Jane Austen - Wolfgang Martynkewicz - E-Book

Jane Austen E-Book

Wolfgang Martynkewicz

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Beschreibung

Jane Austen (1775–1817) gehört zu den Klassikern der englischen Literatur, in Deutschland ist sie jedoch noch immer zu entdecken. Dies gilt für ihre sechs großen Romane, vor allem aber für ihre Sketche, Grotesken und Burlesken, die sie bereits im Alter zwischen zwölf und achtzehn Jahren schrieb. Nicht zuletzt sollte Aufmerksamkeit der im Schatten stehenden, selbstbewussten und selbstkritischen Autorin zuteilwerden, die das Schreiben mit der Kunst der Elfenbeinmalerei verglich, bei der, nach zäher Arbeit, wenig Wirkung sichtbar wird. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

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Wolfgang Martynkewicz

Jane Austen

 

 

 

Über dieses Buch

Jane Austen (1775–1817) gehört zu den Klassikern der englischen Literatur, in Deutschland ist sie jedoch noch immer zu entdecken. Dies gilt für ihre sechs großen Romane, vor allem aber für ihre Sketche, Grotesken und Burlesken, die sie bereits im Alter zwischen zwölf und achtzehn Jahren schrieb. Nicht zuletzt sollte Aufmerksamkeit der im Schatten stehenden, selbstbewussten und selbstkritischen Autorin zuteilwerden, die das Schreiben mit der Kunst der Elfenbeinmalerei verglich, bei der, nach zäher Arbeit, wenig Wirkung sichtbar wird.

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Vita

Wolfgang Martynkewicz ist freier Autor und Dozent für Literaturwissenschaft; zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und zur Geschichte der Psychoanalyse; u.a. Monographien und Biographien über Arno Schmidt, Jane Austen, Edgar Allan Poe, Sabina Spielrein/C. G. Jung. Herausgeber der Tagebücher Oscar A. H. Schmitz’ sowie der Werke Georg Groddecks (Autobiographische Schriften, Tagebücher und Briefe). Er veröffentlichte unter anderem die Bücher: «Salon Deutschland. Geist und Macht 1900–1945» (2009); «1920. Am Nullpunkt des Sinns» (2019) und «Das Café der trunkenen Philosophen. Wie Hannah Arendt, Adorno & Co. das Denken revolutionierten (2022). Für «rowohlts monographien» schrieb er auch die Bände über Arno Schmidt (rm 50484, 1992) und Edgar Allan Poe (rm 50599, 2003).

Impressum

rowohlts monographien

begründet von Kurt Kusenberg

herausgegeben von Uwe Naumann

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Januar 2023

Copyright © 1995 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Für das E-Book wurde die Bibliographie aktualisiert, Stand: Januar 2023

Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten

Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung any.way, Hamburg

Coverabbildung © NPL – DeA Picture Library/Bridgeman Images (Jane Austen. Aquarell von Cassandra Austen, um 1810. London, National Portrait Gallery)

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01629-3

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

«By a Lady»

Über Jane Austen ist nicht viel mehr bekannt als über Shakespeare, behauptete Mitte des 19. Jahrhunderts der englische Dichter Alfred Tennyson. Obwohl in der Zwischenzeit ihre Briefe erschienen sind und insbesondere ihre Nachfahren viele Erinnerungen und Dokumente zusammengetragen haben, an der Tatsache hat sich wenig geändert, dass Jane Austen zu den eher spröden Gestalten der Literaturgeschichte gehört. Ihr Bild wurde zwar in vielen Biographien um- und nachgeschrieben, doch weniger sie selbst als ihre Familie hat dadurch an Statur gewonnen.

Bereits ihren Zeitgenossen fiel es schwer, in ihr eine Romanautorin zu erkennen, und dies nicht nur deshalb, weil sie ihre Werke anonym veröffentlichte, sondern weil sie, wie der englische Schriftsteller Sir Egerton Brydges in späteren Jahren betroffen feststellte, gar nicht so aussah, als ob sie schriftstellerisch tätig wäre. Seine Augen sahen ein weibliches Wesen, das «ansprechend und hübsch, schmal und elegant war, aber etwas zu volle Wangen hatte»[1]. Mit dem Bild, das sich Sir Egerton Brydges von einer schreibenden Frau machte, scheinen diese Züge offenbar unvereinbar gewesen zu sein.

Das breite Publikum las in England um 1800 die Romane von Jane Austen, ohne die Identität der Autorin zu kennen. Auf dem Titel ihrer Bücher fand sich lediglich der Hinweis «By a Lady». Erst nach ihrem Tod wird ihr literarisches Werk mit ihrem Namen in Verbindung gebracht. Noch auf ihrer Grabtafel in der Kathedrale von Winchester wird nicht an die Autorin Jane Austen erinnert, an die Verfasserin von schon damals viel beachteten und hochgeschätzten Romanen, sondern an Jane Austen als jüngste Tochter des Reverend George Austen, der früher als Pfarrer in Steventon wirkte.

Doch lässt sich auf Jane Austen nicht einfach anwenden, was auf so viele schreibende Frauen dieser Zeit zutrifft, dass sie als Autorinnen zur Unsichtbarkeit verurteilt waren, denn Jane Austen hat dieses Unsichtbarsein eine ganze Zeit lang auch als eine ihr gemäße Position verstanden. Die Anonymität verschaffte ihr eine Freiheit, eine Überlegenheit, sie konnte sehen, ohne gesehen zu werden. Darüber hinaus aber betrieb sie mit der Anonymität auch ein Versteckspiel, das ihr – wie einige Briefe zeigen – unverhohlene Freude bereitete und immer wieder Anlass zum Amüsement bot. Vieles an diesem Spiel war durchsichtig, war auf Enträtselung angelegt, und kaum etwas reizt das lesende Publikum so wie ein anonym erschienenes literarisches Werk, sofort spielt es das auch damals schon beliebte «Spiel der Autorsuche»[2]. Der Sinn für Geheimnisse und Ränkeschmieden, der in Jane Austens Romanen zu den verwickeltsten Handlungsverläufen führt, war ihr selbst auch nicht fremd.

 

Es ist schwer, ein scharfes und klar konturiertes Bild von Jane Austen zu gewinnen. Viele der biographischen Spuren sind nur entstellt überliefert. Schon in der ersten zusammenhängenden biographischen Darstellung, die 1870 unter dem Titel «Memoir» erschien und von dem Neffen James Edward Austen-Leigh stammt, wurden Daten und Fakten zu einer Legende versponnen, die die biographische Forschung nachhaltig geprägt hat. Es entstand das Bild von «dear Aunt Jane», die, fernab von der wirklichen Welt, in einer Idylle lebte und in Mußestunden ihre Romane schrieb. «Ich bezweifle», so schreibt James Edward Austen-Leigh, «ob es möglich wäre, irgend einen anderen Autor von Bedeutung zu nennen, dessen Person so vollständig im Verborgenen blieb.»[3] James Edward Austen-Leigh sieht darin die Tugend der weiblichen Selbstbescheidung, und die verborgene und sich selbst verbergende Jane Austen wird fortan zur Heldin dieser Tugend erhoben. Erst in den letzten dreißig Jahren ist dieses Bild, insbesondere durch den Einfluss soziologischer und feministischer Theorien, mehr und mehr in Zweifel gezogen worden. Jane Austen wird nun als unbestechliche Autorin und als feinfühlige Kritikerin der Gesellschaft gesehen, die in ihrem Werk auf subtile Weise zum sozialen Wandel Stellung nimmt. Der entmystifizierende Blick prägt aber eine Sicht auf Jane Austen, die oft nur im polaren Gegensatz zum traditionellen Bild steht, deshalb läuft er Gefahr, seinerseits den Gegenstand zu verfehlen und in eine andere Art der Mystifizierung umzuschlagen, zumal er nicht neue Daten und Fakten, sondern nur eine neue Lektüre des Werks und des entstellten biographischen Materials bietet.

Wer sich heute mit Jane Austen beschäftigt, der ist mit diesen beiden Positionen konfrontiert, die bemerkenswerterweise selbst in den vorhandenen Porträts der Autorin zum Ausdruck kommen. Das einzig authentische Porträt stammt von ihrer Schwester Cassandra. Als Jane Austen nach ihrem Tod berühmt und zu einer öffentlichen Person wurde, empfand vor allem ihre Familie das Ungenügen an einem Porträt, das in einfacher Manier und ungeschönt die markanten Züge der Autorin zeigt. Man zog die Ähnlichkeit in Zweifel und beauftragte einen Maler mit einer Art Facelifting, dabei wurden die ursprünglichen Züge ins Sentimentale verklärt. Das «Memoir» präsentiert denn auch das Porträt eines Mauerblümchens mit runden, brav-naiven Gesichtszügen, ein Porträt im Stil des viktorianischen Zeitgeschmacks, das zum visuellen Zeugen wurde für den Mythos von «dear Aunt Jane». Die Nachwelt ist eben nicht nur am Werk und am Namen einer Autorin oder eines Autors interessiert, sie braucht auch ein Bild der Person, das die eigene Auffassung vom Werk stützt.

Der neue Blick auf das Werk von Jane Austen hat dazu geführt, dass die Porträts aus dem 19. Jahrhundert ihre Ähnlichkeit eingebüßt haben. Wer Jane Austen als selbstbewusste Autorin und als Kritikerin ihrer Zeit sieht, der vermag sie in diesen Bildern kaum wiederzuerkennen. So lässt noch am ehesten die skizzenhafte und in vielem unfertige Zeichnung von Cassandra eine Imagination von Ähnlichkeit zu, weil dieses Bild nicht ‹abbildet› und das Gesicht im Wesentlichen nur als Fläche wiedergibt. Was der Betrachter imaginiert, ist ein verborgener Ausdruck. Die Verborgenheit ist in diesem Fall natürlich keine Intention des abgebildeten Objekts. Gleichwohl hat sich Jane Austen, wie oben bereits erwähnt, die Verborgenheit als ästhetische Position durchaus zunutze gemacht, allerdings nicht, wie man im 19. Jahrhundert anzunehmen geneigt war, aus Gründen der weiblichen Selbstbescheidenheit, sondern um die Identifikation mit der eigenen Äußerlichkeit zurückzunehmen und um die Ansprüche des Publikums auf das Werk zu lenken. Für diese Deutung gibt es sogar einen visuellen Bezug, ein Aquarell, das ebenfalls von Cassandra Austen stammt: Man sieht darauf Jane Austen in einem bauschigen blauweißen Kleid und einem Sommerhut, sie sitzt mitten auf einem Fußweg, schaut in die Landschaft und kehrt dabei dem Betrachter den Rücken zu. Das Sehenwollen, der fixierende Blick, wird in die Schranken verwiesen. Für die Autorin öffnet sich damit ein Raum, in dem sie als schreibendes Subjekt verschwindet, aber sie verschwindet nur, um in den Masken ihrer literarischen Figuren eine fröhliche Auferstehung zu feiern.

Erste Eindrücke

Im Sommer 1768 zog Reverend Austen mit seiner Familie in das bescheidene Pfarrhaus am Dorfrand von Steventon in der Grafschaft Hampshire. Es muss eine merkwürdig anzuschauende Fuhre gewesen sein, die da vom nahe gelegenen Fleckchen Deane, wo die Austens vorübergehend Quartier bezogen hatten, nach Steventon aufbrach: Der Sommer war ungewöhnlich regnerisch, die schmale Straße aufgeweicht, und obwohl der Wagen nur mit wenigen Möbeln und Hausrat bepackt war, befürchtete der Reverend, jeden Moment im Morast steckenzubleiben. Zu allen äußeren Widrigkeiten kam der schlechte Gesundheitszustand seiner Frau, Cassandra Austen, sie brachte die ganze Fahrt auf einer Matratze zu, die man über den Hausrat gelegt hatte.

Umgeben von Büschen und kleineren Baumgruppen, lag das Pfarrhaus etwas abseits vom Dorf und präsentierte sich zunächst nicht im besten Zustand. Das im 17. Jahrhundert erbaute Haus hatte zwei Stockwerke, im unteren befanden sich zwei Wohnzimmer, die Wirtschaftsräume und ein Arbeitszimmer, im oberen sieben Schlafzimmer und drei Ankleidezimmer. Hinter dem Haus gab es einen großen Blumen- und Gemüsegarten. Unweit des Pfarrhauses lag auf einem Hügel die aus dem 13. Jahrhundert stammende Kirche St. Nicholas, ein schlichter und einfacher Bau, wie er in dieser Gegend üblich ist. Anders als das Pfarrhaus, das 1940 abgerissen wurde und von dem heute nur noch die eiserne Waschküchenpumpe zu sehen ist, hat die Kirche die Zeiten überdauert. Über einen kleinen Weg, der von beiden Seiten mit einer winddichten Hecke gesäumt war, ging die Familie Austen, fast wie durch einen Tunnel, vom Pfarrhaus zur nahe gelegenen Kirche.

Steventon selbst ist ein verträumter Ort, der zwischen Winchester und Basingstoke liegt und ganze siebzig Kilometer von London entfernt, aber trotz der relativ geringen Distanz heute immer noch so abseits vom großen Verkehr ist, wie er es damals – zu Zeiten der Kutschen – schon war.

So idyllisch vieles aus heutiger Sicht am Pfarrhaus und seiner Umgebung anmutet, ein Wunschort ist dieses Steventon für den Reverend und seine Frau zunächst nicht gewesen. Mrs. Austen empfand die Landschaft sogar als ausgesprochen «unattraktiv»[1]. Ackerbau und Viehwirtschaft prägten das Bild: Felder mit Getreide, Kohlrüben, Bohnen und Erbsen, und auf den sanften Hügeln weideten die Schafe.

Damit entsprach die Gegend so gar nicht dem, was das damals herrschende Landschaftsideal des Pittoresken als schön und großartig pries: abwechslungsreiche Formen und Kontraste, starke und bizarre Landschaftseinschnitte. Der Begriff des Pittoresken stammt von dem Geistlichen und Hobbymaler William Gilpin, der zu dieser Zeit mit seinen Reisebüchern und ästhetischen Essays eine große Wirkung auf das Publikum – und später auch auf Jane Austen – ausübte. Sein Urteil über die Gegend zwischen Winchester und Basingstoke war kurz und bündig: «most unpleasant»[2].

Die Grafschaft Hampshire ist im Vergleich zu den anderen Grafschaften im Süden Englands etwas stiefmütterlich mit aufregenden Naturschönheiten bedacht worden, ihr fehlt die Großartigkeit von Landschaften, wie sie etwa Somerset mit den heidebewachsenen Hochebenen des Exmoors oder die Grafschaften Devon und Cornwall mit den Steilküsten, den Brandungen und Klippen und den weiten Moorgebieten im Inneren des Landes aufzuweisen haben. In der Grafschaft Hampshire liegen die landschaftlichen Attraktionen eher am Rande, so etwa der New Forest im südwestlichen Zipfel der Grafschaft und die Isle of Wight. Die eigentliche Bedeutung Hampshires hing schon zu Zeiten von Jane Austen mit drei Städten zusammen, das heißt eigentlich nur mit zweien, nämlich den Hafenstädten Portsmouth und Southampton, die dritte, die alte Königsstadt Winchester, lebte schon damals von ihrer Tradition.

Als das Ehepaar Austen mit seinen drei Söhnen das Pfarrhaus von Steventon bezog, war die Familie nach damaligen Maßstäben noch relativ klein. Das Haus bot genug Platz auch für eine wachsende Familie. Vor allem aber bedeutete die Pfarre ein gesichertes Einkommen, denn diese Stellen waren meist Pfründen, sie wurden von einem Grundherrn, der über sie verfügen konnte, verkauft oder einem armen Verwandten überlassen. Häufig bekam auch der jüngere Sohn des Grundherrn, der vom Erbe ausgeschlossen war, eine Stelle als Pfarrer.

Es gab zu dieser Zeit in der englischen Amtskirche zwei Auffassungen vom geistlichen Amt: Die eine war durch die Methodisten geprägt, die unter ihrem Anführer John Wesley eine neue Religiosität forderten und als Erweckungsbewegung innerhalb der britischen Hochkirche immer größeren Zulauf erhielten, die andere – zu der auch George Austen gehörte – sah im Pfarrer in erster Linie einen Beruf, den man durch die Aneignung bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten erlernen konnte. Der in dieser Tradition stehende Pfarrer war daher in der Regel ein eher weltlicher Mann, er hatte häufig ein Studium in Oxford oder Cambridge absolviert und suchte mit der Pfarrstelle ein gesichertes Auskommen. Da die kirchliche Aufsicht zumeist nicht allzu streng und die Gemeinden klein waren, hielten sich die geistlichen Pflichten in Grenzen, und der Pfarrer konnte neben seinen Amtsgeschäften seinen Liebhabereien nachgehen. Wie die Pfarrstellen verwaltet wurden, hing also weitgehend vom Belieben des jeweiligen Amtsinhabers ab. Doch waren die Gemeinden oft so klein, dass eine einzige Pfarrstelle zur Absicherung der Existenz nicht genügte, sodass weitere Stellen dazugekauft oder gepachtet werden mussten.

Auch die Pfarre in Steventon, die George Austen von einem reichen Verwandten, Thomas Knight, übertragen bekam, konnte der Familie Austen allein kein standesgemäßes Auskommen sichern. So versuchten die Austens ihren Lebensstandard zu heben, indem sie sich, so gut es ging, selbst mit Lebensmitteln versorgten. Im Garten hinter dem Haus wurden Gemüse angebaut und Kleintiere gehalten. Außerdem erhielt die Familie Austen von Thomas Knight das Nutzungsrecht an der im Norden der Gemeinde gelegenen Cheesedown Farm. In den Briefen von Jane Austen finden sich darum immer wieder auch Details, die sich auf diesen landwirtschaftlichen Kontext beziehen: Informiere Edward, schreibt sie ihrer Schwester, dass mein Vater den Rest von 25 s. das Stück für Sewards Schafe bezahlen will und im Gegenzug für diese Nachricht einige von Edwards Schweinen zu erhalten wünscht.[3] Da jedoch die Familie weiter anwuchs, blieb das Budget knapp. Der Reverend nahm deshalb Schüler zum Unterricht an; 1773 schließlich, fünf Jahre nach dem Einzug in das Pfarrhaus von Steventon, kaufte ihm ein anderer Verwandter, Francis Austen, die nahe gelegene Pfarre in Deane.

Man darf sich diese materiellen Beschränkungen aber nicht als gravierend vorstellen, denn es reichte der Familie immer noch für ein ganz beachtliches Dienstpersonal: Da war jemand für den Garten, für das Haus und für die Küche, später musste man auch die Kutsche nicht mehr selber lenken, und ein Mädchen half den Damen beim An- und Auskleiden. Kurzum, die Austens gehörten zu den ‹besseren› Familien der Gegend. Man zählt sie zumeist zur Gentry, einer Gesellschaftsschicht, die vielfach von ihrem ererbten Besitz leben konnte und sich durch kultivierte und gepflegte Umgangsformen sowohl gegenüber dem Adel wie dem Bürgertum abzugrenzen versuchte. Der Selbstanspruch der Gentry als traditionsbewusster Elite ging jedoch über ihre ökonomische Bedeutung, die im Schwinden begriffen war, weit hinaus. Allgemein gilt für die englische Gesellschaft um 1800, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Schichten oft weniger an der Lebensweise als am kulturellen Selbstanspruch deutlich wurden.

Auf die Familie Austen treffen die schichtspezifischen Merkmale der Gentry aber nur zum Teil zu: George Austen nämlich entstammt einer bürgerlichen Familie aus der Grafschaft Kent, sein Geburtsort ist Tonbridge im Nordwesten der Grafschaft, dem sogenannten Herzen von Kent, einem der landschaftlich schönsten Gebiete im Süden Englands. Doch nur kurze Zeit war die Kindheit von George Austen ein Spiegel dieser Landschaft: Die Mutter stirbt bald nach der Geburt ihres vierten Kindes, da ist der 1731 geborene George gerade ein Jahr alt. Nach einiger Zeit heiratet der Vater erneut, erkrankt aber kurz darauf und stirbt 1737. George ist jetzt sechs Jahre alt, und der Bruder seines Vaters, Francis Austen, übernimmt seine Erziehung. 1741 wird er auf die Tonbridge School geschickt und sechs Jahre später auf das St. John’s College in Oxford. Nach allem, was man weiß, muss er ein überaus fleißiger und ehrgeiziger Student gewesen sein, der die akademischen Grade mit Leichtigkeit und in schöner Regelmäßigkeit erwarb. Mit dem Master of Arts verlässt er 1754 zunächst das College und wird Diakon an der Christ Church Cathedral in Oxford. Einige Zeit später kehrt er nach Kent zurück, im Mai 1755 wird er in Rochester zum Priester geweiht, und in den folgenden drei Jahren ist er als Hilfsgeistlicher in einem kleinen Ort in der Nähe von Tonbridge tätig. 1758 erhält er in Oxford eine Assistenzstelle als Kaplan; bevor er 1760 das College als Theologe verlässt, war er im Studienjahr 1759/60 als Proktor beschäftigt.

George Austen galt als aufgeschlossener und belesener Mann, der in einer Zeit, wo das Lesen von Romanen gesellschaftlich keineswegs allgemein akzeptiert und anerkannt war, die Romane von Richardson und Fielding las, der aber auch den kauzigen Samuel Johnson schätzte und selbst die «gothic novels» nicht verschmähte, auf die das gebildete Lesepublikum immer etwas naserümpfend herabsah. In seinem Auftreten zeichnete er sich durch gute Umgangsformen aus, und in den Augen seiner Zeitgenossen galt er als ein ausgesprochen gutaussehender Mann.

Anfang 1760 lernt George Austen seine zukünftige Frau Cassandra Leigh (geb. 1739) in Oxford kennen und verlobt sich wenig später mit ihr. Cassandra Leigh kam aus einer sehr wohlhabenden Familie, die ursprünglich aus Gloucestershire stammte. Durch ihren Landbesitz und ihr Vermögen genoss die Familie Leigh hohes gesellschaftliches Ansehen, und ihre Verbindungen reichten bis in den Hochadel. Cassandra war die jüngste Tochter des Reverend Thomas Leigh, sie wurde in der Familie schon früh als poetisches Talent erkannt, verfasste kleinere Texte und konnte ausgesprochen witzig und ironisch erzählen. Im Gegensatz zu ihrem zukünftigen Mann, der als eher gelassen und von zurückhaltender Höflichkeit beschrieben wird, galt sie als resolut und schlagfertig. Nach den Maßstäben ihrer Zeit war sie eine sehr ansehnliche Erscheinung. Ihre besonders ausgeprägte Nase trug sie mit Gelassenheit, und jedem, der es hören wollte, gab sie mit augenzwinkernder Ironie zu verstehen, dass dies kein Makel, sondern ein Zeichen ihrer aristokratischen Abstammung sei.

Mehr noch als von persönlichen Vorlieben, Temperamenten und Charaktereigenschaften waren Heiraten zu dieser Zeit von geordneten Vermögensverhältnissen abhängig: Der Mann musste den Unterhalt garantieren, und die Frau brachte als Gegenleistung ihre Aussteuer mit in die Ehe. Zweifellos konnte George Austen seiner Frau die geforderte materielle Sicherheit bieten, zudem war er ein gebildeter Mann mit Takt und Manieren, für die Tochter der Leighs war er aber dennoch nicht gerade das, was man eine gute Partie nannte. Als Cassandra Leigh am 26. April 1764 in Bath George Austen heiratete, ahnte sie wohl, dass es nun mit dem Lebensstil, den sie vor ihrer Ehe gepflegt hatte, vorbei sein würde. Am Tag ihrer Eheschließung erschien sie nicht in einem pompösen Hochzeitsgewand, sondern in einem strapazierfähigen, aus roter Wolle gewebten Kleid, das im Stil eines Reitkostüms geschnitten war.

Söhne und Töchter

Am 16. Dezember 1775 wurde Jane Austen im Pfarrhaus von Steventon geboren. Es war ein ungewöhnlich kalter Winter, und obwohl die Kirche in unmittelbarer Nähe lag, war bei dem Dauerfrost die Sorge um das Neugeborene doch so groß, dass man die Taufe auf den 5. April 1776 verschob. Im Familienkreise wurde sie Jenny genannt; sie sei zwar, so schrieb der Vater gleich nach der Geburt, im Moment nicht mehr als ein Spielzeug für ihre ältere Schwester Cassandra, aber in Zukunft würden sie sicher Gefährtinnen werden.[1]

Die Kinder der Familie Austen blieben nur während der ersten Monate in mütterlicher Obhut, dann kamen sie – für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich – zu Pflegeeltern im Dorf, wo sie so lange blieben, bis sie selbständiger waren. Vermutlich wurde Jane Austen gleich nach der Taufe zu Pflegeeltern gebracht; als sie dann in das Pfarrhaus von Steventon zurückkehrte, standen einige ihrer Geschwister schon an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Von den insgesamt sechs Söhnen und zwei Töchtern des Ehepaars Austen war James (1765) der Älteste, ein Jahr später folgte George (1766), und noch vor dem Umzug nach Steventon wurde Edward (1767) geboren. Im Pfarrhaus kamen dann Henry (1771), Cassandra (1773), Francis (1774), Jane (1775) und Charles (1779) zur Welt.

Abgesehen von George, der geistig behindert war und bei den Pflegeeltern blieb, machten alle Austen-Söhne im Leben ihren Weg. James studierte in Oxford, wurde Vikar in der Nähe von Steventon und übernahm später die Pfarre seines Vaters. Obwohl zehn Jahre älter als seine Schwester Jane, nahm er durch seine literarischen Interessen und Ambitionen einigen Einfluss auf ihre Entwicklung. In Oxford gab er eine Zeit lang (assistiert von seinem Bruder Henry) ein Wochenmagazin («The Loiterer») heraus, er schrieb humoristische Verse und bewunderte den englischen Dichter William Cowper, eine Bewunderung, die sich dann auf Jane übertragen sollte.

Edward galt als der bestaussehende unter den Brüdern. Folgt man der Familienlegende, dann war sein intellektueller Ehrgeiz nicht besonders stark ausgeprägt, vielleicht auch deshalb, weil Edward schon in jungen Jahren von dem kinderlos gebliebenen Thomas Knight II zum Adoptivsohn und Erben seines Vermögens auserkoren wurde. Ein Studium war unter diesen Bedingungen überflüssig, man schickte ihn stattdessen auf die Grand Tour durch Europa, damit er weltmännisches Benehmen lernte. Als Mr. Knight 1794 starb und seine Witwe sich einige Zeit später auf ihre Güter nach Canterbury zurückzog, trat Edward sein Erbe an, zu dem die bedeutenden Herrensitze Godmersham (Kent) und Chawton (Hampshire) gehörten.

Die wechselvollste Karriere von allen Brüdern machte Henry: Er studierte zunächst wie James in Oxford, ging dann zum Militär, stieg auf bis zum Obersten, nahm aber nach seiner Heirat den Abschied und ließ sich in London nieder, wo er, zusammen mit einem Partner, ein Bankhaus gründete. Eine ganze Weile hatte er Erfolg und brachte es bis zum Steuereinnehmer der Grafschaft Oxfordshire, die Bank geriet aber in geschäftliche Schwierigkeiten und machte Bankrott. Henry entschloss sich daraufhin zu einem risikolosen, einträglichen Beruf, er wurde Pfarrer. Auf seine Schwester Jane hatte er zweifellos den größten Einfluss. Jane liebte sein heiteres Gemüt, seinen Optimismus und seine Art, aus sich herausgehen und über Späße schallend lachen zu können; sie war in späteren Jahren aber auch von seinem Lebensstil fasziniert, von seinem gewandten Auftreten, seinem Esprit und seiner Eloquenz, mit der er jede Gesellschaft für sich einnahm.

Demgegenüber war der ein Jahr vor seiner Schwester Jane geborene Francis in Temperament und Charakter ganz anders: Sein Sinn für Genauigkeit und Ordnung, seine tiefe Religiosität wird in vielen Familienanekdoten bezeugt. Ob ihn die Familie aber wirklich beurteilen konnte, ist eher fraglich, denn im Grunde verlebte Francis nur seine Kindheit in Steventon. Als Zwölfjähriger ging er auf das Royal Naval College in Portsmouth, schon als Vierzehnjähriger diente er auf einem Schiff, mit achtzehn war er Leutnant, schnell wurde er Offizier, dann Kapitän und Flottenadmiral. Die Zeiten waren günstig für eine Karriere bei der Marine, denn der Krieg gegen das republikanische und später Napoleonische Frankreich bot Gelegenheiten genug, sich auszuzeichnen und aufzusteigen. Jane Austen – der man gerne vorwirft, dass in ihren Romanen die Geschichte keine Rolle spielen würde – hat in ihrem letzten abgeschlossenen Roman, Überredung, das Ansehen der Marineoffiziere in der englischen Gesellschaft nach den gewonnenen Seeschlachten von Abukir (1798) und Trafalgar (1805) zum sozialen Thema gemacht. Vor Augen hatte sie dabei sicher die Karriere ihres Bruders Francis, aber auch die ihres jüngeren Bruders Charles, die, angefangen vom Eintritt in die Marineakademie bis zur Ernennung zum Kapitän, ganz ähnlich verlief. Von der Ernsthaftigkeit seines Bruders Francis hatte Charles jedoch nichts, er wird als offen, spontan und aufgeschlossen beschrieben. In seiner Kindheit war Charles als der Jüngste der Familie besonders bei den beiden Schwestern beliebt.

Während alle Söhne, zusammen mit den Kindern, die Mr. Austen als Schüler ins Haus genommen hatte und die natürlich auch männlichen Geschlechts waren, in den ersten Jahren vom Vater unterrichtet wurden, war die Bildung der Töchter eher von Zufällen abhängig. Der Anspruch von Jane und Cassandra auf Bildung lag dem Reverend weitaus weniger am Herzen als der seiner Söhne. So aufgeschlossen Mr. Austen ansonsten war, in dieser Hinsicht blieb er ein Kind seiner Zeit – einer Zeit, in der zwar Frauen wie Madame de Staël als Exoten vorgezeigt und hofiert wurden, in der es aber für die gebildete Frau keinen Platz in der Gesellschaft gab. Wo sollte sie auch hin mit ihrer Bildung? Irgendwelche Positionen in der sozialen Hierarchie waren damit nicht zu erobern, waren ihr als Frau ohnehin versagt, und ihre Chancen auf dem Heiratsmarkt verbesserten sich durch ihr Wissen auch nicht – im Gegenteil. Bildung, meint die intrigante Lady Susan aus dem gleichnamigen bitterbösen Briefroman Jane Austens, sei für eine Frau nur Zeitverschwendung; Expertin in Französisch, Italienisch, Deutsch, Musik, Gesang, Zeichnen etc. zu sein wird einer Frau einigen Beifall einbringen, doch keinen weiteren Liebhaber gewinnen. Nach alledem sind Anmut und Betragen am wichtigsten.[2] Man merkt diesem Text, der irgendwann zwischen 1794 und 1805 entstand, die zeitliche Nähe zu der frühfeministischen Schrift von Mary Wollstonecraft an, die 1792 unter dem Titel «A Vindication of the Rights of Women» erschien und für Furore sorgte. Die Schrift setzt sich mit der traditionellen Vorstellung von der Rolle und dem Wesen der Frau auseinander und fordert eine Frau, die maskuline Eigenschaften annimmt, um sich in der Welt der Männer zu bewähren. Für Mary Wollstonecraft muss die Frau in der patriarchalischen Gesellschaft, sobald sie sich von der traditionellen Rolle entfernt, ihr eigenes Geschlecht in Frage stellen und androgyne Charaktereigenschaften ausbilden. Jane Austen bezieht sich auf diese Position, indem sie einige ihrer Heldinnen mit eher maskulinen Zügen ausstattet, so etwa Elinor in Verstand und Gefühl. Bemerkenswert ist jedoch, dass Jane Austen nicht die Vermännlichung der Frau zeigt, sondern mit den geschlechtsspezifischen Attributen, mit männlich definierten Rollen und den Klischees weiblicher Tugenden und Eigenschaften eher spielerisch umgeht. So schildert sie in ihrem Roman Kloster Northanger eine Heldin, die sich von Herzen ihrer Unwissenheit schämt, doch sogleich fährt die Autorin mit spöttischer Zunge dazwischen: Eine völlig unangebrachte Scham! Wo Leute zu gefallen suchen, sollten sie immer unwissend sein. Wer eine solide Bildung mitbringt, ist unfähig, der Eitelkeit der anderen zu schmeicheln, was ein zartfühlender Mensch immer zu vermeiden sucht. Besonders eine Frau sollte, wenn sie schon das Unglück hat, irgend etwas zu wissen, es immer so gut wie möglich verbergen.[3]