue Position eingetragen hatte, war nichts Besonderes; der Platz reichte kaum aus für eine volle Drehung seines Drehsessels, außerdem befand sich das Büro unmittelbar neben dem Pausenraum und war deshalb mehrmals täglich vom Geruch frischen Popcorns erfüllt. Um seine Fachbücher unterzubringen, hatte er ein Hängeregal anbringen müssen. Aber es war immerhin ein Büro, und das war im Zeitalter der verglasten vier Quadratmeter-Kabuffs schon ein großer Fortschritt. Irgendjemand im Hintergrund bereitete ihn offenbar auf etwas vor, und er konnte nur hoffen, dass es sich bei diesem Etwas nicht um eine Guillotine handelte. Doch das war unwahrscheinlich. Er war der Typ des aggressiven, lästigen Querdenkers, den jede Firma insgeheim dringend brauchte.

Im Augenblick war er stinksauer. Die aufgeblasenen Applets auf der Site ihres neuesten Kunden machten die Website so langsam, dass man es kaum erwarten konnte, bis sie sich aufgebaut hatte. Unglücklicherweise bestand der Kunde aber auf den »winzigen« Codes, die einen so großen Teil ihrer Bandbreite beanspruchten, dass er keine andere Wahl hatte, als sich eine schlaue Lösung einfallen zu lassen, damit es trotzdem schneller ging.

Er saß gerade an seinem Schreibtisch, die Füße auf dem Stapel von Büchern und Ausdrucken, die darauf lagen, öffnete und schloss die linke Hand rhythmisch über einem Torsionsübungsgerät, starrte das Poster an der Decke seines Büros an und dachte an seinen nächsten Urlaub. Noch zwei Wochen, dann würde es für ihn nur blaue Wellen, kaltes Bier und Korallenriffs geben. Ich hätte zu den SEALs gehen sollen, dachte er, das Gesicht vom ständigen Gewichtheben gerunzelt, und Surfinstruktor werden sollen. Sharon sieht im Bikini klasse aus.

Er hatte gerade einen Schluck abgestandenen, kalten Kaffee zu sich genommen und in Urlaubsträumen geschwelgt, als sein Telefon klingelte.

»Michael O’Neal, Web-Design, was kann ich für Sie tun?« Der Griff nach dem Telefon und die eingedrillte Meldung kamen, ehe sein Vorderhirn sich einschaltete. Als er dann die Stimme des Anrufers erkannte, hätte er beinahe seinen Kaffee ausgespuckt.«

»Hi, Mike, ich bin’s, Jack.«

Seine Füße krachten auf den Boden und gleich danach kam XML for Dummies. »Guten Morgen, Sir, wie geht es Ihnen?« Seit er das letzte Mal mit seinem alten Chef gesprochen hatte, waren fast zwei Jahre vergangen.

»Kann mich nicht beklagen, Mike. Ich brauche Sie Montag früh in McPherson.«

»Was? Sir, ich bin jetzt seit acht Jahren draußen. Ich hab mich vom Militär verabschiedet.« Ein beinahe Pavlowscher Reflex ließ ihn gleichzeitig in Gedanken bereits eine Liste von allem aufstellen, was er würde mitnehmen müssen.

»Ich habe gerade mit dem Präsidenten Ihrer Firma gesprochen. Das ist augenblicklich keine offizielle Einberufung ...«

Die versteckte Drohung gefällt mir wirklich, Boss, dachte Mike.

»Aber ich habe selbstverständlich darauf hingewiesen, dass Sie gemäß der Soldaten- und Matrosenakte jederzeit zur Verfügung ...«

Wieder mal echt Jack. Vielen Dank auch, Ex-Boss.

»Er schien darin kein Problem zu sehen. Ich habe nur den Eindruck, dass er Sie im Augenblick nicht sonderlich gut entbehren kann. Ihre Firma hat offenbar gerade einen neuen Auftrag bekommen, und es scheint ihm sehr wichtig zu sein, dass Sie den bearbeiten...«

Ja!, feixte Mike stumm. Wir haben den ersten Upgrade von Onion bekommen! Fast ein Jahr lang hatte die Firma sich um den lukrativen Vertrag bemüht.

»Aber ich konnte ihn überzeugen, dass es so am besten ist«, fuhr der General fort. Mike konnte hören, dass im Hintergrund gesprochen wurde, teils sogar mit erhobener Stimme, es klang ganz so, als würde der General aus einer Telefon-Werbefirma anrufen. Oder einige seiner Kollegen führten gerade ähnliche Gespräche. Wenn man genauer hinhörte, klangen einige der gedämpften Stimmen im Hintergrund beinahe verzweifelt.

»Worum geht es denn, Sir?«

Keine Antwort. Im Hintergrund fing eine Männerstimme zu schreien an, offensichtlich war ihr Besitzer mit der Reaktion auf seinen Anruf unzufrieden.

»Lassen Sie mich raten. Sicherheitsvorschriften?« Eine Antwort auf diese Frage würde ebenfalls die Sicherheitsvorschriften verletzen, also erwartete Mike keine, sondern kritzelte an einem Tintenfleck auf der zerschrammten Platte seines Schreibtischs herum und fing dann wieder an, seine linke Hand zu trainieren. Blutdruck ... das ewige Macho-Gehabe der Offiziere und das übertriebene Theater um Sicherheitsvorschriften hatten ihn schließlich dazu veranlasst, dem Militär den Rücken zu kehren. Und er hatte wirklich keine Lust, sich da wieder hineinziehen zu lassen.

»Seien Sie dort, Mike. Im Siglnt-Gebäude, gleich hinter FORCECOM.«

»Airborne, General, Sir.« Er hielt kurz inne und fügte dann trocken hinzu: »Sharon bekommt einen Anfall.« Dass er mit »Airborne« in militärische Sprachgewohnheiten seiner Vergangenheit zurückgefallen war, fiel ihm in diesem Augenblick gar nicht auf. Aber auch das war vielleicht ein Pavlowscher Reflex.

Mike war dabei, Brokkoli zu putzen, als er hörte, wie der Wagen vorfuhr. Er wischte sich die Hände ab und öffnete die Tür nach draußen, damit die Kinder ins Haus konnten, winkte ihnen zu und ging zur Spüle zurück.

Cally, die Vierjährige, kam als Erste hereingestürmt und bekam von Daddy einen großen, feuchten Schmatz.

»Daddy! Du hast mich nass gemacht!«

»Dicker, fetter, nasser Schmatz von Daddy! Brrr!« Er tat so, als wolle er mit seinen triefenden Händen nach ihr greifen, und sie stob kreischend in ihr Zimmer davon.

Unterdessen war Michelle, die Zweijährige, ins Zimmer getrottet und hielt ihm ihr neuestes Meisterwerk aus dem Kindergarten hin. Auch sie bekam von Daddy einen dicken, nassen Schmatz.

»Und was stellt dieses Meisterwerk dar?« Er betrachtete das grün-blau-rote Gekritzel und warf seiner Frau, die gerade zur Tür hereinkam, einen hilflosen Blick zu.

»Kuh!«, sagte sie, ohne dabei einen Ton von sich zu geben.

»Also, Michelle, das ist wirklich eine schöne Kuh!«

»Muh!«

»Ja, muh.«

»Saft!«

»Okay, kann mein großes Mädchen auch schon bitte sagen?«, fragte Mike grinsend und ging zum Kühlschrank.

»Pitte«, antwortete sie fröhlich.

»Okay.« Er griff in den Kühlschrank und holte den Becher heraus. »Nicht verschütten.«

»Pütze!«, erwiderte sie und drückte die Schnabeltasse an ihre Brust.

»Nicht verschütten.«

Sie trug den Becher ins Wohnzimmer, um sich dort ihr Nachmittagsvideo anzusehen. »Winnie!«

»Cinderella!«

»’Rella!«

Er hörte wie das Videogerät anlief, Cally hatte sich ihrer Schwester erbarmt, als seine Frau bereits umgezogen in die Küche zurückkam. Groß und schlank, mit einer kohlschwarzen, langen Mähne und hohen, kräftigen Brüsten, auch nach zwei Schwangerschaften immer noch mit der graziösen Eleganz einer Tänzerin, die sie gewesen war, als sie sich kennen gelernt hatten. Sie war in den Fitness-Club eingetreten, in dem er arbeitete, um ihren Muskeltonus zu verbessern. Er verstand sich von allen Clubmitarbeitern am besten auf Muskelentwicklung, also war es nur natürlich, dass er ihr zugeteilt wurde. So kam dann eines zum anderen, und da waren sie jetzt, acht Jahre später. Manchmal fragte sich Mike, was sie eigentlich an ihm fand. Andererseits hätte es schon eine Brechstange gebraucht, um ihn von ihr zu trennen. Oder zumindest die eiserne Hand der Pflicht.

»Deine Agentin hat mich in der Arbeit angerufen«, sagte sie, »sie konnte dich nicht erreichen.«

»Oh?«, sagte er, bemüht desinteressiert zu klingen. Sein Magen hatte bereits angefangen zu revoltieren. Er holte eine Flasche kalifornischen Chardonnay aus dem Kühlschrank und wühlte in der Schublade nach dem Korkenzieher.

»Sie hat gesagt, ein paar Stellen müssten noch umgeschrieben werden, aber Dunn könnte möglicherweise interessiert sein.« Sie lehnte sich an die Arbeitstheke und musterte ihn scharf. Seine Reaktionen stimmten überhaupt nicht.

»Oh. Das ist gut.«

»Du bist früher nach Hause gekommen«, fuhr sie fort und verschränkte die Arme vor der Brust. »Stimmt etwas nicht? Das sollte dich doch eigentlich freuen.«

»Mhm.« Er verschaffte sich etwas Zeit, indem er den Korken aus der Flasche zog und ihr ein Glas Wein einschenkte.

»Was?« Sie musterte den Chardonnay argwöhnisch, als überlege sie, ob er vielleicht vergiftet sei. Nach sechs Jahren Ehe konnte Mike ihr kaum mehr etwas vormachen. Sie wusste zwar nicht genau, was jetzt kommen würde, aber jedenfalls würde es unangenehm sein, das stand für sie fest.

»Äh. Ist eigentlich ja nicht schlimm«, sagte er und nahm einen Schluck von seinem Bier. Das süßliche, selbst hergestellte Gebräu sackte ihm wie Blei in den Magen und gesellte sich zu den Schmetterlingen, die dort herumtanzten. Sharon würde jetzt gleich an die Decke gehen.

»Verdammt noch mal, raus mit der Sprache«, herrschte sie ihn an. »Was ist los, haben die dich rausgeschmissen?«

»Nein, nein, ich bin einberufen worden. Irgendwie.« Er drehte sich zum Herd um, hob den Topf von der Platte und kippte die Fettuccine ins Sieb.

»Was? Von der Army? Du bist doch schon seit – wie lange eigentlich, acht Jahre?, draußen?« Das kam mit leiser Stimme, aber wütend. Sie gaben sich beide Mühe, nie vor den Kindern zu streiten.

»Fast neun«, pflichtete er ihr mit gesenktem Kopf bei, ganz auf das Gelingen seines Nudelgerichts konzentriert. Der Geruch von Knoblauch hüllte ihn ein, als er die schon vorher zerquetschten Knoblauchzehen darunter mischte. »Ich war beinahe sechs Monate draußen, als wir uns kennen gelernt haben.«

»Dann bist du nicht mehr in der Reserve!« Sie packte ihn am Arm, um ihn dazu zu veranlassen, sich umzudrehen und sie anzusehen.

»Ich weiß, aber Jack hat Dave angerufen und ihn unter Druck gesetzt, dass er mich eine Weile gehen lässt.« Er blickte auf, sah in ihre blauen Augen und fragte sich, weshalb er es eigentlich nicht schaffte, zu Jack »Nein« zu sagen. Sie sah ihn so verletzt an, dass er es kaum ertragen konnte.

»Jack. Du meinst General Horner. Der ›Jack‹, der immer wollte, dass du Offizier wirst?«, fragte sie aus einem finsteren Verdacht heraus und stellte das Weinglas hin. Bei ihr war das ein Anzeichen für »klar Schiff zum Gefecht«, und Mike betrachtete es als schlechtes Omen.

»Wie viele Jacks kennst du denn?«, fragte er verschmitzt, bemüht, die Stimmung etwas aufzulockern.

»Ich kenne ihn gar nicht – du kennst ihn.« Sie war einen Schritt näher getreten und zwang ihn damit mehr oder weniger, den Rückzug anzutreten.

»Du hast schon einmal mit General Horner gesprochen.« Er wandte sich wieder seiner Pasta zu, wich dem Streit aus und war sich dessen bewusst.

»Einmal, und nur, bis du an den Apparat kamst.«

»Mhm.«

»Und was in drei Teufels Namen wollen die von dir?«, fragte sie und rückte erneut näher. Er konnte die Wärme, die ihr Körper ausstrahlte, förmlich spüren, eine Wärme, die der Wein und der sich aufbauende Streit noch gesteigert hatten.

»Ich weiß nicht.« Die Fettuccine waren jetzt fertig, und er goss die Alfredo-Soße darüber, die er auf der Herdplatte warm gestellt hatte. Würziger Duft von Parmesan und Oregano verbreitete sich.

»Nun, dann rufst du jetzt General Horner an und sagst ihm, dass du so lange nicht kommst, bis wir nicht wissen, was das soll. Und mit Fettuccine Alfredo kannst du dich bei mir ganz bestimmt nicht rausreden.« Sie verschränkte erneut die Arme vor der Brust, erbarmte sich dann aber und griff nach dem Weinglas, um einen Schluck daraus zu trinken.

»Honey, du weißt doch, wie das läuft. Wenn die einen rufen, muss man hin.« Er füllte die Teller der Kinder und holte Tabletts, damit sie vor dem Fernseher essen konnten. Normalerweise nahmen sie die Mahlzeiten immer gemeinsam ein, aber heute Abend war ein wenig Distanz vielleicht besser.

»Nein. Nicht mit mir«, erwiderte sie mit einer heftigen Geste und hätte dabei fast ihren Wein verschüttet. »Nicht, dass jemand mich gefragt hätte, aber wenn die versuchen würden, mich zur Navy zurückzuholen, würde ich mich ein wenig länger wehren. Der Teufel soll mich holen, wenn ich noch einmal auf einem Flugzeugträger Dienst mache.« Eine ruckartige Kopfbewegung, wie um eine imaginäre Haarsträhne aus der Stirn zu schleudern. Dann wartete sie auf Antwort.

»Na ja, ich denke, jetzt weiß ich nicht so recht, was ich sagen soll«, meinte er leise.

Sie sah ihn lange an. »Du willst da hin.« Das war ganz offenkundig eine Anklage. »Du weißt schon, dass das verdammt schwierig für mich sein wird – ich meine, die Arbeit und die Familie –, wenn du nicht da bist!«

»Na ja ...« Diesmal schien die Pause, die er einlegte, ewig zu dauern.

»Herrgott, Mike, das ist doch Jahre her! Schließlich bist du ja nicht mehr achtzehn.« Sie hatte die Lippen vorgeschoben und sah jetzt aus wie ein kleines Mädchen, das »Spucke sammelt«.

»Honey«, sagte er und rieb sich das Kinn und sah dabei zur Decke, »Generäle rufen einen normalerweise nicht persönlich an, um einen aus dem Zivilleben zurückzuholen, wenn sie einen bloß für Wachdienst brauchen.« Sein Blick wanderte von der Decke zurück, suchte den ihren und dann schüttelte er den Kopf.

»Was auch immer die von mir wollen, es sind ganz bestimmt nicht meine Muskeln sondern das, was ich im Kopf habe. Und manchmal, na ja, da geht mir schon durch den Kopf, ob ich mich als Kompaniechef in der Zweiundachtzigsten ein wenig ... wichtiger, nützlicher fühlen würde. Ich weiß auch nicht, das wäre ein wenig mehr, als für die viertgrößte Bank des Landes eine Killer-Webpage zu entwickeln.« Er legte ein Stück Hühnchenbrust in Kräutern und Knoblauch auf die reichliche Portion Fettuccine und hielt ihr den Teller hin.

Sie schüttelte den Kopf, verstand seine Argumentation zwar intellektuell, war aber immer noch alles andere als zufrieden. »Musst du heute Abend schon weg?«

Sie nahm ihm den Teller ab und musterte ihn mit demselben Argwohn wie den Wein. Ein wenig Alkohol und komplexe Kohlehydrate, um ein hysterisch gewordenes Muttchen zu beruhigen. Unglücklicherweise wusste sie, dass sie sich augenblicklich genauso verhielt. Er war sehr wohl mit ihrer automatischen Reaktion auf alles, was Militär hieß, vertraut und bemühte sich das auszugleichen, bemühte sich mächtig.

»Nein, ich muss Montag früh in McPherson sein. Und McPherson ist ja schließlich nicht hinter dem Mond.« Er nahm sich einen Lappen und wischte einen imaginären Flecken von der grauen Arbeitsplatte. Plötzlich glaubte er Licht am Ende des Tunnels zu sehen, doch wenn Sharon auf dem Kriegspfad war, konnte dieses Licht ebenso gut ein Schnellzug sein, der auf ihn zugerast kam.

»Nein, aber wenn du glaubst, dass ich mit den Kindern nach Süd-Atlanta gehe, dann hast du dich verrechnet«, erwiderte sie und wusste, dass sie damit den Rückzug angetreten hatte. Sie spürte, dass das eine kritische Auseinandersetzung war, und fragte sich, was wohl passieren würde, wenn sie jetzt von ihm verlangte, sich zwischen ihr und der Army zu entscheiden. Das war nicht das erste Mal, dass sie sich insgeheim diese Frage gestellt hatte, aber weiter war es bisher nie gekommen. Und jetzt hatte sie Angst davor. Was sie wirklich wütend machte war, dass sie ihre eigenen Gefühle sehr gut verstand und wusste, dass sie Unrecht hatte. Was sie selbst erlebt hatte, hatte sie gegen eine Karriere beim Militär vergiftet, aber keineswegs gegen den Ruf des Vaterlandes, wie es so pathetisch hieß. Und deshalb fragte sie sich, wie sie wohl in Mikes Lage reagieren würde, wenn man sie vor dieselbe Entscheidung gestellt hätte.

»Hey, vielleicht kann ich abends immer nach Hause kommen. Und vielleicht dauert es auch nicht lange«, sagte Mike mit einem lockeren Achselzucken und rieb sich das Kinn. Es klang wie ein Reibeisen, denn sein kräftiger, schwarzer Bartwuchs hatte bereits einen respektablen Fünf-Uhr-Schatten auf seine Wangen gezaubert.

»Aber du nimmst das nicht an«, konterte sie.

»Nein, wahrscheinlich nicht«, nickte er ernst.

»Warum?« Sie setzte sich an den Küchentisch und schnitt ein Stück von dem Hühnchen ab. Es war perfekt zubereitet, köstlich wie immer. Trotzdem schmeckte es für sie wie Sand.

»Na ja ... das sagt mir einfach mein Gefühl.« Mike fing jetzt an sich selbst aufzulegen. Auf solche Köstlichkeiten würde er wahrscheinlich in naher Zukunft verzichten müssen.

»Aber das Wochenende haben wir doch?«, fragte sie und nahm einen Schluck Wein, um den köstlichen Happen hinunterzuspülen. Ihr Mund fühlte sich plötzlich ganz trocken an.

»Ja.«

»Na schön, dann wollen wir uns dafür etwas einfallen lassen.« Ihr Lächeln war schwach, aber immerhin war es ein Lächeln.

»Dürfte ich bitte Ihren Ausweis sehen? Führerschein?«

Und dafür stehe ich mitten in der Nacht auf! Die Fahrtzeit von seinem Haus im Vorgebirgsland von Georgia nach Fort McPherson, Georgia, der Kommandozentrale der Army, betrug drei Stunden. Hinter den grünen Rasenflächen und einer ganzen Anzahl von Ziegelbauten am Rande der Interstate 75/85 verbargen sich eine Menge von Sicherheitsbauten. Da es sich bei diesem Komplex um die Kommandozentrale sämtlicher Streitkräfte der Army handelte, waren die Sicherheitseinrichtungen der Konferenzsäle allererster Klasse, aber die Presse merkte das kaum. Wenn in Fort Meyers, Virginia, oder auf dem Nellis Luftwaffenstützpunkt plötzlich eine größere Zahl von Militärpersonal auftauchte, würde man das bemerken; Orte wie diese wurden sorgfältig beobachtet, nicht aber Fort McPherson. Der nächstgelegene Flughafen war Hartsfield, Atlanta, der größte Flughafen der Vereinigten Staaten, und wenn man noch die berüchtigten Verkehrsprobleme von Atlanta hinzuzählte, dann waren die einzigen Leute, die die Zusammenkunft zur Kenntnis nahmen, die sorgfältig ausgewählten Soldaten, die hier die Funktion von Militärpolizei ausübten. Freilich waren die Soldaten zwar sorgfältig ausgewählt worden, aber keineswegs aus den Rängen der regulären Militärpolizei.

»Danke, Sir«, sagte der ernst blickende Wachposten, nachdem er Mikes Führerschein und sein Gesicht gründlich studiert hatte. »Nehmen Sie die Hauptstraße bis zur nächsten Kreuzung, biegen Sie dort nach rechts ab und fahren Sie weiter bis zur Kommandozentrale, das ist ein grauer Betonbau mit einer entsprechenden Tafel. Fahren Sie am Hauptgebäude vorbei bis zu der Wachbaracke links davon. Melden Sie sich dort beim Wachhabenden, der kann Ihnen erklären, wie es weitergeht.«

»Danke«, sagte Mike, legte den Gang in seinem Volkswagen ein und nahm den Ausweis entgegen, den ihm der Wachmann reichte.

»Keine Ursache«, sagte dieser zu dem bereits losfahrenden VW. »Schönen Tag noch.« Der Delta-Mann in MP-Uniform griff nach einem erst vor kurzem installierten sicheren Telefon. »O’Neal Michael A., zweihundertsechzehn-neunundzwanzig-elffünfundvierzig, nullsechs: siebenundfünfzig. Zur Kenntnis Lieutenant General John Horner.« Einen Augenblick lang fragte sich der Sergeant First Class, was das ganze Theater eigentlich sollte, weshalb er eigentlich Abzeichen an seiner Uniform trug, die drei Stufen unter seinem Rang waren. Dann gab er es auf, sich den Kopf zu zerbrechen. Die Fähigkeit, seine Neugierde zu bändigen, war bei langjährigen Deltas sehr erwünscht. Verdammt, dachte er, der Mann hat ausgesehen wie ein Hydrant, und löschte ihn dann aus seinem Gedächtnis, als das nächste Zivilfahrzeug heranrollte.

»Ich hatte ganz vergessen, dass er tatsächlich aussieht wie ein Hydrant«, murmelte Lieutenant General John J. (Jumpin’ Jack) Horner für sich und sah zu, wie der Volkswagen auf einen Parkplatz tuckerte. Horner war über einen Meter achtzig groß und sah ausgesprochen gut aus, geradezu der Inbegriff eines höheren Offiziers.

Sein meist strenger Gesichtsausdruck hellte sich nur hin und wieder zu einem Lächeln auf, immer dann, wenn er im Begriff war, einen unfähigen Offizier niedrigeren Ranges fertig zu machen. Er hielt sich aufrecht und gerade, und sein Kampfanzug saß so perfekt, als wäre er jeder Vorschrift zum Trotz nach Maß geschneidert. Mit seinem kurz gestutzten, silbergrauen Haar und den gletscherblauen Augen wirkte Horner exakt wie das, was er auch war: ein gepanzerter, moderner Spross der preußischen Kriegerklasse. Wenn man ihm auf Hochglanz polierte Schaftstiefel und einen Ledermantel verpasst hätte, hätte man ihn mühelos für einen Angehörigen des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht aus dem Zweiten Weltkrieg halten können.

Seine siebenundzwanzigjährige Militärlaufbahn hatte er ausschließlich bei den Luftlandetruppen und den größten Teil davon in Spezialeinheiten verbracht. Obwohl es ihm nie gelungen war, seinen größten Ehrgeiz zu befriedigen – das Kommando über das Ranger-Regiment  –, war Horner doch ohne jeden Zweifel der Fachmann schlechthin für Infanterietaktik und Doktrin. Außerdem war er nicht nur ein exzellenter Theoretiker und Generalstäbler, sondern galt auch als hervorragender Truppenkommandeur, eine Führungspersönlichkeit vom alten Schlag. In seiner langen Laufbahn hatte er eine Vielzahl außergewöhnlicher Menschen kennen gelernt, aber nur wenige wie den vierschrötigen Moloch, der sich jetzt über den smaragdgrünen Rasen auf ihn zu wälzte. Horner musste innerlich lachen, wenn er sich daran erinnerte, wie er dem Mann das erste Mal begegnet war.

Dezember 1996. Das Wetter entsprach ganz und gar der Vorstellung, die man sich gemeinhin von einem Winter in North Carolina machte, und Fort Bragg, die Heimatbasis der Luftlandetruppen, hatte jetzt eine Woche lang nur noch tief hängende, dicke Regenwolken zu sehen bekommen. Vom Wetter einmal abgesehen – und das hatte durchaus auch seine Vorteile –, war Colonel Horner durchaus mit Ablauf und Ergebnis seiner ersten Bereitschaftsübung als Bataillonskommandant zufrieden. Die Einheiten, die er und sein Sergeant Major drei lange Monate gnadenlos gedrillt hatten, hatten trotz des schlechten Wetters eine perfekte Leistung hingelegt, während sie im Jahr zuvor unter dem vorherigen Bataillonskommandanten brutal durchgefallen waren. Trotz des Regens hielt sich also der Herrgott allem Anschein nach an seinem angestammten Arbeitsplatz im Himmel auf, und mit der Welt war alles in Ordnung – bis zu diesem Augenblick, als sein Jeep plötzlich einen geradezu spektakulären Platten hatte. Doch das war kein Hindernis, denn Jeeps sind mit Reserverädern ausgestattet; der Rucksack des Fahrers hing am Reserverad und enthielt das für eine derartige Eventualität nötige Werkzeug. Als sein Fahrer dann freilich gestand, dass er es versäumt hatte, dieses Werkzeug einzupacken, fing Lieutenant Colonel Horner augenblicklich an zu lächeln. Freilich war es ein sehr russisches Lächeln  – eines, das seine Augen nicht mit einschloss.

»Kein Werkzeug?«, fragte der Colonel knapp.

»Nein, Sir.« Der Mann schluckte, wobei sein überdimensionierter Adamsapfel auf und ab hüpfte.

»Kein Wagenheber.«

»Nein, Sir.«

»Sarn’t Major!«, bellte der Colonel.

Der Sergeant Major, den im Augenblick keinerlei anderweitige Pflichten in Anspruch nahmen und der sich in seinem Goretex-Tarnanzug recht wohl fühlte, fand die Situation, in der sie sich befanden, einigermaßen spaßig.

»Soll ich ihn vierteilen, Sir?«, fragte er und klemmte sich die Hände unter die Achselhöhlen und bereitete sich innerlich auf eine längere Wartezeit im strömenden Regen vor. Dabei hoffte er inständig, dass es bald zu schneien anfangen würde; dann war die Wahrscheinlichkeit nicht so groß, dass er sich eine Unterkühlung zuzog.

»Genau genommen würde ich gerne Vorschläge hören«, sagte der Colonel, der einige Mühe hatte, seinen Zorn zu zügeln.

»Von Ihrer Empfehlung einmal abgesehen, Sir, man könnte das Schiedsrichterteam rufen?« Er grinste, und seine weißen Zähne bildeten einen scharfen Kontrast zu seinem ebenholzfarbenen Gesicht. Jack war der beste Bataillonskommandant, den er je erlebt hatte, aber es machte immer wieder Spaß, ihm dabei zuzusehen, wie er unwichtige Probleme löste. Dem Colonel war es verhasst, sich um solchen Kleinkram kümmern zu müssen. Er schien einfach zum General geboren zu sein, jemand, der bloß darauf wartete, bis er einen Adjutanten bekam, der sich um Fahrer und deren Schwächen kümmerte.

»Also anrufen und zugeben, dass mein Fahrer ein Idiot ist, und ein Bergungsteam rufen, weil wir einen Platten haben. Reynolds«, sagte er und drehte sich zu dem Soldaten um, der in Habachthaltung im Eisregen stand, »ich würde wirklich gern wissen, was Sie sich gedacht haben.«

»Sir, der Einsatzbereitschaftstest steht bevor«, sagte der Soldat und sehnte sich verzweifelt danach, sein Kreislauf würde aussetzen oder im Boden würde sich ein Loch auftun und ihn verschlingen.

»Mhm, nur weiter. Sprechen Sie sich ruhig aus«, sagte der Colonel.

»Ich glaube, ich weiß, worauf das hinausläuft«, schmunzelte der Sergeant Major.

Reynolds holte zitternd tief Luft und fuhr fort: »Na ja, das Bordwerkzeug taugt nur für Kleinkram, zum Beispiel einen Reifenwechsel ...«

»So etwas wie jetzt!«, brauste der Colonel auf.

»Yes, Sir«, fuhr Reynolds hartnäckig fort, »und wenn das Fahrzeug gut ist, dann passiert selten an den Reifen etwas. Und das hier ist ein guter Jeep, ein neuer Reifen, verdammt! Aber die Inspektoren wissen, dass Kommandeursfahrzeuge immer am besten gepflegt werden, also nehmen sie sie wirklich unter die Lupe. Und wenn sie nichts Größeres finden können, dann suchen sie eben nach Kleinkram, wie Lackabsplitterungen am Wagenheber und solchem Zeug. Deshalb habe ich mir in der Wartung einen neuen Werkzeugsatz organisiert, und weil ich nicht wollte, dass damit was passiert ...«

»Hab ich’s doch gewusst!« Der Sergeant Major lachte schallend. »Herrgott, was für ein Scheißdreck. Nächstes Mal, Reynolds, besorgen Sie sich zwei Werkzeugsätze und sperren einen davon in Ihren Spind!«

»Reynolds.« Der Colonel zwang sich zur Ruhe. Wenn er jetzt dem Idioten den Kopf abriss, würde das überhaupt nichts nützen. Er war hauptsächlich deshalb so sauer, weil er sich selbst die Schuld dafür gab, dieses ganz spezielle schwache Glied in der Kette nicht rechtzeitig ersetzt zu haben.

»Ja, Sir?«

»Sie sind so unfähig, dass es geradezu bemerkenswert ist.« Horner blickte zum Himmel auf, als würde er dort Zuspruch suchen.

»Ja, Sir.«

»Ich sollte Sie in die Protokollabteilung schicken, als ständiger Fahrer«, sagte der Colonel und wandte sich damit wieder ihrer augenblicklichen Situation zu.

»Ja, Sir.«

»Das ist kein Kompliment«, sagte der Colonel und lächelte dabei wie ein Tiger.

»Ja, Sir. Zu Befehl, Sir.« Reynolds wusste, dass man total verschissen hatte, wenn der Colonel so lächelte. Ob ich mich bei den Pfadfindern melden sollte?, überlegte er.

»Sergeant Major Eady?«

»Alpha-Waffen.« Während der ganzen Diskussion hatte der Sergeant Major einen Lageplan herausgezogen und sich darauf orientiert. Der Nieselregen war inzwischen in Platzregen übergegangen und sammelte sich in kleinen Pfützen auf dem kunststoffbeschichteten Plan, was erforderlich machte, dass er ihn gelegentlich ausschüttelte. Bis es Abend war, würde es sicherlich schneien. Der Sergeant Major war fest entschlossen, bis dahin im Taktikzentrum zu sein, denn dort lagerte seine gesamte warme Kleidung.

»Wo?«, knurrte der Colonel und stakste zu seinem Platz auf der Beifahrerseite hinüber.

»Südlich von hier, in Richtung auf die nächste Feuerschneise, die etwa zweihundert Meter links von uns hinter der nächsten Wegbiegung beginnen sollte, und dann noch hundertfünfzig oder zweihundert Meter. Rechts davon ist eine Lichtung. Wenn ich mich richtig erinnere, steht da dicht an der Straße, ganz am Rand der Lichtung, eine Kiefer, in die der Blitz eingeschlagen hat.« Der Sergeant Major kannte hier alle Straßen und Wege wie seine Hosentasche, war hier schon herumgefahren, als Reynolds nicht mehr als ein lüsternes Funkeln in den Augen seines Daddys gewesen war.

»Reynolds«, knurrte der Colonel, warf sich auf den Sitz des offenen Jeeps und stützte seinen rechten Fuß auf die schlammbespritzte Schaufel, die an der Motorhaube befestigt war.

»Sir.«

»Ich nehme an, Sie können in voller Montur vierhundert Meter laufen.« Der Colonel nahm dieselbe Haltung wie der Sergeant Major auf dem Rücksitz ein, die behandschuhten Hände in den Achselhöhlen und den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, um der Kälte möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, die Haltung eines erfahrenen und gründlich angesäuerten Infanterie-Offiziers, der sich darauf vorbereitet, längere Zeit im Eisregen warten zu müssen.

»Jawohl, Sir, zu Befehl, Sir!« Reynolds nahm Haltung an und war sichtlich froh, einen Auftrag zu haben, der ihn aus der Zielrichtung der gletscherblauen Augen seines Kommandanten entfernte.

»Los.«

Der Mann startete wie eine Gazelle. Bei jedem Schritt spritzte eisiger roter Schlamm nach allen Seiten.

»Sergeant Major«, sagte der Colonel im Gesprächston, als die Gestalt hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war.

»Ja, Sir!«, brüllte der Sergeant Major und nahm auf seinem Sitz Haltung an, freilich ohne dabei die Hände aus den Achselhöhlen zu entfernen.

»Sarkasmus?«, fragte der Colonel mit verkniffener Miene.

»Sarkasmus? Ich, Sir? Niemals«, erwiderte Eady und lehnte sich in seinem Sitz zurück. Dann hob er die rechte Hand so, dass Daumen und Zeigefinger ein wenig voneinander entfernt waren. Der Spalt hätte höchstens ausgereicht, um eine Erbse dazwischen zu schieben. »Vielleicht, vielleicht eine Winzigkeit. Wirklich nur eine Winzigkeit.« Und während er das sagte, schoben sich die Finger auseinander, bis sie die höchst mögliche Distanz erreicht hatten. »Eine Winzigkeit.«

»Ich wollte mit Ihnen über einen neuen Fahrer reden ...«, sagte der Colonel und kämpfte immer noch gegen seinen Ärger an. Die ganze Situation war wirklich zu albern und zu unwichtig, um sich echt darüber zu ärgern.

»So? Tatsächlich?« Der Sergeant Major schmunzelte.

»Es ist ja nicht nur, weil er so verdammt blöd ist«, fuhr der Colonel resigniert fort. Sollte der Sergeant Major doch seinen Spaß haben. »Aber wenn der Kerl nicht arrogant ist, dann ist er beflissen.«

»Also, Colonel«, sagte der Sergeant Major, nahm seinen Kevlarhelm ab und kratzte sich am Kopf. Ein paar Schuppen trieben im eisigen Wind davon. Als damit seine Hygienebedürfnisse befriedigt waren, stülpte er sich den Helm wieder auf den Kopf und zog sämtliche Riemen straff. Der Kinnriemen glänzte fettig. »Der Sergeant Major ist nur ein Mannschaftsdienstgrad, und mein Freigabestatus reicht nicht bis ›beflissen‹. Aber wenn Sie meinen, dass er ein kleiner Arschkriecher ist – na ja, auf die Weise hat er den Job ja schließlich bekommen. Und verdammt gut laufen kann er; Colonel Wassermann hielt sehr viel vom Laufen.« Wieder ging ein Lächeln über sein ebenholzfarbenes Buddha-Gesicht. Aus seiner Sicht war das das Allerletzte im ganzen Bataillon, was irgendwelcher Maßnahmen bedurfte.

»Colonel Wassermann ist nur um Haaresbreite an einer Entlassung aus wichtigem Grund vorbeigeschrammt, und im Augenblick ist er auf dem Weg nach draußen«, schnaubte der Colonel. Er und der Sergeant Major hatten sich alle Mühe gegeben, den Mann auf den Leistungsstandard zu bringen, den sie erwarteten, aber es war einfach nicht dazu gekommen. Allem Anschein nach war Reynolds einfach einer jener Soldaten, die sich am besten für die »alte Garde« eignen. Bei Inspektionen sah er klasse aus, aber im Kampftraining war er die letzte Null. Horner seufzte resigniert, weil ihm klar war, dass es einfach Situationen gab, die man mit Ausbildung und Training nicht lösen konnte.

»Im Allgemeinen gehe ich nach folgenden Kriterien vor«, fuhr er fort. »Wenn Colonel Wassermann der Ansicht war, dass irgendetwas eine großartige Idee war, versuche ich in die genau entgegengesetzte Richtung zu gehen. In gewisser Hinsicht ist es eigentlich schade, dass ich ihn nicht für den Rest meiner Laufbahn als eine Art Richtschnur nutzen kann. Schaffen Sie mir Reynolds aus den Augen, aber tun Sie ihm nicht weh. Geben Sie ihm einen hübschen Brief mit Ihrer Unterschrift, nicht der meinen, und schicken Sie ihn in die Charlie-Kompanie zurück. Und suchen Sie einen guten Ersatz. Der Himmel möge uns beistehen, wenn wir mit diesem Knallkopf in den Krieg ziehen müssten.«

Eine Weile herrschte Stille, während Sergeant Major und Oberst dem Plätschern des Regens lauschten. Er schien jetzt in eine Art Graupelschauer übergegangen zu sein, aber gelegentlich konnte man auch Schneeflocken und immer noch ein wenig Eisregen erkennen. In der Ferne war das Poltern von Artilleriefeuer zu hören: den Spaß gönnte sich die Artillerieabteilung zweimal im Jahr. Wetter wie dieses war für die Kanoniere ausgezeichnetes Training. »Ausgezeichnetes Training« war eine liebenswürdige Umschreibung, die die Army für jede Situation benutzte, die abscheulich und vorzugsweise versaut war. Ihre gegenwärtige Zwangslage erfüllte sämtliche Voraussetzungen für »gutes Training«.

»Wo, zum Teufel, ist der Jeep?«, fragte der Colonel, wobei es ihm nicht gelang, seine Resignation zu unterdrücken.

Etwas kam den Weg herunter, was unter anderen Voraussetzungen äußerst komisch anzusehen gewesen wäre. Reynolds war groß und schlank. Neben ihm schritt ein kleiner – später erfuhr Horner, dass er einen Meter fünfundfünfzig groß war –, unglaublich breiter Soldat mit einem riesigen voll gepackten Rucksack. Er sah aus wie ein Troll oder ein Waldschrat im Tarnanzug. Sein überdimensionierter Stahlhelm und – als er dann nahe genug war, dass man das sehen konnte –, seine ebenfalls überdimensionierte Nase vervollständigten das Bild. Unter einem Arm trug er ein gewaltiges Stück von einer Kiefer, das mit Leichtigkeit dreißig oder fünfunddreißig Kilo schwer war, und seine Gesichtszüge wirkten ausgesprochen düster. Er wirkte wesentlich ärgerlicher als der Colonel oder der Sergeant Major.

»Specialist, mhm, O’Neal, einer der Granatwerfer-Gruppenführer«, flüsterte der Sergeant Major Horner zu, als die beiden Männer näher kamen. Er kletterte aus dem Jeep, und der Colonel schloss sich ihm an, im Begriff, die beiden Neuankömmlinge nach allen Regeln der Kunst zur Sau zu machen. Horners Regeln.

»Sir«, sagte Reynolds, ein Bild der Verzweiflung, »als ich zum Waffenplatoon kam, waren sämtliche Fahrzeuge zum Auftanken weggefahren ...« Während er das sagte, ging O’Neal ohne ein Wort zu sagen oder Eady und den Colonel zu grüßen zum hinteren Ende des Jeeps. Dort ließ er das Stück Ast und seinen Rucksack fallen und packte die Stoßstange. Er kauerte sich nieder, richtete sich auf und hob den fünfhundert Kilo schweren Jeep an der hinteren Ecke an, wobei er kräftig ausatmete.

»Yeah, das schaffen wir«, knurrte er dann und ließ den Jeep wieder in den Schlamm plumpsen. Dieser federte durch und bespritzte Reynolds mit noch mehr klebrigem Schlamm. O’Neals Aktion hatte Reynolds’ Redefluss wirksam zum Versiegen gebracht. »Tag, Sir, Sergeant Major«, sagte O’Neal. Er machte keine Ehrenbezeigung. Obwohl das nach Divisionsanweisung Vorschrift war, hielt die 82. an der Tradition fest, dass eine Ehrenbezeigung im Feldeinsatz eine »Aufforderung für Scharfschützen« war und somit nichts, was man sich antrainieren sollte.

Der Sergeant Major streckte ihm die Hand hin. »Wie geht’s, O’Neal?« Er staunte, mit welcher Kraft der andere zupackte. Bisher hatte er nur beiläufig mit O’Neal zu tun gehabt, aber nie die geradezu unnatürlichen Kräfte des Mannes richtig zur Kenntnis genommen. Der sackähnliche Kampfanzug verbarg allem Anschein nach einen ausschließlich aus Muskeln bestehenden Körper.

»Specialist«, sagte der Colonel streng, »das war keine gute Idee. Wir wollen doch immer an unsere Sicherheit denken, nicht wahr? Wenn Sie sich einen Bruch heben, würde das alles nur noch viel schlimmer machen.« Er legte den Kopf zur Seite, erinnerte jetzt an einen blauäugigen Falken und durchbohrte den Soldaten mit einem geradezu arktischen Blick.

»Ja, Sir, hab mir schon gedacht, dass Sie das sagen würden«, sagte der Specialist und ließ den Blick des Offiziers an sich abprallen, so wie Regen von Stahl abprallt. Er schob seinen Kautabak im Mund etwas zur Seite und spuckte zielsicher aus. »Sir, bei allem gebotenen Respekt«, meinte er dann gedehnt, »ich arbeite jeden Tag mit solchen Gewichten. Ich habe rein zur Übung Maschinengewehr-Jeeps gehoben, und einmal habe ich sogar einen astrein gerissen. Wollte bloß sichergehen, dass er nicht mit all dem zusätzlichen Funkkram zu schwer ist. Wir kriegen das hin. Ich hebe ihn hoch, der Sergeant Major schiebt den Ast darunter, dann wechseln wir den Reifen, machen das Ganze in umgekehrter Reihenfolge noch einmal und Sie sind hier weg.«

Der Colonel starrte einen Augenblick lang auf den muskelbepackten Soldaten hinunter. Der erwiderte den Blick mit ähnlich finsterer Miene, wobei der Kautabak in seinem Mund seine Unterlippe nach vorn wölbte. Der Blick des Colonels verfinsterte sich einen Moment lang – ein sicheres Zeichen dafür, dass er sich amüsierte. Auf die Frage, weshalb der Sergeant Major den Ast unter den Jeep schieben sollte und nicht der Fahrer, verzichtete er ganz bewusst. Offenbar hatte O’Neal von Reynolds dieselbe Meinung wie er und der Sergeant Major.

»Haben Sie auch einen Vornamen, O’Neal?«, fragte der Colonel.

»Michael, Sir«, antwortete der Specialist. Er schob den Priem auf die andere Seite. Abgesehen davon änderte sich nichts an seinem Ausdruck grenzenloser Verstimmung.

»Michael oder Mike?«, fragte der Colonel mit noch finstererer Miene.

»Mike, Sir.«

»Spitzname?«

Widerstrebend: »Mighty Mite.«

Während der Sergeant Major schmunzelte, verfinsterte sich die Miene des Colonel weiter. »Also, Specialist O’Neal, ich genehmige Ihr Vorgehen widerstrebend.«

»Wie kriegen wir die Schrauben auf?«, fragte der Sergeant Major. Das hatte ihn mehr bedrückt als die Frage, wie man den Jeep anhob. Es gab eine ganze Menge Gegenstände, die man als Hebel einsetzen konnte, aber ein Schraubenschlüssel war nirgends in Sicht.

Specialist O’Neal griff in seine Cargotasche und brachte mit einer schwungvollen Geste einen zwanzig Zentimeter langen verstellbaren Schraubenschlüssel zum Vorschein.

»Viel Glück«, schnaubte Reynolds, »die haben die Schrauben bei der Brigade mit Drehmomentschlüsseln angezogen.«

Ein Lächeln störte einen Augenblick lang O’Neals finsteren Blick. Er kniete im Schlamm nieder, sodass das kalte Wasser in seinen Kampfanzug eindrang, stellte den Schraubenschlüssel auf den richtigen Durchmesser ein und schob ihn über die Mutter. Dann atmete er tief ein und stieß die Luft mit einem »Saaa!« aus. Sein Arm ruckte vor wie eine mechanische Presse, und die Schraube löste sich mit einem kreischenden Geräusch.

»Craftsman«, sagte er, entspannte sich und ließ den restlichen Atem langsam entweichen, »geht doch nichts über gutes Werkzeug.« Er spuckte wieder ein Stück von seinem Priem aus, drehte dann schnell die Mutter auf und machte sich an die nächste.

Der Colonel sah immer noch mit gerunzelter Stirn zu, aber in seinen sonst so kalten blauen Augen funkelte es. Er drehte sich halb zur Seite, um nicht beobachtet werden zu können, und zwinkerte dem Sergeant Major zu. Sie hatten ihren neuen Fahrer gefunden.

»Wie geht’s, Mike?«, fragte General Horner, als die sich nähernde Gestalt ihn aus seinen Erinnerungen riss. Er streckte die Hand aus.

Mike klemmte sich die Zedernholzschachtel unter den Arm und griff nach der ausgestreckten Hand. »Gut, Sir, sehr gut. Wie geht’s der Frau und den Kindern?«

»Gut, ausgezeichnet. Sie glauben gar nicht, wie die Kinder gewachsen sind. Was machen Sharon und die Mädchen?«, fragte der General. Dabei entging ihm nicht, dass der ehemalige Soldat nicht eine Faser von seiner Muskulatur verloren hatte. Der Händedruck war so als würde man einen gut eingestellten Industrieschraubstock schütteln. Es sah eher so aus, als ob O’Neal an Umfang zugenommen hatte; er bewegte sich wie ein Miniaturkampfpanzer, ein verkleinerter Tank. Horner fragte sich, ob der Soldat bei dem, was ihm in Kürze bevorstand, diese Kondition wohl würde halten können.

»Nun, den Mädchen geht es gut«, sagte O’Neal und schnitt dann eine Grimasse. »Sharon ist nicht sonderlich glücklich.«

»Ich habe schon gewusst, dass das für Sie beide hart sein würde«, sagte der General mit einem angedeuteten Lächeln, »und habe auch darüber nachgedacht, ehe ich Sie angerufen habe. Wenn es nicht wichtig wäre, hätte ich das auch nicht getan.«

»Und ich dachte, Generäle hätten Adjutanten, um unbedeutende Landser wie mich in Empfang zu nehmen«, sagte Mike und wechselte damit bewusst das Thema.

»Generäle haben Adjutanten, um Landser von wesentlich höherem Rang als Sie in Empfang zu nehmen.« Jack Horner runzelte die Stirn und war sichtlich froh, dass der andere das Thema gewechselt hatte.

»Na schön, dann zum Teufel mit Ihnen.« Mike lachte und reichte dem Offizier die Zigarrenkiste. »Ich will mal sehen, ob ich noch ein paar Ramars auftreiben kann.«

Zwischen Specialist O’Neal und dem damaligen Lieutenant Colonel Horner hatte sich auch im aktiven Dienst eine sehr enge Beziehung entwickelt. Der Colonel behandelte Mike häufig eher wie einen Adjutanten denn wie einen Fahrer. Der Specialist und spätere Sergeant wurde in die Familie des Colonel zum Essen eingeladen, und Horner erklärte ihm viele Gepflogenheiten des Militärdiensts sowie Stabsfunktionen, die normalerweise für gewöhnliche Soldaten immer ein Buch mit sieben Siegeln blieben. Mike andererseits erweiterte die Computerkenntnisse des Colonels und machte ihn mit Science Fiction vertraut. Der Colonel fand an dieser Art Literatur erstaunlich schnell Gefallen, wenn man bedachte, dass er derlei bisher noch nie gelesen hatte. Mike traf seine Auswahl freilich mit großer Sorgfalt und begann mit den modernen Autoren militärischer SF, um sein Interesse zu wecken.

Nachdem Mike den Militärdienst verlassen hatte, korrespondierten die beiden Männer weiter miteinander, und Mike verfolgte die Laufbahn Jack Horners. In den letzten drei Jahren war die Verbindung abgebrochen, hauptsächlich weil es zu einer Meinungsverschiedenheit hinsichtlich Mikes Karriere gekommen war. Horner hatte von Mike erwartet, dass dieser nach dem College die Offizierslaufbahn einschlagen würde, während Mike sich für Web-Design und Theorie interessierte und nebenbei schriftstellerisch tätig war. Der Colonel wollte Mikes Argumentation nicht akzeptieren, während Mike andererseits nicht akzeptieren konnte, dass Jack sich nicht mit einem klaren Nein abfinden wollte.

Manchmal hatte Mike durchaus das Gefühl, dass eine militärische Karriere für ihn sinnvoller gewesen wäre, aber er hatte auch miterlebt, wie die Anforderungen des Militärs das Leben zu vieler Offiziere bis zum Zerreißen strapaziert hatten. Als daher für ihn der Zeitpunkt kam, um sich neu zu verpflichten, war er aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und aufs College gegangen. Der ständige Druck, Offizier zu werden, insbesondere in den harten Jahren, als er gerade eine Familie gegründet hatte und nachdem Cally auf die Welt gekommen war, hatten ihn und seine Ehe belastet. Er konnte das Jack nie sagen, aber eigentlich hatte er sich von ihm erpresst gefühlt und deshalb die Beziehung einschlafen lassen.

Sharon hatte die Probleme, die Mike nur als Außenstehender mitbekommen hatte, am eigenen Leib erlebt. Ihre erste Ehe mit einem Marineflieger hatte in einer Scheidung geendet, und deshalb wollte sie unter keinen Umständen zulassen, dass Mike zum Militär zurückkehrte. Das Verhältnis zwischen Jack und ihm war beinahe so etwas wie ein Vater-Sohn-Verhältnis gewesen, und die Trennung hatte ihn sehr belastet, sodass ihm bei der Begrüßung eine Kleinigkeit gar nicht aufgefallen war: Jacks Rang.

»Lieutenant General?«, fragte Mike überrascht. Die Morgensonne spiegelte sich in den fünfzackigen Sternen seines neuen Rangs. Das Letzte, was Mike gehört hatte, war, dass Horners Beförderung zum Major General bevorstand. Die drei Sterne hätten erst eine ganze Anzahl Jahre später kommen sollen.

»Nun, wenn man sich genügend Mühe gibt ...«

O’Neal musste lächeln. »Was?«, erwiderte er. »In Anbetracht Ihrer allseits bekannten Ähnlichkeit mit Friedrich von Paulus fanden die wohl, dass Major General für Sie nicht gut genug ist?«

»Ich war bis vor vier Tagen Major General, Stabschef im achtzehnten Airborne Corps ...«

»Gratuliere.«

»... als man mich plötzlich für diese Geschichte herausgerissen hat.«

»Ist das im Hinblick auf den ›Rat und das Einvernehmen des Senats‹ nicht ein wenig schnell?«

»Der Rang ist rein titular«, sagte der Offizier ungeduldig, »aber ich weiß von höchster Stelle, dass die Beförderung bestätigt werden wird.« Er lächelte, als gäbe es da einen Witz, den nur er verstand.

»Ich hatte nicht gewusst, dass man ...«, setzte Mike an.

»Dafür haben wir jetzt keine Zeit, Mike«, fiel ihm der General mit einem Lächeln ins Wort. »Wir müssen Sie einweisen, und dazu brauchen wir einen sicheren Raum.«

Plötzlich sah Mike ein vertrautes Gesicht, das ihn davon überzeugte, dass es bei der Konferenz um Science Fiction gehen würde. Auf der anderen Seite der Rasenfläche, von einem ganzen Rudel Gestalten im Schwarz der Navy umgeben, stand ein bekannter Schriftsteller, der sich auf Marineschlachten spezialisiert hatte.

»Würden Sie mich eine Minute entschuldigen, Sir? Ich möchte mit David sprechen«, sagte er und wies auf den Schriftsteller.

General Horner sah sich kurz um und wandte sich dann wieder Mike zu. »Die bringen ihn wahrscheinlich zu derselben Besprechung; Sie beide können sich anschließend unterhalten. Vorher müssen wir noch eine ganze Menge erledigen, und der große Zirkus fängt um neun an.« Er legte Mike den Arm um die Schultern. »Kommen Sie, Mighty Mite, Zeit, vor die Kanone zu treten.«

Der abhörsichere Konferenzraum hatte keine Fenster, lag aber wahrscheinlich an einer Außenwand des Gebäudes; man konnte spüren wie von einer Wand Wärme abstrahlte. Eine weitere Wand zierte ein Gemälde eines Abrams Tanks, der gerade eine Böschung nahm und aus dessen Kanone Mündungsfeuer schoss; der Titel des Gemäldes war »Seventy-Three Easting.« Davon abgesehen war der Saal völlig schmucklos, keine Pflanze, kein anderes Gemälde, kein Fetzen Papier. Er roch nach Staub und alten Geheimnissen. Mike beendete seine Betrachtung, indem er sich einen der blauen Drehstühle schnappte und sich entspannt darauf niederließ, während General Horner ihm gegenüber Platz nahm. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, lächelte der General, ein breites Lächeln, das ihm eine starke Ähnlichkeit mit einem zornigen Tiger verlieh.

Mikes Miene verfinsterte sich weiter. »Ist es denn so schlimm?« Horner pflegte nur dann so zu lächeln, wenn die Fäkalien wirklich auf dem Siedepunkt waren. Das letzte Mal, als O’Neal dieses Lächeln zu Gesicht bekommen hatte, war das der Anfang einer sehr unangenehmen Reihe von Erlebnissen gewesen. Plötzlich bedauerte er es, dass er den Tabak aufgegeben hatte.

»Noch schlimmer«, sagte der General. »Mike, was Sie jetzt hören, bleibt auf alle Fälle unter uns, ob Sie sich jetzt zum Bleiben entschließen oder nicht. Darauf will ich jetzt sofort Ihr Ehrenwort.« Er lehnte sich in seinem Drehsessel zurück und gab sich entspannt, aber Mike konnte er damit nicht täuschen.

»Okay«, sagte Mike und beugte sich vor. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass dies der ideale Augenblick war, um eine alte Gewohnheit wieder aufzunehmen. Er öffnete die Zigarrenkiste, die er gerade dem General geschenkt hatte, und nahm sich ohne darum zu bitten eine Zigarre heraus.

Horner beugte sich in seinem Sessel vor und gab Mike Feuer. Dann lehnte er sich zurück und begann seine Erläuterungen.

»Sie und so ziemlich jeder andere Hundesohn, der jemals eine Uniform getragen hat, werden in Kürze einberufen werden.« Er lächelte immer noch, und jetzt ließ er dabei die Zähne sehen.

Mike war so benommen, dass er vergaß an seiner Zigarre zu ziehen. Er spürte, wie sein Magen revoltierte, und der kalte Schweiß brach ihm aus. »Was, zum Teufel, ist eigentlich los? Haben wir Krieg mit China oder was?« Er fing an zu ziehen, aber seine Überraschung war derart groß, dass seine Muskelkoordination nicht richtig funktionierte und er husten musste. Verärgert legte er die Zigarre weg und beugte sich vor.

»Das kann ich erst bei der Sitzung erklären«, sagte der General und steckte sein Feuerzeug weg. »Aber für den Augenblick habe ich einen Blankoscheck. Wenn Sie einsteigen, bekommen Sie sofort Ihr Offizierspatent ...«

»Geht das jetzt schon wieder los? Ich ...« Mike lehnte sich zurück und war kurz davor aufzustehen. Im Hinblick auf ihre früheren Auseinandersetzungen hätte der General nichts sagen können, was ihn mehr erregte.

»Hören Sie mir zu, verdammt noch mal. Sie können jetzt zurückkommen, als Offizier, und etwas bewegen, indem Sie mit mir zusammenarbeiten, oder Sie werden in ein paar Monaten ohnehin einberufen werden, aber dann als ganz gewöhnlicher Sergeant bei der Granatwerfertruppe.« Der General nahm sich selbst eine Honduras-Zigarre aus der Kiste und zündete sie fachmännisch an – den strengen Rauchverboten im Inneren des Gebäudes zum Trotz. Sie hatten beide häufig und auf die harte Tour gelernt, wann man auf Feinheiten achtete und wann man besser darüber hinwegsah.

»Herrgott, Sir, Sie haben mir das immerhin gerade vor die Füße geworfen.« Mikes normalerweise düstere Miene hatte sich jetzt so verfinstert, und seine Kinnmuskeln arbeiteten, dass man Sorge haben musste, seine Kinnlade würde abbrechen. »Ich habe schließlich ein Privatleben, wissen Sie das? Was ist mit meiner Familie, meiner Frau? Sharon wird an die Decke gehen!«

»Ich habe nachgesehen. Sharon war Offizier bei der Navy und wird ebenfalls einberufen werden.« Der Offizier mit dem silbernen Bürstenhaarschnitt lehnte sich zurück und versuchte, durch dichte Rauchwolken die Reaktion seines ehemaligen – und wie er hoffte auch zukünftigen – Untergebenen zu studieren.

»Himmel Herrgott, Jack!«, rief Mike, und seine beiden Hände fuhren in die Höhe. »Was ist mit Michelle und Cally? Wer kümmert sich um sie?«

»Das ist ein Thema, mit dem sich eines der Teams dieser Konferenz befassen wird«, sagte Horner und wartete darauf, dass die unvermeidliche Erregung des anderen sich legte.

»Lässt es sich einrichten, dass Sharon und ich zusammen stationiert werden?«, fragte Mike. Er deutete auf seine Zigarre und fing das Feuerzeug auf, das der General ihm zuwarf; dann zündete er seine Ramar erneut an. Zum ersten Mal in drei Jahren nahm er einen tiefen Zug an einer Zigarre und hatte das Gefühl, spüren zu können, wie das Nikotin seine Spannung etwas lockerte. Doch unvermittelt stieß er wütend eine Rauchwolke aus.

»Wahrscheinlich nicht ... ich weiß es nicht. Das ist alles noch nicht geklärt. Im Augenblick ist das alles noch improvisiert, und darum geht es auch bei dieser Konferenz: Wir müssen einiges zurechtbiegen.« Horner sah sich in dem Raum um und machte sich dann aus einem Blatt Papier einen Aschenbecher. Er schnippte Asche hinein und stellte das Gebilde dann in die Mitte zwischen sie beide.

»Um was geht’s denn? Ich weiß, das dürfen Sie mir nicht sagen, richtig? Geheim?« Mike studierte die rote Glut seiner Zigarre und sog dann wieder daran.

»Das darf ich nicht und ich spiele jetzt auch nicht Zwanzig Fragen mit Ihnen.« General Horner tippte mit dem Zeigefinger auf den Besprechungstisch und fixierte seinen ehemaligen Untergebenen mit finsterem Blick. »Das ist mein Angebot«, fuhr er fort und blies wieder eine duftende Rauchwolke aus. Der Raum hatte sich sehr schnell mit Zigarrenrauch gefüllt. »Diese Konferenz wird drei Tage dauern. Ich kann Sie als Technik-Spezialisten hier behalten, für ein Wahnsinnshonorar, für die Dauer der Konferenz, vielleicht eine Woche. Aber das tue ich nur, wenn Sie sich jetzt bereit erklären, das Offizierspatent anzunehmen. Und außerdem werden wir anschließend noch eine ganze Weile hier in strenger Klausur bleiben, vielleicht zwei Monate. Jede Verbindung mit Zuhause wird überwacht und zensiert werden ...«

»Augenblick mal, von Klausur haben Sie gar nichts gesagt!«, brauste Mike auf.

»Das Thema steht nicht zur Debatte, also gehen Sie dann besser gar nicht hin. Das ist eine persönliche Anweisung des Präsidenten. Oder Sie können jetzt nach Hause gehen und bekommen wie gesagt in ein paar Monaten Ihren Einberufungsbefehl nach Fort Benning als Sergeant.« Jack lehnte sich zurück, und sein Tonfall wurde lockerer. »Aber wenn Sie jetzt mitmachen, bekommt Sharon in einer Woche ihren Scheck für Ihren Einsatz als technischer Berater – ich kann das Geld aus dem Teamfonds anweisen –, und von dem Augenblick an bekommen Sie Offiziersgehalt, Stufe O2, mit sämtlichen Nebenleistungen, Krankenversicherung, Wohnzuschuss und so weiter.« Jack legte den Kopf zur Seite und wartete auf Antwort.

»Sir, schauen Sie, ich fange an Karriere zu machen ...« Mike fummelte an seiner Zigarre herum und musterte die Tischplatte, als könne sie ihm die Entscheidung abnehmen. Er brachte es nicht fertig, Horner in die Augen zu sehen.

»Mike, Sie dürfen mich jetzt nicht im Stich lassen. Ich hätte Sie nicht hierher geholt, wenn Sie dumm wären. Ich will das so klar und deutlich ausdrücken, wie ich das innerhalb meiner Vorschriften nur kann. Ich brauche Sie in meinem Team.« Wieder tippte er auf den Tisch. »Oder um es noch besser zu sagen, Ihr Land braucht Sie. Nicht um Science Fiction zu schreiben oder Websites zu entwickeln, sondern um Science Fiction zu machen. Unsere Art von Science Fiction.«

»Science Fiction machen ...« Und dann begriff er plötzlich. Der andere Schriftsteller hatte sich auf Marineschlachten konzentriert. Weltraum-Marineschlachten, nicht »nasse« Marine.

Mike schloss die Augen. Als er sie wieder aufschlug, starrte er in ein Paar blaue Augen, die so eisig kalt waren wie die Nacht zwischen den Sternen.

The earth is full of anger,The seas are dark with wrath,The nations in their harnessGo up against our path:Ere yet we lose the legions –Ere yet we draw the blade,Jehovah of the Thunders,Lord God of Battles, aid!

– Rudyard Kipling

Die Erde ist voll Wüten, die Meere dunkel von Zorn. Die Völker in blanker Wehr, Sie stellen sich uns in den Weg. Doch bevor wir Legionen entfesseln, eh’ noch die Klinge wir zieh’n: Jehova, Herr des Donners, Herr Gott der Schlachten, hilf.

Das abhörsichere Telefon auf der riesigen Schreibtischplatte des Kommandanten von Joint Special Operations Command summte, und er warf das Schriftstück, das er mit Randbemerkungen versehen hatte, auf einen Stapel ähnlicher Dokumente.

»JSOC ...«, er sprach es JAY-SOCK aus, »... General Taylor.« Der Raum war geschmackvoll eingerichtet, und eine ganze Wand war die mit Verleihungsurkunden von Auszeichnungen, Schlachtgemälden und Ernennungsurkunden bepflastert. Den Boden bedeckte dunkelblauer Teppichboden, und die Tapete war farblich darauf abgestimmt, aber der Anblick, den er hatte, bestand nur aus Mauern. Der Raum lag tief im Inneren eines völlig kahlen Betonbaus, einem von mehreren ähnlichen Bauten in Fort Bragg, North Carolina.

Joint Special Operations Command war das Produkt einer Katastrophe. Die Geiselkrise von Teheran hatte gezeigt, dass die einzelnen Waffengattungen in geradezu katastrophalem Ausmaß unfähig waren, effektiv zusammenzuarbeiten und ihre Einsätze zu koordinieren. Spezialeinsätze erfordern ein Maß an Koordination und Ausbildung, wie es reguläre Einheiten einfach nicht darstellen können. Man hatte, um nur ein Beispiel zu erwähnen, den Wetterspezialisten von Desert One nicht exakt gesagt, wo die Flüge hinführen würden, und deshalb hatten sie die Planer nicht vor den Staubstürmen warnen können, denen sich die Hubschrauber dann ausgesetzt sahen. Die Piloten vom Marine Corps, durchaus fähige und einsatzbereite Männer, waren für einen Einsatz dieser Intensität nicht ausreichend ausgebildet gewesen, was bekanntermaßen zu den als »Pilotenirrtum« gekennzeichneten Abstürzen am Einsatzort und anderen Pannen geführt hatte.

Diese äußerst kritischen Pannen im Bereich der Kommunikation, der Aufklärung und der Ausbildung, die tragende Säulen jeglichen Militäreinsatzes bilden, hatten ergeben, dass man die verschiedenen Spezialdienste der einzelnen Waffengattungen unter einer Schirmherrschaft zusammengefasst hatte. Joint Special Operations war das Produkt dieser Bemühungen. JSOC lieferte den Generalplan und die Ausführungsvorschriften für die Einsätze von Special Forces und Rangers in Panama, die Aufklärungseinsätze in Bagdad und die SEAL-Einsätze in beiden Golfkriegen. Inzwischen war die Befehlsstelle zu einer regulären Kommandoeinheit gereift und jederzeit imstande, überall auf dem Globus die richtigen Einheiten zum richtigen Zeitpunkt für Spezialeinsätze bereitzustellen. Jetzt freilich stand ihnen ein Einsatz außerhalb dieser Parameter bevor.

»General Taylor, ich bin’s, Trayner«, sagte die kalte Stimme am Telefon.

»Und was darf JSOC heute für den stellvertretenden Stabschef tun?«, fragte General Taylor, lehnte sich zurück und starrte ohne richtig zu sehen auf das Bild an der gegenüberliegenden Wand: eine Reihe blau uniformierter Soldaten, die aus dem Nebel heraus eine ähnliche Reihe grau gekleidete Soldaten angriff.