Invasion - Die Rettung - John Ringo - E-Book

Invasion - Die Rettung E-Book

John Ringo

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Beschreibung

Sieg oder Niederlage?

Die Menschheit steht vor dem alles entscheidenden Krieg gegen die Außerirdischen. Alles, was noch zwischen den Posleen und der letzten Bastion Amerikas steht, ist die kampferprobte 555. Infanterie unter Major Michael O’Neal. Doch er und seine Jungs sitzen im Rabun Pass fest und sind von den Aliens umzingelt. Stellt sich die Frage, was zuerst ausgeht: Kraft, Kugeln oder Soldaten? Ihre einzige Hoffnung ist die „Bun-Bun“, die man mit den neusten Waffentechnologien aufgerüstet hat. Aber wird ein Schiff reichen, um die Posleen-Horden fertigzumachen?

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Seitenzahl: 572

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JOHN RINGO: INVASION

Bd. 1: Der Aufmarsch Bd. 2: Der Angriff Bd. 3: Der Gegenschlag Bd. 4: Die Rettung Bd. 5: Heldentaten Bd. 6: Callys Krieg

JOHN RINGO: DIE NANOKRIEGE

Bd. 1: Der Zusammenbruch

Inhaltsverzeichnis

WidmungProlog1 - In der Nähe von Asheville, North Carolina, Sol III2 - Rabun Gap, Sol III3 - Rabun Gap, Sol III4 - In der Nähe von Willits, North Carolina, Sol III5 - In der Nähe von Rabun Gap, Georgia, Sol III6 - Rabun Gap, Georgia, Sol III7 - In der Nähe von Persimmon, Georgia, Sol III8 - Rabun Gap, Georgia, Sol III9 - Rabun Gap, Georgia, Sol III10 - Green’s Creek, North Carolina, Sol III11 - Green’s Creek, North Carolina, Sol III12 - Clarkesville, Georgia, Sol III13 - Knoxville, Tennessee, Sol III14 - Green’s Creek, North Carolina, Sol III15 - Green’s Gap, North Carolina, Sol III16 - Iotla, North Carolina, Sol III17 - Porter’s Bend, North Carolina, Sol III18 - Porter’s Bend, North Carolina, Sol III19 - Porter’s Bend, North Carolina, Sol III20 - Franklin, North Carolina, Sol IIIEpilogNachwort des AutorsDanksagungAnmerkung des ÜbersetzersDie Dienstgrade und Kampffahrzeuge der PosleenGlossarCopyright

Widmung:

Für die Barflies. Hier. Es ist vollbracht. Und jetzt lasst mich in Frieden! ☺

Prolog

Monsignore Nathan O’Reilly musste zugeben, dass die Position eines Beraters der Präsidentin der Vereinigten Staaten sowohl gute wie auch schlechte Aspekte hatte. Zu den guten, um nicht zu sagen ausgezeichneten Aspekten gehörte es, dass sich sein Zugang zu den beschränkten geheimdienstlichen Erkenntnissen der Präsidentin hinsichtlich der »Wohltäter« der Menschheit geradezu dramatisch vergrößert hatte. Ein Großteil davon war der Bane Sidhe bereits zugänglich gewesen, vermutlich weil sie sich Zugang zu menschlichen Computernetzen verschafft hatten. Aber für die Société war es nützlich, sowohl ihre alten »Verbündeten« unterstützen zu können wie auch, zugegebenermaßen, sicherstellen zu können, dass sie nicht an der Nase herumgeführt wurden.

Der negative Aspekt bestand natürlich darin, dass paranoide halb professionelle und echte Verschwörungstheoretiker davon ausgingen, dass ein Jesuit als Berater der Präsidentin der beste Beweis für eine weit reichende Verschwörung war, welche die Pyramiden, den versunkenen Erdteil Atlantis, Aliens und antike Astronauten einschloss. Die paranoiden Profis und die Sicherheitsbeamten von FBI, CIA sowie der nationale Sicherheitsdienst (NSA) und andere Agenturen wussten, dass es keine in die Antike reichenden Verschwörungen gab. Und wer trotzdem darauf bestand, dass Monsignore Nathan O’Reilly, PhD, Berater der Präsidentin für galaktische Anthropologie und Protokoll, Teil einer jahrtausendealten Verschwörung war, konnte damit rechnen, sich in Kürze in einer Gummizelle zu finden.

Und das war recht zweckmäßig, da in seinem Fall die Spinner ja in Wirklichkeit Recht hatten.

Aber seine Position verschaffte ihm auch zugleich im Umgang mit bestimmten Kategorien von Leuten gewisse Vorteile. Wie beispielsweise seinem augenblicklichen Besucher.

Ehe er aus dem Special-Operations-Kommando der Vereinigten Staaten desertiert war, war Lieutenant Commander Peter Left ein mittelgroßer Mann mit dem Körperbau und dem Charisma eines blonden, blauäugigen Halbgottes gewesen. O’Reillys jetziger Besucher war hingegen beinahe unsichtbar: braunes Haar, braune Augen, dem Ansehen nach schmächtig gebaut und mit einem Gesicht ohne den Filmstarcharme des Commanders. Die üblichen für jeden Besucher von Cheyenne Mountain obligatorischen Identifizierungsscans hatten sogar andere Handabdrücke, IR-Muster, Stimmabdrücke, Netzhautmuster und sogar DNA angezeigt. Dennoch zweifelte Monsignore O’Reilly nicht im Geringsten daran, dass er gerade mit dem Mann sprach, der in der Kommandokette der Cyberpunks an dritter Position stand.

Bis jetzt lief das Gespräch nicht gut. Unbeschadet jeglicher Interessenkonvergenz zwischen ihnen und der Société war es erklärtes Ziel, wenn nicht Daseinszweck der Cybers, die Verfassung der Vereinigten Staaten gegen die Darhel und die mit ihnen verbündeten Politiker zu verteidigen. Das Bündnis und die aus ihm hervorgegangenen Ordensvereinigungen hatten keinerlei Grundlage in jenem ehrwürdigen Dokument – keinen Vertrag, keinen Verfassungsartikel, keinen Verfassungszusatz – und standen daher in Geist und Gesetz in völliger Opposition dazu. Und das hatte Left ihm gerade zwar ruhig, aber hochgradig wütend erklärt.

»Als wir unseren Vorgesetzten Beweise für die Absichten der Darhel vorlegten, war offenkundig, dass sie kompromittiert worden waren. Deshalb mussten wir uns außer Sanktion begeben; es gab niemanden mehr, dem wir gehorchen konnten. Wenn wir jetzt anfangen, Anweisungen von irgendeiner nebulösen, von den Galaktern kontrollierten Verschwörung entgegenzunehmen, sind wir ja noch schlimmer als die, die wir bekämpfen. Ihr Vorschlag ist offen gestanden schlichtweg beleidigend.«

»Die Société wird nicht ›von Galaktern kontrolliert‹«, erklärte O’Reilly und lächelte. »Wir sind unabhängig von der Bane Sidhe. Aber jede Gruppe verfügt über besondere Stärken, die sich gegenseitig ergänzen. Die Bane Sidhe versorgen uns mit geheimdienstlichen Erkenntnissen und verschaffen uns Zugang zu galaktischer Technologie …«

»… und Sie versorgen die Bane Sidhe mit Auftragskillern«, ereiferte sich Left. »Die Darhel vertuschen ihre Aktionen wenigstens nicht mit hochgestochenem Geschwätz. Bloß weil die Galakter nicht imstande sind, ihre Meuchelmorde selbst zu erledigen, heißt das noch lange nicht, dass wir ihre Schoßhündchen sein müssen.«

O’Reilly fixierte den Cyberpunk mit einem durchdringenden Blick. »Okay, Sie arroganter Esel. So wollen Sie es also spielen? Sie und Ihre grandiose Verfassung, die in Wirklichkeit mausetot ist, wenn wir es nicht schaffen, die Elfen loszuwerden? Sie tasten im Dunkeln herum und suchen nach Antworten, die wir schon besaßen, als Gilgamesch noch in den Windeln lag! Ich kann Ihnen das persönliche Tagebuch von Marcus Antonius zeigen, Zenturio der Vierzehnten Römischen Legion, einem der kaltblütigsten Killer in der gesamten Geschichte der Menschheit, der sich in seinen persönlichen Aufzeichnungen bitter darüber beklagte, dass die Menschen so oft miteinander im Zwist lagen, wo sie doch in Wirklichkeit ihre Kräfte gegen die Darhel bündeln sollten, die Alten, wie er sie bezeichnete.

Sie wollen ›Amerika‹ und seine grandiose Verfassung retten, eine Verfassung, die zum Teil von Mitgliedern der Société verfasst wurde. Die Société hat ein einziges Ziel: Sie will sicherstellen, dass die menschliche Rasse gedeiht und sich von den Darhel befreit! Und im Augenblick sind die Darhel die größte Bedrohung für diese Verfassung. Werden Sie also mit uns zusammenarbeiten oder werden wir weiter im Schatten herumrennen und uns gegenseitig bekriegen? Das ist die Wahl, die Sie haben. Ein binäres Problem. Lösen Sie es.«

Der Commander musterte ihn einen Augenblick lang ruhig und nickte dann. »Schön. Was wollen Sie, und was sind Sie bereit dafür zu geben?«

»Sie haben insofern Recht, als in erster Linie Personal für direktes Handeln benötigt wird.« O’Reilly nickte. »Dieser Krieg hat unseren Personalbestand reduziert, und wir brauchen Teams, Teams, die auf Abruf bereitstehen …«

Left schüttelte den Kopf. »Wir können nicht direkt gegen die Darhel handeln. Das würde den Bund verletzen. Auch wenn der Bund vielleicht die Verfassung nicht unmittelbar unterstützt, sind wir doch der Ansicht, dass er im langfristigen Interesse aller liegt.«

»Dieser Bund und was Sie tun, um ihn herbeizuführen, hat mich an Ihnen beeindruckt«, sagte O’Reilly. »Obwohl ich der Ansicht bin, dass Sie zu kurz gesprungen sind. Fünf Darhel für General Taylor ist ein schlechter Tausch. Fünfzehn. Zwanzig. Hundert, wenn möglich.«

»Zu dieser Ansicht neige auch ich«, meinte Commander Left mit einem dünnen Lächeln. »Aber fünf war das Maximum, was uns ohne übertriebene … Schlamperei möglich war. Wir sahen diese ›Schlamperei‹ als Ausgleich dafür an, dass man uns den Hackerangriff auf das Zehnte Korps in die Schuhe geschoben hat. Falls oder wenn wir die Lektion wiederholen müssen, wäre fünf das Maximum, das wir garantieren können. Und da sie bereit wären, gelegentlich einen wichtigen Soldaten im Austausch für fünf hochrangige Darhel zu töten, haben wir unzweideutig erklärt, dass es totalen Krieg gibt, wenn die Person konkret beschützt wird. Aber der springende Punkt ist, dass wir nicht gegen die Darhel vorgehen können. Wozu würden Sie also Teams brauchen?«

»Es gibt andere Maßnahmen, die den ›menschlichen‹ Touch brauchen. Beispielsweise der diskrete Schutz ausgewählter Individuen. Das geheimdienstliche Material, das wir über die Absichten und Pläne der Darhel bekommen, ist eigentlich recht gut, und deshalb können wir häufig gezielte Tötungen verhindern. Aber dazu brauchen wir geschultes Personal, ausgebildete Killer, um es klar zu sagen. Und gelegentlich erweist es sich als notwendig, an schwer zugänglichen Orten einzugreifen.«

»Waren Sie im Voraus über die Ermordung General Taylors informiert?«, fragte Left leise.

O’Reilly nickte. »Gewisse Zellen waren im Voraus informiert, verbunden allerdings mit der Warnung, dass die Quelle bekannt werden könnte, wenn diese Information benützt werden sollte. Unter Abwägung aller Gegebenheiten, wäre es keine gute strategische Entscheidung gewesen, General Taylor zu schützen und möglicherweise dabei die Quelle zu verlieren. Also haben wir es zugelassen, dass die Tat ausgeführt wurde.«

Lefts Züge strafften sich. »Wie Churchill und das Bombardement von Coventry. Ich verstehe die Logik, aber die Cybers sind entschieden gegen ein solches Maß von Realpolitik. Sie sollten es sich offen gestanden noch einmal überlegen, ob Sie sich mit uns verbünden wollen. Wenn es dazu kommt, erwarten wir ein höheres Maß an … moralischen Erwägungen, Jesuit. Nennen Sie uns meinetwegen Paladine, aber wenn Sie Realpolitik spielen und eines unserer Teams fallen lassen oder zulassen, dass einer von unseren Leuten stirbt, werden wir Sie gnadenlos jagen. Also, wie steht’s, wollen Sie immer noch?«

»Ja«, seufzte O’Reilly. »Wir haben gründlich über diesen Cyber-Ethos, wie wir es nennen, diskutiert. Es gab Stimmen, dass wir uns damit arrangieren können. Einige Quellen werden auf die Weise größeren Gefahren ausgesetzt sein, aber wenn nötig, müssen sie sich eben von uns trennen, und wir bergen sie anschließend. Wir verlieren die laufende Information, aber nicht die Quelle.«

»Bedauerlich, aber es geht einfach nicht an, dass Sie Menschen wie Schachfiguren benutzen«, erklärte Left kühl. »Politiker, die so gehandelt haben, sind schuld, dass es so weit mit uns gekommen ist.«

»Andere«, fuhr O’Reilly fort, »waren der Ansicht, dass wir uns aus ebendiesem Grund nicht mit Ihnen verbünden sollten. Das kam in erster Linie aus gewissen Gruppierungen der Bane Sidhe, den Tongs und den Franklins. Wenn Sie Realpolitik in Verbindung mit faulen Tricks haben wollen, dann kann ich Ihnen nur die Franklins empfehlen; im Vergleich zu denen werden einem die Darhel richtig sympathisch. Der dritte Standpunkt aus verschiedenen Gruppierungen der Bane Sidhe, der Société und anderen Gruppen der Heiligen Kirche lief darauf hinaus, dass dies ein erfrischend moralischer Standpunkt sei und dass die langfristigen Vorteile alle kurzfristigen Konsequenzen überwiegen.«

»Du liebe Güte«, sagte Left und lachte, »wie viele Gruppen gibt es denn bei Ihnen?«

»Eine ganze Menge, wie es scheint.« Der Monsignore lächelte. »Wo es eine Zivilisation von auch nur einigermaßen Substanz gibt, werden Sie auch irgendwo in den Ritzen und Fugen die Bane Sidhe finden.«

»Okay, Sie brauchen also Killer und Leute, die man gegen Killer ansetzen kann. Was kriegen wir?«

»Oh, wir werden auch andere Wünsche an Sie herantragen«, räumte O’Reilly ein. »Dass jemand, der auf Plakaten im ganzen Land gesucht wird, auf denen ›Gesucht, tot oder lebendig‹ steht, hier ungehindert die Kommandozentrale betreten kann, beweist ja, wozu die Cybers fähig sind.«

Um diese Fähigkeiten zu unterstützen, bot O’Reilly »saubere« AIDs an, die die Cybers studieren konnten. Zugang über Indowy-Kontakte zu sämtlichen Datenspeichern der Flotte und Profilgeneratoren, um es den Cybers leichter zu ermöglichen, brauchbare Kandidaten ausfindig zu machen. Zugang zu den Safe Houses der Société in jeder noch überlebenden Großstadt und sogar off-planet. »Waffen, Geld, Dokumente, Sie brauchen es nur zu sagen, dann können wir es liefern.«

»Und – Mann – alles, was wir zu tun haben, um all diese Schätze zu bekommen, ist völlig Fremde zu töten«, sagte Left und schüttelte den Kopf. »Ich werde Ihren Vorschlag an höchster Stelle unterbreiten. Aber es gefällt mir überhaupt nicht, dass die Indowy so viele Ihrer Zellen kennen. Wir werden keine hochrangigen Verbindungen zu ihnen zulassen: Wenn ich einen Indowy zu sehen bekomme, dann betrachten wir die Brücke als verbrannt. Ist das klar?«

»Ja, das ist klar.« Der Monsignore nickte. Und dann lächelte er: »Eine Frage: Haben Sie immer noch Frauen in Ihrer Organisation?«

»Ein paar«, räumte Left ein. »Die Cyber-Ausbildung ist zwar in erster Linie physischer Natur, aber sie gilt genauso dem Verstand wie dem Körper. Warum fragen Sie?«

»Ach, nur so ein Gedanke.« O’Reilly schmunzelte. »Die Société ist um langfristige Perspektiven bemüht, und wir sprachen kürzlich über die Aufnahme neuer Mitglieder. Zufällig haben wir gerade einen Einsatz von hoher Priorität. Ich erwähnte doch schwer zugängliche Orte, oder?«

1

In der Nähe von Asheville, North Carolina, Sol III

0215 EDT, 28. September 2014

Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dort, du habest sie liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.

Inschrift bei Thermopylae– Simonides von Ceos

Major Michael O’Neal warf einen Blick auf die holografische Darstellung, die er aufgerufen hatte, und nickte, als das Banshee nach rechts abkippte und in Landeanflug überging; jetzt fing der Spaß an.

Der Shuttle, in dem er saß, sah aus wie ein schwarzer Säbel, der wie eine Sense über den wolkigen Appalachenhimmel strich. Aus der Kombination menschlicher, Indowy- und Himmit-Technologie war etwas entstanden, das weder das Beste noch das Schlimmste von drei Welten darstellte, ein Flugzeug, das in gewisser Weise getarnt, in gewisser Weise gepanzert, in gewisser Weise manövrierfähig und in gewisser Weise schnell war.

Wenn man es freilich mit einem Produkt rein menschlicher Technologie verglich, war das Banshee III ein Wunderwerk der Technik, für dessen Beschreibung Worte nicht ausreichten. Die Tarnkappenshuttles hatten einen recht ereignisarmen Flug gehabt, bis sie im Bereich des südlichen Shenandoah eingetroffen waren. Die Posleen-Invasoren, die praktisch die gesamten atlantischen wie auch die pazifischen Küstengebiete in ihre Gewalt gebracht hatten, waren dort in einem massiven Vorstoß bis nach Staunton vorgedrungen. Und das machte es notwendig, dass die säbelförmigen Flugzeuge auf Horizonthöhe heruntergingen und mit Ausweichmanövern begannen.

Im Laufe der letzten fünf Jahre waren die Posleen in mehreren Wellen überall auf der Welt gelandet und hatten praktisch sämtliche Verteidigungsstellungen überrannt. Die wenigen Überlebenden in Westeuropa drängten sich jetzt in den Alpen zusammen und hatten alle Mühe, in den Hochtälern ein einigermaßen menschenwürdiges Dasein zu fristen. Der Nahe Osten, Afrika sowie der größte Teil Südamerikas befanden sich entweder in der Hand der Posleen oder in einem Zustand derartiger Anarchie, dass nicht einmal mehr Radiomeldungen herauskamen. Die einzigen Überlebenden in Australien vegetierten in den Territorien im äußersten Westen des Kontinents und in den Wüsten des Landesinneren in einer Art post-apokalyptischem Albtraum-Dasein. China war untergegangen, nachdem das chinesische Militär auf seinem langen Rückzug durch das Tal des Jangtse fast tausend Atomwaffen gezündet hatte. Andere überlebten in den Hochlandregionen der Welt und hielten dort Pässe gegen den Feind. Aber nur wenige jener verstreuten Gruppen bildeten eine zusammenhängende Verteidigungsfront. Die Zivilisationen der Erde waren nacheinander überall von den brutalen Invasoren besiegt worden. Mit einer kleinen Ausnahme.

In den Vereinigten Staaten hatte es eine Kombination aus glücklichen geographischen Umständen – die Posleen neigten dazu, auf den Küstenebenen zu landen, und die USA verfügten über zur Verteidigung geeignete Terraingegebenheiten hinter den Küstenebenen – und offen gestanden logistischer und politischer Vorbereitung der US-Regierung ermöglicht, die Kontrolle zu behalten und in einigen Gegenden sozusagen einen Zustand »häuslicher Harmonie« zu bewahren. Die vitalsten dieser Regionen waren infolge ihrer industriellen Potenz und ihrer natürlichen Ressourcen das Cumberland- und das Ohio-Becken. Die riesigen Ebenen von Zentralkanada waren noch sicher und würden das auch bleiben, solange man den Posleen überhaupt Widerstand leistete, weil die Posleen beinahe unfähig waren, im Schnee zu kämpfen. Aber jene Ebenen und die verschiedenen noch unter menschlicher Kontrolle stehenden westlichen Bereiche, angefangen bei der Sierra Madre bis hinauf zu den kanadischen Rockies, konnten nur schwache Ernten liefern, in erster Linie Getreide. Außerdem gab es dort im Vergleich zu Cumberland und Ohio kaum industrielle Infrastruktur.

Das Cumberland-Becken, das Ohiotal und die Region um die großen Seen waren das Herz und die Seele der Verteidigung der Vereinigten Staaten. Ein Verlust des Cumberland-Beckens würde darüber hinaus dazu führen, dass die ganze Region offen und ungeschützt dem Eroberer preisgegeben war.

Und das alles hatten die Posleen mit einem einzigen massiven Vorstoß in äußerste Gefahr gebracht. Jahrelang hatte man erwartet, dass der entscheidende Schlag bei Chattanooga erfolgen würde. Dieses Bataillon und andere hatten die über die ganze Appalachenkette verteilten Städte verteidigt, jedes von ihnen war irgendwann einmal massiv vom Feind angegriffen worden. Nur vor wenigen Wochen hatte das Bataillon auf der Ontario-Ebene eine gewaltige Schlacht geschlagen. Aber diesmal hatten die Posleen alle verblüfft und einen Schlag gegen einen wenig beachteten und nur leicht verteidigten Sektor geführt und damit die Verteidigung der gesamten Ostflanke der USA ins Wanken gebracht.

O’Neal und seine Verbände hatten den Süden von Pennsylvania und West Virginia überflogen, ohne dass es zu Zwischenfällen gekommen war. Aber als sie sich jetzt der zerklüfteten Landschaft von West Virginia, North Carolina und Tennessee näherten, war es Zeit, tiefer zu gehen und auf der Hut zu sein.

Sie näherten sich dem Gebiet, in dem die Posleen im Vormarsch waren oder sogar bereits den Appalachen-Wall überwunden hatten. Das Bataillon würde gezwungen sein, zwischen zwei Heersäulen der Posleen zu fliegen; neben den auf die Rabun-Lücke vorrückenden Posleen drängten die Aliens von zwei Seiten auf Waynesville zu. Wenn es ihnen gelang, die Stadt von hinten zu erreichen, war ihr Ende nicht mehr abzuwenden. Auf jener Flanke würden die Berge oberhalb von Waynesville der Schlüssel sein, aber das war ein Problem, um das andere sich kümmern mussten; die einzige Sorge des First Battalion 555th Infantry war, als »Stöpsel« zu überleben.

O’Neal nickte erneut, als er schwach spürte, dass die Maschine seitlich abbog. Die Shuttles verfügten über einen Hauch von Trägheitskompensation, um die Auswirkungen ihrer Kurskorrekturen zu mildern. Zu viel, und sie würden für die Posleen wie Glühbirnen sichtbar sein. Zu wenig, und sie würden ihre Passagiere zu Mus zerquetschen. Mike schaltete auf Außenbild und konnte im Licht des zunehmenden Mondes die Berge über sich vorbeihuschen sehen; die Shuttles flogen in einem Tal, rasten an der Talsohle entlang, und zu den Menschen drang nur ein gelegentliches Zittern durch.

Kurz darauf gingen sie wieder in Steigflug über, und dies bei einer Fluggeschwindigkeit von über fünfhundert Knoten – und nicht viel mehr als dreißig Meter über der Erde. Die Shuttles jagten blitzschnell zur nächsten Kammlinie empor und ließen sich dann in einem völlig unmöglich erscheinenden Manöver auf der anderen Seite exakt parallel zum Abhang wieder hinunterfallen. Ihre Geschwindigkeit veränderte sich dabei überhaupt nicht; sie blieb exakt fünfzig Stundenkilometer unter der Schallgeschwindigkeit.

Mike registrierte einen weiteren Checkpoint und sah nach links. Irgendwo dort draußen lag Asheville, wartete auf das Morgengrauen eines neuen Tages, eine Stadt, die immer noch von über einer Million Zivilisten und sechs Divisionen Infanterie bewohnt war. Dahinter lagen zwei SubUrbs mit insgesamt etwa fünf Millionen Seelen. Und das alles zwischen den Backen eines Nussknackers.

Er seufzte und rief per Knopfdruck eine Sammlung von Liedern auf; in solchen Zeiten schien ein wenig Musik angemessen.

Es konnte ja nicht schaden, das Leid mit den anderen zu teilen.

»Was zum Teufel ist das denn?«, fragte Lieutenant Tommy Sunday, als über die Kommandofrequenz plötzlich eine fremdartige Melodie hereinkam.

»›Don’t Pay The Ferryman‹«, erklärte SPC Blatt. Die Vorderseite des Sensenmanns zierte ein holographischer Teddybär in Dunkelrot und Pink, und der sprang jetzt auf und fing zu tanzen an, ließ seinen kleinen dicken Bauch im Takt der Musik kreisen. »Der Alte muss jetzt ja echt deprimiert sein.«

Die Sensenmänner waren die mit schweren Waffen ausgestatteten Anzüge des GKA-Bataillons. Sie waren für indirekten Beschuss auf große Distanz oder Support im Nahbereich konstruiert und im Allgemeinen mit vier Waffen (im Gegensatz zu dem einen Gewehr der Marauders) ausgestattet. Je nach Konfiguration reichte die Ausrüstung von schweren Gravkanonen für den Einsatz gegen feindliche Schiffe über Automörser bis hin zu Flechette-Kanonen, die Millionen von Geschossen pro Minute ausspeien konnten.

Die Anzüge der Sensenmänner waren klobiger und somit langsamer als die Standardanzüge und wirkten daher ein wenig korpulenter als die eher »muskulös« aussehenden Marauder, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ihre Waffen wesentlich größere und schwerere Munition benötigten, als das bei den Marauders der Fall war, hatte das große Vorteile. Der Nachteil bestand darin, dass die Panzerung bei ihnen leichter war; direkte Auseinandersetzungen auf kurze Distanz mit den Posleen gingen daher für sie meist fatal aus.

»Herrgott«, schimpfte PFC McEvoy und rieb sich den fast kahlen Schädel. Er hatte die Handschuhe abgelegt, und seine Hände erzeugten auf den kurzen, dicken Stoppeln ein scharrendes Geräusch. Dann beugte er sich so weit vor, wie es ging, und sah auf die Türe vorn im Abteil. »Ich hoffe, wir kriegen jetzt nicht die ganze ›Wir werden alle STERBEN!‹-Sammlung zu hören. Wenn ich auch nur noch einmal ›Veteran Of The Psychic Wars‹ höre, fange ich an zu kotzen.«

Die Shuttles waren klein, für sechsunddreißig Soldaten und zwei »Führer« gebaut, ohne ihnen besonderen Komfort zu bieten. Jedes »Anzugsegment« war starr, mit Klampen, um die Anzüge auch bei extremen Manövern festzuhalten und darüber hinaus so konstruiert, dass sie die Soldaten blitzschnell herumdrehen und in eine feindliche Umgebung hinausschleudern konnten. Demzufolge waren die Sitzverhältnisse nicht gerade übertrieben komfortabel.

»Nee«, konterte Blatt. »Als Nächstes kommt James Taylor. Da wette ich fünf Creds drauf.«

»Damit kriegst du mich nicht dran«, erwiderte McEvoy. »Wie ich höre, war die Tochter des Alten im Gap.«

»Ach, leck mich doch«, sagte Blatt und schüttelte den Kopf. »Ist ja beschissen.«

»Die ist ganz schön taff.« McEvoy beugte sich vor, um in seinen Helm zu spucken. »Sein Dad übrigens auch, nach allem, was ich höre. Vielleicht kommen sie durch.«

»Höchst fraglich«, meinte Sunday und blickte von seinem Hologramm auf. »Nach den seismographischen und den EM-Daten hat es in der Umgebung des Gap mehrere Explosionen von Kernwaffen gegeben. Und jetzt sind wir dabei, die Gegend äußerst unangenehm zu machen.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass wir schon Nukes einsetzen, Sir«, meinte Blatt. Er streifte gerade seine Handschuhe über, als ein Timer in seinem Anzug klingelte. »Zwanzig Minuten.«

»In letzter Zeit schon«, erwiderte Tommy und stülpte sich den Helm auf. »Aber hier scheint es sich um Sekundärexplosionen zu handeln.«

»Oh, dann ist’s ja gut«, meinte Blatt. »Solange die nicht für uns gedacht sind oder so …«

»Yeah«, pflichtete McEvoy ihm bei. »Als ich mir das letzte Mal über Nukes den Kopf zerbrochen habe, haben mich das erste Mal welche erwischt.«

»Irgendwelche Empfehlungen?«, fragte der Lieutenant.

»Flach hinlegen«, lachte Blatt.

»Yeah, das Schlimmste ist, wenn man davon rumgeschmissen wird.«

»Ich hätte gedacht, das Schlimmste wäre, wenn einem die Arme und die Beine abgerissen werden«, bemerkte Tommy.

»Na ja, der Einzige, der so was wirklich aus der Nähe überlebt hat, ist der Alte, Sir«, gab Blatt zu bedenken. »Aber so nah möchte ich wirklich nicht dran sein; wenn einem ein Arm weggerissen wird, tut’s echt weh.«

»Richtig«, nickte Tommy. »Das kenne ich.«

Der Lieutenant war neu bei den Gepanzerten Kampfanzügen, aber Kampfhandlungen hatte er genug miterlebt; bis vor ein paar Wochen war er Sergeant bei den Zehntausend gewesen, nach den Anzügen der besten Eliteeinheit, über die die Verteidiger verfügten. Die Zehntausend waren mit erbeuteten Posleen-Waffen und anderem hochwertigem Gerät ausgestattet und wurden von einem Krisenpunkt zum nächsten gebracht. Auf die Weise hatte Tom Sunday junior in diesem Krieg, wenn man einmal von den GKA absah, mehr erlebt als irgendein anderer Soldat. Und er hatte es geschafft, das alles zu überleben und zum Staff Sergeant aufzusteigen. Das sprach ebenso für seine Vielseitigkeit wie auch die Fähigkeit, dann in Deckung zu gehen, wenn die Kacke wirklich am Dampfen war. Aber selbst den besten Soldaten konnte hie und da passieren, dass die Gesetze der Statistiken sich gegen sie verschworen.

»Welcher, Lieutenant?«, fragte McEvoy. Der Offizier war neu bei ihnen, und sie hatten noch kaum Gelegenheit gehabt, ihn kennen zu lernen.

»Der Rechte, dicht über dem Ellbogen«, sagte der Lieutenant. Er hatte den Helm auf, und deshalb konnte man nicht erkennen, wo er hinsah, aber McEvoy war sich ziemlich sicher, dass sein Blick direkt auf ihn gerichtet war.

»Ah«, nickte er. »Ich wollt’s bloß wissen.«

»Sie haben Recht«, fuhr der Lieutenant fort. »Es tut scheußlich weh. Aber weh tut es auch, wenn man ein Flechette aus einer Schrotflinte in die Brust bekommt. Oder wenn einem die rechte Niere von einem 3-mm zerdeppert wird, das zum Glück zu schnell durchging, um viel Schaden anzurichten. Und dann ist’s ganz schön beschissen, wenn einen die eigene Kompanie mit Mörserfeuer bepflastert. Oder wenn einem ein Funker, der die Nerven verloren hat, einen Schuss in den Rücken verpasst. Insgesamt stelle ich mir vor, dass es wirklich unangenehm ist, wenn man von einer Kernexplosion durch die Luft geschleudert wird.«

»Ja, schätze ich auch, Sir«, sagte McEvoy und ließ seinen schweren Gravkarabiner von links nach rechts wandern, um sicherzustellen, dass da nichts hängen blieb. »Wenn man das alles bedenkt, schätze ich, ist es tatsächlich am besten, einen Panzer zu tragen.«

»Scheiße«, sagte Blatt und wechselte damit das Thema. »Anscheinend hast du Recht gehabt. Jetzt kommt tatsächlich ›Veteran Of The Psychic Wars‹.«

»Irgendwie ist der sauer auf diese Posleen«, sagte McEvoy.

»Da ist er ganz sicherlich nicht der Einzige«, meinte Sunday mit leiser Stimme.

Captain Anne Elgars musterte die zusammengewürfelte Gruppe, die um das kleine Feuer versammelt war, und seufzte. Der weibliche Captain sah aus, als wäre sie um die siebzehn; sie hatte einen muskulösen Körper und langes honigblondes Haar. Tatsächlich war sie den Dreißig näher als den Zwanzig und hatte bis vor kurzem im Koma gelegen. Wie sie sich von dem Koma erholt hatte, ihre Muskulatur, einige ungewöhnliche Fähigkeiten sowie eigentümliche Persönlichkeitszüge, die mit ihrer Genesung in Zusammenhang standen, waren alles Phänomene, die erst allmählich Aufklärung fanden.

In der kleinen Lichtung in den Bergen von North Carolina waren insgesamt zwei weitere erwachsene Frauen, zwei Soldaten und eine Gruppe von acht Kindern versammelt. Die Frauen und Kinder hatten sich in einer SubUrb befunden, einer unterirdischen Stadt, als die Posleen in das Rabun-Tal vorgedrungen waren und den größten Teil der Verteidiger dort verjagt hatten. Einer Kombination aus Glück und entschlossenem Handeln war es zuzuschreiben, dass die drei Frauen es geschafft hatten, in die tiefsten Bereiche der Urb vorzudringen, von wo aus sie planten, durch die Versorgungsschächte aus der Stadt zu fliehen, als sie dort zufällig auf eine versteckte Anlage gestoßen waren. Dort waren sie »aktualisiert« worden, die Anlage hatte ihre Wunden »repariert« und ihnen sowohl zusätzliche Kräfte wie auch einige grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit Waffen vermittelt. Und außerdem hatten sie eine Fluchtroute gefunden.

Bei dem Versuch, in von Menschen kontrollierte Bereiche vorzudringen, waren sie zuerst von den vorrückenden Posleen abgeschnitten worden und dann auf die beiden Soldaten Jake Mosovich und David Mueller gestoßen. Jetzt, wo die nahe liegende Route für sie nicht mehr infrage kam, war die Frage, wohin sie gehen sollten.

»Sind wir uns also einig?«, fragte Elgars, wobei ihr Atem als weißer Hauch in der kalten Nachtluft hängen blieb. »Wir gehen zur O’Neal-Farm und machen uns über das Versteck her?«

»Ich sehe keine andere Wahl«, erwiderte Mueller. Er war ein Hüne von einem Mann, nicht nur groß, sondern auch mächtig breit, mit einem dünnen Schopf fast weißblonden Haars. Der Master Sergeant hatte seit vor der ersten Invasion bereits Posleen beschnüffelt und war dabei so oft mit dem Hintern in die Klemme geraten, dass er sich häufig fragte, warum in aller Welt er das immer noch machte. Aber bis jetzt hatte er sich noch nie den Kopf darüber zu zerbrechen brauchen, wie man drei Frauen und acht Kinder aus der Klemme herausholt. Und erschwerend kam in diesem Fall noch hinzu, dass zumindest die Kinder höchstwahrscheinlich erfrieren würden, wenn nicht bald etwas geschah.

»In der hydrologischen Station war nichts, was man hätte gebrauchen können.« Die Posleen hatten dort geplündert und dann alles zerstört. Sie hatten die Station zwar nicht dem Erdboden gleichgemacht, aber jedenfalls ausgeleert. Und das Gleiche galt für jedes andere Gebäude, in dem sie nachgesehen hatten.

Shari Reilly verzog das Gesicht. »Das sind noch fast fünfzehn Meilen«, sagte sie. »Selbst wenn wir die Kinder tragen, kann ich mir einfach nicht vorstellen, wie wir das schaffen sollen.«

Shari war zweiunddreißig gewesen, Kellnerin und allein erziehende Mutter von drei Kindern, als die Posleen in ihrer Heimatstadt Fredericksburg, Virginia, gelandet waren. Sie war eine der ganz wenigen Überlebenden jener Stadt und war mit ihren drei Kindern in einer der ersten Untergrundstädte angesiedelt worden. Die Urb war in einem abgelegenen Tal im Westen von North Carolina errichtet worden und dies trotz des Fehlens von Straßen zur Versorgung der Anlage. Aus zwei Gründen: es war unwahrscheinlich, dass die Posleen in so unwegsamem Gelände angreifen würden, und zum zweiten war der örtliche Kongressabgeordnete Vorsitzender des Bewilligungsausschusses.

Nachdem die Posleen sich fünf Jahre lang überall sonst blutige Köpfe geholt hatten, hatte sich herausgestellt, dass sie doch im Rabun-Tal angriffen. Und Shari Reilly war wiederum zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen.

Irgendwie symptomatisch für ihr ganzes Leben, fand sie.

»Ich würde gern wissen, was aus Cally und Papa O’Neal geworden ist«, erklärte Shari mit leiser Stimme. Die Gruppe hatte die O’Neal-Farm erst vor kurzem besucht, und sie und Papa O’Neal waren sehr gut miteinander ausgekommen, so gut, dass er sie und die Kinder aufgefordert hatte, zu ihm zu ziehen. Jetzt, wo die Posleen die Gegend überrannt hatten, war dieser Plan gegenstandslos, wie so viele andere in ihrem Leben. Trotzdem schien es ihr notwendig, etwas über das Schicksal der O’Neals zu erfahren.

Wendy Cummings zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf und wischte sich dann eine Haarsträhne aus der Stirn.

»Wir sitzen immer noch im selben Boot«, sagte sie und wies auf den grauen Himmel. In den letzten paar Stunden hatte er sich verdunkelt. Die Frauen würden zwar in Anbetracht ihrer »Aktualisierung« die unwirtliche Umgebung überleben, aber die Kinder waren ohne jeden Schutz und hatten keine warme Kleidung. Das war jetzt absolut zweite Priorität, erste war es, dafür zu sorgen, dass sie nicht den Posleen in die Fänge gerieten.

Wendy war so etwas wie die Kontaktstelle zwischen den beiden anderen Frauen und hatte manchmal das Gefühl, die Einzige zu sein, die die Gruppe zusammenhielt. Sie war eine gut gebaute Blondine, auch eine Überlebende von Fredericksburg, die bis vor kurzem keine Möglichkeit gehabt hatte, hinauszuziehen und Posleen zu töten, wie das ihr Boyfriend tat. Jetzt tat sie das allerdings immer wenn irgendwo Posleen auftauchten, aber Posleen zu töten und dabei Kinder herumzuschleppen, nahm der Sache den ganzen Spaß.

Trotzdem, es musste sein.

»Wir brauchen Kleidung für die Kinder, und etwas Proviant könnte auch nicht schaden«, fuhr sie fort und wies dabei auf die beiden Soldaten. »Selbst nach dem, was der Sergeant Major und Mueller gebracht haben, reicht es nicht.«

»In dem Versteck war ’ne ganze Menge«, stellte Mueller fest. Er schob ein Stück trockenes Holz ins Feuer und blickte zum Himmel auf. »Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es bis Mitternacht zum O’Neal-Haus.«

»Später«, wandte Mosovich ein. Der Sergeant war schlank und drahtig, das genaue Gegenstück seines Untergebenen. Aber er war schon Soldat gewesen, als Mueller noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt hatte, und konnte Lasten schleppen, die jeden verblüfften. Was er nicht konnte, jetzt nicht und ganz besonders nicht in einer Situation wie dieser, war lügen. »Selbst mit den … Verbesserungen … der Girls können wir nicht all die Kinder so weit tragen. Und in ein paar Stunden wird es anfangen zu regnen, kalter, eisiger Regen. Und bis es Morgen wird, geht der wahrscheinlich in Eisregen über.«

»Du meinst, wir sollten etwas anderes versuchen?«, fragte Mueller.

»Nein, aber wir werden es vor dem Morgen nicht bis zum Haus schaffen.« Der Sergeant Major sah die Kinder an und schüttelte den Kopf. »Wir werden uns mächtig anstrengen, aber wir schaffen es nicht.«

»Wir werden es schaffen«, sagte Elgars und stand auf. »Aber ganz bestimmt nicht, wenn wir den ganzen Tag darüber debattieren. Sergeant Major, allem Anschein nach bin ich hier die Ranghöchste, aber ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Wie werden wir das anpacken?«

»Na ja, Ma’am«, sagte der Sergeant Major, dessen Spezialität Fernaufklärung war, und grinste dabei. »Ich werde Vorschläge machen, und Sie erteilen dann die Befehle. Und wenn Sie die Befehle, die ich Ihnen vorschlage, nicht geben, kann ich Ihnen nur empfehlen, dass Sie verdammt gute Gründe dafür haben, sonst erschieße ich Sie nämlich.«

»Soll mir recht sein«, sagte sie und lachte. »Und Ihre Empfehlung lautet …?«

»Wir ziehen los«, erwiderte er. »Angenehmer wird es nicht werden, und dunkler wird es von selbst.«

Tulo’stenaloor fluchte und schüttelte seinen Kamm. Der Oberbefehlshaber der Posleen-Verbände, die die Rabun-Lücke angriffen, kämpfte jetzt seit fast zehn Jahren gegen die Menschen und hatte in diesem Zeitraum einen gesunden Respekt für die Fähigkeiten seiner Gegner entwickelt. Obwohl sie an Kämpfern wie an Material erheblich unterlegen waren, setzten die Menschen hochgradig geschulte Fähigkeiten und eine geradezu teuflische Findigkeit ein, um die Angriffe der Posleen zurückzuschlagen.

Aber die Gruppe, mit der er im Augenblick zu tun hatte, fing wirklich an, ihm lästig zu werden.

»Ich hasse Menschen«, schimpfte er. »Was wissen wir über diese verfluchte ›Einheit‹ von Metall-Threshkreen?«

Zum ersten Mal waren die Posleen den Menschen auf dem Planeten Aradan 5 begegnet, den die Menschen Diess nannten. Bis zu jener Begegnung war das Vorrücken der Heerschar ein stetiges, von keinerlei ernsthaften Rückschlägen begleitetes gewesen.

Im nahen Raum waren sie bislang drei Rassen begegnet, und keine von ihnen, weder die kleinen grünen Indowy noch die größeren schlanken Darhel oder die insektenartigen Tchpth hatten Widerstand geleistet. Die Darhel kämpften manchmal, aber nicht sehr gut und nicht lange. Im Großen und Ganzen lief es einfach darauf hinaus, sie zusammenzutreiben und sie dann zu schlachten. Und anschließend zu verspeisen.

Bis Aradan 5.

Tulo’stenaloor war dort gewesen, als die Heerschar ihre erste Niederlage erlitten hatte. Es war ein Albtraum gewesen. Jedes Mal, wenn sie geglaubt hatten, sie hätten die Menschen besiegt, hatten die wieder an einer anderen Stelle zugeschlagen. Man musste die Menschen ausgraben, wie Abat oder Grat, und ihr Stachel schmerzte mehr. Die Heerschar hatte gewaltige Verluste erlitten, bevor eine Einheit dieser von den Dämonen verdammten Metall-Threshkreen aus dem Ozean der Welt herausgestiegen war und sein erstes Oolt’ondar vernichtet hatte. Er erinnerte sich noch sehr gut an das gewaltige Unheil, das über seine schöne Sammlung genetischer Spezialisten hereingebrochen war und sie binnen Sekunden buchstäblich zerfetzt hatte. Andere Threshkreen, die zunächst vor der Heerschar geflohen waren, hatten innegehalten und einen Wall aus Feuer gebildet, der ihnen unzerstörbar vorgekommen war. Die Heerschar hatte sich einem unbesiegbaren Feind vorne und einem unbezähmbaren Feind an der Flanke gegenüber gesehen und war geflohen. Er selbst war nur mit Mühe mit dem Leben davongekommen, war in einem nur für die Reise innerhalb des Systems geeigneten Schiff von dem Planeten geflohen und hatte Jahre gebraucht, um sich von jenem Debakel zu erholen.

»Sie wird von einem Menschen namens ›Michael O’Neal‹ geführt, der einer ihrer Kessanalt ist. Die Menschen benutzen den Ausdruck ›Held‹ oder ›Elite‹. Und dies ist ihre beste Gruppe von Metall-Threshkreen.«

Im Allgemeinen bezeichnete man andere Spezies oder Posleen, die zu schwer verletzt oder zu alt waren, um noch nützlich zu sein, einfach als »Thresh« oder »Nahrung«. Threshkreen bedeutete »Nahrung, die sticht«. Eigentlich sollte man alle Menschen als Threshkreen bezeichnen; selbst ihre Nestlinge kämpften.

»Kennen wir ihren Plan?«, fragte Tulo’stenaloor. »Wir müssen so viele Oolt’os, wie es geht, durch den Pass drücken; wir können es uns nicht leisten, das wir dort eingekesselt werden.«

»Sie haben die Absicht, das Areal mit Atombomben freizukämpfen …«, antwortete der S-2.

»Was?«, brauste Tulo’stenaloor auf, und sein Kamm hob sich. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«

»Das Areal, das sie damit abdecken können, ist beschränkt«, erklärte der Nachrichtendienstoffizier und projizierte eine Karte. »Sie werden aus den nördlichen Regionen und vom Meer her ballistische Systeme abfeuern. Davon können nur wenige auf diesen Bereich gezielt werden, und die meisten werden unsere Oolt Po’osol zerstören. Und deshalb sind alle auf ein relativ kleines Areal gezielt. In Anbetracht der Tatsache, dass sich der Beschuss auf diese verfluchten Hügel konzentrieren wird, sollten wir also nur geringfügige Verluste erleiden. Sie haben die Absicht, in diesem Areal vor den ursprünglichen Verteidigungsstellungen zu landen, dort, wo einmal ›Mountain City‹ stand. Ihr Feuer wird nur jene Engstelle in den Bergen und die unmittelbare Umgebung des Passes treffen.«

»Dann werden wir weniger als zwei Oolt’ondar verlieren.« Tulo’stenaloor nickte. »Das ist gut so. Aber wir brauchen eine Reaktion, einen ›Gegenangriff‹, wie die Menschen es nennen würden. Bereite eines der Elite-Oolt’ondar und alle noch verbliebenen Tenaral für einen Angriff auf sie vor, der sofort beginnen soll, wenn sie auf dem Boden sind. Und zwei Oolt’pos.«

»Wir haben fast keine ausgebildeten Verbände mehr«, gab der S-2 zu bedenken.

»Das ist mir bekannt«, meinte Tulo’stenaloor trocken. »Aber wenn es uns nicht gelingt, diesen Pass so lange offen zu halten, bis die anderen geknackt sind, war alles umsonst. Wir müssen diese Metall-Threshkreen vernichten, ehe sie sich eingraben können, sonst werden wir versuchen, sie in zwei Tagen zu töten. Der Oolt’ondai soll sofort in die Hügel oberhalb der Landungszone vorrücken, in diesen Pass hier, wo sie nicht von massiertem Feuer getroffen werden können. Sage ihnen, sie sollen mit dem Angriff warten, bis die Einheit landet und mit Entladen beschäftigt ist.«

»Die Menschen kommen in zwei Gruppen, Estanaar. Sie haben zwei ›Versorgungs‹-Shuttles mit Antimaterie, die ihnen folgen.«

»Die sollten ein interessantes Ziel abgeben«, meinte Tulo’stenaloor, und dabei hob sich sein Kamm. »Der Oolt’ondai soll warten, bis jene Shuttles gelandet sind, aber du musst sicherstellen, dass sie auch getroffen werden. Das ist von entscheidender Wichtigkeit.«

»Sehr wohl, Estanaar«, erwiderte der Offizier. »Was sollen wir Orostan sagen?«

»Im Augenblick nichts«, antwortete Tulo’stenaloor. »Er hat seine eigenen Probleme. Und im Augenblick mehr als genug Streitkräfte; erst wenn er auf Widerstand stößt, wird er jene brauchen, die im Augenblick durch den Pass gehen. Setze das Oolt’ondar sofort in Marsch und sorge dafür, dass es mit schweren Waffen ausgestattet ist.«

Cally O’Neal warf einen Blick auf ihren Rucksack und schüttelte den Kopf; sie wollte gut ausgerüstet sein, aber das war einfach zu viel, sie würde das nicht alles tragen können.

Sie hatte die halbe Nacht zusammengerollt wie ein Ball verbracht und nur unruhig geschlafen, war immer wieder in Tränen gebadet aufgewacht. Sie konnte nicht besonders gut weinen – eigentlich ärgerte es sie, wenn sie weinen musste –, aber es gab eine Menge zu beweinen.

Als die Nachricht von der Invasion der Posleen gekommen war, waren ihre beiden Eltern wieder zum Militärdienst einberufen worden. Weil ihre Mutter off-planet eingesetzt war, hatte man Callys ältere Schwester Michelle auf einer weit entfernten Indowy-Welt in Sicherheit gebracht. Cally war in der Obhut ihres Großvaters auf dessen Farm in Rabun County im Norden von Georgia zurückgeblieben. Die Farm lag gerade fünf Meilen auf der guten Seite der östlichen Verteidigungsfront der USA.

Die Posleen hatten den Wall an der Rabun-Lücke im Laufe der letzten paar Jahre mehrfach angegriffen, aber dies war jetzt das erste Mal, dass ihnen der Durchbruch gelungen war. Jetzt waren sie überall, und sie hockte ganz allein in einer dämlichen Höhle hinter der Front und ohne das Gefühl der Sicherheit und den Rat, ganz zu schweigen von der Kampfunterstützung, die Papa O’Neal ihr sonst hätte geben können.

Aber Papa O’Neal hatten nicht etwa die Posleen getötet, zumindest nicht direkt. Etwas hatte einen der Lander getroffen, als der über ihr Tal hinwegflog, und dieser Treffer hatte das Antimaterieeindämmungssystem erfasst, worauf dieses ausgefallen war. Die Explosion, die der einer 100-kt-Atombombe entsprach, war in dem Augenblick erfolgt, als sie gerade den inneren Schutzraum hatte aufsuchen wollen. Aber Papa O’Neal war da noch im äußeren Bunker gewesen.

Sie hatte ihn später gefunden, oder zumindest einen Arm von ihm, weiter hatte sie nicht graben können, aber der Arm war völlig reglos und kalt gewesen. Sie hatte ihn wieder zugedeckt und sich zu Versteck vier begeben und dort die Nacht verbracht.

Das Versteck enthielt alles, was jemand, der sich auf der Flucht befand, nur brauchen konnte. Papa O’Neal hatte früher eine Menge Zeit damit verbracht, Tunnels des Vietkong zu öffnen, und wusste, was die Besten von ihnen lagerten. Er hatte diese Liste einfach nur dem heutigen Stand angepasst.

Zuallererst legte Cally ihren Körperpanzer an. Er war Klasse III A und nach Maß angefertigt – für dreizehnjährige Mädchen fertigte man industriell keine Körperpanzer –, aber sie trug ihn ohne nachzudenken; sie hatte in ihrem Leben schon so viel Zeit im Körperpanzer verbracht, dass sie ihn wie eine zweite Haut empfand. Der Panzer war mit Taschen und Behältern für Munition und Handgranaten förmlich übersät, und sie waren alle voll.

Unten waren Schlaufen für zusätzliches Gerät, sie trug einen Colt .44 Magnum im Halfter an der einen Seite und ein Kampfmesser an der anderen. Der .44 war ein Revolver – für einen Desert Eagle war einfach ihr Handgelenk noch nicht stark genug –, aber sie konnte fast ebenso gut mit einem Schnelllader umgehen wie andere Leute mit einem Magazin. Außerdem hatte sie zwei Feldflaschen, die jeweils etwa einen Liter fassten – zusätzlich zu dem in den Panzer integrierten »Kamelrücken« – und schließlich eine Gürteltasche, die sie hinten im Kreuz trug, und die das absolute Minimum an überlebenswichtigem Material enthielt.

Die Taschen ihres Panzers bargen ihre Grundausstattung, einhundertachtzig Schuss 7.62, fünf Splittergranaten, fünf weiße Phosphorgranaten und zwei Rauchgranaten. Wahrscheinlich würde sich keine Gelegenheit ergeben, die Rauchgranaten einzusetzen, aber wenn sie sie brauchte, dann würde sie sie dringend brauchen. Panzerung, Revolver, Munitionstaschen und Granaten machten bereits über zwanzig Kilo aus. Und das war etwa die Hälfte ihres Körpergewichts.

Um den Hals trug sie eine Nachtsichtbrille. Sie war leicht und mit binokularem Zoom ausgestattet, optisch und elektronisch. Damit war die Brille dem monokularen Nachtsichtgerät weit überlegen, das zur Standardausstattung der Infanterie gehörte und am Helm getragen wurde. In Anbetracht der Visiere ihrer Waffen war sie nicht sicher, ob sie die Brille mitnehmen sollte. Und der Helm, den sie sich gerade aufgesetzt hatte, schien ihr ebenfalls überflüssig, extravagant. Papa O’Neal hatte immer darauf bestanden, wenn sie Jagd auf Posleen machten, aber jetzt, wo sie auf der Flucht war, fragte sie sich, ob sie sich das zusätzliche Gewicht leisten konnte.

Bei dem Gedanken an Papa O’Neal stieg ihr ein Klumpen in der Kehle auf. Er war ihr immer irgendwie … unbesiegbar, unsterblich … vorgekommen. Er hatte beinahe zwei Jahrzehnte in so ziemlich jedem nur gerade denkbaren Krieg gekämpft und war dann, als sein Vater gestorben war, auf die Farm zurückgekehrt. Seit ihre Mutter tot war und ihr Dad bei den GKA gegen die Posleen kämpfte, war er alles gewesen, was sie hatte, und Papa O’Neal seinerseits hatte das Gefühl gehabt, er könne auf die Weise wieder gutmachen, dass er nie da gewesen war, als ihr Vater herangewachsen war.

Er hatte sie geschult, mit allem Nachdruck, und das vom ersten Tag ihrer Anwesenheit auf der Farm an. Und sie war ihm eine aufmerksame Schülerin gewesen. Sprengung, Nahkampf, Schießen auf große Distanz – sie hatte das alles gelernt, als hätte man sie in Wirklichkeit nur an Bekanntes zu erinnern brauchen. Den wenigen Leuten, die sie kannten, waren die beiden wie ein seltsames Paar vorgekommen, der alte Haudegen und seine flachsköpfige Enkeltochter, und man hatte – in sicherer Distanz, außer Hörweite – häufig über »die Farmerstochter« gewitzelt. Mit der Zeit hatten die Witze dann aufgehört, als sie »aufgeblüht« war und sich in eine echte Appalachen-Schönheit verwandelt hatte, wenn auch eine, die mit dem Schritt eines Panthers und einem Revolver an der Hüfte durch die Straßen ging. Und nachdem sie den Sergeant Major angeschossen hatte, hatten sie ganz aufgehört oder sich zumindest grundlegend geändert.

Der Sergeant Major der 105th war von der zwölfjährigen Schönheit in dem Eisenwarenladen mächtig beeindruckt gewesen. So beeindruckt, dass er sie schließlich in der Schraubenabteilung in die Ecke gedrängt hatte.

Als ein schlichtes »Gehen Sie weg« nicht ausgereicht hatte und der fette, alte Soldat die Hand in ihre sich neuerdings füllende Bluse geschoben hatte, hatte Cally einfach ihre Walther gezogen und ihm ins Knie geschossen. Und dann war sie weggegangen, während er sich auf dem Boden wälzte und laut schrie, als ob er wirklich verletzt wäre oder so.

Dies war keineswegs das erste Mal, dass sie auf einen Mann geschossen hatte, und das andere Mal war viel dramatischer gewesen, auch in Bezug auf Umweltverschmutzung. Ein Killer, ein Bekannter von Papa O’Neal aus seiner Zeit in Phoenix, aber Dank einer illegalen Verjüngung wieder jung, war zu ihnen gekommen, um Papa anzuwerben. Als klar war, dass Papa O’Neal nicht daran interessiert war, die Position eines Auftragskillers für die nebulöse Gruppe anzunehmen, die dieser Harold vertrat, war ebenso klar gewesen, dass der Meuchelmörder schon viel zu viel preisgegeben hatte, um sie und Papa am Leben zu lassen. Cally hatte erkannt, dass hier etwas schief ging, als Papas rechte Hand zu zucken begonnen hatte, als griffe er nach einer Waffe, die aber nicht da war, ein sicheres Zeichen der Erregung, das ihr beim Pokerspielen gegen ihn häufig hilfreich gewesen war.

In der klaren Erkenntnis, dass Gefahr im Verzug war, und von dem normalerweise paranoiden Meuchelmörder als belanglose Achtjährige abgetan, die ihm nicht gefährlich werden konnte, hatte sie dem Besucher von hinten einen Kopfschuss verpasst, als der gerade im Begriff gewesen war, seine Waffe gegen Papa O’Neal zu ziehen.

Und deshalb war es für sie keine große Sache, auf einen fetten, alten Sergeant Major zu schießen. So hatte sie das auch dem Richter erklärt, ohne dabei jenen ersten gezielten Schusswaffengebrauch zu erwähnen, der glücklicherweise den Behörden nie zur Kenntnis gelangt war.

Ihr gefasstes Auftreten wäre ihr beinahe zum Verhängnis geworden. Der Sergeant Major hatte sich lautstark damit verteidigt, sie habe ihm Avancen gemacht und erst auf ihn geschossen, als sie sich nicht hatten über den Preis einigen können. Tatsächlich hatte er sich sogar alle Mühe gegeben, eine Anklage wegen versuchten Mordes gegen sie zu erwirken. Aber Cally hatte schnell demonstriert, dass sie, wäre es ihre Absicht gewesen ihn zu töten, dies mühelos hätte in die Tat umsetzen können. Am Ende hatte sich der ehemalige Sergeant Major in einem Strafbataillon wiedergefunden, und Callys Bild war in allen Militärlagern der Umgebung verbreitet worden, wo es mit der Unterschrift WARNUNG! MINDERJÄHRIG! BEWAFFNET UND GEFÄHRLICH! als Pin-up in so manchem Spind hing.

Als sie Papa O’Neals Leiche gefunden hatte, war sie nicht so gefasst gewesen. Sie hatte den Arm wieder zugedeckt, war in das Versteck geeilt und hatte sich dort die Augen aus dem Kopf geweint. Aber im Lauf der Nacht war ihr dann klar geworden, dass sie hier weg musste. So wie es klang, war ein Stück nördlich von ihr eine gewaltige Schlacht im Gange, und die Posleen, die durch die Bresche im Wall strömten, waren dabei auszuschwärmen. Sie musste die menschlichen Linien erreichen oder wenigstens ein etwas weiter entferntes Versteck. Zunächst würden die Posleen an dem Versteck einfach vorbeiziehen, aber später würden sie dann zurückkehren und graben wie die Biber, wenn sie auch nur die geringste Spur von Menschen oder Material ahnten. Also hatte sie angefangen zu packen.

Sie wusste nicht, wie lange sie unterwegs sein würde, also musste sie Proviant mitnehmen. Und die Nächte fingen an kälter zu werden, also brauchte sie etwas Warmes. Papa O’Neal wäre wahrscheinlich mit einem schlichten Poncho klargekommen, aber sie war bei weitem nicht so zäh und auch nicht so gut isoliert wie der alte Haudegen, also nahm sie sich einen Schlafsack. Wasser, Trockenbrennstoff, Reservemunition … es war einfach zu viel. Aber so viel sie auch einpackte, wenn sie länger als fünf Tage unterwegs war, würden ihre Vorräte knapp werden.

Cally starrte den Haufen Zeug an, den sie sich zurechtgelegt hatte, zerbrach sich noch immer den Kopf, was sie mitnehmen und was sie dalassen sollte, als ihr plötzlich der Boden entgegenkam und ihr ins Gesicht schlug.

2

Rabun Gap, Sol III

0242 EDT, 28. September 2014

Then it’s »Tommy this«, an’ »Tommy that«, an’»Tommy, ’ow’s yer soul?«

But it’s »Thin red line of ’eroes« when the drums beginto roll,

The drums begin to roll, my boys, the drums beginto roll,

O it’s »Thin red line of ’eroes« when the drums beginto roll.

»Tommy«Rudyard Kipling

Dann heißt’s »Tommy dies« und »Tommy das« und »Tommy, was macht Dein Seelenheil?«

Aber »dünne Reihe roter Helden«, wenn die Trommel gerührt wird.

Die Trommel wird gerührt, Jungs, die Trommel wird gerührt,

Oh, es heißt, »dünne Reihe roter Helden«, wenn die Trommel gerührt wird.

»Tommy«

Die Außenkameras hatten die Nacht auf sechzig Prozent Tageslicht erhellt. Die bewaldeten Hügel lagen kühl und dunkel im fahlen Mondlicht, und das Tal hinter dem Pass wurde gelegentlich sichtbar, wenn die Shuttles über die Kämme flogen.

Dann wurde alles weiß.

Die Waffen waren die einzigen Überlebenden einer aus dem nördlichen Gürtel der Überreste der Vereinigten Staaten abgefeuerten massierten Salve. Bei dem Angriff der Posleen auf die Erde war so ziemlich jede andere industrialisierte Nation zerschmettert worden, aber dank einer Kombination aus kluger Voraussicht, Rücksichtslosigkeit und geographischen Gegebenheiten hatten die Vereinigten Staaten es geschafft, gewisse produktive Bereiche im Osten des Mittleren Westens zu behalten, einem Landstrich, der inzwischen allgemein als »Cumberland-Kessel« bezeichnet wurde. Er setzte sich aus dem Großteil von Tennessee, Kentucky, Illinois, Ohio, Iowa und Michigan zusammen. Hinzukam ein Gürtel von Bundesstaaten im Norden – Minnesota, North Dakota, Wyoming und Montana –, die oberhalb der Zone lagen, in der die Posleen zu einer effektiven Kriegführung imstande waren.

Und aus jenem Gürtel war der Großteil der Nuklearwaffen abgefeuert worden.

Man hatte mit Atomsprengköpfen bestückte Trägerwaffen aus ihren Silos im Mittleren Westen entfernt und sie vor den Posleen-Heerscharen in Sicherheit gebracht, sie unter Verletzung einer Unzahl von Verträgen auf mobile Abschussrampen umgerüstet und sie jetzt überall in diesem nördlichen Gürtel in Stellung gebracht. Vorzugsweise umfasste dieser Gürtel US-Bundesstaaten, die zum Großteil immer noch in menschlicher Hand waren, sowie einige Provinzen Kanadas. Viele von ihnen verfügten nicht über die »Angularität«, um die Zielzone zu erreichen – ihre »Mindestreichweite« war immer noch zu groß –, aber bei einigen würde es gehen. Darüber hinaus gab es auch noch einige wenige Atom-U-Boote mit ballistischen Lenkwaffen, wenn auch der größte Teil inzwischen für Transportzwecke umgebaut worden war. All diese Waffen, mehr als genug, um jedes beliebige Land auf der Welt zu vernichten, standen den GKA für die Unterstützung ihres augenblicklichen Einsatzes zur Verfügung.

Aber die Raketenabwehrsysteme der Posleen waren äußerst wirksam und imstande, praktisch jeden angetriebenen oder manövrierenden Flugkörper zu zerstören, der über den Horizont kam. Also blieb keine andere Wahl, als den Versuch zu machen, diese Verteidigungssysteme bis zum Sättigungsgrad zu überlasten. Doch für den Einsatz gegen die Lenkwaffen standen nicht nur die zahllosen Waffensysteme auf den Untertassen der Gottkönige zur Verfügung; sobald sie das Apogäum erreichten, würden auch die Tausende von Landers sie erfassen, die immer noch über ganz Nordamerika verstreut waren. Und demzufolge überlebten von Tausenden abgefeuerter Kernwaffen nur eine Hand voll, die eine ballistische Bahn erreichten und auf geheimnisvolle Weise für die Zielerfassungssysteme der Posleen unsichtbar blieben.

Jene Hand voll würde allerdings mehr als genug sein.

Die Salve von Lenkwaffen traf in einem Dreiecksmuster, eine unmittelbar auf dem Pass auf, wo früher einmal Mountain City gestanden hatte, die beiden anderen auf den Pässen im Norden und Süden davon. Jede der drei Explosionen betrug einhundert Kilotonnen – fast das Zehnfache der Waffe, die Hiroshima getroffen hatte – und legte einen drei Kilometer durchmessenden Kreis in Schutt und Asche, zerschmetterte jeden Baum und jeden Busch oder setzte sie in Flammen und schleuderte sie in die in den Himmel steigende Säule aus feurigem Gas.

Diese Welle der Vernichtung breitete sich aus und scheuerte die Bergkämme beiderseits von »Ground Zero« glatt, zerfetzte Bäume, zerkleinerte sie zu Zahnstochern, drückte die heranreifenden Wälder platt und riss den Mutterboden bis hinauf zu den Kämmen bis auf das nackte Felsgestein weg.

»Sergeant Major.« Jakes AID sprach immer noch in dem ausdruckslosen Tenor, mit dem »die Fabrik« es geliefert hatte. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, das Gerät seinen persönlichen Wünschen oder Bedürfnissen anzupassen. Das AID war ein galaktisches Produkt, ein kleines, schwarzes Kästchen, das aussah wie Kunststoff, in Wirklichkeit aber auf kleinstem Raum einen äußerst leistungsfähigen Rechner in sich barg. Die Geräte waren hochkarätige KI und in einem lückenlosen Datennetz miteinander verbunden, das sich über einen ganzen Planeten erstreckte. In seinem Fall hatte das AID jetzt einen Brocken Information aus dem Netz aufgepickt und nach nur einer Nanosekunde dauernden Überlegung entschieden, dass dies in der Tat etwas war, was sein Mensch wissen musste.

»Mehrere atomare Lenkwaffen im Anflug auf Rabun Gap. Die Einheit befindet sich außerhalb der unmittelbaren Gefahrenzone, aber wer in jene Richtung blickt, wird geblendet werden.«

»Du große Scheiße«, murmelte Mueller. Sie waren dabei, einen der endlosen Bergkämme zu überqueren, und wenn Rabun Gap auch noch ein ganzes Stück entfernt war, würde der Feuerball nicht nur sichtbar sein, sondern durchaus den Anschein erwecken, unmittelbar über ihnen am Himmel zu hängen. Der Kamm war wie eine Messerschneide aus Felsgestein, und der Regen hatte sie schlüpfrig gemacht.

»Runter«, kommandierte Jake und deutete über den Kammrand nach Norden. Es war nicht gerade eine Steilklippe, aber steil war der Kamm durchaus.

»Wie denn?!«, brauste Shari auf, schob sich Kelly auf dem Rücken ein Stück höher und machte einen Arm frei, um sich das Haar aus dem Gesicht zu wischen. Soweit sie das erkennen konnte, würde ein einziger Schritt zur Seite ausreichen, um sie und das Mädchen ein paar hundert Fuß in die Tiefe rutschen zu lassen.

»Vorsichtig«, erwiderte Mueller. Er trug Tommy und Amber, schickte sich jetzt aber trotzdem an, sich die steile Hügelflanke hinunterzuarbeiten. Aber einen Augenblick später hielt er inne und schüttelte den Kopf. »Jake, das klappt nicht.«

»Warum?«, fragte Mosovich und fluchte dann. »Ich bin ein seniler alter Schwachkopf: Bodenerschütterung.«

»Wir schaffen es vielleicht nach unten, aber …«

»Die Erschütterung wird uns wegfegen«, sagte Mosovich und sah sich um. Die einzelnen Kämme rings um sie waren im Allgemeinen einigermaßen begehbar; ihr Pech war nur, dass sie sich ausgerechnet auf einem der schwierigeren Kämme befanden.

»AID, wie lange?«

»Fünf Minuten«, antwortete der Computer. »Viele davon sind zerstört worden, aber zwischen drei und zwölf werden vermutlich treffen. Keines davon zwischen unserer augenblicklichen Position und der Rabun-Lücke.«

Jake musterte abschätzend den schmalen Pfad, der an dem Grat entlangführte. Nach etwa hundert Metern bog er in südlicher Richtung ab und wurde ebener.

»Ma’am, ich rate, wir rennen jetzt, so schnell wir können!«

»Cool«, flüsterte Sunday und betrachtete die sich ausdehnende Pilzwolke, in die ihr Shuttle allem Anschein nach gleich hineinfliegen würde.

»Yo, jetzt hauen die echt drauf«, meinte Blatt. »Endlich die Art von Unterstützung, für die wir vorgesehen sind.«

»Drei Minuten: Fertig machen zum Aussteigen«, tönte Captain Slights Stimme über die Kompaniefrequenz. »Ich kann nur hoffen, dass alle wach sind. Wenn nicht, werdet ihr gleich ziemlich unsanft geweckt werden.«

Sundays Sessel klappte plötzlich hoch und drehte sich dann in zwei Richtungen, sodass er jetzt aufrecht dastand und nach hinten sah.

»Alle herhören«, sagte Major O’Neal, »fertig machen zum Aussteigen.«

Die Shuttles beschleunigten plötzlich in einer Folge kaum wahrgenommener Überschallknalle über Mach 1 hinaus und steuerten auf den letzten Hügel zu. Sie beschleunigten weiter, als sie die erste Druckwelle der Kernexplosion trafen und fingen in der Turbulenz an, merklich zu zittern.

»HUUUIIIH!«, brüllte Blatt. »Wir kommen. Let’s Rock and Roll!«

Während die Shuttles den Kamm des Oakey Mountain überflogen, fingen sie an, die Kampfanzüge zur Erde zu »schießen«, begannen damit hinten im Shuttle und arbeiteten sich nach vorne.

Tommy spürte den Ruck trotz seiner Trägheitskompensatoren und zog die Knie an, als der Boden mit fast tausend Meilen in der Stunde auf ihn zuraste. Seine Bordkompensatoren und das zusätzliche Einmal-Trägheitspack, das er trug, reduzierten seine Geschwindigkeit im Zusammenwirken auf knapp unter Schallgeschwindigkeit, ehe der Bodeneffekt einsetzte und ihn ein in das Trägheitspack integriertes terranisches Sprungpaket zusätzlich abbremste.

Der Ruck beim »Abschuss« war merkbar, aber auf dem Boden aufzutreffen tat weh. Er bewegte sich immer noch mit über zweihundert Meilen die Stunde und spürte den Schock im ganzen Körper, während sein Anzug automatisch die Beine anzog und nach rückwärts abrollte.

Er überschlug sich noch zweimal, hauptsächlich wegen des abschüssigen Geländes, ehe der Anzug die Kontrolle wieder übernahm und ihn ruckartig auf die Beine riss.

Sofort drehte er sich zu der Sammelbake im Tal herum und zählte seine Leute. Die gesamte Gruppe Sensenmänner war gelandet und rannte bereits auf die Bake zu, obwohl sie nach ihm von dem Shuttle ausgestoßen worden waren.

Tommy setzte dazu an, den Kopf zu schütteln, unterdrückte dann aber die Reaktion und schaltete seinen Anzug stattdessen auf Lauf-mit-Maximalgeschwindigkeit und hastete den Hügel hinunter. Wie es aussah, musste er noch eine ganze Menge dazulernen.

Mike schaltete seine Trägheitskompensatoren ab und flog/hüpfte von seinem Standort auf dem Kamm des Oakey Mountain zur Sammelbake des Bataillonsstabs am Zusammenfluss des Black Creek und des Silver Branch. Es war eine Frage der Ehre, als Erster draußen zu sein und als Erster seine Mannschaft komplett versammelt zu haben, selbst wenn er weiter zu gehen hatte.

»Scouts vor«, befahl er, als seine Füße den Boden berührten. »Zwei Teams nach Süden, drei nach Norden.« Er sah sich um und warf sich platt ins Bachbett. Tapferkeit war gut und schön, aber bei diesem Einsatz würde er noch genug Gelegenheit bekommen, umgebracht zu werden.

»Boss«, sagte Stewart nach einem Blick auf die Lagedarstellung, die sämtliche Sensordaten der Anzüge des ganzen Bataillons koordinierte. »Ich würde mit Nachdruck vorschlagen, dass das letzte Team den Rocky Knob hinaufgeht. Ich bekomme einige Signaturen von dort oben.«

»Einverstanden«, antwortete Mike. Er sah sich um, ließ den Blick über das Bataillon wandern, das sich in der Senke sammelte, und atmete tief durch, als der erste Shuttle in der Ferne unter Beschuss geriet. »Bringt die Treibstoffshuttles rein und sorgt dafür, dass wir im Süden Deckung bekommen.«

»Und ihr wollt, dass wir da reingehen?«, fragte Shari und drückte Kelly unter sich, als die letzte Schockwelle den Boden zittern ließ und schließlich verstummte.

Der Himmel im Osten war immer noch vom Plasma purpurrot gefärbt, und eine riesige Pilzwolke leuchtete hoch am Himmel. Der größte Teil davon wurde von der herannahenden Kaltfront angenagt, aber selbst die litt im Augenblick unter von Menschenhand geschaffenem Plasma.

»Na ja«, erwiderte Mosovich und drückte eines der fröstelnden Kinder an sich. »Unsere Jacken und Decken haben wir ihnen ja bereits gegeben, trotzdem besteht für diese Kinder die Gefahr der Unterkühlung. Wenn also niemand einen anderen Vorschlag hat?«

»Was ist mit Strahlung?«, fragte Wendy vorsichtig. Sie hatte Posleen getötet, hatte gesehen, wie sie ihre Stadt überrannten, hatte sich aus einem Loch unter der Erde herausgekämpft, aber die Pilzwolken waren ein völlig neues Erlebnis für sie, und plötzlich hatte sie das Gefühl, als hätten all die vorangegangenen Schlachten überhaupt nicht stattgefunden, als wäre sie noch völlig grün. Ein seltsames, recht beunruhigendes Gefühl.

Wenn Mosovich der plötzliche Wechsel in der Art der Kriegführung beunruhigte, war ihm davon jedenfalls nichts anzumerken. »AID, Strahlungsmuster.«

»In Anbetracht der Zielpunkte der Geschosse sollte es im Bereich der O’Neal-Farm keine nachhaltige Strahlung geben. Sämtliche Geschosse waren Höhenkrepierer, und etwaiger Fallout von verstrahltem Ummantelungsmaterial sollte vom Wind nach Osten weggetragen werden. Im Übrigen verfüge ich über die Sekundärfähigkeit, schädliche Strahlung wahrzunehmen und werde Sie warnen, falls sich Strahlung einer Intensität einstellt, die Menschen schaden könnte.«

»Wir gehen«, sagte Elgars und stand auf. »Wir können noch die ganze Nacht lang diskutieren, aber die einzige Folge wird dann sein, dass die Kinder sterben.«

»Als ob dich das kümmern würde!«, brauste Shari auf.

»Ich betrachte es als meine Mission, sie an einen sicheren Ort zu bringen«, erklärte der weibliche Captain mit eisiger Stimme. »Ob ich die Kinder mag oder nicht ist für die Mission ohne Belang. Und Versteck vier ist massiv gebaut. Das ist der beste Zielort, den es für uns im Augenblick gibt, obwohl er sich in unmittelbarer Umgebung der augenblicklichen Kampfhandlungen befindet.«

»Ich würde gerne erfahren, was mit Papa O’Neal ist«, sagte Wendy. »Und mit Cally.«

»Also gut«, erwiderte Shari und rappelte sich hoch. Trotz ihrer »Aktualisierung« hatten sie einen langen Tag und eine ebensolche Nacht hinter sich. Sie fror, war müde und hungrig, aber in erster Linie müde. Sie fühlte sich, als könnte sie keinen Fuß mehr vor den anderen setzen, insbesondere solange sie Kelly trug. Aber sie tat es doch. Und tat es wieder.

Elgars reihte sich dann unmittelbar hinter Mosovich ein.

Alle vermieden es, nach Osten zu sehen.

Cally richtete sich auf und sah sich in der Höhle um. Einige der schweren Munitions- und sonstigen Behälter waren von ihren Paletten geschleudert worden, und ein paar Felsbrocken waren aus der Decke gebrochen. Aber der Alte hatte schon gewusst, was er tat; ein Betonbogen und ein »Pfropfen« im hinteren Teil des Verstecks stützte die einzige Gesteinspartie, die nicht massiver North-Georgia-Granit war.

»Scheiße«, sagte sie leise und wischte sich einen Blutstropfen von der Lippe; ihre Nase hatte unter dem Sturz gelitten. Die Wahl, vor der sie stand, war nicht gerade erfreulich. Sie konnte hier sitzen bleiben und hoffen, dass das Versteck hielt, oder konnte hinausgehen, wo sie weiß der Himmel was erwartete. Das war die erste Atomexplosion seit mehr als einem Tag gewesen, aber das hieß nicht, dass es die letzte sein würde.