Jean Paul von Adam bis Zucker - Bernhard Setzwein - E-Book

Jean Paul von Adam bis Zucker E-Book

Bernhard Setzwein

4,8

Beschreibung

Im Jahr 2013 jährt sich zum 250. Mal der Geburtstag von Jean Paul. Zu diesem Anlass nähern sich der Schriftsteller und Jean-Paul-Kenner Bernhard Setzwein und der Zeichner Christian Thanhäuser dem Leben und vielfältigen Werk des großen deutschen Autors in der einzigen ihm angemessenen Form: ein literarischer Zettelkasten, geordnet von A bis Z. Gleichzeitig ist es eine Biographie von Anfang bis Ende, die in kleinen, geschliffenen Stichwort-Artikeln und sprechenden Bildern mit Jean Paul bekannt macht. So erfährt man unter anderem von seinem 1244 Seiten schweren Wörtervorrat oder dass Lausewenzel der "allerschlechteste Tabak" ist, dessen Geruch den Dichter in seiner Kindheit quälte. Seit vielen Jahren lesen und schätzen die beiden Autoren Jean Paul ob seiner wilden Gedankenflüge und Sprachbilder, die ein ganzes Universum aufspannen. Mit diesem Buch bieten sie ein einmalig unterhaltsames Abecedarium für Fans und alle, die es noch werden wollen.

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Bernhard Setzwein

Jean Paul vonAdam bis Zucker

Ein Abecedarium

Mit Holzschnitten und Federzeichnungenvon Christian Thanhäuser

Inhalt

Titel

Zitat

Adam

Alphabet

Asche des Phönix

Blitzstrahl

Bruderherz

Buch, das erste

Champagner

Chinese in Rom

Diarist

Doppelgemoppel

Druckfehler

Erfindungen

Erotische Akademie

Europa

Flachsenfingen

Fußnoten

Gedankenstrich

Gehen

Geldverdienen

Grimm’sches Wörterbuch

Grundsteinlegung

Heidelberg

Horror

Hundsposttage

Immergrün der Gefühle

Isola Bella

Joditz

Junggesellenmaschine

Kanapee

Kriegserklärung

Kürze

Kutschenfahrten

Lausewenzel

Lebendige Begrabung

Levana

Luftschifferei

Magic 8

Messie

München

Musik

Nasendrücker

Nihilismus, experimenteller

Ochsenkopf

Orthographie

Persönlichkeit, multiple

Perspektivenwechsel

Prominenz

Pudel

Quarantäne

Quirl

Rappel

Reisen

Rezensenten

Rollwenzelin

Schlafrock

Selenomane

Sturz, in den Main

Tod

Traumwelten

Unsterblichkeit

Verein

Vorlesen

Vorsorgen

Weissagung

Wetterprophetien

Xenien

Xylograph

Y-Schreibweise

Yüdenkirschen

Zahnschmerzen

Zucker

Bernhard Setzwein und Christian Thanhäuser

Zu den Autoren

Impressum

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„Um ein solches ABC mitbunten Bildern bitt’ ich Sie.“

Jean Paul

Adam

„Wo wohnen Sie? Wie heißen Sie? Wer sind Sie? – Ihr Werk ist ein Juwel.“ Man stelle sich vor: Nach einigem Zaudern und Zögern entschließt sich ein eigentlich gar nicht mehr so junger Mann – 29 ist er –, einer Berühmtheit seinen ersten Roman zu schicken, als mehrere hundert Seiten starkes handgeschriebenes Manuskript wohlgemerkt. Denn das Werk hat ja noch keinen Verleger. An einen solchen soll diese Berühmtheit es ja erst vermitteln. Aber man weiß doch: Vielbeschäftigt sind solche Exzellenzen, zumal wenn sie Professor der Königlichen Akademie in Berlin sind wie der Angeschriebene. Und außerdem selbst ein gefeierter Romanautor (deshalb hat man’s ihm ja geschickt, der Mann ist vom Fach). Und wie oft wird ihm das passieren, daß er unaufgefordert Manuskripte zugesandt bekommt, zur wohlwollenden Begutachtung. Eigentlich wäre es ein Wunder, wenn er überhaupt antwortet. Doch dann dieses! Mit noch weiter geöffneten Armen kann man jemanden gar nicht empfangen: „Wo wohnen Sie? Wie heißen Sie? Wer sind Sie? – Ihr Werk ist ein Juwel.“

Karl Philipp Moritz, Verfasser des „Anton Reiser“, war es, der solchermaßen reagierte. Er wußte in der Tat buchstäblich nichts über den Mann, der ihm dieses Manuskript, das wahrscheinlich noch ohne Titel war, zugeschickt hatte. Ließ sich vielleicht aus dem Romangeschehen etwas ableiten über die Person dessen, der das geschrieben hatte? Bekanntlich formen Autoren ja in ihren Erstlingswerken gerne einmal mehr oder weniger verschlüsselt das eigene Leben um. Sollte Moritz tatsächlich so gedacht haben, wäre er damit völlig in die Irre gegangen. Denn die Welt, die in diesem Buch beschrieben war, konnte kaum weiter entfernt sein von dem, was ihr Verfasser in seinem bis dato 29jährigen Leben gesehen und erlebt hatte. Der Roman spielt im Milieu von Fürstenhöfen, sein romantischer Held ist Gustav, der Sohn eines Rittmeisters, an dem ein außergewöhnliches Erziehungsexperiment vorgenommen wird: So als sei er Adam, der erste Mensch, soll Gustav von seiner Geburt an acht Jahre von der Außenwelt abgeschnitten in einer unterirdischen Höhle auf dem Falkenbergischen Rittersitz Auenthal aufwachsen und erzogen werden. Gewissermaßen in einem moralischen Treibhaus ohne Fremdeinflüsse – allerdings auch einem ohne Sonne.

Eine eigenartige Erzählkonstruktion. Was muß das für ein Mensch sein, der sich so etwas ausdenkt? Vielleicht gar selbst ein Rittmeisterssohn? Aber unter der Erde wird er doch wohl nicht aufgewachsen sein? Moritz wurde bald aufgeklärt, denn der überschwenglich Belobigte reagierte postwendend. Nicht nur mit Auskünften darüber, wer er sei und wo er wohne, sondern – nur wenige Wochen nach Zusendung des Romanmanuskriptes – bereits mit einer zweiten Probe seines Schaffens. Diesmal ist es eine weitaus kürzere Erzählung, eine „Art Idylle“, mit Titel „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal“. Moritz liest auch diese Erzählung … und ist begeistert. Laut einem seiner Söhne soll er gesagt haben: „Das ist noch über Goethe, das ist was ganz Neues.“ Wohlgemerkt: Zu diesem Zeitpunkt, 1792, galt Goethe bereits unwidersprochen als der Olympier von Weimar, der Unerreichbare. Und nun soll sogar er übertroffen sein, durch diesen Neuling, dem Moritz noch etwas attestieren muß, nämlich: Wer solches wie den „Wutz“ dichte, der könne unmöglich sterblich sein.

Doch um zum unsterblichen Autor zu werden, wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn er jetzt vorderhand einmal mit seinem ersten Roman herauskommen würde. Und tatsächlich: Moritz sorgte durch Fürsprache bei seinem späteren Schwager Carl Matzdorf dafür, daß die „Unsichtbare Loge“ in dessen Verlagsbuchhandlung in Berlin erschien, und zwar gleich mit dem „Wutz“ im Anhang. Das Buch erregte einiges Aufsehen. Jetzt stellte sich das literarisch interessierte Deutschland noch einmal jene Fragen, die schon Moritz beschäftigt hatten: Wo wohnt der? Wie heißt der? Wer ist das? Nach und nach sollte das Publikum es erfahren. So wie auch der Leser dieses Alphabets nach und nach alles Wichtige über den Helden unserer Geschichte erfahren wird, so hoffe ich doch zumindest. – Ach ja, er heißt übrigens Jean Paul, unser Held. Beziehungsweise: eigentlich Richter. Johann Paul Friedrich Richter. Wie das? Wird gleich erklärt. Vorher aber noch: Wieso ausgerechnet in der Form eines alphabetischen Wörterverzeichnisses?

Alphabet

Im Grunde ist es wie mit „Frederick“, der Maus, die anders ist als alle anderen Mäusegesichter – wer kennt sie nicht, die bezaubernde Geschichte des Kinderbuchautors Leo Lionni über die Macht von Kunst und Phantasie. Während die anderen für den Winter Körner und Nüsse horten, sammelt Frederick Sonnenstrahlen, Farben und vor allem Wörter. Nichts anderes hat auch Jean Paul getan. Von frühester Jugend an sorgte er für einen Wörtervorrat, wie es keinen zweiten in irgendeiner deutschen Dichterstube je gegeben hat. Die Scheuer, in seinem Fall Exzerpthefte, Notizbücher und Einfallsblätter, waren zum Schluß so randvoll, daß er ein Problem hatte: nämlich dasjenige wiederzufinden, was er gerade brauchte.

So kam Jean Paul auf die Idee mit den Wortregistern. In ihnen listete er ellenlange Kolonnen von Stichwörtern auf, hinter denen rätselhafte Zahlenkombinationen standen. Allein diese Register machen im Nachlaß des Dichters 1244 Seiten aus. Jedes Stichwort darin führt in Verbindung mit einer dahinterstehenden Sigelnummer zu einem Eintrag in einem der Notizbücher, in dem letztendlich der Wörtervorrat lagert. Aus was genau der besteht? Aus allem, was Jean Paul seit seinem fünfzehnten Lebensjahr an Lektüre unter die Finger bekam. Darunter waren theologische Bücher ebenso wie Reisebeschreibungen und naturkundliche Werke über Astronomie und Botanik, Medizinfachbücher und philosophische Klassiker, Zeitschriften sowie Journale en masse, aber auch Lexika, Heiligenviten und der jüngste Schund- und Schauerroman. Aus diesem gewaltigen Lesestoff nahm er sich heraus, was ihm brauchbar schien, später einmal bei Abfassung seiner eigenen Werke: Zitate, kuriose Mitteilungen, naturkundliche Besonderheiten, geistreiche Aussprüche etc. etc. Weil es noch kein Internet gab und folglich auch keine „Favoriten“-Liste, mußte er alles abschreiben. Sein ganzes Schreiberleben lang griff er auf diese Aufzeichnungen zurück. Sie lagen in einem sogenannten „Repositorium“ immer in direkter Nähe von seinem Schreibplatz. Ohne sie konnte er nicht sein. Viele Jahre später, da war er schon verheiratet und lebte mit seiner Familie in Bayreuth, schrieb er einmal seiner Frau von unterwegs einen unter Eheleuten üblichen brieflichen Merkzettel: Sie solle bitte daran denken, daß, wenn es einmal in der Wohnung brenne, unbedingt „die schwarzeingebundenen Exzerpte zuerst zu retten“ seien.

Ja, und deshalb nun also dieses „Alphabet für Jean Paul“, ganz gemäß dem Geist seiner eigenen Arbeitsweise. Allerdings hoffe ich doch sehr, daß hier mehr als nur Stichwörter stehen. Eher schon eine Nacherzählung aller wesentlichen Vorkommnisse in seinem Leben und in seinen Büchern. Und statt kryptischer Sigel bemühe ich mich um nachvollziehbare Querverweise, wo in Jean Pauls labyrinthischem Gesamtwerk für den interessierten Leser weitere Verirrungsmöglichkeiten offenstehen. Denn sich mit Jean Paul beschäftigen, heißt immer auch: bereit sein für Umwege, offen fürs Verlaufen. „Auch bei dem Schreiben mus man sich nirgends anzukommen vorsezen.“

Asche des Phönix

Ich habe noch die drei Fragen zu beantworten. Fangen wir mit der schwierigsten an: Wer sind Sie?

Abgesehen davon, daß jeder Autor, zumal wenn er figurenreiche Romane schreibt, viele sein können muß, bleibt der alte Streit: Ist man das Produkt seiner Eltern, seines Umfeldes, seiner Herkunftsgegend oder ist man das, was man selbst aus sich macht? Eine Mischung aus beidem wird es wohl sein und allenfalls über die Gewichtung der einzelnen Anteile läßt sich streiten. Jean Pauls „Herkunftskomplex“ ist jedenfalls klar einzugrenzen: Seine Vorfahren sind samt und sonders tief verwurzelt mit der Gegend des Fichtelgebirges und seiner Ausläufer. Eine waldreiche Gegend ist das heute und war es auch schon zu Jean Pauls Zeiten, allerdings mit einigen Unterschieden. Die Wälder waren lichter, der Artenreichtum größer, auch dominierte der Wacholder noch wesentlich stärker das Landschaftsbild, das immer wieder auch weite Blicke über halbwegs freie Flächen bot. Nebelverhangen und einschichtig konnte es hier sein, von urwelthafter geologischer Gestalt mitunter, denkt man etwa an die Vulkankegel Parkstein und Rauher Kulm (am Fuße des letzteren, in Neustadt am Kulm, kam Jean Pauls Vater Johann Christian Christoph Richter zur Welt, 1727). Paul Nerrlich, der frühe Biograph Jean Pauls zu Ende des 19. Jahrhunderts, sah vieles in dieser Landschaft angelegt, was sich auch bei unserem Dichter später deutlich ausprägen sollte. Weltabgeschiedenheit auf der einen Seite, eine sich „dem Wunderbaren und Überirdischen zuwendende Phantasie“ auf der anderen. Das mit Granitbrocken übersäte Land jedenfalls bezeichnet Nerrlich als Boden „für eine Fülle origineller, ihre Eigenheiten zäh festhaltender und leicht ins Komische übergehender Charaktere“.

Komische beziehungsweise eigenwillige Charaktere bevölkern Jean Pauls Humoresken zuhauf. Oft sind es Hungerleider und arme Schlucker. Wie deren Existenz sich ausnahm, konnte der Autor zumindest in der ersten Hälfte seines Lebens ausgiebig studieren. Denn auch bei den Richters mußte man sich schon immer nach der Decke strecken. Auch wenn man sich Schulmeister nennen durfte oder gar Rektor, wie der Großvater väterlicherseits. Viel wisse er von ihm nicht, schreibt Jean Paul, außer daß das Schulhaus in Neustadt am Kulm, dem er vorstand, für ihn wie ein Gefängnis gewesen sei, „zwar nicht bei Wasser und Brot, aber doch bei Bier und Brot“.

Allzu abschreckend kann das Los des armen Schulmeisterleins jedoch nicht gewesen sein, denn auch der Sohn, Jean Pauls Vater also, schlug dieselbe Laufbahn ein. Man kann das nicht mit einem heutigen womöglich gar Gymnasiallehrer vergleichen. „Schulmeister“, das war jemand, der die Kinder einer Dorfschule unterrichtete, ein Universitätsstudium war dafür nicht zwingend notwendig. Eher mußte man sozialpflegerischer Allrounder sein, der nebenbei noch, wenn’s sein mußte, Pfarr- und Organistenstelle der jeweiligen Dorfkirche ausfüllen konnte. So war es auch mit Jean Pauls Vater, der nach dem Umzug nach Joditz 1795 dort die Pfarrstelle bekleidete. Zuvor war er seit 1760 Tertius in Wunsiedel gewesen, also der dritte Lehrer innerhalb der Schulhierarchie nach Rektor und Konrektor. Verehelicht war er mit Sophia Rosina Kuhn, einer Tuchmacherstochter aus Hof. Womit nun auch die zweite Frage beantwortet wäre: Wie heißen Sie? Mit vollem Namen Johann Paul Friedrich Richter wurde der Erstgeborene des Schulmeisterehepaars in das Taufregister der Pfarrkirche von Wunsiedel eingetragen, als er am 21. März 1763 dort zur Welt kam. Rufname während der Kindheit war Fritz. – Aber wann und wie tauchte schließlich das Autorenpseudonym Jean Paul auf?

Seine ersten beiden Bücher hatte der Autor noch anonym erscheinen lassen. Beim dritten, dem Roman „Die unsichtbare Loge“, traute er sich endlich und wollte einen Namen nennen. Allerdings nicht den bürgerlichen, sondern einen, der ausschließlich für sein Autoren-Ich stehen sollte. Das war gewissermaßen jetzt geboren, mit dem Auf-die-Welt-Kommen dieses dicken Romans. Der neue Name sollte etwas Besonderes sein. Modernität und Weltläufigkeit assoziierend. Etwas französisch Klingendes wäre nicht schlecht. Das war damals en vogue. Zumindest teilweise französisch sollte es sich anhören. Es herrscht ja der alte Streit, ob der Nachname deutsch „Paul“ oder französisch „Pohl“ auszusprechen sei. Der Autor selbst hat im „Vita-Buch“ den Hinweis gegeben: „Ich habe nur ¼ meines Namens übersetzt.“ Demnach wäre der erste Bestandteil seines Taufnamens Johann zu Jean geworden und zwar als Verbeugung vor Jean-Jacques Rousseau, dem großen Vorbild, und Paul wäre nach wie vor unübersetzt deutsch auszusprechen. Also Jean Paul! Briefe unterschrieb er sowieso weiterhin mit „Richter“, übrigens meistens auch die Vorworte und Vorreden, nur in den Büchern selbst tritt der Autor von nun an als „Jean Paul“ auf, sozusagen als von ihm selbst geschaffene Romanfigur.

Bleibt noch die Frage: Wo wohnen Sie? Die ist etwas schwer zu beantworten, weil Jean Paul in seinem Leben sehr oft umgezogen ist. Er wohnte in Hof, Schwarzenbach, Töpen, Meiningen, Coburg, auch in Leipzig, Weimar und Berlin, da aber jeweils nur kurze Zeit. Die längste Periode an nur einem Ort war sein Lebensabend in Bayreuth. Daß er in einem sehr kleinen Dorf aufwuchs, in Joditz, wohin seine Eltern umzogen, als er zwei Jahre alt war, empfand er als einen ausgesprochenen Glücksfall. „Lasse sich doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen, sondern womöglich in einem Dorfe, höchstens in einem Städtchen“, heißt es in der „Selberlebensbeschreibung“, Jean Pauls Autobiographie, die er gegen Ende seines Lebens in Angriff nahm. Es sind nur ungefähr 60 Druckseiten geworden, die seine frühe Kindheit und die erste Schulzeit in Schwarzenbach an der Saale beschreiben. Danach verlor Jean Paul das Interesse und das Manuskript bricht ab. Nichtsdestotrotz ist dieser Text ein Juwel. Nicht nur, weil Jean Paul hier auf eine ungemein innige Art über eine Zeit seines Lebens schreibt, über die wir sonst kaum etwas wüßten. Sondern auch, weil es ein einzigartiges Dokument ist: Mir fiele kein zweites Zeugnis einer Kindheit auf dem Lande aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein, noch dazu so ein emphatisch geschriebenes.

Und in dieser „Selberlebensbeschreibung“ ist also nun genau dargelegt, wieso Jean Paul der Auffassung war, daß es für einen Dichter nur förderlich sein könne, wenn er auf dem Land aufwachse. Der ideale Autor ist Provinzler, ist ein Landei. Das stellen wir jetzt einfach mal als Grundthese auf. Kann ja jeder an Beispielen selbst überprüfen, ob’s stimmt. Zwei werfe ich gleich einmal in die Debatte: Stratford-upon-Avon war zu Shakespeares Zeiten ein Kaff, und Bohumil Hrabal wäre nicht Bohumil Hrabal geworden, wenn er nicht in Nymburg, dem herrlich verschlafenen Städtchen an der Elbe, aufgewachsen wäre.

Es hat etwas mit der Wohldosiertheit der Eindrücke zu tun, die auf einen einströmen. „Die Überfülle und die Überreize einer großen Stadt sind für die erregbare schwache Kindseele ein Essen an einem Nachtisch und Trinken gebrannter Wasser und Baden in Glühwein. Das Leben erschöpft sich an ihm in der Knabenzeit.“ Dagegen auf dem Dorfe hat alles seine Dauer, seine Weile, ruhig auch lange Weile. Dort herrscht ein „herrliches Teilnehmen an jedem, der ein Mensch, welches daher sogar auf den Fremden und Bettler überzieht“. Bedürftig ist das Leben, manchmal sogar armselig, aber welche poetischen Funken gerade die Not, die eben auch literarisch erfinderisch macht, schlägt, hat keiner so überzeugend vorgeführt wie Jean Paul. Er hat sich aus der Ärmlichkeit seiner Herkunft aufgeschwungen wie der berühmte totgesagte Vogel. Gerade weil es ihm nicht an nichts mangelte. Denn merke: „Wenn in die Flammen der Jugend und vollends der heißen Kräfte zugleich noch das Öl des Reichtums gegossen wird: so wird wenig mehr als Asche vom Phönix übrig bleiben.“

Blitzstrahl

„An einem Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustüre und sah links nach der Holzlege, als auf einmal das innere Gesicht ‚ich bin ein Ich‘ wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuchtend stehen blieb: da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und auf ewig.“ Der Ort dieser dem kleinen Fritz widerfahrenden Epiphanie, er läßt sich noch heute besuchen und begutachten und er sieht im wesentlichen noch immer so aus wie vor knapp 250 Jahren. Joditz, das 600-Seelen-Dorf an den Ufern der Saale, müßte für jeden wahren Jean-Paul-Freund im Grunde das sein, was Mekka für den gläubigen Moslem ist: Der Ort, an dem er mindestens einmal in seinem Leben gewesen sein sollte. Für diese Behauptung gibt es mehrere Gründe, auf die ich noch zurückkommen werde. Jetzt aber soll es um jene Schwelle gehen, auf der Jean Paul als Kind stand und vom Blitzstrahl getroffen wurde. Es war dies die Haustürschwelle des Joditzer Pfarrhauses, in das die Familie im Sommer 1765 eingezogen war. Das Haus steht noch immer, gleich neben der Kirche. Die petrolblaue Haustüre mit der viergeteilten Glasscheibe in der Mitte ist sicher neueren Datums. Aber der Türstock mit der Inschrift auf dem Sturz könnte tatsächlich der originale sein, unter dem schon Jean Paul gestanden hat, als ihn jene existentielle Erkenntnis durchfuhr, nämlich ein einzigartiges Ich zu sein unter tausend Millionen anderen Ichs. 1804, hat man errechnet, machte die Weltbevölkerungszahl gerade den Sprung über die Einmilliardengrenze. Um 1600 herum waren es noch halb so viele Erdbewohner gewesen. Während ich dies schreibe, im Oktober 2011, melden die Zeitungen, nun sei bereits die Sieben-Milliarden-Marke überschritten. Macht es diese Zahl, sieben Milliarden, etwa schwieriger, „ich bin ein ‚Ich‘“ zu denken? Und davon so erschüttert zu werden, wie Jean Paul erschüttert war, jenes oberfränkische Dorfkind, das mit drei, vier Händen voll Nachbarn und angenommenen Erdmitbewohnern aufwuchs? Wohl kaum. Die Erkenntnis der eigenen unverwechselbaren Individualität, daß wir denken können „ich bin ein ‚Ich‘“, bleibt eines der Mysterien des menschlichen Bewußtseins. Jean Paul wurde davon erfaßt … und zwar just auf der Türschwelle des Joditzer Pfarrhauses.

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