Jasons Reise - Reinhard Schreiber - E-Book

Jasons Reise E-Book

Reinhard Schreiber

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Beschreibung

Die Legende vom Goldenen Vlies ist annähernd dreitausend Jahre alt und handelt von einem Widder, der auf wundersame Weise von Griechenland nach Kolchis gelangt, einem Land am östlichen Ende des Schwarzen Meeres, und dessen goldenes Fell von einer Gruppe heldenhafter Seefahrer, den Argonauten, wieder zurückgeholt wird. Kernpunkt des Essays ist die Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob diese Geschichte reine Erfindung eines antiken Sängers ist, welcher Götterwelt und Zauberei in sein Werk einbezog, um sein Publikum zu faszinieren, oder ob es, ohne jede Esoterik, ihre Protagonisten Jason und Medea wirklich gab.

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Seitenzahl: 69

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Prolog

Die Sage vom Goldenen Vlies

Das Schicksal der Urlegende

Der Widder Chrysomeles

Apollonios von Rhodos

Die Frauen von Lemnos

Der Zorn des Herakles

Phineus, der blinde Seher

Jasons Kraftprobe

Einspruch, Euer Ehren!

Raub und Flucht

Die Irrfahrt der Argonautren

Hier irrte Aphrodite

Fortsetzung folgt

Medeas Flucht und Heimkehr

Und dann?

Epilog

Chronologie

Genealogie

Mein besonderer Dank gilt Herrn Alexander Gregorius für die freundliche Unterstützung bei der Lösung von EDV-technischen Problemen, die mit der Herstellung des Buchs verbunden waren.

R.S.

Prolog

Beim Stichwort Goldenes Vlies wird gemeinhin eine antike Geschichte assoziiert, in der vor annähernd dreitausend Jahren ein Widder mit goldenen Locken von Griechenland auf wundersame Weise in ein fernes Land am Schwarzen Meer gelangt und sein Fell vom Königssohn Jason und einer Truppe heldenhafter griechischer Seefahrer, den Argonauten, von dort wieder zurückgeholt wird.

Weniger bekannt ist, dass sich im letzten Jahrtausend v.C., von dessen Anfängen her die erste Überlieferung der Legende stammt, zunächst einige griechische, später auch römische Dichter mit dieser Materie dramaturgisch auseinandergesetzt haben. Dabei wurden großzügig neue Details hinzuerfunden oder auch literarische Anleihen aus Werken früherer Epiker gemacht, welche den Inhalt des ursprünglich tradierten Berichts zunehmend veredelten oder auch verschleierten.

Noch weniger bekannt ist, dass dieses Goldene Vlies vor mittlerweile fast sechshundert Jahren in Europa zum symbolträchtigen Emblem eines weltlichen Ordens geworden ist. Dieser wurde 1430 von Philipp dem Guten, Herzog von Burgund, in Brügge gegründet, das seinerzeit den habsburgischen Niederlanden angehörte. Die Bruderschaft stand unter dem Patronat der Jungfrau Maria und sollte der Erhaltung des katholischen Glaubens dienen.

Der Kreis war auf fünfzig Mitglieder beschränkt, deren Aufnahme nach den Kriterien adlig, katholisch, männlich erfolgte und sich durch geschickte Heiratspolitik regulierte. Die Mitgliederzahl war vermutlich nicht zufällig gewählt, sondern wohl als metaphorische Anspielung auf die verschworene Gemeinschaft der Argonauten gedacht, die gleichfalls aus fünfzig Männern bestand, darunter neben profanen Helden auch einige Halbgötter.

Die jährlichen Kapitelsitzungen fanden jeweils am 30. November statt, dem Gedenktag des Apostels Andreas, des Bruders von Petrus. Das Grundmotiv des elitären Ordens war die Idee des Miles Christianus, der sich als Ritter in der Nachfolge der Kreuzfahrer sah und sich nach deren Vorbild die Befreiung des Heiligen Grabes zu Jerusalem auf die Fahnen geschrieben hatte – wovon allerdings nie Gebrauch gemacht wurde. Ein solches Wunschdenken erinnert an einen Wassertrieb, der aus einem edlen Rosenstock emporschießt, aber nie eine Blüte tragen wird.

Die schwere Ordenskette mit den Wappenbildern aller fünfzig Mitglieder wurde zum jährlichen Kapiteltreffen von einem Herold getragen. In ihrer Mitte hing die goldene Miniatur eines erschlafft wirkenden, weil toten Widders. Eigentlich hätte hier das Abbild seines Fells völlig ausgereicht, das ja namensgebend für den Orden vom Goldenen Vlies gewesen war.

Warum dieses in seinem Ursprung heidnische Symbol ausgerechnet als Leitmetapher für eine christliche Gemeinschaft hergenommen wurde, darüber ist verschiedentlich spekuliert worden – allerdings mehr esoterisch als plausibel. Es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, wenn sich der Ordensgründer im Vorfeld oder später vielleicht einer seiner Nachfolger etwas genauer mit den Argonautika des Apollonios von Rhodos befasst hätte.

Die Aufklärung und die Französische Revolution hatten den Untergang der monarchischen Systeme zur Folge, sodass der Orden heute nicht mehr zeitgemäß erscheint. Sein Emblem wirkt eher wie eine dekorative Erinnerung an eine große Vergangenheit.

Das Recht zur Ernennung des Großmeisters, welcher der Ordensgemeinschaft federführend vorsteht, ging von den burgundischen Herzögen auf die Habsburger Dynastie über und obliegt gegenwärtig dem Oberhaupt ihrer österreichischen Linie. Mit diesem Schlusspunkt kann dieser ebenso wunderliche wie enigmatische Exkurs ad acta gelegt werden, da er für die weiteren Ausführungen ohnehin keine Konsequenzen hat.

Hauptanliegen der nachfolgenden Überlegungen ist die Frage, ob die Legende vom Goldenen Vlies von Anfang an nur die pure Erfindung eines antiken Sängers ist, der seine Zuhörer mit einer spannenden Geschichte aus der Welt der Götter und Helden erfreuen und ihnen gleichzeitig ethische Prinzipien vermitteln wollte, oder ob sie vielleicht auch auf historische Ereignisse und Personen zurückgehen kann.

Die Antwort darauf ist mit der Häutung der Zwiebel vergleichbar: Nach Ablösen einer Schale nach der anderen kommt eine innere Struktur zu Tage, deren weitere Teilung nicht sinnvoll ist – ihr wahrer Kern. Eine Annäherung daran kann am ehesten gelingen, wenn man Jason und die Argonauten auf ihrer Reise begleitet und sich mit jeder Schale, die man antrifft und abzulösen versucht, kritisch auseinandersetzt.

Die Sage vom Goldenen Vlies

Die Urlegende vom Goldenen Vlies ist verschollen, ihr erster Erzähler nicht bekannt. Dennoch hat sie sich bis zum heutigen Tag erhalten, weil sie von Rhapsoden weiterverbreitet und ihre Thematik von Epos- und Tragödiendichtern vom 8. Jh. v.C. bis zum 1. Jh. n.C. immer wieder aufgegriffen wurde.

Dies führte dazu, dass sie bei jeder Bearbeitung dramaturgisch weiter ausgeschmückt wurde, wobei das hilfreiche Eingreifen einer Götterwelt mit recht menschlichen Zügen und der Glaube an mystische Zauberkräfte besonders veranlagter Menschen eine dominierende Rolle spielten.

Die Entstehungszeit der Geschichte wird auf das 9.-8. Jh. v.C. geschätzt – und damit wäre sie heute an die dreitausend Jahre alt. Ihr Inhalt lässt sich – wenn man das schmückende Beiwerk ihrer verschiedenen Überlieferer kurz zur Seite schiebt – in wenigen Sätzen zusammenfassen:

Der Königssohn Jason wird von Pelias, seinem Stiefonkel und Usurpator des Königsthrons von Thessalien, nach Kolchis am östlichen Ende des Schwarzen Meeres geschickt unter dem Vorwand, er müsse sich als Held bewähren. Wenn es ihm gelänge, von dort das goldene Fell eines Widders zu holen, das bei den Kolchern als Reliquie verehrt wird, könne er den Thron besteigen.

Pelias ist überzeugt, dass dieser Auftrag nicht zu erfüllen ist, aber Jason geht darauf ein und lässt von seinem Freund Argos ein überaus schnelles Ruder- und Segelboot bauen, die Argo. Damit sticht er mit einer Besatzung von fünfzig jungen Männern, den Argonauten, in See und kommt nach vielen Abenteuern in Kolchis an.

Dort bewältigt er wider Erwarten die körperlichen Herausforderungen der von König Aietes gestellten Aufgaben, wobei ihn dessen listige Tochter Medea kräftig unterstützt. Diese hilft auch beim Raub des begehrten Widderfells und flieht mit Jason und den Argonauten vor den wütenden Kolchern. Nach langer abenteuerlicher Reise erreichen sie schließlich Thessalien und übergeben Pelias das Goldene Vlies, der diesem vermutlich überirdische Kräfte zuspricht.

So weit, so gut – aber an diesem Punkt der Geschichte scheiden sich bereits die Geister. Denn zum einen lässt die erste schriftliche Überlieferung des Epikers Hesiod ein glückliches Ende zu, indem der Held mit seiner eroberten Königstochter wirklich den Thron besteigen kann, zum anderen existiert auch eine Fortsetzungsgeschichte, in der das Paar vor dem wortbrüchigen Pelias nach Korinth fliehen muss. Dort kann Jason zwar die Thronfolge des alten Königs Kreon antreten, muss sich aber zugunsten von dessen Tochter Glauke von Medea trennen. In späteren dramaturgischen Bearbeitungen nimmt ein gnadenloses Schicksal mit Verstoßung, Rache und Mord seinen Lauf.

Es ist kaum anzunehmen, dass der anonyme Verfasser der Urlegende geahnt hat, in welchen Strudel von tragischen Verwirrungen seine Geschichte eines Tages geraten würde. Vielleicht wäre er stolz auf solche Turbulenzen gewesen, möglicher Weise aber auch unglücklich über eine solche Entwicklung, weil er seinen Zuhörern eigentlich eine wahre Geschichte erzählen wollte. Wir wissen nicht, ob auch er in seiner Urfassung die Mitwirkung von Götterwelt und Magie in gleichem Ausmaß einbezogen hat, wie das seine literarischen Epigonen taten.

Eine ultimative Wahrheitsfindung ist zwar kaum möglich, aber den Versuch ist es wert, darüber nachzudenken, inwieweit die Legende auch auf einer realhistorischen Begebenheit beruhen könnte. In diesem Falle würde sich dank der heute bekannten Gesetze der Naturwissenschaften die dramaturgische Einbeziehung göttlichen Mitwirkens und menschlicher Zauberei erübrigen.

Abgesehen davon erscheint es auf der Suche nach dem wahren Kern des Epos nicht nur sinnvoll, sondern nachgerade unverzichtbar, im Detail zu klären, wer sich alles in den ersten tausend Jahren nach ihrer Entstehung mit der Legende befasst und ihr seinen individuellen Stempel aufgedrückt hat.

Das Schicksal der Urlegende

Die erste schriftliche Überlieferung der Geschichte vom Goldenen Vlies ist dem frühen Epiker Hesiod zu verdanken. Er lebte im 8. Jh. v.C. in Askra, einem kleinen Ort in der Landschaft Böotien, die im Norden Griechenlands gegenüber der Insel Euböa liegt. Er war Dichter und betrieb nebenher Ackerbau und Viehzucht. Sein Werk endet mit der glücklichen Rückkehr des Jason nach Thessalien, wo dieser – wie versprochen – den Thron übernehmen kann.

Gegen Ende des gleichen Jahrhunderts griff der Epiker