3,99 €
"Notwehr & Entschlossenheit" sind gefragt! "Meister & Rivalen" bestimmen die Ereignisse! Und Bonusgeschichten warten auf den Leser. In seinen bisher 23 veröffentlichten Kurzgeschichten präsentiert Konrad Gladius die facettenreiche Welt der Kampfkünste. Der Sammelband 2022 beinhaltet alle Beiträge aus dem Blog "Kampfkunst Kurzgeschichten" des Kampfkunst-Boards sowie die Bonusgeschichten der beiden Vorgängerbände. Das ideale Geschenk für jeden Kampfsportenthusiasten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 296
Veröffentlichungsjahr: 2022
Kampfkunst Kurzgeschichten
von Konrad Gladius
Kampfkunst
Kurzgeschichten
Sammelband 2022
von Konrad Gladius
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 Konrad Gladius
2. überarbeitete Auflage, Vorgängerausgaben in zwei Bänden 2020
Covermotiv von Iakov Filimonov, 123RF
ISBN Softcover: 978-3-347-67437-0
ISBN Hardcover: 978-3-347-67438-7
ISBN E-Book: 978-3-347-67439-4
ISBN Großschrift: 978-3-347-67440-0
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.
WIDMUNG
Für alle Nutzer des Kampfkunst-Boards
(www.kampfkunst-board.info), die sich dort Woche für
Woche in der körperlosen, schlagfertigen Spielweise
der Martial Arts üben.
Insbesondere für Frank Burczynski, der zusammen mit
seinem Team und mit sehr hohem persönlichem Einsatz
den stilübergreifenden Austausch im deutschsprachigen
Raum für so viele Kampfkünstler ermöglicht.
Vorwort
Selbstkontrolle sollte neben Achtsamkeit die wichtigste Eigenschaft eines jeden Kampfkünstlers sein. Nach meiner bescheidenen Erfahrung ist es keinesfalls leicht, diese beiden Fähigkeiten im hohen Maß zu entwickeln. Hilfreich ist ein kostenloser Online-Kurs, der richtig dosiert und angewendet, zum gewünschten Ergebnis führt. Man findet solche in nahezu jedem Internet-Forum. Die wortgewaltigen Schlagabtausche dort sind eine ganz eigene Form des Kampfsports. Zu einer wahren Kunstform haben dies die Nutzer des Kampfkunst-Boards (www.kampfkunst-board.info), kurz KKB, erhoben. Das KKB, bietet den Aktiven aller Stile die Möglichkeit zum munteren Austausch über nahezu jedes Thema rund um traditionelle Kampfkünste, moderne Selbstverteidigung, Training der Gesundheit und Showeinlagen. Dabei ist es durchaus üblich, Kritik in Form von schlagkräftigen Argumenten mit dem Ziel eines sofortigen Knock-outs vorzubringen. Dies Umstand zeigte sich für mich in aller Deutlichkeit, als ich meine erste Kurzgeschichte im KKB veröffentlichte.
Kurzgeschichten sind in der Literatur ein häufig unterschätztes Feld. Wenn etwas kurz ist, dann bedeutet dies keinesfalls automatisch eine geringere Herausforderung für den Schriftsteller. Für mich, der ich das KKB schon lange Zeit immer mal wieder lesend beobachtete, kamen die ersten kritischen Rückmeldungen zu meinen Kurzgeschichten nicht ganz unerwartet. Rückblickend betrachtet bin ich für diese dankbar. Selbstverständlich freut man sich als Autor mehr darüber, wenn die Leser die verfassten Geschichten im positiven Sinne schätzen. Ohne diejenigen, welche die eigene Arbeit kritisieren, vermag man jedoch nicht zu wachsen. Sich sowohl mit konstruktiver als auch destruktiver Kritik ernsthaft auseinanderzusetzen, ist eine Herausforderung. Sie bietet eine wichtige Chance zu erkennen, wo die Stärken und Schwächen im kreativen Wirken liegen und damit sinnvoll umzugehen.
Bis 2020 veröffentlichte ich eine ganze Reihe von Kurzgeschichten in der Welt der Kampfkünste im KKB und fasst dieses zunächst in zwei Bänden mit je einer Bonusgeschichte zusammen. In den vergangenen beiden Jahren kamen aus aktuellen Anlässen zwei weitere Geschichten hinzu. Ich entschloss mich, nun einen großen Sammelband mit allen 23 von mir bisher verfassen Geschichten herauszubringen. Allen Beiträgen schenkte ich erneut Aufmerksamkeit und nahm stilistische sowie inhaltliche Verbesserungen vor. Ergänzende Gedanken verdeutlichen meine Motivation zum Verfassen der Texte. Der „Sammelband 2022“ gliedert sich in die Bereiche „Notwehr und Entschlossenheit“, „Meister und Rivalen“ und den Bonusteil.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.
Konrad Gladius im Juli 2022
Inhaltsverzeichnis
Party Hammer
Fäuste tanken
Strassenduell
Wirbelnde Fäuste
#notme
Das Herz des Kämpfers
Der Wochenendritter
Der Besen-Stil
Der lang ersehnte Kampf
Irreführende E-Mail-Werbung
Der erste Schritt
Der siebte Kreis der Karate-Hölle
Die Faust des Vaters
Deine Kampfkunst kann nix …
Rivalitäten
Fighter Mom
Der Kampfkunstlehrer
Heldentaten
Corona Fighters
Tigerkralle, Löwenzahn
Ein Leben für die Kampfkunst
Die Zerstörung der Bundesnotbremse
Cobra Kai wirkt
Über den Autor
Notwehr & Entschlossenheit
Party Hammer
Die Musik klang gut, nur etwas zu laut, befand Claudia. In der zweigeschossigen, direkt am Rhein gelegenen Wohnung in der Kölner Altstadt fühlte sie sich jedoch wohl. Es war die richtige Entscheidung gewesen, sich von ihrer Kommilitonin Anke auf diese halbprivate Examensparty mitschleppen zu lassen. Claudia hatte schon einige nette Leute kennengelernt und nun fiel ihr Blick auf einen jungen Mann ganz nach ihrem Geschmack. Rund 1,90 groß mit dunkelbraunen Haaren und einem ebensolchen Vollbart stach er aus der Gruppe der für sie potenziell infrage kommenden Kerle eindeutig heraus. Zudem verfügte er über breite Schultern, ohne dabei zu muskulös zu sein. Das sagte ihr schon mal zu. Mit einem vorteilhaften Rollkragenpullover zeigte er einen gewissen Stil, den sie an Männern schätzte.
Claudia überlegte ihre möglichen Schritte. Nach der letzten Beziehungskatastrophe wollte sie eigentlich noch eine Weile Single bleiben. Aber irgendwie vermisste sie es schon, einen Mann an ihrer Seite zu wissen. Es galt also mal zu schauen, ob dieses Prachtexemplar auch von Nahem ihr Interesse zu wecken vermochte. Ohne ein vernünftiges Gespräch schlossen sich alle weiteren Aktivitäten aus.
Die dreiundzwanzigjährige Blondine mit der drahtigen Figur einer Leichtathletin aktivierte ihr bewährtes Balzprogramm. Erst kurz den Blickkontakt suchen, dann lächeln und die blauen Augen nach einem Moment wieder abwenden, um mit jemand anderem zu sprechen. Gegebenenfalls war diese nonverbale Kommunikation einige Male zu wiederholen, um das gewünschte Resultat zu erreichen.
Nein, diesmal brauchte Claudia keine großen Lockanstrengungen zu vollführen. Der Kandidat zeigte sehr schnell Interesse. Sie entschuldigte sich bei ihren Gesprächspartnerinnen, um noch einmal zum Buffet zu schlendern. Es galt dem Herrn die Gelegenheit zu geben, sie ungestört anzusprechen. Jackpot! Er wusste eine sich bietende Chance zu nutzen.
„Von denen kann ich nicht genug bekommen“, sagte er und deutete dabei auf die selbst gebackenen Käsestangen, die Claudia gerade probiert hatte.
„Oh ja, die finde ich auch total lecker“, erwiderte die Studentin und lächelte den jungen Mann an.
„Die hat Nicole, die Freundin meines Bruders mitgebracht“, sagte er. „Sie verrät aber einfach niemandem, wie sie die so hinbekommt.“
„Ist sicherlich ein Geheimnis“, scherzte sie.
„Ich bin übrigens Marc, der kleine Bruder vom Organisator hier.“
„Ich heiße Claudia und gehöre zu den Architektinnen.“
„Freut mich, dich kennenzulernen“, sagte Marc.
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, dachte sich eine zufriedene Claudia.
***
In der folgenden Stunde wurde ihr Marc immer sympathischer. Er war 27, angehender Sportmediziner und ebenso wie sie begeisterter Leichtathlet. Es gab also viel zu erzählen und nicht nur, dass der Kerl auch von Nahem umwerfend aussah, er hatte zudem noch eine gehörige Portion Humor.
Claudia gefiel allerdings nicht so sehr, wohin sich sein Blick häufig hinverirrte. Der wandere nämlich regelmäßig auf ihren Busen und in ihren Schritt. Mal gucken, fand sie in Ordnung, immerhin hätte sie Marc selbst gerne in Badehose gesehen. Aber ständig? Das nervte schon. Auch war sein Alkoholkonsum für ihren Geschmack etwas zu üppig. Claudia beließ es bei einem kleinen Cocktail und organisierte sich dann nur noch Cola. Marc hingegen sorgte dafür, immer ein Bier zur Hand zu haben. Das wiederum hatte zum Effekt, dass er stetig lockerer wurde, was der Studentin grundsätzlich sehr gefiel.
„Wenn du Lust hast, zeige ich dir mal meine Wettkampffotos. Ich hab die oben auf dem Laptop“, sagte Marc.
„Der will dich nur mit hochnehmen, um rumzumachen“, dachte sich Claudia. „Du kennst ihn ja kaum. So etwas hast du dich schon ewig nicht mehr getraut.“
Einen winzigen Moment zögerte sie. Da sie dem, was bald folgen könnte, aber nicht abgeneigt war, lautete ihre Antwort:
„Okay.“
***
Marc hatte in der WG, die er mit seinem Bruder, dessen Freundin und noch einem Kumpel bewohnte, ein kleines Zimmer abbekommen. Claudia fiel sofort das breite Bett auf, das links neben dem Schreibtisch mit dem Laptop und dem zusätzlichen Monitor stand. Als sie Anstalten machte, zu dem Rechner zu gehen, hatte Marc bereits die Türe geschlossen und zog sie bestimmt an sich heran.
„Hui, ganz schön stürmisch“, sagte Claudia grinsend, die sich in keiner Weise gegen die Annäherung sträubte.
Marc begann sie zu küssen und auch die junge Frau erwiderte diese Zärtlichkeit. Seine Alkoholfahne war nicht gerade förderlich für ihren Genuss, aber ansonsten fühlte es sich gut und richtig an. Sie küssten sich beide mit stetig wachsender Leidenschaft. Seine Hände wanderten langsam über ihren Rücken bis zu Claudias Hintern. Das empfand sie durchaus als angenehm. Sie merkte, wie ihr derartige Berührungen durch einen Mann gefehlt hatten. Dann fasste er unter ihre Bluse und fand die richtige Art, sie zu verwöhnen. Spätestens in diesem Moment war ihr klar, wie weit er gehen wollte und dass dies auch ihrem eigenen Willen entsprach.
„So schnell mit einem Typen ins Bett gehen? Das ist doch sonst nicht deine Art“, dachte sich Claudia. „Auf der anderen Seite: Du hattest jetzt seit einem halben Jahr keinen Sex mehr. Eine kurze Affäre könnte genau das Richtige sein, um über den letzten Kerl hinweg zu kommen. Lass es also mal geschehen …“
***
Komplett ausgezogen und im matten Licht einer Nachttischlampe hatten sich Claudia und Marc in Stimmung gebracht. Schließlich drückte er sie sanft aufs Bett und legte sich vorsichtig auf seine Partnerin. Die Studentin hielt die Beine aber noch geschlossen.
„Moment, Großer“, sagte die erotischste Stimme, die in diesem Augenblick über ihre Lippen kommen konnte. „Hast du nicht was vergessen?“
„Was?“, fragte Marc leicht genervt.
„In einem Kondom würde mir dein bestes Stück noch mehr gefallen“, säuselte Claudia, um den Moment nicht zu gefährden.
„Nimmst du etwa nicht die Pille?!“, bluffte er ihr vorwurfsvoll entgegen.
„Doch, aber wir kennen uns kaum und da gibt es für mich Sex nur mit Kondom“, antwortete Claudia nun auch etwas genervt.
„Hey, also echt jetzt. Süße! Denkst du etwa, ich hätte irgendeine komische Krankheit?“, fragte Marc. „Ich hasse Kondome. Das ist, als ob man in eine Plastiktüte onanieren würde.“
„Sicher ist sicher“, sagte Claudia fest. „Ich kann mich nicht entspannen, wenn ich nicht weiß, ob es gefährlich ist.“
„Ganz ehrlich, ich habe nix“, wiederholte Marc. „Ohne macht es dir doch bestimmt auch viel mehr Spaß. Sonst würdest du ja nicht die Pille nehmen, oder?“
„Ziehst du dir nun was über oder müssen wir das hier kurz vor der Startlinie noch sein lassen?“, gab Claudia zurück und machte Anstalten sich unter Marc wegzurollen.
„Du lässt mich jetzt nicht mit so einem Ständer hier sitzen!“, fauchte Marc zornig. „Eine, die mich aufgeilt, macht gefälligst auch die Beine breit!“
Dann versuchte er, Claudia recht rabiat wieder auf den Rücken zu drücken.
***
Da legte sich ein Schalter in Claudias Kopf um. Sie wollte schon mit dem Kerl schlafen, aber eben nicht ohne Kondom. War sie etwa im Begriff ein Vergewaltigungsopfer zu werden? Etwas tief in ihr sagte, was ihre Stimme zornig hervor schrie:
„Nein!“
Ihre Rechte schnellte vor und landete mit der Handfläche in Marcs Gesicht. Sie drückte seinen Kopf zur Seite, zog ihre Knie an und brachte das rechte Schienbein vor seinem Brustkorb in Stellung. Das linke Bein hakte sie mit der Hacke am Rücken ihres Gegners ein.
„Du Schlampe!“, brüllte Marc und versuchte, ihre Beine mit seinen Händen auseinanderzureißen.
Damit verspielte er, ohne es zu ahnen, seine Chance, die Sache für sich problemlos zu beenden. Claudias Rechte fuhr zurück und wurde zur Deckung vor ihrem Kopf. Dann schlug ihre linke Faust mit der Handkante krachend auf seiner Nase ein. Dieser Hammerfaust folgte eine zweite mit der Rechten, die genau das linke Auge des Angreifers traf. Claudia stemmte nach diesem Treffer ihr Becken ruckartig hoch. Eine direkt folgende schnelle Hüftdrehung beförderte den angeschlagenen Marc aus dem Bett, sodass er gegen seinen Kleiderschrank krachte.
Claudia hechtete auf der anderen Seite von der Schlafstätte hinunter. Blöder vermochte eine Gefahrensituation nicht mehr zu sein: Sie selbst splitternackt mit einen neunzig Kilo Gegner im gleichen Zimmer. Wenn sie jetzt überstürzt raus rannte, wäre sie sicherlich im Evakostüm auf einigen Handyvideos zu sehen.
„Verdammte Scheiße!“, schrie sie.
Beim Ausziehen hatten weder Marc noch sie darauf geachtet, wo die Klamotten hinflogen. Mit vor dem Körper gehaltenen, offenen Händen sicherte sie in Richtung des stöhnenden Zimmerbewohners und orientierte sich rasch. Ihre Jeans lag auf halb links gedreht zu ihren Füßen und ihr Esprit-Unterhemd hing zerknüllt über dem Schreibtischstuhl.
Claudia bückte sich und schüttelte die Hose auf die richtige Seite. Sie war gerade mit einem Bein darin, als Marc wieder in die Senkrechte kam. Zorn war in seinem Gesicht zu sehen. Er würde sie sicherlich nicht ohne Widerstand aus dem Zimmer lassen.
„Du gehörst mir!“, brüllte er und stürmte mit zwei schnellen Schritten auf Claudia zu.
Die Studentin hatte die Jeans noch nicht zugeknöpft, da packten Marcs kräftige Hände sie am Hals und sie spürte, wie er ihr die Blutzufuhr zum Gehirn abdrückte. Sofort nahm sie ihr Kinn runter, um den Kehle zu schützen. Ein natürlicher Reflex, den zu verstärken sie sich antrainiert hatte. Nun musste sie ihn anwenden. Mit zu Haken gekrümmten Fingern hängte sie sich an Marcs Arme. Durch einen schnellen Impuls riss sie seine Handgelenke nach außen, um den Druck auf ihren Hals zu verringern und feuerte ihren besten Fußballtritt direkt vor, in Richtung der Manneskraft des Angreifers.
Was in ihrem Selbstverteidigungstraining bisher immer geklappt hatte, scheiterte in der Realität. Zwar vermochte sie die drahtigen Arme für einen Moment zu lösen, aber da Marc sie nach rechts zu seinem Bett riss, verfehlte ihr Tritt das eigentliche Ziel und traf sein Schienbein. Schmerzhaft knickte ihr großer Fußzeh ab.
„Feuer! Feuer!“, brüllte Claudia in der Hoffnung, dass ihr Alarmruf auch über die laute Musik im unteren Stockwerk der Wohnung gehört werden würde.
„Der Kerl bringt mich um!“, schoss es ihr durch den Kopf.
Da gab sie sich in den adrenalingestreckten Sekunden dieses Kampfes selbst ein Versprechen:
„Ich gehe heute nach Hause und ich bin bereit, alles dafür zu leisten, damit es auch passiert! “
Beide Hände der Studentin schnellten vor. Ihre Finger und Handflächen zielten an Marcs Schläfen vorbei, doch mit ihren Daumen beabsichtigte die Verteidigerin, seine Augen zu treffen. Der Angreifer riss jedoch seinen Kopf herunter, sodass Claudias Fingernägel durch seine Haare gegen den Schädel schlugen. Der Studentin, die immer noch im Würgegriff steckte, drohte schwarz vor Augen zu werden, aber da warf Marc sie zurück aufs Bett und ließ dabei ihren Hals los. Blitzschnell drehte sie sich auf den Rücken und brachte die Beine zwischen sich und ihren Angreifer. Ohne es zu beabsichtigen, fasste sie mit der Linken kurz nach ihrem Hals. Die rechte Hand führte sie wieder zum Schutz zurück an ihren Kopf. Auf den Knien war der nackte Möchtegernvergewaltiger nun auf dem Bett angekommen.
Claudia verschwendete keinen Gedanken daran, dass sie eigentlich mal gelernt hatte, schon geringe Gegenwehr würde für gewöhnlich ausreichen, so einen Typen zu verjagen. Sie hatte wohl das große Los gezogen einen zu finden, der sich sein vermeintliches Recht zu erkämpfen suchte. Aber nicht mit ihr.
„Feuer! Feuer!“, brüllte sie wieder mit noch immer leicht erstickter Stimme.
Auch wenn Marc wirklich entschlossen ihre Beine zu greifen versuchte, vermochte Claudia ihn mit den Tritten auf Distanz halten. Dann schaffte er es jedoch, ihren rechten Fuß zu packen, und hielt ihn mit beiden Händen fest. Claudia zog ihr rechtes Bein zu sich heran und zielte gleichzeitig mit einem gestoßenen, links ausgeführten Tritt gegen Marcs Kinn. Treffer! Der hatte gesessen!
Marc taumelte zurück und fiel am Fußende aus dem Bett. Claudia rollte sich zur Bettseite heraus und brachte sich wieder in Kampfposition.
„Feuer! Feuer!“, schrie sie ihre Verzweiflung hinaus.
Tränen füllten die Augen der jungen Frau. Der Kerl hatte immer noch nicht genug und war erschreckend schnell wieder auf den Füßen. Dadurch versperrte er Claudia auch den Fluchtweg aus dem kleinen Zimmer. Zumindest konnte sie nun ihre Jeans richten, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben, bevor sein nächster Angriff kam.
***
Erneut stürmte er mit erhobenen Pranken auf sie zu, um ihren Hals zu packen. Claudias Hände schnellten vor und klatschten gegen seine Arme. Ihren Tritt sah er nicht kommen. Diesmal traf dieser sein Ziel zwischen den Beinen ihres Gegners.
Doch er fiel nicht. Offenbar hatte ihn sein Alkoholspiegel schmerzunempfindlich werden lassen. Die Hoffnung der jungen Frau auf ein schnelles Ende der Gefahr erstarb. Seine Rechte rauschte als Maulschelle heran, kräftig genug, um Claudia den Kopf von den Schultern zu donnern.
Die Studentin, immer noch fest entschlossen, nicht in diesem Zimmer zu sterben, riss ihren linken Ellenbogen zur Abwehr hoch und Marcs Unterarm knallte gegen dessen Spitze. Claudias folgende rechte Hammerfaust traf ihn am rechten Auge und drehte dadurch seinen Kopf leicht nach links. Mit vollem Körpereinsatz und einer explosionsartigen Hüftdrehung krachte ihre linke Hammerfaust gegen die rechte Kieferaufhängung ihres Gegners. Claudia hörte ein deutliches Knacken und sah, wie Marcs Kopf von dem Impuls des Schlages herumgerissen wurde. Sein Körper folgte dieser Bewegung. Hart schmetterte der Mann an ein Bücherregal, dessen Einlegeböden ob der Wucht nachgaben. Mit lautem Krachen stürzte Marc zu Boden.
Der Fluchtweg der Studentin war nun frei. Sie stieß die Tür auf und lief aus dem Zimmer.
„Feuer! Feuer!“, rief sie.
Schnell hafteten alle Blicke auf ihr. Sie stürmte die Stufen in den unteren Teil der Wohnung hinab. Jetzt besann sich Claudia, dass sie nur eine Jeans trug, und legte die Hände auf den Oberkörper.
„Was? Wo?“, fragte ihre Freundin Anke, die als Erste reagierte.
„Marc! Er … er wollte mich vergewaltigen“, stieß Claudia hervor und spürte nun, wie sie am ganzen Leib zitterte. „Ruft sofort die Polizei!“
Anke reichte Claudia ihre Weste und nahm sie in den Arm. Eine andere Kommilitonin wählte auf ihrem Smartphone die 110.
***
Die Party war vorbei. Es hatte einen richtigen Tumult gegeben. Bis die Polizei eintraf, bildeten sich zwei Lager. Eines bestand aus Freunden von Marc, die ihm zur Seite sprangen und eine Variante der Ereignisse erzählten, die ihn als das Opfer einer vollkommen hysterischen Feministin darstellten. Der überwiegende Anteil der Partygäste glaubte jedoch Claudias Version, die sie auch gerade einer freundlichen, schwarzhaarigen Polizistin Ende dreißig in der Polizeistation zu Protokoll gegeben hatte.
„Alle Achtung“, sagte diese anerkennend. „Sie haben sich wirklich entschlossen zur Wehr gesetzt. So etwas erleben wir hier in ähnlichen Fällen leider viel zu selten.“
„Was passiert jetzt?“, fragte Claudia.
„Das geben wir nun an die Staatsanwaltschaft“, erklärte die Polizistin. „Ich würde mal sagen, da Aussage gegen Aussage steht, wird man Ihnen die Notwehr zugestehen, auch wenn der Kerl mit einem gebrochenen Kiefer und einer schiefen Nase herumlaufen wird. Nur darauf hoffen, dass ihm allzu viel passiert, würde ich nicht. Der bekommt höchstens einen Strafbefehl.“
Claudia nickte. Etwas enttäuscht fühlte sie sich schon, ob der Aussicht, dass der Angreifer nicht gleich hinter Schloss und Riegel kommen würde. Die Genugtuung, kein Opfer einer Gewalttat zu sein, stimmte sie jedoch milde.
„Darf ich Sie noch eine Sache fragen? Aus reiner Neugierde und nicht dienstlich?“, meinte die Polizistin nach einem kurzen Moment.
„Äh, ja.“
„Wo haben Sie gelernt, sich so zu verteidigen?“
„Oh, ich lerne seit zwei Jahren israelische Selbstverteidigung. Mein Trainer unterrichtet Krav Maga und KAPAP. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal anwenden muss.“
„Verstehe. Diese Stile üben ein paar meiner Kollegen auch. Hat sich definitiv gelohnt. – Bei Ihnen meine ich.“
„Ja“, sagte Claudia.
„Wie kommen Sie jetzt nach Hause?“
„Ich rufe mir ein Taxi. Das war genug Ärger für heute.“
„Das ist sehr vernünftig“, erwiderte die Polizistin. „Man sollte besser kein Risiko eingehen.“
„Wie recht Sie damit haben“, sagte Claudia.
Gedanken
Für meine erste, im Januar 2018 auf dem Kampfkunst-Board veröffentlichte Kurzgeschichte hatte ich bewusst etwas aus der Frauenselbstverteidigung genommen. Den geübten Stil und den Titel hielt ich zunächst noch offen. Zu jenem Zeitpunkt war der KKB-Blog deaktiviert. Einige Nutzer hatten dort Dinge hineingeschrieben, welche eigentlich ins Forum gehörten. Ich eröffnete also im Medienbereich ein neues Thema. Der erste Teil erschien und bekam durchaus positive Rückmeldungen. Ebenso ließ jedoch auch negative Kritik nicht auf sich warten.
Zu Erläuterung schrieb ich damals:
„Mir ist wichtig, dass es hier weder um Sex- und Gewaltfantasien geht, noch darum, angehende Sportmediziner zu verunglimpfen. Die erste Kurzgeschichte soll eine Notwehrsituation zeigen, in die eine junge Frau überraschend gekommen ist. Ich möchte hier nachvollziehbar darstellen, wie eine eigentlich entspannte Situation urplötzlich eskalieren kann.“
Bei den folgenden beiden Teilen erhielt ich sogar einen sehr konstruktiven Vorschlag für eine Änderung, die ich umsetzte. Ansonsten gab es viel humoristisches, verbales Sparring zu diesem Erstling. Und zumindest ein Eintrag ermutigte mich, direkt weiterzuschreiben. Jetzt, viereinhalb Jahre später, erkenne ich an der ursprünglichen Version deutlich, wie sich mein Schreibstil weiterentwickelt hat. Für den ersten Sammelband habe ich sehr viele Änderungen vorgenommen und sicher wird der eine oder andere KKB-Nutzer die Unterschiede bemerken.
Der Name dieser Kurzgeschichte ist übrigens von der dort angewendeten Schlagtechnik „Hammerfaust“ inspiriert.
Fäuste tanken
Es war stockfinster und die Digitaluhr des Autoradios zeigte „6:28“ an. Wolfgang tippte schnell mit den Fingern der rechten Hand gegen das Lenkrad. Er hatte eine weite Strecke vor sich. Bis nach Düsseldorf waren es an jenem kalten Januarmorgen insgesamt zweieinhalb Stunden zu fahren. Der zwanzig Jahre alte Kfz-Mechaniker tourte zum ersten Mal ohne Begleitung zu einem Wettkampf. Intensive Bitten hatten nicht ausgereicht, um seine Vereinskameraden zum Mitfahren zu bewegen. Trotzdem war Wolfgangs Motivation so groß, dass er die weite Strecke alleine fuhr. Er rechnete zwar nicht mit einem Siegerpokal, doch eine Platzierung im oberen Drittel war realistisch. Leider hatte sein Trainer Mehmet keine Zeit, ihn zu begleiten. Eine dringende Familienangelegenheit war ihm dazwischen gekommen. In den vergangenen Wochen hatte Wolfgang im Training aber alles erhalten, was er brauchte, um optimal vorbereitet zu sein. Mehmet organisierte zudem, dass sich ein befreundeter Trainer beim Turnier um seinen Schützling kümmern würde. Dafür war ihm der junge Mann sehr dankbar.
Er bog von der Hauptstraße ab und fuhr den Zubringer zur Umgehungsstraße entlang. Heavy Metal-Klänge drangen aus den Boxen des Kleinwagens. Wolfgang beschleunigte und seine Gedanken fokussierten sich auf das Turnier. Seit fünf Jahren trainierte er schon Kickboxen. Sein großes Vorbild war Weltmeister Rico Verhoeven. Der niederländische Schwergewichtler verkörperte alles, wonach Wolfgang selbst strebte. Mehmet half dem jungen Mann, den Kampfstil Verhoevens zu imitieren, und das gelang im Großen und Ganzen. Zugute kam ihm dabei eindeutig, dass er mit 193 Zentimeter Körpergröße und 112 Kilo Kampfgewicht seinem Vorbild schon recht nahekam. Mit Nehmerqualitäten ausgestattet, überlegte der junge Mann, vielleicht eines Tages eine Profikarriere einzuschlagen. Beim Amateur-Leichtkontakt hatten sich die Erfolge bisher nicht so recht eingestellt. Nach einem halben Jahr Vorbereitung standen heute seine ersten Kämpfe im Vollkontakt an.
Was der Tag ihm bringen würde? Bekam er furchtbar aufs Fressbrett oder würde er Spaß haben? Während sich Wolfgang diese Fragen stellte, fiel sein Blick auf eine Anzeige am Armaturenbrett. Dort leuchtete im klaren Rot ein stilisierter Autoreifen. Verdammt! Das hatte ihm jetzt gefehlt. Der Luftdruck stimmte nicht. Hoffentlich hatte er keinen Platten. Dann hieß es, seinen Chef anrufen und erklären, dass er schnell in der Werkstatt den Reifen wechseln würde. Wenn das notwendig war, wäre die Zeit knapp. Er hatte sich bis um 9.30 Uhr in Düsseldorf zu melden. Das Auto seiner Eltern auszuleihen, entfiel als Möglichkeit. Die waren über das Wochenende weggefahren und unterstützten sein Hobby ohnehin nicht. Verdammt noch mal! Ausgerechnet heute.
Zuerst musste er schnell den Luftdruck checken. Wolfgang nahm die nächstmögliche Abfahrt. Zum Glück gab es hier eine Tankstelle. Erleichtert stellte er fest, dass diese schon geöffnet war. Er lenkte im absoluten Tunnelblick sein Auto zu dem hell erleuchteten Areal und dort direkt zu der Luftdruckstation. 2,2 Bar sollten es sein. Er nahm das Zuführungskabel von der Station und prüfte vorne rechts. 2,1 Bar, alles in Ordnung, nur etwas nachfüllen. Dann checkte er den Reifendruck hinten rechts. 1,6 Bar. Verdammter Mist! Da steckte sicher was im Reifen drin.
***
„Ha’t du Feuer?“, hörte Wolfgang jemanden in gebrochenem Deutsch fragen.
„Nein, habe ich nicht!“, antwortete er genervt und vollkommen darin versunken, den Schlauch vom Reifen zu entfernen.
Nachdem der Aufpumpvorgang abgeschlossen war und die Station 2,2 Bar zeigte, hatte Wolfgang sein Ohr am Hinterrad. Er lauschte leise, wie die Luft entwich, und fluchte innerlich. Und er hörte noch etwas anderes. Sich nähernde Schritte.
„Du Geld für uns? Wir Zigaretten kaufen“, sagte eine Person schräg hinter ihm.
Wolfgang drehte sich in der Hocke um und sah drei Burschen mit tiefschwarzen Haaren, die in etwa in seinem Alter zu sein schienen. Der Erste, der offenbar mit ihm gesprochen hatte, war eineinhalb Köpfe kleiner als er selbst und brachte dafür vermutlich fast gleichviel auf die Waage. Der Zweite verfügte über dieselbe Körpergröße wie sein Freund, war jedoch von drahtiger Statur. Etwas hinter den beiden Stand ein Typ mit auffällig breiten Schultern. Er überragte seine Kumpel um einen Kopf. Wange und Hals waren vernarbt, so als ob er einmal furchtbare Verbrennungen erlitten hatte.
„Sorry, Leute“, sagte Wolfgang und stand auf. „Ich hab‘ kein Geld an euch zu verschenken!“
Die Antwort war etwas barsch, jedoch ehrlich gemeint. Er hielt dabei seine Arme tief und hatte die Handflächen geöffnet. Der junge Mann pflegte eine weltoffene Grundhaltung und verstand, warum die Kerle hier versuchten, Kippen zu schnorren. Aber er hatte andere Probleme. Zumindest dachte er das.
„Du was gegen Auslander?!“, fragte der Erste wieder und ein Anflug von Zorn lag in seiner Stimme.
Er streckte den Oberkörper etwas in Richtung von Wolfgang.
„Hey! Mach‘ mal keinen Stress!“, sagte der Kampfsportler und hob die geöffneten Hände vor sich. „Ich gebe euch kein Geld. Ich warne euch! Ich trainiere Kickboxen bei Mehmet Durmaz.“
Diese Ansage hatte er mal als Tipp von seinen Trainingskameraden mitgenommen. Der Name des einst lokal so erfolgreichen Athleten würde demnach in entsprechenden Kreisen dafür sorgen, dass man in Ruhe gelassen wurde. Offenbar hatten die drei Typen noch nichts von ihm gehört. Der Kerl mit den Brandnarben stand unvermittelt neben Wolfgang und eine Rechte war auf dem Weg. Wolfgang richtete sich aus, brachte aber die Deckung nicht mehr rechtzeitig hoch. Die Faust fand krachend sein Kinn und schickte den Kickboxer zu Boden.
***
Nach wenigen Augenblicken war Wolfgang wieder Herr seiner Sinne. Tritte trafen ihn. Das sah und spürte er. Schmerzen bemerkte er überraschenderweise nicht. Die blendete sein Körper vollkommen aus. Er rollte sich zusammen, brachte die Füße unter sich und drückte sich mit beiden Beinen wieder in den Stand. Die Deckung war oben und er feuerte. Jab, Punch, Hook und Uppercut. Links, rechts, links, rechts, so schlug er die Viererkombination aus seinem Wettkampftraining gegen das Narbengesicht. Nase, Nase, Kieferaufhängung und Kinnspitze waren die Trefferzonen. Wie von einem Blitz gefällt, stürzte sein Gegner zu Boden.
Etwas traf Wolfgang an der Rippe. Sein zweiter Angreifer hatte ihm einen runden Tritt mit dem Schienbein verpasst. Es war der drahtigere der beiden verbleibenden Schläger. Schnell wurde der Schmerz deutlicher. Der junge Kickboxer richtete sich auf seinen Gegner aus, doch bevor er zu kontern vermochte, spürte er einen Hieb gegen seinen Kopf. Etwas Hartes hatte ihn auf der rechten Seite oberhalb des Ohrs getroffen.
Der Kickboxer wendete seinen Blick und sah, dass das Dickerchen einen Teleskopschlagstock in der rechten Hand hatte. Der Angreifer hielt die Waffe verkrampft und wirkte damit auf Wolfgang alles andere als im Umgang mit ihr geübt. Der Verteidiger beschränkte sich zunächst darauf, die Attacken seiner Gegner abzuwehren. Eine rechte Gerade des Drahtigen schlug genau gegen die Deckung und blieb dementsprechend ohne Wirkung. Derweil rasten die Gedanken nur so in Wolfgangs Kopf.
„Das hier ist kein Spaß mehr“, wurde dem Kampfsportler bewusst. „Falls ich bewusstlos werde, dann wache ich, wenn überhaupt, im Krankenhaus wieder auf. Ich muss das beenden!“
***
Es war eine rechte Rückhandbewegung, mit der Wolfgang angegriffen wurde. Der Teleskopschlagstock zielte erneut auf seinen Kopf. Der Kickboxer riss die rechte Deckung hoch, während er zum Schutz einen Schritt nach vorne machte. So fing er den Angriff an der Faust seines Gegners ab. Wolfgangs linker Jab erwischte nur mit geringer Wucht das Auge des Angreifers, aber er traf. Der Dicke stolperte zurück. Jetzt war die Lücke da. Wolfgangs hinteres rechtes Bein schnellte nach vorne. Der Pushkick landete genau auf der Manneskraft. Wie ein nasser Sack klappte das Dickerchen in sich zusammen. Ein Hochgefühl ergriff den Kampfsportler. Zwei hatte er ausgeschaltet, es blieb nur einer übrig.
Es war kein harter Stoß, den er gegen seinen linken Rückenstreckermuskel bekam, dieser zeigte ihm jedoch, dass es nicht vorbei war. Wolfgang richtete sich aus und fixierte den Drahtigen. Dann sah er es.
Es war in der relativen Dunkelheit der Tankstellenbeleuchtung nur ein kurzes Blitzen, aber eines, das Unheil verkündete. Eine metallene Reflexion, die sofort seine Gedanken fesselte.
„Der Drecksack hat ein Messer!“
***
Als Wolfgang sich umdrehte und losrannte, traf ihn ein weiterer Stoß am Rücken. Er verschwendete keinen Gedanken daran, ob es sich hierbei wieder um einen Messerstich gehandelt haben könnte. Er rannte. Das Gebäude der Tankstelle war sein Ziel. Dort würde er Hilfe finden. Zumindest hoffte er das.
Der Messerstecher nahm die Verfolgung auf. Wolfgang hörte seine Schritte auf dem kalten Asphalt. Für ihn klang es, als ob ihm ein schweres Ungeheuer nachsetzte. Ein Monster, das nach seinem Leben trachtete.
Der Kickboxer dachte auf einmal an seltsame Dinge. Zur Einschulung hatte er eine dunkelblaue Schultüte bekommen. Den ersten Kuss hatte er mit zwölf mit Jutta aus der Nachbarklasse geteilt. Es war eine Wette. Ingrid war mit sechzehn seine erste große Liebe gewesen. Als es nach zwei Jahren auseinanderging, hatte er das lange nicht verkraftet. Vor Kurzem hatte er die aus Puerto Rico stammende Valeria kennengelernt. Sie war die Frau seiner Träume. Hoffentlich würde er sie wiedersehen. Das war in diesem Moment alles andere als sicher.
Wolfgang erreichte den Eingang des Kassenbereichs mit kleinem Supermarkt und hoffte auf Unterstützung.
„Helfen Sie mir! Die wollen mich abstechen!“, rief er der Kassiererin entgegen.
Die Frau war nach Wolfgangs Einschätzung Anfang fünfzig und hatte bei etwa 1,70 Körpergröße ein unwesentlich geringeres Kampfgewicht als er.
„Oh mein Gott!“, rief sie und drückte irgendetwas unter der Theke.
Selbst wenn sie damit einen stillen Alarm ausgelöst hatte, Wolfgang verließ sich für seine Rettung nicht darauf. Durch das Glas der Fensterscheiben sah er, dass nicht nur der Messerstecher hinter ihm her war. Der Stockschwinger hatte sich vom Tritt erholt und folgte diesem. Panisch orientierte sich der Kampfsportler.
Sein Blick fiel auf einen Eimer mit Wasser zum Fensterreinigen. Zusammen mit dem notwendigen Abzieher war dieses Reinigungsutensil offenbar noch nicht hinausgestellt worden. Ohne zu zögern, griff der Kickboxer zu.
***
Als der Messerstecher durch die Tür hereinstürmte, schlug ihm eine Eimerladung Wasser entgegen und traf ihn direkt im Gesicht. Er drehte sich nach rechts weg und bewegte dabei das Messer von Wolfgang fort. Der Moment war gekommen. Der Kickboxer wusste, dass er nur einen Versuch hatte. Sein Gegner war deutlich kleiner. Das vereinfachte es, aber es galt dennoch, erst einmal Erfolg zu haben. Krachend schlug der hohe Roundhousekick gegen den Hinterkopf des Drahtigen. Wolfgang sah, wie der Angreifer durch die Wucht der Technik mit dem Kopf an ein Regal geschlagen wurde, sein Messer verlor und zu Boden stürzte. Dadurch versperrte er für einen kurzen Moment dem dicken Stockschwinger den Weg in den Tankstellenshop.
Wolfgang griff nach den Getränkedosen neben sich im Regal. Wurfgeschosse! Die erste volle Dose schlug gegen die Brust seines Gegners. Die Zweite traf die zum Schutz erhobenen Arme. Die Dritte streifte dessen Kopf. Der Angreifer wankte kurz. Mehr brauchte Wolfgang nicht. Mit einem linken Jab gegen die Arme seines Gegners überbrückte er die Distanz. Ein rechter Hook traf die Kieferaufhängung. Ein Hook mit der anderen Hand folgte und fand sein Ziel, die Schläfe. Es war wieder ein Uppercut gegen die Kinnspitze, welcher seinen Gegner hart zu Boden schickte. Der hatte genug.
Wolfgang schaute sich um. Der Dicke und der Drahtige lagen bewusstlos zu seinen Füßen. Den Großen sah er durch die Scheibe noch immer vor dem Auto liegen. Drei Knock-outs in so kurzer Zeit. Der Kickboxer war zufrieden.
Jetzt bemerkte er aber das Blut, das ihm am Kopf hinunterlief und das, welches aus der Seite und aus dem Rücken strömte. Er ging in die Knie. Dann umfing ihn Dunkelheit.
***
Ein geschlossener Sarg stand vorne in der Halle. Die Trauergemeinde sah den Toten nicht. Aller Schmerz, alle Mühsal waren von ihm abgefallen. Alle Wunden hatten keine Bedeutung mehr. Viele Trauernde waren hier zusammen gekommen. Freunde, Familie aber ebenso fremde Menschen berührte offenbar sein Tod.
Der Geistliche schritt vor zum Rednerpult mit dem Mikrofon. Das Orgelspiel in der Aussegnungshalle endete. Der Pfarrer schaute sich um und sein Blick wandte sich der Familie des Toten zu. Seine Augen ruhten erneut auf der Frau Anfang fünfzig, die vollständig in schwarz gekleidet war. Tränen rannen ihre Wangen hinunter. Sie litt schwer unter dem Verlust. Kein Wunder, wenn man bedachte, in welchem Verhältnis sie zu dem Verstorbenen stand. Der Priester hoffte, dass das Folgende etwas Trost spendete.
„Ein geliebter Mensch ist gegangen“, sagte der Pfarrer. „Sein Tod kam überraschend. Er wurde aus unserer Mitte gerissen und wir fragen uns, warum dies geschehen durfte. In so einem Moment ist es für uns wichtig, uns zu erinnern. Uns zu erinnern an die Spuren der Liebe, die er in unseren Herzen hinterlassen hat. Von diesen Spuren wollen wir nun hören.“
Er schaute zu dem jungen, hochgewachsenen Mann, der mittlerweile einige Schritte neben ihm stand und nickte ihm zu. Daraufhin trat dieser anstelle des Pfarrers an das Mikrofon, legte sein Redemanuskript ab und ließ seinen Blick über die Trauernden in der Aussegnungshalle gleiten. Diese Rede hatte er gründlich vorbereitet.
„Wenn die Zeit des Todes kommt, dann gehen einem die unglaublichsten Dinge durch den Kopf“, sagte der junge Mann. „Es ist nicht allzu lange her, da hatte ich so einen Moment und musste an die Farbe der Schultüte bei meiner Einschulung denken.“
Die Bemerkung sorgte bei einigen der Trauernden für Schmunzeln und das bestätigte den Redner in seiner Absicht, die Ansprache so zu halten, wie er es sich vorgenommen hatte.
„Mein Vater war ein ungewöhnlich treuer Mensch“, sagte Wolfgang. „Wie viele von euch wissen, ist es keine zwei Jahre her, dass mich drei Verbrecher an einer Tankstelle fast umgebracht hätten. Es war wohl Gottes Wille, dass ich die Messerstiche überlebt habe und es war der Dickschädel, den ich von meinem Herrn Vater geerbt habe, der dafür sorgte, dass die Stockschläge gut verheilten. Aber damit war es nicht durchgestanden. Da ich auch den drei Angreifern einiges verpasst hatte, erzählten diese, ich sei ein Nazi und hätte sie angegriffen.“
Wolfgang ließ das Raunen der Trauergemeinde kurz verklingen, ehe er fortsetzte.
„Es war mein Vater, der zu mir hielt und mir half, trotz der Anklagen gesund zu werden. Er war es, der mit seinem Freund Walter, einem Privatdetektiv, herausbekam, dass die drei schon ein paar Dinger gedreht hatten. Er ließ nicht locker, bis ich mit der Hilfe eines erfahrenen Rechtsanwalts in allen Punkten freigesprochen wurde und die eigentlichen Täter ihre gerechte Strafe erhielten.
Dass so einen Menschen der Tod durch einen Herzinfarkt vollkommen überraschend aus unserer Mitte holen kann, hätte ich nicht erwartet. Aber sowohl sein Leben als auch sein Tod haben mich eines gelehrt, das mich von nun an begleiten wird: Sei immer für die von dir geliebten Menschen da und zeige es ihnen jeden Tag, den Gott euch gemeinsam schenkt. Wenn der Tod überraschend kommt, sei es durch feige Angreifer oder eine Krankheit, dann hast du keine Gelegenheit mehr dazu.“
Gedanken
Gleich vorab, ja die Aggressoren der zweiten von mir veröffentlichten Kampfkunst Kurzgeschichte leben augenscheinlich noch nicht lange in Deutschland. Mir war es wichtig, einen Kontrast zur ersten Geschichte herzustellen. Mein Hinweis seinerzeit lautete:
„Es ist zwar wieder eine Selbstverteidigungssituation, aber Geschlecht und Ausbildung des Verteidigers sowie Herkunft, Anzahl und Motivation der Angreifer sind deutlich unterschiedlich. “