Kampf ums Wasser - Claude Piel - E-Book

Kampf ums Wasser E-Book

Claude Piel

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Beschreibung

Wasser ist die Grundlage allen Lebens. Zwar sind gut 70 Prozent unseres blauen Planeten von Wasser bedeckt, aber lediglich bei drei Prozent davon handelt es sich um trinkbares Süßwasser, von dem wiederum nur ein Drittel für den Menschen nutzbar ist. Seit den 1960er Jahren hat sich der weltweite Wasserverbrauch verdoppelt, doch die Ressourcen sind nicht mitgewachsen. Rund zwei Milliarden Menschen auf der Welt haben heute schon keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Die durch den Klimawandel hervorgerufene Erderwärmung und das gleichzeitige Wachstum der Weltbevölkerung werden zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage führen. Wasser wird in Zukunft eine immer knappere Ressource: Einem Viertel der Weltbevölkerung droht akuter Wassermangel. Hinzu kommt: Ohne Wasser kann auch keine Landwirtschaft existieren, so dass Hungersnöte bevorstehen. Experten sprechen von "Wasserstress" als Ursache von Hunger, Konflikten und Migration. Wer glaubt, dass davon vor allem Nordafrika und der Nahe Osten betroffen seien, irrt sich gewaltig. Auch in Europa ist der Wasserstress längst spürbar. In diesem Buch analysiert die Autorin präzise, was auf uns zukommt, wenn es uns nicht gelingt, das "Wasserproblem" zu lösen. Sie zeigt zugleich Wege auf, wie eine weltweite Wasserversorgung in der Zukunft sichergestellt werden kann.

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Seitenzahl: 411

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Widmung

Dieses Buch ist allen Menschen gewidmet, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Ob in der Wüste oder auf entlegenen Inseln, ob in den Slums Nordamerikas, den Favellas Brasiliens, den Großstädten Afrikas oder Asiens: Millionen Menschen leiden unter der schlechten Trinkwasserqualität. Dieses Buch ist für sie und vor allem für die Kinder, die unter dem unsäglichen Mangel an sauberem Wasser leiden.

Danksagungen

Danke an das Centrum für Angewandte Technologien und das mariCUBE im Bereich der blauen Biotechnologien und der Aquakultur für die tatkräftige Unterstützung.

Danke an Philippe Cury, einen französischen Wissenschaftler, der die Forschung durch die Entwicklung ökologischer Konzepte sowie einer internationalen wissenschaftlichen Führung über den Ökosystemansatz für ausgebeutete Meeresressourcen maßgeblich beeinflusst hat.

Danke an die Leitung des Programms „Mensch-Gesellschaft-Umwelt“ der Universität Basel in der Schweiz. Sie beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten der nachhaltigen Bewirtschaftung von Ressourcen.

Danke an die Denkfabrik Diplomatic Council, in dessen Verlag dieses Buch erscheint und die als Beraterorganisation der Vereinten Nationen unermüdlich für Frieden und Menschlichkeit kämpft.

Hinweis

Die Autorin hat großen Wert darauf gelegt, dieses Werk in ihrem eigenen Schreibstil in deutscher Sprache zu verfassen, also keine Übersetzung zu verwenden. Dies erhöht die Authentizität ihrer Ausführungen und ist ein Ausdruck ihrer Leidenschaft für dieses für das Überleben der Menschheit essenzielle Thema.

Inhalt

Vorwort

Prolog

Machtfaktor Wasser

Wasserwissen ist wichtig

Einleitung

Eine Rede vor den Vereinten Nationen

Neun Milliarden Menschen bis 2040

Würde-Könnte-Lösungen sind in Sicht

Ein knappes und lebenswichtiges Gut

Drei Arten von Konflikten um Wasser

Wasserkriege im 21. Jahrhundert

Zusammenhänge bei Konflikten ums Wasser

Die Wassermächte

Der Wasserkreislauf und der Regen

Das Wasser des Lebens für Nahrung und vieles mehr

Fünf Arten von Trinkwasser

Zugang zu Wasser und Infrastruktur

Fehlende Wasserzugänge und Wasseraufbereitung

Der Weg zum sauberen Trinkwasser

Das Kind ist in den Brunnen gefallen

Über 50 Millionen Menschen ohne Leitungswasser

Grenzübergreifend: Staudamm GERD

Grenzübergreifend: Indien, Pakistan, Bangladesch

Das Recht des Schwächeren

Der Wasserverbrauch steigt und steigt

Weltweiter Verbrauch im Überblick

Die Siebzig-zwanzig-zehn-Aufteilung

Süßwasser für die globale Ernährung

Indien schöpft aus seinen letzten Wasserreserven

Wo ist der Aralsee geblieben?

Das Drama der Wälder und der Wüstenbildung

Soja, das grüne Gold

Mögliche Zerstörung des Wasserkreislaufs

Wasserfresser Industrie

Wasser für die Rechenzentren

In Deutschland wird das Wasser knapp

Teslas Gigafactory im Wasserschutzgebiet

Weniger Wasser pro Mensch, aber mehr Menschen

Extreme Wasserverschmutzung

Wasser – Opfer aller Verschmutzungen

Viele Aktivitäten führen zur Wasserverschmutzung

Die Folgen für unser Leitungswasser

Von chemischem Dünger, Pestiziden und Geldgier

Pestizide in Europa weiterhin zugelassen

Trinkwasserinfrastrukturen sind veraltet

Umweltgerechtigkeit für schwächere Gruppen

3M in Belgien, thermische Verschmutzung in den USA

Indiens Dürre, Feuer, Bhopal und Coca-Cola

Coca-Cola – Weltmeister der Plastikverschmutzung

Die Privatisierung der Wasserversorgung

Geldrausch nach dem Blauem Gold

Leitungswasser: in Oslo teuer, in Beirut billig

Nestlés Wunderressource Wasser

Nestlé nimmt Vittel in Deutschland vom Markt

Die Abwassermilliarden von Veolia

Globales Drama, Börse und Aktienfieber

In welche Wasseraktien lohnt es sich zu investieren?

Zwölf Billionen Dollar für Wasserinfrastruktur

Knappheit durch Klimawandel

Der Klimawandel beschleunigt sich

Wie funktioniert eigentlich der Treibhauseffekt?

Vom Wasserkreislauf zum Hitzekreislauf

Klimatische Gefahren als „Haupttreiber“

Eisschmelze, Anstieg der Meere und die Inselstaaten

Satelliten für genaue Messungen

Der Permafrost taut auf, die Gletscher schrumpfen

Malediven und Marshallinseln mit künstlichen Inseln

Day Zero und Starkregen in vielen Regionen

Tödliche Überschwemmungen 2021 in Europa

Chiles Hauptstadt rationiert Leitungswasser

2022: Warnung aus den Niederlanden

Dürre und kaum Nahrung: Afrika, Indien, Pakistan

Iran, das Mittelmeer und Syriens Klimavertriebene

Das Mittelmeer in Gefahr

Der Kampf ums Wasser verhärtet sich

Genug Wasser aber Macht, Armut und Ungleichheit

Der Klimawandel bringt Prognosen durcheinander

Wasser als Trennungs- oder Verbindungsfaktor?

Flussgebietsabkommen

Paradigmenwechsel und Wassernomaden

Australiens Buschbrände und seine Wassersicherheit

Wasserkriegs- und Verteidigungshaushalte

Indiens Bedarf an innovativen Wassertechnologien

Deutsche Unternehmen in der (Ab-)Wasserwirtschaft

Chinas Wasserkrieg

Keine Gerechtigkeit, also kein Krieg?

Die UN sucht die globale Lösung

SDG6 und Wasser als Menschenrecht

Die Grenzen des Wachstums

Das Menschenrecht auf Wasser

Recht auf Wasser und Sanitär

Die UN-Nachhaltigkeitsziele SDG6

Forschungs- und Datenlücken im Wasserbereich

Die sozial-ökologischen Systeme einbeziehen

Lösungen für große/kleine Länder

Je größer die Region, desto schwieriger die Lösung

Nachhaltiges Wassermanagement ist notwendig

Verbesserungen in der Landwirtschaft

Endlosprojekt: Die „Große Grüne Mauer“ in Afrika

Die Wasserkrise in den Vereinigten Staaten

Mexiko und die USA sitzen im gleichen Boot

Chinas 80.000 Staudämme

Chinas erschafft eine „ökologische Zivilisation“

Norwegen als die grüne Batterie Europas

Israels Lösung mit dem Wasser in der Wüste

Deutsche Zeitenwende und die Niederlande

Maßnahmen gegen Dürre in den Niederlanden

Madeira und der Wasser produzierende Wald

Wasserstadt Singapur

Alte und neue technische Lösungen

Steinkanäle in Peru

Sanddämme in Kenia

Johads in Indien

Masada in der Wüste Sinai

Regenwassernutzung durch Green Buildings

Tragbares UV-Wasserreinigungssystem

Tragbare Entsalzungs-Einheit

Wasser aus der Luft

Wasserernte: geniale und skurrile Ideen

Kampf um die Technik bis ins Weltall

Wasserforschung und die LAWA in Neuseeland

Wissenschaft und umweltverträgliche Düngemittel

Smart Cities: Trinkwasser-/Abwasseraufbereitung

Smart Farming Kambodscha und die E-Agriculture

E-Agriculture-Plattform

Ist-Zustand vom Weltall aus

Satelliten-unterstützte Entscheidungssysteme

Weltraum für Wasser

Duschen wie auf dem Mars

Was jeder von uns tun kann

Jeder von uns kann Wasser sparen

Trinkwassersparen und Trinken

Spartipps im Badezimmer

Wassersparen im Haushalt

Wasserspartipps für den Außenbereich

Kosten prüfen und Lecks reparieren

Wasserdiplomatie

19 Lösungen im Kampf ums Wasser

Ganzheitliche, systematische, multilaterale Antwort

Über die Autorin

Bücher im DC Verlag

Über das Diplomatic Council

Literaturverzeichnis

Quellenangaben und Anmerkungen

Vorwort

Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 ambitionierte Ziele – die Sustainable Development Goals (SDG) – für eine nachhaltige Entwicklung gesetzt. Das sechste Ziel (SDG6) der Vereinten Nationen, sauberes Wasser, sieht vor:

Alle Menschen sollen einen Zugang zu einwandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser haben.

Alle Menschen sollen Zugang zu einer angemessenen und gerechten Sanitärversorgung sowie Hygiene erhalten.

Die Wasserqualität soll durch Wiederaufbereitung und gefahrlose Wiederverwendung weltweit verbessert werden.

Die Effizienz der Wassernutzung soll in allen Sektoren wesentlich gesteigert werden.

Auf allen Ebenen soll eine integrierte Bewirtschaftung der Wasserressourcen umgesetzt werden.

Wasserverbundene Ökosysteme sollen geschützt und wiederhergestellt werden.

Von diesen Zielen ist die Menschheit noch weit entfernt. Umso wichtiger ist es, dass Claude Piel in ihrem neuen Werk aufzeigt, warum es zwingend notwendig ist, nicht nachzulassen und sich dieser Herausforderung zu stellen. Akribisch recherchiert, sorgfältig aufbereitet und spannend erzählt, ist das Werk eine Mahnung an uns alle, sorgsam mit Wasser umzugehen und es nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten.

Beeindruckend weist die Autorin in ihrem umfassenden Werk nach, dass keineswegs nur, wie häufig angenommen, bestimmte Regionen auf der Erde betroffen sind. Vielmehr stellt sauberes Wasser die ganze Welt, auch die Industrienationen, vor gewaltige Herausforderungen. Packen wir diese Aufgabe an; die Lektüre dieses Buches – die zugegeben an vielen Stellen nicht ganz einfach ist –, stellt einen ersten und wichtigen Schritt auf diesem Weg dar.

Hang Nguyen, Secretary General Diplomatic Council

Prolog

Der Wasserkrieg ist heute eine geopolitische Realität. Wasser brauchen wir zum Überleben, für ein funktionierendes Ökosystem und für die sozioökonomische Entwicklung eines Landes. In manchen Ländern der Welt sterben Abertausende Menschen, weil sie keinen Zugang zu Trinkwasser haben. Entweder ist die Infrastruktur nicht vorhanden, das Wasser verschmutzt oder der Boden zu trocken. Diese Knappheit in manchen Regionen der Welt bringt viele Staaten dazu, das Problem auf ihre Art zu lösen. Denn Grenzen können Flüsse nicht aufhalten. Darin liegt eine der Ursachen für Konflikte.

Machtfaktor Wasser

Einige Länder haben sogar die Macht über Wasserressourcen in ihre Sicherheitsagenda aufgenommen. In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Wasservereinbarungen zwischen Ländern jedoch gestiegen. Staaten, die kurz vor einem Konflikt standen, versuchten einen Dialog über Wasserressourcen einzuleiten. Das ist Wasserdiplomatie. Der Schlüssel besteht darin, dass Regierungen erkennen: Es nutzt meinem Land, wenn wir beim Thema Wasser mit anderen Ländern zusammenarbeiten.

Durch schnelle wirtschaftliche Entwicklungen, die rasant ansteigende Bevölkerung und vom Klimawandel angetrieben, können sich wasserbezogene Konflikte und Unruhen verstärken. Mit der Coronaviruspandemie ist die Bedeutung von Wasser für die Menschen noch deutlicher geworden. Das Nachhaltigkeitsziel Nummer sechs der Vereinten Nationen setzt genau hier an, denn der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist ein Menschenrecht.

Während Milliarden von Menschen fern von jeglicher Grundversorgung leben, für einen Zugang zu sauberem Trinkwasser ringen und Ökosysteme zugrunde gehen, flutet das flüssige blaue Gold langsam und unaufhaltsam die Finanzmärkte. Unaufhaltsam? Verschiedene Länder haben gezeigt, dass in nur wenigen Jahren große Fortschritte erzielt werden können. Es geht um die drei Säulen der Vereinten Nationen: Frieden und Sicherheit, Menschenrechte und Entwicklung. Denn Wasser bedeutet nicht nur Leben, sondern auch Zukunft.

Wasserwissen ist wichtig

Warum ist Wissen über Wasser eigentlich wichtig? Wir brauchen in den reicheren Ländern nur den Hahn aufzudrehen, um sofort sauberes Trinkwasser zu erhalten. Wir duschen, baden und reinigen unsere Häuser, bis die Feuerwehr kommt, um mitten im Sommer aus Lautsprechern die Botschaft zu verkünden, es sei ab sofort "verboten", diese Tätigkeiten auszuüben. An manchen Orten, sogar in Deutschland, gab es gar kein Trinkwasser mehr: Mit Eimern standen die Einwohner hinter einem Wassertanklaster. Und das mitten in Deutschland, nicht in der Wüste Gobi!

Bücher zum Thema Wasser gibt es fast so viele wie Wassertropfen im Ozean. In diesem Buch geht es nicht darum, eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen, gar alle Fakten möglichst genau zu analysieren. Unsere Arbeit beruht nicht auf Vollständigkeit, sondern wir möchten den Lesern und Leserinnen Denkanstöße geben. Es geht lediglich darum, das Thema Wasser ernsthaft und respektvoll anzugehen und als lebenswichtiges, schützenswertes Element unseres Lebens zu betrachten. Es geht darum, sich bewusst zu werden, welche Konflikte aus einem Mangel an Trinkwasser entstehen können und welche Lösungen bereits entwickelt worden sind.

Denn die Vermarktung unseres Grundnahrungsmittels Wasser steht dem Menschenrecht „Zugang zu sauberem Trinkwasser“ diametral entgegen. „Jeder Tropfen zählt“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Botschaft zum Weltwassertag 2020.1 Jedes Buch und jede Erweiterung unseres Wasserwissens auch.

Viele interessante Einsichten beim Lesen!

Claude Piel

Einleitung

Die hellgraue Masse plätschert unter seinen Schuhsohlen. Vom breiten Flussbett tritt sie über die Ufer des East Rivers. Walter schaut auf seine Uhr. Es ist kurz vor acht an diesem Abend des 21. März. Er muss zurück ins Hauptquartier der Vereinten Nationen. Der glänzende Schatten des rechteckigen Turms spiegelt sich im Wasser. Dieses Wasser. Die häufigen Überschwemmungen machen ihm zu schaffen. Als der Hurrikan Sandy 2012 New York traf, war das Gebäude der Vereinten Nationen in New York schwer zu erreichen. Mehrere U-Bahnlinien waren überschwemmt. Vor allem die tiefer gelegenen Teile Manhattans sowie Brooklyn und Queens waren gefährdet. Auch die Flughäfen LaGuardia und JFK, auf denen die Botschafter, die zu den Vereinten Nationen nach New York fliegen, landen, waren völlig überflutet. Nicht nur hier, sondern auch in seiner zweiten Wahlheimat Mainz in Deutschland oder in Myanmar, den Malediven, Indien...2

Es ist bald soweit. Morgen versammeln sich die Staats- und Regierungschefs von 193 Nationen im Plenarsaal hinter ihm. Walter arbeitet bei der Ständigen Vertretung seines Landes bei den Vereinten Nationen in New York. Kurz bevor Walter sein Büro verlassen wollte, beauftragte ihn sein Botschafter, seine Rede für die UN-Wasserkonferenz am 22. März zum Weltwassertag zu verfassen. Seine Exzellenz braucht dazu eine Analyse über den Kampf ums Wasser in der Welt. Walter ist Spezialist im Bereich internationale Beziehungen. Das ist für ihn nicht das erste Mal, aber in diesem Fall wird es kein Spaziergang, denn die Lage ändert sich schnell. Seit Klimawandel und Erderwärmung sich beschleunigen, wird fast täglich ein neuer Lagebericht von einer hoch angesehenen Wissenschaftsorganisation veröffentlicht.

Wird er das Verfassen der Rede in der kurzen Zeit schaffen? Es ist 20 Uhr. Rede und Analyse müssen morgen um acht Uhr Seiner Exzellenz übergeben werden, damit der Botschafter genug Zeit hat, seine eigenen Worte hinzuzufügen. Ihm bleiben nur noch zwölf Stunden; heute Nacht wird er im Büro bleiben.

Eine Rede vor den Vereinten Nationen

Kurz wischt er das Wasser des East Rivers von seinen Schuhen und dreht sich um. Der Haupteingang liegt direkt vor ihm. Er greift nach seinem Pass, denn das Gebäude der Vereinten Nationen befindet sich auf einem ex-territorialen Gelände, außerhalb des Hoheitsgebiets der Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Konferenz wird die erste zum Thema Wasser seit den 1970er Jahren sein und soll ein entscheidender Meilenstein werden.

„Die Wasser- und Sanitärkrise erfordert eine ganzheitliche, systemische und multilaterale Antwort“, sagte António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, im Juli 2020 beim virtuellen Auftakt für die Beschleunigung der „Ziele für eine globale nachhaltige Entwicklung“. „Wasser wird für fast alle anderen Ziele benötigt, von der globalen Gesundheit bis zur Ernährungssicherheit, und es ist für die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel unerlässlich."“

Walter befindet sich nun im Aufzug zum Büro seines Botschafters und ihm wird schwindelig. Nicht von der Beschleunigung des Aufzugs, sondern angesichts der Aufgabe. Das sechste Nachhaltigkeitsziel – Wasser – ist die Voraussetzung für viele, wenn nicht sogar für alle 16 anderen Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Krankheitsprävention, Bildung, Ernährung, Landwirtschaft, Industrie, privater Verbrauch, Umweltverschmutzung, Energie und Klimawandel sowie Migration. Es geht schlichtweg in allen Bereichen auch ums Wasser. Im Büro der Ständigen Vertretung seines Landes angekommen, sucht er nach den jüngsten Weltwasserberichten zum Weltwassertag jeweils am 22. März jedes Jahres.3

Seitens der Vereinten Nationen ist die UNESCO federführend. Audrey Azoulays, damalige Generaldirektorin, sagte im Jahr 2021, dass Wasser „blaues Gold“ sei, „zu dem mehr als zwei Milliarden Menschen keinen direkten Zugang“ hätten. Der Weltwassertag gehört seit 1993 zur Agenda der Vereinten Nationen. 2020 ging es um Wasser und den Klimawandel, im Jahr 2021 um Wasserbewertung und -wertschätzung und 2022 um das Grundwasser – das Unsichtbare sichtbar machen. „Das Wort „Wasser“ kommt in internationalen Klimaabkommen selten vor, obwohl es eine Schlüsselrolle bei Themen wie Ernährungssicherheit, Energieerzeugung, wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung spielt“, so Audrey Azoulay weiter. Wasser müsse kein Problem, sondern könne Teil der Lösung sein.4

Neun Milliarden Menschen bis 2040

Die Aussichten sind jedoch beunruhigend. Bis 2040 dürften nach Schätzungen der Vereinten Nationen statt sieben bereits neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Bis dahin soll der weltweite Energiebedarf um über 25 Prozent und der Wasserbedarf um mehr als 50 Prozent steigen. Bis 2050 könnten bis zu 5,7 Milliarden Menschen mindestens einen Monat im Jahr in Gebieten leben, in denen Wasser knapp ist. Extremes Wetter verursachte in den letzten zehn Jahren mehr als 90 Prozent der Katastrophen größeren Ausmaßes. Dabei scheinen die Konflikte um Wasserressourcen nicht aufhören zu wollen. Die Wasserfrage ersetzt allmählich die Ölfrage.5

In Indien und im Iran führte der gravierende Wassermangel in den letzten Jahren zu einer Zunahme von Konflikten innerhalb dieser Länder. Zwischen Russland und der Ukraine verschlimmert sich die Lage seit 2014 und sie weitet sich seit Kriegsbeginn 2022 auch auf die Wasserinfrastruktur aus. Computergestützte Wassersysteme sind zunehmend Opfer von Cyberangriffen, die die Sicherheit, Qualität und Zuverlässigkeit des Wassers bedrohen. Weltweit hängen sozialer Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung stark vom Wasser ab. Hierin liegen die drei größten Herausforderungen für das Wassermanagement im 21. Jahrhundert. Es geht um die Erhaltung der Ökosysteme, die Bereitstellung von Trinkwasser für die Menschen und um ausreichend Wasser für die Landwirtschaft.6

Würde-Könnte-Lösungen sind in Sicht

Lösungen sind durchaus in Sicht. Eine klimaresistente Wasserversorgung und Abwasserentsorgung könnten jedes Jahr mehr als 360.000 Säuglingen das Leben retten. Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen, könnten wir den klimabedingten Wasserstress um bis zu 50 Prozent senken. Das würde Spannungen reduzieren und mögliche Kriege im Keim ersticken.7

Würde. Könnte. Nun muss Walter seiner Analyse unbedingt eine strukturierte Richtung geben, denn so kann es für ihn nicht weitergehen. Es gibt zu viele alarmierende Fakten, und sein Botschafter braucht Antworten. Zunächst wird er sich den verschiedenen Konflikten rund um das Wasser widmen, denn Wasser war oft ein Grund, sich zu versammeln, aber auch, darum zu kämpfen. Im nächsten Schritt wird er nach den Ursachen für diese Konflikte suchen. Viele liegen im Mangel selbst, vor allem aber im Zugang zum Wasser und in der Infrastruktur. Dann geht es um die durch den hohen weltweiten Verbrauch verursachte Knappheit, die Verschmutzung und den durch Profitgier gekennzeichneten Umgang vieler Konzerne mit diesem wertvollen Gut. Somit werden auch die Gründe für den Klimawandel und den erhöhten Wasserstress deutlich, den wir heute erleben. Daraus resultiert die Gefahr neuer Wasserkämpfe: die Herausforderung unseres Jahrhunderts.

Was seinen Botschafter am meisten interessiert sind Lösungen. Zunächst sucht er diese auf der globalen Ebene, auf der Ebene der Vereinten Nationen mit der Unterstützung der 193 Staaten und der verschiedenen Organisationen. Dann sucht er nach Ländern, die das Problem auf ihre eigene Weise gelöst haben. Er findet dabei sowohl alte als auch neue Technologien, die helfen könnten, unser Trinkwasserproblem zu lösen. Zudem ist jeder Einzelne von uns in der Lage, Wasser als unser wertvollstes Gut zu betrachten. Die Zeit rast, es sind nur noch wenige Stunden bis zur Generalversammlung. Walter macht sich sofort an die Arbeit.

Ein knappes und lebenswichtiges Gut

„Die Kriege der Zukunft im Mittleren Osten werden um Wasser geführt“, warnte Boutros Boutros-Ghali, ein früherer Generalsekretär der Vereinten Nationen, schon 1985.8 Seine Vorhersage hat sich bisher zwar nicht bewahrheitet, aber zunächst geht es für Walter darum, zu verstehen, was Wasserkriege eigentlich sind. Wasserkrieg ist ein Begriff für alle Probleme, mit denen die Menschheit konfrontiert wird, wenn es um Wasserressourcen geht. Es beschreibt die Konflikte, die Länder, Staaten oder Gruppen in Bezug auf Wasserknappheit erleben. Wasserknappheit hat bisher am häufigsten zu Konflikten auf lokaler und regionaler Ebene geführt. Betrachtet man also Wasser als eine begrenzte Ressource, entstehen Wasserkonflikte, weil entweder der Bedarf an Wasserressourcen und Trinkwasser die Versorgung überschreitet, weil die Kontrolle über den Zugang und die Zuteilung von Wasser umstritten sein kann oder weil Wassermanagementinstitutionen schwach sind oder ganz fehlen.9

Elemente einer Wasserkrise können die betroffenen Parteien derart unter Druck setzen, dass es zu diplomatischen Spannungen oder schlimmstenfalls offenen Konflikten führt. Gründe für Auseinandersetzungen sind Gewalt, also Verletzte oder Todesfälle, Gewaltandrohungen einschließlich verbaler Drohungen, Militärmanöver und Machtdemonstrationen. Walter möchte keine unbeabsichtigten oder zufällig nachteiligen Auswirkungen auf Bevölkerungen oder Gemeinschaften einschließen, die im Zusammenhang mit wasserwirtschaftlichen Entscheidungen auftreten. Dies betrifft zum Beispiel Menschen, die durch den Bau von Staudämmen vertrieben wurden oder die den Auswirkungen von extremen Ereignissen wie Überschwemmungen oder Dürren ausgesetzt waren. Das betrachtet er als erhöhten Wasserstress.10

Drei Arten von Konflikten um Wasser

Es gibt drei Arten von wasserbezogenen Konflikten, die wie folgt kategorisiert werden können. Zuerst ist Wasser der Gewaltauslöser oder die Ursache für Konflikte durch Wasserknappheit, durch einen Streit über die Kontrolle von Wasser oder über Wassersysteme. Wasserkonflikte können auch durch einen gestörten wirtschaftlichen Zugang zu Wasser entstehen, und zwar durch Geschäftemacherei oder einen erhöhten Preis, oder auch, wenn der physische Zugang zu Wasser verhindert wird.11

Zweitens kann Wasser als Waffe bzw. als Werkzeug in gewaltsamen Konflikten eingesetzt werden. So schnitten beispielsweise bewaffnete Gruppen in der libyschen Hauptstadt Tripolis die Bevölkerung vom Wasser ab, indem sie Wasserpumpstationen angriffen, oder israelische Siedler überschwemmten 2019 palästinensische Olivenhaine mit Abwasser.

Drittens sind Wasserressourcen oder Wassersysteme häufig der Zankapfel bei Konflikten und werden vorsätzlich oder zufällig zum Ziel von Gewalt. Die zivile Wasserinfrastruktur des Jemen wurde während des dortigen Krieges wiederholt angegriffen. Israelische Siedler und Militärs haben Berichten zufolge eine Vielzahl von palästinensischen landwirtschaftlichen Bewässerungssystemen, Wassertanks und Wasserquellen zerstört. Ägyptische Hacker starteten im Juni 2020 einen Cyberangriff auf äthiopische Wassersysteme aus Ärger über den Bau des Grand Ethiopian Renaissance Damm.

Zudem kann Wasser Konflikte auslösen, wenn der Zugang oder die Kontrolle umstritten sind. Das war der Fall bei Demonstrationen und Unruhen im Iran in den Jahren 2019, 2020 und 2021, und zwar aufgrund der Umleitung von Wasser aus dem Zayanderud-Fluss in der Stadt Isfahan, oder aufgrund des Zugangs zu Bewässerungswasser in Indien und Pakistan während schwerer Dürren.

Die Geschichte der Menschheit ist durchsetzt mit Beispielen, die die Nutzung von Wasser als Instrument oder Ziel in Konflikten aufzeigen.12 Walter versucht sich einige zu merken. Das früheste bekannte Beispiel eines realen zwischenstaatlichen Konflikts um Wasser findet sich zwischen 2500 und 2350 v. Chr., und zwar zwischen den Sumerischen Stadtstaaten Umma und Lagaš in Mesopotamien, dem heutigen Irak. Es ging um die Instandhaltung und Erweiterung des Bewässerungssystems, da von diesem die Ernte abhing. Umma lag weiter stromaufwärts am Tigris und konnte somit große Mengen an Wasser durch Kanäle ins eigene Land ableiten. Das führte zum Konflikt.

Ein weiterer früher Konflikt ums Wasser fand im Jahr 596 v. Chr. statt, in dem der babylonische König Nebukadnezar einen Teil des Aquädukts zerstörte, das die Stadt Tyrus versorgte, um einer endlosen Belagerung ein Ende zu setzen. Oder im Jahr 1503, während des Kampfes zwischen Florenz und Pisa, in dem Leonardo da Vinci und Machiavelli versuchten, den Lauf des Arno umzulenken, um Pisa von seinem Zugang zum Meer abzuschneiden. In einem späteren Wasserkonflikt im Jahr 1938 befahl Chiang Kai-shek, der damalige Führer Chinas, die Zerstörung der Deiche an einem Teil des Gelben Flusses in China, um die von der japanischen Armee bedrohten Gebiete zu überfluten.

In den Jahren 1939 bis 1945 wurden Kraftwerksdämme bombardiert, die als strategische Ziele galten. Im Vietnam der 1960er Jahre waren viele Deiche Ziel von Bombenangriffen; zwischen zwei bis drei Millionen Menschen sind schätzungsweise infolge dieser Angriffe ertrunken oder verhungert. Im Jahr 1999 wurden im Kosovo Wasserstellen und Brunnen von Serben kontaminiert. Im selben Jahr zerstörte eine Bombenexplosion die Hauptleitung in Lusaka in Sambia und entzog seinen drei Millionen Einwohnern das Wasser. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts sind Wasserressourcen und -anlagen zunehmend bedroht, insbesondere in Afrika, auf dem Balkan und im Nahen Osten.13

Walter recherchiert weiter und findet das Buch „La guerre et l'eau“ von Frank Galland im Laffont Verlag. 14 Beispiele für Kriege, bei denen Wasser eine Rolle spielt, gibt es aus dem Ersten Weltkrieg. Damals war Wasser in den Militärmanövern des Krieges von 1914 bis 1918 nicht vorgesehen. Von der Einführung des Army Water Service an der Westfront, nach der menschlichen Katastrophe der ersten Monate des Jahres 1914, als die französische Armee nicht von einer angemessenen Wasserversorgung profitieren konnte, bis zur Ostfront, wo die Briten des ägyptischen Expeditionskorps in der Lage waren, eine Verknappung zu einem Vorteil zu machen, indem sie Jerusalem mit Wasser versorgten. In der Befreiung der Heiligen Stadt vom osmanischen Joch nach nur sechs Monaten entdeckt Walter die Relevanz eines Schemas, bei dem die hydraulische Infrastruktur zu Faktoren des Friedens und der Stabilität wird.

Als weiteres Beispiel für einen Krieg, in dem Wasser von Belang ist, nennt das Buch den Zweiten Weltkrieg. Es geht darum, wie Wasser in die Militärmanöver integriert wird. Dabei werden Lehren aus dem Ersten Weltkrieg gezogen und die französischen Streitkräfte im Jahr 1940 auf eine Wasserversorgung vorbereitet. Das Buch beschreibt auch den Krieg in der Wüste und die Bedeutung des Wassermanagements, wobei das deutsche Afrikakorps gegenüber den britischen Streitkräften profitierte. Schließlich findet Walter Unterlagen zur langen und sorgfältigen Vorbereitung der Landung in der Normandie, die von der Kenntnis der verfügbaren Wasserressourcen, der Böden und des Grundwassers dank der Unterstützung des Widerstands bis hin zur Intervention einer Spezialeinheit des Geheimdienstes, Special Operations Executive reicht.15

Heute gibt es modernere Formen von Wasserkonflikten. Nach 1945 wurde Wasser zum Ziel der Zerstörung in vielen modernen asymmetrischen Konflikten bis hin zum ISIS, der Dämme an den Flüssen Tigris und Euphrat besetzte.

Walter findet weitere Techniken subversiver Kriegsführung, wie die Vergiftung von Brunnen, Überschwemmungen oder die Besetzung von Staudämmen. Wasser war auch in die revolutionären Kriege in Vietnam, die Bürgerkriege der Jahre 1980 bis 1990 im Libanon, den Krieg im ehemaligen Jugoslawien bis hin zu den Konflikten des Arabischen Frühlings in Syrien, Irak, Libyen und dem Jemen verwickelt. Wasser spielte dabei eine wesentliche Rolle als lebensnotwendige Ressource, als Objekt oder als Massenvernichtungswaffe unter kompletter Missachtung der Genfer Konventionen. Es könnte auch um terroristische Bedrohungen der Trinkwassersysteme gehen, auf die Walter zum Glück bei seinen Recherchen nicht stößt.

Heute geht es eher um einen Krieg bzw. Kampf „ums Wasser“. Es geht um die jüngsten politischen und diplomatischen Initiativen, die darauf abzielen, Fragen und Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Schutz der Wasserinfrastruktur im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anzusprechen. Eine Premiere in der Geschichte dieser Institution und ein dringendes Anliegen. Schließlich ist es notwendig, Armeen besser darauf vorzubereiten, in Gebieten mit hoher Instabilität und ohne Wasserressourcen zu intervenieren. Vielleicht sollte eine multinationale Truppe aufgebaut werden, die Reparaturen und den Bau von Wasserinfrastruktur unterstützt, denkt sich Walter. Dabei geht es um Stabilisierungs- und Friedenssicherungseinsätze von Ländern, wie beispielsweise die G5 Sahelzone oder Syrien, die wieder aufgebaut werden sollen und in denen die Trinkwasserversorgungssysteme strategisch geworden sind.

Dabei dreht es sich immer um das gleiche Thema: Der weltweite Süßwasserverbrauch ist zwischen 1987 und 2015 schätzungsweise um rund ein Prozent pro Jahr gestiegen. Viele Regionen des globalen Südens stoßen an ihre Versorgungsgrenzen. Es steht zu befürchten, dass die ärmsten Länder, die nicht über genug Wasser zur Deckung ihres Wasserbedarfs verfügen und nicht in der Lage sind, ausreichend Wasser zu kaufen, alles in ihrer Macht stehende tun werden, um ihrer Nation das Überleben zu ermöglichen. Es ist nicht schön, denkt sich Walter, Zeuge zu sein, wie Menschen um ihr Leben kämpfen beziehungsweise wie Länder sich gegenseitig bekämpfen, um zu überleben.

Wasserkriege im 21. Jahrhundert

Für Walter wird immer deutlicher, dass das Versäumnis, das grundlegende menschliche Bedürfnisse nach Wasser zu decken, zu den Spannungen um den Zugang zu Wasser beiträgt. Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung lebt an Flüssen, die internationale Grenzen überschreiten. Die Frage nach der gerechten Aufteilung der lebenswichtigen Wasserressourcen führt weltweit zu großen Spannungen. Mehr als 280 Wasserläufe fließen durch mehrere Länder. Wasser, wie viele andere Naturelemente auch, kann durch staatliche Grenzen nicht aufgehalten werden. 1995 sagte der damalige Vizepräsident der Weltbank Dr. Ismail Serageldin: „Wenn die Kriege dieses Jahrhunderts um Öl geführt wurden, werden die Kriege des nächsten Jahrhunderts um Wasser geführt werden – es sei denn, wir ändern unsere Herangehensweise an die Verwaltung dieser kostbaren und lebenswichtigen Ressource.“ Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass zwei Drittel der Weltbevölkerung bis 2025 in Regionen mit Wasserstress leben werden. Massive Wasserknappheit könnte in den folgenden Jahren weltweit 700 Millionen Menschen vertreiben. Die Wahrscheinlichkeit grenzüberschreitender Wasserkonflikte könnte im nächsten Jahrhundert um 95 Prozent steigen.16

Walter möchte zunächst einmal herausfinden, wo auf der Erde die Menschen den schlechtesten Zugang zu Wasser haben. Ein Bericht des Internationalen Währungsfonds aus dem Jahr 2018 stufte Pakistan an dritter Stelle unter den Ländern ein, die akut mit Problemen der Wasserspeicherung konfrontiert sind. An erster Stelle stand Osttimor, gefolgt von zweitens Jemen, drittens Pakistan, viertens Turkmenistan, fünftens Marokko, sechstens Lesotho, siebtens der Mongolei, achtens Indien, neuntens Tadschikistan, zehntens Dschibuti, elftens Indonesien, zwölftens die Philippinen, 13. Peru, 14. Swasiland und an 15. Stelle Südafrika. Hilfsorganisation wie World Vision haben eine Liste der Länder aufgestellt, die einen schlechten Zugang zu Wasser haben. An zehnter Stelle findet sich auf der Liste Mosambik. 52,7 Prozent fehlt der grundlegende Zugang zu Wasser. In Mosambik sind die ländliche Bevölkerung und die Menschen im Norden am schlechtesten dran, wenn es um sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen geht. Darüber hinaus belasten das rasante Bevölkerungswachstum und die Urbanisierung alle Wassersysteme. Im März und April 2019 versetzten die Zyklone Idai und Kenneth der Küstenstadt Beira bzw. dem Norden einen schrecklichen Schlag und vertrieben viele Familien. Die Überschwemmungen dauerten monatelang an und schufen Bedingungen für Ausbrüche von Cholera und andere wasserbedingte Krankheiten.17

An neunter Stelle befindet sich Niger: Dort fehlt 54,2 Prozent der Bevölkerung ein grundlegender Wasserzugang. Niger, der größte Staat Westafrikas, gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als 1,90 Dollar pro Tag. Die meisten Menschen bewirtschaften Land, so dass sie mit Wasserknappheit und häufigen Dürren unter trockenen, wüstenähnlichen Bedingungen zu kämpfen haben. An achter Stelle befindet sich der Tschad: 57,5 Prozent fehlt der grundlegende Wasserzugang. Im Tschad sind fast sechs Prozent der 12,2 Millionen Einwohner darauf angewiesen, Wasser aus unsicheren offenen Quellen wie Bächen und Flüssen zu beziehen, die auch Tiere nutzen. An siebter Stelle rangiert die Demokratische Republik Kongo: 58,2 Prozent fehlt eine grundlegende Wasserversorgung. Die Demokratische Republik Kongo ist nach Algerien das zweitgrößte Land Afrikas. Innerhalb seiner Grenzen gibt es Konflikte in den östlichen und zentralen Kasai-Regionen. Krankheitsausbrüche, einschließlich der Ebola Viruserkrankung im Nordosten des Landes, sind die Regel. Die Armut ist sehr groß und das Nationaleinkommen pro Kopf beträgt weniger als 800 US-Dollar pro Jahr. Mehr als 50 Millionen Menschen in der Demokratischen Republik Kongo nutzen unsicheres Wasser. Es ist alles, was sie zum Trinken, Kochen und Waschen haben. Unsauberes Wasser führt zu Krankheiten wie Durchfall und Cholera, die Kindern die Energie und häufig das Leben rauben.

An sechster Stelle steht Angola: 59 Prozent verfügen nicht über eine grundlegende Wasserversorgung. Fast ein Viertel der 28,2 Millionen Einwohner Angolas nutzt Wasser aus einem unsicheren Oberflächenfluss oder Teich. An einigen Orten ist Wasser reichlich vorhanden, aber es ist nicht das Wasser, das Sie trinken möchten. Wasser nach Hause zu tragen ist meistens die Arbeit der Frauen und Mädchen, die viele Stunden des Tages damit zubringen, schwere Kanister mit schmutzigem Wasser zu transportieren, um den Bedarf ihrer Familie zu erfüllen. An fünfter Stelle befindet sich Somalia: 60 Prozent fehlt es an einer grundlegenden Wasserversorgung. Der Mangel an sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen sowie die allgemein schlechte Hygiene tragen in einem hohen Maße zu wasserbedingten Krankheiten bei, von denen Kinder und Mütter in Somalia am häufigsten betroffen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass Konflikte, Dürren und Überschwemmungen seit 2016 etwa 1,5 Millionen Menschen im Land vertrieben haben. Auf dem vierten Platz liegt Äthiopien: 60,9 Prozent fehlt es an einer grundlegenden Wasserversorgung. Äthiopien hat die zweithöchste Bevölkerungsdichte Afrikas mit 105 Millionen Menschen. Etwa 64 Millionen von ihnen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Während Äthiopiens nördliches Hochland oft reichlich Niederschläge verzeichnet, gibt es auch Perioden mit großer Dürre und Niederschlagsvariabilität, die der Bereitstellung einer nachhaltigen Wasserversorgung ein gewisses Maß an Dringlichkeit verleihen. Dies gilt insbesondere für die ländliche Bevölkerung, die 80 Prozent der Bevölkerung ausmacht.

An dritter Stelle rangiert Uganda: 61,1 Prozent fehlt eine grundlegende Wasserversorgung. In Uganda konnten Wasser- und Sanitärversorgung nicht mit zwei Jahrzehnten Wirtschaftswachstum, Bevölkerungswachstum und zunehmender Urbanisierung Schritt halten. Das Land beherbergt zudem etwa 1,4 Millionen Flüchtlinge, viele aus dem Konflikt im Südsudan. Die internationale humanitäre Hilfe für diese Flüchtlinge ist beklagenswert unterfinanziert und. An zweiter Stelle befindet sich ein Land, das nicht zum afrikanischen Kontinent gehört: Papua-Neuguinea. 63,4 Prozent der Bevölkerung fehlen eine grundlegende Wasserversorgung. Ein Großteil der ländlichen Bevölkerung Papua-Neuguineas lebt in abgelegenen Gemeinden, die auf den 600 asiatisch-pazifischen Inseln des Landes verstreut sind. Oft kämpfen die Inselbewohner mit einem Mangel an sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen, und viele haben wenig Wissen, was die grundlegende Hygienepraktiken betrifft.

Papua-Neuguinea ist eines der katastrophenanfälligsten Länder der Region, mit häufigen Wirbelstürmen und Überschwemmungen, die Infrastruktur, Häuser und Ernten beschädigen und zerstören. Das Land mit dem schlechtesten Zugang zu sauberem Wasser weltweit ist Eritrea: 80,7 Prozent fehlt es an einer grundlegenden Wasserversorgung. Die Bevölkerung Eritreas in Ostafrika hat am wenigsten Zugang zu sauberem Wasser in der Nähe ihrer Wohnorte. Der Mangel an angemessenen sanitären Einrichtungen bedeutet, dass offene Wasserquellen oft durch menschliche und tierische Abfälle kontaminiert werden. Entwaldung und schlechte landwirtschaftliche Praktiken verschlimmern zudem das Problem der Wasserverschmutzung. Eritrea hofft jedoch auf Verbesserungen im Wasserbereich, da Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und privatwirtschaftliche Unternehmen ihre Bemühungen mit den Gemeinden bündeln.18

Zusammenhänge bei Konflikten ums Wasser

Nun sucht Walter nach Zusammenhängen bei möglichen Wasserkonflikten. Die Organisation der Vereinten Nationen nennt fünf Hotspots für mögliche kriegerische Auseinandersetzungen: den Nil in Ägypten, den Ganges-Brahmaputra in Indien, den Indus in Pakistan, den Tigris-Euphrat im Irak und die Colorado-Flüsse in den USA. Allerdings sind Streitigkeiten ums Wasser nichts Neues. Von den mehr als 700 Konflikten der Geschichte sind jedoch weniger als 30 zu einer bewaffneten Aggression eskaliert.

Der Bürgerkrieg in Syrien zum Beispiel begann aus einer Vielzahl von Gründen, aber einige Analysten argumentieren, dass Wasser ein Schlüsselfaktor war. Syrien ist eines der trockensten Länder der Welt. Eine außergewöhnliche Dürre von 2006 bis 2011 in etwa 60 Prozent des Landes führte dazu, dass 75 Prozent der Ernten ausfielen und 85 Prozent des syrischen Viehbestands starb, was zu Ernährungs- und Wasserunsicherheiten führte. Infolgedessen zogen 1,5 Millionen Menschen, hauptsächlich Bauern und Landarbeiter, in die Städte, um Arbeit zu finden. Die sich verschlechternde Wirtschaft in Verbindung mit der Entstehung der Terrorgruppe Islamischer Staat, die Ausbreitung der Proteste des Arabischen Frühlings und andere komplexe Faktoren schufen die Voraussetzungen für soziale Unruhen, die 2011 zu einem Bürgerkrieg führten. Ein Krieg, der zum Tod von über einer halben Million Menschen und zwölf Millionen Vertriebener geführt hat; das entspricht mehr als der Hälfte der Bevölkerung. In Jordanien, das auf Grundwasserleiter als einzige Wasserquelle angewiesen ist, ist durch die mehr als eine halbe Million syrischer Flüchtlinge das Wasser noch knapper geworden.19

In den Vereinigten Staaten von Amerika zeichnet sich das fünfte potenzielle Konfliktgebiet ab, das von der UNO identifiziert wurde. Der Colorado River versorgt im Südwesten der USA viele große Städte mit Wasser, darunter Los Angeles, das 40 Millionen Menschen versorgen und fast 5,5 Millionen Hektar Land bewässern muss. Doch aufgrund des Klimawandels und der zunehmenden Staudämme versiegt der Colorado River häufig, bevor er Mexiko erreicht. Da aber immer mehr Menschen und Städte auf diese schwindende Flussressource angewiesen sind, können die Spannungen zunehmen. Auf der anderen Seite der Grenze zwischen den USA und Mexiko befindet sich noch eine weitere Krise. Verzweifelte Familien aus El Salvador, Guatemala und weiteren Ländern Lateinamerikas fliehen nicht nur vor Gewalt, sondern auch vor extremer Armut und Ernährungs- und Wasserunsicherheit. Die Weltbank schätzt, dass in den nächsten 30 Jahren durch den Klimawandel bis zu vier Millionen Menschen aus Mexiko und Mittelamerika vertrieben werden könnten. Weltweit wurden 2018 rund 60 Millionen Menschen durch wetterbedingte Katastrophen vertrieben. Einem Viertel der Weltbevölkerung geht das Wasser aus.20

Maßnahmen können helfen, das Blatt zu wenden, wie in Südafrika geschehen. Kapstadt war gerade noch rechtzeitig in der Lage, den Wasserleerstand Day Zero zu vermeiden. Notfallmaßnahmen wurden ergriffen, wie zum Beispiel die Umleitung von Wasser aus der Landwirtschaft für den städtischen Gebrauch, oder die Einführung von Wasserverbrauchstarifen und Beschränkung des Wasserverbrauchs auf 50 Liter pro Person pro Tag. Das sind jedoch keine langfristigen Lösungen und die Zeit wird immer knapper.

Denn unterirdisches Wasser wird so aggressiv um den Globus gepumpt, dass Länder und Städte absinken. Die chinesische Hauptstadt Peking, Teile von Shanghai, Mexiko-Stadt und andere Städte sinken bereits langsam. Teile des kalifornischen Central Valley sind um 2,5 Zentimeter und in einigen lokalen Gebieten um bis zu 71 Zentimeter nach unten gerutscht. Auf der ganzen Welt wird Alarm wegen der Erschöpfung der unterirdischen Wasservorräte ausgelöst. Die Vereinten Nationen prognostizieren ein globales Wasserdefizit bis 2030. Mehr als zwei Drittel des weltweit verbrauchten Grundwassers bewässern die Landwirtschaft, während der Rest die Städte mit Trinkwasser versorgt. Richard Damania, leitender Ökonom bei der Weltbank, prognostiziert, dass ohne ausreichende Wasserversorgung das Wirtschaftswachstum in den am stärksten belasteten Teilen der Welt um sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts sinken könnte. Seine Ergebnisse kommen zu dem Schluss, dass die schwerwiegendsten Auswirkungen des Klimawandels die Wasserversorgung betreffen werden.

Vor allem trockene Gebiete werden viel weniger Niederschlag bekommen. Die Unruhen im Jemen 2009 wurzelten in einer Wasserkrise. Die am stärksten besiedelten Gebieten sind auch am stärksten von Wassermangel bedroht. Am meisten überlastet ist das Arabian Aquifer System, das 60 Millionen Menschen in Saudi-Arabien und im Jemen mit Wasser versorgt, am zweitstärksten das Indus-Becken im Nordwesten Indiens und Pakistans und am drittstärksten das Murzuk-Djado-Becken in Nordafrika.21

Bewässerungstechniken haben es ermöglicht, wasserintensive Pflanzen an trockenen Orten anzubauen, was wiederum zu einer lokalen Wirtschaft geführt hat, die heute nur schwer rückgängig zu machen ist. Dazu gehören Zuckerrohr und Reis in Indien, Winterweizen in China und Mais in den südlichen High Plains Nordamerikas. Die Aquakultur boomt im Binneneinzugsgebiet des Ararat, das an der Grenze zwischen Armenien und der Türkei liegt. Das Grundwasser ist kalt genug, um Kaltwasserfische wie Forellen und Störe zu züchten. In weniger als zwei Jahrzehnten wurde der Grundwasserleiter dort für Fischteiche so stark abgebaut, dass die kommunale Wasserversorgung in mehr als zwei Dutzend Gemeinden bedroht ist. Zu berechnen, was in Grundwasserleitern verbleibt, ist außerordentlich schwierig.

Im Jahr 2015 kamen Wissenschaftler der University of Victoria im kanadischen British Columbia zu dem Schluss, dass weniger als sechs Prozent des Grundwassers über zwei Kilometer in der Landmasse der Erde innerhalb eines Menschenlebens erneuerbar sind. Andere Hydrologen warnen jedoch davor, dass Messungen irreführend sein können. Wichtiger ist, wie das Wasser im gesamten Grundwasserleiter verteilt ist. Wenn der Wasserstand unter 1,5 Meter fällt, ist es oft unwirtschaftlich, Wasser an die Oberfläche zu pumpen, und ein Großteil dieses Wassers ist brackig, also salzhaltig, oder enthält so viele Mineralien, dass es unbrauchbar ist.

Die Reduzierung der Wasserkonflikte stellt eine der wichtigsten Instrumente dar, um das von den Vereinten Nationen 2010 erklärte Menschenrecht auf Wasser zu erfüllen. Grundwassererschöpfung ist eine langsam verlaufende Krise, sagen Wissenschaftler; somit bleibt Zeit, neue Technologien und Wassereffizienzen in den Länder und Regionen zu entwickeln. In Westaustralien wurde entsalztes Wasser eingespeist, um den großen Grundwasserleiter wieder aufzufüllen, den Perth, Australiens trockenste Stadt, für Trinkwasser anzapft. China arbeitet daran, das Pumpen zu regulieren. Im Westen von Texas bohrt die Stadt Abernathy in einen tieferen Grundwasserleiter, der unter dem Aquifer der High Plains liegt, und mischt die beiden Aquifer, um die kommunale Wasserversorgung zu ergänzen. Wasserdiplomatie kann dazu beitragen, Konflikte zu vermeiden und Vertrauen zwischen Staaten aufzubauen. Das ist jedoch ein langfristiger Prozess, bei dem auch Rückschläge vorkommen können. Im südlichen Afrika zum Beispiel sind bereits große Fortschritte erzielt worden. Beispiele hierfür sind der Okavango-Fluss, der durch Angola, Namibia und Botswana fließt, oder der Oranje-Senqu-Fluss, der durch Lesotho, Namibia und Südafrika führt. Auch am Mekong in Südostasien, der sich durch sechs Länder zieht, gibt es Zusammenschlüsse. Zwischen Jordaniern, Palästinensern und Israelis gibt es ebenfalls Dialogansätze beim Wasser.

In anderen Regionen der Erde ist es noch nicht soweit. Dabei gilt es, die staatlichen Meinungsführer in den Ländern zu stärken. In Zentralasien gibt es noch viel zu tun, genauso wie im Tschad oder in Zentralafrika. Dort ist der Wassermangel sehr hoch und die Sicherheitslage sehr schlecht. Schwierigkeiten können auch an den Flüssen in Südasien entstehen. In Ostafrika, wo das Wasser besonders knapp ist, gibt es schon kämpferische Auseinandersetzungen über die Verteilung von Flusswasser für die Landwirtschaft. Das ist ebenfalls in Asien der Fall. Im Nahen Osten wird Wasser von der Terrorgruppe Islamischer Staat als Waffe eingesetzt, unter anderem, indem sie Staudämme unter ihre Kontrolle bringen, den Wasserzugang für die Bevölkerung verringern oder Landstriche fluten. Dabei können eine Million Menschen betroffen sein, wovon viele ertrinken.

Im Iran zum Beispiel hatte die Wasserknappheit im Sommer 2021 Proteste ausgelöst, die als „Aufstand der Durstigen“ bezeichnet wurde. Gleichzeitig sind die Spannungen in den langjährigen Streitigkeiten mit dem Nachbarstaat Afghanistan über den dortigen Kamal-Khan-Staudamm flussaufwärts am Helmand-Fluss wieder aufgeflammt. Susanne Schmeier ist Honorarprofessorin für Wasserrecht und Wasserdiplomatie am IHE in Delft in den Niederlanden, einem UNESCO-Institut, das sich weltweit um die Bildung und Ausbildung rund um die Themen Wasser und Wasserversorgung kümmert. Viele Anschuldigungen, etwa dass Nachbarländer Wasser horten würden, seien vielfach bequeme Strategien, um von nationalen Problemen wie hohen Wasserpreisen oder ineffizienter Wasserinfrastruktur abzulenken, sagte Schmeier. „Immer wenn der Iran mit starken Wasserkrisen im eigenen Land konfrontiert ist, etwa mit Protesten von Landwirten oder Konflikten zwischen Stadtbewohnern und Landwirten“, erklärte Schmeier, „gibt es gleichzeitig viele Äußerungen iranischer Politiker gegenüber Afghanistan, die besagen: Wir wollen unseren gerechten Anteil am Fluss.“ Während der Iran seinen flussaufwärts gelegenen Nachbarn beschuldigt, Wasser zu horten, baut er selbst Staudämme, wie am Helmand und anderen Flüssen, einschließlich eines Nebenflusses des Tigris, der in den Irak weiterfließt. Der Irak wiederum kämpft selbst mit Wasserknappheit. Das unter der Dürre leidende Land macht sowohl den Iran als auch die Türkei für seinen Wassermangel verantwortlich.

Der Dnjepr zum Beispiel entspringt auf einer Höhe von etwa 220 Metern in einem kleinen Torfmoor am Südhang der Waldhügel Russlands, etwa 240 Kilometer westlich von Moskau, und fließt in südlicher Richtung durch Westrussland, Weißrussland und die Ukraine zum Schwarzen Meer. Er ist einer der wichtigsten und der viertlängste Fluss in Europa; seine Gesamtlänge beträgt 2.285 Kilometer. Kiew liegt am Ufer des Dnjepr, der von Norden nach Süden durch das Zentrum der Ukraine ins Schwarze Meer fließt. Staudammprojekte sollen Betreiberländern Strom und Wasser liefern; oft zum Ärger der Nachbarstaaten.

Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine meldete Russland, seine Armee habe einen Staudamm am Nord-Krim-Kanal bombardiert. Diesen Damm hatte die Ukraine nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 errichtet und der Halbinsel auf diese Weise regelrecht den Hahn abgedreht: Die lebenswichtige Wasserversorgung des besetzten Gebietes war damit blockiert, massiver Wassermangel die Folge. Zwar wird der Krieg in der Ukraine nicht um die Wasserversorgung der Krim geführt.22 Doch der Damm sei ein Beispiel, wie die Macht über das Wasser als politisches Druckmittel eingesetzt werde, sagte Ashok Swain, Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der schwedischen Universität Uppsala und ehemaliger UNESCO-Lehrstuhlinhaber für internationale Wasserkooperation.

Selbst auf der Krim, so Ashok, hätte die internationale Gemeinschaft, wenn sie Russland und die Ukraine in die Lösung der humanitären Wasserfrage einbezogen hätte, beiden Staaten „ein Forum bieten können, um zu verhandeln und Lösungen zu suchen – für das Wasserproblem, aber auch für andere Probleme“.

In der Ukraine, glaubt Mehmet Altingoz, der an der US-amerikanischen Universität von Delaware über grenzüberschreitendes Management forscht, hätte eine Einigung auf die humanitäre Frage der Wasserversorgung der Krim dazu beitragen können, die Spannungen zu verringern. „Die NATO und der Westen haben eine Gelegenheit verpasst, die Spannungen in der Region abzubauen – sie hätten die Ukraine ermutigen sollen, einen Weg zu finden, wie sie die Krim mit Wasser mitversorgen können“, heißt es in einem Artikel, den er kürzlich mitverfasst hat.

Chinas Staudämme entlang des Mekong Flusses werden für Dürren in Thailand und Kambodscha verantwortlich gemacht. Internationale Spannungen im Zusammenhang mit Wasser eskalieren eher selten zu einem ausgewachsenen Konflikt. Und wenn Streitigkeiten aufflammten, dann sei Wasser oft nur ein Stellvertreter für andere Probleme. Geopolitische Spannungen oder wirtschaftliche Streitigkeiten werden auf das Wasser projeziert. So könnten am Mekong ganz unterschiedliche Faktoren zu niedrigen Wasserständen in den Anrainerstaaten flussabwärts führen. Die betroffenen Staaten führten das Problem jedoch auf den massiven Bau von Staudämmen durch die Chinesen zurück. Die Nachbarländer sind zunehmend besorgt über die Folgen von Chinas wachsender Macht.23

„Ich denke, das spiegelt sich auch in der Wasserproblematik wider“, sagte Scott Moore, Direktor des China Program and Strategic Initiatives an der Universität Pennsylvania.24

Die Türkei hat am Tigris und am Euphrat Staudämme gebaut. Der Irak und auch Syrien behaupten nun, dass diese Dämme sie stromabwärts regelrecht auf dem Trockenen sitzen lassen. Beim Bau des Atatürk-Staudamms in den 1980er Jahren hatte sich die Türkei verpflichtet, 500 Kubikmeter Euphrat-Wasser pro Sekunde über den Damm in das benachbarte Syrien abzugeben. Die Türkei macht nun den Klimawandel dafür verantwortlich, dass die Wassermenge derzeit deutlich geringer ist. Die syrischen Kurden auf der anderen Seite der Grenze sind dagegen der Ansicht, dass die Türkei die Wassermengen absichtlich drosselt, um so Druck auf die Kurdengebiete auszuüben. Nun scheint es für Walter etwas klarer zu werden: Wenn Streitigkeiten aufflammen, dann ist Wasser oft nur ein Stellvertreter für andere Probleme. Geht es wirklich nur darum, die Menschen zu beruhigen, indem schwierige Themen auf das Thema Wasser übertragen werden?25

Die Wassermächte

Mit Bestürzung stellt Walter fest, dass schon im April 2022 die planetare Grenze für Süßwasser überschritten worden ist. Das meldet ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Stockholmer Resilience Centre und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. „Wasser ist der Blutkreislauf der Biosphäre. Aber wir verändern den Wasserkreislauf tiefgreifend. Dies wirkt sich nun auf die Gesundheit des gesamten Planeten aus und macht ihn deutlich weniger widerstandsfähig gegen Schocks“, sagte Lan Wang-Erlandsson vom Stockholm Resilience Centre an der Universität Stockholm. Die planetaren Grenzen markieren den sicheren Handlungsraum für die Menschheit. Wasser ist einer der neun Regulatoren des Zustands des Erdsystems und die sechste Grenze, die Wissenschaftler als bereits überschritten eingestuft haben.26 Andere überschrittene Grenzen sind: Klimawandel, Integrität der Biosphäre, biogeochemische Kreisläufe, Landsystemveränderungen und im Jahr 2022 neuartige Bereiche, zu denen Kunststoff und andere vom Menschen hergestellte Chemikalien gehören. Bisher galt das Wasser noch als innerhalb der Sicherheitszone liegend. Die ursprüngliche Süßwassergrenze konzentrierte sich jedoch nur auf die Entnahme von Wasser aus Flüssen, Seen und aus dem Grundwasser, bekannt als „blaues Wasser“. Nun haben Forscher die Wassergrenze genauer untersucht. Ihnen zufolge wurde in den früheren Bewertungen die Rolle des grünen Wassers, und insbesondere der Bodenfeuchtigkeit, für die Gewährleistung der Widerstandsfähigkeit der Biosphäre, für die Sicherung von Kohlenstoffsenken an Land und für die Regulierung der atmosphärischen Zirkulation nicht ausreichend erfasst.27

„Der Amazonas-Regenwald ist für sein Überleben auf die Bodenfeuchtigkeit angewiesen. Es gibt jedoch Hinweise, dass Teile des Amazonas austrocknen. Der Wald verliert durch Klimawandel und Entwaldung an Bodenfeuchtigkeit“, sagte Arne Tobian, Doktorand am Stockholm Resilience Centre und am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Diese Veränderungen bringen den Amazonas möglicherweise näher an einen Wendepunkt, an dem große Teile des Regenwaldes in savannenähnliche Stadien wechseln könnten“, fügte er hinzu. Und das nicht nur im Amazonasgebiet. Dieses Phänomen ist global. Überall, von den borealen Wäldern im Norden bis zu den Tropen, vom Ackerland bis zu den Wäldern, verändert sich die Bodenfeuchtigkeit. Ungewöhnlich nasse und trockene Böden werden zunehmend alltäglich. „Diese neueste wissenschaftliche Analyse zeigt, wie wir Menschen grünes Wasser innerhalb einer kurzen Periode verändern könnten, die die Erde über mehrere tausend Jahre während des Holozäns erlebt hat“, schloss Rockström. „Dies ist ernst und eine Bedrohung für die Lebenserhaltungssysteme auf der Erde, verursacht durch die globale Erwärmung, die nicht nachhaltige Landbewirtschaftung und die Zerstörung der Natur.“ Was ist eigentlich grünes, blaues oder graues Wasser? Diese Begriffe wurden im Laufe der Zeit als die Summe des direkt und indirekt verbrauchten Wassers durch den Menschen, den sogenannten Fußabdruck, geprägt. Beim grünen virtuellen Wasser spricht man von genutztem Boden- und Regenwasser aus dem natürlichen Wasserkreislauf. Als blaues virtuelles Wasser bezeichnet man das genutzte Wasser aus Flüssen und Seen sowie das Grundwasser. Und das graue virtuelle Wasser ist das verschmutzte Wasser.28

Zudem ist das Süßwasservorkommen weltweit ungleichmäßig verteilt. Schon auf einem einzigen Kontinent, hat er festgestellt, bestehen gravierende Unterschiede: Lloro in Kolumbien sei der feuchteste Ort der Welt und Arica in Chile der trockenste. Dazu kommt, dass die Meeresoberfläche im Süden viel größer ist als im Norden. Der antarktische Kontinent ist noch mit einem dicken Eisschild bedeckt, während der Norden nur den grönländischen Eisschild und das Eis hat, das auf dem Arktischen Ozean schwimmt. Die unterschiedliche Sonneneinstrahlung spielt auch eine Rolle. Sie wirkt sich zwischen den Polen und dem Äquator und von Ost nach West aus, je nach atmosphärischen Zirkulationen und Landformbarrieren. Der größte Teil des atmosphärischen Wassers befindet sich somit vor allem entlang der Tropen, Gebiete mit intensiver Verdunstung von warmem Wasser von der Meeresoberfläche. Wenn Walter entsprechend die Landesgrenzen zieht, ergibt sich ein völlig neues Bild. Dabei fanden die Vereinten Nationen neun Länder, die 60 Prozent der Süßwasserressourcen in sich konzentrierten. Sie werden die „Wassermächte“ genannt: Brasilien, Kolumbien, der Kongo, Russland, Indien, Kanada, die Vereinigten Staaten, Indonesien und China.

Brasilien hat das größte Volumen an erneuerbaren Süßwasserressourcen der Welt: insgesamt etwa 8.647 Kubikkilometer pro Jahr. Brasiliens Süßwasser macht etwa zwölf Prozent der weltweiten Süßwasserressourcen aus. Die Amazonasregion enthält mehr als 70 Prozent des gesamten Süßwassers des Landes. Und trotzdem leidet Sao Paulo, eine der bevölkerungsreichsten Regionen Brasiliens, unter schwerer Dürre. Zudem bleibt der Zugang zu Süßwasser in den armen Vierteln in städtischen Gebieten eine Herausforderung. Russland verfügt über 4.525 Kubikkilometer Süßwasserressourcen pro Jahr. Hier befindet sich der Baikalsee, der größte und tiefste Süßwassersee der Welt. Er speichert bis zu einem Fünftel des weltweiten Süßwassers. Der See bildete sich auf einem Graben. Das Volumen des Sees hat jedoch aufgrund des Klimawandels allmählich abgenommen. Der Baikalsee ist die Heimat einer großen Population von Robben und mit 23.000 Milliarden Kubikmetern Wasser eine der größten Trinkwasserreserven der Welt. Er ist als Weltkulturerbe für den Reichtum seiner Fauna gelistet.29

In den Vereinigten Staaten beträgt das Volumen der erneuerbaren Süßwasserressourcen etwa 3.069 Kubikkilometer pro Jahr. Die meisten Süßwasserressourcen des Landes sind Oberflächengewässer. Etwa 77 Prozent des Süßwassers bestehen aus Oberflächenwasser und 23 Prozent aus Grundwasser. Das meiste Süßwasser stammt aus Seen. Es gibt Tausende von Seen in den Vereinigten Staaten, einschließlich der berühmten Great Lakes. Andere Süßwasserquellen sind Flüsse, Teiche und Stauseen. In Kanada beträgt die Menge an erneuerbarem Süßwasser etwa 2.902 Kubikkilometer pro Jahr. Der größte Teil des kanadischen Süßwassers befindet sich in seinem vielfältigen Flusssystem und seinen Seen. Das Süßwasser aus Kanadas Seen versorgt mehr als 8 Millionen Menschen mit Trinkwasser und unterstützt ein Viertel der Landwirtschaft des Landes. Darüber hinaus verfügt es über frisches Grundwasser in kleinen Teichen oder Gletschern. Grundwasser ist weitgehend nicht erneuerbar.30

China hat das fünftgrößte Volumen an erneuerbaren Süßwasserressourcen der Welt. Es hat etwa 2.840 Kubikkilometer