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Der Krieg hat ihn gebrochen. Ihr Geheimnis könnte ihre Familie zerstören.
Ex-Marine Scharfschütze Jared River hat sich vom Krieg abgewandt, doch der Krieg hat ihn nie wirklich verlassen. Er ist ein gebrochener Wolf und nur noch für eine Sache gut – Menschen umzubringen. Und gerade sieht er durch sein Zielfernrohr auf Senator Krepky, den Anti-Shifter-Politiker, der dabei ist, das Leben aller Shifter zu zerstören, die Jared liebt.
Grace Krepky ist die Tochter des Senators, ein braves Mädchen mit einer Leidenschaft für die Politik ihres Vaters, für die sie sich als seine Wahlkampfleiterin einsetzt. Das einzige Problem? Sie ist eine heimliche Shifterin… und ihr läuft die Zeit davon, bis ihr Vater dieses Geheimnis unbeabsichtigt an die Öffentlichkeit bringen und ihr beider Leben ruinieren wird.
Jared ist drauf und dran, den Abzug zu drücken, als er etwas Schockierendes durch die Glaswände des Senators sieht – dessen Tochter ist eine Wölfin. Jared legt sein Gewehr zur Seite, um dem fliehenden Mädchen nachzugehen, aber er weiß bereits, dass das hier nur auf zwei Arten enden kann – entweder kann er sie überzeugen, dem Senator die Wahrheit über sich zu sagen und dessen Anti-Shifter-Gesetz aufzuhalten, oder Jared wird ihren Vater ermorden.
Wenn sie nur nicht sein längst totgeglaubtes Herz wieder zum Leben erwecken würde...
Jared ist ein vollständiges und in sich abgeschlossenes Buch, das dritte in der River Pack Wolves Trilogie.
Alle Teile der "River Pack Wolves" Trilogie:
River Pack Wolves 1 - Jaxson
River Pack Wolves 2 - Jace
River Pack Wolves 3 - Jared
Und noch mehr Shifter-Action von Alisa Woods!
Alle Teile der "Wilding Pack Wolves":
Wilding Pack Wolves 1 - Wild Game
Wilding Pack Wolves 2 - Wild Love
Wilding Pack Wolves 3 - Wild Heat
Wilding Pack Wolves 4 - Wild One
Wilding Pack Wolves 5 - Wild Fire
Wilding Pack Wolves 6 - Wild Magic
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Text copyright © 2015 by Alisa Woods
All rights reserved.
Kein Teil dieser Publikation darf ohne die Erlaubnis des Herausgebers reproduziert, in einem Datenspeichersystem hinterlegt oder in jeglicher Art und Form weitergegeben werden, elektronisch oder mechanisch, inklusive Fotokopien, Aufnahmen oder Sonstigem.
English Copyright 2015 by Alisa Woods
2019 Deutsche Übersetzung von Michael Drecker
Herausgeber: Michael Drecker, Stühmeyerstr. 54, 44787 Bochum, Deutschland
Cover by Steven Novak www.NovakIllustration.com
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Der Krieg hat ihn gebrochen. Ihr Geheimnis könnte ihre Familie zerstören.
Ex-Marine Scharfschütze Jared River hat sich vom Krieg abgewandt, doch der Krieg hat ihn nie wirklich verlassen. Er ist ein gebrochener Wolf und nur noch für eine Sache gut – Menschen umzubringen. Und gerade sieht er durch sein Zielfernrohr auf Senator Krepky, den Anti-Shifter-Politiker, der dabei ist, das Leben aller Shifter zu zerstören, die Jared liebt.
Grace Krepky ist die Tochter des Senators, ein braves Mädchen mit einer Leidenschaft für die Politik ihres Vaters, für die sie sich als seine Wahlkampfleiterin einsetzt. Das einzige Problem? Sie ist eine heimliche Shifterin… und ihr läuft die Zeit davon, bis ihr Vater dieses Geheimnis unbeabsichtigt an die Öffentlichkeit bringen und ihr beider Leben ruinieren wird.
Jared ist drauf und dran, den Abzug zu drücken, als er etwas Schockierendes durch die Glaswände des Senators sieht – dessen Tochter ist eine Wölfin. Jared legt sein Gewehr zur Seite, um dem fliehenden Mädchen nachzugehen, aber er weiß bereits, dass das hier auf nur zwei Arten enden kann – entweder kann er sie überzeugen, dem Senator die Wahrheit über sich zu sagen und dessen Anti-Shifter-Gesetz aufzuhalten, oder Jared wird ihren Vater ermorden.
Wenn sie nur nicht sein längst totgeglaubtes Herz wieder zum Leben erwecken würde...
Jared hatte schon viele Männer umgebracht.
Einer mehr sollte keinen Unterschied machen.
Mit einem Auge an seinem Zielfernrohr spähte er durch die Dunkelheit auf das sagenhaft erleuchtete Haus von Senator Krepky. Der gute Senator bewohnte ein palastartiges Anwesen auf einem Berg über der Stadt Bellevue. Jared konnte genau erkennen, wie prunkvoll die Einrichtung war, weil er alles sehen konnte. Die Außenwände bestanden größtenteils aus Glas. Die Fenster, die vom Boden bis zu den gewölbten Decken reichten, zeigten natürliches Holz, polierte Granitoberflächen und elegante Möbel. Bei all dem Licht, das nach draußen fiel, war es gut, dass er sein normales Zielfernrohr dabei hatte und keines mit Nachtsichtfunktion. Von Jareds Position auf der anderen Seite einer Schlucht aus war der Senator ein leichtes Ziel für ihn – er lag auf einem Bett aus Farnen unter den tief hängenden Ästen einer Kiefer und hatte sein M40A6 Scharfschützengewehr inklusive eines Stativs und eines Schalldämpfers vor sich aufgebaut. Dank seiner Fertigkeiten würde er den Anschlag problemlos von hier aus verüben können, obwohl sein Ziel fast tausend Meter entfernt war. Das 50mm Projektil würde nicht nur diese Distanz überwinden, sondern auch durch das Glasfenster schlagen und den Schädel des Senators verdunsten lassen – und würde Jared endlich eine Art von Erlösung bringen. Und falls doch nicht, zumindest ein Ende dieser bedeutungslosen Tage und quälenden Nächte.
Er war kein Marine mehr und das hier war nicht Afghanistan: Er würde hierfür im Gefängnis landen. Und einen amtierenden Senator zu töten? Das gab mit Sicherheit die Todesstrafe. Vermutlich durch eine Giftspritze, obwohl Washington der einzige Bundesstaat war, in dem Leute noch legal gehängt werden durften. Aber das spielte keine Rolle, er würde eine Möglichkeit finden, zu sterben, bevor man ihn einsperren konnte und er auf seine Hinrichtung warten musste.
Einer der beiden Leibwächter des Senators kam auf die Rückseite des Anwesens und ließ seinen Blick über den weitläufigen Rasen zwischen dem Haus und dem Wald schweifen. Jared nahm das Auge vom Zielfernrohr und beobachtete ihn kurz, aber der Mann ging einfach zurück zur Vorderseite des Hauses. Ein leichter Wind kam auf und trug einen Hauch des kleinen Baches am Fuße der Kluft zu ihm hoch. Aufwind. Ungefähr alle drei bis fünf Minuten. Den zu vermeiden würde entscheidend für eine gerade Schussbahn sein.
Jared lag seit über einer Stunde unter seinem Baum. Er hätte die Sache auch schon längst hinter sich gebracht, doch der Senator stritt sich noch mit einer jungen Frau in seinem Wohnzimmer. Sie war ein gertenschlankes, fast schon zu dünnes Mädchen, mit langem, brünettem Haar, das ihr in Wellen bis auf die Hüfte fiel. Jared konnte nicht hören, worüber sie stritten, aber was immer es auch war, das Mädchen stauchte den Senator ganz schön zusammen. Jared streckte seine Beine und löste einen Muskelkrampf, während er die Augen weiter fest auf sein Ziel gerichtet hatte. Er beschränkte sich jetzt darauf, ihnen einfach nur zuzusehen, denn er vermutete stark, dass es sich bei dem Mädchen um die Tochter des Senators handelte und Jared würde ihn nicht vor ihren Augen umbringen. Es war eine Sache, einen Schuss zu hören und die Leiche zu finden. Dann konnte sie sich entscheiden, ob sie hinsah oder nicht. Sie würde sich vielleicht damit quälen, dass ihre letzte Unterhaltung ein Streit gewesen war – vermutlich über etwas Unwichtiges wie die Jungs, mit denen sie ausging, die Größe ihres Treuhandfonds oder ob sie einen der fünf Jaguar fahren durfte, die der Senator vor seinem Anwesen zur Schau stellte.
Doch es war etwas ganz anderes, den Kopf ihres Vaters explodieren zu sehen.
Jared war ein kaltblütiger Killer – er wusste das und es gab nichts, was er tun konnte, um die Dinge zu ändern, die er während seiner Zeit beim Militär getan hatte – aber unter keinen Umständen würde er das Mädchen dabei zusehen lassen, wie das Hirn ihres Vaters durchs Wohnzimmer spritzte. Er wusste nur allzu gut, welche Albträume dies verursachte und welche gähnende Leere sich tief in den Knochen einnistete – und das wünschte er wirklich niemandem. Nicht einmal der verwöhnten Prinzessin eines Senators, der bald sterben würde.
Und Senator Krepky musste definitiv sterben.
Das Mädchen warf die Arme in die Luft und drehte sich auf dem Absatz um. Jared hielt den Atem an, in der Hoffnung, dass sie endlich gehen würde, aber sie wirbelte wieder herum und redete ein weiteres Mal auf den alten Mann ein.
Er stieß den Atem aus, langsam und kontrolliert, genau wie er es tun würde, wenn es Zeit war, den Abzug zu drücken. Er konnte warten. Warten war alles, was er noch tat, einen leeren Tag nach dem anderen. Die Welt surrte geschäftig um ihn herum und drehte sich unbarmherzig weiter, während er stillstand.
Und in letzter Zeit hatte sich all dieses Treiben in eine gefährliche Richtung entwickelt. Shifter wurden direkt auf den Straßen von Seattle gekidnappt und Arschlöcher aus der Regierung führten medizinische Experimente an ihnen durch. Männer wie Senator Krepky, die ohne mit der Wimper zu zucken das Leben anderer Menschen zerstörten, um ihren feuchten Traum von noch mehr Macht zu verfolgen. Jared hatte zusammen mit seinen Brüdern, Jace und Jaxson, und dem Rest des River-Rudels getan, was sie konnten, um es aufzuhalten, und sie hatten es zumindest geschafft, einen Haufen Shifter aus diesem Höllenloch des von der Regierung eingerichteten medizinischen Gefängnisses zu befreien. Währenddessen hatte Jaces Partnerin, Piper, den Plan des Senators für ein neues Shifter-Registrierungsgesetz aufgedeckt… von derselben Regierung, die bereits barbarische Experimente an ihnen genehmigt hatte.
Man musste kein Genie sein, um zu wissen, wo das hinführen würde. Nicht nur würde es lächerlich einfach für die Regierung sein, Shifter zusammenzutreiben, auch Unternehmen, die Shiftern gehörten, wie die private Sicherheitsfirma Riverwise, die Jared mit seinen Brüdern besaß, würden bankrott gehen. Die Öffentlichkeit fürchtete und hasste Shifter, weswegen die meisten von ihnen es geheim hielten und ihr wahres Wesen unter der Haut von Seattle versteckten. Das Militär hatte herausgefunden, dass Jared ein Shifter war, nachdem er sich eingeschrieben hatte, hatte das aber schön geheim gehalten, eben weil sie Shiftertalente in der Armee haben wollten. Aber einen Job nach dem Militärdienst zu bekommen, würde geradezu unmöglich werden, wenn Shifter sich öffentlich registrieren mussten. Bei den meisten Zivilisten wusste es niemand außerhalb ihrer eigenen Familie und dem Rudel. Und all diese Leben würden durch Senator Krepkys Gesetz ruiniert werden. Allein das Gesetz vorzuschlagen, würde die Jagdsaison auf Shifter eröffnen.
Jared würde nicht zulassen, dass es soweit kam.
Krepky musste aufgehalten werden und Jared war der Einzige, der das übernehmen konnte. Seine Brüder hatten Pflichten, denen sie nachkommen mussten. Sie hatten ein Unternehmen zu führen, und jetzt, wo sie beide Partnerinnen hatten, Familien, die sie gründen wollten. Sie hatten eine rosige Zukunft vor sich – sie waren nicht gebrochen, wie er. Jared hätte sich für seine Brüder gefreut oder wäre womöglich auch eifersüchtig gewesen, aber seine Brust war schon viel zu lange eine dunkle Eishöhle, um solche Gefühle zu haben. Es gab einen Grund, warum er die meiste Zeit in den Bergen oder auf dem Schießstand verbrachte. Er war nur noch für eine Sache gut – töten. Er konnte alles erschießen, aus jeder Distanz, unter beinahe jeglichen Bedingungen. Er wusste, wie er Windgeschwindigkeit und -richtung, Höhenunterschiede, Schwerkraft und sogar die verdammte Erdrotation ausgleichen konnte. Seine Shiftersinne halfen ihm zwar dabei, aber es waren die unzähligen Stunden des Trainings, die ihn zu dem machten, was er war. Das, und eine lange Liste von Todesopfern.
Aber er war kein Scharfschütze bei den Marines mehr. Er hatte seine Aufgaben dort mehr als gut erledigt und war dann aus der Armee ausgetreten, bevor er Gefahr lief, sich selber eine Waffe an den Kopf zu halten. Zu dem Zeitpunkt schien es das Vernünftigste zu sein… aber seit er die ehrenhafte Entlassung angenommen hatte, überlegte er, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war. Vielleicht hätte er in Übersee bleiben sollen, bis der Krieg ihn eingefordert hätte. So wäre es einfacher gewesen. Besser, als durch die Straßen von Seattle zu laufen, umgeben von Zivilisten, die ihrem alltäglichen Leben nachgingen, und sich so benehmen zu müssen, als wäre er nicht bereits innerlich tot.
Und dann tauchte Senator Krepky auf der Bildfläche auf. Wenn Jared Krepky davon abhalten konnte, ein Gesetz einzuführen, das das Leben unzähliger Shifter zerstören würde… gab es da nichts zu überlegen. Das war die Sache, auf die er gewartet hatte – der Grund, warum er sich Tag für Tag weitergequält hatte. Es gab noch etwas für ihn zu tun, einen Sinn, warum er noch am Leben war, nur hatte er das nicht gewusst, bis er von den Plänen des Senators erfuhr. Da war ihm klar geworden, dass dies etwas war, das nur er tun konnte und niemand sonst.
Jared nahm einen tiefen Atemzug der frischen Bergluft und der Kiefernduft rief nach seinem Wolf. Seine Bestie stieg unter seiner Haut empor, schärfte seine Sinne noch weiter und schnupperte in der Luft, um Windrichtung und –geschwindigkeit auszumachen. Auch seine Sehkraft verbesserte sich und er sah einmal mehr durch das Zielfernrohr.
Es war unterhaltsam, mit anzusehen, wie das Mädchen seinem Vater die Leviten las, aber Jared wusste, dass seine Konzentration mit zunehmender Müdigkeit abnehmen würde. Ihr wütendes Fingerzeigen, Fäusteschütteln und der rotgesichtige Zorn mussten bald ausbrennen, damit er dazu übergehen konnte, die Pläne des Senators ein für alle Mal zu beenden.
Nur wenige Minuten später bekam er seinen Wunsch. Die junge Frau warf einmal mehr die Arme hoch, drehte sich auf dem Absatz herum und stürmte dieses Mal wirklich aus dem Raum. Sie verschwand für einen Moment im Flur, tauchte dann in einem Raum wieder auf, der ihr Schlafzimmer sein musste, und schlug die Tür hinter sich zu. Das ganze Drama war für ihn durch die großen Glasfenster gut zu verfolgen. Ihm kam die Metapher von Leuten in Glashäusern in den Sinn, und von den Dingen, die sie nicht tun sollten – der Stein, den der Senator auf die Shifter werfen wollte, würde sein gesamtes Glashaus schon sehr bald zum Einsturz bringen.
Das Mädchen tobte in ihrem Zimmer und Jared nahm sich kurz Zeit, ihr dabei zuzusehen. Sie hatte einen zarten Körperbau und wirkte noch recht jugendhaft – wahrscheinlich erst fünfundzwanzig. Kein Mädchen mehr, aber fünfundzwanzig kam ihm unglaublich jung vor, verglichen mit seinen zweiunddreißig Jahren. Natürlich überwog seine Lebenserfahrung klar sein Alter. Ihr jugendlicher und leidenschaftlicher Zorn brauchte eine ganze Weile, um abzukühlen. Tatsächlich schien er sich sogar in die entgegengesetzte Richtung zu entwickeln. Sie hämmerte gegen die Tür und begann, Gegenstände durch ihr Zimmer zu werfen. Er beobachtete sie noch eine Minute länger, nur um sicherzugehen, dass sie nicht wieder zum genau falschen Moment ins Wohnzimmer platzen würde. Doch dann geschah etwas, das seinen Mund aufklappen ließ…
Sie shiftete.
Jared presste für einen Moment die Augen zusammen und riss sie dann wieder auf. Sie war jetzt wieder ein Mensch, war zuvor aber zweifellos geshiftet – denn jetzt stand sie splitterfasernackt in ihrem Zimmer. Kleine, feste Brüste. Eine zierliche, schlanke Hüfte. Ihr langes, volles Haar bedeckte sie wie eine junge Lady Godiva. Ihre Fäuste waren immer noch geballt und ihr Gesicht immer noch rot vor Wut.
Jared sah wie gebannt zu, als sie in wütender Geschwindigkeit ihre Kleidung wieder anzog und dann umgehend durch ihre Schlafzimmertür stürmte.
Er schwang sein Zielfernrohr wieder zum Wohnzimmer, wo sich ihr Vater gerade einen Drink eingoss.
Sie tauchte nicht auf.
Jared hob den Blick und suchte das ganze Haus ab, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Er sah erneut durchs Zielfernrohr, aber sie war fort – in einen Teil des Hauses verschwunden, den er von seiner Position aus nicht einsehen konnte.
Der Senator ging in seinem Wohnzimmer auf und ab und stürzte den Drink herunter, den er sich gerade zubereitet hatte.
Jared sollte schießen.
Deswegen war er hier.
Er richtete sein Visier aus, atmete ruhig ein und witterte dabei nochmal die Luft – der Aufwind war fort, die Böen hatten sich gelegt. Er konnte das sanfte Flüstern der Kiefern über die Kluft hinweg hören, welches ihm die Windgeschwindigkeit verriet. Er drehte am Regler für den Windvorhalt, stieß langsam den Atem aus… und wich dann mit einer Grimasse vom Zielfernrohr zurück.
Das Mädchen war eine verdammte Shifterin!
Langsam begannen sich die Rädchen in seinem Kopf zu drehen, die durch diese Entdeckung in Gang gesetzt worden waren – die Tochter des Senators. Wie konnte das sein? Und wo war sie hingegangen?
Dann nahm er eine huschende Bewegung im Garten hinterm Haus wahr. Die Leibwächter gehörten zu einem privaten Sicherheitsdienst – Garrison Allied, einem Konkurrenten von Riverwise. Jared hatte sich natürlich vorab über die Firma informiert. Doch ihre Patrouillen befanden sich gerade alle vor dem Haus, wo sich die kurvige Auffahrt den Berg zum Anwesen hochschlängelte. Hinter dem Haus erstreckte sich der Nationalforst und dort hatte er die Bewegung registriert.
Jared schwang sein Zielfernrohr erneut herum und suchte den dunklen Waldrand ab – und erhaschte noch einen Blick auf sie, bevor sie zwischen den Bäumen verschwand. Sie war wieder komplett angezogen und rannte, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her. Die Tochter des Senators lief einfach davon.
Was zur Hölle war hier los?
Im Rest des Hauses blieb es still. Ihr Vater kippte sich gerade einen zweiten Drink rein.
Niemandem war ihr Verschwinden aufgefallen.
Jared knirschte mit den Zähnen und versuchte, sich zu konzentrieren… aber schon bevor er nochmal sein Visier ausrichtete, wusste er, dass es keinen Zweck mehr hatte. Sein Wolf winselte wie verrückt – Jared würde ihr nachgehen müssen, um zu sehen, ob mit ihr alles in Ordnung war.
Und dann zurück kommen und ihren Vater umbringen.
Gütiger Himmel, er war so ein gefühlloses Wrack.
Er ließ sein Gewehr aufgebaut unter dem Baum zurück und shiftete in seine Wolfsform. Die Schlucht war lang und tief – als Mann würde er Ewigkeiten brauchen, um durch das Unterholz zu kommen, aber sein Wolf war stark und hatte die vierfache Sprungkraft. Er rannte den Abhang hinab und nutzte all seine Sinne, um sich durch das verworrene, dunkle Terrain zu schlagen.
Was zum Teufel machte er hier eigentlich?
Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Gedanken hatte – manchmal fragte er sich, ob der Frontallappen seines Gehirns überhaupt noch funktionierte. Er schien immer öfter einfach nach Instinkt zu handeln. Er verbrachte ganze Tage im Olympic Nationalforst, an denen er seinem Wolf die Kontrolle überließ, genau so wie jetzt. Es war befreiend – als wäre ein Wolf zu sein ein unschuldigerer Wesenszustand. Die Sünden, die er begangen hatte, waren von menschlichen Händen verrichtet worden. Die Pfoten seines Wolfes hatten nicht wieder und wieder den Abzug betätigt.
Es gab Tage, an denen er daran dachte, ein streunender Wolf zu werden. Sich nie wieder in einen Menschen zu verwandeln. All die Dinge zu vergessen, die geschehen waren – die Partnerin, die er verloren, die Menschen, die er getötet hatte. Aber er wusste, dass das nur eine Fantasie war. Er konnte seinen Albträumen immer nur in kurzen Episoden entkommen, wenn er sich in seine Arbeit stürzte oder sich beim Training verausgabte. Oder wenn er seinen Wolf frei laufen ließ, so wie er es jetzt tat, und dem Mädchen hinterher jagte.
Dieser Wolfstochter eines shifterhassenden Senators.
Es wäre fast schon komisch gewesen, wenn es nicht so verkorkst gewesen wäre. Und es hatte ihn komplett aus der Fassung gebracht. Sie sollte ihm egal sein – er sollte sich auf seine Mission fokussieren – aber sein Wolf fühlte sich dermaßen von ihr angezogen, als wäre sie plötzlich das einzige auf dieser Welt, das eine Rolle spielte. Selbst der Mann in ihm konnte sie nicht einfach davonlaufen und sich im Wald verirren lassen. Oder sich verletzen. Leicht verwundert stellte er fest, dass ihn dieser Gedanke noch kraftvoller das gegenüberliegende Ende der Kluft, das er mittlerweile erreicht hatte, emporsteigen ließ. In einem weiten Bogen umlief er das Glashaus und suchte den Rand des Waldes ab, der ans Anwesen des Senators angrenzte.
Dann entdeckte er ihre Klamotten.
Sie war wieder geshiftet und hatte ihre Jeans und ihr T-Shirt am Waldrand zurückgelassen, gerade weit genug weg, dass man sie vom Haus aus nicht entdecken konnte. Dieses Mädchen verschwand nicht zum ersten Mal im Wald, um eine Wölfin zu sein. Vermutete er. Ihr Shiften zuvor hatte irgendwie… versehentlich gewirkt. Vielleicht hatte sie es gerade so bis zu den Bäumen geschafft, bevor sie wieder die Kontrolle verloren hatte.
Er nahm ihre Kleidung ins Maul, was es schwieriger machte, ihre Fährte aufzunehmen. Er wurde von einem Blaubeer-Sahne-Duft, vermischt mit dem wütenden Schweißgeruch, den ihre Sachen abgaben, überwältigt. Er ließ die Kleidungsstücke wieder fallen, trottete ein paar Schritte weg, fand ihre Fährte, nahm die Jeans und das T-Shirt erneut auf und rannte in den Wald hinein. Diese kleine Routine musste er ein paar Mal wiederholen, aber schließlich brach er durch das Dickicht auf eine Wiese im Mondlicht hinaus. Eigentlich war es nur eine kleine Lichtung, an den Rändern vom Gebüsch des Waldes überwuchert, aber sie war offen und hell genug, um das Mädchen deutlich in dem hohen Gras herumtänzeln zu sehen – nicht zuletzt, weil das prächtige weiße Fell der Wölfin so schimmerte, als wäre ein winziger Mond herabgefallen, um auf der Wiese zu spielen. Ein leichtes, grollendes Geräusch begleitete ihren Tanz. Er konnte nicht entscheiden, ob sie wütend oder einfach nur frustriert war. Vielleicht sang sie auch. Es hatte etwas Lyrisches an sich, beinahe als würde sie Selbstgespräche führen. In wölfisch.
Es war irgendwie verzaubernd. Tief in seiner Brust begann ein brummender Ton, der sich ihrem anglich – wie ein Knurren, aber nicht ganz – und er sah ihr mit offenem Maul keuchend zu. Sein Wolf reagierte in einer Art auf sie, die er nicht verstand. Er stellte keinen mentalen Kontakt zu ihr her, obwohl das möglich gewesen wäre – sie waren beide in Wolfsform. Stattdessen nahm er ihre Klamotten auf, die aus seinem offenen Maul ins Gras gefallen waren, und trottete über die kleine Wiese auf sie zu.
Er konnte den genauen Moment erkennen, in dem sie ihn bemerkte – ihr schmaler Wolfskörper sprang fast einen Meter in die Luft. Als sie landete, sträubte sich ihr weißes Fell und verwandelte sie in eine flauschige Version der wunderschönen, singenden und tanzenden Wölfin von zuvor. Er verlangsamte seinen Gang. Er war sich sicher, dass ihr Knurren bedrohlich wirken sollte, aber es war ungefähr so einschüchternd wie ein sehr kleines, wütendes Kätzchen.
Erst dann wurde ihm klar, dass sie Angst vor ihm hatte. Und das sollte sie auch. Mitten im Wald einem fremden Wolf über den Weg zu laufen war für jeden gefährlich, aber besonders für eine junge Wölfin. Manche Rudel stahlen fremde Weibchen und zwangen die Wölfinnen zum Paarungsritual, bevor sie gerettet werden konnten. Und solange der Senator selbst kein heimlicher Wolf war, bezweifelte er, dass dieses Mädchen einem Rudel angehörte – was sie noch schutzloser machte.
Ihre Augen wurden groß, als er sich weiter näherte. Das magische Blau ihrer Augen, umgeben von all diesem weißen Fell, ließ sie fast wie aus einer anderen Welt wirken – ein Engelswolf, der hell im Mondlicht leuchtete. Doch diese wunderschönen Augen hetzten zwischen ihm und dem Waldrand hin und her, als wollte sie einen Fluchtversuch unternehmen, aber zu viel Angst haben, um sich zu bewegen. Das Gras der Lichtung raschelte in einer Brise, während sie weiter wie festgefroren dastand.
Er hob den Kopf, um ihr zu zeigen, dass er ihr ihre Kleidung brachte, und ließ diese dann drei Meter vor ihr ins Gras fallen. Er jaulte, wich weitere drei Meter zurück und ließ sich schließlich mit dem Hinterteil auf der Wiese nieder und wartete, ob sie seine Offerte annehmen würde.
Es dauerte mehrere Sekunden, in denen sie ihn musterte und die Schnauze witternd in die Luft reckte.
Er wartete geduldig, aber sie machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Vielleicht wäre er in seiner menschlichen Form weniger einschüchternd? Im Gras sitzend shiftete er wieder zurück. Das überraschte sie erneut, sodass sie einmal mehr einen kleinen Satz machte. Aber als er weiterhin sitzen blieb, tapste sie zitternd auf ihre Klamotten zu, nahm sie mit dem Maul auf und wich dann wieder zurück.
Er bewegte sich nicht.
Sobald sie etwas mehr als fünf Meter entfernt war, shiftete sie in ihre menschliche Form. Dieser flüchtige Blick, den er vorhin von ihr nackt in ihrem Schlafzimmer erhascht hatte, präsentierte sich jetzt direkt vor ihm – kleine, feste Brüste, mit Brustwarzen, die hart von der kühlen Nachtluft waren. Ein schlanker, geschmeidiger Körper, der fast schon lächerlich nah an der Perfektion war, und ein kurviger, knackiger Hintern, der seinen Schwanz zuckend zum Leben erwachen ließ, und dieses wundervolle Haar, das um sie herum wogte und beinahe ihre Nacktheit verbarg. Er hatte das Gefühl, dass er weggucken sollte – selbst auf diese Entfernung konnte er sehen, wie sie errötete – trotzdem konnte er nicht anders, als sie wie gebannt bei dem eiligen Versuch anzustarren, ihre Klamotten wieder anzuziehen. Ganz davon abgesehen war sein Penis so lange auf nichts mehr angesprungen, dass er schon vermutet hatte, er sei so tot wie der Rest von ihm. Er fühlte sich dadurch seltsam… unausgeglichen. Als würde er vorneüber kippen, wenn er jetzt aufstand.
Sobald sie ihre Kleidung angezogen hatte, fragte sie: „Wer bist du?“ Ihre nackten Füße zerdrückten das Gras, während sie weiter zurückwich, da sie ganz offensichtlich immer noch Angst vor ihm hatte.
Die sie auch haben sollte.
Er stand auf, um mit ihr zu reden, aber als er sich aufrichtete, sprang seine Erektion hervor und das war ihm plötzlich peinlich. Er bedeckte sie mit beiden Händen und das seltsame Gefühl, nicht ausbalanciert zu sein, drohte, ihn tatsächlich umkippen zu lassen und die ganze Sache noch peinlicher zu machen.
„Ich tu dir nichts.“ Seine Stimme klang schroff, viel härter, als er beabsichtigt hatte. Er war ein großer Mann, das war ihm bewusst – er schüchterte nicht nur die meisten Männer, sondern selbst andere Shifter ein, und das galt wohl erst recht für Mädchen, deren Hüfte schmaler als einer seiner Oberschenkel war. Es waren die Shiftergene, seine Zeit bei den Marines, und dass er für seinen Job bei Riverwise in Form bleiben musste – dazu kam, dass er regelmäßig bis zur Erschöpfung Kampf- und Konditionstraining betrieb. Das war die einzige Möglichkeit, wie er nachts schlafen konnte, hatte aber auch den Nebeneffekt, dass sein Körper stets in Topform war.
„Wie hast du mich gefunden?“, fragte sie, aber sie hatte aufgehört, sich nach einem Fluchtweg in den Wald umzusehen.
„Ich bin dir gefolgt.“ Es war wohl besser, nicht zu erwähnen, dass er gerade dabei gewesen war, ihren Vater umzubringen, bevor er ihr aus einer Laune heraus in den Wald nachgelaufen war.
Sie kniff die Augen zusammen. „Von wo gefolgt? Ich bin von meinem Schlafzimmer aus hierhergekommen.“
„Ich weiß. Ich habe dich beobachtet.“ Tja, wenn das mal nicht unheimlich klang. „Keine Angst, ich werde dir nichts tun, versprochen.“
Sie wrang jetzt die Hände und ein neuer Ausdruck von Unbehagen tauchte in ihrem Gesicht auf. „Bist du… hat mein Vater dich beauftragt, mich zu bewachen?“ Ihr gesamter Körper spannte sich an.
Er konnte nicht anders – er musste sich ihr nähern. Langsam ging er ein paar Schritte auf sie zu. „Nein, ich schwöre, dass ich nicht für deinen Vater arbeite. Ich bin ein Shifter.“ Er ließ diese Aussage einfach so stehen, denn sie war offensichtlich ebenfalls eine Shifterin.
Ihre Augen wurden groß, aber ihre schmalen Schultern sackten herab und ihr Gesicht entspannte sich. „Du bist von einer dieser Shifter-Gangs, von denen mein Vater ständig spricht. Du spionierst ihn aus.“
„Sowas in die Richtung.“ Er ging einen weiteren Schritt auf sie zu. Sie schien weniger Angst vor Shifter-Gangs als vor ihrem eigenen Vater zu haben. Interessant. „Ich verspreche dir, ich werde niemandem von deinem Geheimnis erzählen, auch deinem Vater nicht.“
Er konnte sehen, wie sie von einer Erleichterung durchflutet wurde, die alle Anspannung aus ihr herauswusch. „Danke.“ Die Aufrichtigkeit in diesem Wort war so stark, so unschuldig dankbar, selbst bevor sie wusste, weswegen er hier war… es löste etwas in ihm. Etwas, das fühlen wollte, doch die gefrorene Höhle in seiner Brust war gegen sowas abgehärtet.
„Warum bist du weggelaufen?“ Er wollte noch näher kommen, die Hand ausstrecken und ihre weiche Haut berühren… aber das war lächerlich. Außerdem brauchte er seine Hände immer noch, um sein Gemächt zu verbergen – was er nicht zuletzt tat, um ihr keine Angst einzujagen und ihr nicht den Eindruck zu vermitteln, dass er irgendein Sexualstraftäter war.
Sie schüttelte den Kopf und warf erneut einen Blick zum Waldrand.
Scheiße. Er machte ihr immer noch Angst.
„Hör mal, du bist hier draußen wirklich nicht sicher.“ Er ließ seinen Blick zu den dunklen Bäumen schweifen. „Im Moment wittere ich zwar keine anderen Wölfe, aber wir sind hier in einem offenen Gebiet. Es könnte immer sein, dass sich irgendwer hier herumtreibt. Und ich vermute mal, dass du noch kein Männchen hast.“
„Männchen?“ Sie zog auf eine Art die Nase kraus, die sie unfassbar süß wirken ließ. „Das ist etwas, das ihr Wölfe tut, nicht wahr? Euch einen Partner fürs Leben nehmen? Ich meine, ich hab solche Geschichten gehört.“
„Ihr Wölfe?“ Jared runzelte die Stirn. „Du weißt wirklich gar nichts über uns, oder?“ Natürlich nicht. Sie hatte das wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang geheim gehalten. Er war sich nicht sicher, wie das überhaupt möglich war, aber sie musste es wohl irgendwie geschafft haben.
Sie sah gequält drein. „Ich wollte nicht… ich meinte nur… tut mir leid.“ Sie biss sich auf die Lippe und es war gut, dass er sich noch die Hände vor seinen Ständer hielt, denn dieser zuckte wieder, als sie das tat. Verdammt. Was war bloß mit ihm los? Es war, als würde jede kleine Bewegung von ihr… er drängte diesen Gedanken beiseite und kramte in seinem Gedächtnis nach ihrem Namen. Er hatte natürlich Nachforschungen über den Senator angestellt, bevor er sich aufgemacht hatte, um ihn zu töten, aber ihren Namen hatte er sich dabei nicht eingeprägt. Sie war nicht wichtig gewesen – nicht, bis sie sich in eine Wölfin verwandelt hatte.
Und ihm schon einen Ständer verpasste, ohne es überhaupt darauf anzulegen. „Ich heiße Jared. Und du?“
Sie lachte, ein glockenheller Klang der Unschuld. Anschließend blieb ein Lächeln auf ihrem Gesicht zurück, das im Mondlicht leuchtete. „Du spionierst meinen Vater aus und hast mich in den Wald verfolgt, aber du weißt nicht, wer ich bin?“
„Manchmal mache ich meine Hausaufgaben nicht gründlich genug.“
Diesmal stieß sie eine Art Schluckauf-Lachen aus, quirlig und jung klingend, dann kam sie mit leichten, schnellen Schritten auf ihn zu, die Hand ausgestreckt, um seine zu schütteln. „Ich bin Grace Elizabeth Dawn Krepky, Tochter von Senator Timothy Krepky. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr. Jared Wolf.“
Sein Gesicht wurde heiß – er würde eine Hand von seinem Schritt nehmen müssen, um ihre zu schütteln. Es war absurd, dass ihm das so unangenehm war, aber er knirschte mit den Zähnen und zwang sich dazu, es zu tun. „Schön, Sie kennenzulernen, Ms. Krepky.“
Sie warf einen verstohlenen Blick auf seine kaum verborgene Erektion, was diese nur noch härter werden ließ.
Das war falsch. Alles an dem hier war falsch. Er sollte nicht hier stehen und mit Grace Krepky, der Tochter des Senators, reden. Jared hätte ihr nicht folgen sollen. Er würde ihren Vater umbringen und sie stand hier, errötete beim Anblick seiner Erektion, und noch schlimmer… verursachte sie überhaupt erst.
Sie sah weg und die Röte, die auf ihre Wangen gekrochen kam, war im Mondlicht noch auffälliger.
Er räusperte sich. „Ich habe meine Klamotten… naja… dort zurückgelassen, wo ich geshiftet bin. Am besten shifte ich wieder und begleite dich dann zum Haus zurück.“
Verwundert schüttelte sie den Kopf. „Warum passt du auf mich auf?“
Er starrte sie bloß an. Er hatte keine Ahnung, wie er diese Frage beantworten sollte. „Komm einfach nicht mehr alleine hier raus. Es ist nicht sicher.“ Dann shiftete er, bevor seine Nacktheit ihnen beiden noch peinlicher werden konnte. Er wandte sich um, trottete in Richtung des Anwesens los und drehte den Kopf, um zu sehen, ob sie ihm folgte.
In diesem Zustand konnte er nicht mehr mit ihr reden und das war auch besser so. Viel besser. Doch in seiner Wolfsform rief ihr Blaubeer-Sahne-Duft noch viel stärker nach ihm. Er verfiel in ein leichtes Traben und stellte etwas mehr Abstand zwischen ihnen her, nahm aber den menschenfreundlichsten Pfad durch das Unterholz und an umgestürzten Kiefern vorbei. Als er den Waldrand auf der Rückseite ihres Hauses erreichte, blieb er stehen. Es gab keinen Grund, die Wachen wissen zu lassen, dass sich ein Wolf auf dem Gelände befand.
Bevor sie den Waldrand erreichte, wandte Grace sich ihm zu. „Werde ich dich wiedersehen? Ich habe…“ Sie presste die Lippen aufeinander und sah unsicher zwischen ihm und dem Haus hin und her. Dann erschien ein entschlossener Ausdruck auf ihrem Gesicht. „Ich habe Fragen.“
Würde er sie wiedersehen? Nein. Oder zumindest… sollte er das nicht. Er wollte den Kopf schütteln, sich umdrehen und in der Nacht verschwinden, doch stattdessen senkte er die Schnauze zu einem kurzen Nicken. Ja.
Das Lächeln, das als Antwort auf ihrem Gesicht erschien, wirkte so natürlich wie Sonnenschein. Wieder bekam sein Wolf den Impuls, einen Schritt vor zu machen und sie zu berühren, aber er hielt sich zurück. Das war falsch – alles hiervon war falsch und konnte gefährlich aus dem Ruder laufen und am Ende Menschen verletzen. Oder womöglich sogar umbringen.
Aber er stand still und tat nichts, das ihr Lächeln abschwächen könnte.
Sie drehte sich um und schlich zurück ins Haus.
Was um alles in der Welt machte er hier nur?
Im Wahlkampfbüro herrschte geschäftiges Treiben. Normalerweise hätte diese Betriebsamkeit Grace elektrifiziert und sie würde sich mitten ins Getümmel stürzen, die Umfragewerte beobachten, Strategien prüfen und die aktuellsten Nachrichtenbeiträge überfliegen. Doch heute Morgen bekam sie einfach nicht den Kopf klar und versteckte sich in dem kleinen Eckbüro, das sie sonst eigentlich nie benutzte.
Sie war erwischt worden.
Beim Shiften erwischt. Dabei, wie sie in Wolfsform durch den Nationalforst gerannt war. Und dann ausgerechnet von einem großen, umwerfenden Shifter, der in all seiner nackten Herrlichkeit vor ihr gestanden hatte, mit einer riesigen Erektion, bei der sie kaum hatte weggucken können. Es war nicht so, als hätte sie noch nie zuvor einen nackten Mann gesehen, obwohl sie das an einer Hand abzählen konnte, aber bei keinem dieser Male hatte es sich um ein Prachtexemplar wie ihn gehandelt. Sie hatte die ganze letzte Nacht von ihm fantasiert.
Ihr Vibrator war ziemlich strapaziert worden.
Und er war nicht einfach nur heiß – er war verstörend sanftmütig gewesen, ganz anders als in den Geschichten, die ihr Vater über Shifter erzählt hatte. Wobei er natürlich nicht wusste, dass sie auch eine Shifterin war – das war ihr dunkles Geheimnis, das sie vor allen verbarg. Und sie gab sich auch nicht mit anderen Shiftern ab, all ihr Wissen über sie hatte sie lediglich aus zweiter Hand.
Bis jetzt.
Und jetzt war ihr Geheimnis in den Händen eines Mannes, der nur einen Vornamen hatte – Jared. Er hatte versprochen, es für sich zu behalten, aber sie hatte absolut keinen Grund, ihm das zu glauben. Er könnte genauso gut direkt zur Presse rennen und ihnen alle schmutzigen Details darüber stecken, dass die Tochter des Senators eine Wölfin war.
Sie vergrub das Gesicht in den Armen, die sie verschränkt auf den unordentlichen Haufen von Papieren auf ihrem Schreibtisch gelegt hatte.
Dieser mysteriöse Shifter war nicht die einzige Zeitbombe in ihrem Leben, die kurz davor stand, hochzugehen. Das neue Gesetz ihres Vaters, das Shifter dazu zwingen würde, sich öffentlich zu registrieren, konnte sie genauso schnell vernichten. Sie hatte endlos mit ihm darüber diskutiert, aber ohne Erfolg. Es war, als würde sich ein Abgrund aus Unglück um sie herum auftun und drohen, sie zu verschlingen.
Sie sollte eine Möglichkeit finden, diesen Gesetzesentwurf auf Eis zu legen.
Sie sollte versuchen, mehr über diesen mysteriösen Shifter herauszubekommen.
Sie sollte irgendwo auf die Bermudainseln ziehen.
Aber alles, an das sie denken konnte, war dieser sündhaft heiße Mann, der nackt im Mondlicht vor ihr gestanden hatte. Jared. Selbst sein Name war sexy. Und dann seine Größe, mit all diesen Muskeln und diesem riesigen Schwanz… Jesus, waren alle Shifter so übertrieben maskulin? Irgendwie hatte er ein militärisches Aussehen an sich gehabt, mit diesen kontrollierten Bewegungen und der knappen Art, wie er redete. Der Gedanke an ihn schickte einmal mehr einen Hitzeschwall zwischen ihre Beine.
Würde er heute Nacht in den Wald zurückkehren? Wieder ging ihre Fantasie mit ihr durch und sie dachte daran, wie es wäre, heute Abend aus dem Haus zu rennen und ihn zu treffen. Er hatte versprochen, dass sie ihn wiedersehen würde – nun ja, nicht direkt versprochen. Ein einfaches Nicken von ihm in seiner dunklen, struppigen Wolfsform. Nur ein Nicken, und sie war bereit, in den Wald hinauszulaufen und Sex mit einem Mann zu haben, den sie kaum kannte.
Einem extrem scharfen Mann. Einem Shifter.
Gott, ihr Vibrator würde neue Batterien brauchen, wenn er heute Nacht nicht auftauchte.
Grace stöhnte, fuhr sich mit den Händen durchs Haar und verwuschelte es frustriert. Dann schlug sie so fest mit den Fäusten auf ihren Schreibtisch, dass einige der Papiere davonflatterten. Sie musste aufhören, sich Hoffnungen auf ein Nümmerchen mit einem heißen Shifter zu machen und sich darauf fokussieren, dass nicht alle Katastrophen gleichzeitig über sie hereinbrachen.
Sie hatte ihren Vater angefleht, seinen Gesetzesentwurf aufzuschieben oder ihn gänzlich fallen zu lassen. Doch das war komplett auf taube Ohren gestoßen – nicht dass sie etwas anderes erwartet hatte. Dieses Anti-Shifter-Registrierungsgesetz war der Eckpfeiler seiner Wiederwahlkampagne.
Und sie musste es wissen – sie war seine Wahlkampfleiterin.
Normalerweise war sie immer seiner Ansicht. Verdammt, sie hatte einen Großteil seiner Politikkonzepte ausgearbeitet. Sie hatten selten Meinungsverschiedenheiten, wenn es um die Arbeit ihres Vaters ging und gemeinsam hatten sie bereits eine Menge Gutes geleistet – die Umwelt geschützt, Familien bessergestellt, sich um Obdachlose gekümmert. Besonders stolz war sie auf seine Errungenschaften für Kriegsveteranen, die Männer und Frauen, die ihr Leben für das Land riskiert hatten. Dieses Shiftergesetz war der erste bedeutende Teil seiner Plattform, den sie überhaupt versucht hatte, ihm wieder auszureden.
Offensichtlich war es auch ein persönliches Problem für sie. Ihr Vater würde sie zweifellos verstoßen, wenn er von ihrem Geheimnis wüsste. Seine Abneigung gegenüber Shiftern war aufs Tiefste in ihm verwurzelt. Er hatte keine Ahnung, dass seine Tochter eine war, aber sie bezweifelte, dass das einen Unterschied machen würde. Was sie nicht nur in konstanter Sorge leben ließ, entdeckt zu werden, sondern sie auch zutiefst bekümmerte. Sie liebte ihren Vater. Er war ein mächtiger Mann und er nutzte diese Macht, um Gutes zu bewirken. Er arbeitete hart und sorgte sich aufrichtig um Menschen. Zumindest hatte sie das bisher immer geglaubt. Er war weder rassistisch noch sexistisch oder klammerte sich an sonst irgendwelche Engstirnigkeiten und Vorurteile, die Männer seiner Generation oft plagten. Er war ein guter Mann, der an das Gute in den Menschen glaubte – das einzige Problem war nur, dass Shifter für ihn offenbar nicht in diese Kategorie gehörten.
Er nannte sie Tiere.
Er bezeichnete sie als gefährlich.
Und die Wahrheit war, dass sie nicht das Gefühl hatte, etwas dagegen sagen zu können. Ihr Biest hatte sich schon immer wie der wilde Teil von ihr angefühlt und sie hatte oft Probleme, es zu kontrollieren. Es war nicht schwer zu glauben, dass Shifter – andere Shifter, die ihrer animalischen Seite freien Lauf ließen – eine Gefahr für andere sein konnten.
Nur hatte Jared rein gar nichts getan, um ihr weh zu tun. Im Gegenteil, er hatte sie beschützt, sie zurück zum Haus begleitet und dafür gesorgt, dass sie in Sicherheit war, obwohl sie schon hundertmal durch diese Wälder gelaufen war. Die Vorstellung, die ihr Vater von Shiftern hatte, stand im krassen Gegensatz zu dem starken, stillen Mann, dem sie auf der Waldlichtung begegnet war. Vielleicht fühlte sie sich deshalb so zu ihm hingezogen… wieder stellte sie sich ihn nackt vor und Hitze strömte durch ihren Intimbereich.
Nein, es war definitiv dieser rohe, maskuline Sexappeal.
Aber der Hass ihres Vaters auf Jared und seinesgleichen war echt. Grace war schon so oft versucht gewesen, ihrem Vater zu erzählen, was sie wirklich war, hatte dann aber doch immer gekniffen. Irgendetwas an Shiftern stieß ihn ab. Machte ihn wütend. Vielleicht lag es daran, dass er selber so ein Alphatier war, dass er den Gedanken an Männer wie Jared dort draußen nicht ertragen konnte – körperlich überlegen mit sexueller Strahlkraft, vor Maskulinität strotzend.
Vielleicht war es bloß simpler Neid.
Sie wusste nicht, warum ihr Vater Shifter so sehr hasste, aber all ihr Flehen, seinen Gesetzesentwurf zu verschieben, war vergebens gewesen. In einer Woche würde er den Entwurf vorlegen.
Eine Woche. Sie hatte eine Woche, um sich etwas einfallen zu lassen. Dann war sie geliefert.
Vielleicht hatte sie sogar noch weniger Zeit, falls dieser heiße Shifter, der jetzt in Besitz sehr heikler Informationen war, diese öffentlich machte und gegen ihren Vater einsetzte. Die Wahlkampfleiterin in ihr kalkulierte bereits, wie sie den Schaden davon eindämmen könnte, denn es stand außer Frage, dass es ein ausgewachsenes PR-Desaster wäre. Und was mit ihr persönlich passieren würde, konnte sie sich nicht einmal vorstellen. Wenn ihre Mutter nicht schon tot wäre, würde sie das umbringen.
Sie hatte eine Woche, um dieses Armageddon zu verhindern.
Mit den bevorstehenden Interviews und dem nahenden Beginn der Wahlkampftour, die sie vorbereiten musste, sollte sie sich einfach in ihrer Arbeit vergraben, wie sie es für gewöhnlich tat, und beten, dass ihr eine Lösung einfallen würde. Vielleicht würde der Shifter heute Abend im Wald eine Antwort für sie haben. Oder einen Kuss. Sie würde sich auch mit einem Kuss zufriedengeben. Oder auch mit mehr, wenn er wollte.
Grace kramte gerade durch das Papierchaos auf ihrem Schreibtisch und versuchte, ihr Tablet zu finden, als ihre beste Freundin und PR-Managerin, Kylie Anderson, in ihr Büro geplatzt kam.
„Okay, was verheimlichst du mir?“ Kylie baute sich mit verschränkten Armen vor ihr auf und wippte ungeduldig mit dem Fuß.
Graces Herz machte einen Satz. „Was meinst du?“ Oh Gott, hatte der Shifter sie bereits auffliegen lassen?
„Du versteckst dich in deinem Büro, Grace. Du bist nie hier drin. Ehrlich gesagt hatte ich schon überlegt, meinen gesamten Kram hier rein zu verfrachten und zu sehen, wie lange es wohl dauern wird, bis es dir auffällt. Also, was ist los?“
Ihre beste Freundin war klein und rundlich, aber auf eine kompakte, durchaus attraktive Art, mit federnden roten Locken und einer Persönlichkeit so groß wie Montana. Sie ließ sich von niemandem etwas sagen, auch nicht von Grace, konnte aber einem saudischen Prinzen Ölrechte abquatschen. Grace hatte es selbst miterlebt.
Aber offenbar war Graces Geheimnis immer noch eins. Sie atmete auf, versuchte dann aber schnell, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen.
Kylie verengte die Augen. „Grace Elizabeth, wag es ja nicht, mir etwas zu verheimlichen. Wie soll ich denn meine Arbeit machen, wenn ich nicht weiß, was los ist?“
Das war ein Argument. Dieses PR-Desaster würde direkt in Kylies Schoß landen. Ihre beste Freundin würde Grace in einem Ausmaß hassen, das sie sonst nur für Umweltverschmutzer und Leute mit Kinderpornographie auf dem Computer reserviert hatte. Und normalerweise erzählte Grace ihr alles bis ins kleinste Detail… mit einer einzigen Ausnahme. Jetzt brauchte sie schnell eine Lüge, die ihre aktuelle deprimierte Stimmung erklärte. Nur leider kam Kylie Lügen auf die Spur wie ein Bluthund einem Serienmörder – ihre Ausrede musste so nah wie möglich an der Wahrheit liegen.
„Ich habe gestern Abend einen Typen kennengelernt.“ Grace biss sich auf die Lippe, weil Jared kaum bloß ein Typ war und nur an ihn zu denken sie heiß und wuschig werden ließ. Ihre Wölfin winselte. „Einen wirklich heißen Typen. Ich weiß leider nur nicht, ob ich ihn wiedersehen werde.“
Kylie bekam ein Grinsen im Gesicht und eilte um Graces Schreibtisch herum an ihre Seite. „Was zur… wann ist das passiert? Und warum triffst du einfach ohne mich irgendwelche Typen? Ich dachte, wir hätten einen Pakt!“
Grace grinste schief. Sie beide hatten keine Zeit für einen festen Freund – zumindest war das die Ausrede, die Grace jedes Mal benutzte, wenn das Thema zur Sprache kam. Kylie war genauso mit dem Wahlkampf verheiratet wie sie, doch die Wahrheit war, dass Grace niemanden zu nah an sich heranlassen konnte – sonst würde derjenige früher oder später hinter ihr Geheimnis kommen. Also hatten sie und Kylie sich geschworen, dass es ihnen nur um scharfe Kerle und One-Night-Stands ging, und sie sich gegenseitig helfen würden, solche Jungs aufzureißen.
Nur hatte Grace dabei nie Ernst gemacht – One-Night-Stands bargen das hohe Risiko, dass sie sich versehentlich verriet. Doch jetzt war dieser Jared aufgetaucht und… kannte bereits ihr Geheimnis. Sie hatte nichts zu verlieren.
„Ich bin ihm mehr oder weniger über den Weg gelaufen“, erklärte Grace, in der Hoffnung, dass dies nahe genug an der Wahrheit war, dass es Kylie überzeugen würde. „Und seitdem bekomme ich ihn einfach nicht mehr aus dem Kopf.“
„Heiß?“
„Extrem. Heiß genug, dass mein Vibrator fast durchgebrannt wäre. “
„Jawoll!“ Kylie stieß eine Faust in die Luft und Grace musste grinsen. „Und wo ist das Problem?“
„Naja… er gehört nicht gerade zu der Sorte, auf die ich mich einlassen sollte.“
Kylies Augen leuchteten auf. „Oooh… ein Bad Boy. Fantastisch. Die setzen dir praktisch das Bett in Flammen.“
Kylie musste es wissen, aber Grace tat das definitiv nicht. Sie war noch immer Jungfrau, etwas, das sie ebenfalls vor ihrer Freundin, diesem sexuellen Dynamo, geheim hielt. Es war zu schwer zu erklären, warum. Aber vielleicht… mit Jared… Grace hatte es zuvor schon in Betracht gezogen, mit einem anderen Shifter ins Bett zu gehen. Sollte sie shiften, während sie sich in leidenschaftlicher Ekstase verlor, würde sie einem anderen Shifter nichts erklären müssen. Das war der wahre Grund, warum sie noch nie mit einem Mann geschlafen hatte. Wann immer sie etwas aufwühlte – meistens Wut, aber andere Emotionen konnten es ebenfalls bewirken – drohte ihre Wölfin, hervorzukommen. Die Bestie in ihr war schon unter normalen Umständen schwer zu kontrollieren – und ihre Jungfräulichkeit zu verlieren war kein normaler Umstand.
Grace seufzte. „Ich bin mir sicher, dass dieser Typ unglaublich heiß im Bett wäre.“
Kylie zuckte die Schultern. „Also, nochmal – wo ist das Problem? Ist ja nicht so, als müsstest du ihn heiraten.“
„Ich könnte nicht mal mit ihm ausgehen, Kylie.“ Und dennoch biss Grace sich hoffnungsvoll auf die Unterlippe. „Aber weißt du was? Vielleicht frage ich ihn einfach ganz direkt, ob er Interesse hat. Weißt du, nur für eine Nacht und dann gehen wir wieder unserer Wege.“ Vielleicht ja sogar schon heute Nacht, dachte sie sehnsüchtig.
„Na, das hört sich doch schon besser an. Und welcher Kerl könnte zu dem hier nein sagen?“ Mit einer ausladenden Handbewegung tat Kylie so, als würde sie Graces über dem Schreibtisch zusammengesackten Körper präsentieren.
Grace straffte sich und funkelte sie an.
Kylie zog die Hände zurück. „Na gut. Jetzt, wo wir uns darum gekümmert haben, dass du flachgelegt wirst…“
Grace verdrehte die Augen.
„…können wir uns ja wieder an die Arbeit machen“, fuhr Kylie ohne mit der Wimper zu zucken fort. „Den Fototermin am Veteranenkrankenhaus habe ich so gut wie klar gemacht. Kann der Senator heute Nachmittag dort sein?“
Grace kramte erneut nach ihrem Tablet und fand es endlich. Sie entsperrte das Display und sah im Kalender nach. „Sieht so aus, als wäre er zwischen ein und drei Uhr noch frei. Worum geht es da genau?“ Sie war erleichtert, wieder über die Arbeit reden zu können.
„Irgendein Skandal über die Behandlung eines Veteranen, der ins Krankenhaus kam, aber wieder weggeschickt wurde.“
Düster runzelte Grace die Stirn. Soldaten waren sowieso schon lächerlich unterbezahlt und viele von ihnen waren in Übersee durch die Hölle gegangen – das Mindeste, das ihr Land für sie tun konnte, war sie gebührend medizinisch zu versorgen. „Warum haben sie ihn weggeschickt?“
„Offenbar konnte er die Aufnahmeformulare nicht richtig ausfüllen. Angeblich war er geistig verwirrt. Später hat sich dann herausgestellt, dass der Mann Diabetiker ist und gerade einen Anfall durchmachte.“
„Wie kann sowas überhaupt passieren?“ Grace erhob sich von ihrem Stuhl und ihre Wut stieg mit ihr empor. „Sag ihnen, dass der Senator definitiv da sein wird. Dafür sorge ich. In der Zwischenzeit werde ich an einer Grundsatzerklärung schreiben. Wissen wir, wer dafür verantwortlich ist, den Veteranen weggeschickt zu haben?“
„Irgendein neuer Angestellter am Empfang“, sagte Kylie. „Klingt für mich nach mangelhafter Einarbeitung.“
„Mehr Mittel für die Ausbildung, verstanden.“ Grace machte sich eine Notiz auf ihrem Schreibblock. „Ich lese mich ein bisschen ein und arbeite dann an einer Stellungnahme. Wo treibt sich unser Redenschreiber heute Morgen rum?“
Kylie stieß sich vom Schreibtisch ab. „Nolan ist vor etwa einer Stunde hier eingetrudelt. Keine Ahnung, was mit ihm los ist, aber ich würde gutes Geld darauf wetten, dass er letzte Nacht durch die Clubs gezogen ist.“ Dann machte Kylie sich zur Bürotür auf, während sie Grace mit fliegenden Fingern zum Abschied zuwinkte. Kurz bevor sie ging, drehte sie sich mit einer Hand am Türrahmen zu ihr herum und flüsterte dramatisch: „Wenn man vom Teufel spricht.“
Dann verschwand sie und Nolan tauchte an ihrer Stelle auf, die Arme theatralisch ausgebreitet. „Und er soll erscheinen!“
Grace konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Nolan war groß und schlaksig, aber gut gebaut, mit funkelnden blauen Augen, die für gewöhnlich entweder mit Humor oder einem glühenden Ausdruck gefüllt waren, der ihr zeigte, wie gerne er mit ihr ins Bett steigen würde. Es hatte eine Phase gegeben, da hätte er das sogar fast geschafft. Und wenn es je einen Mann gegeben hatte, bei dem Grace sich gewünscht hatte, mit ihm zwischen die Laken zu hüpfen, war es Nolan Pearson. Er war heiß, clever, und er vertrat die richtigen politischen Ansichten. In den zwei Jahren, die er bereits im Wahlkampfbüro arbeitete, hatte er viele gute Reden für ihren Vater geschrieben. Er hatte sie beinahe dazu gebracht, das Risiko einzugehen und mit ihm zu schlafen. Zweimal schon. Und so wie er gerade in ihr Büro geschlendert kam, konnte sie nicht mehr genau sagen, wie sie es geschafft hatte, nein zu sagen. Abgesehen von der Tatsache, dass es ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt hätte.
Was, so wie es aussah, eh nur noch eine Frage der Zeit war.
Aber Kylies Vermutung, dass er noch spät unterwegs gewesen war, schien zu stimmen – die dunklen Ringe unter seinen Augen zeugten deutlich von einer langen Nacht im Club und dem Scotch, den er so gerne mochte. „Gestern Abend noch schwer daran gearbeitet, Frauen aufzureißen?“, fragte Grace mit einem Grinsen.
Er lehnte sich lässig mit der Hüfte an ihren Schreibtisch, sah sich mit demselben neugierigen Blick um, den Kylie gehabt hatte, und fragte sich vermutlich ebenfalls, warum sie sich versteckte. Dann richteten seine funkelnden Augen sich wieder auf sie. „Grace Krekpy, du weißt doch, dass du die einzige Frau bist, die ich verführen will.“
Sie tat seine üblichen Flirtversuche mit einem Winken ab, obwohl sie wusste, dass er es ernst meinte. „Das scheint dich aber nicht von anderen Frauen fernzuhalten.“
Er beugte sich zu ihr, stützte sich mit dem Ellbogen auf seinem Knie ab und neigte den Kopf. Dieses Mal warf er ihr definitiv einen Schlafzimmerblick zu. „Ich vertreibe mir bloß die Zeit, Gracie. Du brauchst nur ein Wort zu sagen und ich gehöre dir.“ Seine Stimme war sanft und sie wusste, dass er es ernst meinte.
Er konnte natürlich nicht wissen, dass das nie möglich sein würde. „Wir haben Arbeit zu erledigen, Nolan Pearson.“ Sie stand auf, nicht zuletzt, um die Versuchung zu bekämpfen, vielleicht etwas zu tun, das sie später bereuen würde. Besonders, da die Erregung zwischen ihren Beinen immer noch größer zu werden schien.
Er schlug eine Hand vor die Brust, als hätte sie ihm gerade ins Herz gestochen, dann taumelte er von ihrem Schreibtisch zurück. „Ich scheine wirklich eine masochistische Ader zu haben, mich immer in deiner Nähe aufzuhalten, Grace Krepky. Eines Tages werde ich vielleicht weiser und arbeite für einen anderen Senator. Den mit der schlechten Frisur. Ich höre, dass er eine sehr nette Tochter hat. Eine, die mich womöglich nicht so quält.“
Sie grinste. „Eines Tages wirst du ein politikversessenes Supermodel finden, lässt dich nieder und gründest eine Familie – mit zwei Kindern, einem Minivan und einem Hipster-Anwesen in Bellevue.“
„Also, du musst ja nicht gleich so fies werden“, sagte er mit einem übertrieben entsetzten Gesichtsausdruck. „Du hättest auch einfach sagen können, dass du mich schrecklich unattraktiv findest. Oder dass du und Kylie euch endlich dazu entschieden habt, eure lesbische Liebe auszuleben.“
Grace schnaubte, aber das war eines der besten Dinge an Nolan – er brachte sie zum Lachen. „Nun, das wäre beides gelogen und als Tochter des Senators bin ich dazu verpflichtet, jederzeit die ungeschminkte Wahrheit zu sagen.“
Er sah sie gespielt finster an. „Du solltest dringend an deiner Hinterlistigkeit arbeiten, wenn du wirklich eine ordentliche Politikertochter sein willst.“ Aber sie konnte erkennen, dass er ihr vergab. Vorerst.
„Zurück an die Arbeit, Pearson“, sagte sie in ihrem besten Befehlston. „Du musst mir etwas schreiben, das der Senator bei seiner Rede am Veteranenkrankenhaus gebrauchen kann.“
„Oh, machen wir den Auftritt da? Großartig. Ich hab das in den Nachrichten gesehen. Die ganze Sache hat mich richtig angepisst.“
Grace lächelte – Nolan war wirklich genau der richtige Typ, mit dem sie sich vorstellen konnte, sesshaft zu werden. Als ob sie überhaupt jemals sesshaft werden konnte. Aber er war süß und hatte eine Leidenschaft für all die Dinge, die auch ihr wichtig waren, ganz anders als der düster und grüblerisch wirkende Shifter im Wald. Jared hatte die ganze Zeit über nicht einmal gelächelt. Sie musste allerdings zugeben, dass das unwahrscheinlich sexy auf sie gewirkt hatte. Vielleicht, wenn sie Glück hatte, konnte sie endlich ihre Jungfräulichkeit verlieren und ihn gleichzeitig davon überzeugen, ihr Geheimnis für sich zu bewahren. Wenn sie irgendwie den süßen und charmanten Nolan mit einem grüblerischen und hinreißenden Shifter wie Jared vermischen könnte, würde das den perfekten Mann für sie ergeben.
Doch es würde nie einen perfekten Mann für sie geben. Das wusste sie bereits.
Grace behielt ihr strahlendes Lächeln für Nolan bei. „In einer Stunde oder so habe ich ein paar legislative Ideen für deine Rede fertig.“
Nolan nickte. „Perfekt. Ich fange schon mal mit einem Grundgerüst für die Rede an und füge die Details dann später ein.“ Er machte sich zur Tür auf, blieb dann auf der Schwelle stehen und drehte sich nochmal zu ihr herum. „In Belltown gibt es eine neue Weinbar, die ich ausprobieren wollte. Lust, meine hübsche Begleitung zu sein?“ Er warf ihr ein kleines, schwaches Lächeln zu. Ein Lächeln, das mit Versprechungen kam, zu denen sie kaum nein sagen konnte.
„Eigentlich bin ich schon fürs Leben ausgebucht“, sagte sie mit einem resoluten Kopfschütteln. „Aber wenn diese Woche nicht langsam besser wird, könnte ich doch noch einen Vollrausch gebrauchen, um nicht durchzudrehen.“
Er runzelte die Stirn und trat zurück in ihr Büro. „Ist irgendwas nicht in Ordnung?“
„Nein“, versicherte sie rasch. Sie hätte nichts sagen sollen. „Nichts, worüber ich reden möchte.“ Eine kleine Flamme der Hoffnung brannte in ihr, dass sie vielleicht, eines Tages, alles mit einem Mann wie Nolan teilen konnte. Aber heute war definitiv nicht dieser Tag.
Er nickte und zögerte kurz, bevor er sich wieder der Tür zuwandte. „Sag bloß ein Wort, Gracie.“ Dann verschwanden er und sein kleines, sexy Grinsen durch die Tür und Grace fiel zurück in ihren Stuhl.
Sie sollte sich darauf stürzen, einen Vorschlag für erhöhte Geldmittel für das Veteranenkrankenhaus auszuarbeiten… und sich später Sorgen um Nolan und den heißen Shifter Jared machen. Was sowieso irrelevant war. Ihr wahres Problem bestand darin, dass sie die Shiftertochter eines Anti-Shifter-Politikers war, und diese Tatsache bald herauskommen würde.
Sehr bald.
„Was hattest du vor?“ Das war Jaxson, Jareds jüngerer Bruder.
„Was soll der Scheiß, Jared?“ Jace, der jüngste der drei Brüder, war ebenfalls gründlich angepisst.
„Du kannst doch nicht einfach einen amtierenden Senator ermorden!“ Jaxson tat so, als würde ihm sowas nie in den Sinn kommen – was wahrscheinlich der Wahrheit entsprach. Er war ein guter Mann.
„Du wolltest—“ Jace warf mit unartikuliertem Zorn die Arme in die Luft, dann wandte er sich Jaxson zu.