Irbis - Amelia Blackwood - E-Book

Irbis E-Book

Amelia Blackwood

4,8

Beschreibung

Für Irbis ist nichts mehr wie es war. Eingesperrt und erkrankt an der Blutseuche, weil er gegen das heilige Gesetz verstoßen hat. Wäre Blue nicht gewesen, hätte man ihn zum Tod verurteilt. Irbis ist nicht sicher, ob das nicht besser gewesen wäre, denn er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Den charmanten, starken Krieger gibt es nicht mehr, er scheint für immer verloren. Am tiefsten Punkt seiner Existenz begegnet ihm Devina. Die junge Frau stellt seine Welt auf den Kopf, und er verspürt das erste Mal seit Langem wieder Lebensmut. Das Problem ist, dass Devina ein Mensch ist und das Urteil der Vizekönige ist eindeutig: Er muss sich sein Leben lang von Menschen fernhalten. Doch wie kann er ihr nahe sein, ohne gegen das Urteil zu verstoßen? Es würde seinen Tod bedeuten.

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Irbis

Gebundene Herzen 3

Amelia Blackwood

Copyright © 2015 Sieben Verlag, 64354 Reinheim

Neuauflage © 2023 Sieben Verlag, 64395 Brensbach

Umschlaggestaltung: © Andrea Gunschera

ISBN Taschenbuch: 978-3-96782-120-8

ISBN eBook: 978-3-96782-121-5

www.sieben-verlag.de

Inhalt

Prolog

Strippenzieher

Nahrung

Verseuchtes Blut

Ungeklärte Fragen

Noch lange nicht am Ziel

Reines Gift

Unter dem freien Himmel

Downtown

Vorwürfe

Homo Vampirius

Illusion?

Bescheidene Göttin

Reinigung des Schattenlords

Herzen im Takt

Bruderneid

Heilung

Ass im Ärmel

Nur ein Kuss

Neue Wege

Leerlauf

Falle

Schicksalspfade

Entscheidungen

Neues Leben

Planschmiede

Amor vincit omnia

Epilog

Ein herzliches Dankeschön

Jemand wird kommen

Er wird stürzen

Sein eigen Blut wird siegen

Samtene Nacht, des Ozeans Blau

Prolog

Auszug aus den Chroniken der Vergessenen:

Man nennt mich Claudio, den Schreiber. Mir wurde die Aufgabe zuteil, unsere Geschichte niederzuschreiben. Auf dass sie niemals vergessen werden würde. Es ist das Jahr 1705 der menschlichen Zeitrechnung.

Einst lebten die Clans der Sangualunaris und der Delcours in Eintracht miteinander. Doch durch den Wahnsinn eines Einzigen wurden Freundschaften zerstört, Familienbande zerschlagen und sowohl Vampire als auch Menschen mussten ihr Leben lassen …

… Menschen, was sind Menschen? Für uns sind sie nichts anderes als Vieh, das wir ohne ihr Wissen halten, um uns zu nähren und uns zu unterhalten. Sie sind dumme Herdentiere, die sich für größer halten, als sie tatsächlich sind. Zu welchem anderen Zweck sollten sie existieren, wenn nicht, um mit ihrem Lebenssaft unsere Bedürfnisse zu stillen? Blutsklaven sind sie, nichts anderes kann ihre Bestimmung sein.

Unser König ist schwach, er zwingt uns, von unserer eigenen Spezies zu trinken. Er befiehlt uns, Kannibalen zu sein, obwohl andere Nahrung direkt vor unserer Nase lebt. Wir werden das nicht länger akzeptieren. Wir werden aufstehen und unsere Freiheit erkämpfen! Das Joch des Kannibalismus und des Versteckens wird fallen …

… Der Krieg tobt seit Dekaden. Beide Seiten bluten aus körperlichen und seelischen Wunden. Das Volk ist entzweit mit verhärteten Fronten.

Unsere Seite hat schwere Verluste erlitten. Des Königs Truppen gehen erbarmungslos gegen uns vor. Uns gehen die Krieger aus. Vor einigen Jahren haben wir begonnen, uns mit Menschenfrauen zu paaren. Sie werden entführt und zu den stärksten und besten Männern unseres Lagers gebracht. Menschenfrauen haben einen schwachen, leicht zu beeinflussenden Geist, weshalb für die Vereinigung selten Gewalt angewendet werden muss. Leider sind unsere Versuche neue Krieger zu züchten, fehlgeschlagen. Die Menschenfrauen gebären durchwegs nur menschliche Kinder …

… Wir haben eine neue Art Vampir erschaffen. Einige der Sprösslinge unserer Verbindungen mit Menschen haben sich zu Vampiren gewandelt, nachdem sie von einem von uns gebissen worden waren. Darius biss seinen Sohn Leander im Zorn, da dieser nur menschlich und daher vernachlässigbar war. Kurz darauf trat eine Veränderung im Körper des Jungen auf, welche ihn innerhalb weniger Stunden zum Vampir werden ließ. Leander krümmte sich vor Schmerzen und schrie die ganze Nacht. Wir konnten hören, wie seine Knochen von selbst brachen und sich danach wieder zusammenfügten.

Darius war durch diesen Zauber wie geblendet und eilte in die Zimmer seiner anderen drei Söhne. Jeden biss er und wartete ab. Igor und Janus wandelten sich, nur Erik blieb ein Mensch. In seiner Wut tötete Darius sein eigen Fleisch und Blut, indem er ihn blutleer trank …

… Wer hätte gedacht, dass das dunkle Zeitalter noch dunkler werden könnte? Darius ist tot, der König ist ebenfalls gefallen und seine Gemahlin, die Königin, dem Wahnsinn verfallen.

Leander, Igor und Janus haben nun das Kommando über uns. Auf der feindlichen Seite stehen Orion und Andromeda an der Spitze. O Schicksal, steh uns bei! Der Krieg ist in die Hände von jungen Vampiren gefallen, die beinahe noch Kinder sind. Leander ist ruhig und darum bemüht, weise zu entscheiden. Igor ist ein Hitzkopf und Janus erfüllt von Brutalität und Gewalt.

Wie es um Orion und seine Schwester Andromeda steht, vermag ich zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen …

… Ich schreibe nun im Namen des Hauses Sangualunaris. In Zeiten wie diesen muss jeder sich für eine Seite entscheiden …

Es ist das Jahr 2012 der menschlichen Zeitrechnung.

Der gute König Orion ist tot. Er ist im Kampf gegen den Feind gefallen. Seine Nichte, Siria Leandra Sangualunaris, Tochter der Andromeda und des Leander Delcours, regiert mit Umsicht und Geduld. Sie folgt den Fußstapfen ihres Onkels Orion.

Sie hat Zwillinge geboren. Die ersten natürlich geborenen Vampire seit unzähligen Jahrzehnten, die auf diese Art das Licht der Welt erblickt haben …

… Eine Krankheit hat von unserem Volk Besitz ergriffen. Vampire, die sich regelmäßig von der lebenden Quelle nähren, verfallen einer Art Blutgier. Die Wissenschaftler der Königin sind auf der Suche nach einem Heilmittel. Sogar unsere Führerin steht ununterbrochen in den Laboratorien.

Anscheinend wird die Krankheit durch Mikroorganismen, die sich im puren menschlichen Blut befinden, ausgelöst. Die Zeit drängt, da auch Draconis Orion, der Bruder der Königin, davon betroffen ist …

… Andromeda und die abtrünnigen Vizekönige schlagen immer wieder aus dem Hinterhalt zu. Sie können jedoch kaum Siege verbuchen, da die Kämpfer der Sangualunaris ein dichtes Netzwerk aus Spionen und Spähern aufgebaut haben. Der Krieg ist nun offiziell ausgebrochen und wir laufen Gefahr, von den Menschen entdeckt zu werden …

… Die Seuche wütet ungehindert weiter. Durch sie werden diejenigen entlarvt, die sich nicht an das wichtigste Gesetz halten. – Es ist verboten, uns an der lebenden Quelle zu nähren. –

Die Königin hat die Todesstrafe, die auf dieses Verbrechen steht, abgeschafft. Sie hegt den Verdacht, dass die Infektion inzwischen auch über andere Wege übertragen wird. Sie möchte niemanden bestrafen, der möglicherweise unschuldig ist. Sie ist jedoch die Einzige, die an diesen Ansteckungsweg glaubt. Die meisten ihrer Anhänger halten weiterhin an der direkten Infektion durch das Nähren aus der lebenden Quelle fest. Deshalb wurde Draconis dazu verurteilt, sich von Menschen fernzuhalten. Ihm wurde ein striktes Verbot auferlegt, Menschen zu beißen. Ob mit oder ohne deren Einwilligung und das bis an sein Lebensende …

… Nach Orions Trauerzeremonie haben die Angriffe der Outlaws und der Abtrünnigen an Stärke gewonnen. Siria hat aber in Gabriel einen guten General, auf den sie sich verlassen kann. Er schlägt gnadenlos zurück und nur seinen wachsamen Spähern ist es zu verdanken, dass unsere Existenz noch nicht entdeckt worden ist.

Menschen, die zwischen die Fronten geraten, werden eliminiert …

Strippenzieher

Er schloss seinen Internetbrowser und lehnte sich zufrieden zurück. Seine Strategie schien aufzugehen und schon bald würden seine Bemühungen erste Früchte tragen. Da war er sich sicher. Ein Blick auf sein Quartier zeigte, dass der Verputz von den Wänden bröckelte. Vom Boden her kroch der Schimmel das Mauerwerk hoch und über allem hing ein modriger Gestank. Die erbärmlichen Menschen, die ebenfalls in diesem Loch hausten, zerrten mit ihrem konstanten Lärm an seinen Nerven. Er hoffte, dieser Absteige entkommen zu können. Bald, ermunterte er sich immer wieder selbst. Bald würde er in einer großen Stadtvilla leben und tun und lassen können, was er wollte. Dann musste er sich nicht mehr verstecken. Weder vor seinen Feinden noch vor seinen eigenen Leuten. Im Augenblick stand er zwischen den Fronten, ohne dass diese etwas davon wussten. Er zog die Fäden im Verborgenen und das Resultat seiner Pläne würde ihm die Herrschaft über alles und jeden einbringen. Er konnte gar nicht falschliegen.

Niemand wusste, dass er sich regelmäßig hierher zurückzog, um mit seinen Verhandlungen weiterzumachen. Er ging unheilige Allianzen ein und ließ sich großzügig von der einen Seite bezahlen. Mit einem Teil des Geldes schmierte er die andere Seite. Den Rest behielt er für sich.

Er schaute auf die billige Armbanduhr. Es würde der Zeitpunkt kommen, an dem er sich eine Rolex, eine Hublot oder eine Breitling würde leisten können. Oder alle drei.

Er schob diesen Gedanken beiseite, denn es war Zeit, seinen nächsten Vertragspartner zu kontaktieren. Dank Skype musste er sich weniger um seine Sicherheit kümmern. Er hatte dafür gesorgt, dass sein Standort nicht ermittelt werden konnte und auch sein Gesicht wurde von der Webcam verzerrt. Er ging mit seiner Aktion ein großes Risiko ein. Doch wie hieß es so schön? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Sein Kontakt war bereits online und genau deshalb wartete er noch einen Augenblick, bis er ihn anpiepte. Er wollte die Führung in diesem Gespräch und musste daher kontrolliert und arrogant wirken. Was machte er sich eigentlich vor? Er war arrogant und musste sich nicht nur so darstellen. Aber er wusste auch, dass diese Überheblichkeit nicht nur seine Antriebsfeder, sondern auch seine Achillesferse war. Wenn er nicht aufpasste, würde er eines Tages über sich selbst stolpern.

Bequem lehnte er sich zurück, öffnete die Schublade und holte eine Fotografie heraus. Die dunkelhaarige Schönheit darauf würde die Krönung seines Erfolges sein. Nicht dass er sie begehrte. Im Gegenteil, er hasste Weiber. Aber die Macht, die dieses Miststück innehatte, musste ihm gehören, sonst waren alle Mühen umsonst gewesen. Er stellte das Bild neben den Monitor und klickte mit der Maus auf den Namen seines Kontaktmannes.

„Schön, dass Sie Zeit gefunden haben, um mich anzuhören.“

Der männliche Mensch war mittleren Alters, hatte eine Halbglatze und war auch sonst von erbarmungswürdiger Hässlichkeit. Unter anderen Umständen hätte er sich mit dieser Kreatur nur abgegeben, um ihn leer zu saugen.

„Ich konnte kaum anders, als dieser Einladung Folge zu leisten. Ich wollte wissen, wer hier so wunderliche Geschichten über Draculas herumerzählt.“

Machte sich der Waschlappen etwa lustig über ihn?

„Ich kann Ihnen versichern, dass alles, was Sie bisher über Vampire gesehen, gehört oder gelesen haben, Kinderkram ist. Nach dem Gespräch, das verspreche ich Ihnen, werden Sie jede Nacht Albträume haben.“

Damit besiegelte er ihrer aller Schicksal, indem er einem Menschen vom Geheimdienst von der Existenz seiner Rasse berichtete und einen Handel einging. Danach blieb nur noch eine Sache zu erledigen. Er griff zum Telefon und rief den afrikanischen Vizekönig an.

Nahrung

Blue saß im Schneidersitz auf dem Bett in ihrem Quartier, tief in den Gewölben von Schwarzenberg. Sie war dabei, Baby Leander in den Schlaf zu wiegen. Eos lag auf Toms Brust. Er hatte sich neben Blue lang ausgestreckt und döste vor sich hin. Tom war kaum wiederzuerkennen. Seit die Zwillinge da waren, hatte er sich komplett verändert. Es schien, als ginge er völlig in seiner Vaterrolle auf.

In den letzten zwei Wochen war Blue wieder zu Kräften gekommen. So erholt hatte sie sich seit einer Ewigkeit nicht mehr gefühlt. Sie hatte weder gearbeitet noch trainiert. Der Doc hatte ihr deutlich klargemacht, dass sie sich ein paar Tage Zeit für ihre Familie und ihre Gesundheit nehmen sollte. Das erste Mal in ihrem Leben war sie ein artiges Mädchen gewesen und hatte seine Anweisungen befolgt. Morgen war jedoch das süße, faule Leben für sie zu Ende. Sie musste sich wieder um die politischen Dinge kümmern und die Suche nach einer Kur gegen die Seuche forderte ebenfalls ihre Aufmerksamkeit. Sie stand auf und brachte den schlafenden Leander ins angrenzende Zimmer. Dort legte sie ihn vorsichtig ins Bett und deckte ihn zu. Dann ging sie zurück zu Tom und nahm Eos von seiner Brust. Ihre kleine Tochter protestierte leise, schlief aber gleich wieder ein, sobald sie in ihrem Bett lag.

Im Wohnbereich griff sie in den Kühlschrank und nahm eine Blutkonserve heraus, die sie in einer Tasse in der Mikrowelle kurz aufwärmte. Sie lehnte sich an die Kommode, auf der die Mikrowelle stand, und drehte einen Moment die Tasse in den Händen. Wie hatte sich ihr Leben in den letzten eineinhalb Jahren verändert. Für ihr Gefühl war sie doch eben noch Türsteherin und Sicherheitsverantwortliche im Dark Evil gewesen. Der Nachtclub hatte ihr Leben bedeutet, bis er abgebrannt war.

Blue hob die Tasse an die Lippen und wollte gerade einen Schluck nehmen, als ihr der Geruch des aufgewärmten Blutes in die Nase stieg. Sie hielt mitten in der Bewegung inne. Es roch eigenartig, nicht so, wie es sollte und irgendwie kam ihr das Aroma entfernt bekannt vor. Sie tauchte die Spitze ihres kleinen Fingers in die karmesinrote Flüssigkeit und kostete davon. Der Geschmack breitete sich in ihrer Mundhöhle aus und reizte die Papillen ihrer Zunge. Sie vermied es vorsichtshalber, den Tropfen zu schlucken. Während sie darüber nachdachte, woher sie dieses Aroma kannte, spuckte sie die Probe aus. In dem Moment, wo ihr mit Konservenblut durchsetzter Speichel ins Waschbecken fiel, erinnerte sie sich schlagartig. Sie wusste nicht, ob sie sich nun freuen oder schockiert sein sollte. Sie eilte zu Tom, der noch immer auf dem Bett lag und schlief, und berührte ihn sanft an der Schulter.

„Tom, wach auf.“

Er schlug sofort die Augen auf und sah sie alarmiert an.

„Was ist?“

Blue musste unwillkürlich lächeln.

„Nur die Ruhe. Es ist alles in Ordnung. Ich muss aber dringend ins Labor. Ich glaube, ich habe etwas entdeckt, was uns bei unserer Suche nach dem Heilmittel helfen kann.“

Tom hob kritisch eine Augenbraue. Blue setzte sich zu ihm und stellte die Tasse mit dem Konservenblut vorsichtig auf dem Nachttischchen ab.

„Damals während des Treueschwurs ist mir aufgefallen, dass Irbis’ Blut seltsam geschmeckt hat. Jetzt habe ich bemerkt, dass diese Blutkonserve hier dieselbe Note aufweist. Verstehst du, was ich damit sagen will? Vielleicht sind wir endlich auf etwas Wichtiges gestoßen! Vor allem aber will ich wissen, weshalb eine Blutkonserve, die eigentlich sauber, ja sogar steril sein sollte, eine solche Eigenart aufweist.“

Sie holte Luft und wollte ihre Rede weiterführen, als Tom abwehrend die Hände hob. „Lass es gut sein, Liebling. Ich verstehe sowieso nichts von dem was du mir gerade sagst. Es scheint aber wichtig zu sein, also musst du gehen.“ Er hielt inne und begann verschmitzt zu grinsen. „Aber du wirst mich mitnehmen müssen. Es gibt für mich kaum einen verführerischeren Anblick als dich im Laborkittel. Vorzugweise ohne was darunter.“ Er zog dabei anzüglich eine Augenbraue hoch. Sie musste lachen und boxte ihm gespielt empört in den Oberarm. Dann wurde sie wieder ernst.

„Jemand muss auf die Windelfraktion aufpassen.“ Sie fand es schade, dass Tom sie nicht würde begleiten können. Nur in seiner Gegenwart fühlte sie sich komplett.

Ohne einen Kommentar warf Tom sich herum und nahm sein Handy zur Hand. Sie hatte nicht erkennen können, wer der Empfänger des Anrufs war.

„Ja, hallo. Wie geht es dir?“ Toms Stimme klang ruhig, fast liebevoll. „Hast du gerade etwas Wichtiges zu tun? … Ich wollte dich fragen, ob du zu uns rüberkommen und ein paar Stunden auf Eos und Leander aufpassen könntest. Blue muss dringend ins Labor und ich will sie nicht allein gehen lassen … Sicher? Es macht dir wirklich nicht aus? … Ja schon. Ich weiß, dass du uns das schon länger angeboten hast. Aber trotzdem … Gut, wenn das der Fall ist, dann sehen wir uns gleich.“ Tom legte auf und lächelte Blue schelmisch an. „Der Babysitter ist organisiert.“

Sie war sich nicht ganz sicher, was sie davon halten sollte. „Und wann gedenkst du mir mitzuteilen, wen du für diese Aufgabe auserkoren hast?“ Sie hasste es, wenn man über ihren Kopf hinweg Entscheidungen traf. Er schien den bissigen Unterton in ihrer Stimme nicht bemerkt zu haben, denn er nahm sich ihre beiden Waffengurte und legte sich erst den eigenen um. Dann half er Blue dabei, ihren umzuschnallen.

Sein Duft streichelte ihre Sinne und sie schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet“, sagte sie leise, darum bemüht, ernst zu bleiben. Der Kerl schaffte es jedes Mal, sie aus dem Konzept zu bringen. Er wusste haargenau, welche Wirkung er auf sie hatte und nutzte dies schamlos aus.

„Lucy kommt her.“

Blue bekam sofort ein schlechtes Gewissen. Lucinda litt sehr unter dem Verlust ihres gebundenen Partners. Orion, Blues Onkel, war vor ein paar Monaten gestorben. Nur wenige Wochen, nachdem er mit Lucy den Blutsbund eingegangen war. Aufgrund seines Todes war Blue inthronisiert worden. Es verging kein Tag, an dem sie sich nicht wünschte, die Zeit bis zu jener Nacht zurückdrehen zu können. Vielleicht hätte sie seinen Tod verhindern können. Leider war das bekanntlich unmöglich, weshalb ihr nichts anderes übrig geblieben war, als sein Erbe so würdevoll wie es ihr möglich war anzutreten und in seinem Sinne weiterzuführen.

Das leise Klopfen an der Tür holte sie aus ihren Gedanken. Sie öffnete und sah sich Lucy gegenüber. Sie war blass und ihre Wangen wirkten eingefallen. Die blonden, langen Haare hatte sie nachlässig zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Als sie Blue erblickte, verbeugte sie sich.

„Königin.“

Blues Herz schmerzte bei diesem Anblick. Lucy und sie waren vor jenem unsäglichen Tag Freundinnen gewesen und was Blue betraf, hatte sich daran nichts geändert.

„Komm herein, Lucy. Ich möchte nicht, dass du dich vor mir verbeugst. Du bist meine Freundin und als solche entbinde ich dich von diesem Unsinn.“ Lucy erhob sich und trat ein.

„Danke“, sagte sie so leise, dass sie beinahe flüsterte. Blue nahm sie in die Arme.

„Wie geht es dir? Kommst du zurecht?“ Lucy nickte und löste sich aus Blues Umarmung.

„An manchen Tagen ist es leichter als an anderen. Aber das Loch in meinem Herzen wird sich niemals schließen.“ Ihre Stimme klang dünn vor Trauer und versetzte damit Blue einen heftigen Stich. Sie fühlte sich wie eine Versagerin.

„Es tut mir leid, dass ich ihn nicht retten konnte, Lucy. Diese Schuld werde ich mein Leben lang mit mir tragen.“

Die Witwe schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Liebes. Tu dir das nicht an. Niemand trägt die Schuld an den Geschehnissen jener Nacht. Außer Andromeda und Igor.“

Blue wusste, dass Lucy recht hatte, doch es fiel ihr schwer, sich nicht schuldig zu fühlen. Toms Arm, der sich um ihre Taille legte, erdete sie.

„Lass uns gehen, Schatz. Die Arbeit wartet auf dich und die Kleinen sind bestens versorgt.“

Lucy nickte Blue bestätigend zu.

„Ja, sei unbesorgt.“

Im Labor angekommen machte sich Blue daran, alle Utensilien, die sie für die Untersuchung brauchte, zusammenzutragen. Tom stand mit verschränkten Armen an der Wand. Er musterte sie mit einem Feuer in den Augen, das ihr das Blut ins Gesicht schießen ließ. Langsam und geschmeidig wie eine Raubkatze drehte er sich um und verschloss die Tür.

*

Blaugoldene Augen blickten ihn an. Den Rest des Gesichts erkannte er nicht. Doch es musste schön sein, wenn es solche Augen beherbergte. Irbis fühlte sich geborgen und im Lot, etwas, was er schon lange nicht mehr empfunden hatte. Eigentlich, seit er von Igor und Janus Delcours, den inzwischen verstorbenen Outlaw-Brüdern, gefangen gehalten und gefoltert worden war. Das war jetzt etwa sieben Jahre her. Eine Ewigkeit also.

Der Anblick verzerrte sich und Irbis hörte eine be schwörende Stimme, die auf ihn einredete, bis die Augen ganz verschwunden waren.

Stella ist die einzig Wahre … du willst nur sie …

Silberaugen wurden in seinen Traum gezwungen. Wie von fremder Hand gewaltsam heraufbeschworen. Irbis wurde von einer eisigen Kälte erfasst. Er wehrte sich gegen dieses Bild. Er wollte es nicht. Er wollte, nein, er musste aufwachen, denn er hatte das Gefühl, in einem Albtraum gefangen zu sein.

Ruckartig öffnete er die Lider. Er war schweißgebadet und fühlte sich erschlagen. Es dauerte einen Augenblick, bis er erkannte, wo er war – in der Hölle seines Alltags. Eingesperrt in einem elektromagnetischen Käfig, ohne Möglichkeit zur Flucht für einen Schattenlord, wie er einer war. Schattenlords hatten ganz außergewöhnliche Gaben. Sie konnten sich tarnen und sozusagen unsichtbar für ihre Umwelt machen. Dann waren sie noch in der Lage, sich zu dematerialisieren und an einem beliebigen Ort wieder Form anzunehmen. Untereinander nannten sie diese Fähigkeit scherzhaft beamen, wegen des Bezugs zu Star Trek.

Er war jetzt schon eine halbe Ewigkeit hier drin. Weggesperrt zu seinem eigenen Schutz und dem der anderen. Er war nämlich verseucht, erkrankt an der Blutgier, die einen nahezu unkontrollierbaren Drang zu jagen, zu beißen und zu töten mit sich brachte. Triebe, die ein gestandener Vampir, wie er einer war, eigentlich im Griff haben sollte, könnte man meinen.

Seine Gedanken schweiften zu Stella ab. Der Frau, die derzeit einstweilen sein Bett teilte und von der alle ausgingen, dass sie sich an ihn gebunden hatte. Dass ihre beiden Herzen den Bund eingegangen waren. Er glaubte immer weniger an dieses Unding, das Herzensbund genannt wurde. Denn die Gefühle, die er Stella entgegenbrachte, mochten vieles sein, aber sicher keine Liebe.

Vom Korridor her drang Licht durch den Spalt zwischen Tür und Türrahmen. Manchmal verspürte er das starke Bedürfnis, mit bloßen Händen Löcher in die Betonwände seines Gefängnisses zu schlagen. Er war ein freiheitsliebender Vampir, der sich langsam aber sicher hier drinnen zu verlieren drohte. Es würde nicht mehr lange dauern. Er stand auf und wanderte in seinem luxuriösen Verlies auf und ab. Unruhe überfiel ihn immer wieder. Klar, er hatte eine komfortable Einrichtung und alles, was er sich wünschen konnte. Sogar eine Dolby-Surround-Anlage mit großem Fernseher stand in einer Ecke. Aber trotz des ganzen Zeugs blieb es, was es war: eine Zelle. Es war ihm verhasst, eingesperrt zu sein. Er wollte wieder in seiner Loftwohnung leben. Ohne unter ständiger Beobachtung zu stehen. Jegliche Intimsphäre war dahin.

Stella war so oft wie möglich bei ihm, aber ihre Beziehung, wenn man es denn so nennen konnte, war nicht einfach auszuleben unter solchen Umständen. Er schob seine Zweifel über seine Bindung zu Stella auf die Situation, in der er steckte. Er konnte sich nicht geben, wie er war und seine Angst tat ihren Rest. Immer wenn Stella bei ihm war, bekam er Angst, dass er die Kontrolle über seine Triebe verlor. So wie bei Blue, als sie zu ihm gekommen war und danach die Zwillinge bekommen hatte. Er hatte ihr seither jeden Besuch verweigert. Hatte ihr mitteilen lassen, dass er sie nicht sehen wollte.

Obwohl das nicht der Wahrheit entsprach. Er sehnte sich nach der Gesellschaft seiner Schwester und er wollte seine Nichte und seinen Neffen kennenlernen. Doch er traute sich selbst nicht über den Weg, er war zu gefährlich, als dass er sich mit fragilen Babys abgeben könnte. Dieser Durst und der Drang zu beißen, trieben ihn an den Rand des Wahnsinns. Er war gefangen in Raserei, Not und Schmerz. Gleichzeitig erfüllt von Trauer und Hilflosigkeit. Ja, er hasste sich dafür, dass er sich nicht unter Kontrolle hatte und seine Schattenlordbrüder sowie Blue und Stella ihn so sahen. Auch der offene Argwohn, den Tom ihm entgegenbrachte, verletzte ihn. Schließlich war Tom sein bester Freund. Irbis’ Selbstachtung war auf minus 1000 gesunken. Warum war er bloß zum Blutjunkie geworden? Schwach war er und armselig.

Mit Eingeweiden, die zu Stein geworden waren, so schien es ihm, nahm er sich den Boxsack mit bloßen Händen vor. Die Haut über den Fingerknöcheln begann bald zu brennen und platzte an einigen Stellen auf. Doch er begrüßte den Schmerz, denn er lenkte ihn vom Toben in seinem Inneren ab.

Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon auf den Sack eingeschlagen hatte, als plötzlich der Duft von Orangenblüten und Vanille in seine Nase drang. Stella. Sie stand hinter ihm. Dies war ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um zu ihm zu kommen. Er hatte sich noch nicht genährt und war sich nicht mal sicher, ob er sie überhaupt sehen wollte.

„Du solltest nicht hier sein, Stella.“ Seine Stimme war heiser und bar jeder Kraft. Krankhaftes Verlangen brannte wie Säure in seiner Kehle und er konnte sich kaum beherrschen. Noch stand er mit dem Rücken zu ihr. „Bitte komm nicht näher. Das ist zu gefährlich.“ Und schon spürte er ihre zarten Lippen auf der nackten Haut seiner Schultern.

„Ich liebe die Gefahr“, sagte sie mit dunkel gefärbter Stimme. Ihre Worte fuhren direkt in seine Lenden und ließen seinen Schwanz strammstehen. Seine Fänge fuhren vor Erregung aus seinem Kiefer und brennende Gier floss wie ein reißender Strom durch seine Adern. Shit! Er hatte schon länger das Gefühl, dass ihre Beziehung nur auf Sex basierte. Egal. Spaß machte es allemal mit ihr und von da an setzten seine Gedanken aus und sein Körper übernahm.

*

Toms Blick glitt über die einladenden Kurven seiner Frau. Verdammt, es machte ihn total an, wenn sie diesen weißen, unförmigen Laborkittel trug. Sein Verstand kreierte Bilder, die ihm die Hose eng werden ließen. Blue in Spitzenwäsche und darüber nur diesen Kittel … Gut, dass Doc ihnen grünes Licht gegeben hatte und sie wieder miteinander schlafen durften. Leider war es seitdem noch nicht dazu gekommen, weshalb Tom sich seinem Kopfkino hingab.

„Was?“ Ihre Stimme holte ihn aus seinem „Beinahefeuchten-Tagtraum“. Als er das wissende Lächeln auf ihrem Gesicht sah, wurden ihm fast die Knie weich.

„Erst kommt die Arbeit, Liebster und dann das Vergnügen.“ Ihre Stimme glitt wie elektrische Wellen durch seine Nervenenden und damit auch in sein bestes Stück. Tom hatte Mühe, Ruhe zu bewahren, doch er wusste, dass Blue recht hatte. Dieses Mal zumindest. Diese Seuche musste endlich unter Kontrolle gebracht werden. Er beobachtete fasziniert, wie sie die verschiedenen Tests machte. Er liebte die steile Falte zwischen ihren Augenbrauen, die immer entstand, wenn sie nachdachte oder durch das Mikroskop schaute. Irgendwann, Stunden mussten vergangen sein, begann eines der Analysegeräte zu piepsen.

„Könntest du mir bitte den Ausdruck bringen, den das Gerät gerade ausspuckt?“, fragte Blue, ohne vom Laptop aufzublicken, in den sie die erlangten Daten eingab. Tom stemmte sich vom Boden hoch und ging mit etwas steifen Knien zum Gerät. Er schnappte sich das Papier und warf einen Blick darauf. Der Ausdruck beinhaltete Grafiken, Kurven und irgendwelches Buchstabenkauderwelsch, das genauso gut Chinesisch hätte sein können. Blue nahm das Papier geistesabwesend von ihm entgegen.

„Danke“, murmelte sie. Dann erst löste sie sich vom Computermonitor und studierte die ausgedruckten Resultate. „Das gibt’s doch nicht!“, rief sie und wandte sich erneut dem Laptop zu, um die gesammelten Daten zu vergleichen.

Tom kam sich in erster Linie fehl am Platz vor. In zweiter Linie war er aber unglaublich stolz auf seine Frau, wenn sie so verbissen dem Unbekannten hinterherjagte. Dann schwoll sein Herz zu doppelter Größe an.

„Was hast du herausgefunden, Baby?“

Sie lehnte sich auf dem Bürostuhl zurück und lächelte wie eine Göttin. „Ich konnte endlich den Erreger identifizieren!“ Sie machte eine Pause, als wollte sie die Dramatik erhöhen.

„Spuck’s aus, Süße.“ Er war ungeduldig, das wusste er. Eigentlich hätte er ihr ermöglichen sollen, diesen Triumph mehr auszukosten. Doch er hatte nur noch eines im Sinn. Er wollte sie in den Bürostuhl drücken und sich tief in ihr versenken. Für dieses Warten im Sinne der Wissenschaft war er nicht gemacht. Sie schien seine Gedanken zu lesen, denn sie lächelte ihn an.

„Ist da jemand ungeduldig? Keine Angst, du kommst schon noch zum Zug. Schließlich habe ich mir eine Belohnung verdient.“

Ein dunkles Knurren fand seinen Weg aus Toms Brust.

„Alles mit der Ruhe“, neckte sie ihn. „Du willst sicher wissen, was dein kluges Frauchen herausgefunden hat, oder?“ Ihre Spielchen raubten ihm fast den Verstand und sie schien es zu genießen. Raffiniertes Luder.

Verseuchtes Blut

Blue fühlte sich euphorisch. Endlich hatte sie den Erreger der Blutgier gefunden. Es handelte sich um eine Eiweißstruktur, die den Prionen zugeordnet werden konnte. Die Prionen werden für BSE verantwortlich gemacht. Was für einen Schaden sie genau anrichteten und welche Veränderungen sie im Körper eines Vampirs hervorriefen, musste aber erst noch herausgefunden werden. Tom hatte ihr gebannt zugehört, und als sie ihm zu Ende berichtet hatte, hob er sie hoch und wirbelte sie herum.

„Das sind tolle Neuigkeiten, Süße. Jetzt werden Irbis und die anderen endlich geheilt.“

Sie hasste es, ihn enttäuschen zu müssen. „So weit sind wir leider noch lange nicht. Erst müssen wir herausfinden, was die prionenähnlichen Stoffe genau bewirken. Und das kann noch seine Zeit dauern.“ Es gab niemanden, der das mehr bedauerte als sie selbst.

Tom nahm sie in den Arm. „Du wirst ein Heilmittel finden. Daran glaube ich felsenfest. Aber für heute ist es genug. Der Rest kann bis morgen warten.“ Seine Lippen wanderten zu ihrem Hals und seine Fänge schabten vielversprechend über ihre empfindliche Haut. Gleichzeitig nahm er ihre Hand und legte sie in seinen Schritt. Als sie seine Erektion erwartungsvoll in ihrer Hand anschwellen spürte, begann ihr Herz schneller zu schlagen. Hitze, zäh fließend wie Lava, erfüllte ihre Venen. Verlangen schoss unbarmherzig in ihren Unterleib und ließ sie schaudern.

„Ich leide schon seit Stunden Höllenqualen. Dich in diesem Kittel zu sehen ist die reinste Folter. Es wird Zeit, dass du eine Kur für mein Leiden findest.“

Als Antwort schob sie ihre Finger unter sein Muscle-Shirt und kratzte über seinen Rücken, wovon sie wusste, dass er es liebte. Feuriges Verlangen blitzte in seinen Augen auf. Knurrend hob er sie in den großen Bürostuhl. Er beugte sich über sie und stützte sich dabei auf den Armlehnen ab. Mit seinen Beinen schob er ihre Knie auseinander.

„Ich wollte dich schon lange in einem solchen Stuhl nehmen“, raunte er an ihrem Mund, bevor er mit der Zungenspitze ihre Lippen teilte. Ihre Zungen umkreisten sich in einem heißen Liebestanz.

„Hast du die Tür abgeschlossen?“, fragte sie atemlos, während er sich an ihrem Oberteil zu schaffen machte.

„Aber natürlich. Ich stehe nicht auf Zuschauer.“ Sie hörte das Lächeln in seiner Stimme. „So viel Geld hat sowieso niemand, um den Eintritt für unsere exklusive Peepshow zu bezahlen.“

Sie musste sich beherrschen, um nicht lauthals zu lachen, denn Tom war ein kleiner Planungsfehler unterlaufen.

„Und die Überwachungskameras? Du willst doch nicht, dass uns die Jungs in der Sicherheitszentrale in aller Herrlichkeit beobachten können?“

Tom erstarrte und hob abrupt den Kopf. „Überwachungskameras? Oh, die Überwachungskameras.“ Er erhob sich und ging zu dem störenden Objekt über der Tür. Kurzerhand zog er das Kabel aus der Steckdose. Dann schlenderte er zur Kamera am anderen Ende des Raums und löste das Problem auf die gleiche Weise.

Während Tom zu ihr zurückkam, zog er sich das Shirt über den Kopf. Der Anblick ließ ihr den Atem stocken. Ihr Blick glitt über die breiten Schultern, das Sixpack, das schmale Becken, die starken Beine und die muskulösen Arme. Auf seiner gut ausgebildeten Brustmuskulatur, direkt über seinem Herzen, trug er stolz ein neues Tattoo. Eos & Leander in geschwungener Schrift. Umrandet wurden die beiden Namen von Tribal-Ornamenten, die sich über die linke Schulter bis zu seiner anderen Tätowierung am linken Oberarm zogen, sodass die beiden Motive eine Einheit bildeten.

Sie betrachtete das Spiel seiner Muskeln unter der bronzefarbenen Haut und wohlige Schauder überfluteten sie. Sie begann sich im Stuhl zu rekeln, wie eine Katze in Erwartung gekrault zu werden. Das harte Training, das er seit den letzten Monaten täglich durchlief, tat ihm gut. Er strotzte vor Kraft und Flexibilität. Tom ließ sich vor ihr auf die Knie fallen. Seine Hände glitten von ihren Waden nach oben bis zu ihren Knien und wieder zurück. Er nahm ihre Füße und legte sie in seinen Schoß. Quälend langsam begann er, die Schnürsenkel ihrer Kampfstiefel zu öffnen. Nachdem er den ersten Fuß von Schuh und Strumpf befreit hatte, widmete er sich dem anderen Stiefel. Sie ließ es sich nicht nehmen, währenddessen mit ihrem nackten Fuß seinen Schritt zu erkunden. Mit sanftem Druck glitt sie über die stahlharte Erektion hinter dem Reißverschluss seiner Cargohose und entlockte ihm damit ein erwartungsvolles Knurren. Er erhob sich und zog sie auf dem Stuhl näher zu sich. Seine Zunge glitt über ihre Lippen und sein warmer Atem streichelte ihre Sinne. Sie ließ sich fallen und genoss seine Zuwendung, auch wenn sie fordernd war. Sie liebte die Dominanz, die er in solchen Situationen an den Tag legen konnte. Mit einem Ruck zog er ihr die Hose samt Slip unter dem Hintern hervor und befreite ihre Beine. Seine Hände glitten sanft von den Waden nach oben. An ihrem heißen Zentrum kreisten seine Fingerknöchel verführerisch über ihr warmes Fleisch. Dann spreizte er ihre Schenkel noch weiter und nahm ihre empfindlichste Stelle mit dem Mund in Besitz. Seine Zunge liebkoste sie und hob sie damit in andere Sphären. Er schien jeden Millimeter von ihr zu erkunden und genoss sichtlich ihr Verlangen, was sie ihrerseits noch heißer werden ließ. Ihre Hände glitten in sein volles Haar und sie schloss genussvoll die Augen. Er hatte ihr gefehlt und deshalb sog sie seine Zuwendung auf wie ein Dürstender dargebotenes Wasser. Alle dunklen Gedanken waren wie weggefegt und heiße Glut erfüllte sie bis in die feinsten Fasern ihres Seins. In diesem Augenblick war sie nur noch Blue und nicht mehr Königin Siria. Toms Liebe führte sie an den Kern ihres Ursprungs zurück.

Er ließ nur eine Sekunde von ihr ab, um seine Kleidung abzustreifen, schlang dann seine Arme um ihre Taille und zog sie auf die Beine.

„Das hat mir gefehlt“, murmelte er in ihre Haare und stellte sie vor dem Schreibtisch auf ihre Füße. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich will, Baby.“ Seine Stimme war dunkel gefärbt von Verlangen und schürte damit die Hitze in Blues Blut zusätzlich.

„Worauf wartest du dann noch?“ Nach dieser Aufforderung, sie beide von ihren Qualen zu befreien, setzte sie sich auf die Tischplatte und legte ihre Unterschenkel um seine Hüfte. Ihr hatte es ebenso gefehlt, ihm so nahe zu sein. Er folgte ihrer Einladung, ohne zu zögern und als er sich bis zur Wurzel in ihr versenkt hatte, meinte sie zu schweben. Während er sich immer wieder in sie trieb, gab sie dem Drang nach und biss ihm in die Halsvene. Sein Lebensnektar rann warm und wohlschmeckend ihre Kehle hinunter und füllte sie aus. Sie fühlte sich ihm näher als irgend möglich. Als Einheit und unzertrennlich. Er war mit einem Mal allgegenwärtig. Als sie das Gefühl hatte, vor Verlangen zerspringen zu müssen, zog sich ihre Körpermitte zu einem gewaltigen Höhepunkt zusammen. Tom folgte ihr nur einen Wimpernschlag später.

*

„Das war gut. Sehr gut sogar.“

Tom ließ seinen Kopf zwischen Blues Brüste fallen. Er sog ihren Duft ein und labte sich an ihrer Körperwärme. Erst als Blue zu kichern begann, wurde ihm bewusst, dass er die Worte laut ausgesprochen hatte.

„Das nennst du gut?“, neckte sie ihn. „Es war okay, aber viel zu schnell vorbei. Ich denke, du musst da noch etwas üben.“

Diese kleine Hexe. „Üben? Ich werde dir zeigen, dass ich ein Profi bin. Du wirst mich um Gnade anflehen. Das ist ein Versprechen“, rief er gespielt empört aus. Er liebte es, wenn sie, was viel zu selten geschah, ihre Spielchen mit ihm spielte. Leider war sie in letzter Zeit ernst und in sich gekehrt. Tom war froh, dass er ihr ab und zu solche Momente der Heiterkeit schenken konnte. Seit dem Tod Orions und dem Ausbruch der Seuche waren solche Augenblicke rar. Er nahm eine ihrer schönen Brustwarzen zwischen die Lippen und knabberte daran, bis sich ihre Atmung beschleunigte. In der Zwischenzeit bearbeitete er mit den Fingern ihr Lustzentrum. Ihre Hitze raubte ihm fast den Verstand. Er drang mit zwei Fingern in sie ein und genoss ihre Feuchte. Als sie vor Verlangen zu wimmern begann, hielt er inne und sah sie an.

„Soso. Ich muss noch üben.“ Er konnte selbst hören, wie dunkel seine Stimme vor Erregung war. Dann fuhr er mit seiner Nasenspitze seitlich über ihren Hals. Sie lachte heiser und bog sich ihm entgegen. So einfach würde er es ihr aber nicht machen, selbst wenn er dadurch Höllenqualen durchlitt. Sie hatte die Bestrafung verdient. Auch wenn diese leidenschaftlich süß ausfallen würde.

Tom ließ kurz von ihr ab, um sie herumzudrehen und über den Tisch zu beugen. Er spreizte mit den Knien ihre Beine und packte ohne Gewalt ihre langen Haare.

„Ich glaube, du warst gerade eben etwas ungezogen, Baby“, raunte er ihr ins Ohr und biss ihr sanft ins Ohrläppchen. Sie schnappte nach Luft und kreiste einladend mit den Hüften. Tom zog mit seinen Lippen eine Spur über ihre Wirbelsäule. Fuhr mit der Spitze der Zunge die Konturen ihres Tattoos nach. Die feinen Ranken, die auf Blues Brustbein begannen, zu den Schulterspitzen liefen, um sich danach auf dem Rücken zu einem Strang zu vereinigen und erst am Kreuzbein endeten. Er biss immer wieder zu, ohne jedoch die Haut zu verletzen.

Blue schauderte und begann, sich flehend zu winden. „Tom, bitte …“

„Nur die Ruhe, Baby. Vorhin ging es dir doch zu schnell.“ Er lächelte in sich hinein. Wenn sie nur wüsste, wie sehr er sich beherrschen musste. Er fuhr mit einer Hand über ihren Bauch nach unten zwischen ihre Beine. Oh Mann, sie war so warm und feucht und ihre weiche Haut an seinen Fingern zu spüren, ließ seine Selbstkontrolle zu Asche zerbröseln. Er konnte nicht mehr warten und brachte sich in Position. Der Trieb sie zu besitzen und zu dominieren, nahm überhand und mit einem einzigen harten Stoß versenkte er sich bis zur Schaftwurzel in ihr. Sie reckte sich ihm mit einem seligen Stöhnen entgegen und es gab für ihn kein Halten mehr. Er legte sich mit dem Oberkörper auf sie und trieb nicht allein seinen Schwanz von hinten in sie, sondern vergrub seine Fänge in ihrer Halsvene. Gleißende Hitze schoss durch seine Adern direkt in sein Glied. Er nahm sie hart und fordernd. Ein feines Stimmchen in seinem Hinterkopf meldete, dass er vorsichtiger sein sollte. Aber allein ihre Reaktion auf seine Invasion zeigte ihm, dass sie es genauso genoss wie er. Scheiße! Er liebte sie wie ein Verhungernder. Er vergaß Raum und Zeit, und als der Höhepunkt heranraste, hatte er das Gefühl zu fallen.

So war das mit gebunden Vampiren. Sie brannten stets für ihre Partnerin und waren in der Vereinigung animalischer als jedes andere Lebewesen.

Ungeklärte Fragen

Blue lag in Toms Armen. Sie hatten sich auf dem Boden des Labors zusammengerollt und genossen die Zweisamkeit. Sie hatten viel zu selten Zeit füreinander. Fortwährend zerrten irgendwelche Aufgaben und Dringlichkeiten an ihren und seinen Nerven. Es gab immer jemanden, der etwas von ihr oder von Tom wollte oder brauchte. Tiefes Bedauern erfüllte sie, als ihr bewusst wurde, dass sich dies nicht mehr ändern würde.

Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihrem Dämmerzustand. Hatte man denn nirgends seine Ruhe? Tom schien ihren Unmut zu spüren, denn er zog sie fest an sich.

„Willkommen im Alltag“, seufzte er ihr ins Ohr und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe.

„Hoheit? Ist alles in Ordnung?“

Oh Mann, wie ihr dieser ganze „Hoheits-Klimbim“ auf die Nerven ging. „Natürlich!“, rief sie verärgert. Tom war inzwischen aufgestanden und sammelte ihre Kleidung ein. Erst gab er ihr ihre Hose und das Oberteil und erst dann zog er sich zu ihrem Leidwesen ebenfalls an.

„Majestät, könnten Sie bitte die Tür öffnen, damit ich mich davon überzeugen kann, dass Sie wirklich wohlauf sind?“, drang die Männerstimme durch das Türblatt.

Blue versuchte nicht einmal das Knurren, das sich in ihrer Brust zusammenballte, zu unterdrücken. „Ich werde dem Kerl gleich zeigen, wie wohlauf ich bin“, zischte sie.

Tom hingegen lächelte amüsiert. „Zieh du dich fertig an und überlass den Knilch mir. Sonst haben wir einen Toten zu beklagen.“

Er hatte recht, und während sie beobachtete, wie er zur Tür ging, machte ihr Herz übermütige Hüpfer. Obwohl sie sich immer geweigert hatte, ihre Selbstständigkeit aufzugeben, konnte sie sich nicht mehr vorstellen, ohne Tom zu sein. Er akzeptierte ihren Freiheitsdrang und tat ihre hin und wieder aufkeimende Kratzbürstigkeit mit einem Lächeln ab. Er war ihr Leuchtfeuer, ihr Fels in der Brandung, ihr Halt. Ihr Held.

Tom warf ihr noch einen prüfenden Blick zu, als wollte er sich davon überzeugen, dass sie auch wirklich angezogen war. Dann erst öffnete er dem Störenfried.

„Bitte, überzeuge dich selbst, dass es meiner Frau gut geht.“ Tom trat zur Seite und ließ den Soldaten ein. Dieser schien sich nicht wohl bei der Sache zu fühlen, denn er knetete beinahe manisch seine Hände.

„Entschuldigen Sie bitte, Hoheit. Aber als die Kameras länger keine Bilder von diesem Raum gesendet haben, haben wir uns Sorgen gemacht.“ Der Soldat sah sich unsicher um, dann ging er zu den beiden Kameras und steckte sie stirnrunzelnd wieder ein.

Blue war sich völlig im Klaren, dass der Typ riechen konnte, was Tom und sie hier getrieben hatten. Aber es war ihr egal. Sollte er doch denken, was er wollte. Mit einer gewissen Befriedigung stellte sie fest, dass sich auf dessen Wangen ein Hauch Rosa legte. Geschah ihm nur recht.

Tom legte einen Arm um ihre Schultern. „Wir waren beschäftigt und wollten keine Zuschauer dabeihaben. Eines könnt ihr euch merken: Wenn die Königin mit mir zusammen ist, wird ihr nie etwas passieren. Im Übrigen hat sie sowieso keinen Babysitter nötig. Glaub mir.“

Das gab dem Soldaten den Rest. Er stammelte etwas wie „Verzeihung“ und stakste verlegen davon. Blue hatte inzwischen alle Dokumente und ihren Laptop in die Kuriertasche gepackt und die Proben mit dem Konservenblut in den Kühlschrank gestellt. Den Zwischenfall mit dem Soldaten hatte sie schon fast wieder vergessen, denn in ihrem Kopf wirbelten bereits andere Gedanken herum. Gedanken von mehr Belang. Aber bevor sie sich diesen Dingen widmen konnte, hatte sie etwas Wichtiges zu erledigen. Sie nahm die Tasche vom Tisch und sah sich plötzlich Tom gegenüber. Dieser nahm schweigend ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie mit einer schier schmerzhaften Sanftheit.

„Ich liebe dich, Blue.“ Diese einfachen Worte aus seinem Mund zu hören und die Nähe zu ihm in dem Moment, ließ sie fast schweben.

„Ich liebe dich noch mehr“, entgegnete sie. Tom zog sie an seine Brust.

„Es hat gutgetan, mal wieder etwas Zeit zu zweit zu haben. Auch wenn wir sie uns gestohlen haben.“ Tom hatte recht. Immer waren andere um sie herum und wenn nicht, waren da noch die Zwillinge. Sie hatte sich auch schon oft gewünscht, mehr Zeit mit ihrem Mann verbringen zu können. Doch momentan lagen eben zu viele Dinge im Argen. Der Krieg, die Seuche, ihre Position, Geldmangel … um nur ein paar zu nennen. Aber so spielte nun einmal das Leben.

Tom nahm ihr schweigend die Tasche ab und hängte sie sich um die Schulter. Sie verließen das Labor. In ihrem Quartier angekommen verabschiedeten sie sich von Lucy, die sich unauffällig zurückzog.

„Ich muss zu Irbis und ihm von meiner Entdeckung erzählen“, murmelte Blue mehr zu sich selbst. Tom legte ihr die Hände auf die Schultern. Er hatte ihre Worte gehört.

„Bist du sicher? Du hast doch gerade gesagt, dass du erst noch die Wirkung dieses Erregers herausfinden musst, bevor du ein Heilmittel entwickeln kannst. Machst du ihm damit nicht zu große Hoffnung?“

„Nein, im Gegenteil. Diese Neuigkeit könnte der Strohhalm sein, an den er sich klammern kann. Er will sterben, Tom. Verstehst du? Er hat mich vor zwei Wochen gebeten, ihn von seinem Elend zu erlösen.“ Etwas, was sie sicher nie übers Herz bringen konnte und ihrem Bruder dennoch schuldig wäre. Mit dem Doc würde sie ebenfalls reden müssen, denn er musste ihr bei der Entwicklung eines Medikaments helfen. Deshalb zückte sie das Handy und schrieb ihm eine Nachricht mit der Aufforderung, sie in zwei Stunden zu treffen.

*

Tom schloss für einen Moment die Augen. Das hatte er nicht gewusst. Er hatte in den vergangenen Wochen kaum Interesse an seinem Schwager gezeigt. Dabei war Irbis sein bester Freund, ja fast wie ein Bruder. Er hätte für ihn da sein müssen. So viel stand fest. Nun kam er sich mit einem Mal erbärmlich vor. Er hatte Irbis insgeheim für schwach gehalten, doch dass dieser derart litt, hatte er nicht für möglich gehalten. Ein toller Freund war er.

„Ich werde dich begleiten. Du weißt nicht, in welchem Zustand er gerade ist.“ Sie nickte, doch der Ausdruck in ihrem Gesicht ließ ihn unruhig werden. Irgendetwas heckte sie aus. Und kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gedacht, kamen ihre Pläne schon ans Tageslicht und brachten ihn ins Schleudern.

„Sehr gut“, sagte sie mit einer Selbstverständlichkeit. „Du kannst Leander tragen und ich nehme Eos. Er soll seine Nichte und seinen Neffen endlich kennenlernen.“ Tom erstarrte. Wie konnte sie überhaupt auf so eine Schnapsidee kommen? War sie jetzt komplett übergeschnappt?

„Das halte ich für keine gute Idee“, begann er vorsichtig. „Was ist, wenn er die Kontrolle verliert? Du führst unsere Kinder ins Kriegsgebiet. Das ist dir doch hoffentlich klar?“

Sie zuckte lediglich mit den Schultern. „Er ist ihr Onkel und ich vertraue ihm. Ich weiß, dass er ihnen nichts tun wird. Er ist kein Monster, Tom, auch wenn er sich für ein solches hält.“

Was sollte er darauf noch sagen? „Dein Wort in Gottes Ohr. Wenn es denn einen gibt.“ Ihm war leider mehr als klar, dass er gegen eine Wand redete. Blue hatte sich in den Kopf gesetzt, dass jetzt ein fröhliches Familientreffen stattfinden sollte und davon brachte man sie nicht mehr ab. Er beobachtete, wie sie sich umzog und danach erst Eos und Leander in ihre Babysitze legte. Tom trat zu ihr und nahm wortlos Leander. Seine freie Hand glitt vorsorglich an sein Bein, wo er eine Smith & Wesson im Holster trug. Ein Dolch steckte an seinem angestammten Platz am Rücken.

Blue sah ihn an. Ihre blauen Augen schienen ihn festzunageln. „Ich weiß, dass du damit nicht einverstanden bist. Aber bitte, vertrau mir. Ich weiß, was ich tue. Ich würde unsere Kinder niemals in Gefahr bringen.“ Sie legte eine Hand an seine Wange und küsste ihn sanft wie ein Windhauch. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf der Stelle vollständig zu kapitulieren. Sie hatte ihn wie immer komplett in der Hand. Mit einer gewissen Befriedigung beobachtete er, wie sie den Sitz des Dolchs in ihrem Stiefel überprüfte und danach kurz die Magazine ihrer beiden Heckler & Kochs kontrollierte, bevor sie sie in die Beinholster schob. Sie war wie immer, so gut es eben ging, vorbereitet. Wieso zweifelte er überhaupt an ihr? Schließlich lebte sie schon viel länger als er in dieser Welt voller Gewalt und Tod, die aber auch durchdrungen von Liebe und Leidenschaft war.

Bevor sie ihr privates Refugium verließen, stellte sie sich auf die Zehen und küsste ihn noch einmal. „Vertrau mir, alles wird gut.“

Wenn er doch nur ihr Selbstvertrauen hätte.

*

Irbis lag auf seinem Bett. Stella schmiegte sich in seine Arme und zeichnete die Konturen seiner Brustmuskeln nach. Er versuchte sich einzureden, dass sie seine große Liebe war. Sein Ein und Alles. Das Gefühl wollte sich trotzdem nicht einstellen. Eines wusste er aber mit Sicherheit: Sie hatte einen Mann von Ehre verdient. Das konnte er ihr nicht bieten. Nicht in diesem Zustand, aber auch später nicht. Er hatte zu viel Dreck am Stecken.

Stella rekelte sich genüsslich und begann die Haut seiner Brust und seines Bauchs mit sanften Küssen und neckischen Bissen zu bedecken. An den so verwöhnten Stellen bildete sich Gänsehaut und er schloss die Augen. Eigentlich sollte er sie stoppen, sollte sie davonjagen. Eben weil es besser für sie beide wäre. Aber verdammt sollte er sein, er genoss die Zuwendung. Bei ihr konnte er einfach er selbst sein. Er musste sich um nichts sorgen und selbst der brennende Durst war gedämpft, wenn sie in seiner Nähe war. War das egoistisch? Ja natürlich, aber er hatte eh nichts mehr zu verlieren. Er saß in Iso-Haft, verseucht mit irgendeinem Krankheitserreger, den er durch Missachtung des heiligsten aller Gesetze bekommen hatte. Er wartete tagein, tagaus auf eine Neuigkeit von seiner Schwester und Königin. Er wusste, dass diese Nachricht vermutlich nicht rechtzeitig eintreffen würde. Für ihn zumindest.

Irbis spürte, wie er sich jeden Tag ein bisschen mehr der Blutseuche ergab. Die Momente, in denen er die Kontrolle verlor, wurden häufiger und länger und es kostete ihn immer mehr Kraft, um aus seiner inneren Verwirrtheit herauszufinden.

Stellas zarte Lippen, die sich immer mehr Richtung Süden bewegten, stoppten sein stummes Gejammer. „Hör auf zu denken, Liebster“, sagte sie leise. Stella Incaelis – Stern am Himmel. Ja, das war sie und sie war einfach wundervoll. Nur nicht der richtige Stern für ihn.

Ihr warmer Mund umschloss sein männlichstes Stück. Er ließ den Kopf auf das Kissen sinken und verbot sich die tristen Gedanken. Alles, was für ihn noch zählte, war das Hier und Jetzt, denn an eine Zukunft glaubte er sowieso nicht mehr. Er ließ sich fallen und genoss den Sturm der Leidenschaft, den Stella in ihm hervorrief.

Nachdem sie ihn beinahe leer gesaugt hatte, fand er nur langsam wieder Bodenhalt. Es klopfte unerwartet zweimal an die Zellentür, die gleich darauf geöffnet wurde. Sofort wurde er wütend. Seit er diese Seuche in sich trug, war er extrem schnell auf hundertachtzig. Der diensthabende Soldat stand im Türrahmen und warf glühende Blicke in Stellas Richtung. Irbis packte sofort das Leintuch und bedeckte damit ihre Blöße.

„Wenn du dein Augenlicht heute Abend noch haben willst, rate ich dir dringend, diese Vampirin nicht so zu begaffen.“ Irbis’ Stimme war düster gefärbt und ließ damit keine Zweifel darüber im Raum stehen, was seine Aufrichtigkeit betraf. Diese Vampirin, nicht seine Vampirin … doch er schob diesen Gedanken rasch beiseite.

Der Soldat senkte sofort den Blick. „Die Königin ist da und bittet darum dich besuchen zu dürfen.“

Eisige Kälte griff nach Irbis’ Gedärmen. Was sollte er jetzt tun? Er hatte schon einmal beinahe die Kontrolle in ihrer Gegenwart verloren. Was war, wenn er sie dieses Mal tatsächlich verletzte? Nein, sie durfte nicht in seine Nähe. Unter keinen Umständen.

„Ich will sie nicht sehen. Wenn sie mir was zu sagen hat, soll sie eine E-Mail schreiben.“

Der Wächter zuckte kurz zusammen, wandte sich dann aber zum Gehen.

„Warum so unhöflich, Bruderherz?“ Blues Stimme wehte zu ihm herüber und brachte ihn sowohl physisch als auch psychisch aus dem Gleichgewicht.

Stella war inzwischen aufgestanden und hatte sich angezogen. Sie stand schräg hinter ihm. Ganz nahe. Er konnte ihre Körperwärme spüren. Er musste sich bemühen, Ruhe zu bewahren, im Interesse aller Anwesenden.

„Das hat nichts mit Unhöflichkeit zu tun“, konterte er trotzig. Dennoch konnte er die Freude, seine Schwester zu sehen, kaum unterdrücken. Verdammt, sie sah gut aus. Schlank wie vor der Schwangerschaft. Die Cargohosen und die Kampfstiefel waren zwar nicht sehr sexy, doch sie taten Blues großartigem Aussehen keinen Abbruch.

Zufrieden stellte er fest, dass sie nicht unbewaffnet zu ihm gekommen war.

„Du siehst gut aus, kleine Schwester.“ Sie nickte und er konnte nicht umhin zu bemerken, dass sie auf der Hut war. Braves Mädchen. Schließlich konnte er sich selbst nicht über den Weg trauen. „Was führt dich in die Höhle des Monsters?“

Sie stützte verdrossen die Hände in die Hüften und blickte kurz zu Boden. Dann sah er, wie sie die Schultern straffte und sich aufrichtete.

„Hast du dich genährt?“ Ihre Frage war knapp und voller Autorität. Eine wahre Führerin ihres Volkes. Dennoch versetzte ihr Ton ihm einen kurzen Stich.

„Nein“, antwortete er wahrheitsgetreu. Blue warf Stella einen vorwurfsvollen Blick zu, welcher Irbis dazu nötigte, sie zu verteidigen. „Ich nähre mich nicht an Stellas Vene. Nicht, solange ich nicht für ihre Sicherheit garantieren kann. Aber im Moment habe ich mich unter Kontrolle. Das kann ich dir versichern.“

Blues Augen verengten sich zu Schlitzen und sahen ihn prüfend an. Dann wandte sie sich abrupt um und blickte zur Tür.

„Tom, du kannst hereinkommen.“ Gleich darauf erschien sein Schwager in der Türöffnung. Der Krieger füllte fast den ganzen Rahmen aus. Zu Irbis’ Entsetzen hatte Tom zwei Kindersitze in den Händen. Leander und Eos. Wie konnten Blue und Tom so verantwortungslos sein? Was war, wenn er die mühsam aufrechterhaltene Kontrolle wirklich verlor? Die Babys mussten von hier verschwinden. Sofort!

Sein Verstand tobte, doch sein Herz und sein Körper übernahmen die Führung. Seine Füße trugen ihn Meter für Meter näher an die Kinder heran. Zwei Augenpaare richteten sich auf ihn. Moosgrün, wie die ihres Erzeugers. Doch die Form hatten sie von der Seite der Sangualunaris. Schwarzes Haar umrahmte die beiden pausbäckigen Gesichtchen. Irbis hatte das Gefühl, dass Eos und Leander ihm direkt in seine Seele blickten. Was für außergewöhnliche Kinder.