Keeper of the Lost Cities – Das Feuer - Shannon Messenger - E-Book
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Keeper of the Lost Cities – Das Feuer E-Book

Shannon Messenger

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Beschreibung

Keeper of the Lost Cities. Das Feuer 
Ein episches Fantasy-Abenteuer der preisgekrönten New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin Shannon Messenger. Die mitreißende Fortsetzung der fantastischen Reihe um Elfen, Freundschaft und Magie mit jeder Menge Spannung für Mädchen und Jungen ab 12 Jahren.    

Wie weit wird Sophie gehen, um die Welt der Elfen zu schützen?
Magische Schulfächer und übernatürliche Fähigkeiten, die außer Kontrolle geraten: Sophies drittes Schuljahr an der Zauberschule Foxfire beginnt turbulent. Dabei hat sie brennende Fragen: Warum wurden ihre Entführer noch immer nicht gefasst? Und wer hat es auf das Alicorn abgesehen? Dann ordnet der Hohe Rat überraschend an, dass Sophie Fintan treffen soll – einen berüchtigten Pyrokinetiker und Mörder. Weiß er etwas über Sophies Herkunft? Sophie und ihre Freunde werden immer tiefer in einen Strudel von Enthüllungen gezogen, die den Frieden der Elfenwelt bedrohen …     

  • Das ideale Geschenk: Perfekter Lesestoff für Jungen und Mädchen ab 12 Jahren 
  • Wie eine richtig gute, actiongeladene Serie: Ein Jugendbuch über Fabelwesen, Magie, Liebe und Freundschaft
  • So macht Lesen Spaß: Fantastische Welten, starke weibliche Charaktere, verblüffende Wendungen und atemlose Spannung 
  • Zeitloses Fantasy-Epos: Fans von „Woodwalkers“, „Land of Stories“ und „Harry Potter“ werden dieses Buch verschlingen 
  • Extra-Motivation: Zu diesem Buch gibt es ein Quiz bei Antolin  

„Keeper of the Lost Cities. Das Feuer“ ist der dritte Teil der preisgekrönten magischen Fantasy-Reihe – voller Zauber, Action und Abenteuer!    

Alle Bände dieser Reihe:
Band 1: Keeper of the Lost Cities. Der Aufbruch (9783845840901)
Band 2: Keeper of the Lost Cities. Das Exil (9783845840918) 
Band 3: Keeper of the Lost Cities. Das Feuer (9783845844541)
Band 4: Keeper of the Lost Cities. Der Verrat (9783845846293) 
Band 5: Keeper of the Lost Cities. Das Tor (9783845846309) 
Band 6: Keeper of the Lost Cities. Die Flut (9783845846316) 
Band 7: Keeper of the Lost Cities. Der Angriff (9783845846323) 
Band 8: Keeper of the Lost Cities. Das Vermächtnis (9783845846330) 
Band 8,5: Keeper of the Lost Cities. Entschlüsselt (9783845851488) 
Band 9: Keeper of the Lost Cities. Sternenmond (9783845851495) - erscheint im August 2023

Weitere Bände sind in Planung.

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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2021

Text copyright © 2014 by Shannon Messenger

Titel der Originalausgabe: Keeper of the Lost Cities – Everblaze

Die Originalausgabe ist 2014 bei Simon and Schuster (Aladdin) erschienen.

© 2021 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, D-80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung: Doris Attwood

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung des Originalcovers

Coverillustration: Jason Chan, Typographie von geen graphy/shutterstock.com und Bildmaterial von agsandrew/shutterstock.com

Design: Karin Paprocki

Innenvignetten: Bildmaterial von Spicy Truffel/shutterstock.com

Satz: Müjde Puzziferri, MP Medien, München

eBook ISBN 978-3-8458-4637-8

Print ISBN 978-3-8458-4454-1

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Für Faith,

weil ich ohne mein

Book Babe verloren wäre

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

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Danksagungen

Über die Autorin

Weitere Titel

Prolog

Der Spiegel rutschte Sophie aus den Händen und landete mit einem leisen, dumpfen Geräusch auf dem mit Blütenblättern bestickten Teppich.

Das Glas überstand den Aufprall ohne den kleinsten Sprung. Doch Sophie selbst war innerlich zerbrochen.

Sie zwang sich zu einem Lächeln und lauschte dem Rest der Erzählung, während sie nach einem wenn auch noch so winzigen Anhaltspunkt oder Hinweis suchte, um diese schreckliche Möglichkeit ausschließen zu können.

Doch am Ende wusste sie es.

All die Zeit.

All die vergeudeten, hoffnungslosen Tage.

Ihre Entführer waren direkt vor ihrer Nase gewesen.

Hatten sie beobachtet.

Gewartet.

Vor aller Augen unsichtbar versteckt.

Sämtliche Anzeichen waren da gewesen. Sophie war nur zu blind gewesen, um sie zu erkennen.

Und jetzt war es zu spät.

1

Worauf wartest du denn?«, brüllte Keefe über den heulenden Wind und das tosende Meer hinweg. »Erzähl mir nicht, die große Sophie Foster hat Angst.«

»Ich versuche nur, mich zu konzentrieren!«, schrie Sophie zurück und wünschte sich, ihre Stimme würde nicht so zittern.

Nicht dass sie ihm etwas vormachen konnte.

Als Empath konnte Keefe die Angst spüren, die durch ihre Adern jagte wie eine in Panik geratene, wild durcheinandertrampelnde Mastodonherde. Alles, was Sophie tun konnte, war, sich eine juckende Wimper auszuzupfen – eine nervöse Angewohnheit – und zu versuchen, nicht darüber nachzudenken, wie furchtbar tief sich der Ozean unter ihnen befand.

»Du solltest auch Angst haben«, erwiderte Sandor mit seiner seltsam quietschenden Stimme. Er legte eine graue Koboldhand auf Sophies Schulter und zog sie vom Rand der Klippe zurück. »Es muss doch eine sicherere Möglichkeit zum Teleportieren geben.«

»Gibt es aber nicht.«

Meistens war Sophie dankbar dafür, dass sie unter dem ständigen Schutz ihres stämmigen Leibwächters stand – vor allem seit ihre Entführer bewiesen hatten, dass sie sie immer und überall finden konnten.

Aber manchmal musste sie eben Risken eingehen.

Sie schüttelte Sandors Hand ab – was ziemliche Kraft erforderte, schließlich war er über zwei Meter groß und sein Bizeps so mächtig wie ein Felsbrocken –, schob sich ein paar Zentimeter nach vorn und erinnerte sich selbst daran, dass ihr Teleportieren immer noch lieber war als Lichtspringen. Trotz der Nexus an ihren Handgelenken und des Kraftfelds, das sie erzeugten, um ihren Körper während des Sprungs zusammenzuhalten, war Sophie schon zu oft verblasst, um sich bei den Sprüngen wirklich sicher zu fühlen.

Dennoch wünschte sie sich, der freie Fall wäre kein wesentlicher Bestandteil des Teleportierens.

»Soll ich dir einen Schubs geben?«, bot Keefe an und lachte schallend, als Sophie sich von ihm losriss. »Komm schon, das wird lustig – für mich zumindest.«

Dex schnaubte laut hinter ihnen. »Und ausgerechnet er darf heute mit dir gehen?«

»Äh, sie darf wohl eher mit mir gehen«, korrigierte Keefe ihn und setzte sein typisches Grinsen auf. »Komm schon, sag Dex, wen der Hohe Rat zuerst kontaktiert hat.«

»Nur weil dein Vater jetzt dafür zuständig ist, Besuche in der Zuflucht zu organisieren«, erinnerte Sophie Keefe.

»Äh, zuerst ist trotzdem zuerst. Gib es einfach zu, Foster: Du brauchst mich.«

Sophie hätte ihm liebend gern widersprochen, aber unglücklicherweise hatte der Hohe Rat tatsächlich darauf bestanden, dass Keefe sie begleitete. Anscheinend hatte Silveny einige Schwierigkeiten in ihrem neuen Zuhause, dem speziellen Tierschutzreservat der Elfen, und da sowohl Sophie als auch Keefe eine starke Verbindung zu dem wertvollen Alicorn hatten, hatte der Hohe Rat sie beide gebeten, sich unverzüglich in die Zuflucht zu begeben.

Die Hohen Räte mussten ziemlich verzweifelt sein, wenn sie bereit waren, Keefe zu vertrauen …

»Tut mir leid, Dex«, sagte Sophie und versuchte, sich keine Sorgen zu machen. »Du weißt, dass ich dich mitnehmen würde, wenn ich es könnte.«

Dex lächelte – wenn auch nicht genug, um seine Grübchen zu zeigen – und machte sich wieder an dem Schloss zu schaffen, das zu öffnen Sophie ihn gebeten hatte.

Eigentlich hatte Sophie Dex gar nicht erzählen wollen, dass Keefe sie begleitete, weil sie Angst gehabt hatte, er würde sich dann wieder ausgeschlossen fühlen. Aber da Grady wegen eines Geheimauftrags unterwegs und Edaline damit beschäftigt war, ein Verminion retten zu helfen – eine violette, hamsterartige Kreatur von der Größe eines Rottweilers –, bevor die Menschen es entdeckten, brauchte Sophie einen Technopathen, um durch das Tor auf den Klippen zu gelangen.

»Falls du dich dann besser fühlst: Sandor darf auch nicht mitkommen«, fügte sie hinzu, bedauerte ihre Worte jedoch sofort, als Sandor wütend zu ihnen herumwirbelte.

»Ja, und das ist völlig absurd! Ich sollte dich schließlich beschützen – und nicht wegen irgendwelcher willkürlichen neuen Regeln davon abgehalten werden!«

»Hey, nicht mal mein Dad darf uns begleiten. Aber keine Sorge«, sagte Keefe und schlang einen Arm um Sophies Schultern, »ich passe gut für dich auf sie auf.«

Sophie war sich nicht sicher, wer lauter stöhnte, sie selbst oder Dex.

Sandor packte Keefe an den Schultern und hob ihn vom Boden hoch. »Wenn ich auch nur einen einzigen Kratzer an ihr finde –«

»Hey, ganz ruhig, Gigantor«, krächzte Keefe, trat wie wild um sich und versuchte, sich zu befreien. »Ich werde nicht zulassen, dass ihr irgendwas passiert. Andererseits sollten wir auch nicht vergessen, dass wir hier von Sophie sprechen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass wir am Ende Elwin einen Besuch abstatten müssen.«

Selbst Dex musste darüber lachen.

Sophie bedachte alle beide mit einem wütenden Funkeln.

Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass sie mit ihren Besuchen im Heilungszimmer in der Schule einen neuen Rekord aufgestellt hatte – und da waren Elwins unzählige Hausbesuche noch gar nicht mit eingerechnet. Sophie hatte sich schließlich nicht ausgesucht, dass sie eine tödliche Allergie hatte oder genetisch verstärkte Fähigkeiten besaß, die sie nicht immer richtig kontrollieren konnte. Und sie hatte ganz sicher nicht um eine Gruppe von Rebellen gebeten, die versuchte, sie umzubringen – und deretwegen sie höchstwahrscheinlich auf Sandor hören und wirklich nirgends ohne ihn hingehen sollte.

»Uns passiert schon nichts«, versprach Sophie, steckte sich ihr blondes Haar hinter die Ohren und versuchte, zuversichtlicher zu klingen, als sie sich fühlte. »Ich kann uns direkt in die Zuflucht teleportieren. Außerdem haben sie die Sicherheitsvorkehrungen verdreifacht, seit Silveny dort eingezogen ist.«

»Und ihr kommt anschließend direkt zurück nach Hause«, fügte Sandor hinzu und wartete darauf, dass Keefe nickte, bevor er ihn wieder absetzte. »Ich will, dass ihr in einer Stunde wieder hier seid.«

»Oh, komm schon«, jammerte Keefe, während er seinen dunkelblauen Umhang zurechtrückte. »Wir haben Silveny seit zwei Wochen nicht mehr gesehen.«

Sophie lächelte.

Sie hätte nie geglaubt, dass Keefe jemals so an einem glitzernden geflügelten Pferd hängen würde. Aber er schien Silveny genauso sehr zu vermissen wie sie selbst. Vielleicht sogar noch mehr – schließlich übertrug das Alicorn ihm nicht jedes Mal, wenn er es sah, eine solche Flut von Gedanken, dass ihm der Kopf nur so schwirrte.

Silveny war das einzige Wesen, dessen Gedanken Sophie mit ihren einzigartigen telepathischen Fähigkeiten nicht blockieren konnte, was vermutlich daran lag, dass die Leute von Black Swan, als sie sie »erschufen«, Sophies Gene der DNA eines Alicorn nachempfunden hatten – eine Tatsache, von der sie alles andere als begeistert war. Ihre Freunde hatten ihr zwar versichert, dass sie es überhaupt nicht seltsam fanden, aber Sophie selbst fühlte sich trotzdem wie das »Pferdemädchen«.

»Du weißt doch, wie panisch Silveny sein kann«, erinnerte sie Sandor und versuchte, sich auf das aktuelle Problem zu konzentrieren. »Es wird allein ein paar Stunden dauern, um sie zu beruhigen.«

Sandor grummelte leise etwas vor sich hin. »Na schön. Ihr habt Zeit bis Sonnenuntergang – aber wenn ihr zu spät kommt, dann mache ich allein dich dafür verantwortlich, MrSencen. Und vertrau mir, wenn ich sage: Du willst nicht, dass das passiert.«

»Fürchte den Zorn von Gigantor – alles klar.« Keefe zerrte Sophie an den Klippenrand. »Los geht’s.«

»Ich schätze, wir sehen uns dann am Montag in der Schule«, murmelte Dex und starrte zu Boden, während er seinen Heimkristall herausholte. »Ich stelle den Mechanismus so ein, dass sich das Schloss mit deiner DNA öffnen lässt, deshalb wirst du mich wahrscheinlich nicht mehr brauchen.«

»Ich werde dich immer brauchen, Dex«, versicherte Sophie ihm und errötete ein wenig, als sie hastig hinzufügte: »Du bist mein bester Freund.«

»Und ich kann mich nur wiederholen, Kumpel«, warf Keefe begeistert ein. »Wenn du endlich bereit bist, deine Fähigkeit öffentlich zu machen – und das solltest du wirklich dringend, ehrlich –, dann müssen wir beide uns zusammentun. Wir könnten in Dame Alinas Büro einbrechen und überall Dinosaurierkacke verteilen. Oder Alicorn-Glitzerkacke! Oder wir könnten –«

»Und dem vertraust du deine Sicherheit an?«, unterbrach Sandor und sah aus, als würde er Keefe am liebsten erwürgen.

»Ich kann selbst auf mich aufpassen«, erinnerte Sophie ihn und tippte sich an die Stirn. »Bewirkerin, schon vergessen?«

Sie mochte vielleicht gemischte Gefühle haben, was ihre Fähigkeit betraf, anderen Menschen Schmerzen zuzufügen, aber sie würde sich ganz bestimmt als nützlich erweisen, falls die Rebellen sie tatsächlich angriffen.

»Also, können wir dann?«, fragte Keefe und holte weit mit dem Arm aus, bevor er imitierte, wie sie in den Abgrund tauchten.

Sophies Mund fühlte sich auf einmal ganz trocken an.

»Du kannst das, Foster. Hör auf, an dir selbst zu zweifeln.«

Sie nickte und versuchte, nicht nach unten zu schauen, als sie fragte: »Weißt du noch, wie Teleportieren funktioniert?«

»Na ja, beim letzten Mal sind wir praktisch in den Tod gestürzt, deshalb ist meine Erinnerung daran ein bisschen verschwommen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich nur an dich klammern und dabei kreischen muss wie eine Banshee, während du eine Spalte ins Universum reißt, richtig?«

»So was in der Art. Okay, auf drei geht’s los.«

Sandor protestierte erneut mit einem Grummeln, während sie beide in die Knie gingen.

»Eins«, zählte Sophie und drückte Keefes Hand so fest, dass ihre Knöchel knackten.

»Zwei.«

Sie ließ sich einen Hauch mehr als eine Sekunde Zeit, bevor sie die Augen schloss und die letzte Zahl flüsterte.

»Drei.«

Das Wort hatte ihre Lippen kaum verlassen, als sie beide von der Klippe absprangen.

Keefe kreischte und brüllte und zappelte, aber Sophie blieb vollkommen ruhig und versuchte, alles um sich herum auszublenden – abgesehen von der Wärme, die sich in ihrem Geist bildete, und dem Adrenalin, das durch ihre Adern strömte.

Tiefer, tiefer und tiefer stürzten sie, bis Sophie spürte, wie die salzige Gischt auf ihre Wangen sprühte. Doch als sie gerade schreien wollte, machte etwas in ihrem Geist klick, und sie bündelte die brennende mentale Energie hinauf Richtung Himmel.

Donner knallte, als sich eine Spalte in der Luft auftat, und im nächsten Augenblick fielen sie in die Dunkelheit.

Raum und Zeit existierten in dieser Leere nicht. Es gab kein Oben und Unten. Kein Links und Rechts. Nur den Sog der Kraft und die Wärme von Keefes Hand. Aber Sophie wusste, dass sie nur an den Ort denken musste, an den sie wollten, dann wären sie wieder frei.

Die Zuflucht, dachte sie und stellte sich die saftig grünen Wiesen und weiten Wälder vor, die sie auf Bildern gesehen hatte. Dank ihres fotografischen Gedächtnisses konnte Sophie sich an jedes einzelne lebendige Detail erinnern, bis hin zu den winzigen Tautropfen, die sämtliche Blüten und Blätter bedeckten und in der strahlenden Sonne glitzerten.

»Bist du noch bei mir, Foster?«, rief Keefe, als kein Ausgang auftauchte.

»Ich glaube schon.«

Sophie kniff die Augen noch fester zusammen und stellte sich die ausgehöhlten Berge vor, die die Zuflucht vom Rest der Welt abschirmten, und all die Tiere in allen erdenklichen Formen und Farben, die über die Weiden streiften. Sie versuchte sogar, sich vorzustellen, wie sie selbst mit Keefe auf einer der Wiesen stand und Silveny beobachtete, die mit schillernden silbernen Flügeln über ihnen kreiste.

Doch als sie die Augen wieder öffnete, sah sie nichts als Schwarz – dicht und erdrückend und unentrinnbar.

Panik schnürte ihr die Brust zusammen, und Sophie schnappte nach Luft und versuchte, sich mit aller Kraft ihres Geistes auf die Zuflucht zu konzentrieren.

Bohrende Schmerzen brannten sich in ihren Kopf, so intensiv, dass sie das Gefühl hatte, ihr Hirn würde zerplatzen. Aber die Schmerzen waren nicht annähernd so furchteinflößend wie die Erkenntnis, die sie begleitete.

Sie waren in der Leere gefangen.

2

Beruhige dich, wir kriegen das schon wieder hin«, versprach Keefe Sophie, die die Hände an ihren Kopf krallte und vor Schmerzen stöhnte. »Hast du irgendwas anders gemacht als sonst?«

Sophie atmete ganz langsam und tief durch und versuchte, trotz ihrer Panik klar zu denken. »Nein. Ich kann mir genau vorstellen, wo wir hinmüssen. Aber es ist, als würde mein Geist gegen eine Wand prallen, wenn ich versuche, uns dort hinzubringen.«

»Hast du versucht, uns irgendwo anders hinzubringen?«, fragte Keefe. »Vielleicht sind rund um die Zuflucht ja irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen in Kraft, um Teleportierende abzuhalten.«

Sophie bezweifelte dies zwar, da sie der einzige Elf war, der überhaupt teleportieren konnte, aber einen Versuch war es trotzdem wert.

Leider fiel ihr nur kein anderer Ort ein, an den sie sie bringen konnte. Ihre Gedanken rasten in eine Million Richtungen, aber sie endeten alle im Nichts.

»Wie wär’s mit zu Hause?«, schlug Keefe vor. »Kannst du uns nach Hause bringen?«

Ein Bild blitzte in Sophies Geist auf, so scharf und klar, dass ihr das Wasser in die Augen trat. Oder vielleicht galten die Tränen auch dem schmalen Spalt, der endlich in der Dunkelheit aufriss. Ihr blieb gerade genügend Zeit, Keefes Hand noch fester zu umschließen, bevor ein mächtiges Donnergrollen die Luft erfüllte und sie aus der Leere geschleudert wurden.

Sie knallten hart auf dem Boden auf und purzelten über nasses Gras, bevor sie in einem verwickelten Haufen aus Gliedmaßen liegen blieben. Sophie setzte sich als Erste wieder auf, wand sich aus Keefes Armen und schaute in den grauen, wolkenverhangenen Himmel empor.

»Äh … das hier ist nicht Havenfield«, sagte Keefe und blickte mit zusammengekniffenen Augen die schmale, von schlichten, eckigen Häusern gesäumte Straße hinunter.

»Ich weiß.« Sophie nahm all ihre Konzentration zusammen und stellte sich eine unsichtbare Mauer vor, die ihren Kopf umschloss, um sich vor all den Stimmen zu schützen, die auf ihr Gehirn einprasselten. Sie hatte vergessen, wie laut die Gedanken der Menschen sein konnten. »Das hier ist San Diego.«

Keefe rappelte sich auf. »Du hast uns in eine Verbotene Stadt teleportiert? Okay. Das. Ist. Der. Hammer! Versteh mich nicht falsch – ich hätte gut darauf verzichten können, beinahe bis in alle Ewigkeit im endlosen schwarzen Nichts festzustecken, aber das hier ist genial! Ich meine, das da ist ein Mensch!«

Er zeigte auf die andere Straßenseite, wo eine Mutter in einem leuchtend blauen Jogginganzug mit ihrem Baby im Kinderwagen joggte.

»Ja, und sie kann uns höchstwahrscheinlich hören«, flüsterte Sophie.

Sie war sich sicher, dass alle die beiden Teenager in ihren seltsamen Klamotten bemerkt hatten, die im wahrsten Sinne des Wortes einfach vom Himmel gefallen waren. Aber die paar Leute, die draußen unterwegs waren, schauten überhaupt nicht in ihre Richtung und waren viel zu sehr damit beschäftigt, mit ihren Hunden Gassi zu gehen oder in ihre Briefkästen zu gucken.

»Ich glaube nicht, dass sie wissen, dass wir hier sind«, erwiderte Keefe und deutete auf eine kleine schwarze Kugel in einem überwucherten Margeritenstrauch. Eine zweite befand sich direkt neben dem mächtigen Stamm eines Bergahorns, der in der Mitte des Vorgartens aufragte, und drei weitere entlang des Wegs.

Verdunkler.

Sophie hatte erst ein einziges Mal eine dieser Vorrichtungen gesehen, die Licht und Geräusche bündeln konnten – in den Händen ihrer Entführer, als sie ihr und Dex auf einer Brücke in Paris aufgelauert hatten.

Bei einem der Entführer hatte es sich um denselben blonden Elf gehandelt, der schon Monate zuvor versucht hatte, Sophie zu verschleppen. Damals hatte er sich als menschlicher Jogger verkleidet – in derselben Straße, in der sie nun standen.

Sophie ging zu der Stelle, an der sie ihm damals gegenübergestanden hatte, in der Hoffnung, es würde ihr dabei helfen, sich an irgendetwas Neues zu erinnern. Aber alles, was sie vor sich sehen konnte, war sein Gesicht – und Alden hatte sein Bild bereits in die Datenbank des Hohen Rats eingespeist, in der alle Elfen aufgeführt waren, die jemals geboren worden waren.

Sie hatten jedoch keine Übereinstimmung gefunden.

Der Mann war ein Geist. Er war nur real gewesen, als er aus den Schatten gesprungen war, genau wie die anderen Rebellen in ihren dunklen Kapuzenumhängen, auf deren Ärmeln ein unheimliches Auge in einem weißen Kreis aufgenäht war.

»Vielleicht sollten wir lieber wieder gehen«, sagte Sophie, blickte über ihre Schulter und erwartete beinahe, die Rebellen wieder auf sie zujoggen zu sehen.

»Machst du Witze? Ich wollte schon immer sehen, wo die geheimnisvolle Miss Foster aufgewachsen ist.« Keefe drehte sich zu ihrem verwitterten alten Haus um. »Es ist … klein.«

Verglichen mit den Kristallpalästen in ihrer neuen Welt glich es tatsächlich einem armseligen Schuppen. Aber im Gegensatz zu den Elfen bekamen die Menschen nun mal keinen Geburtsfonds und konnten ihr Leben nicht mit mehr Geld beginnen, als sie jemals brauchen würden.

»Und es riecht auch ziemlich komisch«, fand Keefe. »Was ist das?«

»Smog, schätze ich.«

Sophie hatte schon völlig vergessen, wie sauer die Luft in der Menschenwelt schmeckte. Am liebsten hätte sie gar nicht mehr geatmet. Und angesichts all der Ölflecken auf den Straßen und des Abfalls in den Rinnsteinen war es ihr beinahe peinlich zuzugeben, dass sie einmal hier gelebt hatte.

Und trotzdem war es der erste Ort gewesen, an den sie gedacht hatte, als Keefe »nach Hause« gesagt hatte.

Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, als sie auf die Haustür zuging. Natürlich war sie abgeschlossen. Auch die Jalousien waren heruntergelassen. Eine der Lamellen hatte jedoch einen Knick, und als Sophie durch das Fenster schaute, sah sie, dass das Haus komplett leer geräumt war, bis auf die kahlen Betonmauern und die Dämmung in den Wänden.

Es hätte Sophie nicht überraschen sollen. Sie wusste, dass ihre Familie nicht mehr hier wohnte – und sie hatte auch bereits gesehen, wo die Elfen all ihre alten Sachen aufbewahrten: in einem namenlosen Gebäude in Mysterium, einer der kleineren Elfenstädte.

Doch als sie nun auf die leere Hülle ihres alten Lebens starrte, kam es ihr vor, als wären all ihre Erinnerungen nur ein Traum. Es war nichts mehr übrig, das bewiesen hätte, dass irgendetwas davon wirklich real war.

Es sei denn …

Sie eilte zu der kleinen Treppe, die zum Haus hinaufführte, und fiel vor der obersten Stufe auf die Knie, an der die krakelige Handschrift ihres Vaters noch immer in den Beton geritzt war.

W. D. F.

E. I. F

S. E. F.

A. R. F.

Sie fuhr mit den Fingern über die Initialen. »Sie haben mich nicht gelöscht.«

Keefe versuchte angestrengt, die undeutlichen Buchstaben zu entziffern. »Steht da ›Elf‹?«

»Nein, das ist ein I. Emma Iris Foster. Mein Dad hieß William David Foster und meine Schwester Amy Rose Foster. Aber jetzt heißen sie natürlich anders.«

Nun waren sie Connor, Kate und Natalie Freeman.

Eigentlich sollte Sophie ihre neuen Namen gar nicht kennen. Aber Black Swan hatte sie ihr verraten, auch wenn sie niemandem davon erzählt hatte.

»Hier hat Fitz dich also gefunden, ja?«, wollte Keefe wissen. »Ich habe mich immer gefragt, wohin er bei seinen ›Geheimaufträgen‹ verschwunden ist – und ich hätte ganz sicher einen Weg gefunden, ihm zu folgen, wenn ich gewusst hätte, dass er irgendwelchen Mädchen nachjagt.«

»Er ist mir nicht nachgejagt«, sagte Sophie und spürte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. »Na ja … Er musste mir schon nachjagen, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, weil ich vor ihm geflohen bin. Aber er hat mir auch echt Angst gemacht.«

»Fitz ist ziemlich furchteinflößend.«

»Hey, wenn du sieben Jahre lang eine geheime Fähigkeit versteckt hast und dich ein völlig Fremder mitten in einem Museum plötzlich enttarnt, dann rennst du weg. Ganz egal wie süß er ist.«

Am liebsten hätte sich Sophie die Hände auf den Mund geklatscht, sobald ihr die Worte über die Lippen gekommen waren, aber das hätte die Sache nur noch schlimmer gemacht.

Alles, was sie stattdessen tun konnte, war knallrot anzulaufen und darauf zu warten, dass Keefe sie deswegen zu necken begann.

Er räusperte sich. »Was ist mit diesem anderen Jungen? Dem, der verschwunden ist? War das auch hier?«

»Ich glaube schon.«

Ein Teil von ihr hasste es, dass Keefe ihre Geheimnisse kannte – jedenfalls die meisten. Aber sie hatte sie ihm anvertrauen müssen, als sie gemeinsam versucht hatten, Alden zu retten, und Keefe wurde nicht müde, ihr diese Tatsache unter die Nase zu reiben. Nicht dass Sophie sich noch an besonders viel erinnern konnte, was den geheimnisvollen Jungen betraf.

Sie wusste jedoch, dass er wichtig sein musste, weil sie eine verschwommene Erinnerung daran hatte, wie er verschwunden war, als sie selbst fünf gewesen war – Jahre bevor Fitz sie gefunden und ihr erklärt hatte, dass sie ein Elf war. Und sie konnte sich auch noch daran erinnern, dass der Junge ein blaues Brambletrikot getragen hatte, ein Spiel, das nur Elfen spielten. Außerdem war es ungefähr zur selben Zeit passiert, als MrForkle ihre Telepathie ausgelöst hatte, deshalb musste es einen Zusammenhang geben.

Doch Black Swan hatte die entsprechenden Seiten aus Sophies altem Tagebuch herausgerissen und die Erinnerung aus ihrem Gedächtnis gelöscht, abgesehen von den wenigen vagen Details, die sie noch hatte aufspüren können.

»Er hat genau hier gestanden«, sagte Sophie, ging zu dem Bergahorn hinüber und strich mit den Fingern über einen Ast.

Er musste größer gewesen sein, als sie geglaubt hatte. Kein kleiner Junge mehr, sondern eher ein Teenager. Und da war noch etwas … irgendein weiteres Detail. Sophie war so nahe dran, dass sie förmlich spüren konnte, wie es an ihrem Bewusstsein kitzelte. Doch ganz gleich wie sehr sie sich auch konzentrierte, sie konnte es einfach nicht greifen.

»Hey, das ist noch lange kein Grund, die unschuldige Flora zu bestrafen«, rief Keefe, als sie frustriert gegen den Baum trat. »Ich bin mir sicher, dass Black Swan dir bald alles erzählen wird.«

Sophie wünschte, sie könnte ihm glauben. Sie war sich sicher gewesen, dass die Black-Swan-Leute nun wirklich mit ihr zusammenarbeiten würden, vor allem nachdem sie ihr Leben riskiert hatte, damit sie Sophies Fähigkeiten heilen konnten. Doch inzwischen waren bereits zwei Wochen verstrichen, seit sie während des Angriffs der Rebellen aus Black Swans Versteck geflohen waren, und sie hatte noch immer keinen Mucks von ihren Erschaffern gehört. Keine Nachricht. Keinen Hinweis. Noch nicht einmal das geringste Anzeichen dafür, dass sie Sophie immer noch beobachteten.

Sie drehte sich zu dem blassblauen Haus nebenan um, vor dem MrForkle tagein, tagaus gesessen hatte, von den vielen Ruckelbeeren, die er aß, ganz aufgedunsen und runzlig und dadurch perfekt getarnt. Er hatte zwölf Jahre damit verbracht, auf seinem Rasen zu sitzen und mit seinen albernen Gartenzwergen zu spielen, um Sophie im Auge behalten zu können. Und nun waren nur noch ein paar ausgebleichte Figuren übrig, die sie mit ihren winzigen, hässlichen Gesichtern durch das wuchernde Unkraut anglotzten.

»Was sollen die Dinger denn darstellen?«, fragte Keefe, als er ihr zu dem Blumenbeet folgte.

»Gnome.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch. Obwohl die Menschen sie Gartenzwerge nennen. Und du solltest erst mal sehen, wie sie sich Elfen vorstellen: mit Glöckchen an den Schuhen und spitzen Ohren. Obwohl, was die Ohren angeht, haben sie ja wirklich recht, schätze ich.«

Sophie war noch immer nicht begeistert darüber, dass ihren Ohren irgendwann Spitzen wachsen würden, wenn sie älter wurde. Aber wenigstens musste sie sich dank der unbegrenzten Lebensspanne der Elfen darüber für die nächsten paar Tausend Jahre keine Sorgen machen.

Keefe lachte und ging in die Hocke, um die kleinen Figuren mit den spitzen Zipfelmützen genauer betrachten zu können. »Okay, ich muss einen von denen mit nach Hause nehmen. Mein Agrikulturmentor wird sich in die Hose machen.«

»Warte«, sagte Sophie, als Keefe nach einem der Zwerge griff, der auf einem regenbogenbunten Pilz hockte. »Was, wenn es ein Hinweis ist?«

Es schien keine Logik dahinterzustecken, wie die Zwerge aufgereiht waren, aber irgendetwas an ihrer Anordnung kam Sophie dennoch vertraut vor. Sie ließ ihren Blick verschwimmen, und während die Schatten zu einem dunklen Wirbel verschmolzen, drang in ihrem Kopf langsam eine Erinnerung an die Oberfläche.

»Cygnus!«

»Was ist ein Cygnus?«, fragte Keefe, als Sophie auf die Knie fiel und begann, in dem Blumenbeet zu graben.

»Ein Sternbild. Jeder Zwerg ist einer der Sterne. Wir nennen sie Aquello, Fuschaire, Rosine, Grisenna, Sapphilene, Scarletina, Nievello, Gildere und Peacerre, aber die Menschen nennen das Sternbild Cygnus.«

»Okay, Miss Ich-kenne-alle-Sterne-auswendig, kein Grund, hier anzugeben. Trotzdem verstehe ich immer noch nicht, warum du hier buddelst wie ein Zwerg.«

»Weil Cygnus ›Schwan‹ bedeutet«, erklärte Sophie und schaufelte eine weitere Hand Erde aus. »Das Sternbild besteht aus zehn Sternen. Aber hier sind nur neun Gartenzwerge. Deshalb suche ich an der Stelle, die dem zehnten Stern entsprechen würde.«

Glitschiger Schlamm klebte unter ihren Nägeln, aber Sophie grub immer weiter. Nach einer Minute streiften ihre Fingerspitzen etwas Kaltes, Glattes.

»Das ist … eine Flasche«, sagte Keefe, als sie eine winzige grüne Phiole zum Vorschein brachte und das Kristall im Gras sauber wischte.

»Und eine Nachricht«, fügte Sophie hinzu, entfernte den Glaskorken und kippte die Flasche, bis ein zusammengerolltes Stück Papier herausrutschte.

Keefe schnappte sich die Nachricht, bevor Sophie danach greifen konnte. »Die sollte lieber jemand lesen, der nicht voller Matschpampe ist.«

Damit hatte er nicht ganz unrecht.

Sophie wischte sich die Hände im Gras sauber, während Keefe die Nachricht stirnrunzelnd betrachtete. »Was?«, fragte sie.

»Das wird dir nicht gefallen.«

»Das tut es nie.« Black Swan konnte nervtötend vage sein, was Hinweise betraf. Aber Sophie war froh, dass sie wenigstens wieder mit ihr Kontakt aufnahmen. Zumindest bis Keefe ihr die Nachricht zeigte.

Warte auf Anweisungen und halte Dich an den Plan.

»Das reimt sich ja noch nicht mal«, grummelte er und steckte die Nachricht zurück in die Flasche. »Und was überhaupt für ein Plan?«

Sophie nahm ihm die Phiole ab, roch an der Öffnung und musste würgen, als sie den vertrauten salzigen Geruch wahrnahm.

Es war dieselbe grüne Flasche, aus der sie eine volle Unze Limbium getrunken hatte – woran sie dank ihrer Allergie beinahe gestorben wäre –, damit sie die Fähigkeit wiedererlangte, den Geist anderer zu heilen.

»Prentice ist der Plan«, erklärte sie Keefe und rieb über die sternförmige Narbe auf ihrem Handrücken. MrForkle hatte die Wirkung eines menschlichen Arzneimittels gegen die allergische Reaktion verstärkt und es Sophie injiziert, aber die Wunde an der Einstichstelle war nie wieder ganz verschwunden. »Sie wollen mir damit sagen, dass ich noch warten soll, bis sie der Ansicht sind, es sei an der Zeit, ihn zu heilen.«

»Na, ich finde trotzdem, dass sie die Nachricht hätten reimen können. Warte auf Anweisungen und halte dich an den Plan. Und jetzt spring sicher wieder nach Haus. Gezeichnet: Black Swan.«

Sophie war zu enttäuscht, um zu lachen.

Sie wollte Prentice unbedingt heilen. Und sie wollte nicht damit warten.

Prentice war Hüter für Black Swan gewesen, und vor dreizehn Jahren hatte er zugelassen, dass sein Geist bei einem Erinnerungsbruch gebrochen wurde, um Sophies Existenz vor dem Rest der Elfenwelt geheim zu halten. Sie hasste es, dass er stöhnend und sabbernd in einer winzigen Zelle im Exil eingesperrt war und darauf wartete, dass sie ihn aus der Dunkelheit befreite.

Außerdem stieg mit jedem weiteren Tag die Chance, dass Alden erneut einen Zusammenbruch erlitt. Sein Geist war aufgrund der Schuldgefühle, die er wegen seiner eigenen Rolle bei Prentice’ Erinnerungsbruch empfand, schon einmal beinahe zerstört worden – Sophie hatte ihn zwar wieder geheilt, doch die einzige Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass er keinen Rückfall erlitt, bestand darin, Prentice zurückzubringen.

Die Hohen Räte beratschlagten jedoch noch immer darüber, ob sie es erlauben sollten, Prentice zu heilen. Und allem Anschein nach war auch Black Swan zufrieden damit, sich einfach zurückzulehnen und abzuwarten.

»Hey, woher wussten sie überhaupt, dass wir hierherkommen würden?«, rief Keefe plötzlich, während Sophie die kleine Flasche ein wenig energischer als nötig in ihre Tasche stopfte. »Ich meine, sie haben zwar schon alle möglichen verrückten Sachen angestellt, aber ich glaube, nicht mal sie hätten vorhersehen können, dass du Schwierigkeiten beim Teleportieren haben würdest und uns zu deinem alten Zuhause bringst anstatt zurück in dein neues.«

»Ja«, stimmte Sophie ihm zu, auch wenn sie den Gedanken hasste, dass die einzige neue Nachricht, die Black Swan ihr geschickt hatte, wahrscheinlich gar nicht neu war. »Sie müssen wohl einfach angenommen haben, dass ich irgendwann hierherkommen würde.«

Trotzdem musste sie sich um ein wichtigeres Problem kümmern als nur um die Tatsache, dass Black Swan so starrsinnig war – mal wieder.

Weder sie noch Keefe waren alt genug, um einen eigenen Wegfinder zu besitzen, deshalb mussten sie einen Sprungmaster finden – einen Apparat aus Sprungkristallen –, um in die Zuflucht springen zu können.

»Hast du deinen Heimkristall dabei?«, fragte sie Keefe.

»Ja. Warum?«

»Teleportieren ist nicht sicher, solange ich nicht herausgefunden habe, was bei diesem Versuch schiefgelaufen ist. Außerdem ist hier nirgendwo eine Klippe, von der wir uns stürzen könnten. Und wenn wir zurück nach Havenfield springen, wird Sandor uns garantiert nicht wieder weglassen – vor allem jetzt, wo klar ist, dass wir nur bis vors Tor der Zuflucht kommen und warten müssen, bis uns jemand reinlässt.«

Keefe starrte auf seine Füße und wirkte angesichts dieser Aussicht genauso wenig begeistert, wie Sophie sich fühlte. Sein Vater stand definitiv ganz oben auf ihrer Liste mit Leuten, denen sie am liebsten aus dem Weg ging.

»Silveny braucht uns«, sagte Sophie, um sich selbst und Keefe daran zu erinnern.

»Ich weiß. Aber …«

»Was?«, fragte sie, als er den Satz nicht zu Ende brachte.

»Ich … bringe nie Freunde mit nach Hause.«

Er fummelte an der Schnalle herum, die seinen Umhang zusammenhielt: das Sencen-Familienwappen. Zwei mit Edelsteinen besetzte Hände, die eine smaragdgrüne Kerze hielten. Sein Vater hatte es ihm erst vor wenigen Wochen gegeben, obwohl die meisten Kinder ihr Familienwappen schon ihr ganzes Leben lang trugen.

»Okay«, erwiderte Sophie langsam, »ich schätze, dann müssen wir wohl zurück nach Havenfield. Wenn wir direkt zum Sprungmaster rennen, können wir es vielleicht schaffen, bevor Sandor uns aufhält.«

»Nein, können wir nicht.«

Wahrscheinlich nicht. Sandor würde sie mit seinen beinahe übernatürlichen Koboldsinnen in derselben Sekunde aufspüren, in der sie eintrafen.

»Es ist trotzdem einen Versuch wert.« Sie holte ihren eigenen Heimkristall hervor – einen Anhänger mit einer einzigen Facette – und hielt ihn ins Licht.

Keefe starrte auf den Lichtstrahl, der Richtung Boden reflektiert wurde. »Das ist doch albern.«

Er zog seinen Heimkristall heraus und schuf einen Lichtpfad.

Sophie musste keine Empathin sein, um die Anspannung in seinem Griff wahrzunehmen oder zu spüren, wie seine Finger zitterten, als er sie zwischen ihre schob. Auch ihre eigenen Hände zitterten.

Doch keiner von ihnen sagte ein Wort, als sie ins Licht traten, und dann riss sie der warme, fedrige Sog mit sich fort.

3

Wow«, flüsterte Sophie und starrte wie gebannt auf die Villa, die vor ihr aufragte.

Nein, Villa war nicht das richtige Wort. Wolkenkratzer vielleicht?

Obwohl ihr angesichts des flauen Gefühls in ihrem Magen finsterer Turm der Verdammnis noch passender erschien.

»Ja … Mein Dad ist eher der Mehr-ist-mehr-Typ«, sagte Keefe und führte sie durch einen eisernen Torbogen, in den kunstvoll das Wort »Candleshade« geschmiedet war.

Sophie reckte den Hals und versuchte zu erraten, wie hoch der Turm war. Es mussten mindestens hundert Stockwerke sein, bevor sich das Hauptgebäude in eine Reihe schmaler Türme teilte, jeweils gekrönt von einem geschwungenen goldenen Dach, das Sophie an eine Flamme erinnerte. Es gab jedoch keine Fensterreihen, die ihr verraten hätten, ob sie richtig lag. Die Kristallwände waren vollkommen glatt, ohne die geringste Unterbrechung, abgesehen von einer goldenen Tür, die für ein so riesiges Gebäude überraschend klein wirkte.

Keefe drückte eine Hand auf die Klinke, und die Tür öffnete sich und glitt lautlos über den glänzenden schwarzen Fußboden. Das Foyer, das sie betraten, war leer, abgesehen von einer silbernen Wendeltreppe, die sich in einer Spirale höher und immer höher schraubte, bis Sophie den Wirbel der Stufen nicht mehr erkennen konnte. Die Wände im Inneren waren genauso glatt wie die Fassade, aber das Kristall schillerte im Glanz Tausender winziger blauer Flammen, die zwischen die einzelnen Facetten gesteckt waren.

Signalfeuer, erkannte Sophie.

Nur ein Pyrokinetiker konnte eine Signalfeuerflamme entfachen, und Pyrokinese war schon seit Jahrtausenden verboten – seit ein Unfall fünf Leben ausgelöscht hatte. Doch das war nicht der Grund, warum Sophie so perplex war, die Flammen zu sehen.

Signalfeuer waren Fintans Markenzeichen gewesen – bis er sich an Everblaze versucht hatte.

Bevor Sophie es blockieren konnte, erfüllte Fintans Gesicht ihren Geist. Es war jedoch nicht der wütende, rebellierende Fintan, dem sie im Exil begegnet war. Oder der rücksichtslose, von neongelben Flammen umgebene Fintan, den sie beim Erforschen seiner Erinnerungen gesehen hatte.

Es war der von Schmerzen gezeichnete, gequälte Fintan – nach dem Erinnerungsbruch, bei dessen Durchführung Sophie geholfen hatte. Er schaukelte in seiner Zelle vor und zurück, während seine Schreie von den Wänden widerhallten und Alden ihn in seinem Wahnsinn zurückließ …

»Alles okay?«, fragte Keefe und berührte Sophies Arm, um sie aus ihrer Erinnerung zu reißen.

»Ja, sicher.«

»Dir ist schon klar, dass du einen Empathen nicht anlügen kannst, oder?«

»Und dennoch versuchst du es immer wieder«, dröhnte eine tiefe Stimme über ihnen.

Die Wendeltreppe begann, sich geräuschvoll zu drehen, und dämpfte Keefes Stöhnen. Eine Sekunde später trat Lord Cassius von der untersten Stufe und gesellte sich im Foyer zu ihnen.

Mit ihrem blonden Haar und den eisblauen Augen war die Familienähnlichkeit zwischen Vater und Sohn unmöglich zu übersehen, auch wenn Keefes kunstvoll zerzauste Frisur und sein heraushängendes Hemd in krassem Gegensatz zu Lord Cassius’ makelloser Erscheinung standen.

»Sophie Foster«, sagte er und schnipste eine unsichtbare Fluse von seinem jägergrünen Umhang. »So begegnen wir uns wieder.« Er neigte den Kopf zur Seite und blickte mit offensichtlichem Stolz zu der schwindelerregend hohen Decke empor. »Einen solchen Ort gibt es nicht noch einmal, nicht wahr? Aber ich vermute, du bist nicht hier, um die Architektur zu bestaunen – vor allem da ihr beide eigentlich in der Zuflucht sein solltet. Also, ich bin ganz Ohr: Wie komme ich zu dieser Ehre?«

Sophie blickte Hilfe suchend zu Keefe und wünschte sich, er würde ihr mit einem seiner schlagfertigen Kommentare beispringen. Er schien jedoch zu sehr damit beschäftigt zu sein, auf den Boden zu starren, so als wären darin die tiefsten Geheimnisse des Universums verborgen.

»Wir haben nur … einen kleinen Abstecher eingelegt«, antwortete Sophie schließlich, wich Lord Cassius’ Blick dabei jedoch aus.

Er hatte die Angewohnheit, sie anzuschauen, als könnte er direkt in sie hineinsehen – und vielleicht konnte er das ja wirklich, denn er räusperte sich laut und erwiderte: »Der Besuch einer Verbotenen Stadt ist mehr als nur ein kleiner Abstecher.«

Als Sophie die Kinnlade herunterklappte, lachte er schallend – ein scharfes, hohles Geräusch. »Die heißen Wogen der Schuld, die du ausströmst, verraten dich sofort, Sophie«, erklärte er.

»Das kannst du spüren?«, fragte Keefe und klang ebenso verdutzt, wie Sophie sich fühlte.

Die meisten Empathen konnten die Emotionen anderer nur lesen, wenn sie sie berührten. Aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich eine weitere Nebenwirkung ihrer komischen, manipulierten Gene – konnte Keefe Sophies jedoch auch aus der Ferne wahrnehmen. Sie hatte gehofft, er wäre der Einzige, der diese Fähigkeit hatte, aber ganz offensichtlich …

»Du hast dein Talent von mir«, erinnerte Lord Cassius seinen Sohn. »Obwohl ich gestehen muss, dass weibliche Emotionen ein wenig schwieriger zu interpretieren sind. Doch in diesem Fall konnte ich einfach auf die simple Kunst der Deduktion zurückgreifen. Ich habe angenommen, dass ihr euren Termin in der Zuflucht nur aus einem sehr guten Grund verpassen würdet. Wenn man diese Tatsache noch mit deiner äußerst einzigartigen Vergangenheit kombiniert, Sophie – ebenso wie mit dem Ruf, der euch beiden vorauseilt, förmlich nach Schwierigkeiten zu suchen –, dann ist es die einzige logische Schlussfolgerung.«

Sophie fand zwar, dass er auch jede Menge anderer Schlussfolgerungen hätte ziehen können, erwiderte jedoch nichts.

Keefe stimmte ihr offenbar zu, denn er machte einen Schritt nach vorn und berührte das Handgelenk seines Vaters. »Das ist nicht der Grund, warum du Bescheid wusstest.«

Lord Cassius zog seine Hand weg und strich sein ohnehin bereits perfektes Haar glatt. »Nun, ich habe nur versucht, es unserem Gast zu ersparen, Zeugin einer sehr unangenehmen Unterhaltung zu werden. Aber wenn du darauf bestehst: Ich habe entdeckt, dass mein blauer Wegfinder verschwunden ist.«

»Na und? Glaubst du, ich hätte ihn genommen?«

»Wer denn sonst?«

Blaue Kristalle boten die einzige Möglichkeit, in die Verbotenen Städte zu springen, und waren allein ausgewählten Mitgliedern des Adels vorbehalten.

»Diesmal war ich es aber nicht«, beharrte Keefe. »Überzeuge dich selbst, wenn du mir nicht glaubst.«

Er streckte einen Arm aus und forderte seinen Vater heraus zu fühlen, ob er ihn anlog.

Lord Cassius runzelte die Stirn. »Und wie seid ihr dann in die Verbotene Stadt gelangt?«

Keefe ließ den Arm wieder sinken. »Das spielt keine Rolle.«

»Doch, das tut es. Ich glaube, du vergisst, dass euer Ausflug heute illegal war – und ich meine das nicht als Drohung«, fügte er mit einem Blick auf Sophie hastig hinzu. »Ich bin mir sicher, dass ihr eure Gründe hattet und dass Sophie vorsichtig war, während ihr dort wart. Aber wenn ich dieses Geheimnis für euch bewahren soll, dann muss ich wissen, was ich verberge.«

Das Lächeln, das er ihnen zeigte, reichte näher an seine Augen heran als jedes andere, das Sophie jemals bei ihm gesehen hatte. Aber es genügte trotzdem nicht, damit sie ihm vertraute.

»Sie müssen es nicht geheim halten«, sagte Sophie. »Ich erzähle Alden die ganze Geschichte, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.«

Das Geräusch der wirbelnden Stufen übertönte Lord Cassius’ Antwort, und als die Treppe eine Sekunde später wieder anhielt, schwebte Keefes Mutter in einem eleganten Kleid samt Umhang im selben blassen Pfirsichton wie ihre Haut in den Raum. Ihre hohen, mit Edelsteinen besetzten Absätze klapperten auf dem dunklen Boden und ihr blondes Haar war zu einer kunstvoll verschlungenen Frisur zusammengesteckt. Sie hätte eigentlich über einen roten Teppich schreiten und nicht durch das leere Foyer ihres eigenen Hauses stolzieren sollen.

»Warum hast du mir denn nicht gesagt, dass wir Besuch haben, Cassius?«, fragte sie und schnalzte in Richtung ihres Mannes mit der Zunge, bevor sie sich mit einem angespannt wirkenden Lächeln an Sophie wandte: »Ich glaube nicht, dass wir einander schon einmal richtig vorgestellt wurden. Ich bin Lady Gisela.«

Sie waren einander bislang noch nicht »richtig vorgestellt« worden, weil sie sich bei Aldens Quasibeerdigung kennengelernt hatten und Lady Gisela zu sehr damit beschäftigt gewesen war, ihren tieftraurigen Sohn zu tadeln. Aber Sophie biss sich auf die Zunge und vollführte einen unbeholfenen Knicks, während sie erwiderte: »Ich bin Sophie.«

»Ja, ich weiß. Aber selbst wenn du nicht der berüchtigtste Neuzugang in unserer Welt wärst – mein Sohn redet ununterbrochen von dir.«

»Nicht ununterbrochen«, brummte Keefe und starrte wieder auf den Fußboden.

Sophie tat es ihm nach.

»Also, bleibst du zum Abendessen?«, erkundigte sich Lady Gisela. »Oh, Moment … Solltet ihr zwei nicht eigentlich irgendwohin und irgendwas … tun?«

Sie sprach die Worte so gelangweilt aus, dass es klang, als könnte sie sich unmöglich die Mühe machen, sich an alle Einzelheiten zu erinnern.

»Sollten wir.« Keefe packte Sophie am Handgelenk und zerrte sie mit sich in Richtung Treppe. »Und ich bin mir sicher, dass sie in der Zuflucht schon auf uns warten, deshalb müssen wir wirklich los.«

»Nicht so schnell«, erwiderte Lady Gisela und versperrte ihnen den Weg. »Wirklich, Keefe, was soll ich nur mit dir machen?«

Sophie wünschte sich, Keefe würde ihr mit einem seiner berühmten schlagfertigen Sprüche antworten. Aber stattdessen erstarrte er völlig, so als hätte er sich in eine Statue mit dem Titel Der jämmerlichste Junge auf dem Planeten verwandelt, während seine Mutter sein Hemd glatt strich und seinen Umhang zurechtzupfte. Er zuckte noch nicht einmal zusammen, als sie ihren Daumen ableckte und einen unsichtbaren Fleck auf seiner Wange wegrubbelte. Doch als sie schließlich die Hände nach seinem Kopf ausstreckte, erwachte er endlich wieder zum Leben.

»Nicht die Haare!«

»Du und deine lächerliche Frisur.« Sie streckte die Hand erneut nach ihm aus, aber Keefe schlug ihren Arm weg. Obwohl er sie kaum berührte, schnappte sie hörbar nach Luft und hielt sich die Schulter.

»Mir geht’s gut«, versicherte sie mit einem Blick auf Sophie.

Doch Lady Gisela rieb sich weiter an der Stelle, und während sie den pfirsichfarbenen Stoff ihres Umhangs wieder richtig drapierte, erhaschte Sophie einen Blick auf eine rote Wunde ganz oben an ihrem Arm.

Lord Cassius machte einen Schritt vor seine Frau und versperrte Sophie die Sicht. »Ihr zwei solltet jetzt gehen. Die Zuflucht wartet.«

»Musst du ihnen Bescheid sagen, dass wir vors Tor springen, anstatt direkt hineinzuteleportieren?«, wollte Keefe von ihm wissen.

»Ehrlich gesagt glaube ich, das hatten sie sowieso erwartet.«

»Wieso sollten sie –«, setzte Sophie an, doch Keefe zerrte sie auf die unterste Treppenstufe.

»Hast du schon mal einen Vortinator benutzt?«, fragte er.

»Ich glaube nicht.« Sophie wünschte sich wirklich, das Ding würde nicht nach einer Albtraumachterbahn aus der Hölle klingen.

»Dann halt dich lieber gut fest.« Keefe grinste, als sie sich noch verkrampfter an seine Hand krallte. »Ich meinte am Geländer.«

»Oh.«

Sophies Gesicht fühlte sich an, als stünde es in Flammen, und sie hatte die Hand kaum um das silberne Geländer geschlossen, als Keefe rief: »Zweihundert!« Dann verwandelte sich die Welt plötzlich in einen wirbelnden, schillernden Strudel aus rauschender Luft, und Sophie wollte nur noch schreien oder sich übergeben oder in Ohnmacht fallen – doch dazu blieb ihr überhaupt keine Zeit, da sie bereits wieder angehalten hatten.

»Bist du noch bei mir, Foster?«, fragte Keefe, als sie sich gegen den Handlauf lehnte und sich ernsthaft fragte, ob ihr Magen nicht vielleicht noch unten im Foyer lag.

»Fährst du mit diesem Ding wirklich jeden Tag?«

»Nach ein paar Mal gewöhnt man sich dran. Komm jetzt.« Er hielt ihr seine Hand hin, und Sophie war viel zu schwindlig, um sie nicht zu nehmen.

Sie musste zehnmal tief durchatmen, um ihren Kopf wieder freizukriegen, dann erkannte sie, dass sie sich in einem der Türme mit goldenem Dach befanden. Über ihnen baumelten mehr runde Kristalle, als Sophie jemals gesehen hatte.

»Der Sprungmaster 10000«, erklärte Keefe ihr.

Sophie fielen noch nicht einmal annähernd zehntausend Orte ein, an die sie hätte reisen wollen.

Aber es gab einen, den sie endlich wiedersehen wollte.

»Die Zuflucht«, sagte Keefe und der Sprungmaster begann, sich zu drehen. Ein einzelner Kristall senkte sich so weit herab, dass er das Sonnenlicht einfing, das durchs Fenster hereinströmte. »Okay, auf ein Neues.«

4

Das warme, rauschende Licht setzte sie am Fuß des Himalaya ab. Keefe zog sich den Umhang enger um die Schultern.

»Hätten sie sich nicht ein wärmeres Gebirge aussuchen können, um diesen Ort zu erschaffen?«, grummelte er, als sie den schneebedeckten Pfad zur Zuflucht emporstapften.

»Du weißt doch, dass sie vor allem möglichst viel Platz brauchten«, erinnerte Sophie ihn.

Die Zuflucht bot all den Geschöpfen ein Zuhause, die die Elfen zu ihrem Schutz dort einquartiert hatten – von Dinosauriern über Dodos bis hin zu einigen Tieren, die die Menschen lächerlicherweise für »magisch« hielten. Sie beherbergte sogar gefährdete Arten, um sicherzustellen, dass sie nicht ausstarben.

Die Elfen glaubten, dass jedes Wesen auf dem Planeten aus einem bestimmten Grund existierte und dass es irreparable Schäden für das empfindliche Gleichgewicht ihrer Welt nach sich ziehen würde, wenn auch nur eine einzige Art ausstarb.

Ein eisiger Windstoß schnitt durch Sophies Tunika und sie wünschte sich, sie hätte ihren Umhang angezogen. Sie kam sich noch immer richtig dämlich vor, wenn sie das Ding trug – aber ohne Mantel durch den Schnee zu stapfen, war definitiv noch dämlicher.

Und sie wünschte sich, sie hätte Dex’ Angebot vor ein paar Monaten angenommen und sich von ihm zeigen lassen, wie sie ihre Körpertemperatur selbst regulieren konnte.

»Hier«, sagte Keefe und legte ihr seinen Umhang über die Schultern.

»Mir geht’s g-g-gut. Du m-m-musst hi-hi-hier n-n-nicht –«

»Ohne das ganze Gezitter wärst du viel überzeugender«, unterbrach er sie. »Außerdem braucht es schon mehr als ein bisschen Schnee, um mir wirklich etwas anhaben zu können.« Er setzte ein selbstgefälliges Grinsen auf, aber sie konnte sehen, dass er ebenfalls bibberte.

»Weißt du auch nicht, wie man seine Körpertemperatur reguliert?«, fragte Sophie und merkte, dass ihre Stimme sofort wieder ruhiger klang, als Keefe den warmen Umhang unter ihrem Kinn zumachte.

»Ach, das funktioniert sowieso nur, wenn es ein bisschen kühler ist, nicht bei Eiseskälte. Aber nein, ich habe es nie gelernt. Es gehört zu den willkürlichen Fähigkeiten, die man nur in Exillium lernt.«

Der Name löste bei Sophie einen kalten Schauder aus, der nichts mit den eisigen Temperaturen zu tun hatte.

Exillium war eine Schule, und der Hohe Rat hatte gedroht, Sophie dorthin zu schicken, wenn sie es auf der Foxfire nicht schaffte. Sie wusste nichts über diesen Ort, außer dass alle ihr ständig versicherten, sie würde dort wirklich nicht hinwollen.

»Und warum weiß Dex dann, wie er seine Körpertemperatur regulieren kann?«, fragte Sophie. Die einzige Schule, die er jemals besucht hatte, war die Foxfire.

Keefe lachte. »Überrascht es dich wirklich, dass seine Eltern ihm irgendwas Seltsames beibringen?«

»Gutes Argument.«

Dex’ Eltern waren dafür bekannt, dass sie ihren eigenen Regeln folgten und auf gesellschaftliche Konventionen keinerlei Wert legten. Sein Vater hatte sogar offen zugegeben, ihren Laden, Schluck und Schlürf, absichtlich so entworfen zu haben, dass er völlig bizarr und chaotisch wirkte, nur damit die spießigen Adeligen – wie er sie gern nannte – möglichst angewidert die Nase rümpften, wenn sie ihre Elixiere bei ihm kauften.

Keefe wurde erneut von einem eisigen Schauer geschüttelt und zitterte am ganzen Körper. Sophie versuchte, ihm seinen Umhang zurückzugeben.

»Nein. Den hast du dir verdient, Foster«, beharrte er. »Du hast mir schließlich schon ein paarmal das Leben gerettet.«

»Nur einmal«, korrigierte Sophie ihn.

»Ja, na ja, aber du hast auch die ganze Welt vor Everblaze gerettet, das zählt auch. Außerdem müsste ich mich dem Zorn von Gigantor stellen, wenn ich dich erfrieren lassen würde, schon vergessen?«

»Okay, dann … danke«, murmelte sie und setzte sich die Kapuze auf den Kopf, um ihre halb abgefrorenen Ohren zu wärmen.

Keefe hielt ihren Blick eine Sekunde zu lange fest, bevor er einen Schritt zurückging und mit den Schultern zuckte. »Pass nur auf, dass du das Sencen-Wappen nicht verlierst. Mein Vater würde mich sonst erwürgen.«

Er meinte es ganz offensichtlich als Scherz – aber es erinnerte Sophie wieder an den dunklen Bluterguss seiner Mutter.

Und daran, wie Lady Gisela versucht hatte, ihn zu verstecken.

Und daran, wie schnell Lord Cassius sie beide hatte loswerden wollen, nachdem Sophie ihn gesehen hatte …

»Also«, begann sie, nicht ganz sicher, wie sie das Thema anschneiden sollte, während sie weiter durch den Schnee stapften, »bei dir zu Hause ist aber alles in Ordnung, oder?«

»Ähm, wenn man von den ständigen Vorträgen meines Vaters zum Thema ›Du entfaltest nicht dein volles Potenzial‹ mal absieht, dann ja. Wieso?«

»Nur so.«

»Pff! Bei dir gibt es immer einen Grund, Foster, also spuck’s schon aus.«

Sophie zupfte sich eine schneebedeckte Wimper aus und wünschte sich ein bisschen extra Mut, als sie sie wegschnipste. »Es ist nur … Dein Dad tut nie …«

Keefe blieb stehen. »Tut nie was?«

Sophie seufzte.

Das Ganze war so viel schwieriger, als es in Filmen aussah.

»Wenn dein Dad wütend wird, tut er dann manchmal … jemandem weh?«

Die letzten Worte kamen ihr nur als Flüstern über die Lippen.

Keefe lachte, aber sein Lächeln verblasste sofort wieder. »Moment mal, du meinst das ernst? Wow, äh, ich weiß ja, dass mein Dad die ganze Streng-und-furchterregend-Nummer echt draufhat, aber das ist trotzdem … das ist total verrückt.«

»Das ist dann also ein Nein?«, fragte sie, weil sie einfach hören musste, wie er es sagte.

»Ja, das ist definitiv ein Nein. Hast du wirklich gedacht …?«

»Ich weiß nicht. Deine Mom hatte eine üble rote Prellung an der Schulter und –«

»Hatte sie?«

»Ja. Und dein Dad sah aus, als wollte er nicht, dass ich sie sehe.«

Keefe runzelte die Stirn. »Na ja, ich habe keine Ahnung, was da los war – aber es ist nicht das, was du dachtest. So was machen die Leute hier nicht. Diese Schuldgefühle-zerstören-unseren-Geist-Sache, du weißt schon? Tja, das gilt genauso für Gewalt.«

Elfen schienen wirklich unglaublich friedfertig zu sein. Es gab noch nicht einmal eine Elfenpolizei.

Und trotzdem konnte Sophie sich noch immer an die sengenden Schmerzen erinnern, als ihr Entführer ihre Handgelenke verbrannt und versucht hatte, sie so dazu zu zwingen, seine Fragen zu beantworten. Sie konnte noch immer den toten Ausdruck in Dex’ Augen sehen, als die Rebellen immer wieder mit einem lähmenden Schmelzer auf ihn geschossen hatten. Und sie konnte noch immer das Krachen von Silvenys brechendem Flügel hören, als die Rebellen sie vom Himmel gerissen hatten, kurz bevor sie Keefe im Kampf mehrere Rippen gebrochen hatten.

Entweder waren die Elfen zu mehr fähig, als ihnen selbst bewusst war, oder die Rebellen waren übergeschnappt und unberechenbar.

Sophie wusste nicht, was schlimmer gewesen wäre.

»Okay. Gut. Tut mir leid«, sagte sie leise. »Ich wollte nur sichergehen.«

»Kein Grund, dich zu entschuldigen. Es ist schön zu wissen, dass sich die geheimnisvolle Miss F. Sorgen um mich macht.«

Keiner der beiden schien zu wissen, was er noch sagen sollte, deshalb gingen sie in unbehaglicher Stille weiter, während ihre flachen Schuhe durch den Schnee knirschten.

»Ich verstehe nicht, wieso die Menschen diesen Ort noch nicht entdeckt haben«, sagte Sophie, als sie die mächtigen silbernen Tore erreichten, die in den Berg gebaut waren. Dann fiel ihr Blick jedoch auf die runden schwarzen Verdunkler, die überall auf den zerklüfteten Felsvorsprüngen verteilt waren.

»Vorsichtig«, warnte Keefe sie und zeigte auf mehrere silberne, gabelartige Apparate, die neben einigen Felsen in den Schnee gebohrt worden waren. »Das sind Sekreter. Wenn du ihnen zu nahe kommst, riechst du, als hättest du dich mit einem ganzen Rudel Gulons rumgetrieben. Mein Dad hat aus Versehen einen ausgelöst, als die Gnome sie installiert haben, und ich konnte ihn noch vom hundertsiebenundachtzigsten Stock aus riechen. Ich glaube, der Gestank greift die Nebenhöhlen von Ogern an oder so.«

»Oger?«, fragte Sophie und macht einen riesigen Schritt von dem Stinkapparat weg.

»Jap. Eine der Koboldpatrouillen hat neulich nachts ein paar eigenartige Fußabdrücke gefunden und dachte, sie könnten von Ogern stammen. Sie waren sich nicht ganz sicher, weil die Spuren geruchlos waren, und als Alvar schließlich hier eingetroffen ist –«

»Fitz’ Bruder?«, unterbrach Sophie ihn.

»Ja. Er arbeitet schon seit ein paar Jahren mit den Ogern, deshalb dachte mein Dad, er müsste feststellen können, ob sie irgendetwas damit zu tun hatten. Aber als er hier ankam, hatte es geschneit und die Spuren waren wieder verschwunden. Deshalb hat der Hohe Rat die Sekreter installieren lassen, nur für den Fall.«

»Okay«, erwiderte Sophie zögernd. »Aber … ich dachte, wir hätten einen Vertrag mit den Ogern.«

»Haben wir auch – aber das bedeutet nicht, dass wir ihnen vertrauen. Schau dir doch nur mal an, was mit den Menschen passiert ist.«

Im Lauf der Jahrhunderte hatten die Elfen Verträge mit allen »intelligenten« Wesen geschlossen, in dem Versuch, einen dauerhaften Frieden zu sichern. Doch dann hatten die Menschen entschieden, dass sie die Welt regieren wollten, und um einen Krieg zu vermeiden, hatten die Elfen beschlossen, sich zurückzuziehen. Sie hatten die Menschen zwar weiter aus dem Verborgenen beobachtet und subtile Wege gefunden, ihr Wissen mit ihnen zu teilen, aber da die Menschen sich trotzdem nicht von ihrem Weg der Gewalt und Zerstörung hatten abbringen lassen, waren die Elfen schließlich gezwungen gewesen, den Kontakt komplett abzubrechen.

Und dennoch hatten die Mitglieder von Black Swan gegen sämtliche Gesetze verstoßen – und ihren Geist und ihr Leben riskiert –, um Sophie unter den Menschen zu verstecken. Sie verstand nur immer noch nicht, warum.

»Warum sollten sich die Oger denn für die Zuflucht interessieren?«, fragte Sophie und betrachtete das mächtige Tor.

»Äh, hallo? Silveny ist hier. Oder hast du die ganze Zeitachse-des-Aussterbens-Geschichte schon wieder vergessen?«

Hatte sie nicht. Die Elfen hatten jahrzehntelang nach einem weiblichen Alicorn gesucht, weil sie verzweifelt darauf warteten, es mit dem einzigen anderen Alicorn zu paaren, das jemals gefunden worden war: einem Männchen, das bereits in der Zuflucht lebte. Wenn es den beiden nicht bald gelang, Nachwuchs zu produzieren, dann waren Alicorns die erste Art, die tatsächlich ausstarb.

Trotzdem verstand Sophie noch immer nicht, warum Oger sich für ein Pärchen glitzernder fliegender Pferde interessieren sollten. Grady hatte ihr einmal erklärt, dass Oger das Leben von Tieren nicht so wertschätzten, wie die Elfen es taten.

Aber wer oder was könnte diese Fußabdrücke sonst hinterlassen haben?

»Müssen wir anklopfen oder so?«, fragte Sophie, bereit, auf die andere – entschieden sicherere – Seite des Tors zu treten.

»Ich vermute, dass sie bereits unsere Signaturanhänger scannen, um sicherzugehen, dass wir wirklich eine Genehmigung haben, hier zu sein.«

Sophies Hand schnellte an ihren Hals und ihre Finger schlossen sich um einen dreieckigen Kristall, der darum baumelte. Der Hohe Rat hatte ihren Anhänger mit zusätzlichen Ketten gesichert, nachdem die Entführer ihren letzten abgeschnitten hatten. Trotzdem vergewisserte sie sich immer noch gern, dass er wirklich da war.

»Endlich«, stieß Keefe aus, als ein lautes Scheppern von den Bergen widerhallte. Der Boden unter ihnen bebte, die silbernen Tore schwangen auf und ein Strom warmer Luft kribbelte auf Sophies Haut, als sie Keefe in das sonnige Paradies folgte.

Sie wusste, dass sie tief in ein Gebirge eindrangen, aber es fiel ihr trotzdem schwer, es zu glauben. Staunend starrte sie auf die saftig grünen Wiesen und Wälder aus blühenden Bäumen, die sich bis ins Endlose zu erstrecken schienen. Der Himmel erstrahlte in perfektem Blau, obwohl er bei jedem ihrer Schritte neu schillerte und in sämtlichen Farben des Spektrums leuchtete, so als würden sie durch einen Regenbogen spazieren. Die Luft war wunderbar frisch und süßlich, wie wenn man in einen knackigen Apfel biss.

»Wie viel von alldem ist real?«, fragte Sophie, rieb sich die Augen und erwartete beinahe, dass alles wieder verschwand.

»Der Himmel ist eine Illusion. Und sie haben die Wände versteckt, damit es größer wirkt. Aber alles andere ist echt.«

»Wie haben sie –«

»Ihr seid zu spät«, unterbrach sie ein großer, dünner Elf, der hinter einem Gebüsch hervortrat. Seine schokoladenbraune Tunika war von leuchtend grünen Flecken bedeckt und sein dichtes schwarzes Haar hing in langen zerzausten Strähnen herab. »Habt ihr irgendeine Ahnung, welche Schwierigkeiten ihr mir damit beschert habt?«

»Entschuldigung, Sir«, murmelte Sophie und wich seinen bohrenden eisblauen Augen aus.

Er lachte – ein hämischer Laut, der sich scharf in ihren Ohren anfühlte. »Ich bin vieles, Miss Foster, aber ganz gewiss kein ›Sir‹. Ihr könnt mich Jurek nennen. Ich bin der Pferdepfleger der Zuflucht. Und ich hatte recht, nicht wahr?«

Sophie blickte Keefe an, aber er sah genauso verwirrt aus, wie sie sich fühlte. »Recht?«

Jurek zog einen dicken Beutel aus einem der Büsche, warf ihn sich über die Schulter und bedeutete Sophie und Keefe, ihm zu folgen. »Ihr konntet nicht hierherteleportieren?«

»Äh, nein«, musste sie zugeben. »Woher wussten Sie das?«

Er lächelte. »Beantworte mir das: Wenn du wirklich in die Zuflucht teleportieren könntest, warum sind die Alicorns dann noch nie hinausteleportiert?«

Das … war eine sehr gute Frage.

Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen in den Regenbogenhimmel empor, der gar nicht wirklich ein Himmel war. »Liegt es an den Bergen?«

»Das ist jedenfalls meine Vermutung. Sie halten Lichtspringer ab – warum also nicht auch Teleportierer? Aber was weiß ich schon? Ich bin schließlich nicht derjenige mit den grandiosen Fähigkeiten und den seltsamen Augen.«

»Na, Sie wussten jedenfalls eindeutig mehr als ich«, erwiderte Sophie und ignorierte die Beleidigung. Sie gewöhnte sich langsam daran, der einzige Elf mit braunen Augen zu sein.

»Okay, Moment mal. Dann kann sie also nicht durch etwas Solides teleportieren?«, hakte Keefe nach und runzelte die Stirn, als Jurek und Sophie beide nickten. »Verflixt – das macht meinen Plänen einen ziemlich fetten Strich durch die Rechnung. Aber keine Sorge, Foster, uns bleiben immer noch haufenweise Möglichkeiten, Chaos zu veranstalten.«

Er knuffte Sophie in die Seite, aber sie erwiderte sein Lächeln nicht.

Sie hatte es als beruhigend empfunden, einfach selbst ins Exil teleportieren zu können, falls der Hohe Rat es ihr nicht erlaubte, Prentice zu heilen. Doch das völlig isolierte Gefängnis lag tief im Erdkern verborgen, und wenn sie durch nichts Solides teleportieren konnte, dann hatte sie auch keine Möglichkeit, es auf eigene Faust zu erreichen.

»Whoa, Moment mal kurz«, rief Keefe und huschte vor Jurek, um ihm den Weg zu versperren. »Sie wussten das und fanden trotzdem nicht, dass es eine gute Idee wäre, uns eine Nachricht zu schicken? So was wie: ›Hey, Leute, die Sache mit dem Teleportieren in die Zuflucht funktioniert vielleicht nicht so gut. Ihr könntet dabei in dieser unheimlichen schwarzen Leere stecken bleiben.‹«

»Doch. Ich habe es ihrem Vater erklärt – der mich daraufhin informiert hat, als Talentloser sei es meine Aufgabe, mich um die Tiere zu kümmern und alles für Besucher vorzubereiten, nicht mir anzumaßen, ich wüsste irgendetwas über besondere Fähigkeiten.«

Sophie zuckte zusammen.

Elfen ohne besondere Fähigkeiten waren ebenso wohlhabend wie alle anderen Elfen und wurden angeblich als gleichgestellt betrachtet. Trotzdem durften sie nicht in die Elitestufe an der Foxfire aufsteigen, konnten niemals dem Adel angehören und trugen andere Kleidung, wenn sie ihren Aufgaben in den Städten der »Arbeiterklasse« nachgingen. Und manchmal wirkte es durchaus so, als würden die Leute sie als unbedeutender ansehen.

Dies galt jedoch höchstens für Idioten wie Vika, Timkin und Stina Heks, eine Familie, die sich für besser hielt als alle anderen. Sophie hasste den Gedanken, dass Grady genauso sein könnte wie sie. »Grady hat das wirklich gesagt?«, fragte sie leise.

»Wer ist Grady?«

»Mein Vater.« Sie war überrascht, wie leicht ihr das Wort über die Lippen kam. Grady und Edaline hatten Sophie erst vor etwa drei Monaten adoptiert – nach einem etwas holprigen Anfang –, aber ihr war immer noch nicht ganz wohl dabei, sie Mom und Dad zu nennen.

Jurek zeigte auf das Sencen-Wappen an ihrem Umhang. »Ich dachte, Lord Cassius sei dein Adoptivvater.«

»Oh! Nein, der Umhang gehört Keefe.« Sophie konnte sich nur allzu gut vorstellen, dass Keefes Vater so etwas sagte.

Jurek gab ein verächtliches Schnauben von sich. »Ich schätze, ich hätte es wissen müssen. Sie haben beide dasselbe selbstgefällige Grinsen.«

»Ja, aber ich hab die bessere Frisur«, erwiderte Keefe und zerzauste sein Haar noch mehr. Sophie gab ihm seinen Umhang zurück.

»Dann wollen wir mal hoffen, dass das nicht das Einzige ist, was bei dir besser ist.« Und damit setzte sich Jurek ohne ein weiteres Wort wieder in Bewegung.

Keefe verdrehte die Augen, als wäre es ihm egal. Aber Sophie bemerkte, dass er das Sencen-Wappen in den breiten Falten seines Umhangs versteckte, bevor er ihr folgte.

Sie trottete Jurek schweigend hinterher, starrte auf die schillernden Blumen und versuchte, sich irgendetwas einfallen zu lassen, das sie sagen konnte.

»Also, wo ist Glitzerpo?«, fragte Keefe.

»Er meint Silveny«, erklärte Sophie. Aber sie hatte sich bereits dasselbe gefragt. Auf den Weiden rundum grasten nur Mammuts, gefiederte Dinosaurier und irgendwelche gigantischen Wolfbärenwesen.

»Alle Pferde sind auf den violetten Weiden untergebracht«, antwortete Jurek, zweigte vom Pfad ab und nahm eine Abkürzung über eine Reihe kleiner Hügel.

Das hohe blaue Gras war feucht von Tau, und Sophie musste aufpassen, dass sie nicht ausrutschte, als sie Jurek hinterhereilte. Auf dem Gipfel des letzten Hügels angekommen, war sie völlig verschwitzt und außer Atem, aber das störte sie nicht im Geringsten, denn in diesem Moment erfüllte eine vertraute Stimme ihren Geist.

Freunde! Sophie! Keefe! Besuchen!

Ja, übermittelte Sophie zurück und legte eine schützende Hand an ihre Augen, während sie versuchte, Silveny zu finden.