Kaputte Wörter? - Matthias Heine - E-Book

Kaputte Wörter? E-Book

Matthias Heine

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Beschreibung

Matthias Heine behandelt unterhaltsam und wissenschaftlich fundiert über 80 Wörter, die heute als diskriminierend, problematisch und gestrig bezeichnet werden oder im Verdacht stehen, es zu sein. Die Wörter reichen von behindert über Eskimo, Flüchtling bis Weißrussland und sogar Milch und bester Freund. All diese Wörter sind auf die eine oder andere Art kaputt. Manche funktionieren gar nicht mehr, andere kann man mit Vorsicht noch verwenden. Heine erklärt die Geschichte der Wörter und der Diskussionen um sie, warum sie so heikel sind und wie und wann man sie vermeiden sollte. So leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zu der aufgeheizten Debatte um den Sprachgebrauch. Wer es gelesen hat, kann eine fundiertere Meinung entwickeln und erhält Sicherheit bei der eigenen Ausdrucksweise.

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Inhaltsverzeichnis

Wie Wörter kaputtgehen können

Abtreibung

Afrika

Altes Testament

angelsächsisch

anschwärzen

Asylant

behindert

bemannt

bester Freund

Beziehungstat

Breslau

Brüder

Clankriminalität

Curry

Damen und Herren

Dritte Welt

Ehrenmord

Eingeborene

Einmannpackung

Eskimo

farbig

Flüchtling

Frau

Fräulein

Frau Leutnant

gemischtrassig

gnädige Frau

Hasenscharte

Heimat

Hottentotten

Indianer

Indianerkrapfen

invalid

invasive Art

Judaslohn

Jude

Kaffernbüffel

Kameruner

Kiew

Kolonie

Landstreicher

Lappen

Liliputaner

Migrationshintergrund

Milch

Mission

Mohammedaner

Mohr

Mohrenkopf

mongoloid

Naturvolk

Neger

Negerkuss

nicht sesshaft

obdachlos

Pizza Hawaii

Prostituierte

Punkt (Satzzeichen)

Rasse

Russischer Zupfkuchen

Schamlippen

schwarz

Schwarzafrika

Schwarzfahrer/Schwarzfahren

Sekte

Selbstmord

Sprachpolizei

taubstumm

Vater/Mutter

Völkerball

vor/nach Christus

Wasserkopf

Weihnachten

Weihnachtsmarkt

Weißrussland

Zigeuner

Zigeunerschnitzel

Zwerg

Anmerkungen

Ausgewählte Literatur

Wie Wörter kaputtgehen können

Die Bibel bringt ein Beispiel dafür, dass Sprache seit Anbeginn der Zeiten Menschen nicht nur verbindet, sondern auch trennt: Nach einem Kriegszug fingen die siegreichen Kämpfer von Gilead die flüchtenden Ephraimiter am Jordan ab. Um ihre Feinde zu identifizieren, ließen die Gileaditer alle Angehaltenen das hebräische Wort Schibboleth sagen, von dem man heute nicht mehr sicher weiß, ob es »Kornähre« oder »Strom« bedeutete. Die Männer aus Ephraim sprachen dieses Wort mit S im Anlaut aus statt wie die Gileaditer mit Sch. Wer sich nun auf diese Weise als Feind verriet, wurde niedergemacht. In der Linguistik gibt es im Rückgriff auf diese Geschichte den Fachausdruck Schibboleth für Worte, durch die sich Sprecher einer bestimmten Gruppe oder einer Region zuordnen lassen.

Es ist aber nicht nur die Aussprache, die ethnische und soziale Trennlinien sichtbar machen kann, sondern genauso die Wortwahl. Spätestens seit der Erfindung der Druckerpresse im 15. Jahrhundert und der durch sie ermöglichten politischen Massenagitation werden auch ideologische Grenzen mit Wörtern markiert. Dabei sind es keineswegs nur bewusst genutzte Schlagwörter wie papistisch und evangelisch, rechts und links, feudalistisch und kapitalistisch, die die Rolle von politischen Schibboleths übernehmen. Selbst ein vermeintlich unpolitischer Sprachgebrauch kann verraten, welchem Lager ein Sprecher zuzuordnen ist.

In Deutschland ist beispielweise die Verwendung von Fremdwörtern seit dem 17. Jahrhundert immer auch eine politische Angelegenheit. Damals kämpften die barocken Sprachgesellschaften gegen die mit französischen und italienischen Ausdrücken durchsetzte sogenannte Alamodesprache, die angeblich die deutsche Identität gefährde. Die letzten Gefechte im jahrhundertelangen Ringen um eine vermeintliche Überfremdung des Deutschen mit französischen Ausdrücken wurden schließlich im Ersten Weltkrieg geführt, als der Allgemeine Deutsche Sprachverein, eine wirkmächtige Nichtregierungsorganisation, jeden des Vaterlandsverrats verdächtigte, der immer noch Billett statt Fahrkarte sagte oder sich gar mit Adieu statt Lebewohl verabschiedete.1

Der schrille Ton und die massenhafte Mobilmachung sprachlicher Parteigänger, mit denen der Sprachverein unter seinem Vordenker Otto Sarrazin Kampagnen führte, muten sehr vertraut und modern an. Im Rückblick erkennt man in der extremen Politisierung des Wortgebrauchs und in der schneidigen Art und Weise, wie Trennlinien zwischen Richtig- und Falschsprechern gezogen wurden, Verhaltensmuster der allerjüngsten Gegenwart wieder.

Denn heute werden um das richtige Sprechen wieder Konflikte ausgetragen, deren Schärfe oft eine geradezu existenzielle Dimension erreicht. So wie Sarrazin und die Seinen im Ersten Weltkrieg glaubten, das Schicksal der Nation werde nicht zuletzt auf dem Felde des korrekten Wortgebrauchs entschieden, so glauben auch heute manche, Wohl und Wehe einer diversen, modernen und offenen Gesellschaft sei bedroht durch die Fortexistenz von Wörtern wie Pizza Hawaii oder Schwarzfahrer.

Henning Lobin, der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, beschreibt diese Konflikte und ihre gesellschaftliche Brisanz in seinem Buch »Sprachkampf«. Ich teile nicht seine Ansicht, dass dieser Kampf von rechts entfesselt wurde – mit dem 1997 gegründeten Verein Deutsche Sprache als zentralem Akteur. Das Aufkommen einer mehr oder weniger rechten Sprachlobby, die manchmal wirkt wie ein grotesker Wiedergänger des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, scheint mir eher eine Reaktion auf Initiativen von links zu sein. Es waren ja nicht die Konservativen, die die Rechtschreibreform durchfochten. Es sind auch keine Rechten, die seit den 1980er-Jahren den Umbau der deutschen Grammatik im Namen der Geschlechtergerechtigkeit forcieren. Und es sind naturgemäß nicht die eher beharrenden Kräfte, die mittlerweile fast wöchentlich etablierte Begriffe als »rassistisch«, »sexistisch« oder »ausgrenzend« brandmarken.

Um dieses letztgenannte Feld des Sprachkampfes geht es im vorliegenden Buch: eine Musterung von Wörtern, die problematisch geworden sind. Sie sind in dem Sinne kaputt, dass sie, wenn man sie unbedacht benutzt, möglicherweise unerwünschte Kommunikationsstörungen auslösen. Statt eine sprachliche Aussage in Gänze zur Kenntnis zu nehmen, streitet man sich plötzlich um Angemessenheit eines einzelnen Wortes. Solche Erfahrungen macht wohl jeder, der spricht: nicht nur als Journalist, Talkshowteilnehmer oder Politiker an ein großes Publikum gewandt, sondern auch im kleinen Kreis von Freunden und Familie.

Dieser neue Sprachkampf hat im Wesentlichen drei Ursachen: Zwei davon sind internationale Phänomene, eines ist spezifisch deutsch.

Erstens erheben gesellschaftliche Gruppen, die in traditionellen patriarchalen und ethnisch weitgehend homogenen Gesellschaften unsichtbar, stigmatisiert, machtlos, marginal oder ganz einfach noch inexistent waren, nun Anspruch darauf, mitzubestimmen, wie man sie nennt und wie in Institutionen über sie geredet wird. Das ist vollkommen legitim. Verstörend daran ist allerdings der schrille Ton, mit dem Aktivisten häufig das Recht fordern, Fragen des Wortgebrauchs ausschließlich und endgültig in ihrem Sinne zu entscheiden, statt mit offenen demokratischen Diskussionen für eine Veränderung zu werben.

Zweitens verändert die digitale Medienrevolution der vergangenen zwei Jahrzehnte die Bedingungen, unter denen vermeintlich falsches Sprechen wahrgenommen und diskutiert wird. Früher verhallte ein rassistisches oder sexistisches Wort meist im engen Echoraum des Stammtischs, der familiären Kaffeetafel oder der Bierzeltrede. Heute ist der unsympathische Onkel, der allen auf den Wecker geht, weil er darauf beharrt, weiterhin Neger zu sagen, bei Facebook oder Twitter aktiv. Und ihm gegenüber sitzt nicht mehr nur eine einzige Nichte, die gerne auch den Rest der Verwandtschaft darüber aufklärt, was man neuerdings – jenseits solcher unumstrittenen No-Gos – alles nicht mehr sagen soll, sondern ein Heer von Sprachwächtern.

Sogar die öffentliche Rede hatte in den analogen Medienzeiten nicht annährend die Reichweite und das Empörungspotenzial wie heute. Als Franz Josef Strauß 1978 in einer Aschermittwochsansprache linke Kritiker als »Ratten und Schmeißfliegen« bezeichnete, dauerte es Tage, wenn nicht gar Wochen, bis das anstößige Zitat bekannt wurde, und dann noch mal etliche weitere Weilen, bis die politische Konkurrenz, Medien, Künstler und Satiriker darauf reagierten. Außerdem blieb das Echo auf den vergleichsweise kleinen Kreis gedruckter Zeitungen, Plakate, Postkarten und ganz weniger Äußerungen in den nur drei existierenden Fernsehsendern beschränkt. Heute dagegen erreicht das unbeholfene Gerede von weißen Prominenten über ein Wort wie Zigeunerschnitzel in einer obskuren WDR-Talkshow am späten Abend dank der sozialen Medien innerhalb weniger Stunden eine Öffentlichkeit, die größer ist als die Zahl der Zuschauer, die die Sendung überhaupt anschauten. Noch weiter wird der Erregungszirkel dann dadurch, dass Sprachkritiker die missglückte Sendung nachträglich begutachten und Medien über den Shitstorm berichten – was selbst dem unwilligsten Diskursteilnehmer jede Chance nimmt, solche Banalitäten komplett zu ignorieren.

Der dritte Grund für den neuen Sprachkampf ist eine deutsche Besonderheit: German linguistic angst. In unserem Land ist die Furcht vor falscher Sprache besonders ausgeprägt. Das hat damit zu tun, dass unser Deutsch schriftlich gewissermaßen besonders in der Religion in Erscheinung getreten ist. Die Lutherbibel wird sogar von Nichtgläubigen immer noch als eine Offenbarung angesehen, an der sterbliche Menschen möglichst wenig herumdoktern sollten. Zwar gilt Luther mittlerweile nicht mehr als »Erfinder« der deutschen Sprache. Aber das Charisma und Prestige des Reformators halfen sicher, das Lutherdeutsch als Nationalsprache zu etablieren. Als die Religion ins Wanken geriet, traten an ihre Stelle die Anbetung der Literatur und der Nation. So hatte Deutschland eine Nationalsprache und eine Nationalliteratur, lange bevor es eine Nation wurde. Vermeintliche Gefährdungen der Sprache wurden deshalb immer als Angriff auf die Nation gewertet.2

Diese religiöse beziehungsweise nationalreligiöse Observanz setzte sich selbst dann noch fort, als Religion und Nation als Leitbilder allmählich verblassten. Einen wie Karl Kraus, der in seiner Zeitschrift »Die Fackel« 1899 bis 1936 vier Jahrzehnte lang politischen Gegnern aus sprachlichen Entgleisungen Stricke drehte, gab es in der angelsächsischen Welt nicht. Der bis heute anhaltende Kraus-Nimbus hat auch damit zu tun, dass er recht hatte und zugleich alles, was er schrieb, umsonst war: Die Zerstörung der Vernunft und der Republiken in Deutschland und Österreich wurde tatsächlich sprachlich vorbereitet und vollendet. Die Bemühungen des Nationalsozialismus um ein gelenktes Deutsch, das gar kein Denken mehr außerhalb der faschistischen Ideologie erlaubte, sind seit Victor Klemperers Standardwerk »LTI« in unzähligen wissenschaftlichen Aufsätzen und Büchern beschrieben worden.3 Paradoxerweise führte diese Erfahrung mit totalitärer Sprachlenkung in Deutschland nicht dazu, dass man staatlichen Zugriffen auf die Sprache misstraut, sondern den ungelenkten Wildwuchs des »falschen« Wortgebrauchs scharf beäugt und semantische Fehlgriffe von Einzelpersonen schnell unter Faschismusverdacht stellt.

Für die Sonderrolle des Phänomens German linguistic angst spricht zudem unser einzigartiges Vokabular. Begriffskämpfe gibt es auch in anderen Nationen, aber es existiert dort kein Wort, das so etabliert und allgemein verständlich ist wie unser Ausdruck Sprachkritik. Im Englischen behilft man sich wechselweise mit language criticism, linguistic criticism oder – wie in den beiden maßgeblichen Übersetzungen von Wittgensteins »Tractatus« – mit ntcritique of language.

Das Gleiche gilt für Unwort. Es ist nicht einmal wirklich übersetzbar: non word, so wird es meist ins Englische übertragen, hat nicht annähernd die moralische Komponente, die die Vorsilbe Un-dem deutschen Ausdruck aufgrund der Analogie zu Unmensch, Unhold, Ungerechtigkeit oder Unrechtsstaat verleiht.

Dass hierzulande eine besonders ausgeprägte Furchtsamkeit in Bezug auf falsche Sprache herrscht, belegt eine kleine Anekdote um den amerikanischen Schriftsteller Colson Whitehead. Dessen Roman »Harlem Shuffle« schickte der deutsche Verlag einen Warnhinweis voraus: »Den Wünschen des Autors entsprechend, wurde die Sprache Amerikas in den Fünfziger- und Sechzigerjahren historisch getreu wiedergegeben.« In den USA war so etwas nicht nötig. Im Interview mit meinem Kollegen Wieland Freund zeigte Whitehead dafür Verständnis und war zugleich belustigt: »Mein deutscher Verleger kriegt Briefe, in denen sich Leute über das N-Wort beschweren, und das tut mir schrecklich leid. Ein Verleger hat so viele Sachen auf dem Schirm, dass er nicht auch noch Briefe aufmachen muss, in denen er von irgendwem gemaßregelt wird, der nicht begreift, dass ein historischer Roman die dazugehörige Sprache verwenden muss. Die Diskussion darüber ist ziemlich komisch.«4

Dieses Buch soll einen Überblick geben über die »komischen« Diskussionen, die in Deutschland über vermeintlich kaputte und nicht mehr gebrauchsfähige Wörter geführt werden. Es geht dabei keineswegs um Begriffe, die immer schon klar und eindeutig abwertend und diskriminierend gemeint waren, sondern um solche, die früher als durchaus neutral galten. Eine solche Liste kann niemals vollständig sein. Schon während der Niederschrift kamen ständig neue Wörter hinzu. Aber das Buch wird, so hoffe ich, doch wenigstens als Handreichung für all diejenigen taugen, die sich einen Überblick über das unübersichtliche Terrain der Sprachkämpfe verschaffen wollen.

In erster Linie geht es mir dabei um die Darstellung der Geschichte solcher Wörter und der aktuellen Kritik an ihnen. Meine zusätzlichen Einschätzungen sind kein Versuch, nun selbst als Sprachpolizei oder Anti-Sprachpolizei aktiv zu werden. Vielmehr sollen sie Menschen, die Freude an offenen Debatten haben, zum Weiterdenken anregen. Vor allem dürfen sie nicht mit Empfehlungen der Dudenredaktion verwechselt werden, der ich nicht angehöre und deren Ratschläge ich hier zwar gerne zitiere, die sich aber nur unterstützend, niemals maßregelnd an der Entstehung dieses Buches beteiligte.

Ich gehe von der Grundüberzeugung aus, dass keine Regierung, keine Behörden und erst recht keine Minderheiten den 200 Millionen Deutschsprechern vorzuschreiben haben, welche Wörter sie gebrauchen dürfen. Auch dann nicht, wenn solche Minderheiten sich von den Wörtern betroffen oder diskriminiert fühlen. Betroffenheit und Diskriminierung sind unklare psychologische Kategorien, die, wenn sie zur Legitimation politischen Handelns herangezogen werden, Willkür ermöglichen. Die lange, meist düstere Geschichte politischer Sprachlenkung bei der manischen Jagd auf Fremdwörter im Kaiserreich, der ideologischen Manipulation im Dritten Reich und in der DDR sowie zuletzt bei der Rechtschreibreform sollte eigentlich zu Zurückhaltung mahnen, zumal die beiden letztgenannten Eingriffe in den natürlichen Sprachwandel im Namen eines unklaren Fortschritts stattfanden.

Dieses Buch bietet keine Strategien zur Abwehr legitimer Debatten. Zwar hatte ich während meiner Recherchen oft genug das schwindelerregende Gefühl, in Abgründe von Anmaßung und Besserwisserei (manchmal gepaart mit Unkenntnis) zu schauen. Doch auch auf die Wünsche unhöflicher und anmaßender Menschen kann man ja aus Höflichkeit eingehen, wenn es einen nicht mehr kostet, als einem Wort Lebewohl zu sagen, mit dem keine großen Gefühlswerte oder kulturellen Traditionen verbunden sind und das auch nichts zu einer differenzierten Beschreibung der Welt beiträgt.

Bei manchen Wörtern in diesem Buch aber wird die Mehrheit der Deutschsprecher vielleicht mittelfristig zur Übereinkunft gelangen, dass sie gar nicht so kaputt sind. Der Streit um das Wort Jude oder der Gebrauch, den W. E. B. Du Bois oder Martin Luther King von Negro/Neger machten, zeigen, dass das Diskriminierende keine Essenz ist, die immer schon in den Wörtern eingeschrieben war und ihnen ewig unauslöschlich eingeschrieben bleibt. Schwuler zum Beispiel war ein Schimpfwort und konnte dennoch zur stolzen Eigenbezeichnung werden.

Kein verantwortungsbewusster Mensch wirft heute ein jahrzehntealtes Fahrrad oder einen Plattenspieler weg, wenn sie kaputtgehen. Mit einem ähnlichen Blick sollten auch jahrhundertealte Wörter auf ihre Reparaturfähigkeit zumindest geprüft werden. Wenn dieses Buch dafür brauchbares Hintergrundmaterial liefert, erfüllt es seinen Zweck.

Abtreibung

Ursprung: Um 1500 wurde das Wort als Substantivierung zum Verb abtreiben »eine Früh- oder Totgeburt herbeiführen, einen Fötus aus dem Mutterleib entfernen« gebildet. So heißt es in der Bambergischen Peinlichen Halsgerichtsordnung von 1507: »Item so yemant einem weybsbilde durch bezwanck essen oder trincken ein lebendig kindt abtreybt […] der ist mit dem schwert (als ein todtschleger) zum todt zustraffen […].5 Der Verfasser dieses epochalen, für die deutsche Rechtsgeschichte wegweisenden Schriftstücks war Johann von Schwarzenberg, der 1521 auch den ersten Entwurf zur Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. ausarbeitete. In diesem Strafgesetzbuch, das bis zum Ende des Alten Reichs 1806 in Kraft blieb, findet sich der entsprechende Passus nahezu textgleich.

Gebrauch: Jahrhundertelang war Abtreibung ein juristischer Terminus. Im Preußischen Landrecht von 1794 steht unter der Deliktbezeichnung »Abtreibung der Leibesfrucht«: »§. 985. Weibspersonen, welche sich eines Mittels bedienen, die Leibesfrucht abzutreiben, haben schon dadurch Zuchthausstrafe auf sechs Monathe bis Ein Jahr verwirkt. […] §. 988. Wer durch schädliche Medicin, oder auf andre Art, zur Abtreibung eines Kindes vorsätzlich Hülfe leistet, wird mit gleicher Strafe, wie die Mutter selbst, belegt. […] §. 990. Ist die Abtreibung von einem Dritten ohne Wissen und Willen der Mutter veranstaltet worden: so hat der Thäter zehnjährige bis lebenswierige Festungsstrafe verwirkt.«

Ein neues Strafgesetzbuch, das im Zuge der deutschen Reichsgründung 1871 erlassen wurde, vereinheitlichte und verschärfte die Strafen für Abtreibung. Es entstand der bis heute sogenannte Paragraf 218: »Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib tötet, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft. […] Dieselben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat.«6 Die Gründe für diese härtere Haltung waren keineswegs religiöser Natur. Die katholische Kirche etwa beurteilte bis ins 19. Jahrhundert die Abtreibung bis zum 40. (bei männlichen Föten) beziehungsweise 80. (bei weiblichen Föten) Tag infolge der auf Aristoteles zurückgehenden Lehre der »sukzessiven Beseelung« als minderschwer. Im bayerischen Kriminalkodex von 1751 war Abtreibung in der ersten Schwangerschaftshälfte noch straffrei. Erst aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse wurde das ungeborene Leben von Anfang an als Mensch angesehen.7

Kritik: Die Behandlung des Paragrafen 218 durch die Nationalsozialisten, die »Stern«-Kampagne von 1971, bei der 374 Frauen bekannten »Wir haben abgetrieben«, die Liberalisierung in der DDR seit 1972 sowie die bundesdeutschen Reformen 1976 und 1992 sind hier nicht Thema und können nicht detailliert geschildert werden. Sie hatten allerdings Auswirkungen auf die Benennung des umstrittenen Tatbestands. Erkennbar nahm seit den 1970er-Jahren der Gebrauch der vereinzelt bereits seit Anfang der 1930er-Jahre belegbaren Wörter Schwangerschaftsabbruch oder Schwangerschaftsunterbrechung anstelle von Abtreibung zu. Diese Ausdrücke, die zuvor nur in medizinischen und juristischen Schriften vorkamen, wurden in die Umgangssprache und die Debatten getragen, weil sie die mit jahrhundertelanger moralischer Stigmatisierung verbundene alte Bezeichnung ersetzen sollten.

Die negative Aufladung des alten Begriffs fand selbst dort noch statt, wo Abtreibungen legal waren. In der DDR zum Beispiel unterschied man sowohl in Gesetzestexten als auch in Zeitungsartikeln zwischen der legitimen Schwangerschaftsunterbrechung (in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen) und einer illegalen Abtreibung, die von »Kurpfuschern« vorgenommen wurde.8

Obwohl die westdeutsche Frauenbewegung lange darauf beharrte, den Begriff positiv zu verwenden, setzten sich auch in der Bundesrepublik die alternativen Bezeichnungen im politischen und juristischen Sprachgebrauch allmählich durch.

Im Bundestag verwendete erstmals die FDP-Abgeordnete Emmy Diemer-Nicolaus, als sie 1969 für eine Reform des Paragrafen 218 warb, einen der neuen Ausdrücke: »Diese Reform muß erfolgen. Sie ist eine der vordringlichsten vom nächsten Bundestag zu behandelnden Fragen. […] Es ist keineswegs so, daß in den anderen Staaten einer Schwangerschaftsunterbrechung auf Grund gesetzlicher Bestimmungen in einem weiteren Umfang Tür und Tor geöffnet wäre.«9 1972 tauchte Schwangerschaftsabbruch erstmals in einem Gesetzentwurf der SPD/FDP-Bundesregierung auf. Darin heißt es: »Der Entwurf sieht für den Schwangerschaftsabbruch Straffreiheit vor, wenn dieser zwischen dem 14. Tag und dem Ende des dritten Monats nach der Empfängnis mit Einwilligung der Schwangeren nach ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird (sog. Fristenmodell).« Das Wort Abtreibung kommt in dem Papier aber ebenso noch vor wie die Formulierung Abbruch der Schwangerschaft.

Nach jahrelangen Debatten, in denen das Wort Schwangerschaftsabbruch auch mündlich immer häufiger im Bundestag verwendet wurde, und einer Zurückweisung des Fristenmodells durch das Bundesverfassungsgericht verabschiedete die SPD/FDP-Regierung schließlich das Fünfzehnte Strafrechtsänderungsgesetz, das den alten Paragrafen 218 abschaffte und durch eine Neufassung ersetzte. Darin ist das Wort Abtreibung nicht mehr zu finden, stattdessen ist vom Abbruch der Schwangerschaft die Rede, der aufgrund von medizinischer Indikation (Gefahr für die Mutter), kriminologischer Indikation (Vergewaltigung, Inzest), eugenischer Indikation (Behinderung des Kindes) und Notlagenindikation (psychische und soziale Ausnahmesituationen) straffrei bleiben konnte.10 In den folgenden Jahren etablierte sich im Sprachgebrauch des Bundestags sowie der Gesetze und Verordnungen die Variante Schwangerschaftsabbruch. In der Änderung des Strafgesetzbuchs, die 1992 eine Fristenlösung festschrieb, setzte sich Schwangerschaftsabbruch als Terminus endgültig durch.11

Seitdem gibt es Bestrebungen, den in der Alltagssprache und den Medien immer noch gängigen Begriff Abtreibung gänzlich zu verdrängen. Auf der Homepage familienplanung.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung wird zur »umgangssprachlichen« Bezeichnung Abtreibung erklärt: »Dieser Begriff wird manchmal auch mit abwertendem Beiklang verwendet (früher wurden illegale Schwangerschaftsabbrüche so bezeichnet). Deshalb wird auf familienplanung.de der Begriff ›Schwangerschaftsabbruch‹ verwendet.«12 Die feministische Medizinerorganisation Doctors for Choice Germany e. V. erläutert die Problematik des Wortes Abtreibung aus ihrer Sicht: »Seit circa einem halben Jahrhundert wird der Begriff teilweise abwertend verwendet, beispielsweise im Kontext illegaler Abtreibungen oder wenn Abtreibungsgegner*innen Abtreibung als Mord bezeichnen.« Auch die Beratungsorganisation pro familia nutzt lieber das Wort Schwangerschaftsabbruch: »Übrigens wird bei pro familia der Begriff Abtreibung eher nicht verwendet, da er meist mit negativem Beigeschmack verwendet wird.«13

Die Sozialpädagogin und Sexualwissenschaftlerin Katja Krolzik-Matthei fasst zusammen: »Gegenwärtig hat der Begriff dadurch eine widersprüchliche Konnotation: Einerseits wird er in konservativen bis hin zu fundamental-religiösen Zusammenhängen eindeutig ablehnend und auch abwertend gebraucht (›Abtreibung ist Mord‹). Andererseits spielte und spielt er wieder eine wichtige Rolle in emanzipatorisch-feministischen Zusammenhängen (›Abtreibung ist ein Menschenrecht‹).«14

Einschätzung: Das Wort Abtreibung ist nicht falsch, weil es nicht mehr in Gesetzen verwendet wird – so wenig, wie das Wort Telefon falsch ist, weil die Post seit mehr als 100 Jahren diesen Gegenstand Fernsprecher nennt. Schwangerschaftsabbruch klingt aber – und das ist sicher erwünscht – technischer und neutraler, nach der bloßen Beendigung eines unerwünschten Zustands, und verweist nicht mehr auf ein grammatisches Objekt, das abgetrieben wird (den Fötus).

Afrika

Ursprung: Der Name Afrika wurde erstmals von einem römischen Heerführer aus der Familie der Scipionen verwendet: entweder von Scipio Africanus, der im Zweiten Punischen Krieg 202 v. Chr. Karthago und seinen Feldherrn Hannibal besiegte, oder von seinem Adoptivsohn Scipio dem Jüngeren, der die Karthager endgültig unterwarf, ihre Hauptstadt im heutigen Tunesien zerstörte, die Bewohner versklavte und die neue römische Provinz Africa einrichtete. Gemeint war damit zunächst nur das alte karthagische Herrschaftsterritorium. Das ihnen bekannte Gebiet Nordafrikas mit Ausnahme von Ägypten und Äthiopien nannten Römer und Griechen hingegen zunächst Libya.

Der Name Afrika leitet sich von Afri ab.15 So bezeichneten die Römer die Bewohner der Regionen westlich des Nils. Gemeint war damit ursprünglich ein indigener Stamm, der zu den Vorfahren der Berber gehörte. Nach den derzeit anerkanntesten Hypothesen lässt sich der Name der Afri entweder auf das phönizische Wort afar (»Staub«) zurückführen (die Karthager waren Phönizier aus dem heutigen Libanon) oder auf das Berberwort ifar (»Höhle«). Die Afri wären demnach in den Augen der Römer entweder staubbedeckt oder Höhlenbewohner gewesen.

Andere antike und moderne Etymologien konnten sich nicht durchsetzen: Nach dem jüdisch-römischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus sollte Afrika auf Abrahams Enkel Epher zurückgehen, dessen Nachfahren das Land erobert hätten. Isidor von Sevilla, der Polyhistor des frühen Mittelalters, leitete es vom lateinischen aprica (»sonnig«) ab. Moderne Forscher erwägen als Ursprung unter anderem ein angeblich umbrisches Wort africus(»Südwind«) oder ein nicht belegtes lateinisches aphir-ic-a, das mit Ophir, dem Namen des sagenhaften Goldlandes der hebräischen Bibel, identisch sein soll.16

Gebrauch: Als Name des Erdteils beziehungsweise des den Römern von diesem Erdteil bekannten Gebiets ist Africa spätestens bei dem römischen Historiker Sallust im ersten vorchristlichen Jahrhundert nachweisbar. Schon im Mittehochdeutschen ist Africa als deutsches Wort belegt. Berühmt ist die Definition im Wörterbuch von Georg Henisch aus dem Jahr 1616: »Africa/ Barbarey/ Morenland vulgo/ der dritte theil der Welt/ […] ein Land ohne frost/ […] der mehrste theil dises lands ist sandig/ trucken vnd staubig. […] Africa bringt allweg etwas newes/ (etwas boeses herfur).«17

Doch nicht alles, was aus Afrika kam, war gleich »böse«: Die Firma Bahlsen führte 60 Jahre lang eine Schokoladenkekssorte mit dem Namen Afrika im Sortiment. Die Benennung erklärte der Keks- und Kuchenhersteller so: »Der Name Afrika wurde ausgewählt, weil Afrika der größte Produzent von Kakaobohnen auf der Welt ist und der Name damit perfekt zu unseren vollschokolierten Waffeln passt.«18

Kritik: Im Februar 2020 wurde offenbar durch einen Instagram-Beitrag von Bahlsen zum Valentinstag erstmals einer größeren Menge von Menschen klar, dass auch das Keksherstellergewerbe ein Rassismusproblem hat. Typisch für viele Reaktionen auf das Bild war der Kommentar einer Nutzerin: »Ein brauner Keks, der Afrika heißt? For Real?« mit dem Hashtag #alltäglicherrassismus. Zunächst versuchte Bahlsen, den Shitstorm mit einem Hinweis auf die Geschichte seines Gebäcks zu dämpfen. Nachdem sich sogar der Popstar Henning May von der Band AnnenMayKantereit in die Debatte im Kommentarbereich des Instagram-Beitrags eingeschaltet hatte, nahm sie aber dermaßen an Intensität zu, dass Bahlsen schließlich im März des Jahres ankündigte: »Wir haben dieses Produkt vor 60 Jahren ins Leben gerufen und damals wie heute lagen uns rassistische Gedanken mehr als fern. Um zu vermeiden, dass unser Produkt Assoziationen mit Rassismus hervorruft, arbeiten wir bereits an einer Umbenennung.« Diese wurde im Juni 2021 vollzogen, seitdem heißt der Keks »Perpetuum«.

Auch andernorts stieß man sich an ungünstigen Assoziationen. Im September 2021 wurde bekannt, dass die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden das Gemälde »Afrikanischer Krieger, den Bogen schwingend« nur noch »Krieger, den Bogen schwingend« nennen wollen.19

Einschätzung: Der Name Afrika ist nicht nur problematisch, wenn er für einen Keks verwendet wird. Er ist entstanden aus einem Wort, mit dem europäische Eindringlinge die in ihren Augen schmutzigen und primitiven Indigenen bezeichneten. Erstaunlicherweise ist er bisher nur von wenigen kritisiert worden. In panafrikanischen Kreisen beruft man sich stolz auf den alten Begriff Alkebulan20, der entweder auf arabisch »Land der Schwarzen« zurückgeführt wird oder einer autochthonen Sprache entstammen soll.21

Altes Testament

Ursprung: Der Begriff Altes Testament für die hebräischen Schriften der Bibel, aufgefasst als Gegensatz zum griechischsprachigen Neuen Testament, findet sich erstmals um 170 n. Chr. bei dem Bischof Melito von Sardes.22 Es handelt sich um die lateinische Übersetzung vetus testamentum für das griechische palaià diathēkē »alter Bund« – gemeint ist der Bund Gottes mit seinem Volk – im zweiten Brief des Paulus an die Korinther, Kapitel 3, Vers 14.23 Wenig später, um 200, übersetzte auch der Kirchenschriftsteller Tertullian diathēkē mit testamentum oder instrumentum ins Lateinische.24

Gebrauch: Im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen wurde das kirchenlateinische testamentum zunächst mit gezeug wiedergegeben. Als deutsches Wort im ursprünglichen lateinischen Sinne von »Letzter Wille« trat Testament erst im Frühneuhochdeutschen auf.25 Allgemein geläufig wurde der Gegensatz Altes und Neues Testament bezogen auf die Bücher der Bibel mit dem Aufkommen einer christlichen Massenpublizistik im frühen 16. Jahrhundert. Martin Luthers epochale erste Teilübersetzung der Bibel erschien im September 1522 als »Das Newe Testament Deutzsch«. Das Alte Testament ist vom christlichen Antijudaismus oft abgewertet worden. Schon der antike Theologe Marcion sah in den jüdischen Schriften einen anderen Gott als den Gott, den Jesus bezeugt. Der bedeutende protestantische Theologe Rudolf Bultmann (1884–1976) nannte das Alte Testament gar ein »Dokument des Scheiterns«.26 Besonders das Adjektiv alttestamentarisch ist benutzt worden, um einen Gegensatz zwischen dem angeblich strafenden, tyrannischen Gott der Juden und dem liebenden, gnädigen Gott, der Christus gesandt hat, zu konstruieren. Im Nationalsozialismus wurde das Adjektiv regelrecht als antisemitisches Schimpfwort gebraucht.27

Kritik: 1991 veröffentlichte der Münsteraner Alttestamentler Erich Zenger das Buch »Das Erste Testament. Die jüdische Bibel und die Christen«, in dem er dafür plädiert, die traditionelle Bezeichnung Altes Testament durch Erstes Testament zu ersetzen. Die von ihm vorgeschlagene Benennung vermeide »die traditionelle Abwertung, die sich assoziativ und faktisch mit der Bezeichnung ›Altes Testament‹ verbunden hat.« Zenger meint, sie sei auch unter historischen Gesichtspunkten korrekter, weil das Alte Testament gegenüber dem Neuen Testament als »Erstes« entstanden sei.28 Neben dem von Zenger vorgeschlagenen Begriff wird heute auch häufig der Ausdruck Jüdische Bibel gebraucht. Die Autoren des Handwörterbuchs »Religion in Geschichte und Gegenwart« kommen zum Schluss, die Bezeichnungen Altes und Neues Testament seien »mit Vorentscheidungen behaftet«. Wegen der oft mit dem Wort alt verbundenen Abwertung (gegenüber dem »Neuen«) seien die Bezeichnungen »die Schriften des ersten Bundes« oder »die Hebräische Bibel« zutreffender.29 Anstelle des Adjektivs alttestamentarisch empfiehlt die Webseite der Deutschen Bibelgesellschaft heute alttestamentlich – wegen des antisemitischen Gebrauchs des Wortes in der NS-Zeit und weil testamentarisch ein juristischer Ausdruck ist.30

Einschätzung: Die Versuche zur begrifflichen Aufwertung des Altes Testament genannten Textes sind ehrenwert. Mir erscheinen allerdings die Bezeichnungen Jüdische Bibel oder Hebräische Bibel ungeeignet, weil schon das Wort Bibel eine Eingliederung in das Christentum bedingt: Das, was Christen Altes Testamentnennen, ist eben nicht mehr wirklich ein jüdisches Buch, sondern etwas Neues, das Christen durch Textauswahl, Gliederung und Übersetzung nach ihren Vorstellungen hervorbrachten. Außerdem hat der Ausdruck alt nicht unbedingt einen abwertenden Beiklang, sondern kann besondere Ehrerbietung gegenüber einem altüberlieferten Text ausdrücken, der die Grundlage für das Spätere ist. Luther selbst tritt 1534 in einer seiner Vorreden zur Übersetzung des Alten Testaments jeder Missachtung desselben entschieden entgegen: »Das Alte Testament halten etliche geringe/ Als das dem Jüdischen volck alleine gegeben/ vnd nu fort aus sey/ vnd nur von vergangenen Geschichten schreibe/ Meinen/ sie haben gnug am newen Testament.« Diesen hält der Reformator vor, dass Christus selbst, Paulus und Petrus »vns je leren/ die Schrifft des alten Testaments nicht zu verachten sondern mit allem vleis zu lesen/ weil sie selbs das newe Testament so mechtiglich gründen vnd beweren/ durchs alte Testament/vnd sich drauff beruffen«. Das ist natürlich ein Zeugnis kultureller Aneignung oder gar »die Geschichte einer feindlichen Übernahme«, wie es der Kölner Germanist Karl-Heinz Göttert in seinem Buch über die Lutherbibel nennt. Aber es ist ganz gewiss kein Ausdruck der Verachtung. Die neuen alternativen Bezeichnungen beschränken sich bisher auf theologische Publizistik und hinterlassen in offiziellen Bibeldrucken der verschiedenen christlichen Konfessionen noch keine Spuren.

angelsächsisch

Ursprung: Als Angelsachsen wird historisch im Deutschen seit dem 17. Jahrhundert ein Sammelvolk bezeichnet, das nach dem Abzug der letzten größeren römischen Armeeverbände im Jahr 409 weite Teile Britanniens eroberte. Das Herrschaftsgebiet der Neuankömmlinge wurde zuerst auf Lateinisch Anglia genannt – das heutige England. Zu den Angelsachsen gehörten nicht nur Angehörige der Großstämme Angeln und Sachsen, sondern zudem noch Jüten, Friesen und Niederfranken. Ebenfalls seit dem 17. Jahrhundert ist das Adjektiv angelsächsisch nachweisbar. Das deutsche Wort Angelsachsen geht zurück auf das englische Anglo-Saxons und dieses wiederum auf das mittellateinische Anglo-Saxones.

Gebrauch: Im Deutschen wird Angelsachsen – wie Anglo-Saxons im Englischen – verwendet, um weiße Personen englischen Ursprungs zu bezeichnen. Auch hierzulande bekannt ist der amerikanische Ausdruck White Anglo-Saxon Protestant, abgekürzt WASP, für Angehörige einer Bevölkerungsgruppe in den USA, die in der dortigen rassistisch geprägten Gesellschaft lange als einzige akzeptable Einwanderer galten. Diese Art von Rassismus richtete sich nicht nur gegen Schwarze, sondern genauso gegen Deutsche, Ost- und Südeuropäer, katholische Iren und Juden. Hierzulande wird Angelsachsen zudem als Oberbegriff für die Gesamtheit der englischsprachigen, überwiegend von Weißen bevölkerten Nationen einschließlich der USA gebraucht.

Kritik: Die kanadische Historikerin Mary Rambaran-Olm forderte 2019, Anglo-Saxon, das im Englischen sowohl Substantiv als auch Adjektiv sein kann, aus dem historischen Wortschatz zu streichen, denn der Begriff sei »verbunden mit der Ideologie weißer Vorherrschaft«. Deshalb solle er durch early English (»frühenglisch«) ersetzt werden.31 In Wirklichkeit habe es sich bei den Eindringlingen des 5. Jahrhunderts ohnehin um mehrere getrennte Stämme gehandelt, die sich nicht als Gemeinschaft sahen. Der Bezug auf eine einheitliche anglo-saxon nation, aus der England hervorgegangen sein soll, sei erst im 16. Jahrhundert entstanden. Damals sei es darum gegangen, erklärt Rambaran-Olm weiter, einen Zusammenhang zwischen den zeitgenössischen Kirchenreformen und einer urenglischen Kirche zu betonen. Wirklich populär sei das Attribut anglo-saxon jedoch erst im 18. und 19. Jahrhundert geworden, um weiße Menschen mit deren vorgeblichen Ursprüngen zu verbinden.

Die grundfalsche Idee einer »anglo-saxon nation« oder »race« sei in den vergangenen 500 Jahren immer wieder hervorgekramt worden, um Patriotismus, Imperialismus und rassische Überlegenheit zu propagieren, referiert Rambaran-Olm. Mit dem britischen Kolonialismus und dann der Gründung der USA seien solche Vorstellungen auf Amerika ausgedehnt worden: »Die weiße Vorherrschaftsbewegung in Euro-Amerika hat den Terminus ›angelsächsisch‹ seit mindestens 200 Jahren benutzt, um rassistische Gewalt und kolonialistischen Völkermord zu rechtfertigen.« Als Beispiel nennen Rambaran-Olm und ihr Historikerkollege Erik Wade, dass der spätere US-Präsident Theodore Roosevelt ein Exemplar des Manifests »A quoi tient la supériorité des Anglo-Saxons?« des pro-angelsächsisch gesinnten Franzosen Edmond Demolins bei sich getragen habe, als er 1898 mit seiner Freischärlertruppe Rough Riders in den Spanisch-Amerikanischen Krieg nach Kuba aufbrach.32

Rambaran-Olm ist keineswegs eine radikale Einzelstimme vom akademischen Rand. Sie war immerhin Vizevorsitzende der International Society of Anglo-Saxonists (ISAS), die sich mit der Erforschung englischer Literatur und Kultur vor der normannischen Eroberung beschäftigt. Im September 2019, zwei Monate vor der Veröffentlichung ihres Artikels, trat sie zurück, weil die Organisation sich schwertat, ihren Namen zu ändern und grundsätzliche Reformen einzuleiten. Sie beschrieb das gesamte Forschungsgebiet als »triefend von altmodischen Ansichten, Prestigedenken, Elitismus, Sexismus, Rassismus und Borniertheit«.33 Offenbar war die Kritik Rambaran-Olms und anderer nachvollziehbar, denn zumindest wurde die frühere ISAS mittlerweile in International Society for the Study of Early Medieval England (ISSEME) umbenannt.

Einschätzung: Der Streit um die Bezeichnung hatte bisher noch keine Auswirkungen auf den deutschen Wortgebrauch. Es ist aber vorhersagbar, dass die allmähliche Abschaffung des Begriffs Anglo-Saxon in seinem Mutterland dazu führen wird, dass die deutschen Entsprechungen problematisiert werden.

anschwärzen

Ursprung: Im Sinne von »verleumden« kam anschwärzen im 17. Jahrhundert auf. Zuvor hatte es im 16. Jahrhundert schon die Bedeutung »anklagen«.

Gebrauch: Das Wort wurde jahrhundertelang in der angegebenen Weise gebraucht, wobei wohl – wenn überhaupt irgendein sinnlicher Vorstellungsinhalt damit verbunden war – das Bild zugrunde lag, dass man den Verleumdeten wie beim Teeren und Federn mit schwarzer Farbe oder Flüssigkeit kenntlich macht oder seinen Ruf beschmutzt. Allem Anschein nach dachte kein Autor, der den Ausdruck verwendete – von Wieland bis Fallada –, an die natürliche Hautfarbe von Menschen.

Kritik: Der 2020 vom Berliner Diversity-Landesprogramm herausgegebene Sprachratgeber empfiehlt, anschwärzen durch »nachsagen/melden/denunzieren« zu ersetzen, um die negativen Konnotationen, die in der Sprache mit dem Wort schwarz verbunden sind, »nicht weiter zu forcieren«.34 Das Wort wird im Zusammenhang mit Schwarzfahren gesehen.

Einschätzung: Es scheint mir übertrieben, bei einem Ausdruck, dessen Entstehung nicht rassistisch motiviert war und der im Laufe von 500 Jahren nicht rassistisch gebraucht wurde, eine rassistische Konnotation zu entdecken.

Asylant

Ursprung: Das Wort ist auf der Basis von Asyl und des latinisierenden Suffixes -ant gebildet. Es lässt sich seit Mitte der 1970er-Jahre in Texten nachweisen.

Gebrauch: Der politische Hintergrund, vor dem der Begriff entstand, war eine starke Zunahme der Zahl von in Deutschland ankommenden Asylbewerbern aus Pakistan im Jahr 1977. In parlamentarischen Äußerungen der damaligen SPD/FDP-Bundesregierung genauso wie in offiziellen Dokumenten war allerdings meist von Asylbewerbern und Asylberechtigten die Rede. Das Asylverfahrensgesetz von 1982 unterscheidet zwischen »Ausländer[n], die Schutz als politische Verfolgte nach dem Artikel 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes beantragen«, und »Asylberechtigten«, deren Antrag stattgegeben wurde.35

Das Wort Asylant verwendete im Bundestag erstmals der CDU/CSU-Abgeordnete und langjährige Präsident des Bundes der Vertriebenen Herbert Czaja.36Asylant war also zunächst eher ein Begriff der Opposition – und ein Medienwort. »Die Zeit« berichtet im August 1978: »Der Bürgermeister und der gesamte Stadtrat von Gemünden am Main drohten ihren Rücktritt an, wenn ein für Pakistani gemietetes Wohnhaus auf die Dauer den Asylanten zur Verfügung gestellt wird.«37 1980 wählte die Gesellschaft für Deutsche Sprache Asylant zu einem der »Wörter des Jahres«.38 Im gleichen Jahr wurde der Ausdruck auch in die 18. Auflage des Dudens aufgenommen. Typisch für die Berichterstattung einschlägiger Medien in dieser Zeit ist ein Artikel aus der »Bild am Sonntag« mit dem Titel »Deutschland – gelobtes Land« vom April 1980, dessen Vorspann die Thematik so anreißt: »Kampf ums Asyl. Eine neue Völkerwanderung von draußen erschreckt die Deutschen: 100000 Asylsuchende – doppelt soviel wie 1979! – werden in diesem Jahr bei uns eine neue Heimat suchen. Kann die Bundesrepublik diesen neuen Massenansturm verkraften? Denn weit über vier Millionen Ausländer leben schon bei uns«.39 Später heißt es in dem Text: »Im ganzen Bundesgebiet wird das Problem der ›Asylanten‹ immer brisanter.« Offenbar setzte man den Begriff in Anführungszeichen, weil er für die Leser relativ neu war. Schließlich wird noch ein durchaus repräsentatives Zitat eines CDU-Politikers eingeflochten: »Baden-Württembergs Ministerpräsident Späth spricht von einer ›Schein-Asylanten-Lawine‹.«

Zur selben Zeit macht sich »Der Spiegel« schon Gedanken darüber, ob die Form des Ausdrucks nicht einen abwertenden Gebrauch bedinge oder wenigstens nahelege: »Bei manch einem klingt das Wort Asylant so wie Simulant oder Bummelant.«40

Dennoch war das Wort Asylant während der 1980er-Jahre noch nicht alltäglich. Ein Anstieg bei seinem Gebrauch lässt sich erst von 1990 an – mit aller gebotenen Vorsicht – aus den Statistiken des Digitalen Wörterbuchs der Deutschen Sprache, dem Deutschen Referenzkorpus des Instituts für Deutsche Sprache und den Korpora der Dudenredaktion ablesen. Dies stand im Zusammenhang mit der nach dem Fall der innerdeutschen Grenze stark zunehmenden Zahl von Asylbewerbern sowie mit Ereignissen wie den Übergriffen gegen eine Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostlock-Lichtenhagen im August 1992. Allerdings stellt das DWDS fest: »Asylant ist deutlich weniger häufig belegt als Asylbewerber oder Asylsuchender.« Als Bestandteil von Wortneubildungen war der Begriff eine Zeit lang sehr produktiv. Zu diesen Neuprägungen gehören Asylantenheim, Asylantenflut, das bereits von Lothar Späth benutzte Scheinasylant, Wirtschaftsasylant und Asylantenfrage.

Kritik: Ein um sprachliche Inklusion bemühter »Leitfaden für Mitarbeitende der Berliner Verwaltung« konstatiert: »Der Begriff ist, auch durch die Instrumentalisierung politischer Gruppen, stark negativ konnotiert und wird häufig dann verwendet, wenn Geflüchtete als Bedrohung oder Belastung betrachtet werden.«41 Auch die Alternative Asylbewerber sei »irreführend«, weil es ein Grundrecht auf Asyl gebe, um das man sich nicht bewerben müsse. Besser seien die Ausdrücke Asylsuchende oder Schutzsuchende. Vorsichtiger bemerkt das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache zum Wort Asylant: »Es wird meist wertneutral verwendet, jedoch besonders im öffentlichen Sprachgebrauch gelegentlich als diskriminierend und abwertend empfunden.« Zu einer ähnlich zurückhaltenden Einschätzung kommt »Duden online«: »Die Bezeichnungen Asylant, Asylantin werden gelegentlich als diskriminierend empfunden.« Eindeutiger negativ urteilt der Anglist Anatol Stefanowitsch 2015 in einem Interview. Er widerspricht der Behauptung, Asylant sei früher »akzeptabel« gewesen, aber heute nicht mehr: » ›Asylant‹ war nie ein ganz normales Wort, es war immer negativ behaftet und grenzte sich von anderen Begriffen wie den ›Asylsuchenden‹ ab, die es damals ja auch schon gab.«42 Das Wort, so spezifiziert Stefanowitsch an andere Stelle, sei in den Siebzigerjahren geprägt worden, »um eine Unterscheidung zu treffen zwischen den ideologisch erwünschten ›politischen Flüchtlingen‹ aus dem Ostblock und dem unerwünschten, kulturell als fremdartig empfundenen Rest«.43 Der Sprachwissenschaftler tritt aber der Theorie entgegen, die negative Konnotation liege in der Endsilbe -ant begründet, die in abwertenden Ausdrücken wie Bummelant, Spekulant, Informant oder Querulant auftaucht. Die Problematik liege nicht in dieser Nachsilbe, die viel häufiger in neutralen und positiven Wörtern wie Lieferant, Kommandant, Fabrikant und Intendant zu finden sei.

Einschätzung: Die Behauptung, das Wort sei von Anfang an nur negativ und abwertend von Konservativen benutzt worden, ist nicht ganz korrekt – es sei denn, man würde Publikationen wie den »Spiegel«, »Süddeutsche Zeitung« oder »Die Zeit«, die Asylant gleich nach seinem Aufkommen regelmäßig verwendeten, als rechte Medien bezeichnen. Nur die »taz« hat den Begriff offenbar konsequent vermieden. Richtig ist, dass das Wort durch jahrzehntelange, oft negative Berichterstattung über Asylsuchende einen negativen Beiklang bekommen hat.

behindert

Ursprung: Das Adjektiv im Sinne von »aufgrund körperlicher oder geistiger Gebrechen zu manchen Tätigkeiten nur eingeschränkt fähig« entstand im 19. Jahrhundert aus dem seit dem 14. Jahrhundert nachweisbaren Verb behindern. Seine Verwendung sollte vermutlich ältere Wörter wie verkrüppelt durch einen sachlicheren Ausdruck ersetzen.

Gebrauch: Von Anfang an kommt das Wort oft in der Fügung körperlich behindert vor, die bereits als Beschreibung eines vorübergehenden Zustands gebräuchlich war. So schildert 1866 eine »soziale Skizze« aus der Landwirtschaft: »Nun war jener Bauer – Löser war sein Name – bei dieser Art der Wirthschaft wirklich körperlich behindert, vorzuarbeiten. Er konnte nicht zuerst dreschen oder gar vormähen, konnte einen halben Tag kaum dem Ochsenpflug folgen, wodurch sämtliches Gesinde ebenso lahm wurde, wie er.« Zuvor war schon seit etwa 1850 in medizinischer Literatur von körperlicher Behinderung die Rede.

Jünger ist die Verbindung geistig behindert. 1914 heißt es in einem Porträt über den Industriellen Andrew Carnegie, dass dieser es ablehne, gesunden, jungen Kindern etwas zu vererben: »Söhne, sie seien denn körperlich oder geistig behindert, sollen nach Beendigung ihrer Erziehung stets von unten beginnen, um was sie erreichen, sich selbst zu verdanken.«

Mindestens seit den 1930er-Jahren existiert das Substantiv Behinderter (»jemand, der behindert ist«), meist im Plural. Dazu gehören das in den frühen Siebzigern geprägte Adjektiv behindertengerecht sowie das Substantiv Schwerbehinderter, das im Laufe des 20. Jahrhunderts den älteren, gleichbedeutenden Begriff Schwerbeschädigter ablöste.

Seit den Achtzigerjahren werden behindert und Behinderter (dazu die Kurzform Behindi) in der Jugendsprache als Schimpfwörter gebraucht. Der Satz »Bist du behindert, oder was?« ist seitdem redensartlich.

Kritik: Im Sozialgesetzbuch ist heute nicht mehr von Behinderten die Rede, sondern von Menschen mit Behinderung. Unter § 2 SGB IX Begriffsbestimmungen (1) werden sie definiert: »Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.«

Das Wort behindert