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Im Jahr 1924 wurde Johannes Mario Simmel in Wien geboren. 1949, als Dolmetscher der amerikanischen Besatzungssoldaten, veröffentlichte er den ersten Roman, 1999, als Beherrscher der Bestsellerlisten, den letzten. Sein Gesamtwerk gilt als engagiertes Spiegelbild eines halben Jahrhunderts. Markus Giesinger, Germanist und Historiker, würdigt mit Gedankenporträts aus Simmels Romanen das Schaffen des von Millionen Geliebten und von der Kritik oft Unterschätzten.
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Seitenzahl: 302
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Markus Giesinger
JOHANNES MARIO SIMMEL
Ein großes und vierhundertsechs kleine Gedankenporträts
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2023
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
Copyright (2023) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelbild © Adriana [Adobe Stock]
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Begegnung im Nebel
Mich wundert, dass ich so fröhlich bin (1949)
Therese Reimann
Reinhold Gontard
Anna Wagner
Walter Schröder
Susanne Riemenschmied
Robert Faber
Werner Schattenfroh
Das geheime Brot (1951)
Jakob Steiner
Magdalena Huber
Aram Mamoulian
Josephine Werner
Tobias Lobgesang
Ludwig Goldmark
Karl Olbrich
Toni Lobgesang
Reuben Tschipourian
Paul Huber
Ich gestehe alles (1953)
James Elroy Chandler
Jolanthe Caspari
Margaret Chandler
Robert Mordstein
Joe Clayton
Viktor Vogt
Alfons Manierlich
Vilma Parisini
Felix Reinert
Alexander Freund
Robert Hohenberg
Gott schützt die Liebenden (1957)
Paul Holland
Pedro Alvarez
Walter Albers
Robert Friedmann
Vera Langbein
Erna Högl
Alice Totenkopf
Petra Wend
Sibylle Loredo
Walter Ehrlich
Alfred Peter
Die Kinderbücher
Affäre Nina B. (1958)
Robert Holden
Mila Blehova
Julius Brummer
Nina Brummer
Toni Worm
Angelika Meuren
Hilmar Zorn
Herbert Schwertfeger
Hilde Lutz
Peter Romberg
Jakob Gottholmseder
Der Schulfreund
Es muss nicht immer Kaviar sein (1960)
Thomas Lieven
Hélène de Couville
Robert E. Marlock
Bodo Baron von Wiedel
Mimi Chambert
Jules Siméon
Erich von Felseneck
Fritz Loos
Jeanne Perrier
Maurice Débras
Mabel Hastings
Estrella Rodrigues
Peter Lovejoy
Walter Lindner
Lazarus Alcoba
Chantal Tessier
Dantes Villeforte
Walter Eicher
Bastian Fabre
Elfriede Bieselang
Yvonne Dechamps
Fritz Brenner
Erich Werthe
Lucie Maria Wallner
Christine Troll
Pamela Faber
Bis zur bitteren Neige (1962)
Peter Jordan
Shirley Bromfield
Joan Bromfield
Joe Schwartz
Hermine Gottesdiener
Walter Schauberg
Herbert Kostasch
Käthe Mädler
Thornton Seaton
Henry Wallace
Belinda King
Harry Silbermann
Jerome Wilson
Jan Hüllwer
Gregory Bates
Werner Hennessy
Wanda Norden
Edgar Schapiro
Natascha Petrowna
Liebe ist nur ein Wort (1963)
Oliver Mansfeld
Albert Lazarus
Verena Lord
Teddy Behnke
Walter Mansfeld
Lizzy Stahlmann
Geraldine Reber
Friedrich Südhaus
Wolfgang Hartung
Noah Goldmund
Walter Colland
Carla Honigstein
Friedrich Haberle
Peter Frey
Ginette Duval
Olaf Südhaus
Enrico Sabbadini
Manfred Lord
Leo Galler
Jürgen Fielding
Otto Willfried
Elizabeth Durham
Lieb Vaterland, magst ruhig sein (1964)
Bruno Knolle
Horst Lutter
Wassili Gorokin
Günther Polzin
Jack Ebony Clark
Louis Tilmant
Herbert Wagner
Karl Zschinschke
Tommy Payne
Josef Schulz
Margot Heisterberg
Egon Heisterberg
Barbara Mittenzwey
Kurt Mittenzwey
Otto Fanzelau
Friedrich Czibilsky
Berthold Prangel
Wilhelm Bräsig
Mitzi Szapek
Walter Lehner
Wilhelm König
Ernst Kornmann
Viktoria Scharowski
Martin Oslanski
Marlene Schilow
Rudolf Sylt
Alexander Cecil Snowden
Hans Radke
Renate Lutter
Oskar Knargenstein
Nelly Pietsch
Philipp Landon
Olaf Martini
Marie Bräsig
Peter Wieland
Heinz Schuckert
Jack Campbell
Franz Lutter
Anita Kornmann
Grete Machon
Fritz Fichtler
Martha Jacobs
Alle Menschen werden Brüder (1967)
Richard Mark
Peter Mohn
Boris Minski
Rachel Minski
Petra Schalke
Britt Rending
Elsbeth Rending
Thomas Rending
Yvonne Rending
Aglaja Mitsotakis
Panos Mitsotakis
Werner Mark
Sophie Kaczmarek
Walter Paradin
Homer Luther Barlow
Lillian Lombard
Ernst Eilers
Helmut Matern
Victor Delacorte
Max Kramleder
Robert Lansing
Zacharias Damaskinos
Hans Eilers
Carla Eilers
Hermann Olsen
Jochen Stalling
Und Jimmy ging zum Regenbogen (1970)
Manuel Aranda
Irene Waldegg
Wolfgang Groll
Nora Hill
Valerie Steinfeld
David Parker
Martin Landau
Ernst Seelenmacher
Paul Steinfeld
Jack Cardiff
Bianca Barry
Agnes Peintinger
Otto Forster
Peter Klever
Yvonne Werra
Raphaelo Aranda
Jean Mercier
Fedor Santarin
Gilbert Grant
Hermine Lippowski
Ignaz Pankrater
Jakob Roszek
Martha Waldegg
Ottilie Landau
Carl Flemming
Heinz Steinfeld
Daniel Steinfeld
Der Stoff, aus dem die Träume sind (1971)
Walter Roland
Bert Engelhardt
Luise Gottschalk
Irina Indigo
Paul Demel
Eugen Kuschke
Paul Kramer
Gert Lester
Angela Flanders
Thomas Herford
Wilhelm Reimers
Jan Bilka
Joachim Vandenberg
Gertrud Reibeisen
Die Antwort kennt nur der Wind (1973)
Robert Lucas
Gustav Brandenburg
Karin Lucas
Angela Delpierre
Hilde Hellmann
Louis Lacrosse
Jaques Roussel
Gaston Tilmant
Pasquale Trabaud
Inge Dreyer
Paul Seeberg
Charles Libellé
Niemand ist eine Insel (1975)
Philip Kaven
Sylvia Moran
Alfons Wolken
Rod Bracken
Clarissa Geiringer
Ruth Reinhardt
Max Delamare
Suzy Sylvestre
Robert Sigrand
Carlo Marone
Ernst Hirtmann
Wigbert Sondersen
George Radley
Heinz Hallein
Vera Gellert
Hans Rohrbach
Romero Rettland
Florian Bend
Hurra, wir leben noch (1978)
Jakob Formann
Peter Hobson
Julia Martens
Franz Arnusch
Hilde Korn
Jelena Wanderowa
Karl Wilhelm Donner
Luise Pröschl
Wenzel Prill
Ingeborg Malthus
Klaus Mario Schreiber
Jesus Washington Meyer
Karl Jaschke
Jurij Blaschenko
George Misaras
Mojshe Faynberg
Zeitungsprosa
Wir heißen euch hoffen (1980)
Adrian Lindhout
Philine Demut
Roman Haberland
Siegfried Tolleck
Georgia Bradley
Truus Lindhout
Franz Pangerl
Maria Penninger
Olga Wagner
Ingeborg Dreher
Sergej Soboljew
Wolfgang Groll
Katherine Grogan
Sackchi Dimnas
John Simmons
Bernard Branksome
Claudio Wegner
Gabriele Blake
Narkanda Pharping
Jean-Claude Collange
Ilja Krassotkin
Bitte lasst die Blumen leben (1983)
Charles Duhamel
Emanuel Eisenbeiß
Andrea Rosner
Anna Klosters
Yvonne Duhamel
Jean Balmoral
Emile Rachet
Paul Perrier
Mitzi Kratochwil
Renate Tiller
Walter Hernin
Conrad Langenau
Robert Stark
Robert Rolland
Clemens Raven
Hans Oelschlegel
Die im Dunkeln sieht man nicht (1985)
Daniel Ross
Siegfried Woitech
Mercedes Olivera
Eduardo Olivera
Wayne Hyde
Sibylle Mannholz
Conrad Colledo
Carlo Maria Alvarez
Miguel Morales
Dora Holm
Thea Ross
Eugen Mannholz
Werner Farmer
Harry Gold
Emanuel von Karrelis
Doch mit den Clowns kamen die Tränen (1987)
Norma Desmond
Pierre Grimaud
Günter Hanske
Alvin Westen
Jan Barski
Carl Sondersen
Thomas Steinbach
Petra Steinbach
Doris Leiser
Kiyoshi Sasaki
Takahito Sasaki
Harald Holsten
Hubertus Stein
Eugen Hess
Lars Bellmann
Im Frühling singt zum letzten Mal die Lerche (1990)
Philip Gilles
Susanne Marvin
Valerie Roth
Markus Marvin
Gordon Trevor
Miriam Goldstein
Ray Evans
Gerhard Ganz
Elfi Bellamy
Franz Kulicke
Peter Bolling
Joschka Zinner
Isabelle Delamare
Hilmar Hansen
Clarisse Gonzalos
Paulinho Paiakan
Elisa Hansen
Elmar Ritt
Walter Coldwell
Robert Dornhelm
Antoine Oltramare
Auch wenn ich lache, muss ich weinen (1993)
Mischa Kafanke
Olga Nawroth
Fritz Sonderberg
Irina Petrakowa
Ruth Lazar
Emma Plieschke
Bruno Cavaletti
Leon Petrakow
Bill Bacon
Tham Le Thanh
Jewgenij Kotikow
Arkadij Petrakow
Melody Lyndon
Hermann Wilke
Träum den unmöglichen Traum (1996)
Robert Faber
Martin Bell
Mira Masin
Jelena Dobrovic
Renate Wagner
Judith Rohmer
Leo Lahner
Nadja Rubic
David Pardo
Georg Lambert
Helga Czerny
Goran Rubic
Walter Marks
Josef Viskocil
Paul Ansbach
Der Mann, der die Mandelbäumchen malte
Liebe ist die letzte Brücke (1999)
Philip Sorel
Donald Ratoff
Irene Sorel
Claude Falcon
Serge Moleron
Kim Sorel
Catherine Sorel
Ramon Corredor
Constanze Baumgartner
Gabriel Martinoli
Jean-Pierre Barreau
Simone Sorel
Raymond Marrot
Holger Niemand
Max Meller
Simmel und ich – eine Lesensgeschichte
Jean Paul nannte seine Erinnerungen Selberlebenbeschreibung.
Was ich erlebt habe, ist mir des Aufschreibens nicht würdig.
Was ich geschaffen habe, sehr wohl.
Alt bin ich und Zeit wird es für eine Inventur.
Meine Geschichten
Eine Chronik
Mit der Kurzform – Erzählungen – beginnen, das war klar. Schon Brahms meinte: Zuerst Lieder komponieren, dann Symphonien. Talentprobe vor Meisterwerk. Wer hatte schon Zeit für viele hunderte Seiten? In einer Stadt, die wieder zu errichten war? Schaufel weg, Roman her? Sieben Erzählungen, davon nur eine vom Krieg. Dessen Ergebnis sahen wir alle täglich. Den brauchten wir nicht auf Papier. Schöne Worte, absurde Szenen, Pointen, Rührung. Motiv Nebel: alles Handeln hintergründig, konturenarm.
Rückblickend stelle ich fest: Die kurze Geschichte hat mich stets begleitet. Vor allem in meiner Illustriertenzeit. Das kleine wöchentliche Kunstwerk. Literatur in Zigarettenlänge. Hat Spaß gemacht.
Viel Lob kam für einen Dreiundzwanzigjährigen. Zwei Kritiker nannten meinen Stil kleistisch. Auflage? Ein paar hundert. Der Verleger sagte: Nur Mut, jetzt wird es Zeit für etwas Größeres. Vorschlag: Bomben über Wien. Wenn du fertig bist, ist es vier Jahre danach. Die Menschen werden bereit sein, es kommt die Zeit des Erinnerns.
Sie kam dann auch, aber noch nicht, als ich mit meinem einzigen Kriegsroman fertig war. Klar war: Nicht Uniformierte und Bewaffnete werden die Handlung tragen. Sieben in einem zerbombten Haus Eingeschlossene sollten fünfzig Stunden verzweifelt auf Rettung hoffen. Nur einer von ihnen besitzt ein Hakenkreuz und auch er nur, weil es Chancen öffnet. Sein Gegner ist Wehrmachtsdeserteur und eigentlicher Held. Er will am Schluss den mit dem Hakenkreuz erschießen, um sich und die anderen zu retten. Die anderen? Die alte, aber lernfähige Frau. Der vor Gott zum Alkohol flüchtende Priester. Die Hochschwangere mit fünfjähriger Tochter. Und die liebesbereite Schauspielerin. Nicht eingeschlossen, aber entscheidend: Der die Rettungsversuche leitende Leutnant der Wehrmacht, pflichtbewusst, misstrauisch und letztlich das Leben über das Recht stellend.
Einen Zitatauszug des Barockdichters Angelus Silesius über einen trotz aller Wirrnisse Fröhlichen verwendete ich etwas verwegen als Buchtitel. Fortsetzungsroman in der kommunistischen „Volksstimme“. Ein großer Fehler? Wahrscheinlich. Eine Erzählerbegabung mit wenig Lesern.
Eine Figur altern lassen. 47 Jahre später verwandelte ich den Deserteur in einen alten Erfolgsautor mit Schreibblockade nach dem Wegsterben seiner Frau. In beiden, sonst so verschiedenen Werken vertritt dieser Herr viel Simmel. Ja, das Autobiografische. Man selbst steht als Quelle rasch zur Verfügung. Oft ohne Recherche. Und das Wiederbeleben einst gestalteter und lieb gewordener Freunde in späterem Schaffen praktizierten auch Dumas, Balzac und Joseph Roth. Das Wort Serienheld war noch nicht geschaffen.
Unfreiwilliges Zusammenleben von Menschen, die sich nicht kennen. Und nicht harmonieren. Nur eines vereint sie: das Nichtsterbenwollen.
Über Wiener Neustadt sind sie schon. In zwanzig Minuten bei uns. Wieder in den Keller. Die Sirenen, abscheulich, wie die Musik im Radio. Keine Melodie mehr. Heulen und Johlen.
Herr, beende diesen Krieg! Wie du auch den letzten beendet hast. Und schütze uns, die wir an dich glauben. Und nicht sündigen.
Die gefangenen Russen, schmutzig sind die und traurig irgendwie. Beten werde ich für sie. Wie auch für die Armen. Nur betteln sollen sie nicht. Und für die Kinder. Nur schreien sollen sie nicht.
Was dieser Besoffene sagt: Gott sei ein Idiot oder Verbrecher. Ein Idiot, wenn er das alles nicht verhindern kann. Ein Verbrecher, wenn er es nicht verhindern will. Worte eines Invaliden, durchschossene Lunge, hat nur noch eine kurze Zukunft.
Und ich, der Priester? Sage Ähnliches, nur schöner. Nicht alles verantwortet der Herr allein, Frieden müssen wir schaffen, gerecht und barmherzig müssen wir werden. Doch des Höchsten Hilfe kommt nicht. Schaut einfach zu. Vom Himmel. Schöne Aussicht.
Predigen mit Kopfschmerz, im Beichtstuhl mit Kopfschmerz, ganze Messen mit Übelkeit. Der viele Wein, widerlich! Durstig macht der Zweifel am Allmächtigen.
Neuer Markt. Innenstadt. Hier ist es gut. Die Tore geöffnet. Alle erwarten die Warnsignale. Leben trage ich in mir und sehe sterben überall.
Eingeschnürt bin ich seit Monaten. Wann kann ich wieder atmen? Tief atmen? Ihm konnte ich es nicht sagen. Das wären keine Abschiedsworte gewesen für einen Frontrückkehrer. Er wisse zu überleben, tröstete er, es gebe Strategien. Reden mit der Mutter? Sie hat nur noch den starren Blick. Reden mit der Kleinen? Die hüpft fröhlich über Bombenlöcher. Wie hat sie gelacht, als ein Junge Alarm und Flucht und Getroffenwerden spielte.
Morgen ins Entbindungsheim, weit weg von Wien. Für drei Wochen. Dann kommt zur Kleinen noch ein ganz Kleines. Einmal noch hinunter in die Dunkelheit.
Ein öffentlicher Luftschutzraum. Wenn die Licht haben da unten, kann ich meine Notizen fortsetzen. Füllfeder habe ich, Papier auch.
Keine Ahnung haben die in Berlin. Reden von Geheimwaffen und wissen nicht, wie Stromerzeugung chemisch optimiert wird. Dass Raketen explodieren, kapieren sie gerade noch. Aber sag ihnen, man müsse den Waffen eine Richtung geben, ein Ziel, und sie schauen dich an, offene Augen, offene Münder.
Den Wert der Chemie für das Heer der Zukunft haben sie erkannt. Und mich gelobt. Der Krieg darf nicht verloren werden. Die das auch nur andeuten, widern mich an. Und die Propheten der Niederlage, totschlagen könnte ich sie.
Frieden? In einem kleinen Betriebslabor neu beginnen? Die Versuche der letzten Jahre nutzlos? Unterlagen verbrennen? Nicht daran denken!
Diese ständig nach dem Sinn Fragenden! Für wen? Zu welchem Zweck? Wem zu Nutze? Die Antwort heißt: Seine Kräfte zur Verfügung stellen. Fraglos! Wir sind eingeschlossen. Also öffnen wir. Mit Pickel und Schaufel. Oder Sprengstoff.
Aus Rilkes „Weise von Liebe und Tod“ lesen, im Haus der Industrie, vor Publikum. Mein Höhepunkt. Bisher. Die kleinen Rollen, ich spiele sie nicht, ich lebe sie, gebe ihnen Bedeutung, sagen die Leute. Großes traue ich mir zu. Gretchen zuerst, später Maria Stuart, die Jungfrau von Orléans. Oder Emilia Galotti. Sätze großer Meister sprechen. Mit meiner Stimme.
Weniger gelächelt habe ich in letzter Zeit. Mit den Augen vielleicht, aber kaum noch mit den Lippen. Und etwas leise wurde ich. Hätte ich mehr reden sollen? Zur falschen Zeit? Über Dinge, die mich wundern, aber vielleicht nichts angehen?
Feind im Anflug. Wieder einmal. Lieber jetzt als später. Bis zum Auftritt am Abend wird es vorbei sein. Das Rilke-Buch habe ich mit. Dort gehen ein paar die Stufen in die Tiefe.
Wehrmachtsstreife, verdammt! Wenn die mich sehen. Und den Ausweis fordern. Ich in Uniform ohne Abzeichen. Mit schmutzigen Stiefeln. Unerlaubtes Entfernen von der Truppe.
Ins nächste Geschäft! Spirituosen? Egal. Was ich wünsche? Bin noch unschlüssig. Die stehen vor dem Schaufenster. Zu dritt. Zivilistenkontrolle.
Cognac vielleicht? Gern, haben Sie eine Auswahl? Früher schon, viele aus Frankreich, jetzt freilich … Nachschauen könne sie. Lassen Sie sich Zeit! Retten Sie mein Leben!
Der Kontrollierte grüßt, die drei reden, jetzt gehen sie, langsam. Ich kaufe zwei Flaschen, noch langsamer.
Fliegeralarm? Gott sei Dank. Irgendwohin! Weg von der Oberfläche! Mich nicht erwischen lassen! Auf der Flucht nicht erschossen. So soll es sein. Und dann: reden und nie mehr schweigen!
Menschen ausgraben, lebend. Schon oft gelang es uns. Diesmal der Keller von Neuer Markt 13. Das Haus steht nicht mehr. Gestern hörten wir Klopfzeichen. Waren schon nah dran.
Dann die Bombe auf die Plankengasse. Traf die Wasserleitung. Unmengen fließen nach unten. Kein Klopfen mehr. Jetzt helfen nur noch Presslufthämmer. Alles oder nichts. Hoffentlich alles. Hoffentlich!
Menschen im Krieg, das heißt: Menschen ohne Alltag. Jeder Tag fordert neu. Die Todesnähe. Das Außerordentliche, Unberechenbare. Jetzt musste das etwas andere folgen: Menschen nach dem Krieg. Die Eingebung war da: ein Märchen in Ruinen. Anschreiben gegen das Verzweifeln.
Und ich produzierte eine Perle, auf die ich stolz bin. Mit Ironie und phantastischer Realitätsferne Mut vermitteln. Trösten, aufrichten. Fünf kauzige Existenzen fügen sich nicht und bauen eine kriegszerstörte Villa wieder auf. Und leben von Brot und lernen wieder zu lachen. Und werden stark dabei. Verzweiflung wird zu Hoffnung und Hoffnung zu Liebe. Wien wird zum Ort der fröhlichen Botschaft: Es geht immer weiter und uns kriegt keiner klein. Kein Gott, keine Diktatur und keine Bomben.
Gemeinsames Überwinden von Widrigkeiten. Und dabei jeden gelten lassen. Ohne Korrektur und Belehrung. So ergeben mehrere Einzelne keine Summe, sondern ein Kollektiv im besten Sinn. Heute noch mag ich diese liebevoll Verrückten, ihr Reden und ihr Tun.
Der im Verlauf der Geschichte immer weniger verzweifelte Tischler. Die Zigarren rauchende Maurerin. Die mit ihrem Körper Geld verdienende Mutter einer Siebenjährigen. Der kluge, mutige und tollpatschige Ruinenbewohner. Der Riese, den nützlich sein glücklich macht. Seine Frau, die weiß, was sie will, nämlich alles, was nicht zu ihr passt. Einige, die der Krieg am Leben ließ, wenn auch nicht unversehrt. Und ein paar kleine und große Gauner.
Die Grazer „Neue Zeit“ brachte diesen meinen Nachkriegstagtraum in Fortsetzungen. Dieses Soziblatt hat mich damit auch politisch eingeordnet. Ein gottloser Gottesmann im vorigen und ein sympathischer Fastselbstmörder im jetzigen Buch machten mich in der jungen zweiten Republik Österreich zum Roten. Warum nicht, mein Opa war schon mit SPD-Gründer August Bebel befreundet.
Dem Verlag freilich war ich eine Last. Drei Bücher, stets über 5.000 Exemplare gedruckt, davon je 600 verkauft, der Rest blieb lagernd und wartete auf gute Zeiten. Ratlosigkeit folgte, gelesen wollte ich werden und nicht nur auf die Schulter geklopft.
Frau tot, Kind tot, Wohnung weg, Arbeit weg. Wie kann ich anständig sterben? Kein Revolver. Kein Gift. Kein Gasherd.
Ein Strick also. Oder ein Seil. Irgendeine Schnur. Zur Not ein getrocknetes Hemd. Am besten eine Wäscheleine. Und dann noch ein Baum. Kastanienbaum, wenn es geht.
Tische, Stühle, Bänke und Türen stellte ich her. Und jetzt? Sechs Jahre lang habe ich getötet und dabei das Handwerk verlernt.
Einen Strick will der von mir? Riecht nach Promille. Mein Gott, die jungen Leute. Haben keine Ahnung vom Leben und sagen, es sei sinnlos. Woher wollen die das wissen? Ich habe auch meinen Mann verloren und weiß nicht, ob der Sohn noch lebt in Russland.
Ein bisschen Schlafpulver in seinen Schnaps. Liegt schon da. Ins Bett mit ihm. Rausch ausschlafen. Ganz schön schwer ist er. Aber ich bin gelernter Maurer. Trage ganz andere Lasten. Der hat noch genug Zeit zum Sterben. Durch Arbeit soll der sich erlösen und nicht durch Erhängen.
Freude will ich sehen in den Augen des Mädchens. Ostern kommt und sie darf nicht enttäuscht sein. Niemals. Eier holen. Farbstifte habe ich. Schokolade muss auch her. Und natürlich Kinderschuhe. Wenn ich nur Geld hätte!
So viele Hühner! Dreißig Eier sollten kein Problem sein. Aber die Stacheldrähte. Da ist einer, ziemlich kräftig, ob der mir die Drähte spannt? Teilen wir halt die Eier.
Aufhängen will er sich. Mit einer Wäscheleine. Der stirbt nicht. Hat keinen Todesgeruch. Helfen soll der mir beim Eierholen. Verzweifelt ist er? Ich wohne auch im Keller meines Hauses, das nicht mehr steht. Wenn schon kein Glück, dann halt Vergnügen. Ein bisschen Mut, mein Herr! Der Tod will Sie nicht, mein Herr! Hiergeblieben, Drahtzaun öffnen, Eier kochen und anmalen!
Warum ich nicht traurig sei, will er wissen. Wo ich doch auch alles verloren habe. Weil ich ein Buch übersetze. Aus dem Armenischen ins Deutsche. Eines der ganz großen Werke. Danach werde ich selbst Autor. Habe alles schon im Kopf.
Mein neuer Freund, der Selbstmörder, schenkt nicht gern. Und will auch nicht beschenkt werden. Das verpflichte zum Dank. Und mache abhängig. Und nichts schenken macht frei?
Warum mag ich ihn? Weil er lachen kann? Die eine Nacht mit ihm: erträglich, nicht berauschend. Aber mein Mädchen strahlt, wenn wir zu ihm gehen. Mein Mädchen, nicht sehr erwünscht vor sieben Jahren, jetzt meine kleine Mutmacherin.
Eier wird es auf jeden Fall geben, Schokolade, alles versteckt, vielleicht sogar Schuhe.
Eine Frau der Liebe bin ich. Na und? Ich tue, was ich am besten kann. Und den dicken Armenier liebe ich, weil ich ihn brauche. Ich fürchte den Hunger und das Frieren. Wer mir Geld gibt, bewahrt mich davor. Mein höchstes Glück wäre die Garantie, nie mehr zu hungern und zu frieren. Wer sie mir gäbe, könnte mich vor den Altar führen. Oder zum Standesamt.
Ist der Mann schön! Er schaut mich an. Das kann ich auch. Er lächelt. Das kann ich auch. Der ist nicht lebensmüde.
Ist die Frau hässlich! Und ihr Blick. Habe ich eine Feindin? Sie streichelt mein Liebes mit ihren Pranken, zärtlich. Doch keine Feindin? Sagt mir, ihr Mann, der Selige, habe stets geschminkte Lippen angestarrt. Ob ich mir einen Ostersonntag ohne Lippenstift vorstellen könne? Klare Worte. Ungeschminkte Ostern, meinetwegen.
Reden will sie mit mir, der gelernte Maurer. Ein Haus will sie bauen, mit einem älteren und jüngeren Freund. Den Grund hätten sie schon, eine Ruine derzeit, aber mit Keller. Ziegel bräuchten sie, Zement, nicht geschenkt natürlich, bezahlt würde auf jeden Fall, freilich nicht sofort.
Dieser gelernte Maurer ist meine beste Hilfskraft, raucht Zigarren wie ich, so eine betrügt nicht. Lieber ist mir die als meine Gattin. Die einst Geliebte feiert mit Freunden, die über mich lachen. Theater besuchen, Konzerte besuchen, das kann sie mit mir Trottel nicht.
Ein neues Haus? Ich mache mit. Fleischhauer war ich, Bauunternehmer bin ich. Und verheiratet mit einer Frau, die mich nicht braucht. Hilfe wollt ihr? Das Finanzielle regelt sich schon. Lieber aufbauen als auf die Nerven gehen.
Er hatte Geld. Ich habe Geld. Daher gab sie ihm fünfhundert Schilling. Die mir gehörten. Er war ihr Liebhaber. Ich bin ihr Liebhaber.
Umverteilung. Vom Jetzigen auf den Ehemaligen. Mir tut es nicht weh. Lieber einem armen Hund einen Bissen hinwerfen als dem Staat, der kein armer Hund ist. Und mich auch nicht bittet.
Natürlich darf er bei der Stadtbahnstation Zigaretten verkaufen. Und Schokolade. Und Hosenträger. Und Nylonstrümpfe. Obwohl er zwei Beine hat. Wir drei haben je ein Bein verloren, er jedoch Frau und Kind. Das ist fast noch ärger.
An der Ostfront hat er mich ein paar Kilometer geschleppt. Weg vom Tod. Dem schulde ich etwas. Sind wir jetzt halt zu viert. Jeder will leben. Irgendwie.
Geburtstag hat er heute. Und wollte weg von mir. Will bei Leuten sein, die er bis vor Kurzem noch nicht kannte. Weil er nicht Teil meines Lebens war. Weil ich mich für ihn genierte. Weil ich selbst nicht die sein wollte, die ich bin. Meine über ihn die Nase rümpfenden Freunde? Weg mit ihnen!
Das peinlichste Wesen dieser Erde bin ich. Vertrieben habe ich mein größtes Glück. Das nun den Rausch des Vernachlässigten ausschläft. Im Keller eines Hauses, das kein Haus mehr ist.
Ob er mit mir kommt? Mehr als je würde ich ihn liebhaben. Der so zart sein kann mit seinen Fleischerhänden!
Ein Träumer war er immer schon. Jetzt will er seine zerstörte Villa wieder errichten. Mit Schicksalsgefährten. Ohne Baufirma. Die ich ihm bezahlen würde. Denn er hat mein Buch übersetzt. Und wird mein Geschäft in Wien leiten.
Schreiben kann er. Und reden. Und Teppiche verkaufen. Und warum? Weil er träumen kann. Und hoffen. Was kann er nicht? Die Welt so sehen, wie sie ist. Mein Freund, das Kind.
Weihnachten in Wien. So sieht der Frieden aus. Die Mutter lebt und ist gesund. In einem Haus wohnen wir, das im Frühling noch ein Keller war. Mit Leuten, die abnormal sind im besten Sinn. Und keiner tut dem anderen weh.
Jetzt wollen sie alle einladen, die sie kennen. Die Einsamen am Heiligen Abend, die mit Familie am Christtag. Und die Mutter mittendrin. Die kochende Maurerin. Was für eine Frau!
Und es reifte. Langsam. Noch echter musste ich werden. Und das hieß: strategischer. Erstens: Erotik ist eine Lebenstatsache. Warum nicht auf Papier? Berührungen, Erregungen, Erhitzungen, das fehlte bisher. Und zweitens der Faktor Verbrechen. Gesetze brechen, Menschen bestehlen, betrügen, bedrohen, verletzen und, natürlich, auch morden.
Was genauso wichtig war: weg vom die Handlung tragenden Kollektiv, der Einzelne musste her. Und in Ich-Form. Ein mitreißendes Geständnis.
Die Einsicht Simenons, es gebe keine kriminellen Menschen, nur kriminelle Taten, wollte ich rauschhaft bestätigen. Und dem mordenden, todkranken Ich ein nahezu heiliges Du in Person eines Arztes entgegenstellen. Und tatsächlich: Der Mörder stirbt seelisch geheilt.
Die Richtung war eingeschlagen: Für meine Werke gab es fortan nur ein Lesetempo: die Hochgeschwindigkeit. Nicht nur gelesen, verschlungen wollte ich werden. Dieser Weg sollte plakativ hinführen zu den Formen des miteinander Umgehens, ohne die Humanität nicht sein kann. Auf der Autobahn menschlichen Handelns ähnliche Botschaften abliefern wie andere auf ihren verzweigten, schönen Feldwegen der Beschaulichkeit. Figuren wollte ich schaffen, denen man sich lesend nähern kann ohne Ehrfurcht und Andacht. Fehlerhafte, bisweilen lächerliche, ängstliche, dann wieder mutige Wesen, nicht immer klar im Kopf, ein bisschen so wie ich selbst.
Die Reaktion der Zeitungsmenschen? Hymnen und Todesurteile. Vom Dostojewskij-Vergleich bis zur Illustriertenbanalität. Und definitiv ungeeignet für katholische Büchereien. Ja, ich polarisierte. Wollte aber nicht Dostojewskij sein und nicht banal.
Erstmals habe ich dem großen amerikanischen Liederbuch die Reverenz erwiesen. In Summe eines der ganz großen Kunstwerke, für mich das größte des 20. Jahrhunderts. Wie ein Leitmotiv zieht sich das Zitieren amerikanischer Songs durch mein Gesamtwerk. Es war die Liebe meines Lebens. Ihr treu zu bleiben fiel mir leicht.
Auch Drehbuch und Film begleiteten manch späteres Werk. Ich mag das dialogische Erzählen. Das Klare und Impulsive des gesprochenen Worts. Verfilmbarkeit scheint mir die Visitenkarte eines guten Romans zu sein.
Das Spiel mit Identitäten. Homer, Molière, Mozart, Nestroy, Gottfried Keller und Unzählige mehr arbeiteten mit Rollentausch und Verkleidung. Auch ich machte reichlich Gebrauch davon. Durch Passfälschung ein anderer werden. Und es manchmal sogar bleiben.
Vier Jahre für die Zeitung. Feilen an einem Ziel: die Poesie der Klarheit. Was kann es Schöneres geben als das treffende Wort? Texte für Minuten. Meine Pädagogik: Der Lesende ist der Schüler, den du zu nichts zwingen kannst. Auf sein freiwilliges Aufmerken angewiesen sein.
Ein Buch schreiben. Kurz vor meinem Tod. Der Doktor sagt, ich soll es tun. Drehbücher habe ich verfasst, dutzende, ich konnte leben davon. Stets alles erfunden. Ja, ein Erfinder bin ich. Ein Lügner? Tatsachen sind lästig. Ihnen war ich nie verpflichtet.
Und jetzt das Wahre schildern. Mit ihm leben. Nichts ändern. Schreiben, was geschah. Nicht flüchten ins Geträumte, Gewünschte. Nicht davonlaufen vor dem Schrecklichen, es würde mich einholen. Das Unverfälschte sei helfend, befreiend, so der Seelenkenner. Auf Papier festhalten soll ich, was ich ihm sagte. Die Füllfeder als Therapeutin.
Zuerst Sekretärin, dann Geliebte, seit drei Monaten. Natürlich lieben wir uns nicht, doch wie er sich um seine Frau sorgt, der Herr Ehemann, erstaunt.
Sex nach Stundenplan. Ab 16 Uhr, am Wochenende früher, wenn die Gattin bei Freunden ist.
Wie er mich anschaut. Begehrlich, klar. Doch auch etwas abschätzig? Sein Blick auf mein Glas Bier. Soll ich vielleicht aus der Flasche trinken? Wie er die Asche auf dem Teppich anstarrt. Es ist immerhin meine Wohnung.
Kopfschmerzen hat er. Unzählige Ärzte aufgesucht. Warum sagt er das? Was will er von mir? Mitleid?
Kopftumor. Das muss nicht, aber kann sein Ende sein. Die einzige Liebe meines Lebens. Nur Bücher liebte ich vielleicht noch mehr. Und das Theater.
Frauen hat er verbraucht. Hat sie kaum versteckt vor mir. Das war wohl sein Theater. Und seine Bücher. Drehbücher?
Wozu Scheidung? Jeder hat, was er braucht. Ein schönes Nebeneinander war es, insgesamt. Und einen Patienten verlasse ich nicht.
Er braucht den Körper meiner Frau wie Morphium. Ein paar Tage ohne sie und er verliert jede Kontrolle. Leider benötigt sie ihn auch. Mehr als mich. Soll ich ihr böse sein? Ihr, die schon als Mädchen Christusstatuen heftig umarmte? Die stets Erlösung Suchende?
Drehbücher schreibt er, der Amerikaner mit den deutschen Großeltern. Seine ungeliebte und unbegehrte Frau begleitet ihn. Denkt nicht an Trennung. Keine vorwerfenden Worte. Nur tränende Augen.
Töten könnte ich ihn. Und tu es nicht. Denn ich weiß alles über ihn. Und er nichts über mich. Das sollte sich auszahlen. Mark oder Dollar, Scheck oder bar. Staunen wird er noch. Über seinen Zustand. Wer weiß, vielleicht wird er ihn verfilmen.
Viele glauben, als Filmproduzent musst du dich für Schauspiel interessieren. Was für ein Irrtum! Geschäftsmann musst du sein. Ich verlege alle Drehorte nach Europa. Und zahle weit weniger als meine Konkurrenz in Hollywood. Regie und Drehbuch amerikanisch, einige Schauspieler ebenfalls. Der Rest vorwiegend deutsch. Sind die glücklich über jede Anstellung, jeden Dollar! Danke ist das häufigste Wort in diesem Land.
Die haben noch vor ein paar Jahren Krieg geführt. Gegen uns. Gott sei Dank, möchte ich fast sagen. Das führte mich zu den richtigen Investitionen in den richtigen Produktionsbetrieben. Mit meinen Filmen betreibe ich eine Art Rückerstattung.
Wie reden mit einem Schwerkranken? Die Lüge kein Weg. Wir brauchen die passenden Strategien mit den passenden Worten. Tumor ist kein geeignetes. Gewächsbildung schon eher. Und womöglich gutartig. Noch besser: harmlos. Und wenn nicht: durch Bestrahlung entfernbar.
Das Operationseinverständnis als reine Formalität darstellen. Für den sehr seltenen Fall einer Komplikation.
Autohändler müsste man sein: Gleich einen neuen Wagen anbieten, wenn der alte irreparabel ist. Oder Lehrer: Schulwechsel anbieten oder Wiederholen der Klasse, beides kein Drama. Oder Arbeitgeber: Kündigungen sind nicht tödlich. Oder gar eine neue Chance. Wir Chirurgen sind Meister der präzisen Hand und des unpräzisen Mundes.
Das Kennzeichen einer guten Perücke ist ganz einfach: Sie darf nicht als solche erkannt werden. Und muss passen ohne Wenn und Aber. Der Träger soll an seine Frisur glauben können. Stolz auf sie sein.
In Dresden arbeitete ich für die Welt des Schauspiels. Auf der Bühne wurde praktisch nur mein Haar getragen. Dann kam die Vernichtung meiner Heimat. Ein zerfetztes Haus, eine langsam verbrennende Ehefrau. Das hinterlässt Bilder.
Neubeginn in München. Alle Theater beschäftigen ihre eigenen Perückenmacher. Meine Kundschaft? Vorwiegend Verbrecher. Kommen glatzköpfig aus der Haft zu mir. Ich verkaufe ihnen den maßgeschneiderten Wiedereinstieg ins Leben.
„Tote haben keine Tränen.“ Ein Stück gegen die Angst. Mit viel Mythos. Über die Lebenden. Die leiden und weinen. Und doch besser dran sind als die Toten, die nicht mehr leiden und weinen. Von den Brettern herab die Botschaft: Habt Mut zum Leben! Leider nur für 49 Zuschauer. „Studio 52“. Im Keller des Café Schubert.
Der Durchbruch wird es für meinen Freund. Autor mit 22. Und für mich. Schauspielerin mit 19. Kraft habe ich und Zartheit. Überzeugen kann ich, rühren und erschüttern.
Am Geld darf es nicht scheitern. Miete, Requisiten. Kostüme. Der charmante Herr mit den vier Schecks. Von mir ausgehändigt. Banksekretärin bin ich, eine Große der Bühne werde ich. 200.000 Schilling waren es. Und wir sind mit 4.500 Schilling gerettet. Nur Vorschuss. Helfen kann er. Helfen muss er. Helfen wird er.
Wir alle verdienen Geld, mehr oder weniger. Aber wir leben nur für die Bühne. Sie beherrscht uns. Von ihr aus wollen wir unterhalten, erfreuen, belehren, bekehren und auch schockieren. Gierig sind wir nach Applaus. Und lieber ernten wir Pfiffe als unterdrücktes Gähnen.
So verschieden sind wir und haben doch ein Ziel: Leben vermitteln. Tot sein können wir noch sehr lange. Bis dahin soll alles intensiv sein. Sich lieben, sich streiten, sich trennen, sich sehnen, stets mit allen Sinnen. Stillstand? Nicht, wo wir auftreten.
Noch sind wir Amateure. Unsere Zukunft: Die Passion zur Profession machen. Das von mir Geschriebene dargestellt sehen. Durch meine Freunde. Wir glauben an die Macht des Verwandelns.
Wenig weiß ich, vieles ahne ich. Ein nur noch auf Abruf Lebender übernimmt die Verantwortung für den zehnjährigen Sohn seiner toten Geliebten, der schon töten wollte. Viel Sterben bietet diese Geschichte. Er soll sie aufschreiben, bat ich ihn. Möge es ihm gelingen. Viel Zeit wird sein Leib ihm nicht gönnen.
Kriegsverbrecherprozess spielten sie. Der Kleine war Vorsitzender des Tribunals und verurteilte seinen noch kleineren Freund zum Tod durch Strang. Knapp wurde das Vollstrecken verhindert.
Seine Mutter wolle er nie wieder sehen, sagt der weggelegte Junge. Dieser Wunsch geht in Erfüllung. Alle hassen ihn, meint er. Kein Mensch hasse ihn, antworte ich. Was soll man sonst sagen. Und jetzt nimmt der Todkranke sich des Mörderknaben an. Viel falsch machen kann er nicht. Der Bub scheint ihm zu vertrauen. Ruhig wirkt er wie noch nie.
Diese junge Kraft lenken, leiten, erziehen. Mit unserer Hilfe natürlich. Das wäre ein Vermächtnis. Denn kein Heranwachsender ist nur böse. Auch wenn er sich derzeit noch erfreut am Quälen von Mäusen mit Nadel und Klebstreifen. Wer geliebt wird, kann lieben. Irgendwann. Daran glaube ich.
Mein Sohn muss die Schule verlassen. Schon wieder hat er ein Mädchen geschlagen. Wie vor ein paar Monaten. Hat ihm schwere Verletzungen zugefügt. Sie sprechen von Nötigung. Mit zehn Jahren!
Ich habe ihn Mädchenhass nicht gelehrt. Meine Frau auch nicht. Was sollen wir tun? Uns schämen? Ihn weggeben? Ihn bestrafen? Wie denn? Umerziehen? Viele Fragen, keine Antwort.
Am Stadtrand bauen sie ein Heim, sie nennen es Kinderhotel. Für Störende und Gestörte. Schlagende und Geschlagene. Drohende und Bedrohte. Dazwischen ein paar Unbeteiligte. Gelehrt und erzogen von geduldig hoffenden Seelen. Eine letzte Station für unseren Übeltäter?
So werde ich mich ihm nähern. Ähnliche Sorgen haben wie er. Die Ratlosigkeit als Königin der Täuschung. Sein Vertrauen gewinnen. Freundschaft schließen. Besuchen statt verhaften. Plaudern statt verhören. Das ihn erleichternde Geständnis zwischen zwei Gläsern Whisky. Der Kommissar als Beichtvater.
Dreiunddreißig war ich beim nächsten Romanversuch. Was mir erst später auffiel: Zuerst rechnete ich mit dem lieben Gott ab, danach mit dem Dritten Reich. Ich schenkte dem, an den ich nicht glaubte, einen ironisch rührenden Titel und machte Ihn zum Beschützer der Liebenden, weil eine gläubige Doppelmörderin sich in einen Gottlosen verliebt und Trost beim Allerbarmer sucht.
Ständiger Ortswechsel sollte das Handeln der Menschen beschleunigen. Berlin, Rio, München, Salzburg und Wien. Und alles mit exakten, planmäßigen Fahr- und Flugzeiten. Es sollte typisch für mich bleiben. Oft wurde ich dafür gelobt und belächelt.
Rezensenten wollen immer einordnen. Das fiel ihnen nach wie vor nicht leicht. Thriller, Edel-Reißer, Kriminalroman, Liebesroman, Kombination von beidem, Unterhaltung, Abenteuer, Reportage, Spannungs- und Herzensroman. Keines dieser Wörter hat mich je beleidigt. Nur mit dem Adjektiv oberflächlich konnten sie mir weh tun. Und taten es auch.
Was ich weiter führte: das unhappy End. Beim Geständnisbuch ein toter Ich-Erzähler, jetzt zwei Hauptpersonen mit letalem Ende: ein Suizid und ein Flugzeugabsturz. Die offenbar läuternde Kraft des Sterbens. Sind überlebende Helden verdächtig?
Noch reichten mir 250 bis 300 Buchseiten. Noch traute ich mich nicht an das Doppelte und Dreifache heran. Noch war ich kein König der Auflagen.
Tot ist sie. Und ständig da. Sie schaut mich an. Spricht zu mir. „Gott schützt die Liebenden“, das waren ihre letzten Worte, als ich sie verließ. Gläubig war sie. Aber ein Gott, der nicht existiert, kann niemanden beschützen.
Ich Einbeiniger. Eine schöne Prothese hat mir der Krieg geschenkt. Gehen kann ich, laufen nicht.
Und jetzt kann ich vor allem liegen. Im Bett. Noch lange. Einschuss knapp unter dem Herzen.
Aufschreiben will ich alles. Dem Unfassbaren Worte geben. Und es verstehen. Versuchen kann ich es. Die Schreibmaschine ist bereit.
Womit beginnen? Unsere letzte Nacht. Vor zwei Monaten. Nach einem wunderbaren Jahr mit einer Frau, die ich nicht kannte. Und die mich erschießen wollte.
Sieben Stunden von Lissabon nach Dakar. Acht nach Recife. Nochmals sieben nach Rio. Und dann endlich wieder zuhause. Bei meiner Frau mit dem Babybauch. Ich und Vater.
Weniger Passagiere als Besatzung. Die Armaturen bedienen und dabei mit dem deutschen Reporter reden. Sein Portugiesisch ist nahe bei null, mein Deutsch ganz bei null. Es lebe die englische Sprache!
Verliebt ist er immer noch. Seit einem Jahr. Kinder kann sie nicht bekommen. Was ihm nichts ausmacht. Reporterkinder sind nicht glücklich, meint er scherzend. Sind Pilotenkinder glücklicher? Wir werden sehen.
Von einem Mann erzählt er mir, der mit seiner Katze aus Dresden flüchtete. Nach Berlin West. Wo die Katze bleiben muss. Denn nur Menschen dürfen weiter fliegen nach Düsseldorf. Ganz verzweifelt ist er. Asyl für Katzen gibt es nicht. Sie werden ja nicht verfolgt.
Von Rio kommt er geflogen. Wollte sie heiraten. Verdächtig wirkt er nicht auf mich. Detailliert erkläre ich ihm, was mir das stumme Mädchen aufgeschrieben hat. Sie hörte Schüsse und Hilfeschreie, betrat die unversperrte Wohnung, sah Blut in Schlafzimmer und Stiegenhaus, aber keine Leiche.
Während meiner Schilderung für den Zurückgekehrten nickt sie, heftige Gurgellaute von sich stoßend. Ein gelähmtes Rachensegel hat die Arme, kein Wort kann sie bilden. Nur schreien und kreischen. Wird eine hübsche Frau werden. Sprachlos schön.
Mir geht es nur etwas besser. Mit der neuen Zahnprothese verlassen die Zischlaute den Mund so, dass mich alle entsetzt anstarren. Ich meide schon die Worte mit S, Z und Sch. Das mindert den Redefluss ordentlich. Und mein Auftreten. Der nuschelnde Kriminalbeamte. Ich bin schon froh, wenn die nicht lachen.
Seit zehn Jahren kenne ich sie. Jetzt, wo sie verschwunden ist, befragt er mich. Er ist der Geliebte. Was soll ich wissen? Per du sei ich mit ihr gewesen. Ja, sie gehörte zu den Leuten, die mich in Berlin halten. London hat mich gerettet. Meine Frau ist tot. Sie blieb hier. Wollte woanders nicht leben.
1946 kam ich zurück. Fühle mich wohl in dieser umzingelten und doch geschützten Stadt.
Sie war eine von uns, die nicht ganz reinen Herzens sind. Und liebte zuletzt nur noch ihn. Davor Männer im Plural.
Ob sie mit Nachrichtendiensten zu tun hatte? Was für eine Frage in Berlin. Wer zahlt, wird informiert. Bundesnachrichtendienst, Staatssicherheit, Washington, Moskau, was die alles wissen wollen.
Ich lebe mit einem Mann zusammen, den ich nicht liebe. Aber begehre. Seine Frau mag mich, ist jedoch eifersüchtig. Mein Mann liebt mich, begehrt mich aber nicht. Und zog weg. Und schenkte mir ein Pferd.
Der Geliebte meiner besten Freundin. Die unauffindbar ist. Seit dem Tag, als ich mit ihr in der Konditorei war. Italienische Männer starrten uns dort an. Unangenehm. Sie wollte gehen. Kannte sie die Italiener? Unwahrscheinlich. Doch seitdem ist sie einfach weg. Und sie lebte ein paar Jahre in Rom.
Kein gewinnender Mensch ist er. Wegen ihm reduzierte sie ihre Freundschaften. Ich verstehe sie nicht. Aber gut, verstehe ich mich?
Anzeige gegen mich wegen kommunistischer Propaganda. Ich fasse es nicht. Meine Schwester meinte, wir müssen ins Fernsehgeschäft einsteigen, Radio allein reicht nicht mehr aus.