Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Am Vorabend von Waterloo bricht Falk Marten Hanson zu dem kleinen Dorf Ligny auf, in dem sich Napoléon und Feldmarschall Blücher gegenüberstehen. Zwei Tage später ist alles vorüber. Der geschlagene Napoléon flüchtet nach Rochefort. Falk wähnt sich schon wieder in der Heimat, da bietet sich ihm die Gelegenheit, den ehemaligen französischen Kaiser noch einmal zu treffen. Auf der Île-d'Aix erfährt Falk von den Louisiana-Plänen. Wird Napoléons Exil auf Saint Helena nur vorübergehend sein? Gibt es eine Verschwörung, einen Befreiungsversuch? Falk erlebt weitere Abenteuer. Auf der Suche nach der schwedischen Flotte entdeckt er seine Faucon, kann sie mit Hilfe seiner Freunde nach Antwerpen retten und das Schiff dort wieder instand setzen. Die Faucon kommt Överste Kungsholm gerade recht, um Falk erneut auf eine Mission zu schicken. Diesmal geht es über die Weltmeere bis nach Saint Helena. Dritter Band der historischen Falk-Hanson-Reihe.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 563
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ole R. Börgdahl
Kanonen für Saint Helena
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Das Buch
Prolog
Fluchtpläne
Bellevie
Die schwedische Flotte
Wiedergeburt der Faucon
Aufbruch
Ort der Verbannung
Jagd auf Nummer 8
Impressum neobooks
Am Vorabend von Waterloo bricht Falk Marten Hanson zu dem kleinen Dorf Ligny auf, in dem sich Napoléon und Feldmarschall Blücher gegenüberstehen. Zwei Tage später ist alles vorüber. Der geschlagene Napoléon flüchtet nach Rochefort. Falk wähnt sich schon wieder in der Heimat, da bietet sich ihm die Gelegenheit, den ehemaligen französischen Kaiser noch einmal zu treffen. Auf der Île-d’Aix erfährt Falk von den Louisiana-Plänen. Wird Napoléons Exil auf Saint Helena nur vorübergehend sein? Gibt es eine Verschwörung, einen Befreiungsversuch?
Falk erlebt weitere Abenteuer. Auf der Suche nach der schwedischen Flotte entdeckt er seine Faucon, kann sie mit Hilfe seiner Freunde nach Antwerpen retten und das Schiff dort wieder instand setzen. Die Faucon kommt Överste Kungsholm gerade recht, um Falk erneut auf eine Mission zu schicken. Diesmal geht es über die Weltmeere bis nach Saint Helena.
Dritter Band der historischen Falk-Hanson-Reihe.
Weitere Romane von Ole R. Börgdahl:
Blindgänger (2024) - 978-3-7565-9085-8Dein Tod ist mein Leben (2023) - 978-3-7565-6082-0
Die Falk-Hanson-Reihe (Historische Romane):
Band 1: Unter Musketenfeuer (2019) - 978-3-7485-9758-2
Band 2: Der Kaiser von Elba (2020) - 978-3-7502-3242-6
Band 3: Kanonen für Saint Helena (2022) - 978-3-7502-3242-6
Band 4: Colonel Muiron (2023) - 978-3-7549-9391-0
Die Tillman-Halls-Reihe (Krimireihe):
Alles in Blut - Halls erster Fall (2011) - 978-3-8476-3400-3
Morgentod - Halls zweiter Fall (2012) - 978-3-8476-3727-1
Pyjamamord - Halls dritter Fall (2013) - 978-3-8476-3816-2
Die Schlangentrommel - Halls vierter Fall (2014) - 978-3-8476-1371-8
Leiche an Bord - Halls fünfter Fall (2015) – 978-3-7380-4434-8
Die Fälschung-Trilogie:
Fälschung (2007) - 978-3-8476-2037-2
Ströme meines Ozeans (2008) - 978-3-8476-2105-8
Zwischen meinen Inseln (2010) - 978-3-8476-2104-1
Historische Romane (Sonstiges)
Faro (2011) - 978-3-8476-2103-4
Die Marek-Quint-Trilogie (Krimireihe):
Tod und Schatten - Erster Fall (2016) - 978-3-7380-9059-8
Blut und Scherben - Zweiter Fall (2017) - 978-3-7427-3866-0
Kowalskis Mörder - Dritter Fall (2018) - 978-3-7427-3865-3
Drei Musketenkugeln schlugen über mir in das Holz einer alten Fichte ein. Rindenbrocken und Dreck prasselten auf mich nieder, Stücke gerieten mir in die Augen, machten mich blind und zu meinem Glück gefühllos. Nach der ersten Salve folgte sofort eine zweite, nein es wurde gleichzeitig geschossen, Schreie, ein wilder Angriff und das alles, während ich auf weichen Tannennadeln lag, die Arme schützend über den Kopf gelegt hatte. Ich konnte nicht tot sein, aber vielleicht tödlich getroffen. Sie hatten doch sechs, sieben, acht oder neun Musketen auf mich gerichtet, wie bei einem Erschießungskommando. Dagegen stand die einsame Kugel aus meiner Pistole. Hatte ich ebenfalls das Recht zu schießen, war mein Schicksal nicht besiegelt, durfte ich jemanden mit in den Tod nehmen, einen sinnlosen Tod, genauso sinnlos wie mein eigener?
Ich war nicht tot, aber vielleicht mussten die französischen Tirailleure nur nachladen, um ihr Werk zu vollenden. Hatte ich noch die Gelegenheit, mich zu ergeben? Ich blieb liegen, wartete auf mein Schicksal, wartete auf Gnade. Oder war ich doch längst tot, stammten meine Gedanken aus dem Jenseits? Was war das Jenseits? War das alles gerecht? Warum ist Napoléon Bonaparte von Elba geflohen? Um noch mehr Menschen in den Tod zu treiben? Es war doch schon längst alles besiegelt, alles für ihn verloren. Warum ließ eine höhere Macht so etwas zu?
Plötzlich wurde ich gepackt. Keine zweite Salve, keine Bajonette. Mir wurde unter die Arme gegriffen, aufgeholfen. Ich wurde angesprochen, zunächst in einem Deutsch, bei dessen Akzent ich nicht sofort alles verstand, dann englische Worte, aber nicht von einem Briten gesprochen. Der preußische Leutnant beugte sich über mich, gab mir erst zu trinken, dann wusch er mir die Augen aus, half mir schließlich auf die Beine.
»Schnell, schnell, Rückzug, Rückzug!« Der Offizier trieb seine Männer an.
Den Kanonendonner nahm ich erst jetzt wieder wahr. Die Artilleriepause hatte geendet. Das niederländische Dorf Ligny und die darin verschanzten preußischen Truppen sollten ausgelöscht werden. Die Kugeln flogen über uns hinweg. Ich wurde von zwei Infanteristen in die Mitte genommen, konnte dann aber alleine gehen, ja sogar rennen, denn das war notwendig. Es kamen weitere französische Tirailleure aus dem Wald, um ihre Kameraden zu rächen, feuerten wild hinter uns her, waren aber nicht sehr treffsicher, weil wir längst die Häuseransammlung erreicht hatten, die zwischen den französischen Linien und dem Dorf Ligny lag. Wir wandten uns sofort von den brennenden Gebäuden ab und gerieten somit aus der Schusslinie sowohl der Musketen als auch der Kanonen.
Wir hielten noch einmal an, ich durfte erneut trinken und nachdenken. Es waren kaum mehr als zwölf Stunden her, dass ich auf dem Ball der Herzogin von Richmond getanzt hatte. Aber das stimmte ja gar nicht. Ich hatte nicht einen Tanz übernommen, weil sich mein Kamerad Louis Berg und ich im Sog der Ereignisse befanden. Wer diese Zeilen liest, dem wird die Geschichte bekannt sein, in dem ein Ball, ein Vergnügen, ein Tanzabend am Rande einer großen Schlacht Erwähnung fand, weil sich dort die Ereignisse anbahnten. Und Louis und ich mittendrin, als Beobachter des Königreichs Schweden, nicht neutral, aber auch nicht aktiv kämpfend.
Über Louis Schicksal wusste ich zu dieser Stunde noch nichts. Er hatte sich dem Duke of Wellington angeschlossen und die britischen und niederländischen Truppen nach Quatre-Bras begleitet, während ich zu den Preußen reiten wollte, die eben in der Gegend um Ligny standen und einen Teil der französischen Armée du Nord vor sich hatten. Und so war ich zwischen die Linien geraten, und dann brach das Inferno über mich herein, ausgelöst durch die zweite Schlacht, die jetzt auch bei Quatre-Bras toben musste.
Der preußische Leutnant rief zum Aufbruch. Erst jetzt sah ich, dass einige meiner Retter verletzt waren. Es blieb nur Zeit für schmutzige Binden und Tücher um Kopf, Arm oder Bein. Und obwohl einige der preußischen Kameraden humpelten, nahm unser Rückzug wieder Fahrt auf. Die kräftigsten der Männer voran, um den anderen den Weg durch Hecken und halb niedergerissene Mauern zu bahnen. Jede Flucht, die wir passierten, gab Schutz vor den Kugeln unserer Verfolger. Es dauerte daher auch nicht lange und die Musketen hinter uns schwiegen. Ich sah zum Himmel, was ich niemandem empfehle, wenn sich dort Kanonengeschosse befinden, denen man ohnehin nicht mehr ausweichen kann. Wir hatten aber Glück, denn die französische Artillerie richtete ihr Feuer nach Nordosten, während wir fast genau Richtung Norden flohen.
Irgendwann wurde ich gewahr, dass weder Hecken noch schützende Gebäude vor unserem Weg lagen. Wir blieben eng zusammen, ich etwa in der Mitte der kleinen Kolonne. Ein Feld lag vor uns, mit hochstehendem Getreide, in das wir eindrangen. Ein paar Wochen später und wir hätten nach der Ernte keinerlei Sichtschutz gehabt. Die Männer gingen wieder auseinander, jeder suchte sich seinen Weg durch die kräftigen Halme. Scharfe Blätter schnitten mir in die Hände, aber ich ließ es geschehen, nur um weiterzukommen.
Die Hufschläge nahm der Infanterist links neben mir als erster wahr. Er blieb stehen und ich mit ihm und dann spürte auch ich es auf dem Boden, auf dem ich stand. Mit einem Zischen wurden die Halme umgelegt eine Lanzenspitze kam auf uns zu, wir sprangen zur Seite, der Hinterschenkel des Pferdes streifte mich leicht an der Schulter. Der französische Ulane zog vorbei, bremste den Galopp ab und wendete. Sein Ritt hatte eine Schneise durch das Getreide hinterlassen und auf diesem Weg erschien ein zweiter Franzose mit vorgestreckter Lanze. Ich hatte längst meinen Säbel gezogen, duckte mich und sah die Spitze der Waffe auf mich zukommen. Der Reiter war in seiner geradlinigen Bewegung gefangen. Ich jedoch sprang zur Seite und stach mit dem Säbel nach oben. Ich spürte einen Widerstand, aber im nächsten Moment war der Ulane schon einige Yards davongeritten. Sein Kamerad suchte bereits erneut ein Ziel, das ich ihm bot.
Der Kampfplatz um mich herum war jetzt gänzlich niedergetrampelt. Der Hufschlag dröhnte über den Boden. Reiter und Pferd kamen schnell auf mich zu. Dann tat ich etwas, das mich immer mit Bedauern erfüllt. Ich ging erneut zur Seite und in die Hocke, holte gleichzeitig mit dem Säbel aus und sichelte zwei Fuß breit über den Boden, während sich die Vorderläufe des Pferdes schnell näherten. Ein glatter Schnitt, das Tier stürzte, machte dabei keinen Laut, was der Überraschung geschuldet war. Der Ulane flog durch die Luft, landete in den noch intakten Getreideständen und wurde von meinen neuen Kameraden sofort mit Bajonetten attackiert. Hinter mir fielen Schüsse. Der zweite Ulane, trotz eines Säbelstichs, den ich ihm zugefügt hatte, bereits wieder im Anritt, wurde niedergestreckt, stürzte von dem fliehenden Pferd.
Die Preußen bildeten nun sofort ein Karree, reckten ihre Musketen in die Höhe, so dass die Bajonettspitzen deutlich über die Getreidehalme ragten. Dies zur Abschreckung weiterer Angreifer. Das Karree wurde eine kurze Zeit gehalten, bis der Leutnant zum Aufbruch rief, denn noch befand sich die Truppe auf der Flucht. Ich schloss mich an, nachdem ich meine Pistole geladen und dem französischen Pferd den Gnadenschuss gegeben hatte. Vorsichtshalber lud ich die Pistole erneut, steckte meinen Säbel zurück in die Scheide und eilte den Preußen hinterher.
Nach diesem Angriff wurde noch mehr Tempo gemacht. Wir mussten fürchten, dass weitere Kavallerie uns entdecken könnte oder den Kampf beobachtet hatte und nun auf Rache aus war. Ich musste aufpassen nicht zurückzubleiben, denn für eine kurze Zeit schien jeder auf sich selbst gestellt zu sein. Doch die Führung des Leutnants brachte wieder Disziplin. Wir glitten geordnet, rasch, aber vorsichtig durch das hohe Getreide. Dann ein Schatten vor uns. Das Feld endete, ein Wald begann unmittelbar. Das Vorwärtskommen war zunächst einfacher, schließlich aber wurde es anstrengender, über das Unterholz zu steigen und seinen Weg zu finden.
Die Truppe ging erneut auseinander, aber wie schon zuvor, rief der Leutnant seine Männer zusammen. Mir fehlte jegliches Gefühl für die Strecke, die wir zurückgelegt hatten. Als der Wald endete lag ein Acker vor uns, nur eine kurze Distanz bis zu den ersten Häusern. Ich blickte auf, als ich mich nicht mehr auf jeden Schritt konzentrieren musste, und sah die Mühle von Brye. Das Hauptquartier Feldmarschall Blüchers war nicht mehr weit. Wir hatten gut drei Meilen zurückgelegt, ein Gefühl für die Zeit hatte ich allerdings nicht. Ich sah zum Himmel und deutete den Stand der Sonne. Es war ein fast heißer Nachmittag an diesem 16. Juni 1815. Und hier und zu dieser Zeit drang der größte Schlachtenlärm von allen Seiten auf mich ein.
Das Dorf Brye quoll über von preußischer Infanterie und Kavallerie. Die Kanonen waren allerdings weiter östlich abgeprotzt und spuckten und feuerten in Richtung der französischen Linie, der ich soeben entkommen war. Es ging alles ganz schnell. Ich verlor meine Retter aus den Augen, konnte mich weder bei den Männern noch bei dem Leutnant bedanken, dessen Namen ich niemals erfahren sollte und den ich niemals im Leben wiedersah. Es kann gut sein, dass er und seine Männer am Ende doch noch zu den vielen Gefallenen zählten, die die Schlacht von Ligny an diesem Tag forderte.
Ich blieb nicht lange alleine. Ich weiß nicht, ob es Zufall war, aber ein Major sprach mich an, er erkannte meine schwedische Uniform und führte mich zu einem Gehöft etwas außerhalb Bryes, zu dem die bereits besagte Windmühle gehörte. Ich fand mich im Stab Feldmarschall Blüchers wieder. Der Alte, wie ihn seine Männer mit allem Respekt nannten, beobachtete die Schlacht von der Windmühle aus. Ich trat ans Fenster, blickte hinauf, konnte aber niemanden sehen, weil ich mich auf der rückwärtigen Seite befand. Es stand mir auch nicht zu, Blüchers Adjutanten August Ludwig von Nostitz, der mich im Dorf aufgelesen und zum Hauptquartier gebracht hatte, zu folgen, als dieser Order erhielt und sich verabschiedete. Ich bekam zu essen und zu trinken, mir wurde sogar eine Lagerstatt angeboten, aber ich war längst nicht müde, nicht zu einer Zeit, wo sich die Ereignisse der Schlacht überschlugen.
Ich schlürfte eine Suppe, nahm Brot, Käse und ein dickes Wurstende in die Hand und trat hinaus auf den Hof und wieder hinein in den Schlachtenlärm. Die Windmühle war keine fünfzig Yards entfernt, ich traute mich aber nicht hinzugehen. Ich wartete stattdessen, sah über dem Schlachtfeld Rauch und Feuer, hörte das Rattern der Musketen und gelegentlich das Pfeifen der Kanonenkugeln. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verging, aber plötzlich kam Bewegung in die Wachen, die vor dem Eingang zur Mühle standen. Offiziere strömten auf den Hof und da sah ich ihn, in der Mitte seines Stabes. Blücher wirkte energisch, ließ sich sein Pferd bringen und stieg auf. Sein Gefolge hatte Schwierigkeiten, Schritt zuhalten. Es wurde nach den Burschen geschriehen, weitere Pferde wurden herangebracht. Zunächst war der Aufbruch wie ein Tumult, dann herrschte plötzlich Ruhe, eine Ruhe in die sofort wieder der Schlachtenlärm drang.
Ich blickte zur Mühle, der Eingang war jetzt unbewacht. Ich hielt noch immer das Wurstende in der Hand, schmiss es zur Seite, ging hinüber trat durch die offene Tür und tauchte in einen staubigen Raum ein. Ich gewöhnte mich schnell an die Dunkelheit, fand die ausgetretenen Stiegen und machte mich auf den Weg hinauf. Es war recht anstrengend, da erst ganz oben eine schmale Plattform zu finden war, auf die ich ins Freie trat. Genau an dieser Stelle hatte Minuten zuvor noch Feldmarschall Blücher gestanden, der jetzt auf dem Weg war, selbst in das Kriegsgeschehen einzugreifen.
In späteren Jahren habe ich viel über den Verlauf der Schlacht gelesen, die an diesem Tag den Anfang vom Ende Napoléons einläutete. Es waren Berichte von Unbeteiligten, zumeist verklärt heroisch, aber auch Augenzeugenberichte, in denen ich mich ebenfalls nicht vollständig wiederfand, sofern ich an den genannten Orten selbst anwesend war und so ein Urteil hätte fällen können. Jeder sollte daraus lernen, dass das persönliche Empfinden eines Ereignisses oft nur wenig mit der sachlichen Realität zu tun hat. Aber was bedeutet diese sachliche Realität? Ist es ein Aufzählen der Gefallenen und der Verwundeten, der eroberten Kanonen und Furagen, des Gewinns an Terrain? Der Tod eines Soldaten mag noch etwas Endgültiges sein, weil dabei alles erstirbt, keine Erinnerung übrigbleibt. Ganz anders ist dies bei den Verwundeten und den Überlebenden. Hier kann jeder sein eigenes Empfinden herausschreien und je öfter er dies tut, je mehr entfernt sich sein Eindruck von der sachlichen Realität.
Bei meiner Schilderung soll dies berücksichtigt sein. Ganz sicher kann ich aber bestätigen, dass Napoléons Angriff auf Saint-Amand begann, als die Kanonen im etwa sechs Meilen entfernten Quatre-Bras zu sprechen begannen. Es waren also zwei Schlachten entbrannt, die Preußen von den Briten mit ihren niederländischen Verbündeten getrennt, womit Napoléon sein Ziel erreicht zu haben glaubte, beide feindlichen Armeen nacheinander bekämpfen und besiegen zu können.
Ich hatte in unmittelbarer Nähe Saint-Amands mein Pferd verloren, wurde beinahe von französischen Tirailleuren erschossen, wenn mich nicht ein Trupp preußischer Plänkler gerettet hätte. Sie brachten mich nach Brye, um dann nach Saint-Amand zurückzukehren. Dort entbrannten wenig später heftige Kämpfe, die ich jetzt hoch oben in meinem Ausguck auf der Windmühle von Brye beobachten konnte. Ich hatte längst mein Utzschneider-Fernrohr zur Hand genommen. Die Franzosen hatten die Preußen zum wiederholten Male aus dem Dorf gedrängt. Aber es war noch lange nicht vorbei, denn jetzt griffen die Preußen unter Führung Feldmarschall Blüchers an, eroberten die Stellungen zurück. Ich kann nicht sagen wie oft sich dieses hin- und herwogen wiederholt hatte. Ich sah aber nach jedem Sturm die Menge der Toten und Verwundeten, die zurückblieben.
Die Zeit verging. Ich blieb nicht allein auf meinem Posten, musste oft den Platz an preußische Offiziere abgeben, die so schnell gingen, wie sie gekommen waren, um dem Stab Blüchers oder dem Feldmarschall selbst die Lage aus erhöhter Position mitzuteilen. Am Ende des Nachmittags hielten die Preußen aber noch immer Saint-Amand. Dafür entbrannten etwas mehr als eine Meile östlich weitere Kämpfe. Das Dorf Ligny war ebenfalls längst zum Schlachtfeld geworden. Ich glaubte tatsächlich den Pulverrauch in meinem Mund zu schmecken. Es wurde Zeit, meinen Posten zu verlassen, nur wusste ich nicht, was ich unternehmen sollte. Ich war lediglich Beobachter, wäre aber gerne dichter an das Geschehen herangekommen. In dem Gehöft ließ ich mich noch einmal mit Tee und einem frühen Abendbrot bewirten, als Major von Nostitz auftauchte. Er ließ sich ebenfalls versorgen, trank und aß in großer Eile und als er wieder aufbrechen wollte, schloss ich mich ihm an.
Wir sprachen nichts ab. Ich bekam ein Pferd und ritt dem Tross von Offizieren, dem Major von Nostitz angehörte, hinterher. Und dann befand ich mich in unmittelbarer Nähe zu Feldmarschall Blücher, der übermütig und aufgedreht wirkte. Es hatte keinen Sinn ihn zurückzuhalten, man konnte nur verhindern, dass er sich in der ersten Angriffsreihe einordnete. Der Kavallerieansturm begann, stoppte, begann erneut, nahm Fahrt auf, traf auf den Feind. Saint-Armand wurde genommen. Und dennoch waren die Franzosen nicht bereit, vollständig zu weichen. Ich ritt den Angriff mit, auch wenn das nicht ganz richtig formuliert ist, denn ich war weit hinten, aber noch vor den Leuten die sich den Verwundeten annahmen. Ich hätte diese Pflicht der Menschlichkeit ebenfalls ausführen können, aber es drängte mich nach vorne.
Ich ignorierte die Verwundeten und erst recht die Toten. Keine fünfzig Yards von mir schlug eine Kanonenkugel ins Erdreich. Die Franzosen setzten wieder Artillerie ein, kleine Kaliber, die aber gegen Reiterei ebenso tödlich war. Es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch Kartätschen herüberflogen. Dies allein konnte nur ein Sieg der preußischen Kavallerie verhindern, ein Überrennen der Stellungen. Plötzlich fiel mir die Prachtuniform Blüchers auf, der tatsächlich mitten im Geschehen ritt und nur durch seine Adjutanten daran gehindert wurde, seine Waffen selbst gegen den Feind einzusetzen.
Französische Infanterie stoppte ganz vorne die preußische Kavallerie und dann erschien auch die Reiterei des Feindes. Es waren Kürassiere, deren Brustpanzerung im Licht des schwindenden Tages glänzte. Ich zügelte mein Pferd, denn mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mich schon zu sehr dem Kampfgeschehen angenähert hatte. Mein Auftrag, der noch immer galt, befahl mir, mich aus allen Gefahren herauszuhalten. Ich gehörte nicht zu der kämpfenden Truppe, ich gehörte nicht einmal zu einer der Konfliktparteien. Und es war genau dieser Begriff, den sowohl Överste Kungsholm als auch mein Kamerad Louis Berg verwendeten. Preußen, Briten und Niederländer standen Napoléon Bonaparte gegenüber, sollten das erneute Aufbegehren unterdrücken, den Frieden von Paris wieder einsetzen. Als Schwede war ich nur Beobachter und dabei hatte ich in der Schlacht bereits aktiv gekämpft. Dieser letzte Gedanke ließ mich meinen Ritt fortsetzen, auch wenn ich mich dem Angriff nicht anschloss.
Aus dem Sturm der Preußen wurde aber in den kommenden Minuten ein Rückzug. Die französischen Kürassiere schlugen wild um sich. Französische Infanteristen formierten sich zu Linien und gaben ihre Salven auf die Preußen ab. Wenigsten hatte der Artilleriebeschuss aufgehört, auch weil er auf dem Schlachtfeld Freund und Feind gleichermaßen treffen konnte. Der preußischen Kavallerie wurden die Rösser unter den Sätteln erschossen. Ich sah viele Pferde mit zwei und sogar drei Reitern auf mich zukommen. Aber die Männer wurden nur in Sicherheit gebracht, so dass ihre Kameraden sofort kehrtmachten und sich zum Gegenangriff formierten.
Dies war die Situation auf der linken Flanke, während im Zentrum Infanterie gegen Infanterie stand. Es war dennoch ein Rückzug, denn wer seine Muskete verschossen hatte, lief zwanzig, dreißig Yards zurück, lud nach und deckte die Kameraden. Am Ende aber floh die preußische Infanterie, gab das Feld erneut der Kavallerie frei. Ich befand mich unmittelbar hinter der Reiterei und glaubte, dass soeben Feldmarschall Blücher an mir vorbei galoppiert war. Es beeindruckte, wie dieser Mann alles voll mitging, es beeindruckte mich, musste seinen Stab aber mit großen Sorgen erfüllt haben.
Ich zog selbst an, verfiel in Galopp, um am Geschehen dranzubleiben. Tatsächlich, vorne sah ich den Feldmarschall, der dem Beschuss der Infanterie trotzte. Hinter der Linie formierten sich französische Kürassiere, die sich wieder gesammelt hatten, um den Gegenangriff zu führen. Plötzlich war Blücher nicht mehr zu sehen. Ich blickte hinter mich, in der Annahme, dass man ihn längst in Sicherheit gebracht hatte. Und da preschte auch schon Major von Nostitz an mir vorbei auf die Angreifer zu. Ich gab meinem Pferd die Sporen und folgte ihm. Ich konnte nicht erkennen, was er vorhatte. Den Säbel führte er nicht in der Hand und auch keine Feuerwaffe. Wir wichen Gefallenen und Verletzten aus, sprangen nacheinander über ein totes Schlachtross, bis der Major sein Pferd unvermittelt zügelte und aus dem Sattel sprang.
Ich blickte nach vorne. Französische Kavallerie schlug gerade unsere Richtung ein. Es würde zum Aufeinandertreffen kommen, bei dem wir chancenlos waren. Ich sah wieder zu Major von Nostitz, um ihn zu warnen. Er hatte seinen schweren Mantel abgenommen, breitete ihn über einen Mann aus, der unter seinem toten Pferd eingeklemmt war. Noch bevor das Tuch die Körper verdeckte, sah ich die Rangabzeichen und Orden. Feldmarschall Blücher lag dort und ich musste annehmen, dass er tot war. Der Major hatte sich schon hinter einem nahen Baum verschanzt, als er mich bemerkte und nach mir rief.
Ich hörte zwar seine Worte nicht, verstand aber, was er wollte. Mit einem Satz sprang ich aus dem Sattel, ließ mein Pferd laufen und hockte mich neben den Major. Der Baum mit seinem breiten Stamm verbarg uns für den Moment vor den heranstürmenden Franzosen. Sie überritten die Stelle, an der Feldmarschall Blücher lag und wie durch ein Wunder ging der Sturm vorbei. Major von Nostitz sprang sofort auf, eilte zu der Stelle und lüftete den Mantel. Ich war sogleich an seiner Seite und sah, dass der Feldmarschall noch lebte, stöhnte und bereits versuchte, sich unter seinem toten Pferd zu befreien. Ich packte mit an, stemmte mich gegen den schweren Hals des Rosses, so daß der Major den Oberkörper Blüchers hervorziehen konnte.
Jetzt sah ich mich wieder um, denn was nützte unsere Befreiung, wenn wir hinterher von Franzosen umzingelt waren. Der Gegenangriff hatte die Kürassiere aber zur rechten Flanke abdrehen lassen, so dass jetzt wieder die preußischen Verteidiger näher an uns heranrückten. Feldmarschall Blücher stand schon wieder auf den Beinen, musste aber von Major von Nostitz gestützt werden. Blücher wirkte blass, lächelte mir dann aber zu und in diesem Moment verstand ich, warum seine Männer ihn verehrten. Ich war ebenfalls für ein, zwei Sekunden gefangen.
Wir blieben nicht lange alleine, schon kam preußische Kavallerie heran, brachte uns Pferde. Blücher wurde in den Sattel gehoben, bekam links und rechts Begleitung und konnte so hinter die Linie in Sicherheit gebracht werden. Ich ritt zusammen mit Major von Nostitz hintendrein. Wir sprachen nicht, er nickte mir nur einmal zu, womit er mir seinen Dank zu verstehen gab. Von da an gehörte ich gut zwei Tage zum Tross Feldmarschall Blüchers, der die Führung des nun einsetzenden preußischen Rückzugs an Generalleutnant August Neidhardt von Gneisenau abgeben musste.
Blücher galt bei seinem Stab sogar über Stunden hinweg als vermisst, so dass erst spät in der Nacht wieder Verbindung mit Gneisenaus Adjutanten aufgenommen werden konnte, um den Verbleib des Feldmarschalls zu klären. Gneisenau behielt vorerst die Führung. Es war auch notwendig, weil sich Blücher von dem Sturz noch erholen musste. Dennoch konnten wir erst am nächsten Morgen einen Halt einlegen.
Ich blieb derweil im Hintergrund, wurde aber einmal zum Feldmarschall vorgelassen. Blücher hatte seine Prellungen und Abschürfungen inzwischen selbst behandelt, und zwar mit Schnaps zur inneren Heilung und mit Franzbranntwein zur äußeren Anwendung. Dies war sehr deutlich zu riechen, als er vor mich trat, mir die Hand reichte und mir in einem für mich merkwürdigen Deutsch dankte. Ich konnte ihm in seiner Sprache antworten und so kam es, dass ich ihm von meiner Herkunft erzählen musste, von dem schwedischen Vater und einer Mutter, die in Lübeck zur Welt kam. Dies schien ihn sehr zu interessieren, weil er selbst aus einer ehemaligen Hansestadt stammte und Rostock und Lübeck über die Ostsee doch recht eng verbunden seien.
Das Gespräch blieb kurz, da mir Blüchers Umfeld zu verstehen gab, dass der Feldmarschall Ruhe brauchte, um der fliehenden Armee später am Tag folgen zu können. Ich ging also wieder, ließ mich noch versorgen, erhielt sogar ein frisches Pferd und stand vor der Entscheidung, wohin mich mein Weg führen sollte. Zur Wahl stand die Rückkehr nach Brüssel, um die Ereignisse dort abzuwarten. Es wäre eine langweilige und wenig mutige Entscheidung gewesen, denn mich brannte es, zu erfahren, wie es Freund Louis in Quatre-Bras ergangen war, denn auch dort hatte es eine Schlacht gegeben.
Den Ausschlag für meine Entscheidung gab dann aber Major von Nostitz, der auch noch einmal das Gespräch mit mir suchte. Er hatte inzwischen einen Überblick und kannte auch Gneisenaus taktische Überlegungen. Die Schlacht bei Ligny war verloren, die Preußen aber nicht besiegt, was die Franzosen nachholen wollten. Anfangs gab es bei der Flucht noch eine ganze Armee von Verfolgern, aber der verantwortliche französische Befehlshaber hatte sich am Ende für die falsche Himmelsrichtung entschieden. Er wähnte die Preußen im Osten, doch Gneisenau ließ nach Norden marschieren und entfernte sich damit nicht unnötig von den Briten und Niederländern und hielt sich sogar die Option offen, noch bei Quatre-Bras eingreifen zu können. Und wenn ich dem Rückzug der Preußen folgte, der vielleicht sogar die Vorbereitung eines Angriffs war, konnte ich immer noch in der Nähe sein, wenn die Entscheidung für oder gegen Napoléon fiel.
*
Quatre-Bras und Waterloo. Diese Orte haben sich tief in die Geschichtsbücher eingeprägt. Ich kann nur schlecht erzählen, was ich nicht im eigenen Angesicht erlebt habe, obwohl ich mich rühme dabeigewesen zu sein, den Pulverrauch eingeatmet und das viele Blut geschmeckt zu haben, das in diesen Frühsommertagen vergossen wurde. Am 18. Juni 1815 brach ich gegen Mittag von einem Dorf namens Ottignies aus auf. Die Preußische Armee war längst weitergezogen, um am großen Treffen teilzunehmen. Napoléon bedrängte Wellington, doch da kam ihm Blücher zu Hilfe. Aber es war nicht Blücher selbst, denn der Alte ließ sich noch immer von Gneisenau vertreten. Ich hatte ein neues Pferd, geladene Pistolen und den Säbel am Sattel hängen, als ich in Richtung des Kanonendonners ritt, der aus dem Dorf Wavre kommen musste und zunächst nur schwach in der Luft hing. Ich holte mehrere preußische Infanteriekolonnen ein, die als Reserve langsamer an die Schlacht herangeführt wurden. Ich trabte über Felder, die der Regen des Vormittags weniger durchweicht hinterlassen hatte. Eine Karte und der Kompass halfen mir, mich auf dem flachen, jedoch hochbewachsenen Gelände zurechtzufinden.
Ich passierte einige unversehrte, aber menschenleere Dörfer. An einer kleinen Erhebung fand ich eine verlassene französische Batterie von fünf Kanonen. Den Kanonieren musste die Flucht geglückt sein. Ich fand nur noch eine verlorene Mütze und einen einzelnen Stiefel. Es roch verbrannt und nach feuchtem Pulver. Die Munition der Kanonen fehlte und so war anzunehmen, dass vor der Flucht die Kugeln ausgegangen waren. Ich konnte annehmen, dass sich die Kanoniere auf ein Fuhrwerk gerettet hatten, denn eine tiefe Radspur führte den Hügel hinunter.
Ich übersah, dass das Fuhrwerk nicht von einem Gespann gezogen worden war, sich aber mehrere Paar Stiefel durch den schweren Boden gequält haben mussten. Ich sollte schnell begreifen, dass es kein Fuhrwerk war, sondern ein Geschütz, das von seiner Mannschaft nur wenige hundert Yards zu einer Senke geschleppt worden war. Ich übersah auch die Senke rechts meines Weges und die Truppen, die sich links von mir am Horizont abzeichneten. Ich erreichte gerade einen baumbestandenen Weiher in der Nähe eines Hofes, an dem sich nichts rührte, keine Ente, kein anderes Federvieh, das sich sonst dort tummeln musste.
Ich hielt inne, um den fernen Schlachtenlärm besser hören zu können, der meinen Weg leiten sollte, als ein Donner mich zusammenzucken ließ. Ich blickte sofort zur Seite, sah Pulverrauch aufsteigen und hörte das tödliche Pfeifen. Zehn, zwölf Yards von mir entfernt schlug eine kleinkalibrige Kanonenkugel in einen der Bäume am Weiher ein. Das nasse Holz hielt den Stamm zusammen und ersparte mir einen Regen aus scharfkantigen Splittern. Lediglich ein Stück Rinde prallte gegen den Schaft meines Stiefels und hinterließ einen Rußstreifen. Ich sprang vom Pferd, zog das Tier in Richtung Gehöft. Hier würden wir keinen Schutz finden, wenn das Gebäude zum Ziel wurde. Ich überlegte fieberhaft, als tatsächlich der nächste Schuss abgegeben wurde. Die Kugel flog deutlich zu weit, über das Haus hinweg und hundert oder sogar zweihundert Yards in das freie Feld.
Erst jetzt sah ich den Aufmarsch, konnte aber noch nicht die Nationalität der Soldaten erkennen. Es war vor allem Infanterie flankiert von einer geringen Anzahl Kavallerie. Der Tross kam langsam zum Stehen, bremste den offensichtlich strammen Marsch ab. Die Kanone sprach wieder und es dauerte lange, bis die Kugel erneut ins Feld einschlug, ohne dem Gegner merklich näher gekommen zu sein. Ich verharrte immer noch hinter der Mauer, war aber endlich dazu gezwungen zu handeln. Zunächst nahm ich mein Utzschneider zur Hand, um mir die Identität der Parteien zu bestätigen.
Ich hatte es mir schon gedacht, der Angriff mit der Kanone galt einem preußischen Bataillon. Jetzt löste sich die Kavallerie, es waren weniger als fünfzig Reiter, die schnell auseinander preschten, große Lücken zwischen sich ließen, um der Kanone keinen lohnenden Angriffspunkt zu geben. Da ich jetzt nicht mehr das Ziel sein konnte, schlich ich mich zur Häuserkante und spähte hinüber zur Senke. Dort tauchte plötzlich ebenfalls Kavallerie auf, französische Ulanen mit ihren ausgerichteten Lanzen, dahinter eine Schar Dragoner. Im nächsten Moment war auch ich wieder in Gefahr. Ich konnte mich zu den Preußen schlagen, doch bis dahin hatte man mich längst eingeholt. Ich bestieg dennoch mein Pferd, hielt die Zügel mit den Zähnen und spannte mit der Linken und Rechten die Hähne meiner geladenen Pistolen. Mit dem Druck meiner Schenkel ließ ich das Pferd nach hinten tänzeln, bis wir fast das andere Ende des Gebäudes erreicht hatten.
Der Sturm ging nicht an mir vorbei. Ich war gezwungen zu feuern. Ein Gegner fiel vom Pferd, der andere blieb mit einem Streifschuss am Arm im Sattel. Er hatte sofort seine eigene Pistole zur Hand. Ich duckte mich instinktiv zur Seite, beugte mich tief hinter den Hals meines Pferdes, als der Schuss krachte und keinerlei Wirkung zeigte. Ich hatte meinen Säbel gezogen, als ich auch schon neben dem Dragoner war. Ein heftiger Tritt mit den Sporen und mein Ross drängte das andere Pferd zur Seite. Die lange Zeit als Meldereiter hatte mich diese Manöver gelehrt. Der Feind gab seine Flanke frei. Mein erster Säbelhieb trennte ihm die Pistolenhand ab. Ich drehte mich im Sattel und schlug auf der anderen Seite zu. Ich schlitzte ihm den Rücken auf, so dass er sich im Todeskrampf nach vorne über den Hals seines Pferdes warf und von dort zu Boden rutschte.
Ich war noch außer Atem, als ich von unten angegriffen wurde. Der zweite Dragoner wollte mich mit einem schweren Kavalleriesäbel attackieren. Ich hatte ihm mit meiner Kugel eine böse Schramme über der Stirn zugefügt. Blut lief in sein linkes Auge. Er holte aus, musste aber blinzeln und taumelte kurz. Ich kannte keine Gnade, nutzte diese Chance und durchbohrte seine Brust mit meiner Säbelspitze. Jetzt war es höchste Zeit, mich zurückzuziehen. Ich hatte wenig Lust, mich in die entbrannte Kavallerieschlacht zwischen den Preußen und Franzosen zu werfen. Die preußische Infanterie drängte bereits heran.
Ich lud meine Pistolen nach, wendete dann mein Pferd, ritt um das Gehöft herum, am Weiher vorbei und direkt auf die Senke zu. Ich wechselte mehrmals die Richtung, ohne mein Ziel aus den Augen zu lassen. Diesen Manövern konnte die Kanone unmöglich folgen. Die eine Pistole steckte im Gürtel, die andere hielt ich in der Rechten und so preschte ich nach einer weiteren Wende seitlich in die Senke hinein. Ich überraschte die sechs Kanoniere. Einen streckte ich mit dem ersten Pistolenschuss nieder, ein Zweiter wollte mich mit seinem langen Ladestock vom Pferd holten. Ich ritt ihn nieder, hatte sofort mein Säbel zur Hand und schlug damit auf den Rest der Mannschaft ein. Sie konnten meinen Hieben ausweichen, ergriffen dennoch die Flucht, als ich erneut auf sie zupreschte.
Die französischen Artilleristen waren vertrieben, die feindliche Kanone erobert. Ich hieb auf die großen Räder ein, zerstörte damit die Lafette, so dass das Geschütz so schnell nicht wieder zum Einsatz kommen konnte. Jetzt musste ich mich wieder dem Scharmützel auf dem Feld hinter dem Gehöft zuwenden. Hier gab es eine Entscheidung. Die preußische Infanterie hatte Karrees gebildet, wehrte die französischen Dragoner ab, während die preußische Reiterei die Ulanen verfolgte, die als erste die Flucht ergriffen hatten. Siegesgeschrei beendete die kleine Schlacht, als die nicht geflüchteten Franzosen die Waffen streckten.
Es war nur ein kleiner Sieg, aber ich erfuhr später, dass es zum Ende des Tages viele dieser kleinen Siege gab. Und damit hatten Blücher und Gneisenau und Bülow und wie auch immer die Befehls- und Unterbefehlshaber der Preußen hießen, die Briten und Niederländer gerettet und verhindert, dass Napoléon Bonaparte an diesem geschichtsträchtigen Tag den entscheidenden Schlag ausführen konnte.
Es ist heute längst belegt, dass es nicht ein einzelnes Ereignis war, sondern die Summe aus Missverständnissen, Fehlentscheidungen, Wetterbedingungen und Glück oder eben Pech, die zur Niederlage in der letzten Schlacht des französischen Kaisers führte. Zwei Tage zuvor konnte Napoléon noch seinen letzten Sieg verbuchen, der allerdings immer und ewig einen Makel besitzen würde, denn dieser Sieg führte nicht zur Vernichtung der Preußen, sondern zur entscheidenden Stärkung der Koalition. Und hätte Napoléon doch gesiegt, so hätte es nur eine Verzögerung seines Untergangs bedeutet, denn Russland und Österreich rückten bereits heran und wären die nächsten schweren Gegner gewesen.
Abschließend stelle ich hier fest, dass ich die Schlacht bei Waterloo nicht erlebt habe. Ich traf erst am Abend des 18. Juni an einem Gasthaus mit dem Namen Belle-Alliance ein. Ich habe nicht gesehen, dass hier Historisches geschah, obwohl dies in späteren Berichten oft behauptet wurde. Belle-Alliance war für mich die Ansammlung toter und verwundeter Soldaten, war ein Teil des Schlachtfeldes von Waterloo. Ich für meinen Teil hätte dem Dorf Wavre ein Denkmal gesetzt, denn dort leisteten die Preußen einen guten Dienst, banden mehrere zehntausend französische Soldaten, die Napoléon in Waterloo bitter nötig gehabt hätte. Ich hielt es daher in Belle-Alliance nicht lange aus. In Wavre wurde weiterhin gekämpft und so schlug ich noch in der Nacht den Weg nach Brüssel ein. Ich fragte mich damals tatsächlich, ob der Ball der Herzogin von Richmond noch andauerte und ob ich dort Freund Louis Berg wiedersehen würde.
Ich blickte hinauf zu den Masten. Die britischen Matrosen rafften mit sicherer Routine die Segel am großen Baum. Im nächsten Moment wimmelte die Takelage von Männern und dann war das Manöver auch schon ausgeführt. Mit einer spürbaren Verzögerung neigte sich die HMS Myrmidon leicht nach Steuerbord, als das Ruder ein oder zwei Strich nach Backbord gesetzt wurde. Ich war gerne Beobachter des maritimen Treibens, konnte mich auf dem Schiff frei bewegen und traf Captain Gambier oft auf dem Achterdeck, wo wir uns unterhielten und nicht nur seemännische Diskussionen führten. Während sich Captain Gambier rühmen konnte, bereits auf anderen Schiffen seiner Majestät bei Abukir und später bei Trafalgar gegen Frankreich in die Seeschlachten gezogen zu sein, war die HMS Myrmidon noch ein recht neues Kriegsschiff, ohne nennenswerte Einsätze.
Dies fand ich aus Sicht eines Schiffbauers eher interessant. Wenn ich alleine auf der Brigg unterwegs war, berührte ich gerne das noch frische Holz der geschwungenen Reling oder verglich unter Deck die Konstruktion und die Aufteilungen mit denen jener Schiffe, die auf der Werft meines Vaters in Lomma gebaut wurden. Captain Gambier versicherte allerdings, dass die Myrmidon ein schlechter Segler sei. Das Ruder reagiere eher träge und auch die Wendigkeit hatte unter der Entscheidung gelitten, ein knapp hundertzwanzig Fuß langes Schiff mit recht schweren 32-Pfund-Karronaden auszurüsten, von denen achtzehn Stück über Deck verteilt waren. Weniger ist mehr, sagte ich mir, wenn man die Schlagkraft nicht einsetzen konnte, weil einem der Feind davonsegelte. Was mir allerdings an der Ausrüstung gefiel waren die beiden 9-Pfund-Jagdkanonen im Heck, mit denen sich der Captain die Kajüte teilte.
Aber ich schweife ab, denn ich muss noch erklären, dass seit den Schlachten vor den Toren Brüssels fast vier Wochen vergangen waren. Und so bin ich noch schuldig, zu erzählen, was ich seither erlebt hatte. Bei meiner Rückkehr nach Brüssel in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni 1815 war von dem großen Sieg über Napoléon Bonaparte noch nichts zu spüren. Die Stadt war weiterhin mit Militär überfüllt, allerdings waren es jetzt zurückkehrende Kolonnen von Infanteristen und Fuhrwagen von Verwundeten, die zu ihren Wachfeuern und Zelten strebten oder in die Lazarette und zu den Verbandsplätzen gekarrt wurden. Die Euphorie sollte sich erst einige Tage später einstellen.
Ich fand meine Unterkunft leer vor, obwohl ich so gehofft hatte, Freund Louis in die Arme schließen zu können. Ich wusch mich notdürftig mit kaltem Wasser und legte mich recht hungrig schlafen. Am nächsten Morgen weckte mich Tumult. Ich kleidete mich schnell an. Zum Glück hatte ich eine zweite Uniform im Zimmer deponiert, denn der Rock, den ich während meines Abenteuers getragen hatte, war ohne eine gründliche Reinigung und ohne Flickarbeit nicht mehr zu gebrauchen. Dies war mir aber auch erst aufgefallen, als ich am Abend die Kleider abgelegt hatte.
Unten im Haus traf ich den Wirt, der mir sofort die Neuigkeiten mitteilen wollte, die Brüssel in den letzten Stunden erreicht hatten. Ich ließ mir berichten, aber erfuhr zumeist nur Unbedeutendes, um festzustellen, dass die Lage und der Ausgang der Schlacht keineswegs bekannt waren. Nur eines schien sicher, keine der Parteien hatte Napoléon Bonaparte gefangengenommen, aber angeblich wurde auf dem Brüsseler Marktplatz ein Planwagen mit den persönlichen Habseligkeiten des Kaisers ausgestellt. Kleidung, die Napoléon getragen haben soll und die jetzt zu ersteigern war. Mir schien dies eher unwahrscheinlich, da längst Offiziere dem Treiben Einhalt geboten hätten.
Ich konnte meinem Wirt gerade noch die verschmutzte und zerrissene Uniform übergeben, mit dem Auftrag der Reinigung und Instandsetzung, als mich der Tumult, den ich schon auf meinem Zimmer gehört hatte, vors Haus trieb. Ich eilte aus der Gasse zu einem Platz, auf dem gerade mehrere Fuhren Heu abgeladen wurden. Eine preußische Kavallerieeinheit hatte den Ort eingenommen, die Pferde wurden mit Wasser und Heu versorgt, die Reiter erhielten Speisen und Wein von den Anwohnern, die ebenso zahlreich erschienen waren. Ich ging umher, sah mir Männer und Tiere an. Es war eindeutig, dass die Kavallerie aus der Schlacht kam. Ein junger Leutnant versorgte gerade die Wunde am Hinterlauf seines Pferdes, als ich dazu trat. Der Mann richtete sich sofort auf und salutierte vor meiner Majorsuniform.
»Nein, nein, machen Sie weiter«, sagte ich schnell, »das Tier geht vor. Kann ich Ihnen helfen, benötigen Sie Verbandsmaterial?«
Der Leutnant schüttelte den Kopf und zeigte mir, dass er ausreichend mit Leinen und Charpie versorgt war. »Danke, es wird schon gehen, nur ein Kratzer, er hat es schnell vergessen, wenn wir erst die Franzosen nach Paris hineinjagen.«
»Wo haben Sie gekämpft?«, fragte ich.
»Bei Wavre und dort ist es noch nicht zu Ende, aber ich glaube, wenn wir zurückgeschickt werden, brauchen wir nur noch aufzuräumen und dann geht es nach Paris.« Er stockte. »Vor zwei Tagen haben wir noch ordentlich Haue gekriegt, das zahlen wir jetzt zurück.«
»Ich war dort, ich habe es gesehen. Am Ende zählt nur die Summe und nicht ein einzelner Erfolg.«
Der Leutnant sah mich ungläubig an, aber ich gab ihm keine weiteren Erklärungen, auch weil ein Trompetensignal ihn und seine Kameraden zum Aufbruch rief. Reste von Heu, leere und zerbrochene Flaschen und einige Brüsseler Bürger blieben auf dem Platz zurück. Im Verlaufe des Tages sollten weitere Einheiten durch die Stadt kommen, Briten, Niederländer und Preußen. Ich aber setzte meinen Weg fort, durchquerte einen Park und stand vor jenem Stadtpalais, in dem drei Tage zuvor die Geschichte ihren Lauf nahm. Tatsächlich waren einige Bedienstete noch mit Aufräumarbeiten betraut.
Ich ging einfach ins Haus und in den Saal, der sich doch sehr verändert hatte. Die Girlanden und Vorhänge waren abgenommen, die Tische und Stühle standen auf der Tanzfläche, gestapelt und abholbereit. Einige Handwerker bauten eine Trennwand wieder ein, die aus dem Saal zwei oder drei separate Räume machen sollten. Allein das kleine Sofa, auf dem der Duke of Wellington gesessen hatte, während ihm einer seiner Stabsoffizieren Berichte von den Vorgängen an der Kreuzung Quatre-Bras übermittelte, stand noch an seinem Platz neben einem schmalen, hohen Fenster. Ich setzte mich hinein, schloss kurz die Augen, wurde dann aber angesprochen und höflich gebeten, mir eine andere Sitzgelegenheit zu suchen, da man das Möbel gerade abräumen wolle. Und so wurde der gesamte Saal geleert und später wieder zu den Empfangs- und Gesellschaftsräumen gemacht, die sie vor der Nacht vom 15. auf den 16. Juni waren.
Ich suchte mir keinen neuen Platz, verließ das Palais wieder und ging rechts in die Rue de la Blanchisserie, deren Namen mir in Erinnerung blieb, weil sich in der Mitte der Straße eine Schule für mathematisch-naturwissenschaftliche Studien befand, deren Schaufensterauslage ein wunderschönes Teleskop auf einer Dreibeinlafette zierte. Ich musste einen Moment lang an Philippe denken, der sich auf Elba ein Observatorium gewünscht hatte. Ich fragte mich auch, was aus Bellevie und dem Professor geworden war. Entweder waren sie wieder in Paris oder sie warteten darauf, dass man Napoléon zurück nach Elba brachte.
In meine Gedanken versunken hörte ich erst den zweiten Ruf meines Freundes Louis, der ebenfalls in frischer, aber niederländischer Uniform auf mich zu ging. Er war in Begleitung von zwei britischen Offizieren und bevor ich überhaupt begriff, wurde ich ihnen vorgestellt und wir feierten ein Wiedersehen.
»Hast du die Seiten gewechselt?«, fragte ich übermütig und deutete auf Louis’ Rock.
Er schüttelte den Kopf. »Nur eine freundliche Leihgabe. Mein eigenes Tuch war schon sehr zerschunden, und das nach zwei Tagen. Der segensreiche Regen, der ebenso segensreiche Schlamm und zwei durchwachte Nächte.«
Ich verstand, was Louis mit segensreich meinte. Regen und Schlamm, das schlechte Wetter insbesondere, hatten Napoléon zögern lassen, so dass es den Preußen gelungen war, noch rechtzeitig dem Duke of Wellington zu Hilfe zu kommen. Diese umfassende Einschätzung hatten wir so kurz nach der Schlacht zwar noch nicht, aber wer die Schlachtfelder gesehen hatte, ahnte bereits, dass Napoléons Niederlage am Ende auch dem Wetter geschuldet war.
»Aber du bist anscheinend schadlos über die letzten Tage gekommen«, stellte Louis fest, als er mich nun genauer musterte. »Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass du den Ermahnungen des Överstes gefolgt bist und wirklich nur als reiner Beobachter unterwegs warst.«
Louis sprach von Överste Kungsholm, der uns genau instruiert hatte, bevor es für uns nach Brüssel ging. Keinesfalls sollten wir in die Kampfhandlungen zwischen Briten, Preußen und Franzosen eingreifen. Ich erzählte also, dass ich im Grunde genommen gegen den Befehl verstoßen hatte, berichtete von meinen Erlebnissen.
»Dann hat es Wellington Ihnen zu verdanken, dass Blücher noch lebt und rechtzeitig auf dem Schlachtfeld erschienen ist«, behauptete einer der beiden Briten und klopfte mir auf die Schulter.
Ich schüttelte den Kopf. »Als wir Blücher unter seinem Pferd hervorholten, war die Gefahr längst vorüber. Sein Adjutant hat ihn gerettet, weil er ihm den Mantel übergeworfen hat, wodurch die durchreitenden Franzosen Blüchers Orden nicht erkannt und ihm keine Beachtung geschenkt haben.«
»Nicht so bescheiden, mein Freund.«
Wieder wurde mir auf die Schulter geklopft und es war dann auch der Abschied von den beiden britischen Kameraden. Louis und ich gingen zurück zu unserer Unterkunft. Louis entledigte sich der niederländischen Uniform, ließ sie von einem der Zimmermädchen ausbürsten, lüften und ordentlich einpacken, um sie später zu der Adresse in Brüssel zu schicken, die man ihm aufgegeben hatte.
In den nächsten Stunden ließ ich Louis ausschlafen und erkundete alleine die Stadt und hörte mich nach den neusten Nachrichten um. Blücher und Wellington sollten sich kurz getroffen haben, die Briten und Niederländer hatten das Schlachtfeld gesichert, während die Preußen hinter den Franzosen herjagten. Den Fehler, den Napoléon begangen hatte, wollte Gneisenau nicht wiederholen. Die Franzosen sollten bis nach Paris keine ruhige Minute mehr haben, sich nicht mehr erheben können.
Erst viel später erfuhren wir, dass der Feldzug noch beinahe zwei Wochen andauerte, dass noch über zwei Wochen hinweg immer wieder Menschen für eine an sich entschiedene Sache starben. Es gab Gefechte in Namur, eine Woche später in Compiegne. Bei Villers-Cotterets, Nanteuil und Sevres wurden die Franzosen weiter abgedrängt. Die endgültige Entscheidung kam aber am 3. Juli des Jahres 1815 durch den Sieg bei Issy. Danach räumte das französische Heer Paris und zog sich gemäß einer Vereinbarung mit den Alliierten über die Loire zurück.
In diesen Tagen blieben Louis und ich zunächst noch in Brüssel und gaben täglich mehrmals Depeschen an Överste Kungsholm heraus. Erst am 27. Juni brachen wir unsere Zelte ab und reisten nach Antwerpen, um von dort eine Schiffspassage nach Lübeck zu erhalten. Wir mussten Geduld haben, saßen am 9. Juli immer noch in Antwerpen fest, waren aber weiterhin fleißig am Schreiben, um die Neuigkeiten über den Landweg nach Schweden und zu unserem Vorgesetzten zu schicken.
Dennoch blieb uns viel Zeit, die wir tagsüber zumeist am Hafen verbrachten. Abends fanden wir uns aber immer in unserer Unterkunft wieder und schauten in der Wirtsstube nach neuen Gästen. Am Nachmittag waren fünf niederländische Offiziere angekommen, dessen Anführer, Ritmeester Vincent Dijk de Groot, uns an seinen Tisch einlud. Wir tranken auf den Sieg bei Waterloo, tauschten unsere Kriegserlebnisse aus und erfuhren, dass die Niederländer geradewegs aus Paris kamen. Ritmeester de Groot hatte tatsächlich Neuigkeiten von Napoléon Bonaparte.
»Ich bin ihm natürlich nicht persönlich begegnet«, erzählte der Ritmeester. »So schnell waren wir dann doch nicht in Paris. Der Korse ist ja wie der Teufel geflüchtet, aber seine Hauptstadt soll ihn nicht sehr freundlich empfangen haben. Abdanken sollte er, auf die Armee konnte er nicht mehr zählen. Und dann hat er erneut seinen Sohn vorgeschoben, als Nachfolger, wie damals, als er das erste Mal abgedankt hat, aber man ließ es ihm wieder nicht durchgehen. Das französische Parlament hat sich selbstverständlich zurückgehalten. Sie waren schließlich erneut besiegt und wir hatten das Sagen, auch wenn es noch etwas gedauert hat, bis wir auf der Bildfläche erschienen sind.«
»Wann sind Sie in Paris eingetroffen?«, fragte Louis.
»Gleich am Dritten. Zwei Tage sind wir geblieben, dann noch einmal zwei Tage in Versailles und dann zurück, hierher nach Antwerpen, weil ich das Schiff bekommen muss, das mich dort hinbringen soll, wo der Korse sich aufhält.« Der Ritmeester erhob plötzlich sein Glas. »Ich trinke auf das Wohl meines Herrn Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau, König der Niederlande, der mir höchstpersönlich diesen Auftrag erteilt hat, nachdem ich ihm den schlanken Billy wieder recht gesund nach Hause gebracht habe.«
Natürlich stimmten Louis und ich in den Trinkspruch ein. Die Niederlande hatten nach Napoléons erster Abdankung eine Gebietserweiterung erfahren, weil Österreich seine Ansprüche auf Teile des Landes aufgab. Dies geschah vor allem, um mit dem neuen Staat ein Gegengewicht zu künftigen französischen Expansionsversuchen zu schaffen. Der schlanke Billy war niemand anderes, als der niederländische Kronprinz, der bei Quatre-Bras gekämpft hatte und verwundet wurde.
»Ich verstehe nicht«, sagte ich schließlich. »Napoléon wird nach Antwerpen gebracht?«
»Nein, nein.« Der Ritmeester schüttelte den Kopf. »Er kommt doch nicht hierher. Zunächst ist er auf sein Schloss geflüchtet, Malmaison, Schloss Malmaison, ja, so heißt es doch, aber da ist er schon wieder weg.« Der Ritmeester stutzte. »Ist vielleicht schon kein Geheimnis mehr, aber er ist mit seinem Tross weiter nach Süden an die Küste. Dort wartet er jetzt, hofft auf ein Arrangement mit der britischen Krone.«
»Das klingt ja wie eine Verschwörung«, warf Louis ein. »Die Briten können nicht ohne die Preußen, die Russen und die Österreicher ein Arrangement mit dem gemeinsamen Feind treffen. Und vielleicht hat auch noch Schweden ein Wort mitzureden oder eben die Niederlande.«
»Mag sein, mag sein, Meneer Majoor, aber die Sache ist doch noch gar nicht entschieden. Es sind doch nur Gerüchte, dass der Korse den Duc de Rovigo und den Comte de Las Cases vorgeschickt hat. Jedenfalls wissen die Briten wo der Korse jetzt steckt und das Schiff, auf das ich warte, soll ebenfalls dorthin segeln.«
»Und auf welches Schiff warten Sie?«, fragte ich schnell.
Der Ritmeester grinste, holte einen kleinen Zettel aus seiner Rocktasche und las vor. »His Majesty's Ship Myrmidon.«
*
Das trinkseelige Gespräch mit Ritmeester Vincent Dijk de Groot und seinen Kameraden lag sechs Tage zurück und seit fünf Tagen war ich nun schon an Bord der HMS Myrmidon, und zwar zusammen mit Ritmeester de Groot, aber ohne meinen Freund Louis. Er gehorchte den Befehlen von Överste Kungsholm oder glaubte zumindest, es sei der Wunsch unseres Vorgesetzten, dass wir nach Lübeck zurückkehrten. Und so nahmen wir an ein und demselben Tag jeder ein Schiff. Louis nach Norden und ich nach Süden. Ich erfuhr erst an Bord, dass die französische Hafenstadt Rochefort unser Ziel war. Aber wie war es mir überhaupt gelungen, Ritmeester Vincent Dijk de Groot zu überzeugen, mich auf diese durchaus geheime Mission als seinen offiziellen Begleiter mitzunehmen?
Zunächst musste ich Captain Robert Gambier kennenlernen und ihn auf mich aufmerksam machen. Nachdem die Myrmidon am nächsten Morgen in den Hafen von Antwerpen eingelaufen war, fand zwischen Ritmeester de Groot und dem Captain ein Treffen statt, um alles für die Überfahrt zu besprechen. Sie hatten sich in unserem Gasthaus verabredet, was vom Ritmeester so arrangiert worden war und mir natürlich sehr entgegenkam. Ich drängte mich dann regelrecht auf, stolzierte in voller Uniform auf den Tisch zu, an dem die beiden saßen, ohne dass mich Freund Louis zurückhalten konnte.
Auf diese Weise konnte mich der Niederländer dem Briten vorstellen. Ich versäumte es nicht, gleich zu Beginn die Waffenbrüderschaft zwischen Schweden und England zu betonen. Spontan fiel mir die Congreve’sche Rakete ein und da wurde Captain Gambier aufmerksam. Natürlich legte danach auch Ritmeester de Groot ein gutes Wort für mich ein und versäumte es nicht, die Geschichte von Blücher und mir zu erzählen, die dann wohl ausschlaggebend war. Captain Gambier entschied daraufhin, dass es seine Pflicht sei, auch einen Vertreter der schwedischen Krone an Bord zu nehmen.
Und so schrieben wir den 14. Juli 1815. Die HMS Myrmidon war in den vergangenen fünf Tagen dank eines stetigen Windes recht gut vorangekommen. Wir hatten den Kanal in weniger als drei Tagen durchquert und waren weiter die französische Küste entlanggesegelt. Zur Mittagszeit umschifften wir die bretonische Halbinsel und schlugen Kurs Südsüdost ein. Das Backen und Banken wurde eingeläutet und nicht nur Teile der Mannschaft gingen zum Essenfassen, sondern auch Captain Gambier hatte zu Tisch in seine Kabine eingeladen. Neben dem Ritmeester und mir waren diesmal noch zwei weitere Offiziere sowie ein sehr junger Kadett anwesend.
Die Suppe wurde gerade aufgetragen, als mich Captain Gambier aufforderte, eine Geschichte zu wiederholen, mit der ich die Tischgesellschaft in den vergangenen Tagen unterhalten hatte.
»Ihren Kampf mit dem Bären müssen Sie unbedingt unserem jungen Freund erzählen, Mister Hanson.« Der Captain grinste den jungen Kadetten an. »Er hat nämlich etwas Angst vor großen Hunden, da wird es für ihn hilfreich sein, wenn er erfährt, wie man einen Bären von Angesicht zu Angesicht niederstreckt.«
Ich legte meinen Löffel auf den Tisch neben meinen noch vollen Teller und schüttelte den Kopf. »Die einzige Lehre, die man aus dem Vorfall ziehen kann, ist es, künftig die Beine in die Hände zu nehmen und vor so einem Untier zu flüchten.«
»Aber das haben Sie nicht getan, Sir?«, stellte der Junge fest und sah mich erwartungsvoll an.
»In der Tat, ich hatte gar nicht die Gelegenheit zur Flucht, ich musste kämpfen, um mein Leben kämpfen. Ich hatte sehr großes Glück und kann daher auch kein Patentrezept für einen Kampf gegen einen ausgewachsenen Bären geben.«
Dann erzählte ich alle Einzelheiten, wie der hungrige und verletzte Bär mich und mein Pferd angegriffen hatte und wie mein armes Reittier grausam zu Tode kam und wie es schließlich endete.
»Dann war es ein Glücktreffer«, verkündete der junge Kadett.
»Ich bitte Sie, ein gestandener und kampferprobter Soldat benötigt doch kein Glück«, rügte Captain Gambier seinen Untergebenen.
»Doch, doch, es war Glück, sehr großes Glück. Und so kampferprobt war ich zu dieser Zeit noch nicht. Ich hatte kaum ein Vierteljahr in der Armee hinter mir und der Bär war der erste Feind, auf den ich gestoßen bin, wenn diese arme Kreatur überhaupt mein Feind war.«
»Ein ehrenvolles Wort, darauf ein Toast«, rief der Captain.
Wir stießen an, widmeten uns der Suppe, bevor diese kalt zu werden drohte und setzten das Mahl dann mit Nierchen und Pudding fort. Der Ritmeester erzählte währenddessen Anekdoten vom Schlanken Billy, blieb dabei aber immer respektvoll seinem künftigen König gegenüber. Die Runde wurde gegen Ende durch ein Klopfen an der Kabinentür unterbrochen. Der Steuermann trat ein, salutierte und meldete einen Segler, der auf die Myrmidon zulief. Captain Gambier entschuldigte sich, folgte dem Steuermann, kam aber nach fünf Minuten zurück, als gerade der Kaffee aufgetragen wurde.
»Beim Sherry werden wir einen Gast an Bord begrüßen können«, verkündete der Captain. »Ein Bote der HMS Bellerophon wird gerade von seinem Tender zu uns übergesetzt.«
Eine halbe Stunde später war der Tisch abgeräumt und tatsächlich stand je ein Glas Sherry vor Ritmeester de Groot und mir, während wir auf den angekündigten Boten warteten. Schließlich ging die Tür auf und Captain Gambier ließ einen älteren Offizier ein, der seinen Hut abnahm, sich umsah und uns dann begrüßte. Wir erhoben uns und salutierten.
»Darf ich Ihnen Captain James Cook vorstellen.« Captain Gambier lächelte. »Weder verwandt noch verschwägert.«
Alle lachten. Wir setzten uns, Captain Cook erhielt ebenfalls ein Glas Sherry und wurde aufgefordert, zu berichten, nachdem Captain Gambier versichert hatte, dass alle Anwesenden Vertreter ihrer Nationen waren und jegliche Geheimhaltung, die zu dieser Zeit noch notwendig war, gewährleistet sei.
»Ja meine Herren, Kaiser Napoléon Bonaparte …« Er stutzte. »Oder darf der Mann nicht mehr Kaiser genannt werden?«
»Général Bonaparte, würde ich ihn titulieren«, warf der Ritmeester ein. »Schließlich hat der Korse aus freien Stücken abgedankt, wenn auch nicht ohne ein wenig Druck seines Volkes.«
Ich enthielt mich eines Kommentars. Captain Cook fuhr fort.
»Jedenfalls hat Général Bonaparte vor ein paar Tagen ein Bittgesuch an die Krone gerichtet. Dieses Bittgesuch haben Général Savary und der Comte de Las Cases an Captain Maitland, Kommandeur der HMS Bellerophon gerichtet. Sie müssen wissen, die Bellerophon operiert seit Anfang Juli in den Gewässern vor Rochefort. Es ist anzunehmen, dass Général Bonaparte aus genau diesem Grunde ebenfalls nach Rochefort geflüchtet ist, um an Bord eines britischen Schiffes zu gelangen.«
»Das ist doch unverständlich«, sagte de Groot. »Er hätte sich doch schon viel früher Wellington ergeben können und das als Kaiser.«
»Er will sich nicht ergeben, er will Zuflucht. Ich habe mit dem Comte de Las Cases gesprochen. Napoléon muss befürchten, dass ihn die Bourbonen, die Preußen oder Österreicher in Ketten legen, wenn er Frankreich nicht verlässt.«
»Und wir würden ihn nicht in Ketten legen?«, fragte Captain Gambier.
»Das kann ich nicht beantworten.« Captain Cook zuckte mit den Schultern. »Ich kann Ihnen nur die Fakten nennen.«
»Wird Ludwig XVIII. denn zurückkehren?«, fragte ich. »Oder gibt es einen neuen Plan für Frankreich?«
»Das ist Politik. Als Offizier der Krone kann ich Ihnen auch diese Frage nicht beantworten.« Er zögerte. »Ich weiß aber, dass Ludwig schon wieder nach Paris zurückgekehrt ist.«
»Dann kann es also stimmen, dass Ludwig sich an Napoléon rächen wird«, warf ich ein.
»Wir sind doch zivilisiert, wer denkt denn an Rache. Bestrafung vielleicht, aber viel wichtiger ist es doch, dass es ein weiteres Aufbegehren Napoléons nicht geben darf. Dies vor allem zum Wohle des Friedens zwischen den Nationen.«
»Was werden die Briten also unternehmen, um den Frieden zu sichern?«, fragte Ritmeester de Groot.
»Ich weiß es nicht, oder doch, ich weiß, dass Général Bonaparte aufgefordert wird, an Bord der HMS Bellerophon zu gehen. Hierzu soll Ihr Schiff, verehrter Captain Gambier Geleitschutz geben. Das ist eigentlich meine Mission, Ihnen diesen Befehl zu übermitteln, obwohl Sie ja bereits ähnliche Instruktionen hatten. Die HMS Slaney befindet sich übrigens bereits im Geleit der Bellerophon.«
*
Am 15. Juli liefen wir in die Bucht von Rochefort ein. Ritmeester de Groot blieb an Bord der HMS Myrmidon. Ich selbst ließ mich mit dem ersten Proviantboot an Land bringen. Captain Cook hatte eine weitere Information gegeben. Napoléon war nicht in der Stadt anzutreffen, sondern auf der vorgelagerten Île-d’Aix. Ich stieg also in Port-des-Barques von dem einen Boot in ein anderes und ließ mich zur Insel übersetzen. Ich war nicht der einzige Passagier und es war sogar mein großes Glück, dass ich Doctor O'Meara kennenlernte. Er schwieg sich zunächst über seine Mission aus und ich glaubte schon, er sei ein Schaulustiger, der einen Blick auf den ehemaligen Kaiser werfen wollte, wie einige andere Leute, die aber auch mit Bestechungsgeld nicht an Bord der Segelfähre gelassen worden waren.
Die Überfahrt dauerte fast eine Stunde und in dieser Zeit konnte der Doctor nicht stillhalten. Er begann mich auszufragen und gab dabei selbst preis, dass er Schiffsarzt auf der HMS Bellerophon sei, was mich wiederum hellhörig werden ließ. Ich gab dann zu, Napoléon Bonaparte einen Besuch abstatten zu wollen und erzählte von meiner Zeit auf Elba und meine dortige Beziehung zum Kaiser. Daraufhin erfuhr ich, dass der Doctor in seiner Eigenschaft als Arzt und Chirurg von Napoléon angefordert worden sei. Noch während des Kennenlernens sah ich in Doctor O'Meara die Gelegenheit von der HMS Myrmidon auf die Bellerophon zu wechseln, um das Schicksal Napoléons weiterhin begleiten zu können.
Die Île-d’Aix ähnelte einer verlassenen Festung und ließ nicht darauf schließen, dass der ehemalige französische Kaiser auf der Insel logierte. Es wäre sicherlich möglich gewesen jeden Punkt der Insel zu Fuß zu erreichen, dennoch wartete eine kleine Kutsche auf uns, gezogen von zwei kräftig gedrungenen Ponys. Wie selbstverständlich folgte ich dem Doctor. Wir wurden zu einem Gebäude mit weißgetünchter Fassade gebracht, auf dem keine Standarte oder Fahne die Anwesenheit des hohen Gastes verriet.
Doctor O'Meara wurde bereits erwartet und beim Betreten des Gebäudes mussten wir uns trennen. Ein Diener geleitete mich in einen hellen Raum und bewirtete mich sogleich mit einem Imbiss. Ich nahm meinen Teller und das Glas Wein und ging hinaus auf einen Innenhof, in dessen Mitte ein kleiner Baum stand. Es war der erste Baum, den ich auf der Insel sah. Die frisch geharkte Erde in die er gepflanzt war, hatte eine Umrandung aus weißen, glatten Steinen, die wie poliert aussahen. Ich studierte die Anordnung, das Schwarz der Erde, das makellose Weiß der großen Kiesel. Alles erinnerte mich an ein frisches Grab. Und sofort traten mir wieder die Bilder der letzten Schlacht bei Waterloo in die Augen.
»Welch eine Überraschung! Was machen Sie denn hier, verehrter Monsieur Hanson?«
Die Ansprache riss mich aus meinen Gedanken. Ich drehte mich um und noch bevor ich den Mann sah, der in den Hof getreten war, hatte ich ihn an der Stimme erkannt. Général Claude Marie Arnauld eilte mit schnellen Schritten auf mich zu und reichte mir die Hand.
»Welch eine Freude, Sie gesund wiederzusehen, mein lieber Monsieur Hanson, Capitaine Hanson. Es tut mir noch immer leid, dass Sie Ihr Schiff eingebüßt haben. Ich hoffe, Sie konnten inzwischen für Ersatz sorgen.«
Arnaulds Worte kamen euphorisch über seine Lippen. Er schüttelte immer noch meine Hand, ohne dass ich Gelegenheit hatte, etwas zu erwidern. Dann ging er einen Schritt zurück, befreite mich endlich aus seinem Griff und sah mich von oben nach unten an.
»Aber nein, Sie tragen ja wieder den Rock Ihres Landes, stehen wieder in Diensten Bernadottes. Ist das richtig? Führt Sie eine Mission hierher? Wollen Sie eine Audienz beim Kaiser? Es ist zur Zeit etwas schwierig …« Er stutzte. »Ich lasse Sie ja gar nicht zu Wort kommen. Entschuldigen Sie, Monsieur Capitaine, oder nein, Sie tragen ja die Uniform eines Majors. Ich gratuliere zur Beförderung.«
Nach diesem Monolog herrschte zwischen uns einige Sekunden Schweigen. Arnauld lächelte verlegen und endlich entschloss ich mich zu einer Erwiderung.
»Sie haben davon gewusst. Unsere Reise nach Sardinien war ein Ablenkungsmanöver.« Ich musste mich zügeln, damit meine Stimme nicht zu aufgeregt klang.
Arnauld zuckte mit den Schultern und gab meiner Anschuldigung damit recht. »Ich habe auch nur die Befehle des Kaisers ausgeführt und er ist dem Rat seiner Maréchaux gefolgt. Er musste sein Exil verlassen, Frankreich war in großer Gefahr, ist es immer noch, aber jetzt kann selbst ein Napoléon nichts mehr ausrichten.«
»Ich will doch meinen, dass die Alliierten anders darüber denken«, erwiderte ich.
»Sie sprechen von Österreich und den Preußen?« Arnauld schüttelte den Kopf. »Diese Nationen haben kein Recht, sich in Frankreichs Angelegenheiten einzumischen. Wissen Sie überhaupt, was diese ganze Serie von Kriegen ausgelöst hat? Wissen Sie überhaupt, dass sich Frankreich immer nur verteidigt hat? Die Geschichte ist verfälscht worden, weil ein genialer Heerführer wie Napoléon Bonaparte sich nicht einfach nur verteidigt, sondern auch zurückgeschlagen hat, was sein, was Frankreichs gutes Recht war und ist.«
»Darüber kann ich nicht urteilen«, warf ich ein. »Es gab einen Vertrag, Napoléon hat ihn unterzeichnet und dann sein Wort gebrochen.«