Kaisers Klassik - Joachim Kaiser - E-Book
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Joachim Kaiser

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  • Herausgeber: Piper ebooks
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Der bekannte Musikkritiker Joachim Kaiser lädt ein zu einem Streifzug durch die Musikgeschichte. 100 Meisterwerke der Musik unter anderem von Mozart, Beethoven, Chopin, Wagner und Mahler werden rezipiert. Kaiser stellt die Komponisten vor, ordnet das Stück in seinen zeitlichen Zusammenhang ein und die Konzeption des Musikstücks. Erlesen Sie die schönsten Kompositionen aus dem Barock bis zur Moderne. »Kaiser versteht es, über Musik, Komponisten und Interpreten zu sinnieren, so dass es selbst für Kenner nicht langweilig wird. Ein wunderbarer Zugang zur Musik und amüsante Interpretation zugleich.« (Hamburger Abendblatt)

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Seitenzahl: 542

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Inhaltsverzeichnis

Cover & Impressum

Inhalt

Vorwort

1 LUDWIG VAN BEETHOVEN Symphonie d-Moll Nr. 9

2 WOLFGANG AMADEUS MOZART Die Hochzeit des Figaro

3 ANTONIO VIVALDI Die vier Jahreszeiten

4 FRÉDÉRIC CHOPIN Klaviersonate b-Moll Nr. 2

5 RICHARD WAGNER Tristan und Isolde

6 BEDŘICH SMETANA Die Moldau

7 FRANZ SCHUBERTDie schöne Müllerin

8 ROBERT SCHUMANN Carnaval

9 GUSTAV MAHLER Symphonie cis-Moll Nr. 5

10 JOHANNES BRAHMS Violinkonzert D-Dur

11 FRANZ SCHUBERT Der Tod und das Mädchen

12 GEORG FRIEDRICH HÄNDEL Der Messias

13 UDWIG VAN BEETHOVEN Klaviersonate c-Moll Nr. 32

14 JOHANN SEBASTIAN BACH Goldberg-Variationen

15 RICHARD WAGNER Der Ring des Nibelungen

16 RICHARD WAGNER Der Ring des Nibelungen

17 RICHARD WAGNER Der Ring des Nibelungen

18 RICHARD WAGNER Der Ring des Nibelungen

19 MAURICE RAVEL Bolero

20 JOSEPH HAYDN Die Schöpfung

21 ANTONÍN DVOŘÁK Symphonie e-Moll Nr. 9

22 ANTONÍN DVOŘÁK Symphonie e-Moll Nr. 9

23 JOHANNES BRAHMS Klavierkonzert B-Dur Nr. 2

24 HECTOR BERLIOZ Symphonie fantastique

25 FRÉDÉRIC CHOPIN Ballade g-Moll Nr. 1

26 LUDWIG VAN BEETHOVEN Symphonie c-Moll Nr. 5

27 WOLFGANG AMADEUS MOZART laviersonate a-Moll

28 FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY Violinkonzert e-Moll

29 FRANZ LISZT Klaviersonate h-Moll

30 IGOR STRAWINSKY Psalmensymphonie

31 WOLFGANG AMADEUS MOZART Eine kleine Nachtmusik

32 SERGEI PROKOFJEW Peter und der Wolf

33 GIUSEPPE VERDI Aida

34 FRANZ SCHUBERT Die »große« Symphonie C-Dur

35 GEORGES BIZET Carmen

36 LUDWIG VAN BEETHOVEN »Kreutzer«-Sonate

37 WOLFGANG AMADEUS MOZART Klavierkonzert Es-Dur »Jeunehomme«

38 JOHANN SEBASTIAN BACH Chaconne

39 ANTON BRUCKNER Symphonie Es-Dur Nr. 4

40 ROBERT SCHUMANN Klavierkonzert a-Moll

41 PJOTR TSCHAIKOWSKI Symphonie h-Moll Nr. 6 »Pathétique«

42 FRANZ SCHUBERT Winterreise

43 JOHANNES BRAHMS Klavierquintett f-Moll

44 PJOTR TSCHAIKOWSKI Klavierkonzert b-Moll Nr. 1

45 WOLFGANG AMADEUS MOZART Die Zauberflöte

46 LUDWIG VAN BEETHOVEN Klavierkonzert c-Moll Nr. 3

47 FRANZ SCHUBERT Fantasie für Klavier zu vier Händen f-Moll

48 GIUSEPPE VERDI Ein Maskenball

49 ROBERT SCHUMANN Dichterliebe

50 WOLFGANG AMADEUS MOZART Sonate für zwei Klaviere D-Dur

51 IGOR STRAWINSKY Petruschka

52 LUDWIG VAN BEETHOVEN Klavierkonzert G-Dur Nr. 4

53 RICHARD WAGNER Tannhäuser

54 FRÉDÉRIC CHOPIN Die Mazurken

55 FRANZ LISZT Klavierkonzert Es-Dur Nr. 1

56 WOLFGANG AMADEUS MOZART Così fan tutte

57 ANTONÍN DVOŘÁK Cellokonzert h-Moll

58 LUDWIG VAN BEETHOVEN Fidelio

59 ROBERT SCHUMANN Kinderszenen

60 JOHANN SEBASTIAN BACH Messe h-Moll

61 JOHANNES BRAHMS Symphonie c-Moll Nr. 1

62 GIACOMO PUCCINI Tosca

63 FRANZ SCHUBERT Klaviertrio B-Dur Nr. 1

64 RICHARD STRAUSS Salome

65 ANTON BRUCKNER Symphonie E-Dur Nr. 7

66 WOLFGANG AMADEUS MOZART Die Entführung aus dem Serail

67 LUDWIG VAN BEETHOVEN Die »Mondscheinsonate«

68 WOLFGANG AMADEUS MOZART Das »große« Klavierkonzert C-Dur

69 PJOTR TSCHAIKOWSKI Symphonie f-Moll Nr. 4

70 FRANZ LISZT Die Ungarischen Rhapsodien

71 RICHARD WAGNER Lohengrin

72 JOSEPH HAYDN Streichquartett C-Dur, das »Kaiserquartett«

73 ANTONÍN DVOŘÁK Symphonie G-Dur Nr. 8

74 LUDWIG VAN BEETHOVEN Klaviersonate f-Moll, die »Appassionata«

75 FRANZ SCHUBERT Das »Forellenquintett«

76 WOLFGANG AMADEUS MOZART Idomeneo

77 FRÉDÉRIC CHOPIN Die vier Scherzi für Klavier

78 JOHANNES BRAHMS Symphonie F-Dur Nr. 3

79 BEDŘICH SMETANA »Aus meinem Leben«

80 KURT WEILL / BERTOLT BRECHT Die Dreigroschenoper

81 ROBERT SCHUMANN Kreisleriana

82 LUDWIG VAN BEETHOVEN Violinkonzert D-Dur

83 RICHARD WAGNER Die Meistersinger von Nürnberg

84 JOHANNES BRAHMS Klavierkonzert d-Moll Nr. 1

85 GUSTAV MAHLER Das Lied von der Erde

86 RICHARD STRAUSS Der Rosenkavalier

87 LUDWIG VAN BEETHOVEN Diabelli-Variationen

88 WOLFGANG AMADEUS MOZART Don Giovanni

89 JOHANNES BRAHMS Klarinettenquintett h-Moll

90 GIUSEPPE VERDI Otello

91 LUDWIG VAN BEETHOVEN Symphonie F-Dur Nr. 6, die »Pastorale«

92 ALBAN BERG Violinkonzert

93 WOLFGANG AMADEUS MOZART Die sechs »Haydn«-Streichquartette

94 FRÉDÉRIC CHOPIN Klavierkonzert f-Moll Nr. 2

95 LUDWIG VAN BEETHOVEN Symphonie A-Dur Nr. 7

96 SERGEI RACHMANINOW Klavierkonzerte undPaganini-Rhapsodie

97 ROBERT SCHUMANN Liederkreis

98 LUDWIG VAN BEETHOVEN Klavierkonzert Es-Dur Nr. 5

99 RICHARD WAGNER Parsifal

100 FRANZ SCHUBERT Streichquintett C-Dur

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.piper.de

 

Neuauflage einer früheren Ausgabe

 

ISBN 978-3-492-97736-4

August 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© der deutschsprachigen Erstausgabe Schneekluth Verlag, München 1995,

ein Verlagsimprint der Weltbild Verlags GmbH, Augsburg

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: SZ Photo / Regina Schmeken / Bridgeman Images

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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Vorwort

I.

Es gibt einen Standardsatz, den Opernfreunde und Konzertbesucher wie eine Beschwörung aussprechen, wenn sie sich verweigern wollen. Wann äußern sie diesen ominösen Satz? Nun, falls sie das Pech haben, nach einer fesselnden Wagner-Aufführung oder während eines schwungvollen Beethoven-Konzerts ausgerechnet einem vermeintlichen Fachmann, im Härtefall gar einem gestrengen Herrn Musikkritiker, in die Arme zu laufen. Dann sagen sie stets: »Ich liebe Musik, aber ich verstehe nichts von ihr.« Und sind entwischt.

Früher ließ ich mich durch diesen Satz täuschen. Wer ihn äußert, glaubte ich, der wolle bescheiden mitteilen, er halte sich nicht für einen Fachmann, er nehme Musik mit Gefühl und Seele auf, statt sie kühl rational zu analysieren und zu bewerten. Mittlerweile begreife ich die Äußerung besser. Jemand, der offenbar freiwillig und gern Konzerte besucht, für Opern schwärmt, Schallplatten hortet – der hat nämlich durchaus einen Eindruck, in dem bildet sich gewiss ein Gefühlsurteil. Manchmal vielleicht ein richtigeres, zutreffenderes, als jene hochgestochenen Bewertungen, wie sie Fachleute, von Theorien erfüllt oder auch verstört, ausbrüten. Der leidenschaftliche Laie, der auf die Botschaft großer Musik mit emotionaler Hingabe reagiert (unmusikalisch, unsachlich verhielte er sich, wenn er die eigene Subjektivität nicht einbezöge, er ist schließlich Mensch und kein Messinstrument), ein solcher Laie fühlt schon, was ihn packt, was ihn kalt lässt, wo er Passion spürt und wo nur leeres Geklingel. Trotzdem zieht er sich manchmal zwanghaft auf die Formel zurück, er liebe Musik, verstehe aber nichts von ihr … Warum? Meine Antwort: Dabei handelt es sich um eine Schutzbehauptung. Um Selbstschutz. Wer etwas erlebt hat, möchte sich seinen Eindruck nicht gleich zerreden lassen. Als »Laie« ist man einem routinierten Profi natürlich terminologisch unterlegen. Darum flieht der engagierte Amateur, gerade wenn er feiner empfindet, musikalischer hört als ein Profi, der an das Hantieren mit Begriffen und technischen Standards gewöhnt ist, vor verbaler Vergewaltigung in die Formel, er liebe, aber er verstehe nicht. Als ob nicht »Lieben« durchaus etwas mit »Erkennen« zu tun hätte. Die alten Griechen hatten sogar ein Wort, das beides zugleich meinte.

II.

Nun muss man sich keineswegs in schreckliche theoretische Unkosten stürzen, um fähig zu sein, einen eigenen Musikeindruck nicht nur zu haben, irgendwie zu empfinden – sondern auch andeutungsweise vernünftig in Worte umsetzen zu können. Ohnehin spürt, wer mit großer Musik zwischen Monteverdi und Verdi, zwischen Bach und Berg irgend einmal in Kontakt kam, dass diese Werke viel zu schön, lebendig, aufregend, herzbewegend, ja »unter die Haut gehend« sind, als dass sie nicht doch dazu verlockten, über ihre Fülle zu reflektieren, Verschiedenheiten zu fixieren, die offenbare Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten zu bedenken. Musik: was für eine reine, den abnutzenden Alltagsrealitäten dank ihrer Kunstsprache so wunderbar entzogene tönende Welt! Viele Musikfreunde, die etwas von der Würde dieser Welt ahnen, die vielleicht sogar neidvoll mit ansehen, wie sicher und kundig sich die Musikprofis in dieser Welt zu bewegen scheinen, sehnen sich auch nach einem Zugang. Einer Initiation. Einer hilfreichen Information, die weder zuviel voraussetzt noch hochgestochen abschreckt.

Darum entstand die Woche für Woche in der Bunten erscheinende Kolumne Kaisers Klassik. Eine Serie für Leser guten Willens. So journalistisch gemacht wie möglich – und nah an den Werken wie nötig. Ein Wagnis. Das überraschenderweise viel mehr Leser zu schätzen wussten, verfolgten, sich sogar ausschnitten (und auch in Plattengeschäften ungeduldig nach den empfohlenen CDs fahndeten), als pessimistische Kulturkritiker je unterstellt hätten. In einer Wüste aus Steinen modisch-munterer Betriebsamkeit, die für sofortiges Vergessenwerden produziert wird, sehnen sich nicht wenige nach dem Brot einer eben nicht nur für baldigen Verbrauch bestimmten großen Musik.

III.

Jede Serie hat ihre Gesetze und entwickelt sie weiter. Mir liegt daran, dem Leser gewisse Informationen in Form einer Geschichte, einer Anekdote oder einer These so darzubieten (»unterzujubeln«), dass er gar nicht merkt, wie er etwas lernt, sondern ein bisschen Spaß an der Anekdote oder an der handfesten These empfindet. Dann ist er gewonnen. Doch neben dem Stoff – »wie entstand das Werk?« –, neben dem Erklärungsversuch – »was hat es zu bedeuten?« – muss der Leser diesseits einer solchen passiven Haltung des braven Aufnehmens auch die Chance zum selbstständigen, ja widersprechenden, aufbegehrenden eigenen Urteilen haben. Sonst wendet er sich doch bald gähnend ab. Diese Provokation zum eigenen Urteil sollen meine wohlerwogenen Schallplattentips besorgen. Ich behaupte über die Werke und ihre Herrlichkeiten dies und das. Aber ich wäre widerlegt, wenn die von mir als »fesselndste« Interpretationen in wertender Reihenfolge genannten Schallplatten für den Hörer nicht halten, was mein einführender Text versprach; wenn meine Leser keine Beziehung spürten zwischen den geliebten Werken und den gelobten Interpretationen. Oft genug werden berühmte oder auch entlegene CDs hier ja nicht bloß genannt, vorgestellt, sondern ich belege konkret – mit präziser Angabe von Minute und Sekunde –, wo und wie sich das Besondere abspielt. Damit möchte ich nicht der Wunschkonzertbegeisterung für »schöne Stellen« Konkurrenz machen (obwohl »schöne«, aufschlussreiche Stellen auch keineswegs verachtenswert – nur eben nicht das Ganze sind). Sondern ich will mit derartigen Stichprobenmomenten die Neugier von Lesern und Hörern aktivieren. Donnerwetter, soll der Leser sagen, was da in der Durchführung des Kopfsatzes von Beethovens Symphonie Nr. 9 passiert, wenn Furtwängler sie gestaltet! (»Wer’s nachprüfen möchte: Take I, nach 9.32« – heißt es dazu in unserer allerersten Kolumne.) Vielleicht kann jene Emotionsgewissheit, die sich in Kunst meist ganz plötzlich herstellt (im Zusammenhang mit einem besonderen Satz oder Wort oder Kontrast), vielleicht kann solche Emotionsgewissheit sich mit Hilfe von konkreten, oft minuziösen Hinweisen ergeben und den Leser dazu bringen, dass er mehr, dass er das Ganze, dass er auch die Abweichungen oder interpretatorischen Variationen kennen lernen will. Dann wäre er gewonnen.

IV.

Es ist nicht leicht, »leicht« zu schreiben und dabei etwas zugleich Persönliches und sachlich Stimmiges zu bieten. Wenn von Musik die Rede ist, kann ich auf Ausdrücke wie »chromatisch« oder »Mollparallele« nicht völlig verzichten, falls ich nicht nur blumige Umschreibungen liefern möchte, sondern Mitteilungen über spezifisch Komponiertes. Aber der Terminus technicus lässt sich auch bieten und zugleich unauffällig umschreiben. Dann kapiert der Leser, ohne zu merken, dass er zugleich lernt. Vielleicht habe ich manchmal jüngeren Interessenten den Zugang erschwert, indem ich – wo es um die fesselndsten Interpretationen ging – weniger auf perfekte Tonqualität achtete als auf geistig-interpretatorische Qualität. Künstler wie Lotte Lehmann, wie Furtwängler, wie Cortot, Solomon, Rachmaninow, deren Aufnahmen oft älter sind als ein halbes Jahrhundert (und die manchmal klingen, als habe in dumpfem Keller eine Gießkanne als Mikrofon gedient), werden hier nicht aus bloßer Erinnerungspietät genannt – sondern weil mir die schöpferischen Leistungen mancher Giganten nach wie vor unüberholt scheinen.

Nun bin ich aber nicht so weit gegangen, auch Langspielplatten zu empfehlen (und nicht bloß CDs). Dies aus einer ganz praktischen Erwägung: Viele, zumal jüngere Interessenten besitzen keine Geräte mehr, um Langspielplatten oder gar die alten Schellackaufnahmen mit 78 Umdrehungen pro Minute abzuspielen. So beschränkte ich mich, manchmal seufzend, auf CDs. Viele wichtige Interpretationen liegen aber nur auf Langspielplatte vor, sind auf CDs nicht existent oder greifbar.

V.

Diese Klassikkolumne erschien seit mehr als zwei Jahren Woche für Woche. Mich braucht nun niemand sehr daran zu erinnern, wie kurz eine Woche ist. Man denkt, man hätte seine Pflicht getan, plant eine Reise, einen Ferienaufenthalt: Sogleich erhebt sich wieder lautes Weheklagen der Nachschub fordernden Redaktion. Die Beschränkung auf Kürze mag für die Leser angenehm sein. Mein alter Verleger und Freund Dr. Albrecht Knaus versicherte mir sogar (gehässig lachend), endlich müsse ich mich konzentrieren, könne Gott sei Dank aus Platzgründen meiner Manie der drei Pünktchen nicht mehr nachgeben. (Alte Verleger sind so hässlich …) Die immer gleiche Kolumnenlänge hat grausame Konsequenz: Ich kann über Wagners Parsifal nicht eine einzige Zeile mehr schreiben als über Chopins Balladeg-Moll oder Ravels Bolero. Na und? Nun, die Parsifal-Partitur ist fast 900 Seiten stark, die Handlung tiefgründig, verwickelt, symbolschwer, die Musik zarter als der blechgepanzerte Ring des Nibelungen, voller Klangwunder und Abgründe. Chopins Ballade, ein geniales Werk, dauert nicht einmal so lange wie das Vorspiel zum ersten Parsifal-Akt. Das schafft Probleme der Beschränkung, der Auswahl, des Weglassens.

Sie sind nur lösbar unter der Voraussetzung, dass hier keineswegs »erschöpfend« informiert werden kann und soll. Mein Ziel ist vielmehr: In einem Rahmen, wie ihn meines Wissens noch nie eine Illustrierte Woche für Woche der Sache großer Musik zur Verfügung stellte, möchte ich einem großen Publikum einige zentrale Thesen und Hinweise liebevoll anbieten. Auf dieses »Angebot« haben die Leser mit Äußerungen, Fragen, Erweiterungswünschen und Komplimenten reagiert und gedankt, die zu den ermutigendsten, rührendsten Erfahrungen meines publizistischen Lebens gehören.

Dieses Buch bündelt die ersten 100 Kaisers-Klassik-Kolumnen. Erweiterungen, Korrekturen, Berichtigungen und behutsame Versachlichungen habe ich stillschweigend vorgenommen. Eine völlige Vereinheitlichung der Darbietungsform ließ sich nicht erreichen, wäre auch nicht wünschenswert gewesen, weil auch eine solche Kolumne erst allmählich ihre Form, ihren Ton findet – und ihn auch nicht allzu starr beibehalten darf. Über die Dreigroschenoper von Weill und Brecht redet man anders als über die Psalmensymphonie von Strawinsky oder die Haydn-Quartette von Mozart.

Immerhin haben viele Leser dankbar versichert, Kaisers Klassik sei ihrer Ansicht nach auf dem richtigen Wege. Dafür möchte ich mit der Versicherung danken, dass diese Reihe und Reise weitergehen wird, solange sie Spaß macht.

 

München, im Januar 1997

Joachim Kaiser

1LUDWIG VAN BEETHOVENSymphonie d-Moll Nr. 9

für Orchester, Chor und Gesangssolisten op. 125

 

Die berühmteste Symphonie der Musikgeschichte. Wie sie entstand und was sie bedeutet …

 

Ein Ausnahmeereignis. Wenn wir armen Erdenbürger festlich feiern wollen, erklingt Beethovens Neunte. Sie beginnt als Instrumentalstück. Aber im Schlusssatz erweitert der Komponist die Form. Aus Musik wird gleichsam Weltanschauungsmusik. Nachdem die Hauptthemen aller vorangegangenen Sätze noch einmal Revue passiert haben, unterbricht ein Bariton: »O Freunde, nicht diese Töne!« Plötzlich braust festlicher Chorklang. Beethoven komponierte im Variationsfinale einige Strophen aus Friedrich von Schillers Ode an die Freude: »Freude, schöner Götterfunken«. In einer riesigen Kantate für Soli, Chor und Orchester schwärmt der alte, einsame, taube Beethoven: »Seid umschlungen, Millionen. Diesen Kuss der ganzen Welt!«

Die Menschheit begriff seine Botschaft. Auch wer die Neunte nie bewusst hörte, kennt zumindest den Pophit Song of Joy, mit dem Miguel Ríos, der pfiffige spanische Beethoven-Verwerter, bestimmt mehr verdiente als Beethoven. Denn von den 2200 Gulden, die Beethoven bei der öffentlichen Uraufführung 1824 in Wien einnahm, gingen über 2000 Gulden als Unkosten weg (Verwaltung, Notenkopierer, Plakatmaler und so weiter). Beethoven erlitt vor Enttäuschung einen Ohnmachtsanfall, glaubte sich von aller Welt betrogen. Grausames Künstlerpech: dem Komponisten höchster Freude bescherte die Uraufführung tiefe Verbitterung …

Schon als 22-jähriger lernte Beethoven Schillers Freudenhymnus kennen und wollte ihn komponieren. Doch es sollten mehr als 30 Jahre vergehen, bis die Symphonie, in welche Erfahrungen und Leiden eines Komponistenlebens eingingen, dann endlich 1824 fertig war.

Vage, undeutlich, leer, als seien wir noch vor der Erschaffung der Welt, dämmert der Beginn des ersten Satzes. Kurze Motivfetzen in den Violinen. Allmählich verdichten sie sich. Dann erst ist in gezacktem Fortissimo jene Gestalt da, die den ganzen Satz beherrscht. Wunderbare Entwicklungen, neue Gedanken, doch auch Verlangsamungen, Ritardandi. Der Satz endet in erhabener, abgründiger Trauermarsch-Finsternis. Eine Tragödie. Nicht die »Themen« sind das Wichtigste, sondern ihr Werden, ihr Schicksal.

Rasend-Rasches folgt als zweiter Satz. Ein Scherzo über einen einzigen charakteristischen, am Anfang isoliert vorgestellten Rhythmus.

Vom Adagio der Neunten darf man nur mit leiser Stimme reden. Für Musikliebhaber ist es ein Heiligtum. Dem langsamen Hauptthema steht eine etwas beschwingtere Andante-Melodie gegenüber. Plötzlich hält der melodische Fluss inne. Feierliche Posaunenklänge. Sie verheißen: Es kommt noch etwas Besonderes! Und dann, nachdem das Adagio lyrisch ausklang, drängt die Musik zu diesem Besonderen: zum Wort, zum freudebrausenden Chorfinale.

Wenn Sie BeethovensNeunte mögen …

… aber zur Abwechslung etwas Anderes, Ähnliches hören wollen, so gibt es kaum Musik gleichen Ranges. Beethovens so genannte Chorfantasie (für Klavier, Chor und Orchester) wird oft als Vorstudie zur Neunten verstanden, besitzt aber doch nicht deren riesige seelische Dimensionen. Im Hinblick auf den symphonischen Anspruch könnte man Anton Bruckners Symphonie Nr. 3 (auch in d-Moll, wie Beethovens Neunte) nennen sowie Gustav Mahlers Symphonien Nr. 2 und Nr. 3, die kantatenhafte Chorfinale haben. Nur tönt bei Bruckner wie bei Mahler viel wagnersche Orchesterkunst und Harmonik mit. Wagner seinerseits war freilich von Beethovens Neunter ausgegangen.

Die fesselndsten Interpretationen von Beethovens Neunter

Die nach wie vor gewaltigste und tiefgründigste Deutung der Symphonie Nr. 9 stammt von Wilhelm Furtwängler. Es ist der Mitschnitt eines Konzerts mit den Berliner Philharmonikern aus dem Jahr 1942. Ungeheuerlich, wie nach der aberwitzig fesselnden Durchführung des Kopfsatzes das Hauptthema in Dur wiedererscheint – aber von den Pauken förmlich zerschlagen wird. (Wer’s nachprüfen möchte: Take 1, nach 9.32.) So auf Leben und Tod wurde wohl doch nur während des Krieges musiziert, wo jedes Konzert vielleicht das letzte war. Elektroakustisch weit besser: Furtwänglers Bayreuther Neunte, Eröffnungskonzert von 1951.

Mag Leonard Bernstein auch für das »Mystische« in Beethovens Neunter nicht ganz soviel Sinn gehabt haben wie Furtwängler – er war, als genialer schöpferischer und nachschöpferischer Künstler, doch so tief in Beethovens Musik, dass er den herben, tragischen Verlauf zwingend sinnfällig zu machen wusste, die Vitalität des Scherzos mit beispiellosem Elan begriff. Und die Wiener Philharmoniker waren wohl doch sein liebstes Orchester.

Bei Nikolaus Harnoncourt und dem jungen Chamber Orchestra of Europe begegnen wir einem modernen (was keineswegs heißen muss: langweilig sachlichen) Beethoven. An die Stelle von Furtwänglers »Titanismus« oder von Bernsteins weltumarmendem Furor tritt hier fanatische Exaktheit. Vieles glaubt man neu, wie zum ersten Mal, zu hören: So passioniert meidet Harnoncourt verschlampte Traditionalismen, so genau phrasierend vergegenwärtigt er die Partitur, beflügelt er seine Gesangssolisten.

WHO’S WHO

LUDWIG VAN BEETHOVEN, getauft am 17. Dezember 1770 in Bonn, gestorben am 26. März 1827 in Wien, deutscher Komponist

Fantasie für Klavier, Chor und Orchester c-Moll op. 80 (1808) — Adagio – Finale. Allegro – Presto

Symphonie für Sopran, Alt, Tenor, Bass, Chor und Orchester d-Moll Nr. 9 op. 125 (1824) — 1. Satz: Allegro ma non troppo, un poco maestoso; 2. Satz: Molto vivace; 3. Satz: Adagio molto e cantabile – Andante moderato; 4. Satz: Presto – Allegro assai

LEONARD BERNSTEIN, geboren am 25. August 1918 in Lawrence (MA), gestorben am 14. Oktober 1990 in New York, amerikanischer Dirigent und Komponist

ANTON BRUCKNER →KAISERS KLASSIK Nr. 39

Symphonie d-Moll Nr. 3 (1872) — 1. Satz: Mehr langsam. Misterioso; 2. Satz: Adagio. Bewegt, quasi andante; 3. Satz: Ziemlich schnell; 4. Satz: Allegro

WILHELM FURTWÄNGLER, geboren am 25. Januar 1886 in Berlin, gestorben am 30. November 1954 in Ebersteinburg (heute zu Baden-Baden), deutscher Dirigent und Komponist

NIKOLAUS HARNONCOURT, geboren am 6. Dezember 1929 in Berlin, österreichischer Dirigent, Cellist und Musikwissenschaftler

GUSTAV MAHLER →KAISERS KLASSIK Nr. 9

Symphonie für Sopran, Alt, Chor und Orchester c-Moll Nr. 2 »Auferstehungssymphonie« (1894) — 1. Satz: Allegro maestoso; 2. Satz: Andante moderato; 3. Satz: In ruhig fließender Bewegung; 4. Satz: »Urlicht«. Sehr feierlich; 5. Satz: Im Tempo des Scherzos – Kräftig – Langsam. Misterioso

Symphonie für Alt, Chor und Orchester d-Moll Nr. 3 (1894) — 1. Teil, 1. Satz: Kräftig, entschieden; 11. Teil, 2. Satz: Tempo di minuetto. Sehr mäßig; 3. Satz: Comodo. Scherzando. Ohne Hast; 4. Satz: Sehr langsam. Misterioso; 5. Satz: Lustig im Tempo und keck im Ausdruck; 6. Satz: Langsam. Ruhevoll. Empfunden

MIGUELRÍOS, geboren am 7. Juni 1944 in Granada, spanischer Pop sänger

FRIEDRICH VON SCHILLER, geboren am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, gestorben am 9. Mai 1805 in Weimar, deutscher Dichter

An die Freude, Ode (1785)

RICHARD WAGNER →KAISERS KLASSIK Nr. 5

2WOLFGANG AMADEUS MOZARTDie Hochzeit des Figaro

Opera buffa in vier Akten kv 492

 

Geistvollste und beschwingteste, herzlichste und wirbelndste komische Oper des Musiktheaters. Wie die Oper entstand und was sie bedeutet …

 

Umfragen lehren es: Weit vor Bach, Beethoven, Wagner und auch Gershwin ist Mozart der Lieblingskomponist unserer Gegenwart. Und unter Mozarts Opern wird wiederum der Figaro als die allerschönste verehrt. Den Vornamen Susanne haben viele opernvernarrte Mütter ihren Töchtern nur deshalb gegeben, weil hier Susanna die Hauptfigur ist. Als Geliebte und Verlobte Figaros reagiert sie rasch, instinktsicher, souverän. Am Ende darf sie denn auch mit Figaro glücklich sein – und der junge Graf Almaviva mit seiner schmerzlich geprüften Gattin, die er um Susannas willen so gern betrogen hätte.

Doch nicht die kecke Handlung macht den Rang dieser Opera buffa aus, sondern das, was Mozarts Musik ihr hinzufügt. Scheint der Text nur einen Ehekrach im Hause Almaviva vorzuführen, dann fragt die Musik, in herrlichen symphonischen und gesanglich-choralhaften Steigerungen, nach dem Schicksal der Unschuld in dieser Welt. Am Ende muss der Mächtige niederknien und um Verzeihung bitten. Für eine Glückssekunde darf die Menschheit aufatmen.

Figaros Hochzeit ist das Kind einer glücklichen Ehe erlauchter europäischer Geister. Der brillante französische Dramatiker Pierre Augustin Caron de Beaumarchais schrieb sein fünfaktiges Drama Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit und setzte die Pariser Uraufführung 1784 durch. Ein Sensationserfolg. »Figaro, das war die Revolution auf dem Marsch«, befand Napoleon später. Mozart komponierte in Wien begeistert das vieraktige Opernlibretto, das ihm der Italiener Lorenzo Da Ponte aus der französischen Vorlage erarbeitet hatte. 1786 fand unter Mozarts Leitung die Uraufführung in Wien statt.

Man muss genau hinhören (und sich unbedingt vorher mit dem Text vertraut machen). Die geniale, gefährlich leise beginnende Presto-Ouvertüre fängt an mit einer unruhig asymmetrischen siebentaktigen Gestalt, der eine enge, trillerähnliche Sekundbewegung zugrunde liegt. Diese kehrt später während bedrohlicher Momente unauffällig wieder.

In der ersten Szene misst Figaro den Raum fürs Ehebett aus. Susanna erkennt, warum das Zimmer so verdächtig günstig liegt. Falls das Glöckchen läutet und ihr Mann weg muss, wäre der Graf blitzschnell zur Stelle. Jetzt beginnt Figaros Widerstand. »Will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen.« Doch mitten in dieser Kavatina zögert er: Nicht mit Gewalt, sondern lieber doch nur mit List möchte er sich wehren.

Da ist noch der junge, von Pubertät gebeutelte und in die Liebe verliebte Cherubino; da intrigieren zwei ältere Figuren gegen Figaro, die sich dann Gott sei Dank als die Eltern des Findelkinds Figaro herausstellen. Mozart erfindet unwiderstehlich effektvolle Aktschlüsse: riesige (Ketten-)Finali, in denen mannigfache Charaktere, Tempi, musikalische Formen genial zusammengefügt erscheinen.

Die Oper besingt die leidenschaftliche und vitale Liebe junger Leute mit heiterem Esprit. Am Ende sind alle glücklich – auch die Zuhörer.

Wenn Sie Mozarts Figaro mögen …

… und begierig sind auf etwas Ähnliches, dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Nämlich zum einen Mozarts (später entstandene) Opera buffa Così fan tutte, die etwas abgezirkelter, »artifizieller«, nicht ganz so überraschungsreich und wirbelnd ist wie der Figaro. Und zum andern die entzückende Heimliche Ehe (1792) von Domenico Cimarosa, die Mozart heiter-empfindsam ins Neapolitanische zu transponieren scheint – dabei freilich wenig weiß von den Depressionen und Halbschatten der mozartschen Seele.

Die fesselndsten Interpretationen von Mozarts Figaro

Erich Kleiber: Wiener Philharmoniker: Mit Cesare Siepi als Figaro, Lisa della Casa als Gräfin, Hilde Güden als Susanna. Aufgenommen 1955. Wohl doch die spannungsvollste, natürlichste, am wenigsten forcierte Figaro-Aufnahme. Kleiber hat Schärfe, Elastizität und Witz: Er übertreibt weder das Komische noch das Tiefgründige, weil er Mozart vertraut und mit hochdisziplinierter Kunst, ohne »Drücker«, vergegenwärtigt. Siepi als Figaro, Güden als Susanna ragen aus einem hochkarätigen Ensemble hervor.

Herbert von Karajan: Wiener Philharmoniker: Mit Tom Krause als Graf, Anna Tomowa-Sintow als Gräfin, José Van Dam als Figaro und Ileana Cotrubas als Susanna. Aufgenommen 1979. Karajan dirigiert hier einen eleganten Mozart-Stil – manchmal auch aggressiver und pointierter als Kleiber in seiner unübertrefflich »klassischen« Interpretation. In dieser Aufnahme werden die Erkenntnisse der neuen Mozart-Gesamtausgabe ernst genommen: So singt im großen C-Dur-Terzett nicht die Susanna angstvoll erregte Koloraturen, sondern richtigerweise die Gräfin, die ja viel heftigeren Grund zu furchtsamer Erregung hat.

Karl Böhm: Salzburger Festspielmitschnitt mit Dietrich Fischer-Dieskau als Graf Almaviva, Elisabeth Schwarzkopf als Gräfin, Irmgard Seefried als Susanna und Christa Ludwig als Cherubino. Aufgenommen: 30. Juli 1957. Große Namen aus dem Reich der Gesangskunst – Fischer-Dieskau und die Schwarzkopf – prägen diese temperamentvolle Interpretation. Unter Böhm »stand« das Tempo beeindruckend. Schon wegen des Cherubino der Ludwig muß man auch diese Aufnahme lieben.

WHO’S WHO

JOHANN SEBASTIAN BACH →KAISERS KLASSIK Nr. 14

PIERRE AUGUSTIN CARON DE BEAUMARCHAIS, geboren am 24. Januar 1732 in Paris, gestorben am 18. Mai 1799 in Paris, französischer Bühnenschriftsteller

La Folle journée ou Le Mariage de Figaro (Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit), Komödie (1778)

LUDWIG VAN BEETHOVEN →KAISERS KLASSIK Nr. 1

KARL BÖHM, geboren am 28. August 1894 in Graz, gestorben am 14. August 1981 in Salzburg, österreichischer Dirigent

LISA DELLA CASA, geboren am 2. Februar 1919 in Burgdorf (bei Bern), schweizerische Sängerin

DOMENICO CIMAROSA, geboren am 17. Dezember 1749 in Aversa (bei Neapel), gestorben am 11. Januar 1801 in Venedig, italienischer Komponist

Il matrimonio segreto (Die heimliche Ehe), Dramma giocoso per musica in zwei Akten; Text: Giovanni Bertati nach George Colman dem Älteren; Uraufführung: Wien, 7. Februar 1792

ILEANA COTRUBAS, geboren am 9. Juni 1939 in Galaţi, rumänische Sängerin (Sopran)

DIETRICH FISCHER-DIESKAU, geboren am 28. Mai 1925 in Berlin, deutscher Sänger (Bariton)

GEORGE GERSHWIN, geboren am 26. September 1898 in Brooklyn (heute zu New York), gestorben am 11. Juli 1937 in Beverly Hills (CA), amerikanischer Komponist

HILDE GÜDEN, geboren am 15. September 1917 in Wien, gestorben am 17. September 1988 in Wien, österreichische Sängerin (Sopran)

HERBERT VON KARAJAN, geboren am 5. April 1908 in Salzburg, gestorben am 16. Juli 1989 in Anif (bei Salzburg), österreichischer Dirigent

ERICH KLEIBER, geboren am 5. August 1890 in Wien, gestorben am 27. Januar 1956 in Zürich, österreichischer Dirigent

TOM KRAUSE, geboren am 5. Juli 1934 in Helsinki, finnischer Sänger (Bassbariton)

CHRISTA LUDWIG, geboren am 16. März 1928 in Berlin, österreichische Sängerin (Mezzosopran)

WOLFGANG AMADEUS MOZART (eigentlich Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb Mozart), geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg, gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien, österreichischer Komponist

Le nozze di Figaro (Die Hochzeit des Figaro), Commedia per musica in vier Akten KV 492; Text: Lorenzo Da Ponte (eigentlich Emanuele Conegliano) nach Pierre Augustin Caron de Beaumarchais; Uraufführung: Wien, 1. Mai 1786

Così fan tutte ossia La scuola degli amanti (So machen ’s alle oder Die Schule der Liebenden), Dramma giocoso in zwei Akten KV 588; Text: Lorenzo Da Ponte (eigentlich Emanuele Conegliano); Uraufführung: Wien, 26. Januar 1790; →KAISERS KLASSIK Nr. 56

ELISABETH SCHWARZKOPF, geboren am 9. Dezember 1915 in Jarocin (bei Posen), deutsche Sängerin (Sopran)

IRMGARD SEEFRIED, geboren am 9. Oktober 1919 in Köngetried (Allgäu), gestorben am 24. November 1988 in Wien, österreichische Sängerin (Sopran) deutscher Herkunft

CESARE SIEPI, geboren am 10. Februar 1923 in Mailand, italienischer Sänger (Bass)

ANNA TOMOWA-SINTOW, geboren am 22. September 1941 in Stara Sagora, bulgarische Sängerin (Sopran)

JOSÉ VAN DAM (eigtl. Joseph van Damme), geboren am 25. August 1940 in Brüssel, belgischer Sänger (Bassbariton)

RICHARD WAGNER →KAISERS KLASSIK Nr. 5

3ANTONIO VIVALDIDie vier Jahreszeiten

Vier Konzerte für Solovioline und Streichorchester

 

Populärster, meistgeliebter Violinkonzert-Zyklus des italienischen Barocks. Wie die Jahreszeiten entstand und was sie bedeuten …

 

Vivaldis Vier Jahreszeiten haben erreicht, was sonst nur ganz wenigen Kompositionen der so genannten »E«-Musik glückte. Diese – als Programmmusik den Jahresablauf schildernden – vier Violinkonzerte sind so populär geworden wie sonst vielleicht noch Wolfgang Amadeus Mozarts Serenade »Eine kleine Nachtmusik« oder Antonín Dvořáks Symphonie »Aus der Neuen Welt«.

Vivaldi schrieb als Opernunternehmer, Kapellmeister, Instrumentallehrer hauptsächlich für Venedig zahlreiche Opern und unübersehbar viele Instrumentalkonzerte. Zwar war er zum Priester geweiht, doch das heilige Amt übte der temperamentvolle rothaarige Mann (»il prete rosso«, also »roter Priester«, wurde Vivaldi spöttisch von seinen Landsleuten genannt) höchstens ein Jahr aus. Ihm machte Musik mehr Spaß – und der von ihm glänzend entwickelte Typus des italienischen Violinkonzerts setzte sich rasch in ganz Europa durch. Johann Sebastian Bach schätzte Vivaldi, bearbeitete die Konzerte des italienischen Kollegen zum eigenen Gebrauch. Gewiss: Bach fielen weitaus mehr verschiedene Formen, Aufbauschemata ein als Vivaldi, von dem Igor Strawinsky hämisch witzelte, dieser Vivaldi habe eigentlich nur ein Violinkonzert geschrieben – aber das 600-mal …

Gerade die Vier Jahreszeiten beweisen jedoch, dass Strawinsky mit seinem Spott im Unrecht war. Sie sind nämlich etwas ganz Besonderes, denn sie gestalten mit minuziösen Texthinweisen ein Programm. Jedem der vier Konzerte stellt Vivaldi ein Gedicht voran. Dessen Inhalt wird dann naturalistisch genau vertont.

Im ersten Konzert, dem Frühling, ahmt die Solovioline den freien, trillernden Gesang der Vögel nach. Im langsamen Satz schläft ein Hirte, das Laub raschelt zart. Die Melodie ist betörend schön. Sie wird freilich durch Bratschentöne gestört: Das sei der »bellende Hund«. Manchmal möchte man dem verfluchten Köter den Hals abdrehen: so süß ist die von ihm verbellte Melodie.

Im Sommer ruft der Kuckuck konzertant seine Terz, Mensch und Tier schmachten in der Hitze, Stürme vernichten das Korn.

Über den Herbst hat Vivaldi günstigere Nachrichten. Da feiern betrunkene Bauern schwungvoll, geht man lustig auf die Jagd.

Im Winter endlich, dem vierten Konzert, knirscht das Eis, klappern vor Kälte die Zähne. Vivaldi führt zudem vor, wieviel Angst und Spaß das Schlittschuhlaufen bereitet.

Die Konzerte muten der Solovioline enorme Virtuosität zu: Doppelgriffe, brillante Passagen, weite Kantilenen. Naivität mischt sich mit Magie. Schlecht interpretiert sind die Vier Jahreszeiten banal – gut gespielt aber ein Wunder.

Wer Vivaldis Vier Jahreszeiten mag …

… und Appetit auf Barockmusik ähnlicher Art bekommt, dem wäre anzuraten, sich Vivaldis Konzert für vier Soloviolinen zu beschaffen. Und zu vergleichen, wie Bach dieses hochdramatische Violinkonzert in ein Konzert für vier Soloklaviere plus Orchester verwandelt hat! Diese bachsche Bearbeitung ist berühmt geworden als Hintergrundmusik zum Film Die schrecklichen Kinder. Jean-Pierre Melville hat ihn 1950 nach Jean Cocteaus Roman Les Enfants terribles gedreht.

Die fesselndsten Interpretationen von Vivaldis Vier Jahreszeiten

 

Wiktoria Mullowa hat – zusammen mit dem Dirigenten Claudio Abbado und dem Chamber Orchestra of Europe – eine virtuose und sehr stilsichere authentische Darbietung der vier Konzerte vorgelegt. Der Ton des Barockorchesters mit Cembalo und hübschen kleinen Freiheiten bleibt gewahrt. Die Solistin verfügt über eine kühle, zupackende Virtuosität. Man scheut sich überhaupt nicht, Vivaldis realistische Malerei, wie den störend bellenden Hund oder das hässlich knirschende Wintereis, unbeschönigt vorzuführen.

Anne-Sophie Mutter, Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker geben eine hochdifferenzierte, betörend schöne Deutung der Vivaldi-Konzerte. Man spielt weniger herb und barockstreng als vielmehr üppig, zart, sensibel. Die Reinheit des erlesenen Geigenspiels der Anne-Sophie Mutter ist unvergleichlich und kann süchtig machen. Da darf kein Köter laut dazwischen bellen. Luxuriöse Schönheit im Geist des 19. Jahrhunderts triumphiert.

Für Leute, die Vivaldis brillante rhythmische Erfindung lieben, aber des erlesenen Geigenspiels mal ein bisschen überdrüssig sind – für die gibt es einen kuriosen Ausweg! Die Gruppe »Percussion Projekt Rostock« bietet nämlich die Vier Jahreszeiten in einer Adaption für fünf Marimbafone (von Thomas Widiger) an. Ein Witz – aber kein schlechter. Man hört es und denkt lächelnd: »Es geht auch anders, doch so geht es auch.«

WHO’S WHO

CLAUDIO ABBADO, geboren am 26. Juni 1933 in Mailand, italienischer Dirigent

JOHANN SEBASTIAN BACH →KAISERS KLASSIK Nr. 14

Konzert für vier Cembali und Streicher a-Moll BWV 1065 (1714?) — 1. Satz: Allegro; 2. Satz: Largo; 3. Satz: Allegro

JEAN COCTEAU, geboren am 5. Juli 1889 in Maisons-Laffitte (bei Paris), gestorben am 11. Oktober 1963 in Milly-la-Forêt (bei Paris), französischer Schriftsteller, Graphiker und Filmregisseur

Les Enfants terribles (Die schrecklichen Kinder), Roman (1929)

ANTONÍN DVOŘÁK

Symphonie e-Moll Nr. 9 »Z nového světa (Aus der Neuen Welt)« op. 95 →KAISERS KLASSIK Nr. 21

HERBERT VON KARAJAN, geboren am 5. April 1908 in Salzburg, gestorben am 16. Juli 1989 in Anif (bei Salzburg), österreichischer Dirigent

JEAN-PIERRE MELVILLE (eigtl. Jean-Pierre Grumbach), geboren am 20. Oktober 1917 in Paris, gestorben am 2. August 1973 in Paris, französischer Filmregisseur

Les Enfants terribles (Die schrecklichen Kinder), Film (1950), Drehbuch: Jean Cocteau

WOLFGANG AMADEUS MOZART

Serenade G-Dur Nr. 13 »Eine kleine Nachtmusik« KV 525 →KAISERS KLASSIK Nr. 31

WIKTORIA MULLOWA, geboren am 27. November 1959 in Moskau, russische Geigerin

ANNE-SOPHIE MUTTER, geboren am 29. Juni 1963 in Rheinfelden (Baden), deutsche Geigerin

IGOR STRAWINSKY →KAISERS KLASSIK Nr. 30

ANTONIO VIVALDI, geboren am 4. März 1678 in Venedig, gestorben am 28. Juli 1741 in Wien, italienischer Komponist und Geiger

Concerto für vier Violinen und Streicher h-Moll (1711) Le quattro stagioni (Die vier Jahreszeiten) op. 8 (1725) — 1: Concerto E-Dur »La primavera (Der Frühling)«; 2: Concerto g-Moll »L’estate (Der Sommer)«; 3: Concerto F-Dur »L’autumno (Der Herbst)«; 4: Concerto f-Moll »L’inverno (Der Winter)«

4FRÉDÉRIC CHOPINKlaviersonate b-Moll Nr. 2

(mit dem Trauermarsch) op. 35

 

Vehementeste, düsterste Klaviersonate der Romantik. Chopins künstlerische Auseinandersetzung mit dem Tod. Wie sie entstand und was sie bedeutet …

 

Im 19. Jahrhundert galt die große Sonate als ausgesprochen »deutsche« Musikform. Und wenn Chopin, jener polnische Komponist und Pianist, der die Seele des Klaviers zum Sprechen zu bringen vermochte, Polonaisen, Mazurken, Nocturnes oder Walzer schrieb – dann gewann er damit sogleich allgemeine Beliebtheit. Doch »Sonaten« mochte die akademische Musikwelt diesem zugleich sensiblen und stolzen Polen eigentlich nicht zutrauen.

Chopin wurde nur 39 Jahre alt. Er verbrachte die ersten 20 Jahre seines Lebens als bewunderter, enorm frühreifer Pianist und Komponist in Warschau, die verbleibenden 19 in Paris, wohin er wegen der Besetzung Warschaus durch die Russen geflohen war. Chopin gehört also gleichermaßen zur polnischen wie zur französischen Musikgeschichte. Als Chopins »Trauermarsch«-Sonate herauskam, wunderte sich der Chopin-Enthusiast Robert Schumann sehr. Schumann hatte zwar einst Chopin in einer Rezension schwungvoll begrüßt: »Hut ab, ihr Herren, ein Genie« – doch die Sonate verstörte ihn. Das sei eher eine »Caprice«. Chopin habe da »vier seiner tollsten Kinder« zusammengekoppelt. Hier irrte Schumann. Die melodiös und kühn inspirierte Sonate ist mit zwingender Logik um ihre Mitte – den berühmten »Trauermarsch« – gefügt. Der Trauermarsch war vor den übrigen Sätzen entstanden, 1837. Erst 1839 kamen die anderen Sätze hinzu.

Die »Sonata funèbre« ist trotz dieser langen Entstehungszeit eine erhabene Ganzheit. Nach finster-langsamen Einleitungstakten beginnt der Kopfsatz mit einer erregten, panisch wiederholten und gesteigerten kleinen Terz, einer Mollterz. Daraus bildet sich das große erste Thema. Ihm korrespondiert eine herrliche Melodie, ein zweites Thema, das auf einer großen Terz basiert. Diese lyrische Gestalt erhebt sich unwiderstehlich sehnsuchtsvoll über alle Finsternis, alles Leid. In der Durchführung – nach etwa drei Minuten – kämpfen lyrische und tragische Gesten fesselnd miteinander. In majestätischem Dur endet der erste Satz.

Der zweite Satz, ein phantastisches Scherzo, beginnt ekstatisch und trotzig wiederum in Moll. Doch der gesangvolle Mittelteil des Scherzos mündet auch in ruhiges Dur.

Dann folgt der »Trauermarsch«, der alles ins Düstere zwingt. Er wurde zur meistgespielten, von Blaskapellen bei Begräbnissen vorgetragenen, Trauermusik der Musikgeschichte. »Nun trinkt er kei-heinen Rotwein mehr«, skandierten die Trauernden insgeheim zur Melodie, wenn wieder einmal zu Chopins Tönen ein alter Kamerad zu Grabe getragen wurde. Man hört in diesem Trauermarsch Trommelwirbel und Salven, ein erhaben monotones Schreiten und eine paradiesisch tröstliche Melodie im Trio.

Was darauf als Finale folgt, ist nicht mehr fasslich. Leise Prestotriolen. Über Kategorien wie »Trost« oder auch »Verzweiflung« scheint diese fürchterliche Musik hinaus. Fahl, gestaltlos, wahnsinnig und umtriebig reagiert das Finale auf die Todesbotschaft des Trauermarsches. Der Satz ist kaum spielbar. Ganz leise bleiben, monoton, gleichsam seelisch tot: wie sollen lebende Interpreten das schaffen?

Wenn Sie Chopins Klaviersonate b-Moll mögen …

Wer die herbe polnische Poesie der »Trauermarsch«-Sonate liebt und Klaviermusik von ähnlicher Noblesse hören möchte, dem ließe sich Chopins Sonate h-Moll op. 58 empfehlen, das strahlend-vitale Gegenstück zur Sonate b-Moll. Oder auch Chopins Klavierkonzert f-Moll, dessen Mittelsatz ein dramatisches Rezitativ enthält. Ludwig van Beethovens »Trauermarsch«-Sonate« As-Dur op. 26 (die Chopin gekannt hat und die ihn vielleicht anregte) wäre auch zu nennen: gleichviel, ob man beeindruckt die Unterschiede feststellen oder eben die Ähnlichkeiten studieren möchte, die sich infolge des Trauermarsch-Charakters ergeben.

Die fesselndsten Interpretationen von Chopins Klaviersonate b-Moll

Arthur Rubinstein, im polnischen Lodz geboren, in Berlin ausgebildet, ein stolzer Pole und hinreißend witziger Weltbürger, gleichermaßen in Paris wie New York zu Hause – Rubinstein hat eine herrlich entflammte, lebensvolle, großartig sonore Interpretationder »Trauermarsch«-Sonate eingespielt. Er galt als größter Chopin-Interpret seiner Zeit. Die Aufnahme entstand 1946. Überwältigend alles Gesangliche, Herzliche und Atmende.

Vladimir Horowitz hat Chopins »Trauermarsch«-Sonate mehrfach eingespielt. Mit der ersten Interpretation von 1950 (bei RCA) war er später unzufrieden. Trotz geradezu dämonisch virtuosen Klavierspiels schien sie ihm doch zu zuchtlos wild. Die zweite, hier empfohlene Aufnahme entstand 1962. Sie ist ekstatisch, ungeheuer farbig, virtuos. Horowitz vermag sogar die Entsetzensmonotonie des Finales darzustellen. Da wird nur zu verständlich, warum Horowitz seine Fans so faszinierte.

Sergei Rachmaninow ist nicht nur einer der großen russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts gewesen, sondern auch ein unnachahmlich vornehmer, subtiler Pianist. Seine Einspielung der »Trauermarsch«-Sonate von 1930 wurde berühmt, weil Rachmaninow den Trauermarsch als Szene gestaltete: Das beginnt leise, wie aus der Ferne, steigert sich machtvoll, verschwindet wieder. Die Monotonie des Finales hielt Rachmaninow nicht aus: Er zauberte aus Chopins Passagen sinnige Melodien heraus …

WHO’S WHO

LUDWIG VAN BEETHOVEN →KAISERS KLASSIK Nr. 1

Klaviersonate As-Dur Nr. 12 op. 26 — 1. Satz: Andante con variazioni; 2. Satz: Scherzo. Allegro molto; 3. Satz: Marcia funebre sulla morte d’un eroe; 4. Satz: Allegro

FRÉDÉRIC CHOPIN (auch Fryderyk Chopin), geboren am 1. März (oder 22. Februar?) 1810 in Zelazowa-Wola (bei Warschau), gestorben am 17. Oktober 1849 in Paris, polnischer Komponist und Pianist

Klaviersonate b-Moll Nr. 2 op. 35 (1839) — 1. Satz: Grave – Doppio movimento; 2. Satz: Scherzo. Presto ma non troppo; 3. Satz: Marche funèbre. Lento; 4. Satz: Finale. Presto

Klaviersonate b-Moll Nr. 3 op. 58 (1844) — 1. Satz: Allegro maestoso; 2. Satz: Scherzo. Molto vivace; 3. Satz: Largo; 4. Satz: Finale. Presto non tanto

KONZERT FÜR KLAVIER UND ORCHESTER F-MOLL NR. 2 op. 21 →KAISERS KLASSIK NR. 94

VLADIMIR HOROWITZ (eigentlich Wladimir Samoilowitsch Gorowiz), geboren am 1. Oktober 1903 in Berditschew, gestorben am 5. November 1989 in New York, amerikanischer Pianist ukrainischer Herkunft

SERGEI WASSILJEWITSCH RACHMANINOW →KAISERS KLASSIK Nr. 96

ARTHUR RUBINSTEIN, geboren am 28. Januar 1887 in Lodz, gestorben am 20. Dezember 1982 in Genf, amerikanischer Pianist polnischer Herkunft

ROBERT SCHUMANN →KAISERS KLASSIK Nr. 8

5RICHARD WAGNERTristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen

 

Leidenschaftliche, sehnsuchtsvoll hochromantische Oper über Liebe und Tod. Wie die Oper entstand und was sie bedeutet …

 

Wenn es um Tristan und Isolde geht, dann fangen die Wagnerianer an zu schwärmen. Und die Wagner-Feinde, die gern über die angeblich deutschtümelnden Meistersinger von Nürnberg spotten oder über den »Ring, der nie gelungen« – sie senken zumindest die Stimme. Tristan und Isolde gilt als gewaltigste Darstellung sinnlich-übersinnlicher Liebe, die je in Töne gesetzt wurde. Als der Philosoph Friedrich Nietzsche schon tief mit Wagner zerstritten war, schrieb er begeistert: »Von dem Augenblick, wo es einen Klavierauszug des Tristan gab … war ich Wagnerianer. Ich suche noch heute nach einem Werk von gleich gefährlicher Faszination, von einer gleich schauerlichen und süßen Unendlichkeit …«

Wagner ging im Tristan aufs Ganze. Er war bereits bekannter Opernkomponist, hatte wegen revolutionärer Umtriebe emigrieren müssen, arbeitete im Exil am Ring des Nibelungen. Er verzweifelte, je mit dem (vier Musikdramen umfassenden) Riesenprojekt fertig zu werden. Und verliebte sich in Mathilde, die schöne junge Frau seines reichen Gönners Otto Wesendonck.

Eigentlich wollte Wagner endlich wieder mit etwas Gesanglichem, Wirkungsvollem die Bühnen der Welt erreichen. Aber sein Genius zwang ihn zu heikelster, fast unaufführbar anspruchsvoller Kunst.

Das Vorspiel steht an der Schwelle zur modernen Musik. Schwebende Dissonanzen, Pausen voller Unendlichkeit, sehnsüchtiges chromatisch-enges Melos. Der erste Akt gehört dann Isolde. Sie wütet hochdramatisch – weil Tristan sie als kühler Brautwerber zur Ehe mit dem müden König Marke holt. Die Begegnung zwischen Tristan und Isolde, zu den Klängen eines gleichsam höfischen, nur eben düster gesteigerten Menuetts – »Herr Tristan, trete nah« –, bereitet Tod und Selbstmord vor. Statt des Todestranks reicht Isoldes mitleidige Magd Brangäne einen Liebestrank. Ekstatisch sinken sich Isolde und Tristan in die Arme.

Im zweiten Akt herrscht Nacht. Bei der Begegnung im Park wird die Musik so rasend wild, als sei ein Orgasmus komponiert. Dann vereinigen sich in zartem Übergang die Stimmen der Liebenden zum Kanon: »O sink hernieder, Nacht der Liebe.« Was die beiden einst trennte, ist die heikle Vorgeschichte. Isolde hat einst Tristan, den Mörder ihres Verlobten, töten wollen – aber nicht töten können. Weil er sie von seinem Krankenlager mitleidheischend anblickte? Oder weil er sie abschätzig gemustert hat, ob sie als Frau des Königs Marke in Frage käme? Vielleicht auch, weil er sich damals, seiner höfischen Karriere wegen, nicht zur ihm kaum bewussten Liebe bekannte. Jetzt im zweiten Akt ist alles gut. Aber die Wirklichkeit, »der böse Tag«, holt die beiden ein. Tristan wird verwundet.

Der Schlussaufzug gilt Tristans Not, seinen Fieberphantasien, seinem Warten auf Isolde. Endlich erscheint sie. Tristan stirbt in ihren Armen. Sie folgt ihm, verklärt den Liebestod suchend und findend.

Wenn Sie Wagners Tristan und Isolde mögen …

… und andere Opern von solcher leidenschaftlichen Kraft kennen lernen wollen, dann ist die Auswahl nicht groß. Die Walküre aus Wagners Tetralogie Der Ring des Nibelungen ließe sich empfehlen, in einigem Abstand auch Giuseppe Verdis Otello. Gaetano Donizettis Liebestrank hingegen hat zwar gleichfalls mit dieser für Tristan und Isolde so wichtigen erotisierenden Flüssigkeit zu tun – ist aber keineswegs tragisch, sondern eine entzückende, harmlose komische Oper.

Die fesselndsten Interpretationen von Wagners Tristan und Isolde

Wilhelm Furtwängler hat zusammen mit Ludwig Suthaus (Tristan), Kirsten Flagstad (Isolde) und dem Philharmonia Orchestra 1952 die nach wie vor gewaltigste Deutung dieser symphonischen Oper geboten. Ungeheuerlich, wie er die fahle Verzweiflungsstimmung zu Beginn des dritten Akts trifft, wie dann Tristan und das Orchester die »traurige Weise« zur Wahnsinnsmusik steigern. Oder wie Isolde am Anfang rast. Der junge Dietrich Fischer-Dieskau gab einen liebenswerten Kurwenal.

Carlos Kleiber, der sich auf Konzert- und Opernpodien leider so rar macht, gilt als bester Tristan-Dirigent der Gegenwart. Seine Aufnahme von 1982 mit René Kollo und der wunderbar lyrischen Isolde von Margaret Price bevorzugt manchmal das Orchester (Staatskapelle Dresden) und hält zumal Kollos Tenor etwas zu sehr im akustischen Hintergrund. Das stört im dritten Akt – aber im zweiten triumphiert Kleibers vitale poetische Vergegenwärtigungskraft.

Mindestens ein Jahrzehnt lang waren unter Karl Böhms Leitung Wolfgang Windgassen und die strahlend-kräftige hochdramatische Birgit Nilsson das berühmteste Tristan-Team der Opernwelt. Der Mitschnitt einer Bayreuther Festspiel-Aufführung von 1966 hält große Kunst fest: Es ist eine herzliche, natürliche, von zarter Trauer und wildem Schmerz erfüllte Interpretation.

WHO’S WHO

KARL BÖHM, geboren am 28. August 1894 in Graz, gestorben am 14. August 1981 in Salzburg, österreichischer Dirigent

GAETANO DONIZETTI, geboren am 29. November 1797 in Bergamo, gestorben am 8. April 1848 in Bergamo, italienischer Komponist

L’elisir d’amore (Der Liebestrank), Melodramma in zwei Akten; Text: Feiice Romani nach Eugène Scribe; Uraufführung: Mailand, 12. Mai 1832

DIETRICH FISCHER-DIESKAU, geboren am 28. Mai 1925 in Berlin, deutscher Sänger (Bariton)

KIRSTEN FLAGSTAD, geboren am 12. Juli 1895 in Hamar (Hedmark), gestorben am 7. Oktober 1962 in Oslo, norwegische Sängerin (Sopran) und Theaterleiterin

WILHELM FURTWÄNGLER, geboren am 25. Januar 1886 in Berlin, gestorben am 30. November 1954 in Ebersteinburg (heute zu Baden-Baden), deutscher Dirigent und Komponist

CARLOS KLEIBER, geboren am 3. Juli 1930 in Berlin, argentinischer Dirigent österreichischer Herkunft

RENÉ KOLLO, geboren am 20. November 1937 in Berlin, deutscher Sänger (Tenor) und Theaterleiter

FRIEDRICH NIETZSCHE, geboren am 15. Oktober 1844 in Röcken (bei Lützen), gestorben am 25. August 1900 in Weimar, deutscher Philosoph und Philologe

BIRGIT NILSSON, geboren am 17. Mai 1918 in Karup (bei Kristianstad), schwedische Sängerin (Sopran)

MARGARET PRICE, geboren am 13. April 1941 in Blackwood (Monmouth), britische Sängerin (Sopran)

LUDWIG SUTHAUS, geboren am 12. Dezember 1906 in Köln, gestorben am 7. September 1971 in Berlin, deutscher Sänger (Tenor)

Giuseppe Verdi

Otello → KAISERS KLASSIK Nr. 90

RICHARD WAGNER, geboren am 22. Mai 1813 in Leipzig, gestorben am 13. Februar 1883 in Venedig, deutscher Komponist

Die Meistersinger von Nürnberg → KAISERS KLASSIK NR. 83

Der Ring des Nibelungen→ KAISERS KLASSIK NR. 15–18

Tristan und Isolde, Handlung in drei Aufzügen; Text: Richard Wagner nach Gottfried von Straßburg; Uraufführung: München, 10. Juni 1865

MATHILDE WESENDONCK (geborene Agnes Luckemeyer), geboren am 23. Dezember 1828 in Elberfeld (heute zu Wuppertal), gestorben am 31. August 1902 in Traunblick (Salzkammergut), deutsche Schriftstellerin, Freundin Richard Wagners

OTTO WESENDONCK, geboren am 16. März 1815 in Elberfeld (heute zu Wuppertal), gestorben am 18. November 1896 in Berlin, deutscher Kaufmann

WOLFGANG WINDGASSEN, geboren am 26. Juni 1914 in Annemasse (bei Genf), gestorben am 8. September 1974 in Stuttgart, deutscher Sänger (Tenor) und Regisseur

6BEDŘICH SMETANADie Moldau

Symphonische Dichtung aus dem Zyklus»Mein Vaterland«

 

Mitreißende und melodienselige symphonische Dichtung. Erklärt und verklärt einen Fluss – die strömende Seele der Tschechei. Wie Die Moldau entstand und was sie bedeutet …

 

Rührend zu denken, dass Smetana fast taub war, als er Die Moldau komponierte – diese schönste und patriotischste Tondichtung, die je einem Fluss gewidmet wurde. Die Moldau soll eigentlich nicht allein fließen und tönen, sondern ist Bestandteil des großen sechsteiligen symphonischen Zyklus Mein Vaterland. In diesen sechs symphonischen Dichtungen demonstriert Smetana, wie leidenschaftlich er mit jener tschechischen Nationalbewegung fühlte, die im 19. Jahrhundert endlich die völkische Selbständigkeit der seit Jahrhunderten unterdrückten Einwohner Böhmens und Mährens herbeiführen wollte.

Die Moldau wurde weitaus populärer als die übrigen fünf Stücke des Mein Vaterland-Zyklus, weil sie so überwältigend sinnfällig und unwiderstehlich melodisch geriet. Kein fühlender Mensch kann sich dem Zauber dieser slawisch-böhmischen Melodien entziehen – ihrer zugleich naiven und melancholischen Herzlichkeit. Bereits der Anfang ist ein kleines Wunder. Man hört, wie aus rieselnden Quellen – Flöten eilen sanft geschäftig – allmählich eine immer vollere Bewegung entsteht. »Bächlein vereinigen sich zu einem Strom«: So erklärte in einer kurzen Inhaltsangabe Smetana diesen poetischen Beginn. Den Strom selbst symbolisiert dann eine zugleich innig und erhaben inspirierte Melodie. Wer sie einmal erlebt und verstanden hat, vergisst sie so leicht nicht mehr.

Die Moldau fließt in Moll. Zwar können gelehrte Musikliebhaber gewiss feststellen, dass Die Moldau fast genauso beginnt wie der letzte Satz von Franz Schuberts kleiner Klaviersonate a-Moll – gleichwohl wird niemand leugnen, wie »böhmisch« die Harmonik dieser Musik ins Ohr geht. Kaum ist aus den Quellen der lebendige und majestätische Strom geworden, hören wir, wie die Moldau an einer »Waldjagd« vorbeifließt: Ein Fanfarenmotiv der Hörner macht das deutlich, wobei der Glanz der Musik verrät, wieviel Smetana von Richard Wagner gelernt hat, den er so sehr bewunderte. Wagners Rhein fließt freilich philosophischer als Smetanas Moldau. Die nämlich kommt, kaum ist die »Waldjagd« zerstoben, auch an einer »Hochzeit auf dem Lande« vorbei, wo man schwungvoll Polka tanzt. Danach tönt die Musik himmlisch zart und weicht bis nach As-Dur aus. Elfen im Mondschein. Weiter geht es, vorbei an gefährlichen Stromschnellen, an Felsen und Burgen. Der Strom wird immer breiter und majestätischer.

Endlich erreichen die wirbelnden Wellen Prag, die alte Burg Vyšehrad am Rande der Stadt, in der sich so manches schicksalsträchtige Ereignis der tschechischen Geschichte zutrug und die für Smetana symbolischer Ausdruck seines Vaterlands gewesen ist.

In ihrer Mischung aus Sinnfälligkeit und Originalität liegt der Zauber dieser Musik. Mit dem Formschema der traditionellen »klassischen« Symphonie hat Die Moldau nichts mehr zu tun. Diese »symphonische Dichtung« gewinnt ihre eigenständige und einzigartige Gestalt aus den Abenteuern eines Flusses, die sich genial selbstverständlich im Fließen großer Orchestermusik ausdrücken.

Wer Smetanas Moldau mag …

… den müssen nicht nur die übrigen fünf Teile des Zyklus Mein Vaterland, sondern auch Smetanas Streichquartett »Aus meinem Leben« interessieren. Da schildert der Komponist liebevoll die frühen Phasen seiner Jugend und entsetzt jenen schrillen hohen Ton, der sein Gehörleiden symbolisiert. Wem es allerdings hauptsächlich darauf ankommt, Wasser symphonisch rauschen zu hören, der sollte es einmal mit dem Beginn von Wagners Rheingold oder Claude Debussys La Mer versuchen.

Die fesselndsten Interpretationen von Smetanas Moldau

Rafael Kubelik, im tschechischen Býchory als Sohn des berühmten Prager Violinvirtuosen Jan Kubelík geboren, hat als Dirigent das böhmische Idiom der »Moldau« ganz selbstverständlich und natürlich im Handgelenk. Wenn er, langjähriger Chef des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, mit seinen Münchner Musikern diese Tondichtung vorführt, dann ergibt sich eine unsentimentale, bezaubernde und herzliche Richtigkeit.

Ferenc Fricsay steigerte 1960 mit den Berliner Philharmonikern eine prächtige Aufführung der Moldau zu einem Stück großer, temperamentvoller, festlicher Symphonik: mitreißender Schwung, heller Glanz. Manchmal klingt es durchaus preußisch-straff. Aber das bekommt der Moldau nicht schlecht; und die Gefahr alles Biedermeierlich-Anekdotischen ist wahrlich gebannt.

Die Moldau-Interpretation, die Antal Doráti mit dem Amsterdamer Concertgebouw Orkest bietet, ist die jüngste der hier genannten Einspielungen – und doch die weitaus langsamste! Dorati lässt den Fluss ganz gemächlich entstehen – er wagt ruhiges Gefühl, bietet eine klassisch maßvolle, manchmal gefährlich episch»breite« Wiedergabe. Die Moldau hält das erstaunlicherweise genauso gut aus wie Fricsays Temperament. Dauert unter Doratis Händen freilich mehr als zwei Minuten länger.

WHO’S WHO

CLAUDE DEBUSSY, geboren am 22. August 1862 in Saint-Germain-en-Laye (bei Paris), gestorben am 25. März 1918 in Paris, französischer Komponist

La Mer. Trois esquisses symphoniques (Das Meer. Drei symphonische Skizzen) (1905) — I: De l’aube à midi sur la mer. Très lent; 2: Jeux de vagues. Allegro; 3: Dialogue du vent et de la mer. Animé et tumultueux

ANTAL DORATI (eigentlich Antal Doráti), geboren am 9. April 1906 in Budapest, gestorben am 13. November 1988 in Gerzensee (bei Bern), amerikanischer Dirigent ungarischer Herkunft

FERENC FRICSAY, geboren am 9. August 1914 in Budapest, gestorben am 20. Februar 1963 in Basel, österreichischer Dirigent ungarischer Herkunft

JAN KUBELÍK, geboren am 5. Juli 1880 in Michle (bei Prag), gestorben am 5. Dezember 1940 in Prag, tschechischer Geiger

RAFAEL KUBELIK (eigentlich Rafaël Kubelík), geboren am 29. Juni 1914 in Beichor (bei Kolin, Mittelböhmen), gestorben am 11. August 1996 in Kastanienbaum (bei Luzern), schweizerischer Dirigent tschechischer Herkunft

BEDŘICH SMETANA, geboren am 2. März 1824 in Leitomischl (Ostböhmen), gestorben am 12. Mai 1884 in Prag, tschechischer Komponist

Má vlast (Mein Vaterland), Zyklus symphonischer Dichtungen — 1: Vyšehrad (1874); 2: Vltava (Die Moldau; 1874); 3: Šárka (1875); 4: Z Českych luhů a hájů (Aus Böhmens Hain und Flur; 1875); 5: Tábor (1878); 6: Blaník (1879)

Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello e-Moll Nr. 1 »Z mého život (Aus meinem Leben)« (1876) →KAISERS KLASSIK NR. 79

FRANZ SCHUBERT → KAISERS KLASSIK Nr. 7

Klaviersonate a-Moll Nr. ij op. 143 D. 784 (1823) — 1. Satz: Allegro giusto; 2. Satz: Andante; 3. Satz: Allegro vivace

RICHARD WAGNER

Der Ring des Nibelungen → KAISERS KLASSIK NR. 15–18

7 FRANZ SCHUBERTDie schöne Müllerin

Liederzyklus D. 795

 

Betörend melodischer Liederzyklus nach Texten von Wilhelm Müller. Aus 20 Liedern bestehende Geschichte einer glücklich beginnenden, unselig endenden Liebe. Wie Die schöne Müllerin entstand und was sie bedeutet …

 

So schön, so herzbewegend Kunstlieder auch sein können: manchmal packt selbst die genialsten Lied-Erfinder der Ehrgeiz, mehr zu geben als nur die »kleine Form« des klavierbegleiteten Sololieds. Dann werden Lieder zu einer Geschichte gebündelt. So entstanden die großen »Liederzyklen« der deutschen Klassik und Romantik, um die uns die ganze Welt beneidet. Denn das melodienfrohe, herzliche, von den Aufschwüngen und Abgründen der Menschenseele tönende Kunstlied ist ein typisch deutscher Gegenstand. Dergleichen gibt es in solcher Vollendung anderswo kaum.

Ludwig van Beethoven komponierte den ersten erwähnenswerten Liederzyklus (An die ferne Geliebte). Dann folgte sogleich Schubert mit den Höhepunkten dieser Gattung: nämlich der Schönen Müllerin von 1823 und der Winterreise, die Schubert 1827 komponierte, ein Jahr vor seinem so tragisch frühen Tod im 31. Lebensjahr.

Die schöne Müllerin beginnt heiter. »Das Wandern ist des Müllers Lust«, erfahren wir in vielen munteren Strophen: das »Wa-ha-ha-haha-ha-handern«. Die Melodie kann sich gar nicht genugtun im Ausschmücken dieses Glücksgefühls. Bald, im zweiten Lied schon, hört die naturburschenhafte Fröhlichkeit auf. Der neben dem Bach wandernde Müller fühlt sich sonderbar: »Ich weiß nicht, wie mir wurde …« Die Musik gleitet unversehens ins Moll. Dabei besteht zur Trauer nicht der mindeste Anlass. Denn der Bach führt unseren Müllerburschen zu einer Mühle samt wunderschöner Müllerin. Der Müllerbursch verliebt sich innig, aber ängstlich. Das sechste Lied, Der Neugierige, enthält ein überwältigendes langsames Zwiegespräch zwischen dem Müller und dem Bach: »O Bächlein meiner Liebe, was bist du wunderlich! Will’s ja nicht weitersagen, sag Bächlein, liebt sie mich?« Die schmerzlich zwischen Hell und Dunkel schwankende Adagiomelodie ist ein zartes Schubert-Wunder. Zunächst geht offenbar alles gut für unseren jungen Mann. »Ich schnitt es gern in alle Rinden ein … dein ist mein Herz und soll es ewig bleiben.« In seiner Verliebtheit übertreibt er so, dass die Verse seiner Ungeduld oft parodiert wurden. (»In alle Marzipane möcht ich’s drücken / Und spicken gern in alle Hasenrücken«, spöttelte Hanns von Gumppenberg.) Das elfte Lied heißt Mein! Die Geschichte scheint also glücklich zu verlaufen. Aber vorher hat es einen seltsamen Tränenregen gegeben – und statt für den Müllerburschen interessiert sich die Müllerin – man kann die junge Frau sogar ein wenig verstehen – allmählich für einen kräftigen Jäger. Dessen Grün ist Die liebe Farbe – und zugleich für den eifersüchtigen Müllerburschen Symbol des Todeswunsches. In diesem beispiellos melancholischen 16. Lied erklingt in der Klavierbegleitung über 500-mal (!) unauffällig entsetzlich der gleiche Ton. Die letzten drei Lieder des Zyklus – Trockne Blumen, Der Müller und der Bach, Des Baches Wiegenlied – drücken manisch-depressive Verzweiflung und Wiener Todessehnsucht so inständig und diskret aus, wie nur ein Schubert dergleichen zu komponieren vermochte.

Wenn Sie Schuberts Schöne Müllerin mögen.

Wem irgendwann einmal aufging, wie unermesslich bewegend Schuberts Schöne Müllerin ist, der dürfte leicht dazu zu bringen sein, sich auch Schuberts (weit herberem, abgründigerem) Zyklus Winterreise zu widmen und darüber hinaus all die schubertschen Lieder in sein Leben hineinzunehmen, die vom Wandern handeln, vom Bach, vom Mond, von Liebesglück und Einsamkeit. Gustav Mahlers Zyklus Lieder eines fahrenden Gesellen ist dem schubertschen Vorbild spätromantisch verwandt. Auch da geht es um unglückliche Liebe und unermessliche Verzweiflung.

Die fesselndsten Interpretationen von Schuberts Schöner Müllerin

Ohne Dietrich Fischer-Dieskaus unvergleichliche Vergegenwärtigungskraft hätte es in den Jahrzehnten nach 1945 die weltweite Renaissance, den »Boom« des deutschen Kunstlieds nicht gegeben. Dieser Bariton hat Schuberts Zyklus immer wieder neu empfunden und gestaltet. Stets so ausdrucksstark, als ob die Lieder gerade in ihm entstünden. Wer Die liebe Farbe oder die fast brahmssche Herbheit von Des Baches Wiegenlied nie von Fischer-Dieskau gehört hat, ahnt nicht, welche seelischen Abenteuer sich in Schubert-Liedern verbergen. Als Fischer-Dieskau Die schöne Müllerin 1962 mit dem Begleiter Gerald Moore aufnahm, war seine Stimme noch frisch und jung.

Der Sänger Fritz Wunderlich besaß nicht eine Baritonstimme wie Fischer-Dieskau, sondern war ein vehement strahlender lyrischer Tenor. In der Schönen Müllerin sang Wunderlich beispielsweise die Ungeduld so heldisch leuchtend, wie nur ein Tenor es vermag. Seinen Freunden gegenüber vertrat der 1966 als 36-jähriger infolge eines Unfalls verstorbene Wunderlich denn auch die Meinung, Schubert habe Die schöne Müllerin eigentlich für Tenöre komponiert. Ihm glaubte man es.

Der Bariton Olaf Bär gehört einer neuen Sängergeneration an. Seine Interpretation der Schönen Müllerin entstand 1986. Der Künstler meidet alle Überladenheit, scheut sich vor übermäßig ausdeutendem Deklamieren. Wir hören eine zurückhaltende und darum berührende Wiedergabe von Schuberts unerschöpflichen Liedern. Man versteht jedes Wort – und Geoffrey Parsons am Flügel begleitet höchst kompetent.

WHO’S WHO

OLAF BÄR, geboren am 19. Dezember 1957 in Dresden, deutscher Sänger (Bariton)

LUDWIG VAN BEETHOVEN → KAISERS KLASSIK Nr. 1

An die ferne Geliebte. Ein Liederkreis von Alois Jeitteles für Gesang und Pianoforte op. 98 (1816) — 1: Auf dem Hügel sitz’ ich spähend; 2: Wo die Berge so blau; 3: Leichte Segler in den Höhen; 4: Diese Wolken in den Höhen; 5: Es kehret der Maien, es blühet die Au; 6: Nimm sie hin denn diese Lieder

JOHANNES BRAHMS →KAISERS KLASSIK Nr. 10

DIETRICH FISCHER-DIESKAU, geboren am 28. Mai 1925 in Berlin, deutscher Sänger (Bariton)

HANNS FREIHERR VON GUMPPENBERG, geboren am 4. Dezember 1866 in Landshut, gestorben am 29. März 1928 in München, deutscher Schriftsteller und Kritiker

GUSTAV MAHLER →KAISERS KLASSIK Nr. 9

Lieder eines fahrenden Gesellen für Singstimme und Orchester, Texte: Gustav Mahler und aus »Des Knaben Wunderhorn« (1884) — 1: Wenn mein Schatz Hochzeit macht; 2: Ging heut’ morgen übers Feld; 3: Ich hab’ ein glühend Messer; 4: Die zwei blauen Augen von meinem Schatz

GERALD MOORE, geboren am 30. Juli 1899 in Watford (Hertfordshire), gestorben am 13. März 1987 in Buckinghamshire, britischer Pianist

WILHELM MÜLLER (genannt Griechen-Müller), geboren am 7. Oktober 1794 in Dessau, gestorben am 30. September 1827 in Dessau, deutscher Dichter

GEOFFREY PARSONS, geboren am 15. Juni 1929 in Sydney, australischer Pianist

FRANZ SCHUBERT, geboren am 31. Januar 1797 in Lichtental (heute zu Wien), gestorben am 19. November 1828 in Wien, österreichischer Komponist

Die schöne Müllerin. Ein Zyklus von Liedern von Wilhelm Müller op. 25 D. 795 (1823) — 1: Das Wandern; 2: Wohin?; 3: Halt!; 4: Danksagung an den Bach; 5: Am Feierabend; 6: Der Neugierige; 7: Ungeduld; 8: Morgengruß; 9: Des Müllers Blumen; 10: Tränenregen; 11: Mein!; 12: Pause; 13: Mit dem grünen Lautenbande; 14: Der Jäger; 15: Eifersucht und Stolz; 16: Die liebe Farbe; 17: Die böse Farbe; 18: Trockne Blumen; 19: Der Müller und der Bach; 20: Des Baches Wiegenlied

Winterreise →KAISERS KLASSIK NR. 42

FRITZ WUNDERLICH, geboren am 26. September 1930 in Kusel (bei Kaiserslautern), gestorben am 17. September 1966 in Heidelberg, deutscher Sänger (Tenor)

8 ROBERT SCHUMANNCarnaval

Zyklus für Klavier op. 9

 

Glänzender; romantisch schwungvoller Tanzzyklus. Auf einer wirbelnden Weltbühne lässt Schumann sich selber doppelt auftreten – als schwärmerischer Eusebius und als mutwilliger Florestan. Dazu porträtiert er hier manche Figuren, die er liebte oder bewunderte: seine Clara, aber auch Chopin und Paganini. Wie der Carnaval entstand und was er bedeutet …

 

Als Schumann 24 Jahre alt war, dachte er noch nicht allzu passioniert an Clara, die Tochter seines Lehrers Friedrich Wieck. Er kannte sie, bewunderte sie als blutjunge 15-jährige Virtuosin. Doch dass jene Clara Wieck die große Liebe und Erfüllung seines Lebens werden würde, machte sich der junge, genial frühbegabte Feuergeist Schumann kaum klar: Er verlobte sich mit einer anderen Schülerin seines gestrengen Lehrers Wieck, mit Ernestine, der Pflegetochter des Freiherrn von Fricken aus Asch in Böhmen. Übrigens soll Ernestine in Wahrheit dieses Flöte spielenden Aristokraten uneheliche Tochter und zugleich seine »Gespielin« gewesen sein.

Wir wüssten heute kaum etwas von besagter Dame, hätte Schumann nicht sie und vor allem ihren Wohnort unsterblich gemacht. Der Städtename Asch, bestehend aus den vier Buchstaben A-Es-C-H (oder auch As-C-H), ging in viele Nummern des Carnaval als immer wieder benutzte Tonfolge ein, als Urmaterial.

Schwungvoller, weltläufiger, kontrastreicher komponierte Schumann nie. Es beginnt mit einem festlichen Vorspiel, das sich aus einem markanten Auftakt entwickelt. Zwei donnernde Akkorde: kurz – lang! Das wiederholt sich, wird beschleunigt, wächst, nein: explodiert zu einer grandiosen Tonleiter aus Fortissimoakkorden.

Die Weltbühne, die von dieser Musik hingezaubert wird, hat nichts Provinzielles, Verdruckstes. Auch in Paris oder Petersburg konnte 1834 niemand brillanter für Klavier schreiben als unser Schumann aus Zwickau. Im Carnaval macht er sogar Witze! Gleich die erste Nummer: Der »Pierrot« stolpert heftig laut im eigentlich unbetonten Taktteil seiner Perioden (scheint ganz offenbar beschwipst). Dann spricht Clara alias »Chiarina« ihr Machtwort. Frédéric Chopin, den Schumann für Deutschland entdeckt hat, taucht auf; Niccolò Paganini brilliert mit rasenden Sechzehnteln.