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Er hat die Armee hinter sich gelassen… und hofft, dass sein dunkles Geheimnis dort vergraben bleibt.
Noahs Undercover-Auftrag könnte wirklich schlimmer sein – er soll sich über eine Dating-App mit Frauen treffen, die eine heiße Nacht mit einem Wolf wollen. Das alles, um gefährliche Bombenleger aufzuspüren, die es auf Shifter abgesehen haben. Um ihnen das Handwerk zu legen und um seine Familie und das Wilding-Rudel zu beschützen, ist Noah sogar aus dem Militär ausgetreten. Zumindest behauptet er, dass das der Grund war…
Emily Jones ist die Chefentwicklerin von WildLove, der neuen App, die Shifter und Menschen für eine heiße Nacht ohne Verpflichtungen zusammenbringt. Doch sie selbst hatte schon seit Jahren kein Date mehr… nicht seit diesem dunklen Tag, an dem sie von ihrer Familie im Stich gelassen wurde, als sie sie am meisten gebraucht hätte. Doch sie hofft, dass eine magische Nacht mit einem sexy Wolf ihr dabei helfen wird, dies endlich hinter sich zu lassen und ihr Leben zurückzugewinnen.
Als Noah Emily über die App anschreibt, scheint ihr Traum von einer Nacht mit einem Wolf endlich wahr zu werden. Doch in dem Moment, in dem sie ihm die Tür eines Motelzimmers öffnet, landen die beiden nicht nur ganz oben auf der Liste der Attentäter, sondern zwischen ihnen entwickelt sich auch etwas, wofür die Dating-App nicht gedacht war… etwas, das über einen One-Night-Stand hinausgeht.
WILD LOVE ist ein eigenständiges und in sich abgeschlossenes Buch, das zweite in der „Wilding Pack Wolves“-Reihe. Alle Bücher dieser Serie sind eigenständige Geschichten, aber für die Hintergründe und maximales Lesevergnügen empfiehlt es sich, sie in der richtigen Reihenfolge zu lesen und zunächst mit der „River Pack Wolves“-Trilogie zu beginnen.
Alle Teile der "Wilding Pack Wolves"-Reihe:
Wilding Pack Wolves 1 - Wild Game
Wilding Pack Wolves 2 - Wild Love
Wilding Pack Wolves 3 - Wild Heat
Wilding Pack Wolves 4 - Wild One
Wilding Pack Wolves 5 - Wild Fire
Wilding Pack Wolves 6 - Wild Magic
Andere Bücher von Alisa Woods:
Alle Teile der "River Pack Wolves" Trilogie:
River Pack Wolves 1 - Jaxson
River Pack Wolves 2 - Jace
River Pack Wolves 3 – Jared
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Text copyright © 2016 by Alisa Woods
All rights reserved.
Kein Teil dieser Publikation darf ohne die Erlaubnis des Herausgebers reproduziert, in einem Datenspeichersystem hinterlegt oder in jeglicher Art und Form weitergegeben werden, elektronisch oder mechanisch, inklusive Fotokopien, Aufnahmen oder Sonstigem.
English Copyright 2016 by Alisa Woods
2020 Deutsche Übersetzung von Michael Drecker und Leonie Brinkmann
Herausgeber: Michael Drecker, Stühmeyerstr. 54, 44787 Bochum, Deutschland
Cover by Steven Novak
* * *
Er hat die Armee hinter sich gelassen… und hofft, dass sein dunkles Geheimnis dort vergraben bleibt.
Noahs Undercover-Auftrag könnte wirklich schlimmer sein – er soll sich über eine Dating-App mit Frauen treffen, die eine heiße Nacht mit einem Wolf wollen. Das alles, um gefährliche Bombenleger aufzuspüren, die es auf Shifter abgesehen haben. Um ihnen das Handwerk zu legen und um seine Familie und das Wilding-Rudel zu beschützen, ist Noah sogar aus dem Militär ausgetreten. Zumindest behauptet er, dass das der Grund war…
Emily Jones ist die Chefentwicklerin von WildLove, der neuen App, die Shifter und Menschen für eine heiße Nacht ohne Verpflichtungen zusammenbringt. Doch sie selbst hatte schon seit Jahren kein Date mehr… nicht seit diesem dunklen Tag, an dem sie von ihrer Familie im Stich gelassen wurde, als sie sie am meisten gebraucht hätte. Doch sie hofft, dass eine magische Nacht mit einem sexy Wolf ihr dabei helfen wird, dies endlich hinter sich zu lassen und ihr Leben zurückzugewinnen.
Als Noah Emily über die App anschreibt, scheint ihr Traum von einer Nacht mit einem Wolf endlich wahr zu werden. Doch in dem Moment, in dem sie ihm die Tür eines Motelzimmers öffnet, landen die beiden nicht nur ganz oben auf der Liste der Attentäter, sondern zwischen ihnen entwickelt sich auch etwas, wofür die Dating-App nicht gedacht war… etwas, das über einen One-Night-Stand hinausgeht.
Noah Wilding stieg die Stufen zum zweiten Stock des Motels hinauf. Er war sich nicht sicher, ob er wollte, dass diese Verabredung genauso ablief wie die letzten drei – ein paar Stunden wilder Sex mit einer Menschenfrau, bis beide von der unglaublichen Intensität wiederholter Orgasmen völlig erschöpft waren – oder ob er wollte, dass der Bastard diesmal endlich auftauchte, damit sein Rudel ihn zu packen bekam.
Keine leichte Entscheidung.
„Wie wär’s, wenn du das Mikro heute mal anlässt, Noah?“ Trotz des leichten Rauschens, das aus seinem Ohrstöpsel drang, erkannte er Jimmys Stimme am anderen Ende, der ihm den Titel als Notgeilster Ungepaarter Wolf durchaus streitig machen konnte. Der Junge war kaum achtzehn Jahre alt, hätte aber ohne zu zögern mit Noah, der immerhin schon einundzwanzig war, den Platz getauscht.
„Zumindest könntest du heute mal ein bisschen schneller fertig werden.“ Das war Jace River, der Ehemann seiner Schwester und einer der drei River-Brüder, die die Sicherheitsfirma Riverwise leiteten, für die Noah, Jimmy und der Rest des Rudels arbeiteten. „Ich meine, mal ernsthaft! Zwei Stunden? Wofür brauchst du so lange?“
Über seinen Kopfhörer hörte er die Idioten im Rudel-Van lachen.
„Komm schon, Mann, lass das Mikro an“, bettelte Jimmy noch einmal. „Ich will vom Meister lernen.“
„Leute, ihr seid ein einziger Haufen Perverser“, flüsterte er in das Mikro, das in seinen Kragen eingenäht war. Er versuchte, nicht zu auffällig in seine Klamotten zu sprechen, obwohl er nicht davon ausging, dass jemand um zehn Uhr nachts in Erwartung seines per App gebuchten One-Night-Stands auf dem Motelbalkon herumlungerte. „Wenn ihr nicht alle so hässlich wäret, könntet ihr vielleicht auch wie ich an der Front sein.“ Er grinste, als empörtes Protestgebrüll seinen Ohrstöpsel flutete.
Noah blieb vor der Tür mit der Nummer dreiundzwanzig stehen, um sich in die richtige Stimmung zu versetzen, und versuchte die Arschlöcher zu vergessen, die ihm zuhörten.
Er rief sich das Gesicht in Erinnerung, das er in der WildLove-App gesehen hatte – hübsch, so jung wie er, funkelnde blaue Augen – genau die Art von sanftem, unschuldig aussehendem Gesicht, auf das ein heißblütiger Shifter anspringen würde. Diese neue Dating-App der Seattle Shifters Dating Agency erfreute sich wachsender Beliebtheit, insbesondere seit eine Untergrundgruppierung von Wolfshassern mit der Jagd auf Shifter begonnen hatten. Die Shifter-Bars in der Innenstadt wurden seitdem gemieden – es war momentan einfach nicht sicher, sich in größeren Gruppen zu treffen – doch dadurch fehlte vielen Shiftern auch die Möglichkeit, ihrem angestauten sexuellen Druck Abhilfe zu schaffen. Die App war genial. Sie brachte Shifter mit willigen Menschen zusammen, was bei Seattles Hipstern offensichtlich der neueste Hype war... Doch dann hatte jemand angefangen, an den Autos der Shifter Autobomben zu platzieren, während sich die Pärchen in den Laken wälzten.
In den letzten beiden Monaten hatte es bereits zwei Shifter erwischt. Beide überlebten, doch das zeigte lediglich, wie schwierig es war, sie zu töten. Riverwise hatte sich mit der Datingagentur zusammengetan, um undercover nach den Übeltätern zu suchen, bevor es ihnen tatsächlich gelang, jemanden umzubringen... und um die Agentur davor zu bewahren, bankrott zu gehen.
Darum war er hier.
„Okay, ihr Perverslinge“, raunte Noah in sein Mikrofon, „ich gehe jetzt rein. Das Mikro mache ich aus, aber gebt mir Bescheid, wenn euch irgendwas auffällt. Und bitte quatscht so wenig wie möglich. Es ist echt schwer, mit euch im Ohr einen hochzukriegen.“
Er schaltete das Mikrofon ab und musste über die erwarteten Flüche und nicht ganz ernst gemeinten Beschimpfungen schmunzeln, die jedoch schnell abklangen. Er klopfte dreimal schnell an die Tür und versuchte, sein Pokerface aufzusetzen.
Als die Tür aufging, stand ihm ein Mädchen gegenüber, das genauso aussah wie auf ihrem Foto – doch statt süß und unschuldig, war sie verdammt heiß. Sie hatte das nerdige T-Shirt und die Jeans von ihrem WildLove-Profilbild gegen ein seidenes Kleid eingetauscht, das sich an genau den richtigen Stellen an ihre sinnlichen Kurven schmiegte. Doch so heiß sie auch aussah, wie sie dastand und ihm die Tür aufhielt, wirkte sie gleichzeitig scheu wie ein junges Kätzchen.
„Ähm... hi“, sagte er und versuchte, sie nicht allzu sehr anzuglotzen. „Ich bin Noah Wilding.“ Er hoffte inständig, dass heute Nacht keine bösen Jungs auftauchen würden. Wenn dieses Menschenmädchen hier in den Genuss eines Wolfes kommen wollte, dann war er gerne bereit, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.
Sie blinzelte schnell und ihr Mund öffnete sich, doch sie brachte keinen Ton heraus. Sie betrachtete ihn interessiert, aber auf eher unsichere Art und Weise, als versuchte sie, sich dagegen zu wehren – ihr Blick huschte über seine Brust und dann noch tiefer, bevor sie schließlich wieder aufsah und sich auf die Lippen biss, als hätte sie vor, sie abzukauen.
Als sie noch immer nichts sagte, runzelte er die Stirn und fügte hinzu: „Du weißt schon, von WildLove?“ Er warf einen Blick auf die Zimmernummer, obwohl er sich absolut sicher war, dass sie das Mädchen von der App war. Aber wenn sie zu große Bedenken wegen des One-Night-Stands hatte, wollte er ihr die Möglichkeit für einen Rückzieher bieten. „Ist das das richtige Zimmer?“
„Oh, ok. Ich meine, ja. Das ist das richtige Zimmer. Auf jeden Fall!“ Dann kniff sie für einen Moment die Augen zusammen, wie um sich selbst zu beruhigen.
Er musste grinsen. Sie war echt zuckersüß. Oh Mann, er hoffte einfach nur, dass sie ihn auch tatsächlich hereinlassen würde.
Endlich öffnete sie die Augen wieder. „Komm doch rein.“ Sie schluckte merklich und trat ein Stück zurück, um ihm Platz zu machen.
Langsam, als könnte jede hastige Bewegung sie verschrecken, trat er ein. Das Zimmer war genau so, wie man es bei einem Billigmotel erwartete: kitschige Kunst an den Wänden, dünne Laken auf dem Bett und ein abgenutzter Teppichboden. Nur um sicherzugehen schaute er sich etwas genauer im Raum um. Die vorherigen Anschläge waren zwar auch nicht in den Hotelzimmern selbst, sondern mithilfe von Autobomben verübt worden, doch man konnte ja nie wissen. Er drehte sich zu ihr um und sah, wie sie mit zitternden Händen die Zimmertür schloss.
Warum war sie so nervös? Die drei vorherigen Frauen waren bei dieser Sache definitiv... erfahrener gewesen. Durch die vormals florierende Shifter-Barszene hatten viele Menschenfrauen bereits Erfahrung mit ein bisschen übernatürlicher Action gemacht. Aber wenn dies eine Falle war...
„Du bist doch Emily Richards, oder?“ Das war der Name, der in ihrem Profil gestanden hatte... wie auch immer ihr echter lauten mochte. Fast niemand nutzte seinen richtigen Namen auf WildLove. Er benutzte seinen, weil der wahnsinnige Anführer der Wolfshasser – ein Typ, der sich selbst der Wolfsjäger nannte – sowieso schon das ganze Wilding-Rudel enttarnt hatte, Noah eingeschlossen. Und das machte ihn zu einem verlockenden Ziel.
Das Mädchen klebte mit dem Rücken an der Tür und presste die Hände flach dagegen. „Ja. Mein Name ist Emily.“ In ihren Augen schien eine unbestimmte Furcht zu schimmern und auch ihre langen blonden Haare konnten das Beben ihrer Schultern nicht gänzlich verdecken.
Er wartete darauf, dass sie noch etwas sagte, aber es kam nichts. Das Mädchen hatte entweder panische Angst, weil sie ihn gerade reinlegte und draußen einen Komplizen warten hatte, oder es war ihr erstes Mal mit einem Shifter. Aus seinem Ohrstöpsel erklang leises Flüstern, doch nichts deutete darauf hin, dass irgendwas im Van nicht in Ordnung war.
Noah verengte seine Augen. „Wir müssen das nicht tun, wenn du nicht willst.“ Er streckte die Hände aus, mit den Handflächen voraus, als wollte er ein scheues Kaninchen besänftigen.
Das schien etwas Feuer in ihr zu entfachen. Sie stieß sich von der Tür ab, ging drei entschlossene Schritte auf ihn zu und blieb dann gerade innerhalb seiner Reichweite stehen. „Doch.“ Sie atmete tief ein, „Ich will das.“
Ganz offensichtlich versuchte sie aus irgendeinem Grund, mutig zu sein, doch ihr nervöser Gesichtsausdruck weckte den Beschützerinstinkt seines Wolfes. Sein inneres Biest war kein gewöhnlicher Wolf, doch immer noch durch und durch ein Alpha... und ihr ängstlicher Ausdruck schürte sein Verlangen nach ihr nur noch mehr. Als würde sein Wolf nichts lieber tun wollen, als ihr Zittern mit seinen Küssen zu vertreiben.
„Okay.“ Er schluckte und war unsicher, wie er vorgehen sollte. Für gewöhnlich gab es ein kurzes Vorgeplänkel oder dergleichen, bevor man sich seiner Klamotten entledigte. Bei einer seiner Verabredungen war sogar kaum Zeit für ein Hallo geblieben, da hatte ihm das Mädchen schon sein Hemd vom Leib gerissen. Aber bei ihr... Es fühlte sich an, als hätten sie erst einmal auf ein, wenn nicht sogar drei Dates gehen sollen, bevor sie gemeinsam in einem Motelzimmer landeten.
Er streckte die Hand aus. Sie starrte darauf, als könnte sie sie beißen ... doch dann griff sie zaghaft zu. Ihre Hand war warm, weich und zart, mit kleinen Fingern, die aussahen, als hätte sie in ihrem ganzen Leben keine Arbeit verrichtet.
„Was machst du beruflich, Emily?“, fragte er, während er sie näher zu sich heranzog und ihr sanft in die hübschen blauen Augen schaute. Sie war klein und er ragte etwas über ihr, doch er hoffte, dass seine Berührung und ein bisschen Smalltalk sie beruhigen würden. Außerdem gab es auf WildLove kaum persönliche Informationen – es war in erster Linie eine Seite für kurze sexuelle Erlebnisse ohne jegliche Verpflichtungen. Er wusste also wirklich nichts über sie.
„Ähm ...“ Sie schluckte wieder und blickte zu ihm hoch, ohne jedoch zurückzuweichen. „Ich bin Bibliothekarin.“
Er lächelte. „Verarsch mich nicht. Eine sexy Bibliothekarin? Womit habe ich das denn verdient?“ Er war ihr jetzt nah genug, um sie in den Arm zu nehmen, doch er hielt nach wie vor nur ihre Hand. Er verspürte den Drang, sie für eine beschützende und beruhigende Umarmung zu sich zu ziehen, doch selbst das fühlte sich zu intim an. Zu schnell. Stattdessen drückte er ihre Hand gegen seine Brust.
„Ich werde dir nicht wehtun, Emily.“
Ihre Augen weiteten sich ein wenig. „Ich weiß“, flüsterte sie. „Shifter haben einen sehr starken Beschützerinstinkt gegenüber ihren Partnern und sogar bei unbekannten Frauen und Kindern, die ihre Hilfe brauchen. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass sie fast nie jemanden ohne Grund angreifen, noch seltener jemanden, der schwächer oder verletzlicher ist als sie, was im Grunde auf jeden Menschen zutrifft. Ihre gesamte Rudel-Kultur basiert auf familiären Werten, Fürsorge und einem starken, magischen Bund der Liebe.“ Sie hielt abrupt inne und der ängstliche Ausdruck kehrte in ihr Gesicht zurück, als hätte sie mit all dem nicht so herausplatzen wollen.
Noah starrte sie an. Sie redete eindeutig wie eine Bibliothekarin. Allerdings war es mehr als merkwürdig, ein solch enzyklopädisches Wissen über Shifter zu haben. Jemand, der derartige Nachforschungen anstellte, musste schon fast besessen sein. Besessen genug, um zu töten.
„Scheint, als wüsstest du eine ganze Menge über Shifter“, sagte er vorsichtig.
Ihre Wangen wurden rot. Sie senkte den Blick und schaute zu Boden, zum Bett, dann zur Wand... überallhin, nur nicht in seine Augen. „Ich finde einfach... ich finde einfach nur, dass Shifter...“, endlich kam ihr Blick zu ihm zurück und heftete sich auf seine Brust, „... unglaublich faszinierend sind“, hauchte sie. Ganz langsam schaute sie auf und sah ihm in die Augen. Ihre Lippen öffneten sich und ihr schien das Atmen schwerzufallen.
Noah wusste, dass Frauen auf den Alpha in ihm ansprangen. Sein Shifter-Körper, die Muskeln und sein militärisches Auftreten, das er von seiner Zeit in der Armee beibehalten hatte – all das verfehlte seine Wirkung nicht. Er hatte es zu oft erlebt, um sich dessen nicht bewusst zu sein. Aber bei diesem Mädchen, das atemlos und mit großen Augen vor ihm stand... kam ihm der Gedanke, dass es vielleicht nicht nur ihr erstes Mal mit einem Shifter war.
Vielleicht war es ihr erstes Mal überhaupt.
Jetzt wurde auch er nervös. Zum einen, weil er nicht mehr mit einer Jungfrau geschlafen hatte, seit er selbst noch eine gewesen war, und das war schon Jahre her. Und zum anderen, weil diese blauäugige Unschuld eine Art magische Wirkung auf seinen Schwanz hatte. Sein Körper und sein Kopf kämpften gegeneinander an. Der eine wollte sie umgehend schmecken und spüren, während der andere noch warten wollte. Außerdem konnte das Ganze noch immer eine Falle sein. Sie wirkte nicht wie der lockere Typ Mensch, der auf der Suche nach bedeutungslosem Sex war. Was wieder für Besessenheit sprach. Und auf die Wolfshasser hindeutete, die er schnappen wollte.
Die ganze Sache kam ihm nicht ganz sauber vor, doch er hatte keine andere Wahl, als ins kalte Wasser zu springen und herauszufinden, was es damit auf sich hatte. „Deswegen bist du also hier – du willst erleben, wie es sich mit einem von uns anfühlt.“
„Ja.“ Sie stieß den Atem aus – vielleicht war es Erleichterung.
Er zog sie noch näher an sich heran.
Ihre Pupillen weiteten sich und ihre Atmung wurde schneller. Über den Geruch frisch gewaschener Haut konnte er ihre Erregung riechen. Kein Parfüm, nur ein eigener zarter Duft von ihr, der ihn noch mehr anmachte. Das überzeugte ihn schließlich, seinen Verdacht beiseite zu schieben und sein eigentliches Ziel weiter zu verfolgen – und zwar den köstlichen menschlichen Köder von demjenigen zu schlucken, der versuchte, Shifter zu töten, indem er Bomben in ihren Autos platzierte.
Noah strich langsam mit einem Finger über Emilys Wange. Sie schloss die Augen bei seiner Berührung und ihr Körper bebte leicht. Er legte ihr die Hände auf die Wangen und lehnte sich weit genug vor, um sie zu küssen, tat es jedoch immer noch nicht.
„Das ist neu für dich, oder?“, flüsterte er.
Sie öffnete blinzend die Augen, dann nickte sie eilig.
Er lehnte sich ein Stück zurück, um ihr in die Augen schauen zu können. „Ich frage dich das jetzt ganz direkt, weil ich keinen anderen Weg wüsste, es zu fragen.“
„Okay“, hauchte sie. Da wurde ihm klar, dass sie trotz ihres Zitterns tatsächlich mutig war. Denn immerhin war sie alleine mit einem Shifter in einem Zimmer und verglichen mit ihr, war er sehr gefährlich. Sogar ohne dass sie die Wahrheit über seine Fähigkeiten kannte oder wusste, wie kaputt er wirklich war.
„Du hast das noch nie gemacht, oder?“, fragte er sanft.
„Stimmt.“ Sie sah ihn mit großen Augen an.
Er wartete eine Sekunde und fügte dann hinzu: „Ich meine, du hast diese ganze Sex-Sache noch nie gemacht.“
Jetzt weiteten sich ihre Augen noch mehr und sie schaute wieder zu Boden. „Doch, habe ich.“
Das war nicht die Antwort, mit der er gerechnet hatte. „Also bist du keine Jungfrau mehr?“ Bei ihren etwa einundzwanzig Jahren war es zumindest nicht völlig unwahrscheinlich oder etwas, von dem man noch nie gehört hätte.
Sie schaute auf, aber nur zaghaft, fast, als könnte sie ihm nicht mehr in die Augen sehen. „Nein.“ Dann sagte sie nichts mehr.
Die peinliche Stille wurde von plötzlichem Gelächter der Jungs im Überwachungswagen übertönt. Natürlich konnte Emily sie nicht hören, aber es ließ ihn dennoch zusammenfahren.
Plötzlich hatte ihr Blick etwas Trotziges. „Spielt das eine Rolle?“
Er runzelte die Stirn. „Nein, ich wollte nur sichergehen—“
Sie wich zurück und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Woher weiß ich eigentlich, dass du überhaupt ein Wolf bist?“, fragte sie herausfordernd.
Mit der Frage hatte er nicht gerechnet. Keine der anderen hatte ihn das gefragt – sie waren mehr als bereitwillig auf seinen Schwanz gestiegen, ohne eine Zusicherung, ob er tatsächlich ein Shifter war oder nicht. Sie wollten schließlich nicht sesshaft werden oder Mischlings-Shifterwelpen zeugen. Menschen und Shifter trieben es zwar miteinander, aber sie paarten sich nicht – zumindest nicht oft. Und jetzt, wo die Flammen des Hasses immer heftiger geschürt wurden, wurden die wenigen Mischehen erst recht geheim gehalten. Und er hatte sowieso kein Partnerpotenzial, weder für Shifter noch für Menschen. Es gab nur sehr wenige weibliche Shifter und für gewöhnlich suchten sie sich den stärksten Alpha, den sie finden konnten, und keine genetischen Missgeburten wie ihn. Und ganz abgesehen davon war seine eigene Familie der lebende Beweis dafür, dass diese Partnerschaften ebenso Fluch wie Segen sein konnten.
Krampfhaft überlegte Noah, was er sagen sollte. „Ich schätze... ich könnte dir zeigen, dass ich ein Wolf bin.“
Beinahe rechnete er damit, dass sie das endgültig abschrecken würde.
Stattdessen leuchteten ihre Augen auf und sie sagte: „Wirklich? Du würdest für mich shiften?“
Er verzog das Gesicht. Das war eine ziemlich dumme Idee. Besonders wegen der ungewöhnlichen Form, die seine Wolfsgestalt mittlerweile hatte. Doch er konnte ihre Erregung jetzt immer deutlicher riechen. Er machte sie definitiv an. Und er musste das hier noch in die Länge ziehen, um demjenigen, der die Bomben legte, Zeit dafür zu geben.
„Klar“, sagte er wider besseren Wissens. Beinahe hätte er sein Mikrofon wieder angestellt, entschied sich aber dagegen. Selbst wenn dieses Mädchen ihn in eine Falle lockte, war sie noch lange nicht in der Lage, ihn zu verletzen. Also hielt er ihren Blick einen Moment lang fest und shiftete dann.
Sie keuchte auf und schlug beide Hände vor ihren Mund, doch sie wich nicht zurück. Er wusste, was sie sah: einen weißen, zotteligen Wolf mit übergroßen Reißzähnen und kristallblauen Augen. Um ihr Albträume zu ersparen, ließ er seine Klauen eingefahren. Das war nicht der Wolf, mit dem er geboren worden war... es war das Ergebnis von Experimenten der Regierung, die etwas in ihm hervorgebracht hatten, das in seinem Gencode versteckt gewesen war. DasFamiliengeheimnis. Er war für niemanden mehr geshiftet, seit er sein ärztliches Entlassungsschreiben bekommen hatte und endlich aus Afghanistan abgehauen war. Er gab vor, zurückgekehrt zu sein, um seine Familie, das riesige Wilding-Rudel, zu beschützen... doch die Wahrheit war viel komplizierter.
Emily ließ die Hände von ihrem Mund sinken und näherte sich ihm mit ausgestreckter Hand. „Darf ich dich berühren?“, hauchte sie aufgeregt.
Er neigte seinen Kopf.
Mit einer Hand fuhr sie über das Fell auf seinem Kopf und nahm dann auch die andere Hand hinzu. Er lehnte sich leicht gegen sie – ihre sanften Streicheleinheiten fühlten sich erstaunlich gut an.
„Ein weißer Wolf“, flüsterte sie. „So selten, dass sie beinahe als Mythos gelten. Ich kann nicht glauben... was für ein Glück ... Wölfen wie dir wird nachgesagt, dass ihr beinahe magisch seid. Nicht die normale Shifter-Magie, sondern mehr. Vielleicht durch eine Kreuzung mit Hexen in früheren Zeiten, bevor sich die übernatürlichen Geschöpfe in unterschiedliche...“
Er unterbrach sie, indem er sich sanft aber mit genug Nachdruck an ihren Arm schmiegte, um ihren Geschichtsvortrag zu beenden, der ihn zunehmend nervöser machte.
Sie wich zurück und schaute ihm direkt in die Augen, ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt. „Du bist so wunderschön.“
Okay, das war genug. Er shiftete schnell zurück und fing sie rasch mit seinen Armen auf, bevor sie wieder vor ihm zurückweichen konnte. Es dauerte weniger als den Bruchteil einer Sekunde und ließ sie überrascht nach Luft schnappen, doch sobald es vorüber war, hielt er sie in seinen Armen und zog sie gegen seinen nackten Körper.
„Für gewöhnlich bevorzugen wir den Ausdruck gutaussehend“, sagte er grinsend.
Dann küsste er sie.
Verdammt, sie war so weich – das Kleid, ihre seidigen blonden Haare, die über seine Hände fielen, ihre Lippen, die an seine zu schmelzen schienen. Es dauerte eine Sekunde, doch dann stürzte sie sich auf ihn – kleine Hände krallten sich in seine Schultern, ihre Zunge suchte sich begierig einen Weg in seinen Mund und ihr Kleid rutschte hoch, als sie ihr Bein lüstern um seine nackte Hüfte legte und sich so noch näher an ihn schmiegte. Er fuhr mit einer Hand unter den weichen Seidenstoff ihres Kleides und umschloss ihre Brust. Ein Stöhnen löste sich in seiner Kehle, als er ihren harten Nippel unter seinen Fingern spürte. Sein Schwanz stellte sich auf und presste sich gegen die unendliche Zartheit ihres Körpers – während alles in ihm danach verlangte, in sie einzudringen.
Er löste seine Lippen von ihren und wanderte mit dem Mund ihren Hals hinunter.
Sie stöhnte auf und ließ ihren Kopf nach hinten kippen.
„Du hast zu viel an“, raunte er zwischen feuchten Bissen in ihre Haut.
„Ja“, hauchte sie.
Vorsichtig schob er sie zum Bett. In weniger als fünf Sekunden waren sie von Null auf Hundert geschossen – irgendwas an ihrer Begeisterung für Shifter ließ seinen Wolf zu Hochtouren auflaufen – und er hoffte inständig, dass sie die Wahrheit gesagt hatte und tatsächlich keine Jungfrau mehr war. Denn plötzlich wünschte er sich nichts sehnlicher, als sie auf das klapprige Motelbett zu werfen und so heftig zu nehmen, bis sie seinen Namen schrie.
Wenn sie sich vorher schon für Wölfe interessiert hatte, wollte er sie zu einem Fan auf Lebzeiten machen.
Sie hatten es fast bis zum Bett geschafft – und ihr Kleid war ihr schon über die Hüfte gerutscht – als er plötzlich Schreie in seinem Kopfhörer hörte.
„Auf zehn Uhr!“
„Ich sehe ihn!“
„Was zur Hölle—“
„Jimmy, du bleibst hier. Murphy, Simpson, ihr geht außen rum. Ashton, du gehst mit mir. Los, los, los!“
Noah riss sich von Emilys Küssen los. Irgendwas passierte unten am Van und er stand hier nackt und mit einem Steifen in dem Motelzimmer. Scheiße.
Schlagartig ließ er Emily wankend an der Bettkante stehen und hastete zurück zu der Stelle, wo seine Klamotten in einem Haufen auf dem muffigen Teppich lagen. Während er sich hastig anzog, stammelte sie etwas vor sich hin und schlang ihre Arme um sich.
„Ich muss gehen“, sagte er knapp und zog sein T-Shirt über seinen Kopf. Die Rufe in seinem Ohr wurden lauter und hektischer.
„Ich... habe ich... etwas falsch gemacht?“ Sie zitterte.
Scheiße. Er wusste nicht, ob sie etwas mit der Sache dort draußen zu tun hatte, was auch immer es war, oder ob sie einfach nur eine unschuldige Dritte war, doch er hatte keine Zeit, es ihr zu erklären.
„Ich muss einfach los.“ Er schlüpfte in seine Schuhe und rannte zur Tür. Kurz bevor er sie erreichte, drang das Geräusch mehrerer Schüsse von draußen zu ihm. Scheiße! Er riss die Tür auf, taumelte hinaus und erinnerte sich daran, sein Mikro einzuschalten. „Was zur Hölle ist bei euch los?“, rief er über das Knurren und Stöhnen hinweg, das aus seinem Kopfhörer drang. Er rannte zum Ende des Balkons, von wo aus er einen guten Blick auf sein Auto und den Van unten hatte. Sein Rudel umzingelte einen Typen, den sie auf den Asphalt gedrückt hatten. Einer von ihnen war geshiftet, doch er lag bewegungslos auf dem Boden, während die anderen den Täter festhielten.
Noah hastete die Treppe hinunter und eilte zu dem am Boden liegenden Wolf.
Nein, nein, nein... der relativ schlanke Körper, das kurzgeschorene braune Fell... das musste Jimmy sein.
Noah war neben Jace angekommen, der sich bereits über Jimmy beugte. Jace hatte als Sanitäter bei der Armee gearbeitet und untersuchte Jimmys blutüberströmten Kopf sofort auf Wunden. Noah konnte nicht sagen, wie schlimm es war, doch im Einsatz hatte er unzählige Kopfverletzungen gesehen und sie bedeuteten nie etwas Gutes. Jimmys Augen waren geschlossen, sein Gesicht schlaff.
„Jace?“, bang vor Sorge wich Noah zurück. Er wollte Jace nicht im Weg stehen.
Dessen Hände fuhren über Jimmys Kopf und tasteten die Sauerei aus Fell und Blut ab. „Ich glaube, er ist nur bewusstlos“, sagte er schnell. „Die Kugel hat ihn nur gestreift. Aber ich muss ihn in den Transporter bekommen und so schnell wie möglich nähen. Kopfverletzungen bluten wie Sau.“
Erleichterung durchströmte Noah. Jace würde ihm keine Hoffnung machen, wenn es keine gäbe. Schnell hoben Noah und drei andere Jimmy hoch und trugen ihn zum Van. Der Rest blieb zurück, um das Arschloch zu fesseln, das auf ihn geschossen hatte. Noah hätte ihn am liebsten in Stücke gerissen, doch sie brauchten ihn lebendig, um herauszufinden, ob er allein arbeitete. Als sie in den Transporter kletterten, nahm Noah aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr – das Mädchen, Emily, starrte vom Balkon auf sie herunter. Er glaubte, Entsetzen in ihren Augen zu sehen, doch aus der Entfernung konnte er es nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Dann drehte sie sich abrupt um und lief davon.
Er ließ sie gehen. Wenn sie etwas mit der Sache zu tun hatte, würden sie sie finden. Wenn nicht, gab es keinen Grund, sie in das Ganze hineinzuziehen. Er kletterte mit den anderen in den Van und hoffte inständig, dass Jace Jimmy das Leben retten konnte.
Alles, was Emily gewollt hatte, war eine Nacht gewesen.
Eine Nacht mit einem Shifter hätte alles für sie geändert. Sie hätte ihre Vergangenheit endlich hinter sich lassen und wieder ihr Leben leben können. Sie hatte es bereits mit anderen Männern versucht, doch hatte sie es nie durch das erste Date geschafft, ohne eine Panikattacke zu bekommen. Sie wusste... sie wusste einfach, dass es mit einem Wolf anders sein würde. Shifter waren keine gewöhnlichen Männer – bei ihnen drehte sich alles ums Rudel, um Familie und Liebe – und sie wusste, dass sie bei einem von ihnen sicher wäre.
Doch alles war schiefgelaufen. Und ein Shifter war angeschossen worden.
Emily ließ den Kopf in ihre Hände sinken, grub die Finger in ihre Haare und schüttelte den Kopf. Seit einer Stunde saß sie nun schon an ihrem Schreibtisch und starrte auf ihren Bildschirm. Sie versuchte sich darüber klarzuwerden, wie gestern innerhalb von einer Sekunde aus der aufregendsten Nacht ihres Lebens die furchtbarste überhaupt hatte werden können. Gleichzeitig war es auch die erregendste und peinlichste Nacht gewesen... als wäre alles, das ihr Leben sonst nicht zu bieten hatte – im Guten wie im Schlechten – in einer einzigen, intensiven Nacht in einem schäbigen Motel auf sie eingeprasselt. Und es war nicht einmal eine ganze Nacht gewesen, wie sie es geplant hatte... sondern nur ein paar atemberaubende Minuten.
Ein Teil von ihr schrie, dass genau das der Grund war, weshalb sie sich nie verabredete, sich höchstens mit ihrer Freundin Sophie für gemeinsame Kinoabende traf, niemals alleine irgendwohin ging und die meisten Abende zuhause mit einem guten Buch und ihrer Katze Peabody verbrachte. Es war ein langweiliges Leben, aber es war auch ein sicheres Leben. Ein anderer Teil von ihr war sich hingegen sicher, dass sie in dieser kurzen Zeit mit Noah Wilding mehr gelebt hatte als in ihrem ganzen sogenannten „Leben“ zuvor.
Sie hob den Kopf und starrte das WildLove-Programm auf ihrem Bildschirm an. Sie hätte wissen müssen, dass es alles aus der Bahn werfen würde, wenn sie sich selbst der Datenbank hinzufügte. Es war das erste Mal, dass sie etwas getan hatte, das auch nur ansatzweise gegen die Regeln war. Sie war die Chefentwicklerin von WildLove, um Himmels Willen. Ihr Job war es, sicherzustellen, dass die App rund um die Uhr ohne Unterbrechungen lief – nicht, sie zu nutzen, um sich selbst ein Date klarzumachen. Doch sie hatte einfach so lange damit verbracht, zuzusehen, wie Tag für Tag all diese Treffen vereinbart wurden – wie all diese Frauen, die nicht sie waren, unglaublich heiße, extrem fürsorgliche, sichere Shifter-Männer trafen. War es so falsch, dass sie sich ein kleines Stückchen von diesem Leben auch für sich selbst wünschte? Sie wusste alles, was es über Shifter zu wissen gab, und sie war sich sicher, dass schon eine einzige Nacht alles verändert hätte.
Sie seufzte und stand von ihrem Schreibtisch auf, um sich einen Kaffee zu holen. Sie brauchte nur eine Minute, um sich an der Kaffeemaschine im Pausenraum ihren Lieblings-Chai-Latte aufzubrühen und schon saß sie wieder mit einer dampfenden Tasse vor der Tastatur an ihrem Schreibtisch, immer noch verlegen, wenn sie an das Geschehene zurückdachte. Das Einzige, was sie tun konnte, war die letzte Nacht aus ihrem Gedächtnis zu löschen... und aus der WildLove-Datenbank.
Ihre Finger huschten über die Tastatur, während ihr Kaffee abkühlte.
Obwohl sie wusste, wie gering die Chancen dafür standen, hatte sie das gesamte letzte Jahr darauf gehofft, auf ganz altmodische Weise einen Shifter zu treffen, vielleicht in einem Café oder im Bus zur Arbeit. Doch Shifter hielten sich nicht ohne Grund bedeckt – auf den Straßen war es zu gefährlich für sie, mit all den dummen Menschen, die nicht verstanden, wie wundervoll sie waren. Doch sie war nicht die Art von Frau, die einfach in eine Shifter-Bar gehen und dort jemanden treffen konnte – sie könnte keine zwei Schritte in eine solche Bar machen. Und so war ihr nichts anderes übriggeblieben, als jeden Tag zur Arbeit zu kommen und anderen Menschen dabei zuzusehen, wie sie ihr Traumleben lebten. Sich selbst in die WildLove-Datenbank aufzunehmen schien wie die perfekte Lösung... allerdings hatte sie ihren Plan erst in die Tat umgesetzt, als sie über Noah Wildings Profil gestolpert war.
Du bist keine Stalkerin, hatte sie sich selbst gesagt, auch wenn sie sicher war, dass es für Außenstehende, die einen Blick auf ihr viel zu langweiliges Leben warfen, genau danach aussah. Sie verfolgte sämtliche Shifter-Nachrichten – und da Noah und das Wilding-Rudel in letzter Zeit einfach so oft in den Medien gewesen waren, wusste sie wirklich alles über sie. Sie wusste, dass er von den Wolfshassern enttarnt worden war. Dass er in Afghanistan gedient hatte. Sie wusste von der schrecklichen Tatsache, dass sein Vater der in Ungnade gefallene Oberst Wilding war. Der Mann, der für die furchtbaren Versuche an Shiftern verantwortlich war, die von Grace Krepky, der neuen Shifter-Kandidatin für das Repräsentantenhaus, aufgedeckt worden waren. Es war an der Zeit, dass Shifter einen Vertreter in der Regierung hatten! Das stand für Emily fest.
Doch es war die herzzerreißende Geschichte von Noah, wie er aus dem Versuchslabor seines Vaters befreit worden war, zurück nach Afghanistan ging, um für sein Land zu kämpfen, und wieder nach Hause gekommen war, weil sein Rudel in Gefahr schwebte, die ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte. Es waren die tragischen und schrecklichen Ereignisse, die die Shifter und ihre Rudel so tapfer und faszinierend machten. Ihre magische Verbindung hielt sie stärker als jeder Blutsbund zusammen – und das war einer der Gründe, warum sie sie so mochte. Viel mehr als einige der Menschen, denen sie in ihrem Leben begegnet war, allen voran ihre sogenannte „Familie“, die sie niemals beschützt hatte.
Nicht so, wie sie es gebraucht hatte. Nicht dann, als es darauf angekommen war.
Sie schob diese Gedanken beiseite und öffnete Noahs Profil. Er war unverschämt heiß, genau wie alle Shifter-Männer – verträumte braune Augen, breite, von typischen Shifter-Muskeln gestählte Schultern. Es war kein Zufall gewesen, dass ihm „Emily Richards“ in seiner WildLove-App angezeigt worden war. Es war ganz leicht gewesen, die Algorithmen so zu manipulieren, dass ihr Profil angezeigt wurde, wenn er online ging, und gleichzeitig die ganzen anderen umwerfenden Frauen verborgen blieben. Allerdings hatte sie keine Möglichkeit gehabt, ihn dazu zu bewegen, bei ihrem Profil auch wirklich nach rechts zu swipen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie fest damit gerechnet, dass er es nicht tun würde. Schließlich war sie nicht einmal in der Lage, sich in diese super sexy Posen zu werfen, wie es alle anderen Frauen auf WildLove taten – mit Make-up, das ihren Sexappeal zur Geltung brachte, und Klamotten, die nur das Nötigste verdeckten. Emily war sich sicher gewesen, dagegen keine Chance zu haben. Schnell hatte sie ein Foto vom Firmenpicknick im letzten Sommer kopiert und hochgeladen, bevor sie doch wieder einen Rückzieher gemacht hätte.
Doch dann hatte er bei ihr tatsächlich nach rechts geswiped. Und plötzlich sprudelte ihr Leben vor neuen Möglichkeiten nur so über.
Noah hatte ihr umgehend geschrieben und sie im gesicherten Chat nach ihrer Nummer gefragt. Nachdem ihr Herz mehrmals kurz ausgesetzt hatte, hatte sie schließlich all ihren Mut zusammengenommen und ihm geantwortet. WildLove war eine App für unverbindlichen Sex, aber manche Leute trafen sich auch erst auf einen Kaffee, oft an einem öffentlichen Ort, wenn sie sich noch nicht sicher waren. Allerdings nutzten die meisten Frauen die App eben weil sie eine wilde Zeit haben wollten, und nicht, um einen Freund zu finden. Und auch für die Shifter ging es nur um das eine... und nicht darum, eine Partnerin zu finden. Die meisten WildLover vereinbarten also direkt einen Ort und eine Zeit für den One-Night-Stand. Beim Chatten war Noah sehr süß und lustig gewesen, doch er war schnell auf den Punkt gekommen und sie hatten sich in diesem schäbigen Motel verabredet... und dann war alles zu einer riesigen Katastrophe geworden.
Schlimmer noch – wenn ihre Chefin davon Wind bekam, wäre Emily in weniger als zwei Sekunden gefeuert.
Sie hatte zweifellos die technischen Fähigkeiten, das alles verschwinden zu lassen, sodass es keinerlei Beweise für ein Treffen zwischen „Emily Richards“ und Noah Wilding mehr geben würde. Doch dann wurde ihr bewusst, dass das nicht ging, nicht nachdem, wie alles gelaufen war. Ihre Chefin würde mit Sicherheit davon erfahren, dass ein Shifter am Ort eines WildLove-Treffens angeschossen worden war. Wie sollte ihr das auch entgehen? Emily war zwar davongelaufen, doch bestimmt hatte jemand die Polizei gerufen, die den Fall aufgenommen hatte. Sie betete, dass der verletzte Shifter, dem Noah zur Hilfe geeilt war, überlebt hatte. Es kam ihr sehr merkwürdig vor, dass in der Nacht auch noch andere Shifter dort gewesen waren, und noch merkwürdiger, dass irgendwer sie angegriffen hatte. Aber sie nahm an, dass das Motel für alle möglichen dubiosen Geschäfte genutzt wurde. Noah und sie waren sicher nicht die einzigen WildLover, die sich letzte Nacht getroffen hatten.
Doch irgendwie würde man durch die Schießerei eine Verbindung zur Agentur und zu Emilys Chefin herstellen können. Und wenn dann jemand die internen Protokolle überprüfte, würde herauskommen, dass sie Emily Richards war, die kleine Frau mit den langen blonden Haaren und der beträchtlichen Charakterschwäche, Shiftern nachzustellen, die vollkommen unerreichbar für sie waren. Alles zu löschen würde nur den Verdacht auf sie lenken und suggerieren, dass sie etwas mit der Schießerei zu tun hatte.
Sie konnte die letzte Nacht nicht löschen... aber sie konnte wenigstens versuchen, alle Hinweise zu verwischen, die auf sie hindeuteten. Sie öffnete die WildLove-Datenbank, klaute sich ein Foto von einer anderen Datingseite im Internet und tauschte es gegen ihr eigenes Profilbild aus. Die Frau sah ihr in gewisser Weise sogar ähnlich – lange blonde Haare, das gleiche Alter und das gleiche rundliche Gesicht – der falsche Name konnte bleiben. Sie hatte vorab bereits darauf geachtet, dass ihr Profil keinerlei Erkennungsmerkmale enthielt, und hatte einen nicht zurückverfolgbaren Account für den Privatchat mit Noah benutzt.
Wenn jetzt irgendjemand WildLove aufrief, gab es nichts mehr, das sie, Emily Jones, mit der Emily Richards in Verbindung brachte, die Noah letzte Nacht getroffen hatte. Und sie bezweifelte, dass er sich noch gut genug an sie erinnerte, um den Unterschied zwischen dem Mädchen auf dem Bild und der Person, die er wirklich getroffen hatte, zu bemerken. Das Einzige, wodurch sie jetzt noch auffliegen konnte, war, wenn jemand die Backups und Dateiänderungen durchgehen und feststellen würde, dass die Bilder ausgetauscht worden waren. Oder falls jemand vor dem Tausch einen Screenshot von ihrem Profil gemacht hatte. Doch Noah war ihre erste und einzige WildLove-Verabredung gewesen – sie hatte noch nicht einmal auf die anderen Nachrichten geantwortet – von daher sollte das kein Problem sein. Wieder huschten ihre Finger über die Tastatur. Sie öffnete alle Backups und änderte sie so, dass es keinerlei Spuren mehr von dem gab, was sie getan hatte.
Emily griff nach ihrer Tasse – mit dem Aufdruck Coffee is My Boyfriend darauf – und sog den sahnig-würzigen Duft ihres Chai Lattes ein. Dann schloss sie die Augen und atmete erleichtert aus – und die Sorgen, die sie nach dem missglückten Treffen gestern Nacht umklammert hatten, fielen von ihr ab. Über dem wohltuenden Dampf ihres Kaffees gelobte sie, nie wieder so dumm zu sein. Sie hatte ihre Chance mit einem Shifter gehabt und das war’s. Sie würde in ihr normales, vernünftiges und langweiliges Leben zurückkehren und sich dessen glücklich schätzen.
„Willst du den inhalieren oder trinken?“, fragte eine kratzige Stimme an ihrer Bürotür.
Sie fuhr zusammen, riss die Augen auf und verschüttete einen Schwung Kaffee über ihrer Tastatur. Seufzend stellte Emily die Tasse ab und schnappte sich die kabellose Tastatur, um die Flüssigkeit abzuschütteln, bevor sie hineinsickern konnte. Dann funkelte sie die Besitzerin der Stimme an – ihre Chefin, Marjorie Simmons, ein in die Jahre gekommener Hipster und CEO der Seattle Shifters Dating Agency.
„Herrgott, Marjorie“, sagte Emily, „du hättest mir fast einen Herzinfarkt verpasst!“
„Schätzchen, du kannst ein bisschen Herzklopfen gut gebrauchen.“ Wie so oft bedachte sie sie mit diesem wissenden Grinsen. Marjorie war eine sexbesessene alte Dame – okay, wahrscheinlich nur so um die sechzig – die ein fester Teil von Seattles Künstlerszene war, immer wusste, wo es den besten Kaffee gab, auf allen Leseabenden und künstlerischen Veranstaltungen der Stadt abhing und wirklich jeden kannte, den es zu kennen gab. Sie war eine ganze Ecke hipper als Emily und eigentlich viel zu entspannt, um die Chefin eines Multi-Millionen-Dollar-Unternehmens zu sein.
Hinzu kam, dass Marjorie in einem Monat mehr Spaß hatte als Emily in ihrem gesamten Leben – und mit Sicherheit mehr Sex. Sie hatte ständig einen neuen Freund. Die ganze Idee mit WildLove war ihr eines Tages bei einer Tasse Kaffee gekommen. Emily hatte damals neben dem Studium als Barista gearbeitet, als Marjorie ihr den Entwurf ihrer Idee auf einer Serviette präsentiert hatte. Emily hatte lediglich angemerkt, dass es kein Problem sein sollte, das Ganze zu programmieren und zu implementieren, und schon hatte Marjorie sie noch vor Ort als Hauptentwicklerin für die App angeheuert.
Emily hatte ihren Informatik-Abschluss an der University of Washington schon fast in der Tasche gehabt und zu der Zeit gab es bereits einige Dating-Apps, weswegen sich die App-Entwicklung tatsächlich nicht besonders schwierig gestaltete. Nur die Sicherheitsprotokolle für die Privatchats hatten sich als etwas knifflig erwiesen, doch Marjorie war mit ihr einer Meinung gewesen, dass die Anonymität der Shifter oberste Priorität hatte. Auch das Budget war keine Hürde gewesen – Marjorie hatte im Handumdrehen einen Haufen Investitionsgelder von „ein paar Freunden“ eingesammelt. Sobald WildLove online war, ging die App geradewegs durch die Decke. Das Erstarken der Wolfshasser machte sie sogar noch beliebter, denn dadurch mieden die Shifter öffentliche Bars und suchten nach einem sicheren Weg, jemanden aufzureißen. Hinzu kam, dass Shifter momentan in aller Munde waren und Artikel über sie die Klatschpresse beherrschten.
WildLove war einfach die richtige Idee zur richtigen Zeit.
Solche Sachen passierten Marjorie offenbar ständig. Und seit Emily bei der Seattle Shifters Dating Agency arbeitete, hatte Marjorie versucht, sie an ihrem magischen Feenstaub teilhaben zu lassen – insbesondere indem sie versuchte, Emily mit irgendwelchen Typen zu verkuppeln. Natürlich war es allen Angestellten strengstens verboten, sich bei WildLove auszutoben. So stand es im Mitarbeiterleitfaden, den Emily von vorne bis hinten gelesen hatte.
„Mit meinem Herzen ist alles in Ordnung“, log sie. Eine gigantische, monströs lächerliche Lüge. Sie hoffte nur, dass man es ihr nicht ansah.
„Natürlich, Kindchen“, sagte ihre Chefin mit einem mitleidigen, jedoch keineswegs unfreundlichen Blick. „Du hast ein Herz von der Größe Montanas – glaub nicht, das wüsste ich nicht, nur weil du dich selbst mitten im Juli noch so gut in diese Pullis einpackst.“
Emily zog die Strickjacke noch enger vor ihrer Brust zusammen. „Mit der Klimaanlage kann es hier drinnen ganz schön frisch werden.“
Marjorie nickte nur. „Hör zu, Schätzchen. Ich habe schlechte Neuigkeiten. Ich habe es bisher vor dir geheim gehalten, weil ich weiß, wie sehr dir unsere Shifter am Herzen liegen. Und natürlich weiß ich diese Seite an dir sehr zu schätzen, aber ich brauche jetzt deine Hilfe bei etwas, deswegen muss ich es dir sagen.“
Emily drehte ihren Stuhl etwas, um Marjorie besser ansehen zu können. „Klar, Marge, du weißt, ich würde alles für dich und die Agentur tun. Ihr seid mein Leben.“
Marjorie bedachte sie mit einem traurigen Blick. „Was eigentlich eine verdammte Schande ist. Aber damit befassen wir uns ein andermal.“ Sie atmete tief durch und dann langsam wieder aus. „Ich fürchte, dass einige unserer Vermittlungen, nun ja, ziemlich schlecht gelaufen sind. Du hast in den Nachrichten von den Wolfshassern gehört, oder?“
Emily nickte und ihr Herz begann, wie ein Kaninchen, dem man einen Stromschlag verpasst hatte, in ihrer Brust herumzuspringen. Oh Gott, wusste Marjorie etwa Bescheid? Jetzt schon?
Marjorie fuhr fort. „Letzte Nacht ist ein Shifter angeschossen worden. Er war keiner unserer Kunden, doch die Schießerei stand anscheinend in Verbindung mit einem WildLove-Treffen.“
Oh nein, jetzt kommt’s. „Das ist ja schrecklich“, presste Emily hervor.
Marjories Gesicht verfinsterte sich. „Du sagst es! Diese Bastarde... ich verstehe nicht, wie sie dazu kommen, Shifter anzugreifen. Dabei bräuchten sie nur in den Spiegel zu schauen, um zu sehen, wer die wahren Arschlöcher auf dieser Erde sind. Verdammte Wichser!“
Emily gelang es, nicht zusammenzuzucken. Sie hatte sich im Laufe des letzten Jahres an Marjories starke Ausdrucksweise gewöhnt. „Geht es dem Shifter gut?“
Schnell verwandelte sich Marjories Wut zu einem Lächeln. „Ja, Süße, ihm geht’s gut. Du weißt doch, wie zäh diese sexy Jungs sind.“
Emily nickte erleichtert.
„Wie dem auch sei“, sagte ihre Chefin, „das war nicht das erste Mal.“
„War es nicht?“ Emilys Gedanken begannen zu rasen. Es hatte noch mehr Anschläge gegeben, die in Verbindung mit WildLove standen? „Warum wurde davon nichts in den Nachrichten berichtet?“ Jetzt, wo sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass sie vor lauter Angst, erwischt zu werden, letzte Nacht gar nicht daran gedacht hatte, die Nachrichten zu schauen.
„Naja, wie du wahrscheinlich weißt“, erklärte ihre Chefin, „habe ich ein paar Freunde in der Shifter-Gemeinde. Wir haben uns darum gekümmert, dass die Angelegenheit nicht an die Öffentlichkeit gerät. Zum einen, weil wir verhindern wollten, dass die Leute in Panik ausbrechen, und zum anderen, weil wir herausfinden wollten, wer WildLove nutzt, um Shifter zu jagen. Ich habe mit den River-Brüdern zusammengearbeitet, von denen du bestimmt schon gehört hast, oder? Sie leiten die Sicherheitsfirma Riverwise.“
„Natürlich, ich weiß alles über sie. Sie waren in den Nachrichten. Der älteste Bruder, Jared, ist mit unserer neuen Kandidatin für das Repräsentantenhaus verheiratet—“
Marjorie hob eine Hand, um ihren Redefluss zu stoppen. „Natürlich, Schätzchen. Ich hätte wissen müssen, dass du solche Dinge verfolgst.“
Emily presste die Lippen aufeinander, fest entschlossen, ihren Mund zu halten, um nicht aus Versehen etwas auszuplaudern.
„Die Sache ist die“, sagte Marjorie ernst. „Letzte Nacht konnte Riverwise einen der Täter schnappen. Vielleicht sogar den Täter. Ich hoffe, dass es nur einer ist.“
„Warte...“ Emilys Gehirn kam nur langsam mit. Seit er zurück in den Staaten war, arbeitete Noah Wilding für Riverwise. „Das heißt, letzte Nacht, als der Shifter angeschossen wurde, hat Riverwise versucht, den Bombenleger in eine Falle zu locken?“
„Genau. Der Shifter war einer der Riverwise-Wölfe. Und scheinbar haben sie den Täter geschnappt.“
Emilys Schultern sackten herab, teils vor Erleichterung und teils, weil ihr jetzt einiges klar wurde. Noah hatte sie nicht ausgewählt, weil er Sex mit ihr wollte, sondern weil er versucht hatte, einen dieser Wolfshasser-Freaks zu schnappen, die es auf Shifter abgesehen hatten. Obwohl es alles einen Sinn ergab, schnürte es ihr Herz zu. Sie hatte gehofft, letzte Nacht zumindest in der Hinsicht in guter Erinnerung behalten zu können, dass Noah Wilding sie ausgewählt und geküsst hatte, weil er sie anziehend fand, wenn auch nur körperlich... aber es war alles nur gespielt gewesen. Nur ein Zufall, dass er sie und keine andere ausgesucht hatte.
„Na..., das ist doch großartig“, zwang sich Emily zu sagen. „Ich meine, ich bin froh, dass sie ihn geschnappt haben“. Sie versuchte, ihr gebrochenes Herz wegzublinzeln, doch dann wurde ihr klar, dass das noch nicht alles sein konnte. „Aber wofür brauchst du meine Hilfe?“
„Beim ersten Mal hätte es noch ein Zufall sein können, dass es bei einer WildLove-Verabredung passiert ist. Beim zweiten Mal war es allerdings schon so verdächtig, dass ich Riverwise eingeschaltet habe. Jetzt haben sie den Typen, doch es scheint keine Verbindung zwischen ihm und den Frauen der ersten beiden Verabredungen zu geben. Wir hatten gehofft, eine zu finden... aber bis jetzt sieht es nicht besonders vielversprechend aus. Ich befürchte, dass es womöglich jemanden in unserer Agentur geben könnte, der ihm geholfen hat, seine Opfer zu finden.“
„In der Agentur?“ Emily war fassungslos. „Wie könnte irgendwer hier...“
Wieder brachte Marjorie sie mit erhobener Hand zum Schweigen. „Ich weiß, dass du dir nicht vorstellen kannst, dass irgendwer zu so etwas im Stande ist, aber ich hätte gerne, dass du Augen und Ohren offenhältst und die Datensätze durchkämmst. Versuch herauszufinden, ob es irgendeine Verbindung zwischen diesem Verbrecher und WildLove gibt. Oder ob uns vielleicht jemand gehackt hat. Nicht jeder auf dieser Welt ist ein guter Kerl, Emily.“
„Ich weiß“, antwortete Emily finster. Sie wusste nur zu gut, wie böse Menschen sein konnten. Und sollte sie hier im Unternehmen irgendjemanden aufspüren, der Shiftern etwas zuleide tat... würde sie mithilfe ihrer Computerfertigkeiten einen Weg finden, dessen Leben zu ruinieren und ihn obendrein der Polizei aushändigen. „Und natürlich werde ich dir helfen. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um diese Menschen zur Rechenschaft zu ziehen.“
Marjorie lächelte und ihre großen bernsteinfarbenen Ohrringe schimmerten, als sie sich umdrehte. „Das ist mein Mädchen. Komm mit in mein Büro. Ich möchte dir jemanden vorstellen.“
Emily nickte und sprang von ihrem Stuhl auf, um Marjorie zu folgen, die mit energischen Schritten den Flur hinuntereilte. Sie hielt den Kopf gesenkt und atmete durch zusammengepresste Zähne ein und aus, während sie innerlich vor Zorn brodelte. Die Agentur hatte erst kürzlich unzählige neue Mitarbeiter eingestellt – Programmierer, Datenbankmanager, Hardwarespezialisten – nur um WildLove zu verbessern und mit der Nachfrage mithalten zu können. In der Agentur gab es momentan mehr neue Gesichter als erfahrene Mitarbeiter – nicht zu vergleichen mit der Handvoll Leuten, die das Unternehmen vor einem Jahr hochgezogen hatten. Natürlich hatten sie Hintergrundprüfungen durchgeführt, aber es war trotzdem möglich, dass sich einer von den Wolfshassern in das Unternehmen eingeschlichen hatte. Wer auch immer dieser Maulwurf war, es würde ihr eine Ehre sein, ihn ausfindig zu machen und für sein Handeln zahlen zu lassen.
Sie war so in ihren wütenden Gedanken versunken, dass sie gar nicht darüber nachdachte, wen ihre Chefin ihr vorstellen wollte, bis sie Marjories Büro betrat. Als sie sah, wer es war, blieb sie wie angewurzelt stehen und bekam das Gefühl, augenblicklich sterben zu müssen.
Noah Wilding.
Scheiße.
Er schaute von seinem Handy auf, entdeckte sie an der Tür und seine Augen weiteten sich für einen Sekundenbruchteil. Dann schaute er wieder auf sein Smartphone, tippte irgendetwas ein und beachtete sie nicht weiter. Emily stand dort und sah ihr Leben an sich vorbeiziehen – Noah Wilding war im Büro ihrer Chefin. Jetzt würde alles herauskommen.
Sie war geliefert.
Marjorie hatte ihr Büro durchquert, lehnte sich an ihren Schreibtisch und wirkte sehr zufrieden mit sich selbst. „Noah Wilding, ich würde dir gerne unsere Hauptprogrammiererin, Emily Jones, vorstellen.“ Sie gab sich wenig Mühe, ihr Grinsen zu verbergen.
Emily stand noch immer in der Tür und wusste nicht so recht, wohin mit sich.
Endlich schaute Noah von seinem Telefon auf, doch jegliches Zeichen des Wiedererkennens war von seinem Gesicht verschwunden. Er steckte sein Handy in die Hosentasche und ging auf sie zu, um ihr die Hand zu geben: „Schön, Sie kennenzulernen, Emily Jones.“
Für einen beschämend langen Moment starrte sie auf seine ausgestreckte Hand, dann riss sie ihre eigene hoch und griff danach. Ihre kleine Hand verschwand in dem sanften Druck seiner großen Pranke. Wie auch schon in der Nacht zuvor war seine Berührung elektrisierend und gleichzeitig warm und beruhigend.
„Mr. Wilding“, war alles, was sie hervorbrachte.
Er ließ ihre Hand los und drehte sich zu Marjorie um.
An sie beide gewandt erklärte ihre Chefin dann: „Emily, ich möchte, dass du mit Noah zusammenarbeitest und sämtliche Informationen nutzt, die die Leute von Riverwise bereits über diesen Typen herausfinden konnten. Ich werde weitere Treffen über unsere App vorerst unterbinden, bis wir diejenigen gefunden haben, die etwas mit diesen Angriffen zu tun hatten.
