Journalistisches Schreiben - Alexander Mäder - E-Book

Journalistisches Schreiben E-Book

Alexander Mäder

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Beschreibung

Früher mussten Radio oder Fernseher zur richtigen Zeit eingeschaltet werden, um von wichtigen Ereignissen zu erfahren. Im Zeitalter grenzenloser Vernetzung prasseln neue Nachrichten heute im Sekundentakt auf uns ein und buhlen um Aufmerksamkeit – sei es über Infoscreens in U-Bahnstationen oder Push-Nachrichten auf dem Smartphone. Doch Meldungen werden häufig nicht danach ausgewählt, ob sie wichtig oder interessant sind, sondern nach der Aussicht auf Klicks, Likes und Shares. Wie aber können Journalistinnen und Journalisten die Öffentlichkeit nicht nur korrekt über ein wichtiges Ereignis informieren, sondern ein Publikum für ihre Nachricht gewinnen und auch komplexe Zusammenhänge erklären?   In dieser umfassenden Einführung legt Alexander Mäder die Grundlagen journalistischen Schreibens offen. Anhand von zahlreichen Praxisbeispielen veranschaulicht er, wie Journalistisches Schreiben gelingt – von der Quellenrecherche über die Faktensicherung bis hin zum stilistischen Feinschliff. Er gewährt Einblick in die Arbeitsweise von Redaktionen, gibt Textstrategien an die Hand und öffnet den Blick für die Vielzahl an Möglichkeiten journalistischen Schreibens.

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Seitenzahl: 341

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Alexander Mäder

Journalistisches Schreiben

Grundlagen und Möglichkeiten

Reclam

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962165-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-11415-5

www.reclam.de

Inhalt

Einleitung: Wozu Journalismus?

Partei ergreifen für das Publikum

Auswege aus der Abwärtsspirale

Bedienungsanleitung für das Buch

Berichten

Grundlagen: Die Neuigkeit bekanntgeben

Die Botschaft einer Meldung

Der Stil einer Meldung

Die Auswahl einer Meldung

Herausforderungen: Die Fakten zusammentragen

Welche Fragen muss ich beantworten?

Wie zitiere ich richtig?

Wie überprüfe ich meinen Artikel?

Möglichkeiten: Die Zusammenhänge erklären

Im Auftrag des Publikums auswählen

Die Fakten unabhängig prüfen

Verantwortung übernehmen

Erzählen

Grundlagen: Augen öffnen

Viel zeigen und wenig interpretieren

Farbenfrohe Adjektive und luftige Metaphern

Interviews und ihre Autorisierung

Herausforderungen: Distanz wahren

Die Nahaufnahme

Die Totale

Die Überleitungen

Möglichkeiten: Komplexität zulassen

Vorsicht beim Verdichten von Szenen

Vorsicht beim Auswählen der Details

Vorsicht bei der Vogelperspektive

Kommentieren

Grundlagen: Eine Diskussion anregen

Laut und leise kommentieren

Wert- und Sachaussagen unterscheiden

Analysieren und argumentieren

Herausforderungen: Einen Standpunkt verteidigen

Die Rezension

Die Analyse

Das Diskussionsforum

Möglichkeiten: Eine Brücke bauen

Mit Gegenmeinungen umgehen

Mit Unsicherheiten umgehen

Mit Fehlern umgehen

Schluss: Journalistisches Marketing

Einladende Titel und Teaser

Bereichernde Bildunterschriften

Häppchen für Social Media

Literaturempfehlungen

Literaturhinweise

Abbildungsnachweis

Glossar

Sachregister

Einleitung: Wozu Journalismus?

Sie möchten also journalistisch schreiben. Das freut mich. Aber wissen Sie auch, worauf Sie sich einlassen? Reden wir darüber, was Sie erwarten dürfen. Im Journalismus geht es darum, das Publikum knapp und verständlich zu informieren, die Texte sind für die schnelle Orientierung gedacht. Der Journalismus bietet Ihnen zwar neben den nüchternen Nachrichten über aktuelle Ereignisse auch spannende Geschichten, persönliche Begegnungen und tiefgründige Analysen. Als Journalistin und Journalist schreiben Sie Texte, die Ihr Publikum mit Lust liest. Doch am Ende soll Ihr Publikum die Welt besser begreifen, und hinter diesem Ziel steht das schöne Schreiben zurück. Eine kunstvoll formulierte Passage, die Ihr Publikum zweimal lesen muss, um sie zu verstehen, gehört zum Beispiel nicht in Ihre journalistischen Artikel.

In diesem Buch werde ich eine Reihe von Regeln und Rezepten vorstellen, die Ihnen helfen sollen, zuverlässig und zügig journalistische Texte zu schreiben. Sie erlernen also ein Handwerk – eins, das sich auch dann noch lohnen wird, wenn uns Künstliche Intelligenzen einmal das Schreiben vieler Texte abnehmen sollten. Denn mit dem Schreiben ist eine Vorstellung davon verbunden, was es heißt, Menschen zu informieren – und davon versteht ein Computer nicht viel. Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen manche journalistische Gepflogenheit schnöde vorkommen wird, aber ich werde mich bemühen, den Sinn dahinter zu erläutern. Die Regeln und Rezepte dienen alle in der einen oder anderen Weise dazu, die Texte einem breiten Publikum nahezubringen. Sie machen sie zugänglicher oder verständlicher.

Vielleicht erwarten Sie ein wenig mehr vom Schreiben: möchten vielleicht einen unverwechselbaren Stil entwickeln. Ich würde Sie um Geduld bitten. Ihr persönlicher Stil wird sich mit der Zeit fast wie von selbst entwickeln. Sie müssen vor allen Dingen viel schreiben – und zur Inspiration viel lesen. In diesem Buch erläutere ich Ihnen, wie im Journalismus üblicherweise getextet wird. Ich habe dazu einige Jahre lang in verschiedenen Redaktionen Erfahrungen gesammelt. Aber im Journalismus laden die Regeln auch dazu ein, gelegentlich gebrochen zu werden. Wenn Sie also anders schreiben wollen und eine Redaktion finden, die das unterstützt, und natürlich ein Publikum, das diese Texte gerne liest – nur zu!

Ein Praktikant hat mir einmal gestanden, dass er in der Redaktion ein geschäftiges Treiben erwartet habe, Aufregung bei jeder neuen Nachricht. Doch die Redakteurinnen und Redakteure bekommen jeden Tag Hunderte Nachrichten auf ihre Bildschirme gespielt, und bei den allermeisten wissen sie, was zu tun ist. Routine und Erfahrung ermöglichen es ihnen, schnell und mit kühlem Kopf auf neue Ereignisse zu reagieren. Obwohl der Journalismus ein kommunikativer Beruf ist, in dem Sie häufig mit Ihren Kolleginnen und Kollegen um den richtigen Schwerpunkt und die richtige Formulierung ringen, müssen Sie nicht jedes Detail besprechen. In vielen Dingen sind Sie sich von vornherein einig, weil Sie die Arbeitsabläufe und Qualitätsstandards verinnerlicht haben.

Aber lassen Sie sich nicht täuschen: Auch wenn das journalistische Schreiben oft ausgetretenen Pfaden folgt, ist die Arbeit abwechslungsreich und anspruchsvoll. Sie haben es jeden Tag mit neuen Menschen und ihren Geschichten zu tun. Sie müssen komplexe Themen in kurzer Zeit durchdringen und für ein Laienpublikum verständlich aufbereiten. Und nicht zuletzt: Was Sie schreiben, wird gelesen und kritisch diskutiert. Sie greifen gesellschaftlich relevante Themen auf und informieren Ihr Publikum so, dass es mitreden kann. Diese Herausforderungen machen es immer wieder spannend.

Der Reclam Verlag hat mich gebeten, kein Lehrbuch zu schreiben – zumindest soll das Buch nicht auf den ersten Blick wie ein Lehrbuch wirken. Also werde ich nicht nur Regeln und Rezepte aufzählen, sondern Ihnen auch ein paar Geschichten aus dem journalistischen Alltag erzählen. Das passt gut, denn das journalistische Schreiben lässt sich von der redaktionellen Arbeit und der Recherche nicht trennen: Wenn Sie über ein wichtiges Ereignis berichten möchten, dann müssen Sie zunächst gemeinsam mit Ihren Kolleg:innen klären, was daran so wichtig und berichtenswert ist. Dann führen Sie Interviews und lesen Dokumente. Erst danach fangen Sie an zu schreiben. In Teilen ist dieses Buch eine Einführung in den Journalismus und daher auch für Leser:innen gedacht, die einfach nur wissen möchten, wie die Artikel zustande kommen, die sie jeden Tag lesen.

Partei ergreifen für das Publikum

In manchen Redaktionen sieht die Arbeit anders aus, als ich es eben beschrieben habe: Dort werden mit minimalem Aufwand wie am Fließband Texte produziert, was die meist jungen Redakteurinnen und Redakteure frustriert. Sie müssen die zehn schönsten Biergärten der Stadt vorstellen, obwohl sie lieber der Frage nachgehen würden, warum die Schlangen bei der Essensausgabe der Tafel so lang geworden sind. Aber aus der Verlagsleitung bekommen sie zu hören, dass man Geld verdienen müsse. Und da die Tafel-Kund:innen vermutlich kein Zeitungsabo abschließen werden, nimmt man zahlungskräftigere Zielgruppen in den Blick. Vielleicht erschreckt Sie diese nüchterne ökonomische Sichtweise? Ich stoße mich auch daran, denn Journalismus ist aus meiner Sicht mehr als nur ein Geschäft. Dann lassen Sie uns dagegenhalten und klar formulieren, was Journalismus stattdessen ausmacht.

Die Berufsbezeichnung »Journalist:in« hilft uns nicht weiter, denn in Deutschland ist der Beruf nicht reguliert. Im Grundgesetz steht: »Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.« (Artikel 5) Der Staat mischt sich also nicht ein, und alle, die sich Journalistin oder Journalist nennen möchten, dürfen das tun. Die journalistischen Fachverbände schauen genauer hin, wenn sie einen Presseausweis ausstellen, und verlangen den Nachweis, dass man mit journalistischer Arbeit Geld verdient. Aber was zählt als journalistische Arbeit und wo zieht man die Grenze zu Tätigkeiten wie der Öffentlichkeitsarbeit oder dem Marketing? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir besprechen, für wen Journalistinnen und Journalisten arbeiten – wem ihre oberste Loyalität gilt. Sie sollen unabhängig berichten und nicht auf Bestellung. Aber in wessen Auftrag sind sie dann unterwegs?

Für wen arbeiten Journalistinnen und Journalisten?
(1)

Journalist:innen recherchieren und schreiben für die Öffentlichkeit. Die Medien werden schließlich die vierte Gewalt im Staat genannt – neben dem Gesetzgeber (der Legislative), den Regierungen und Behörden (der Exekutive) und den Gerichten (der Judikative). Ich glaube, dass sich die meisten Journalist:innen in dieser Pflicht sehen. Sie wollen im Auftrag der Öffentlichkeit herausfinden, wo die wichtigsten Probleme liegen und wie sie sich lösen lassen. Was die Menschen zur Tafel bringt und wie man sie unterstützen sollte, sind solche Fragen, die aus Sicht der Öffentlichkeit eine journalistische Recherche rechtfertigen. Doch die Journalist:innen werden – vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgesehen – nicht von den Bürger:innen bezahlt.

(2)

Arbeiten Journalist:innen dann also im Auftrag der Abonnent:innen, von denen sie bezahlt werden? Wenn das so wäre, dürften die Abonnent:innen entscheiden, ob über die Tafeln berichtet wird. Man könnte sie fragen, ob sie sich für diese sozialen Themen interessieren. Doch wie würden Sie als Journalistin oder Journalist reagieren, wenn sich das zahlende Publikum nur belanglose Unterhaltung wünscht? Suchen Sie sich dann ein anderes Publikum?

(3)

Es gibt noch eine dritte Option: Journalist:innen können sich als Ziel setzen, dass sich die Investitionen ihrer Arbeitgeber am Ende rentieren. Von ihnen erhalten sie tatsächlich ihr Gehalt. Wer in dieser Weise ökonomisch denkt, gestaltet die journalistischen Produkte so, dass sie sich möglichst gut verkaufen. Aber für diese Herangehensweise gibt es Grenzen: Auch wenn sich die journalistischen Beiträge gut verkaufen sollen, müssen sie mit der gebotenen journalistischen Unabhängigkeit verfasst und kritisch geprüft worden sein.

In der Medienwelt sind alle drei Positionen zu finden, oft in einer Mischform, und die Journalistinnen und Journalisten können sich nicht völlig frei für eine davon entscheiden. Die erste Option können sie nur wählen, wenn sich die Gesellschaft diesen Journalismus auch leisten möchte, und bei der zweiten Option spielt eine Rolle, was die Abonnent:innen denken. Aber eins können Journalistinnen und Journalisten tun, und dazu soll dieses Buch beitragen: Sie können zeigen, wozu guter Journalismus imstande ist. Zeigen, dass sie mit ihren Artikeln dem Publikum helfen, die Welt zu verstehen. Zeigen, dass der demokratische Austausch ärmer wäre ohne ihre Berichterstattung. Und vielleicht können sie sogar zeigen, dass sich dieser Journalismus gut verkauft. Ich werde in diesem Buch immer wieder von einem breit aufgestellten Publikum ausgehen, wenn ich journalistische Strategien begründe – eine Mischform, die zahlende Abonnent:innen und nicht zahlende potenzielle Abonnent:innen umfasst. Für sie sollten Journalist:innen meines Erachtens Partei ergreifen.

Mit rund 170 Arbeitsplätzen ist der 2023 fertiggestellte Newsroom der Deutschen Presseagentur in Berlin etwas kleiner als sein Vorgänger, denn die Redakteur:innen sind mobiler als vor der Pandemie. Geblieben ist die Idee, die Wege kurz zu halten, um das multimediale Angebot auch bei sogenannten »Großlagen« wie dem Ukraine-Krieg gut abzustimmen. Trotz der vielen Menschen ist es in Newsrooms übrigens erstaunlich ruhig.

Die Voraussetzungen für diesen Journalismus sind leider nicht gut: Viele Redaktionen können nicht aus dem Vollen schöpfen, sondern verwalten einen Mangel. Die Auflagen sinken und sinken. Und die Öffentlichkeit hat große Vorbehalte. In den Pandemiejahren hat Cornelia Betsch von der Universität Erfurt mit ihrem Team die Einstellungen der Deutschen Woche für Woche analysiert. Ein Ergebnis: Sie vertrauen den Medien meistens noch weniger als der Bundesregierung, die Wissenschaft genießt hingegen viel Vertrauen. Was läuft da schief, wenn Journalist:innen ihre Corona-Berichterstattung doch wesentlich auf den Aussagen von Wissenschaft und Bundesregierung aufbauen?

In einer anderen großen Umfrage, dem »Digital News Report« des Reuters Institute der Universität Oxford, sagte 2023 zwar eine Mehrheit der Befragten, dass sie den Nachrichten von ARD und ZDF vertraue, auch die Süddeutsche Zeitung, die FAZ und die Welt erzielten ähnliche Werte. Aber knapp 20 Prozent vertrauen diesen klassischen Medien nicht, und weitere 20 bis 30 Prozent sind sich nicht sicher, ob sie es sollten. Wie will man ein skeptisches Publikum überzeugen, wenn man nicht die Ressourcen hat für die nötige Qualität? Ist man nicht in einer Abwärtsspirale gefangen: Weniger Ressourcen heißt geringere Qualität, und das wiederum heißt weniger Abonnements – und damit noch weniger Ressourcen? Eine Antwort darauf: Journalist:innen sollten die verbleibenden Ressourcen möglichst effektiv einsetzen. Lassen Sie mich an einem Beispiel erläutern, wie ich das meine.

Auswege aus der Abwärtsspirale

Nehmen wir die Klickzahlen für journalistische Inhalte, die in den vergangenen Jahren in fast allen Redaktionen nach oben gegangen sind. Viele sehen darin eine Bestätigung der journalistischen Arbeit. Zwar sinkt die Zahl der Abonnements, aber das Interesse an journalistischen Beiträgen bleibt erhalten – lässt sich sogar ausbauen. Deshalb könnte man sich nun das Ziel setzen, die Klickzahlen weiter zu erhöhen: Man möchte, dass die Website der Redaktion häufiger oder von mehr Menschen besucht wird – weil man dort mehr Artikel veröffentlicht oder häufiger beliebte Themen bearbeitet oder beides. Auch wenn ich die Ressourcen anders einsetzen würde, möchte ich erst einmal das Argument erläutern, das für diesen Ansatz spricht.

Das Argument beginnt mit der Beobachtung, dass Produkte, die in der gedruckten Welt eine Einheit bilden (beispielsweise alle Artikel einer Zeitungsausgabe), im Netz in ihre Bestandteile zerlegt werden: Jeder Artikel ist einzeln abrufbar. In den Sozialen Medien werden die Beiträge noch weiter zerkleinert in Häppchen, die sich teilen lassen, beispielsweise Fun Facts und Statements. Mit diesen kleineren und größeren Brocken der Berichterstattung treten Redaktionen heute an ihr Publikum heran, und der Weg zu einem Abonnement ist weit. Sie müssen daher die Leser:innen Schritt für Schritt in loyale Kund:innen verwandeln: Erst versuchen sie vielleicht, ihnen einen zweiten Artikel schmackhaft zu machen, dann bieten sie ihnen einen kostenlosen Newsletter an, um sie irgendwann einmal als zahlende Abonnent:innen zu begrüßen.

Bei jedem Schritt verliert die Redaktion viele Menschen; die sogenannte Konversionsrate ist meist sehr klein. Nehmen wir ein fiktives Beispiel: Wenn 10 000 Menschen einen Artikel lesen, lesen 1000 davon einen zweiten und 100 folgen anschließend der Redaktion auf einem ihrer Kanäle. Von ihnen schließen am Ende vielleicht zehn ein Probe-Abo ab, das neun bald wieder kündigen. Viele Chefredaktionen und Verlagsleitungen argumentieren daher so: »Wenn wir aus 10 000 Leser:innen eine loyale Abonnent:in gewinnen, dann würden wir aus 20 000 Leser:innen zwei loyale Abonnent:innen gewinnen. Also lasst uns mit unseren Artikeln möglichst viele Menschen erreichen, weil wir auf diese Weise die meisten loyalen Abonnent:innen gewinnen!«

Die Zeitung elektronisch zu lesen, wird für Kund:innen immer attraktiver. Doch die steigenden Abozahlen der E-Paper machen die Verluste im Printgeschäft nicht wett. Die meisten Zeitungen verlieren Jahr für Jahr ein paar Prozent ihrer gedruckten Auflage. (Quelle: Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger, https://www.bdzv.de)

In dieser Argumentation wird die Konversionsrate als fix angesehen, doch das ist sie nicht. Wenn die Redaktion zum Beispiel mit reißerischen und übertriebenen Überschriften Leser:innen anlocken würde, könnte sie vielleicht die Klickzahlen nach oben treiben. Gleichzeitig würde sie die Konversionsrate senken, denn wer interessiert sich für einen zweiten Artikel auf der Website, nachdem der erste so enttäuschend war? Ein Abo schließt nur ab, wer sich von der konstant guten Leistung der Redaktion überzeugt hat. Umgekehrt müsste es möglich sein, die Konversionsrate zu erhöhen: also die Leser:innen durch guten Journalismus für sich zu gewinnen. Über diese Option wird deutlich seltener gesprochen als über die Erhöhung der Klickzahlen.

Und es gibt ein Verkaufsargument, das bisher nur wenig genutzt wird: die Leistung der Redaktion. In der Argumentation, die ich skizziert habe, spielen vor allem einzelne Artikel eine Rolle. Doch eine Redaktion tut idealerweise viel mehr, als gründlich recherchierte und sorgfältig redigierte Artikel zu publizieren. Denken Sie zum Beispiel an eine Naturkatastrophe als Thema der Berichterstattung:

Was leistet eine Redaktion?

Redaktionen stellen nicht nur die Informationen zusammen, sondern prüfen sie – unterscheiden zwischen dem, was man weiß, und dem, was man nicht weiß. Sie achten darauf, die Lage angemessen darzustellen und nicht mit Gefühlen zu spielen.

Redaktionen behalten das Thema im Blick, wenn sich die öffentliche Aufmerksamkeit schon auf das nächste Drama richtet. Sie kehren zum Ort des Geschehens zurück, wenn es Neues zu berichten gibt – und auch, wenn sich dort nichts tut, obwohl alle versprochen hatten zu helfen.

Redaktionen betrachten das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven: Sie berichten über die Verluste der Anwohner und den Wiederaufbau, über die wirtschaftlichen Folgen, die politische Verantwortung und die neuen technischen Schutzmaßnahmen. Mit der Zeit entsteht so ein vielfältiges und umfassendes Bild der Lage.

Redaktionen setzen dabei Qualitätsstandards durch, die für die ganze Berichterstattung gelten: Sie sollten keine wichtige Perspektive übergehen, sie sollten keinen Verantwortlichen davonkommen lassen, sie sollten nichts beschönigen, aber auch die Lage nicht ungerechtfertigt dramatisieren – und wenn sie etwas falsch berichtet haben, sollten sie ihre Fehler transparent korrigieren.

All das bezahlt man mit einem Abo mit. Redaktionen sollten ihrem Publikum daher genauer erklären, was sie tun und welche Rolle der einzelne Artikel in ihrer Arbeit spielt. Sie würden so der digitalen Zersplitterung ihrer Produkte entgegenwirken und stärker dafür werben, dass man mit einem Abonnement nicht nur eine bestimmte Zahl an Artikeln kauft, sondern die redaktionelle Arbeit insgesamt unterstützt. Leider bleibt die Leistung von Redaktionen auch im Journalismus oft im Hintergrund: Erscheint ein guter Artikel, werden die Autorin oder der Autor gelobt; erscheint hingegen ein schlechter Artikel, werden die Redakteurin oder der Redakteur gefragt, warum sie nicht besser redigiert hätten. Dabei sind journalistische Artikel im Idealfall immer Gemeinschaftsproduktionen.

In diesem Buch wird es nicht um die Arbeit der Redaktionen gehen, es ist vielmehr ein Buch für angehende Autorinnen und Autoren. Doch mir ist es ein Anliegen, das journalistische Schreiben gleich in einen größeren Kontext zu setzen: Es ist vor allem dann erfolgreich, wenn die Autor:innen in eine gute Redaktion eingebunden sind. Viele der journalistischen Entscheidungen, die ich in den folgenden Kapiteln diskutieren werde, treffen Sie als Autorin oder Autor nicht allein, sondern gemeinsam mit Ihren Kolleg:innen.

Die Konversionsrate zu erhöhen ist nur ein Beispiel dafür, wie man im Journalismus andere Prioritäten setzen könnte. Ein anderes Beispiel betrifft den Anspruch, möglichst viele Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Das wirkt offen und demokratisch, doch wenn sie nicht aufpassen, fördern Journalist:innen auf diese Weise eine Debattenkultur, in der man mit Falschaussagen durchkommt, weil alles unterschiedslos zitiert wird. Journalist:innen sollten nicht gleichgültig werden, sondern die Aussagen prüfen und nur die interessanten und relevanten zitieren. Auch hier sehe ich einen Ansatz, der Abwärtsspirale zu entkommen: Ich würde die knappen Ressourcen nicht dafür verwenden, zu allen Themen alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, sondern in ausgewählten Themen die Fakten zu checken, um den Leser:innen einen echten Mehrwert zu bieten. Da ich dieses Argument am Ende des Buchs noch ausführen werde, halte ich mich an dieser Stelle kurz.

Bedienungsanleitung für das Buch

Die wichtigste Voraussetzung für das journalistische Schreiben bringen Sie hoffentlich mit: Es ist nicht das Schreibtalent, sondern das Interesse an der Welt. An Dingen, die Ihnen bisher fremd sind. Wenn Sie ein oder zwei Lieblingsthemen haben und die Öffentlichkeit darüber aufklären möchten, dann können Sie mit den Regeln und Rezepten in diesem Buch zwar gute journalistische Texte darüber verfassen. Doch als Journalist:in sollten Sie sich nicht zu sehr einengen, im Beruf müssen Sie neugierig sein auf Neues.

Warum denn?, könnten Sie erstaunt fragen. Ist es heute nicht wichtig, als Journalist:in authentisch zu sein? Gehört nicht Leidenschaft für die Themen dazu, über die man schreibt? Das ist schon richtig, würde ich meine Antwort beginnen. Ich habe als Journalist am liebsten über Themen aus der Wissenschaft geschrieben, beispielsweise über Raumfahrt und Psychologie. Doch ich habe mich nicht als Journalist gesehen, der nur über diese Themen schreibt, sondern als Journalist, der über gesellschaftlich relevante Themen schreibt und sich auf wissenschaftliche Themen spezialisiert hat, sich aber auch auf andere spezialisieren könnte. Ich glaube, dass diese Offenheit im Journalismus nötig ist, weil man sonst die Verbindungen zwischen den Themenbereichen übersieht.

Es reicht zum Beispiel nicht aus, nur über Fußball schreiben zu wollen, denn Fußball kann auch politisch sein. Es reicht auch nicht aus, nur über Computertechnik schreiben zu wollen, denn die Digitalisierung ist mit sozialen Fragen verwoben. Und es ist sinnlos, über den Gemeinderat schreiben zu wollen, wenn man sich nicht für dessen Themen interessiert: Parkplätze, Grünanlagen, Wasserversorgung und so weiter. In diesem Buch werde ich daher Beispiele aus vielen Ressorts besprechen und hoffe, dass Sie alle so spannend finden wie ich.

Da das Schreiben nur einen Teil des Journalismus ausmacht, setze ich kein herausragendes Schreibtalent voraus. Sie können gut journalistisch arbeiten, ohne wirklich gut zu schreiben. Die Sprache sollten Sie als Werkzeug aber nutzen können, denn ich bin kein Deutschlehrer. Wenn Sie sich zum Beispiel bei der Zeichensetzung oder der Verwendung von Fremdwörtern unsicher fühlen, dann sollten Sie hierzu ein anderes Buch zu Rate ziehen. In Redaktionen werden Ihre Texte zwar vor der Veröffentlichung durchgesehen, doch es wird die Kolleg:innen nerven, wenn sie dauernd Schreibfehler korrigieren müssen.

Weil ich mich in diesem Buch auf das Schreiben beschränke, werde ich nicht alle Aspekte journalistischer Texte besprechen. Journalistische Beiträge werden heute fast immer multimedial gedacht und gewinnen vor allem durch ihre interaktiven Elemente. Darüber werde ich kaum etwas sagen. Nur im Schlusskapitel gehe ich darauf ein, in welcher Form die Texte auf der Website oder in der Zeitung präsentiert werden.

Ebenso wenig gehe ich darauf ein, wie man die Werkzeuge der Künstlichen Intelligenz (KI) nutzen kann, um bessere Texte zu schreiben. Ich teile zwar die Ansicht vieler Expert:innen, die Anfang 2023 wie elektrisiert waren, als sie ChatGPT und seine Verwandten ausprobierten: Digitale Werkzeuge werden die journalistische Arbeit grundlegend verändern. Einige davon werden Sie vielleicht schon kennen, etwa Online-Übersetzungen, aber es sind viele weitere denkbar. Hier eine Auswahl von Möglichkeiten, die das journalistische Schreiben betreffen:

Wie könnte die KI den Journalismus verändern?

Die KI kann Formulierungsvorschläge bieten – etwa für Überschriften – und Textbausteine liefern. Das spart Zeit und fördert vielleicht sogar Ihre Kreativität. Der Computer kann auch Ihre Artikel überprüfen und Sie darauf hinweisen, wenn Sie zum Beispiel eine der Regeln aus diesem Buch missachtet haben.

Die KI kann Artikel auf unterschiedliche Zielgruppen anpassen und sie beispielsweise in eine einfachere Sprache übertragen. Im Grunde benötigt der Computer zum Schreiben bloß eine Übersicht der Fakten und Zitate, die Sie recherchiert haben. Schon heute entstehen auf diese Weise automatisiert Wetter-, Börsen- und Sportberichte, weil die dafür nötigen Daten online zur Verfügung stehen.

Die KI kann bei der Recherche helfen, indem sie Fachbegriffe erläutert oder komplexe Ausführungen zusammenfasst. Weil sie gut darin ist, in großen Datensätzen Muster zu erkennen, kann sie früh auf Trends im Netz oder in den Sozialen Medien hinweisen. Und wir dürfen wohl damit rechnen, dass die Suchmaschinen in den kommenden Jahren noch zielgenauer die Inhalte finden werden, nach denen wir suchen.

Aber für Empfehlungen ist es noch zu früh. Während ich dieses Buch schreibe, liegen erst wenige Erfahrungen im journalistischen Umgang mit KI vor. Vielmehr müssen wir einige grundsätzliche Fragen klären. Wer trägt die Verantwortung für die Artikel der KI? Ich denke, dass sie bei den Journalist:innen bleibt. Wenn die KI bei den Fakten fabuliert, was sie immer wieder tut, dann müssen Journalist:innen diese sachlichen Fehler vor der Veröffentlichung herausfischen. Reden müssen wir außerdem über die Daten, mit denen KI trainiert worden ist: Die Computer haben das Schreiben am Beispiel von Abermillionen Texten gelernt. Was erhalten die vielen Autor:innen für diese unfreiwilligen Beiträge zur Entwicklung der KI? Und ich frage mich, wie sich journalistische Artikel von den maschinell erstellten Texten abheben werden? Manche fordern eine Kennzeichnungspflicht für automatisch generierte Artikel, aber ich könnte mir vorstellen, dass es umgekehrt laufen wird: dass Journalist:innen darauf achten werden, dass niemand ihre Texte für maschinengeschrieben hält. Das heißt, dass sie mit neuen Informationen, relevanten Einschätzungen und durchdachten Analysen aufwarten müssen, mit denen die Künstliche Intelligenz nicht dienen kann. Ein hoher Anspruch, den Redaktionen nur erfüllen werden, wenn sie mehr Zeit und Geld in das journalistische Schreiben investieren als heute.

Ich habe das Buch in drei Kapitel unterteilt, in denen ich erst die nachrichtlichen, dann die erzählerischen und schließlich die kommentierenden Artikel besprechen werde. Im ersten Kapitel geht es also darum, das Publikum sehr knapp oder ganz ausführlich über ein wichtiges Ereignis zu informieren. In diesen Texten werden Fakten übersichtlich zusammengestellt und komplizierte Zusammenhänge anschaulich erklärt – die Grundlage journalistischen Schreibens. Wenn Sie neu sind in diesem Berufsfeld, empfehle ich Ihnen, mit diesem Kapitel zu beginnen. Im zweiten Kapitel ergänzen wir diese nüchterne Darstellungsform um lebendigere Elemente: Wir erzählen aufschlussreiche Geschichten und porträtieren außergewöhnliche Menschen. Im dritten Kapitel wenden wir uns einer klar abgegrenzten Kategorie von Artikeln zu: den Meinungsbeiträgen. Sie sind abgegrenzt, weil Sie Ihre Meinung im Journalismus dosieren sollten – nur in bestimmten Fällen ist sie überhaupt gefragt, und dann sollte sie als Meinung erkennbar sein, damit niemand denkt, Sie wollten Ihre Ansichten als vermeintliche Fakten verbreiten.

In jedem der drei Kapitel erläutere ich die Grundlagen und die Möglichkeiten, wie es der Titel des Buchs verspricht. Die Grundlagen habe ich allerdings in zwei Schritte aufgeteilt: Erst stelle ich die Grundlagen vor, die man als Anfänger kennen sollte. Im jeweils zweiten Abschnitt geht es dann um Herausforderungen, die sich schon an Fortgeschrittene richten. Am Ende jedes Kapitels werfe ich dann einige aktuelle Fragen auf, die in Branchenkreisen diskutiert werden, und werbe für die Möglichkeiten eines besseren Journalismus. Weil ich mich nicht zu sehr wiederholen möchte, diskutiere ich manche Punkte nur an einer Stelle im Buch, obwohl sie an mehreren passen würden. Sollten Sie daher eine konkrete Frage haben, nutzen Sie bitte das Glossar sowie das Register, um die richtige Stelle zu finden.

Immer wieder werde ich die Regeln und Rezepte an Textbeispielen erläutern, die mir Kolleginnen und Kollegen freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben. Ich danke ihnen herzlich! Ich habe sie bewusst um alltägliche, solide Textbeispiele gebeten, weil man aus ihnen mehr lernen kann als aus preisgekrönten Ausnahmestücken. Schließlich möchte ich nicht, dass Sie stundenlang an einem Absatz feilen, nur damit er so geschliffen wirkt wie ein kaum erreichbares ausgezeichnetes Vorbild. Ich wünsche mir vielmehr, dass Sie Lust am Schreiben entwickeln und viel schreiben. Denn mit Übung werden Sie besser, und schon nach den ersten Texten werden Sie merken, dass Ihnen manche der Regeln ganz geläufig geworden sind.

Suchen Sie sich also am besten eine Partnerin oder einen Partner, um sich auszutauschen und gegenseitig zu redigieren. Denn Journalismus ist, wie gesagt, Teamarbeit. Zwar verbringen Journalist:innen viel Zeit allein vor dem Bildschirm, schreiben, löschen und schreiben erneut, aber sie sind eingebunden in eine Redaktion oder arbeiten als Freiberufler:in mit Redaktionen zusammen. Und davon lebt der Journalismus: Sie wählen die Themen gemeinsam aus, besprechen zusammen den Aufbau und die Ziele des Artikels, und anschließend geht der Text so lange hin und her, bis alle zufrieden sind. Mit Kolleg:innen über Texte zu diskutieren, kann anstrengend sein und unter Zeitdruck auch einmal laut werden, doch die Texte werden dadurch besser. Das versichere ich Ihnen nach jahrelanger Erfahrung mit meinen eigenen Texten.

Dass Redigieren hilft, gilt auch für dieses Buch. Ich danke dem Reclam Verlag für den Auftrag zu diesem Buch und die kritische Durchsicht des Manuskripts. Außerdem danke ich den Studierenden aus meinen Einführungsseminaren an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Ihre Fragen und Einwände haben dieses Buch geprägt. Und nicht zuletzt danke ich den Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich über die Jahre zusammenarbeiten durfte. Es hat mir Spaß gemacht, und ich habe viel von euch gelernt.

Berichten

Grundlagen: Die Neuigkeit bekanntgeben

Eine gut formulierte Nachricht könnten Sie mit dem Megaphon auf dem Marktplatz verkünden – und alle würden Sie verstehen.

 

Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf dem Marktplatz Ihrer Stadt oder Ihres Dorfs und haben etwas zu sagen: Ein Sturm zieht auf, die Ladenmieten sind sprunghaft gestiegen oder ein Autofahrer hat ein Kind angefahren. Sie finden, dass alle davon wissen sollten – schließlich leben sie hier und interessieren sich vermutlich für die Dinge, die hier geschehen. Also stellen Sie sich auf ein Podest, nehmen ein Megaphon in die Hand und verkünden:

Ein Autofahrer hat vorhin auf der Bahnhofstraße ein neunjähriges Mädchen angefahren. Das Kind hat eine gebrochene Rippe und wird deshalb im Krankenhaus behandelt.

So dürfen Sie sich den Nachrichten-Journalismus vorstellen. Damit die Analogie zu einem Marktschreier stimmig wird, müssen wir noch hinzufügen, dass Sie sich in der Vergangenheit bereits einen Namen gemacht haben: Die Menschen, die an Ihnen vorbeieilen, wissen also, dass Sie zu einer Redaktion gehören, die Nachrichten professionell recherchiert und verbreitet. Einige werden an Ihrer Kompetenz und Aufrichtigkeit zweifeln, doch gemeinhin gelten Sie als jemand, der verlässlich informieren möchte. Wenn Sie sich auf die Analogie einlassen, verdeutlicht sie gleich mehrere Aspekte des Nachrichten-Journalismus.

Beginnen wir mit der Perspektive Ihres Publikums. Überlegen Sie einmal, wie Sie im echten Leben von wichtigen Ereignissen erfahren: Sie sehen eine Schlagzeile auf einem Infoscreen, während Sie auf die U-Bahn warten, oder Ihr Smartphone brummt, weil es eine Push-Nachricht empfangen hat. Während man früher das Radio oder den Fernseher zur richtigen Zeit einschalten musste, um sich zu informieren, kann man sich heute darauf verlassen, dass einen die wichtigen Nachrichten schon irgendwie erreichen. In der Analogie kommen die Menschen also nicht auf den Marktplatz, um Ihre Nachricht zu hören, sondern sind in Gedanken mit ihren eigenen Plänen beschäftigt.

Journalistinnen und Journalisten wie Sie sind daher in den vergangenen Jahren noch aufdringlicher geworden, als sie es ohnehin schon waren. Sie kämpfen um die Aufmerksamkeit des Publikums, das leicht abgelenkt ist, weil es nur mit einem Ohr zuhört und weil schon an der nächsten Ecke der nächste Marktschreier wartet. Gegen diese Konkurrenz müssen Sie sich durchsetzen, um die Aufmerksamkeit Ihres Publikums zu ergattern. Die Menschen haben sich indes an den Trubel gewöhnt und sind schon einigermaßen abgestumpft. Auf dem Marktplatz merken Sie das sehr bald: Während Sie vom Unfall erzählen, laufen viele an Ihnen vorbei, ohne Sie auch nur anzuschauen.

Immer wieder greifen Journalistinnen und Journalisten daher zu Tricks und locken das Publikum mit übertriebenen Versprechen, die von der eigentlichen Nachricht nicht gedeckt sind:

Dramatischer Unfall auf dem Bahnhofsplatz – wird das Mädchen überleben?

Im Online-Journalismus nennt man das »Clickbaiting«, weil die Redaktion in erster Linie auf den Klick aus ist und das Publikum nur zu diesem Zweck ködert. Doch Ihnen geht es auf dem Marktplatz um mehr: Sie möchten die Öffentlichkeit korrekt über ein wichtiges Ereignis informieren. Also überlegen Sie, was für Ihr Publikum das Wichtigste sein dürfte, und verdichten es auf einen Satz, den Sie den Menschen zurufen können, während sie an Ihnen vorbeilaufen: »Ein Autofahrer hat vorhin auf der Bahnhofstraße ein neunjähriges Mädchen angefahren.« Manche werden den Satz zur Kenntnis nehmen und weitereilen. Zu Hause werden sie sich vielleicht nicht mehr daran erinnern können, wo sie die Information zum Unfall aufgeschnappt haben – aber sie sind wenigstens grob im Bild. Andere werden auf dem Marktplatz stehen bleiben, um mehr zu erfahren. Das ist Ihre Chance. Doch was berichten Sie als Nächstes? Viel Zeit bleibt Ihnen nicht, Sie müssen schnell auf den Punkt kommen.

Also achten Sie darauf, dass Ihr Bericht keine nebensächlichen Details enthält: beispielsweise die Information, dass die Reparatur des Autos voraussichtlich 2000 Euro kosten wird. Wen interessiert das schon, wenn doch ein Mädchen verletzt worden ist? Sie lassen auch den Namen des Mädchens weg, weil Sie nicht möchten, dass es im Krankenhaus ungebetenen Besuch bekommt. Und Sie erwähnen das Kennzeichen des Autos nicht, denn die Polizei hat den Autofahrer schon ermittelt und er wird sich für den Unfall verantworten müssen. Sie wollen ihn nicht zusätzlich an den Pranger stellen.

Stattdessen erläutern Sie als Erstes, wie es dem Mädchen geht: »Das Kind hat eine gebrochene Rippe und wird deshalb im Krankenhaus behandelt.« Sie formulieren in einer leicht verständlichen Sprache, denn Sie möchten viele Menschen erreichen und es allen leicht machen, Ihren Ausführungen zu folgen. Sie rufen also nicht:

Im Kreuzungsbereich des Bahnhofsplatzes hat sich ein Kind in Folge eines Zusammenpralls mit einem Personenkraftwagen schwere Verletzungen zugezogen.

Denn so reden Sie auch sonst nicht: »Kreuzungsbereich« und »Personenkraftwagen« gehören nicht zum alltäglichen Wortschatz, Sie sagen üblicherweise »Kreuzung« und »Auto«. Die Formulierungen »in Folge eines Zusammenpralls« und »sich eine Verletzung zuziehen« stehen vielleicht im Polizeibericht, doch für einen journalistischen Text sind sie zu steif. Sie lassen sich durch eingängigere Alternativen ersetzen. Und eine schwere Verletzung ist weniger konkret als eine gebrochene Rippe; Journalistinnen und Journalisten wählen in solchen Fällen normalerweise die Angabe, die präziser ist.

Zum Schluss dürfte Ihr Publikum noch wissen wollen, wie es nach ersten Erkenntnissen der Polizei zu dem Unfall kam. Und Sie berichten:

Der Autofahrer hat nach Auskunft der Polizei nicht mehr bremsen können, als das Mädchen auf die Straße trat.

Sie haben damit in drei Sätzen die wichtigsten Informationen übermittelt. Im Journalismus sagt man: Sie haben die W-Fragen beantwortet, also berichtet, wer was wann wo getan hat – und wie es dazu kam. Die Menschen auf dem Marktplatz bestätigen mit einem Nicken, dass sie alles verstanden haben, und ziehen weiter. Sie haben Ihr Ziel, die Menschen zu informieren, erreicht.

Doch eine Person wird Sie vielleicht ansprechen und fragen: »Hätte der Autofahrer nicht langsamer fahren müssen, damit er noch bremsen kann, wenn ein Kind auf die Straße springt?« Ein zweiter Zuhörer könnte dem ersten beipflichten und schimpfen: »Sie haben zu viel Verständnis für den Autofahrer!« Für Sie könnte das ein Anlass sein, bei der Polizei nachzuhaken und anschließend die Wortwahl zu überdenken, falls die Polizei die Schuld allein beim Autofahrer sehen sollte: Ist »konnte nicht mehr bremsen« eine beschönigende Umschreibung für »riskant schnell gefahren«? Vielleicht ändern Sie Ihren dritten Satz dann zu:

Der Autofahrer ist nach Auskunft der Polizei mit einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern gefahren, obwohl die Verkehrslage unübersichtlich war.

In jedem Fall haben Sie erläutert, dass Sie sich auf Informationen der Polizei stützen, weil Sie den Unfall nicht selbst beobachtet haben. Denn in einer journalistischen Nachricht informieren Sie Ihr Publikum nicht nur zügig über das Wesentliche, sondern machen auch nachvollziehbar, auf welche Quellen Sie sich stützen.

Damit haben wir die zentralen Merkmale des journalistischen Formats der Nachricht oder Meldung kennengelernt und werden sie nun vertiefen. Nachrichten und Meldungen – die Begriffe bedeuten in diesem Buch dasselbe – kennen Sie aus den Randspalten von Zeitungsseiten; sie werden auch zu jeder vollen Stunde im Radio verlesen. Sie informieren über aktuelle Ereignisse und sind typischerweise bis zu 1000 Zeichen lang, manchmal etwas länger. Auf den nächsten Seiten geht es erst einmal nur um den ersten Absatz dieser Texte – also das, was Sie auf dem Marktplatz dem Publikum zurufen können. Um die Grundlagen des journalistischen Berichtens zu verstehen, müssen wir uns fragen: Was ist die Botschaft einer Meldung und wie wird sie formuliert? Anschließend soll es in diesem ersten Abschnitt »Die Neuigkeit bekanntgeben« darum gehen, wer in einer Redaktion über die Botschaft und ihre Formulierung entscheidet und woher üblicherweise die Informationen stammen, mit denen eine Redaktion arbeitet.

Die Botschaft einer Meldung

Das Wichtigste einer Nachricht steht im ersten Satz. So haben wir es in der Einleitung zu diesem Kapitel besprochen: Sie haben nur wenig Zeit, Ihr Publikum für das Thema zu interessieren und die wichtigsten Daten zu nennen, also fallen Sie gleich mit der Tür ins Haus. Nehmen wir an, die Landesregierung plant, die Bildungsausgaben zu ändern, und hat zu einer Pressekonferenz (im Fachjargon: zu einer PK) eingeladen, auf der sie ihre Pläne erläutern will. Wenn Sie Ihre Nachricht beginnen, müssen Sie nicht erst in das Thema einführen und etwa schreiben:

Bildung ist eine wichtige Aufgabe für das Bundesland XY: Fast ein Viertel der Ausgaben entfällt auf diesen Bereich.

Denn das ist nicht die Neuigkeit. Sie beginnen auch nicht mit dem Anlass Ihrer Nachricht, denn eine Pressekonferenz gehört zum Alltagsgeschäft in der Politik und ist für sich genommen nicht spannend:

Auf einer Pressekonferenz in der Landeshauptstadt hat die Ministerpräsidentin …

Vielmehr schreiben Sie gleich, was die Ministerpräsidentin auf der Pressekonferenz ankündigt: dass das Land seine Ausgaben für die Schulen noch im laufenden Jahr deutlich erhöhen möchte. Das ist die Neuigkeit und damit das Thema Ihres Artikels. Anschließend erläutern Sie, dass die Informationen aus einer Pressekonferenz in der Landeshauptstadt stammen und wie die Ministerpräsidentin sie begründet: dass die Erhöhung aus ihrer Sicht nötig sei, um Defizite auszugleichen, die in der letzten PISA-Studie deutlich geworden seien. Damit haben Sie alle Fakten, um die W-Fragen zu beantworten:

Wer? Die Ministerpräsidentin des Landes XY.

Was? Sie will die Bildungsausgaben deutlich erhöhen.

Wann will sie das tun? Noch in diesem Jahr.

Wann und wo hat sie das gesagt? Auf einer Pressekonferenz in der Landeshauptstadt – vermutlich vor wenigen Stunden, denn solche Nachrichten werden üblicherweise sofort veröffentlicht, auch wenn das nicht jedes Mal ausdrücklich erwähnt wird.

Warum? Um Defizite auszugleichen, die mit der PISA-Studie sichtbar geworden sind.

Doch das ist noch nicht alles. Sie möchten Ihr Publikum präzise informieren, daher interessiert Sie auch die Frage, wie sehr die Bildungsausgaben angehoben werden. Und Sie möchten Ihr Publikum neutral informieren, also achten Sie darauf, dass die Sache mit den PISA-Defiziten nicht als Ihre eigene Behauptung missverstanden werden kann. Verbessern wir also diese beiden Punkte:

Was? Sie will die Bildungsausgaben von 21 auf 24 Milliarden Euro im Jahr erhöhen.

Warum? Um Defizite auszugleichen, die aus Sicht der Ministerpräsidentin mit der PISA-Studie sichtbar geworden sind.

Wenn Sie die Fakten so gedrängt präsentieren, fordern Sie Ihr Publikum heraus: Es muss hellwach sein und von Anfang an gut zuhören. Kommen Sie Ihrem Publikum daher entgegen und achten Sie darauf, es nicht zu überfordern: Formulieren Sie den ersten Satz so, dass Ihr Publikum sofort weiß, worum es geht. Wenn Sie in Ihrer Meldung gleich am Anfang schreiben, dass das Land künftig 24 Milliarden Euro für Bildung ausgeben möchte, verfehlen Sie womöglich dieses Ziel. Nur wenige aus Ihrem Publikum werden wissen, ob das mehr oder weniger ist als bisher – es sei denn, Sie schreiben für ein Magazin für Lehrkräfte. Auch die Information, dass der Bildungsetat um drei Milliarden Euro erhöht werden soll, ist nicht viel besser. Drei Milliarden Euro sind zwar viel Geld, aber machen sie einen großen Unterschied im Bildungshaushalt des Landes?

Im Juni 2009 hat die Stuttgarter Zeitung zuletzt ihr Layout umgestellt. Ein mediales Produkt in dieser Weise überarbeitet herauszubringen nennt man einen Relaunch. Die Titelseite gilt als Schaufenster der Zeitung: Sie soll einerseits einen Überblick über die wichtigsten Nachrichten geben, andererseits die Vielfalt der Themen im Blatt widerspiegeln. Der ausführliche Kommentar in der rechten Spalte ist nach dem Relaunch der Stuttgarter Zeitung geblieben, die Karikatur erscheint aber nicht mehr zwei-, sondern nur noch einspaltig. Die größte Änderung ist die Einführung eines Titelbilds, das aber nicht den Aufmacher begleitet, also die wichtigste Meldung des Tages mit der auffälligsten Überschrift, sondern ein Highlight auf den hinteren Seiten der Zeitung bewirbt. Im Redaktionsalltag wird dieses Format ›Bildteaser‹ genannt.

Suchen wir also nach Alternativen. Wenn Sie im ersten Satz schreiben, dass die Bildungsausgaben von 21 auf 24 Milliarden Euro steigen, ist das schon besser zu verstehen. Manche Leserinnen und Leser werden im Kopf überschlagen, dass es sich um einen Anstieg von ungefähr 15 Prozent handelt – und diese Prozentzahl könnten auch Sie verwenden: »Das Land XY will seine Bildungsausgaben noch in diesem Jahr um 15 Prozent erhöhen« wäre ein guter Einstiegssatz.

Eine letzte Möglichkeit wäre, die Veränderung erst einmal als »deutliche Erhöhung« einzuordnen. Damit würden wir mit einer Regel brechen, die wir gerade erst besprochen haben, denn eigentlich ziehen Journalistinnen und Journalisten präzise Angaben (»von 21 auf 24 Milliarden Euro« oder »Anstieg um 15 Prozent«) den vagen Angaben (»deutliche Erhöhung«) vor. Doch wenn Sie Ihr Publikum so einschätzen, dass es mit Haushaltszahlen gar nicht vertraut ist, dann könnte dieser Einstieg gerade der richtige sein. Packen wir alles zusammen in den ersten Absatz der Meldung:

Das Land XY wird seine Ausgaben für Schulen noch im laufenden Jahr deutlich steigern: von 21 auf 24 Milliarden Euro. Das sei nötig, um Defizite auszugleichen, die in der PISA-Studie hervorgetreten seien, sagt die Ministerpräsidentin auf einer Pressekonferenz in der Landeshauptstadt.

An diesem Beispiel sehen Sie, dass die journalistische Praxis kein stures Befolgen von Regeln ist, sondern ein ständiges Abwägen, welche sprachlichen Werkzeuge am besten geeignet sind, um möglichst viele Menschen gut zu informieren. Und Sie bemerken vielleicht auch, dass diese Meldung noch nicht umfassend informiert: Sie gibt in knapper Form wieder, was die Ministerpräsidentin sagen wollte, aber sie lässt eine naheliegende Frage offen: Man wüsste gerne, woher das Geld kommen soll. Weil Sie auf der Pressekonferenz nachgehakt haben, können Sie Ihren Leserinnen und Lesern immerhin diese Information übermitteln:

Das Land XY wird seine Ausgaben für Schulen noch im laufenden Jahr deutlich steigern. Das sei nötig, um Defizite auszugleichen, die in der PISA-Studie hervorgetreten seien, sagt die Ministerpräsidentin auf einer Pressekonferenz in der Landeshauptstadt. Sie werde den Etat des Bildungsministeriums von 21 auf 24 Milliarden Euro erhöhen und im Gegenzug Mittel in anderen Bereichen kürzen. Welche das sein werden, müsse sie noch mit den zuständigen Ministerinnen und Ministern besprechen.

Oft gehen Journalistinnen und Journalisten noch einen Schritt weiter, um das Publikum für ihre Nachricht zu gewinnen: Sie brechen sogar mit der Regel, dass die Botschaft im ersten Satz stehen sollte, und stellen einen einführenden Satz voran, der die Bedeutung der Nachricht herausstreicht. Das tut zum Beispiel meine frühere Kollegin Ricarda Stiller in einem Artikel, den sie im Juni 2015 in der Stuttgarter Zeitung veröffentlicht hat. Lassen Sie uns diesen Text anschauen und besprechen, welche Möglichkeiten Sie als Autor:in haben, einen solchen Artikel zu gestalten. Er beginnt so:

Das könnte die Schmuckindustrie revolutionieren: Am Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik in Freiburg können durch ein neuartiges Verfahren nun bis zu 600 Diamanten gleichzeitig hergestellt werden. In einem sogenannten Plasmareaktor wachsen Schmucksteine in feinster Qualität – so rein, wie sie in der Natur im Grunde nicht vorkommen. Christoph Nebel, der Leiter der Abteilung Halbleitersensorik am Fraunhofer-Institut, sagt: »Auf lange Sicht könnte der Diamant tatsächlich deutlich an Wert verlieren, wenn man ihn künftig vielleicht sogar tonnenweise herstellen kann.«

In dem Artikel beschreibt die Autorin ein neues Verfahren, mit dem künstliche Diamanten hergestellt werden – vor allem für technische Anwendungen. Ein eher trockenes Thema. Man erfährt zum Beispiel, dass Methangas den Kohlenstoff liefert, aus dem die Diamanten langsam wachsen. Nach zwei Wochen sind sie einen oder zwei Millimeter groß. Doch gleich mit dem ersten Satz deutet Ricarda Stiller einen Aspekt an, mit dem vermutlich mehr Leserinnen und Leser etwas anfangen können: die möglicherweise dramatischen Auswirkungen auf die Schmuckindustrie.