Keeper of the Lost Cities – Das Vermächtnis - Shannon Messenger - E-Book

Keeper of the Lost Cities – Das Vermächtnis E-Book

Shannon Messenger

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Beschreibung

Keeper of the Lost Cities. Das Vermächtnis 
Ein episches Fantasy-Abenteuer der preisgekrönten Bestsellerautorin Shannon Messenger. Die fantastische Reihe um Elfen, Freundschaft und Magie mit jeder Menge Spannung für Mädchen und Jungen ab 12 Jahren.    

Der achte Band des mitreißenden Abenteuers  
Sophie will endlich Antworten. Wer sind ihre echten Eltern? Wem kann sie vertrauen? Und welche Rolle muss sie in der Welt der Elfen spielen? Jeder Hinweis lässt Sophie und ihre Freunde weiter in die Vergangenheit reisen. Doch die steckt voller unerwarteter Wendungen und düsterer Geheimnisse …  

  • Das ideale Geschenk: Perfekter Lesestoff für Jungen und Mädchen ab 12 Jahren 
  • Wie eine richtig gute, actiongeladene Serie: Ein Jugendbuch über Fabelwesen, Magie, Liebe und Freundschaft
  • So macht Lesen Spaß: Fantastische Welten, starke weibliche Charaktere, verblüffende Wendungen und atemlose Spannung 
  • Zeitloses Fantasy-Epos: Fans von „Woodwalkers“, „Land of Stories“ und „Harry Potter“ werden dieses Buch verschlingen 
  • Extra-Motivation: Zu diesem Buch gibt es ein Quiz bei Antolin  

„Keeper of the Lost Cities. Das Vermächtnis“ ist der achte Teil der preisgekrönten magischen Fantasy-Reihe – voller Zauber, Action und Abenteuer!    

Alle Bände dieser Reihe:
Band 1: Keeper of the Lost Cities. Der Aufbruch (9783845840901)
Band 2: Keeper of the Lost Cities. Das Exil (9783845840918) 
Band 3: Keeper of the Lost Cities. Das Feuer (9783845844541)
Band 4: Keeper of the Lost Cities. Der Verrat (9783845846293) 
Band 5: Keeper of the Lost Cities. Das Tor (9783845846309) 
Band 6: Keeper of the Lost Cities. Die Flut (9783845846316) 
Band 7: Keeper of the Lost Cities. Der Angriff (9783845846323) 
Band 8: Keeper of the Lost Cities. Das Vermächtnis (9783845846330) 
Band 8,5: Keeper of the Lost Cities. Entschlüsselt (9783845851488)
Band 9: Keeper of the Lost Cities. Sternenmond (9783845851495) - erscheint im August 2023

Weitere Bände sind in Planung.

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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2022

Text copyright © 2019 by Shannon Messenger

Titel der Originalausgabe: Keeper of the Lost Cities – Legacy

Die Originalausgabe ist 2019 bei Simon and Schuster (Aladdin) erschienen.

© 2022 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, D-80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung: Doris Attwood

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung des Originalcovers

Coverillustration: Jason Chan, Typografie von geen graphy/shutterstock.com und Bildmaterial von tomertu/shutterstock.com

Design: Karin Paprocki

Innenvignetten: Bildmaterial von Spicy Truffel/shutterstock.com

ISBN eBook 978-3-8458-4645-3

ISBN Printausgabe 978-3-8458-4633-0

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Für Debra Driza

Weil ich dieses Buch ohne Deine stetige Unterstützung, die brillanten Brainstorming-Sessions und die klitzekleinen Chocolate-Chip-Cookies niemals hätte zu Ende schreiben können.

(Und nur zu Eurer Info, liebe Leser:innen: Der Cliffhanger war DebsIdee!)

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

1

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5

6

7

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9

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DANKSAGUNGEN

ÜBER DIE AUTORIN

Leseprobe zu "Ashwood Academy - Die Schule der fünf Türme"

Prolog

Wir können so nicht weitermachen.

Die Worte wirbelten durch Sophies Kopf.

Immer lauter, immer schneller, während um sie herum der Streit tobte.

All die Strategien und Analysen und quälenden Entscheidungen.

Sie funktionierten nie.

Ganz gleich wie clever oder sorgfältig ihre Pläne auch waren.

Ihre Feinde waren jedes Mal schlauer.

Stärker.

Bereit zu einer brutalen, unerwarteten Wendung.

Um sie ins Straucheln zu bringen. In die Knie zu zwingen.

»Wir können so nicht weitermachen.«

Diesmal hatten die Worte eine Stimme, und Sophie brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es ihre eigene war.

Aber sie bereute sie nicht.

Es war an der Zeit, etwas Neues zu versuchen.

Sich aus der Deckung zu wagen.

Selbst wenn sie damit alles aufs Spiel setzten.

Und vielleicht, wenn sie alle zusammenarbeiteten – und wirklich, wirklich Glück hatten …

Würde genau das ihr neues Vermächtnis werden:

Keefe vor seinem zu retten.

1

Du siehst verwirrt aus«, bemerkte MrForkle mit einem leichten Säuseln in der Stimme, bei dem Sophie sich fragte, ob wohl ein Lächeln um seine Mundwinkel zuckte. Doch sie konnte die Augen einfach nicht von der runden, vergoldeten Tür abwenden, zu der er sie geführt hatte, versteckt an der Seite eines sanften, grasbewachsenen Hügels.

Das Ganze erinnerte sie an eine Hobbithöhle. Aber Sophie lebte inzwischen lange genug in den Verlorenen Städten und wusste es besser, als diesen Gedanken laut auszusprechen. Sie hätte dafür nur Gelächter geerntet. Oder vielleicht auch eine im wahrsten Sinne des Wortes unglaubliche Geschichte darüber, wie MrForkle J. R. R. Tolkien einst an denselben Ort gebracht und ihm zu ein wenig Inspiration verholfen hatte.

»Ich dachte, Sie bringen mich in Ihr Büro«, erwiderte sie, ließ den Blick über die Wiese schweifen und suchte zwischen den sich in der Brise wiegenden Wildblumen nach einem Hinweis dafür, wo sie sich befanden.

»Das habe ich doch.«

Sophie machte Anstalten, ihm zu widersprechen, doch dann wurde ihr bewusst, was er meinte.

Er hatte sie in sein Büro gebracht. Nicht in Magnat Letos Büro in der Foxfire, wie sie es erwartet hatte. Ein naheliegender Irrtum, wenn man bedachte, dass MrForkle und Magnat Leto ein und dieselbe Person waren – und dass »MrForkle« die entschieden rätselhaftere Seite dieser Person war.

»Dann ist das hier also Ihr geheimes Büro«, stellte sie klar und spürte, wie sie bei diesem Gedanken eine Gänsehaut am ganzen Körper bekam.

»Eines von mehreren«, bestätigte MrForkle und zwinkerte ihr zu, bevor er seinen von den Ruckelbeeren aufgedunsenen Körper an die Tür heranschob. Er beugte sich ein Stück vor und leckte über eine Stelle links neben dem Rahmen, an der sich offenbar ein getarnter DNA-Sensor befand, denn in der Mitte glitt eine rechteckige Abdeckung zur Seite und enthüllte fünf sich drehende faustgroße Zahnräder, die in einer ordentlichen Reihe angeordnet waren: je eines aus Silber, Kupfer, Eisen, Bronze und Stahl.

»Hat Patent diesen Ort entworfen?«, fragte Sophie, als sie sich wieder an die unzähligen blitzblanken Zahnräder erinnerte, die die Wände in Widgetmoor zierten – und an die Tatsache, dass die Technopathin eine deutliche Vorliebe für die Zahl fünf hatte. Allerdings war dies nicht die Frage, auf die sie sich konzentrieren sollte, deshalb fügte sie hastig hinzu: »Und warum sind wir hier?«

MrForkle drehte an einem Rad nach dem anderen, als würde er eine komplizierte Kombination eingeben. »Du hast gesagt, dass wir uns unterhalten müssen. Hast du nicht deshalb um dieses Treffen gebeten?«

»Doch, aber …« Sophie verschluckte den Rest des Satzes, als sich auch das letzte Zahnrad mit einem Klicken an seinen Platz bewegt hatte und der Boden unter ihren Füßen zu rumpeln begann, ehe die goldene Tür in einem Spalt in der feuchten Erde versank. Kalte Luft schlug ihr aus dem dunklen Raum dahinter entgegen und wehte ihr mehrere Strähnen ihres blonden Haars in die Augen. Sie trat neugierig einen Schritt nach vorn und –

»Stopp!«, brüllte eine vertraute Quietschstimme hinter ihr.

Sophie erstarrte.

Sie hatte inzwischen gelernt, dass es entschieden einfacher war, den über zwei Meter großen, schwer bewaffneten grauen Kobold die Führung übernehmen zu lassen – flankiert von einem massigen Ogerkrieger und einer winzigen grünzahnigen Gnomin. Sandor, Bo und Flori waren drei ihrer fünf Leibwachen aus fünf verschiedenen Spezies und sie nahmen ihre Aufgabe sehr ernst.

Das taten ihre beiden anderen Leibwächterinnen natürlich ebenfalls. Allerdings wachte Nubiti für gewöhnlich von ihrem Posten tief unter der Erde über Sophie, da Zwergenaugen extrem lichtempfindlich waren. Und Tarina war es noch immer nicht erlaubt worden, nach dem »Skandal von Everglen«, wie alle es nannten, den Dienst wieder aufzunehmen, auch wenn das Wort »Skandal« eindeutig nicht stark genug war. Es konnte den allgemeinen Schock noch nicht einmal annähernd zum Ausdruck bringen, einen illegalen Trollhort auf dem Anwesen einer der berühmtesten Familien ihrer Welt zu entdecken. Und es beschrieb definitiv nicht den grauenvollen Schrecken, den die genetisch veränderten, blutrünstigen Trollneugeborenen verbreitet hatten, die nach dem Öffnen der Tür in mörderischer Gier aus dem Hort gestürmt waren.

Die Katastrophe hatte die Welt der Elfen und die Welt der Trolle gleichermaßen erschüttert, da es den Neverseen außerdem gelungen war, die albtraumhafte Schlacht live während des Sternenfestivals zu übertragen, bei dem sich alle versammelt hatte. Die Nachwirkungen des Ereignisses waren noch immer zu spüren und es war auch noch keine Einigung darüber erzielt worden, wie die Verantwortlichen bestraft werden sollten. Das Tribunal gegen Luzia Vacker war zwar inzwischen vorüber, doch die Urteilsverkündung stand nach wie vor aus. Und alle sonstigen Ermittlungen schienen sich endlos hinzuziehen. An der Foxfire, der angesehensten Akademie der Elfen, war der Unterricht auf unbestimmte Zeit ausgesetzt worden, weil viele Eltern Angst hatten, die Schule könnte das nächste Ziel sein. Darüber hinaus mussten neue Vertragsverhandlungen zwischen dem Hohen Rat der Elfen und der Regentin der Trolle organisiert werden, doch nach den Ereignissen beim letzten Friedensgipfel schienen alle diesem Treffen misstrauisch entgegenzublicken.

»Dieses Büro birgt keinerlei Risiko«, versprach MrForkle Sophies Leibwachen. »Watchward Heath wird von fünf verschiedenen Sicherheitsmaßnahmen geschützt. Und nur sechs Personen auf der ganzen Welt wissen, wie dieser Ort zu finden ist. Nun ja, ab sofort sind es wohl sieben, angesichts der Teleportierkünste von Sophie.«

»Dann sollte Ihr Arbeitszimmer meiner Überprüfung ja problemlos standhalten«, rief Sandor ihm über seine Schulter hinweg zu, bevor er sein mächtiges gebogenes Schwert zog und durch die Tür marschierte, gefolgt von Bo und Flori. Er hatte schon immer einen übertriebenen Beschützerinstinkt gehabt, aber seine Paranoia hatte nach dem jüngsten brutalen Angriff der Neverseen ganz neue Sphären erreicht, auch wenn Sophie ihm deswegen wahrlich keinen Vorwurf machen konnte: Immerhin waren sie und Fitz anschließend wochenlang im Heilungszimmer ans Bett gefesselt gewesen, ihre rechte Hand schmerzte auch weiterhin nach jeder größeren Anstrengung und bei Fitz war hin und wieder noch immer ein leichtes Humpeln zu erkennen. Trotzdem versicherte Elwin ihnen unermüdlich, alles werde vollständig ausheilen. Gewisse Verletzungen waren eben ein wenig komplizierter als andere und Sophie und Fitz hatten einige besonders schlimme davongetragen, da das Schattenflux, dem sie bei dem Angriff ausgesetzt gewesen waren, unheimliche Echos bei ihnen hinterlassen hatte.

Schattenflux war der Name des seltenen sechsten Elements und es war Dunkelheit in ihrer reinsten Form. Nur die mächtigsten Schatten konnten es kontrollieren. Und obendrein veränderte es alles, was es berührte.

Außerdem schien Schattenflux unglaublich wichtig für die Pläne der Neverseen zu sein. Nachdem der eigene Schatten der Organisation in Everglen getötet worden war, hatte Lady Gisela Tam so lange gedroht, bis er sich einverstanden erklärt hatte, Umber zu ersetzen. Sophie und Keefe hatten Tam angefleht, nicht mit ihr zu gehen, aber er hatte ihnen versichert, er könne schon auf sich aufpassen. Lady Gisela hatte die beiden außerdem gewarnt, dass jeder Rettungsversuch Tam und seine Zwillingsschwester Linh nur noch mehr in Gefahr bringen würde. Deshalb war Tam bei den Neverseen nun völlig auf sich allein gestellt – und es brachte Sophie jedes Mal fast um, wenn sie nur daran dachte.

Mit jeder verstreichenden Woche wurde ihr schwerer ums Herz, wurden ihre Albträume lebendiger und war ihr Verstand überzeugter davon, dass sie Tam nie wiedersehen würde.

Oder noch schlimmer: dass er sich dem Feind tatsächlich anschließen könnte.

Wenn du uns anhörst, Tam, wirst du erkennen, dass wir die Einzigen sind, die eine echte Lösung für die Probleme dieser Welt haben, und dass du dein Talent an die falsche Seite verschwendet hast, hatte Lady Gisela gesagt. Und sie hatte schon mehrfach bewiesen, dass sie eine wahre Meisterin der Manipulation und der Psychotricks war.

»Alles in Ordnung!«, rief Sandor und Sophie straffte die Schultern und atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen.

Sie konnte sich später noch Sorgen um Tam machen. Im Augenblick musste sie sich auf das Gespräch konzentrieren, das vor ihr lag – und das sie während der letzten neun Tage wieder und wieder durchgespielt hatte. Seit sie in Atlantis gewesen war und …

Nun.

Die Sache war nicht nach Plan verlaufen.

Sophie hatte noch immer den mitleidigen Ausdruck auf den Gesichtern der Heiratsvermittlerinnen vor Augen, als sie ihr die hässlichen roten Worte auf dem Bildschirm gezeigt hatten.

Worte, die sie abstempeln, sie zerstören würden, wenn alle Welt davon erfuhr.

Darum hatte sie um dieses Treffen gebeten. Wenn sie MrForkle davon überzeugen konnte, ihr diesen einen winzigen Informationsfetzen zu geben – den zu kennen sie ohnehin verdient hatte –, dann würde alles wieder in den richtigen Bahnen laufen.

Sophie war auf einen anstrengenden Streit eingestellt, da der Versuch, Informationen aus Black Swan herauszukitzeln, ungefähr damit vergleichbar war, ein wild um sich schlagendes Verminion dazu zu zwingen, sein Maul zu öffnen. Doch wenn MrForkle ihr so sehr vertraute, dass er sie sogar in sein geheimes Büro mitnahm …

»Wollen wir?«, fragte er und deutete auf den Eingang.

Sophie nickte und trat über die Schwelle. Sie erschauderte, als ein Schwall kalter, metallisch riechender Luft durch den dünnen Stoff ihrer lavendelfarbenen Tunika drang. Es war zu dunkel, um den Raum wirklich erkennen zu können, aber es fühlte sich an, als würde sie einen Kühlschrank betreten. Sie zog sich ihren taubengrauen Umhang enger um die Schultern und wünschte sich, sie würde dickere Handschuhe als die seidenen tragen, für die sie sich entschieden hatte.

Das Licht erwachte flackernd zum Leben, als MrForkle ihr folgte, so als würde der Sensor nur auf ihn reagieren. »Du wirkst nicht sonderlich beeindruckt«, bemerkte er, während Sophie gegen die jähe Helligkeit anblinzelte.

»Es ist nur … nicht das, was ich erwartet hatte.«

Sie hatte sich jahrelang ausgemalt, wie sein geheimes Büro wohl aussah, und sich dabei immer eine Mischung aus einem Raumschiff und Hogwarts vorgestellt: elegante Architektur in Kombination mit allen möglichen hochtechnischen Erfindungen und seltsamen Apparaten – und allerlei Indizien dafür, wer MrForkle wirklich war. Und samt zahlreichen Hinweisen auf Projekt Mondlerche. Stattdessen fand sie sich in einem weißen Gewölbe wieder und kam sich vor, als würde sie in einem riesigen unterirdischen Ei stehen. Das weiche Licht stammte von einer einzelnen Lampe, die am Ende einer dünnen Kette über einem runden silbernen Tisch baumelte. Die Wände waren glatt und nackt, ebenso wie der Boden, und durch mehrere kleine Gitter in der Decke drang eiskalte Zugluft herein.

Das war alles.

Keine Fenster. Keine Türen – abgesehen von der, durch die sie hereingekommen waren und die sich lautlos wieder hinter ihnen geschlossen hatte. Keine Sitzmöglichkeiten. Keine wie auch immer geartete Dekoration. Noch nicht mal irgendwelche Bücher oder Schriftrollen, obwohl das Forschen zu MrForkles Lieblingsbeschäftigungen gehörte.

»Und ich dachte, du hättest inzwischen gelernt, dass die Dinge in den Verlorenen Städten nur selten so sind, wie sie zu sein scheinen«, erwiderte MrForkle und presste seine Handfläche auf die Wand. Die Lampe flackerte zweimal, ehe sie deutlich heller strahlte und ein Raster aus Bildern auf sämtliche Oberflächen im Raum projizierte, so als könnte er von seinem Büro aus Tausende Kameraaufzeichnungen anzapfen, die Elfen, Kobolde, Oger, Trolle, Zwerge, Gnome und Menschen in ihrem alltäglichen Leben zeigten. Alle paar Sekunden wechselten die Bilder und Sophie fragte sich, ob sie wohl einen Blick auf jeden einzelnen Ort des Planeten erhaschen konnte, wenn sie nur lange genug stehen blieb.

»Immer noch nichts?«, fragte MrForkle.

Sophie zuckte mit den Schultern. »Es unterscheidet sich gar nicht so sehr von Quinlins Büro in Atlantis. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass zahlreiche Anführer der Menschen über ganz ähnliche Räume verfügen – nur dass sie natürlich nicht auch alle anderen Spezies beobachten können. Aber … Sie wissen schon, was ich meine.«

»Weiß ich das?« MrForkle tippte auf die Wand und die Bilder verschwanden wieder. Dann drückte er seine offene Handfläche auf den silbernen Tisch. »Und was ist damit?«

Die Metallplatte kräuselte sich bei seiner Berührung und teilte sich in eine Million dünner, nach oben ragender Drahtstifte, die den Tisch aussehen ließen wie eine Riesenversion der 3-D-Nagelbilder, mit denen Sophie als Kind gern gespielt hatte. MrForkle tippte in einem schnellen Rhythmus mit den Fingern darauf und die Stifte sanken teilweise ab oder wanderten nach oben, wodurch Erhebungen und Täler und mehrere glatte Ebenen entstanden. Sophie erkannte nicht, was sie vor sich sah, bis er erneut ein paarmal auftippte und winzige Lichtpunkte am Ende jedes Drahtstifts erstrahlten, die die Szene in lebendige Farben tauchten und verschiedene Beschriftungen aufleuchten ließen.

»Es ist eine Karte«, murmelte sie, während sie den Tisch langsam umkreiste.

Und zwar nicht nur irgendeine Karte.

Sondern eine dreidimensionale Karte der Verlorenen Städte.

Sophie hatte ihre Welt noch nie so gesehen, gemeinsam mit allen anderen Welten über den ganzen Planeten ausgebreitet. Eternalia, die Hauptstadt der Elfen, die höchstwahrscheinlich als Inspiration für den menschlichen Mythos von Shangri-La gedient hatte, lag viel näher an der Zuflucht, als Sophie bewusst gewesen war, versteckt in einem der Täler des Himalaja. Das spezielle Tierschutzreservat selbst war im Inneren des ausgehöhlten Gebirges verborgen. Atlantis wiederum befand sich tief unter dem Mittelmeer, genau wie in den menschlichen Legenden beschrieben, während Mysterium irgendwo im Bermudadreieck zu liegen schien. Das Tor ins Exil befand sich mitten in der Sahara, wenngleich das Gefängnis selbst am Mittelpunkt der Erde vergraben war. Und Lumenaria …

»Moment mal, ist Lumenaria eine der Kanalinseln?«, fragte Sophie und versuchte das, was sie nun vor sich sah, mit den Karten zu vergleichen, die sie in ihrer Zeit bei den Menschen im Geografieunterricht in der Schule gesehen hatte.

»Ja und nein. Theoretisch gehört es zum selben Archipel, auch wenn wir die Insel verstecken und die Menschen keine Ahnung haben, dass sie überhaupt existiert. Nun ja, jedenfalls abgesehen von den abstrusen Geschichten, die wir hin und wieder in Umlauf gebracht haben, um Verwirrung zu stiften.«

»Hm.« Lumenaria hatte Sophie bei ihrem Besuch tatsächlich an Camelot erinnert, deshalb mussten einige dieser Legenden gewiss dort ihren Ursprung haben. Die Elfen spielten gern mit der wahren Geschichte ihrer Welt und verwoben sie mit fantastischen Details, um es den Menschen schwerer zu machen, daran zu glauben.

Sophie beugte sich dichter über die Karte und fragte sich, wie exakt die Einzelheiten darauf abgebildet waren. Sie war seit dem Einsturz nicht mehr in Lumenaria gewesen, aber es sah ganz so aus, als sei die leuchtende Festung komplett wiederaufgebaut worden – mit viel höheren Mauern. Außerdem stand ein neuer Baum neben dem Vierjahreszeitenbaum, möglicherweise zum Gedenken an all jene, die bei dem Angriff ihr Leben verloren hatten. »Und die Menschen haben die Insel wirklich nie gefunden? Sie liegt genau zwischen Frankreich und Großbritannien – und es fahren schließlich andauernd Schiffe durch den Ärmelkanal.«

»Du hast doch selbst gesehen, wie kraftvoll unsere Illusionen sind«, erwiderte MrForkle.

In Sophies Magen rumorte es säuerlich.

Vespera hatte den Großteil aller optischen Täuschungen entworfen, die die Verlorenen Städte vor einer Entdeckung schützten. Und unter den Anführern der Neverseen war sie die skrupelloseste. Sie betrachtete Gewalt als eine Lösung – und behauptete stets, dass Sophie und Keefe niemals »bereit« sein würden. Wofür, wussten sie nicht, auch wenn sie mit ziemlicher Sicherheit annehmen konnten, dass es etwas mit Keefes »Vermächtnis« zu tun hatte.

»Es ist eine Hilfe, unsere Welt so zu sehen, nicht wahr?« MrForkle stellte sich an Sophies Seite. »Ich war in letzter Zeit oft hier, um verschiedene Strategien durchzuspielen.«

»Soll das heißen, Sie haben einen Plan?«, fragte Sophie, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass sie die Antwort bereits kannte.

»Ich arbeite noch daran.« Er seufzte, als sie automatisch die Fäuste ballte. »Ich verstehe deine Ungeduld, Sophie. Aber gewisse Dinge darf man nicht überstürzen.«

Ihr Lachen klang genauso verbittert, wie sie sich fühlte.

Schon seit Sophies Ankunft in den Verlorenen Städten versuchten sie, die Neverseen zu Fall zu bringen. Und trotzdem hatten sie jetzt, Jahre später, noch immer keine Ahnung, was diese Rebellen vorhatten oder wo sie sich versteckten.

Und seit Tam fort war, tüftelten Sophie und ihre Freunde daran herum, wie ihr nächster Schritt am besten aussehen sollte. Doch alles, worauf sie sich dabei stützen konnten, waren dieselben nutzlosen Hinweise, mit denen sie ohnehin bereits viel zu viel Zeit vergeudet hatten.

Gefälschte Verwahrer.

Ein fehlender Sternenstein.

Unmengen an verwirrenden Symbolen.

Der Schlüssel zu Lady Giselas Archetyp, aber nicht das Buch selbst, das der Schlüssel öffnete.

Winzige Fragmente zertrümmerter Erinnerungen, die keinen Sinn ergaben.

Und ganz gleich welcher Wahrheit sie auch auf die Spur kamen oder welche Risiken sie eingingen, die Neverseen waren ihnen trotzdem immer fünf Millionen Schritte voraus.

Einfach ausgedrückt: Sie waren dabei, diesen Kampf zu verlieren.

Und Sophie hatte das unendlich satt.

»Die Neverseen haben sich als noch grauenvoller erwiesen, als wir es erwartet hatten«, gab MrForkle zu. »Und die ständigen Führungswechsel erschweren es uns, ihre Taktik vorherzusehen.«

»Wir haben einfach zu viele Feinde«, murmelte Sophie.

»In der Tat. Zudem passen ihre individuellen Visionen nicht unbedingt perfekt zueinander, was für zusätzliche Verwirrung gesorgt hat. Und dennoch wissen wir viel mehr, als dir vielleicht klar ist.«

»Zum Beispiel?« Sophie drehte sich zu ihm um und verschränkte die Arme. »Ich meine es ernst. Nennen Sie mir nur eine nützliche Information, die wir herausgefunden haben.«

»Ich könnte dir viele aufzählen, Sophie. Und du könntest es auch. Du übersiehst sie nur, weil du frustriert darüber bist, nicht die Antworten bekommen zu haben, die du wolltest – und ich verstehe diese Reaktion. Aber du bist viel zu klug für eine so unvernünftige Logik. Und genau deswegen habe ich dich hierhergebracht: Ich möchte sichergehen, dass du auch das große Ganze im Blick hast.«

Er tippte in einem anderen Rhythmus auf den Tisch, woraufhin die Drahtstifte sich erneut verschoben und weitere Orte zwischen all den anderen erschufen: Gildingham, die goldene Hauptstadt der Kobolde, die sich offenbar in den Anden verbarg – und den Menschen wahrscheinlich als Inspiration für den Mythos von El Dorado gedient hatte. Ravagog, die Ogerfestung am Fluss Eventide, die offensichtlich im am dichtesten überwucherten Teil Zentralasiens lag. Loamnore, die Hauptstadt des Zwergenreichs, wie Sophie vermutete, da sich die weitläufige Metropole unter der Wüste Gobi befand statt nur mittendrin. Und schließlich Marintrylla, eine Insel in der Nähe von Neuseeland, bei der es sich wohl um die Hauptstadt der Trolle handelte und die aus einem kunstvoll erschaffenen Netzwerk aus Höhlen und Brücken zu bestehen schien.

»Was siehst du?«, fragte MrForkle.

Sophie kniff die Augen zusammen. »Ich nehme an, Sie wollen eine bessere Antwort hören als ›einen Haufen Städte‹?«

Flori kicherte.

Sandor und Bo grunzten.

MrForkle grummelte leise etwas, das mit »Ihr Kinder« begann.

»Wieso sagen Sie mir nicht einfach, was Sie von mir hören wollen?«, schlug Sophie vor.

»Weil ich versuche, dich zu unterrichten, Sophie. Deine Freunde erwarten von dir, dass du sie anführst, aber das Einzige, was ich in letzter Zeit bei dir sehe, sind Enttäuschung und Niedergeschlagenheit. Wenn du sie anführen willst, musst du mehr liefern als nur das.«

»Sie anführen.« Die Worte fühlten sich auf Sophies Zunge ganz schwer an. »Dann ist das also Ihr großer Plan, ja? Die komplette Verantwortung bei mir abzuladen, weil ich die Mondlerche bin?«

»Muss ich dich erst daran erinnern, wie nachdrücklich du darauf bestanden hast, deine Freunde miteinzubeziehen? Ich kritisiere dich nicht dafür – sie alle haben sich für unsere Sache als überaus wertvoll erwiesen. Aber du kannst nicht die Verantwortung ignorieren, die damit einhergeht, dass du sie rekrutiert hast.«

Sophie drehte sich der Magen um.

Es war nie ihre Absicht gewesen, ihre Freunde zu »rekrutieren«. Sie hatten sie nur ständig mit Fragen dazu gelöchert, was sie vorhatte, und ihr ihre Hilfe angeboten. Und irgendwann war Sophie schlicht bewusst geworden, dass sie diese Hilfe tatsächlich brauchte.

Doch mittlerweile lag alles Geschehene nicht nur in ihrer Verantwortung – es war auch ihre Schuld. Zum Beispiel dass Lady Gisela Tam k.o. geschlagen und verschleppt hatte, obwohl er bereits eingewilligt hatte, mit ihr zu kooperieren.

»Ich weiß, was du denkst«, sagte MrForkle sanft. »Und das nicht weil ich gegen die Regeln der Telepathie verstoßen habe, falls du das befürchtest. Die Last, die du trägst, kann ich an jedem einzelnen Schatten auf deinem Gesicht ablesen. Aber du darfst dir nicht die Schuld geben.«

Sophie zwang sich zu einem Nicken.

Schuldgefühle waren für Elfen gefährlich. Ihre geistige Gesundheit konnte daran fast ebenso heillos zerbrechen wie an Gewalt.

Allerdings war es definitiv nicht leicht, sich davon zu befreien.

»Ich wünsche mir genauso sehr wie du, dass Tam schnell und unversehrt wieder nach Hause kommt«, versicherte MrForkle ihr. »Und das tut auch der Rest von Black Swan. Doch das kann nicht unser einziges Ziel sein. Deshalb solltest du an diesem Punkt innehalten und dich wieder darauf besinnen, wofür wir kämpfen.«

»Und wofür kämpfen wir?«, fragte Sophie. »Es kommt mir so vor, als würden wir die ganze Zeit nichts weiter tun, als … zu versuchen, nicht zu sterben – und manchmal schaffen wir selbst das nicht.«

MrForkle wandte heftig blinzelnd den Blick ab und Sophie bedauerte es sofort, ihn daran erinnert zu haben, was mit seinem Zwillingsbruder geschehen war. Aber … wenn sie nicht irgendetwas änderten, war es nur eine Frage der Zeit, bevor sie noch jemanden verloren.

»Wir haben uns viel zu lange auf unsere Verteidigung konzentriert«, sagte er mit belegter Stimme und räusperte sich. »Doch das ist nie eine gute Taktik, um zu gewinnen. Darum möchte ich, dass du dir die Karte noch einmal anschaust – wirklich anschaust – und mir sagst, was du siehst.«

Sophie seufzte gedehnt, neigte den Kopf zur Seite und versuchte zu erraten, was er von ihr hören wollte. »Ich sehe … eine geteilte Welt.«

»Eine ungleich geteilte Welt«, ergänzte Bo.

Damit hatte er nicht ganz unrecht. Das Elfenreich setzte sich aus mehreren riesigen Städten zusammen – und das schon ohne ihre über den ganzen Planeten verteilten privaten Anwesen. Die anderen Spezies hingegen schienen viel deutlicher auf ihre Hauptstädte begrenzt zu sein – abgesehen von den Gnomen, die bei den Elfen lebten.

»Der antike Hohe Rat war der Ansicht, es ließe sich besser gewährleisten, dass die einzelnen Anführer sich an die Bedingungen ihres Vertrages halten, wenn die verschiedenen Spezies voneinander getrennt leben«, erklärte MrForkle. »Deshalb taten sie ihr Bestes, um dafür zu sorgen, dass sie alle sich auf ihre jeweilige Heimat beschränken.« Er tippte in schneller Folge ein paarmal auf die Karte. Glühende Linien tauchten auf und markierten die unsichtbaren Grenzen rings um die Territorien der einzelnen Spezies. Die Gebiete erstreckten sich viel weiter, als Sophie bewusst gewesen war, wobei die Grenzen weit jenseits ihrer Hauptstädte verliefen. »Und dieses Arrangement war im Großen und Ganzen auch recht erfolgreich. Wir verteilten unsere Städte in sämtlichen Gegenden der Welt, um alles im Auge behalten zu können. Seither sind keine größeren Kriege zwischen den intelligenten Spezies mehr ausgebrochen, auch wenn es durch die Ereignisse in Serenvale fast dazu gekommen wäre.«

Bo trat von einem Fuß auf den anderen und wirkte nicht allzu erfreut bei der Erinnerung daran, dass die Oger vor sehr langer Zeit die Heimat der Gnome gestohlen und deren ganzes Volk gezwungen hatten, in die Verlorenen Städte zu fliehen.

Flori sah allerdings noch weniger begeistert aus.

MrForkle hielt den Blick auf die Karte gerichtet. »Mit der Zeit ist die Sache jedoch komplizierter geworden. Die Bevölkerung ist überall gewachsen. Und viele fühlen sich durch diese Grenzen eingeschränkt. Vor allem wenn man Folgendes in Betracht zieht.«

Er tippte abermals in einem schnellen Rhythmus auf das Metall und Tausende weitere Städte tauchten an den Stellen auf der Karte auf, die bislang leer gewesen waren, die meisten von ihnen so dicht gedrängt, dass sich ihre Namen in einem Wirrwarr aus Buchstaben überlappten. Trotzdem konnte Sophie erkennen, dass sie auf die Verbotenen Städte blickte.

Menschenstädte.

»Der Hohe Rat stellte es jeder intelligenten Spezies frei, sich ihre Heimat selbst auszusuchen – und behielt dabei Land für uns Elfen sowie die Neutralen Gebiete zurück«, fuhr MrForkle leise fort. »Der Rest des Planeten wurde den Menschen überlassen, weil sie sich deutlich rascher fortpflanzten. Inzwischen sind jedoch viele der Ansicht, dass diese Entscheidung ein Fehler war. Einige haben sogar angefangen, drastische Veränderungen zu fordern. Ich glaube, du hast bereits von dem Vorschlag gehört, eine Menschenzuflucht zu schaffen, der vor einigen Jahrzehnten die Runde machte, nicht wahr, Sophie?«

»Alden hat ihn vor einer Weile erwähnt«, antwortete Sophie. Bei der Vorstellung, alle Menschen im Prinzip in ein riesiges Gefängnis umzusiedeln, wurde ihr immer noch ganz flau im Magen. »War das die Idee der Neverseen?«

»Es lässt sich schwer nachvollziehen, wo das Geraune darüber ursprünglich begann. Doch die Idee fand einige mächtige Unterstützer, selbst unter jenen, die als sehr respektiert und einflussreich galten. Und obwohl der Hohe Rat diese Stimmen am Ende zum Schweigen brachte, versäumte er es, sich des größeren Problems anzunehmen, das mittlerweile seit Jahrhunderten in all unseren Welten unter der Oberfläche schwelt.« Er drehte sich zu Sophie um und schaute ihr in die Augen. »Wir trudeln auf einen Krieg zu. Und ich spreche nicht von einer einzelnen Schlacht, sondern von einem globalen Konflikt, der alle lebendigen Wesen betreffen wird.« Er ließ diese Worte einen Moment lang wirken, ehe er fortfuhr: »Darum ist Black Swan gegründet worden – und darum haben Alden und Quinlin im Lauf der letzten Jahrzehnte heimlich so viele Nachforschungen auf eigene Faust angestellt. Aber es ist auch der Grund, warum die Neverseen existieren. Und warum König Dimitar ein Bündnis mit ihnen geschlossen und eine Seuche unter den Gnomen freigesetzt hat. Und vermutlich ebenso, warum die Trolle Luzia Vacker engagiert haben, um ihnen bei dem Experiment mit ihren Neugeborenen zu helfen. Wir reagieren alle auf dasselbe Problem. Nur die Lösungen trennen uns.«

»Aber … warum?«, musste Sophie einfach fragen und zeigte auf die Karte. »Ich dachte, wir könnten jeden Ort der Welt bewohnbar machen. Also wenn es hier allein um mehr Platz geht, könnten wir dann nicht einfach noch mehr Gebirge aushöhlen oder noch weitere Städte im Meer versenken oder –«

»Könnten wir«, unterbrach MrForkle sie. »Aber wer soll dort leben? Nicht jedes Gebiet eignet sich für eine derartige Erweiterung – und für gewöhnlich verlässt kein Lebewesen gern den Ort, den es als Heimat betrachtet. Außerdem ist völlig unklar, welche Komplikationen es mit sich bringen würde, die verschiedenen Spezies so über den Globus zu verstreuen. Aber selbst wenn wir all diese Probleme lösen könnten, würde es nichts an der Tatsache ändern, dass die Menschen unseren Planeten verschmutzen und seine natürlichen Ressourcen plündern, während sie gleichzeitig Waffen bauen, die uns alle zerstören könnten.«

»Meine Königin hat deswegen schon häufig große Bedenken geäußert«, warf Sandor ein.

»Ebenso wie mein König«, stimmte Bo ihm zu.

»Und das zu Recht«, nickte MrForkle. »Die ganze Situation ist unglaublich verstörend. Und ich kann euch versichern, dass Black Swan mit Hochdruck an einer Lösung arbeitet.«

Sein Blick richtete sich wieder auf Sophie und sie wich einen Schritt zurück.

»Darum geht es bei Projekt Mondlerche? Ich soll …« Sie war sich nicht sicher, wie sie den Satz zu Ende bringen sollte, aber sie beschlich das schreckliche Gefühl, dass er mit so was wie »die Menschheit retten« enden musste.

»Bei Projekt Mondlerche ging es darum, eine wertvolle neue Perspektive zu gewinnen«, erwiderte MrForkle. »Um die Hoffnung, ein frischer Blick könnte etwas entdecken, das uns bislang entgangen war – sowohl in Bezug auf dieses Problem als auch angesichts einiger der Ungerechtigkeiten, die in unserer eigenen Gesellschaft fortbestehen. Alles, was darüber hinausgeht, sollte niemals nur auf deinen Schultern lasten. Du bist ein Teil unserer Organisation. Wir stehen diesen Herausforderungen gemeinsam gegenüber.«

Irgendwie war das gleichzeitig eine Erleichterung und eine Enttäuschung.

Sophie wollte nicht die Antwort auf alles sein. Aber sie hatte auch nichts dagegen, die Antwort auf gewisse Dinge zu sein, nach all den Opfern, die sie hatte bringen müssen.

MrForkle legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Du bist etwas unglaublich Besonderes, Sophie. Und eines Tages wird man dich bitten, noch ganz andere Rollen zu übernehmen – aber für den Moment möchte ich, dass du dich auf das hier konzentrierst.« Er zeigte auf die Karte. »Nach allem, was ich dir gerade erzählt habe, und angesichts dessen, was du hier siehst: Was glaubst du, wie der nächste Schritt der Neverseen aussehen wird?«

Sophie starrte so lange auf die Karte, bis die Farben verschwammen.

»Okay, versuchen wir es anders«, sagte MrForkle. »Was glaubst du, was die Neverseen wirklich wollen? Und ich spreche von der Organisation insgesamt, nicht von den individuellen Zielen ihrer verschiedenen Anführer.«

Die einzige Antwort, die Sophie einfiel, war: »Macht?«

»Ganz genau. Sie wollen diejenigen sein, die alles kontrollieren – das ist einer der entscheidenden Punkte, in denen sich unsere Organisationen voneinander unterscheiden. Black Swan wählte die Rebellion als Mittel, weil wir keine andere Möglichkeit hatten, für gewisse Lösungen zu kämpfen. Und unsere große Hoffnung war dabei stets – und wird es auch immer sein –, Hand in Hand mit dem Hohen Rat zusammenzuarbeiten, wenn wir uns diesen komplizierten Herausforderungen stellen. Die Neverseen hingegen wollten schon immer die Macht übernehmen.«

»Dann … meinen Sie also, dass es ihr nächster Schritt sein wird, den Hohen Rat zu stürzen?«, fragte Sophie und hoffte inständig, dass sie sich irrte.

»Ich glaube, das ist ihr letztendliches Ziel. Aber ich glaube auch, sie sind klug genug, um zu wissen, dass sie für diesen Schlag noch nicht bereit sind. Überleg mal, was passieren würde, wenn sie den Hohen Rat jetzt ausschalten würden. Würden sie sich damit als mächtig erweisen? Oder den Anführern der anderen Spezies eher zeigen, dass die Verlorenen Städte reif für eine Übernahme sind?« Er tippte erneut in einem neuen Rhythmus auf den Tisch, woraufhin sämtliche Städte von der Karte verschwanden, abgesehen von Gildingham, Ravagog, Loamnore und Marintrylla. »Dies ist der Teil, den du die ganze Zeit ignoriert hast, fürchte ich. Unseren Planeten zu regieren, beinhaltet so viel mehr, als nur die Elfen zu führen. Und die Neverseen können es sich nicht leisten, den Hohen Rat zu schwächen, solange sie nicht vorher auch alle anderen Welten geschwächt haben.«

»Uns werden sie niemals schwächen«, schnaubte Bo und seine Knöchel knackten, als er den Griff seines Schwerts noch fester umschloss.

MrForkle schüttelte den Kopf. »Das haben sie bereits. Was ist passiert, als sie euren König getäuscht und dazu gebracht haben, die Seuche unter den Gnomen freizusetzen?«

Sophie war sich nicht sicher, ob es eine so gute Idee war, Bo daran zu erinnern, dass sie und ihre Freunde halb Ravagog hatten überfluten müssen, um aus der Stadt fliehen zu können, nachdem sie sich hineingeschlichen hatten, um König Dimitar das Seuchenheilmittel zu stehlen. Doch Bos Griff um die Waffe lockerte sich wieder ein wenig und seine gefleckte Haut wirkte sichtlich bleicher, als er erwiderte: »Wir haben viele große Krieger verloren.«

»Das habt ihr in der Tat. Und andere sind später zu den Neverseen desertiert. Außerdem musstet ihr eine halbe Stadt neu aufbauen – und wie ich höre, sind die Arbeiten noch immer im Gang.« MrForkle tippte auf das Karten-Ravagog und die Lichter in der Ogerhauptstadt erloschen.

»Wir können trotzdem noch selbst für unseren Schutz sorgen«, entgegnete Bo.

»Ich habe nie behauptet, ihr könntet das nicht. Aber wir wissen alle, dass euer König nach der Flut seine Strategie geändert hat. Er hat nicht mehr die Welt als Ganzes im Blick, sondern konzentriert sich allein auf sein Volk – und genau darum geht es den Neverseen. Sie wollen, dass die anderen Anführer abgelenkt und desorganisiert sind, damit sie den Aufruhr in den Verlorenen Städten nicht bemerken – oder die Möglichkeit haben, diesen für ihre eigenen Zwecke zu nutzen –, bis sich die Situation wieder stabilisiert hat. Und genau das haben sie bei Kaiserin Pernille erreicht: Mit der Enthüllung, dass Luzia Vacker für das Hortexperiment mitverantwortlich war, haben die Neverseen dafür gesorgt, dass die Kaiserin ihre geheime Verbündete verloren hat, ebenso wie die neugeborenen Soldaten samt der Anlage, in der sie erschaffen wurden. Und sie haben Kaiserin Pernille gezwungen, sich mit einer Reihe von Vertragsbrüchen auseinanderzusetzen, wodurch sie für geraume Zeit viel zu beschäftigt sein wird, um sich darum zu kümmern, was in unserer Welt passiert.«

Ein weiteres Tippen, und auch Marintrylla verdunkelte sich auf der Karte.

»Damit bleiben noch die Kobolde und die Zwerge«, murmelte Sophie und spürte, wie ein schweres, gurgelndes Gefühl der bösen Vorahnung in ihrem Magen rumorte. »Andererseits … hat der Angriff auf Lumenaria bereits zahlreiche Kobolde das Leben gekostet.«

»Das konnte unseren Streitkräften insgesamt nicht viel anhaben«, widersprach Sandor ihr. »Unsere Armee ist gewaltig.«

»Das ist sie«, stimmte MrForkle ihm zu.

Dennoch ließ er mit einem Unheil verheißenden Tippen auch Gildingham auf der Karte erlöschen.

»Mein Bauchgefühl sagt mir«, fügte er dann hinzu, »dass die Neverseen mit einem gezielten Angriff auf Königin Hylda noch warten werden, bis sie bereit sind, den Hohen Rat zu stürzen, da die Kobolde den Hohen Rätinnen und Räten als Leibwachen dienen. Und bevor sie den Hohen Rat stürzen können, müssen sie die Mehrheit unseres Volkes auf ihre Seite ziehen, weil die Elfen sie sonst als Anführer ablehnen würden und unsere Welt sich in einer neuen Revolution auflösen würde. Darum zielen die Neverseen auch bei jedem einzelnen ihrer Schritte darauf, mächtig zu erscheinen und gleichzeitig den Hohen Rat schwach und töricht aussehen zu lassen. Und diese Taktik hat dazu geführt, dass viele in unserer Welt die Stärke und Autorität des Hohen Rates infrage stellen.«

»Aber alle haben beim Sternenfestival gesehen, wie sich Vespera, Ruy und Gethen in ihrem kleinen Kraftfeld verkrochen haben«, erinnerte Sophie ihn. »Und wie sie Umber einfach zurückgelassen haben, ohne sich zu vergewissern, ob sie vielleicht noch lebt.«

»Ja, damit haben sie einen schweren Fehler begangen – und das nicht zuletzt dank dir und deiner Freunde.« Er kam näher, legte beide Hände auf Sophies Schultern und beugte sich auf Augenhöhe zu ihr hinunter. »Mir ist bewusst, wie leicht es ist, nur unsere Niederlagen zu sehen. Aber du solltest nicht außer Acht lassen, was wir erreicht haben. Wir haben es geschafft, sämtlichen Plänen der Neverseen etwas von ihrer Durchschlagskraft zu nehmen. Und diesmal? Diesmal werden wir sie komplett durchkreuzen.«

Aller Augen richteten sich auf Loamnore, das wie ein Leuchtfeuer auf der ansonsten dunklen Karte erstrahlte.

Wie eine Zielscheibe leuchtete.

Und dennoch musste Sophie ihn fragen: »Wie können Sie sich da so sicher sein?«

Sie hatten sich schon so oft geirrt, was die Pläne der Neverseen betraf. Tatsächlich war sie sich ziemlich sicher, dass sie noch überhaupt nie richtig gelegen hatten.

»Ich kann mir sicher sein, Sophie, weil die Neverseen sich diesmal in die Karten haben schauen lassen. Dass sie Tam mitgenommen haben, war niederschmetternd – aber nicht nur für uns. Tatsächlich hat es ihnen einen noch viel schlimmeren Schlag versetzt. Denn nun wissen wir, dass Schatten eine Rolle bei der nächsten Phase ihres Plans spielen werden.«

»Schattenflux«, korrigierte Sophie ihn.

»Das wird fraglos entscheidend sein, ja. Ich bezweifle allerdings, dass sie sich auf einen einzigen Aspekt von Tams Fähigkeiten konzentrieren werden, wenn sie das gesamte Spektrum für sich nutzen können, vor allem weil Schatten so mächtig sind. Deshalb halte ich es für das Beste, wenn wir unseren eigenen Blick erweitern und davon ausgehen, dass Dunkelheit der Schlüssel sein wird, in all ihren unterschiedlichen Formen. Und wo wäre Dunkelheit wertvoller als in einer unterirdischen Stadt, die von Kreaturen bevölkert wird, die nur äußerst selten ans Licht treten?«

Sophie spürte ein wie elektrisches Kribbeln unter der Haut, als er sich wieder der Karte zuwandte und in einem neuen Rhythmus auf den Tisch tippte. Die Drahtstifte bildeten die Zwergenhauptstadt daraufhin in vergrößerter Form ab und sie erinnerte Sophie an eine Ameisenfarm: ein Labyrinth aus sorgfältig gegrabenen Tunneln, die sich tief in die Erde schlängelten und zu unterirdischen Plätzen in verschiedenen Größen sowie zu den überall verstreut liegenden blasenartigen Wohnhäusern führten. Irgendwie wirkte die Stadt gleichzeitig größer und kleiner, als Sophie erwartet hatte. Grady hatte ihr einmal erzählt, dass laut der jüngsten Volkszählung nur noch dreihundertneunundzwanzig Zwerge auf dem gesamten Planeten lebten – und das schon bevor dreißig von ihnen verschwunden waren und einige andere ihr Leben bei der Schlacht auf dem Mount Everest verloren hatten. Trotzdem war es seltsam, nur so wenige Häuser in Loamnore zu sehen, vor allem weil die Tunnel sich viele Kilometer weit erstreckten.

»Okay«, sagte sie und hatte beinahe Angst davor zuzugeben, dass MrForkle ein gutes Argument vorgebracht hatte. In ihrem Herzen stieg ein wunderbar leichtes Gefühl auf, das sie verdächtig an Hoffnung erinnerte – und Hoffnung gehörte zu den Empfindungen, die sie schon viel zu oft auf eine falsche Fährte gelockt hatten. »Mal angenommen, Sie haben recht: Woher sollen wir wissen, was die Neverseen mit den Zwergen vorhaben? Ich meine … was genau? Ich sehe hier nämlich Tausende unterirdischer Wege, und jeder davon könnte für einen Angriff genutzt werden.«

»Genau das sollst du mit deinen Freunden herausfinden. Ihr habt momentan schließlich alle etwas mehr Zeit, solange die Foxfire geschlossen ist.«

»Äh … und wie sollen wir das bitte anstellen?«

»Indem ihr herausfindet, wie die Neverseen Schattenflux – und Schatten oder Dunkelheit im Allgemeinen – dazu nutzen können, die Zwerge zu schwächen, während sie den Hohen Rat gleichzeitig in einen weiteren Skandal verwickeln.«

»Ach so, na, wenn das alles ist …«, erwiderte sie und die leise Hoffnung in ihrem Herzen verpuffte. »Und ich dachte schon, Sie würden sich diesmal vage ausdrücken.«

»Ich glaube, du wirst noch erkennen, dass auch diese grundlegenden Informationen die Optionen viel weiter eingrenzen, als dir klar ist. Vor allem wenn du dazu noch den Umstand bedenkst, dass bei diesem Angriff vor allem du und deine Freunde das Ziel sein werdet.«

Sophies Mund fühlte sich mit einem Mal ganz trocken an und ihre Stimme klang etwas kratzig, als sie fragte: »Sind wir das nicht immer?«

»In gewisser Weise, ja. Aber bis jetzt haben sie hauptsächlich versucht, euch auf die Probe zu stellen oder euch zu kontrollieren. Diesmal glaube ich jedoch, dass sie darauf abzielen werden … nun, ich schätze, ›euren Geist zu brechen‹ trifft es am besten. Ihre Übertragung beim Sternenfestival ist nach hinten losgegangen. Es haben nicht nur alle mitbekommen, dass mehrere Mitglieder der Neverseen sich feige versteckt haben und schließlich geflohen sind – es haben auch alle gesehen, wie du und deine Freunde euch der Gefahr gestellt und tapfer gekämpft habt. Und das hat dazu geführt, dass nun viele in unserer Welt begriffen haben, was Black Swan und ich schon vor langer Zeit erkannten: die wahre Zukunft, auf die wir uns konzentrieren sollten.«

Sophie spürte eine neue Gänsehaut auf ihren Armen kribbeln. Aber diesmal war es eher ein Jucken. Und es schien sie beinahe herauszufordern.

»Ja«, fuhr MrForkle fort. »Die Verantwortung ist in der Tat gewaltig. Aber jede junge Generation muss lernen, sie zu tragen. Die Älteren mögen vielleicht über größeres Wissen und mehr Erfahrung verfügen. Dafür besitzen die Jüngeren Kühnheit und Mut und die Bereitschaft, für das zu kämpfen, woran sie glauben, und zwar mit beeindruckender Energie. Und du und deine Freunde habt allen sehr deutlich vor Augen geführt, dass jeder von uns eine echte Kraft der Veränderung sein kann. Ich vermute daher, dass die Neverseen mit allen Mitteln versuchen werden, dem entgegenzuwirken, indem sie euch in eine Situation bringen, in der ihr gezwungen seid, euch in aller Öffentlichkeit zu ergeben. Und es ist gewiss nicht leicht, das zu hören –«

»Nein, schon okay«, unterbrach Sophie ihn und schlang sich die Arme um den Bauch, um die aufsteigende Übelkeit im Zaum zu halten. »Wir hören doch schließlich alle gern, dass eine fiese Bande von Bösewichten unseren Geist brechen will, oder?«

»Aber das wird ihnen niemals gelingen«, sagte Flori. Sie griff nach Sophies behandschuhter Hand, ließ ihren grünen Daumen über den Handrücken kreisen und summte dabei eine sanfte Melodie, die klang wie das Flüstern eines warmen Frühlingsregens.

Sophie schloss die Augen und ließ zu, dass das Lied ihren Geist erfüllte und einen Teil der Panik vertrieb.

»Es ist in Ordnung, Angst zu haben, Sophie«, versicherte MrForkle ihr. »Die habe ich auch.«

Doch dadurch fühlte sie sich kein bisschen besser. Im Gegenteil: Sie wünschte sich, wieder ein kleines Kind sein und glauben zu können, die Erwachsenen in ihrem Leben würden sich um alles kümmern.

Flori summte eine weitere Strophe und ließ die leisen Klänge um sie herumschweben, ehe sie sagte: »Der Trick ist, deine Furcht anzuerkennen und dich von ihr dazu antreiben zu lassen, noch entschlossener zu kämpfen.«

»Ich kämpfe doch schon so entschlossen, wie ich kann!«, gab Sophie zurück.

»Dann ist es eben an der Zeit, klüger zu kämpfen«, erwiderte MrForkle. »Die Neverseen haben euren Freund an sich gebracht und sie werden ihn dazu benutzen, euch mit ihrem nächsten Schlag dort zu treffen, wo ihr am verletzlichsten seid. Der Kern ihres Plans wird etwas sein, das sich nicht nur auf euch auswirkt, sondern auch auf den Hohen Rat – und auf die Zwerge. Wenn ihr diese drei Ziele als Einheit betrachtet, dann habe ich keinerlei Zweifel daran, dass du und deine Freunde herausfinden könnt, mit welcher Art von Bedrohung wir es als Nächstes zu tun bekommen werden.«

»Sollte nicht auch jemand König Enki warnen?«, fragte Sandor, beugte sich über die Karte und musterte sie aufmerksam.

»Das habe ich schon getan«, antwortete MrForkle. »Er trifft bereits erste Maßnahmen. Allerdings waren mehrere der Zwerge, die zu den Neverseen übergelaufen sind, entscheidende Köpfe hinter der Sicherheitsstrategie in der Stadt, deshalb haben wir noch einiges an Arbeit vor uns. Aber wir müssen uns dieser Herausforderung stellen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Neverseen die Zwerge schwächen. Es würde unsere Welt viel zu nah an den Abgrund ihres letztendlichen Ziels treiben. Außerdem sind die Zwerge sehr wichtig für uns. Ohne sie wären wir niemals in der Lage gewesen, nach den letzten Angriffen der Neverseen alles wiederaufzubauen.«

»Mein Volk hat euch ebenfalls sehr geholfen«, warf Flori ein. »Lassen Sie uns nicht außer Acht.«

»Das tue ich nicht. Und ich bin mir sicher, die Neverseen tun es ebenso wenig. Sie werden zweifellos einen weiteren Schlag gegen die Gnome führen, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen ist. Darum habe ich es dir – und Sophies anderen Leibwachen – auch erlaubt, an diesem Treffen teilzunehmen.«

Sandor und Bo wiederholten leise spöttelnd das Wort »erlaubt«.

MrForkle lächelte. »Oh, ich kann euch versichern: Wenn ich euch nicht in meinem Arbeitszimmer haben wollte, könnte ich euch schneller hinauswerfen, als ihr eure Waffen zücken könnt. Das ist mein absoluter Favorit unter all den Sicherheitsvorkehrungen, die Patent für mich entworfen hat. Ich habe diese Möglichkeit jedoch nicht genutzt, weil ich mich darauf verlasse, dass ihr drei dafür sorgen werdet, dass eure Völker ebenfalls so gut wie möglich auf alles vorbereitet sind. Nur für den Fall, dass die Neverseen auch eure Welten weiter zu schwächen versuchen, während sie gleichzeitig die Zwerge ins Visier nehmen. Ich werde außerdem den Hohen Rat über alles informieren und davon überzeugen, eigene Maßnahmen zu treffen. Und in der Zwischenzeit«, er wandte sich wieder Sophie zu, »möchte ich, dass du und deine Freunde euch auf das konzentriert, was wir besprochen haben. Ich würde euch empfehlen, mit Tam anzufangen. Denkt darüber nach, wo seine Stärken und eure Schwächen liegen, denn der Plan der Neverseen zielt höchstwahrscheinlich auf die Punkte ab, an denen sie sich überschneiden.«

Sophie schluckte schwer, doch das konnte den Kloß in ihrem Hals auch nicht lösen, ehe sie sich zu der Frage durchrang, vor der sie am meisten Angst hatte. »Also … dann denken Sie, dass Tam tun wird, was sie von ihm verlangen? Sie glauben nicht, dass er einen Weg finden wird, sich ihnen zu widersetzen?«

MrForkle wandte den Blick ab. »Ich glaube, dass es im Ernstfall nur sehr wenige Dinge gibt, die Tam nicht tun würde, um seine Schwester zu beschützen. Und Lady Gisela weiß das nur allzu gut.«

Sophie wünschte, sie könnte ihm widersprechen. Aber ihr machte genau dasselbe Sorgen.

Tam hatte die Verlorenen Städten damals freiwillig verlassen, nachdem der Hohe Rat Linh verbannt hatte, damit sie nicht ganz allein war. Die beiden hatten anschließend jahrelang in den Neutralen Gebieten in schäbigen Zelten gehaust und wären beinahe verhungert. Außerdem hatte Tam sich vor allem seiner Schwester zuliebe Black Swan angeschlossen.

Das alles machte ihn unglaublich mutig und liebenswert und ehrenhaft und …

… ein bisschen furchterregend – zumindest in seiner momentanen Lage.

»Er braucht eure Hilfe«, fügte MrForkle hinzu. »Ihr könnt Tam davor bewahren, eine unmögliche Entscheidung treffen zu müssen. Tausch dich mit deinen Freunden darüber aus, was ihr jeweils über Tam wisst. Und dann sprecht mit Lady Zillah, damit sie euch alles erzählt, was sie ihm beigebracht hat – und was sie über Schattenflux weiß. Außerdem rate ich dazu, euch mit Loamnore vertraut zu machen. Linh hat dort kurz gewohnt, deshalb kann sie vielleicht etwas zu den Schwachstellen der Stadt sagen. Und ihr solltet euch auch mit Nubiti unterhalten. Ihr dürft ihr gern von meinen Theorien berichten – falls sie uns nicht ohnehin zugehört hat. Vielleicht kann sie uns mit ein paar tieferen Einblicken weiterhelfen. Selbstverständlich werde ich auch baldmöglichst ein Treffen zwischen euch und König Enki arrangieren, ebenso wie eine Führung durch Loamnore.«

Sophie nickte und befahl sich selbst, Erleichterung zu empfinden, als er mit der Faust auf den Tisch schlug und das Metall wieder eine glatte, leere Oberfläche bildete. Sie hatten noch nie zuvor zu einem so frühen Zeitpunkt eine konkrete Strategie gehabt, um die Neverseen aufzuhalten – und sie hatte MrForkle dabei noch nicht einmal die Würmer aus der Nase ziehen oder einem Haufen rätselhafter Hinweise und Nachrichten folgen müssen, bevor er ihr alles anvertraute.

Es war definitiv ein Fortschritt!

Aber … war es auch genug?

Und was würden ihre Freunde davon halten, sich auf Tam zu konzentrieren?

Sophie vermutete, dass der Vorschlag nicht gut ankommen würde, aber … wenigstens bescherte ihr das Ganze eine hervorragende Ausrede, nicht darüber zu sprechen, was –

»Warten Sie«, sagte sie, als die Tür aufging und MrForkle seinen Wegfinder aus seiner Umhangtasche holte. Sophie war von der Karte und seinen Theorien zu den Zwergen und Tam so abgelenkt gewesen, dass ihr völlig entfallen war, weshalb sie ursprünglich um dieses Treffen gebeten hatte. »Das hat alles nichts damit zu tun, worüber ich mit Ihnen reden wollte.«

MrForkle drehte an dem Kristall am Ende des Stabs. »Nun, du wirst mir aber doch gewiss darin zustimmen, dass das hier viel wichtiger ist.«

Das war es – und auch wieder nicht.

Im Vergleich zu all dem, was im Moment so los war, rangierte ihr Privatleben einerseits ziemlich weit unten.

Andererseits … hatte sie neun Tage lang auf diese Gelegenheit gewartet und würde sie nicht ungenutzt verstreichen lassen.

»Es dauert bloß eine Minute«, versprach sie ihm, straffte die Schultern und versuchte, selbstbewusst zu klingen, als sie ihre einstudierte kurze Rede vorzutragen begann. »Ich weiß, dass Sie mir gewisse Dinge darüber, wer ich bin oder was für Pläne Sie mit mir haben, woher ich komme oder was in meiner Vergangenheit passiert ist, nicht erzählen wollen. Und ich weiß auch, dass Sie glauben, Sie würden mich damit beschützen. Aber ich komme mit diesen Dingen inzwischen klar. Und ich mache mir Sorgen, dass all die Geheimnisse zwischen uns mit ein Grund dafür sind, warum wir immer wieder verlieren. Manchmal fällt es mir deswegen ehrlich schwer, Ihnen zu vertrauen – und darüber hinaus fehlen mir einige ziemlich wichtige Informationen. Deshalb sollten wir uns darauf einigen, dass es an der Zeit ist, all diese Geheimnisse zu lüften.«

Sie atmete aus.

So.

Sie hatte es gesagt.

Jetzt hoffte sie, dass er ihr widersprach und behauptete, ihr unmöglich alles erzählen zu können – schließlich hatte sie es hier mit MrForkle zu tun –, bevor er ihr einen Kompromiss anbot und sich einverstanden erklärte, ihr wenigstens eine einzige Frage zu beantworten.

Sie hatten sich schon einmal auf einen ganz ähnlichen Handel geeinigt und Sophie wusste genau, welche Frage sie ihm diesmal stellen würde.

Aber MrForkle hielt sich nicht an ihr Drehbuch.

»Es tut mir leid, Sophie.« Er hielt den Blick weiter auf seinen Wegfinder gerichtet, während er die Facette einstellte. »Ich kann dir nicht verraten, was du wissen möchtest.«

»Sie wissen doch noch gar nicht, was ich wissen möchte«, entgegnete sie.

»O doch. Du … möchtest wissen, wer deine biologischen Eltern sind.«

Sophie blinzelte. »Woher –«

»Ich kenne dich viel besser, als dir klar ist. Und daher weiß ich ebenfalls, dass du nicht glücklich sein wirst, wenn ich dir sage, dass die Antwort auf deine Frage Nein lautet. Leider.«

»Warum?«

Er seufzte. »Das darf ich dir auch nicht verraten.«

Sie biss die Zähne zusammen. »Ich hab verdient, es zu wissen.«

»Ganz recht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es dir nicht sagen kann – denn betrifft es nicht nur dich. Die Auswirkungen wären zu gewaltig. Es tut mir leid. Mir ist bewusst, dass es nicht das ist, was du hören wolltest. Aber es ist das Beste, was ich dir geben kann.«

Sein Tonfall sagte eindeutig, dass ihre Unterhaltung damit beendet war.

Doch Sophie konnte die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sie musste ihm begreiflich machen, wie gewaltig das Ganze sich auch auf sie auswirkte, selbst wenn es bedeutete, die Worte aussprechen zu müssen, die sie seit jenem schrecklichen Tag in Atlantis unterdrückt hatte, als sie mit einem falschen Lächeln im Gesicht aus dem Büro der Heiratsvermittlerinnen getaumelt war und so getan hatte, als wäre alles in Ordnung.

»Ich bin unvermittelbar.«

Es war nur ein Flüstern, aber Sophie wusste, dass alle sie gehört hatten. Denn sie schnappten alle nach Luft. Sogar Bo, dem das volle Ausmaß dieser Tatsache wahrscheinlich gar nicht bewusst war.

Die Elfen diskriminierten niemanden wegen der Hautfarbe oder des Geldes, wie die Menschen es oft taten. Aber jeder Elf, der Teil einer als unpassend eingestuften Verbindung war, wurde für den Rest seines Lebens mit Verachtung gestraft – ebenso wie seine Kinder. Hauptsächlich waren davon Talentlose betroffen, da sich die Heiratsvermittler darauf konzentrierten, Paare zusammenzubringen, die über die stärksten Fähigkeiten verfügten, in der Hoffnung, ihre Kinder würden dadurch ebenso stark werden. Die Grundlage dieses Systems war die Genetik, um zu gewährleisten, dass niemand beispielsweise eine entfernte Verwandte heiratete, was in einer Welt, in der alle über Jahrtausende hinweg wunderschön und gesund blieben, nur allzu leicht passieren konnte.

Und wenn Sophie die Namen der beiden Elfen nicht angeben konnte, deren DNA sie in sich trug, dann konnten die Heiratsvermittler nichts weiter für sie tun, als ihr mitfühlend den Kopf zu tätscheln und sie mit dieser Schmach wieder fortzuschicken.

Sie hatte wirklich keine Ahnung, wie sie es aus jenem Zimmer geschafft hatte, ohne in Tränen auszubrechen – oder wie sie ihren Eltern erklärt hatte, weshalb sie kein Vermittlungspaket bei sich trug, als sie sich in der Lobby wieder zu ihnen gesellt hatte und anschließend mit ihnen nach Hause zurückgekehrt war.

Sie konnte sich nur noch sehr verschwommen an alles erinnern und ihr wurde jedes Mal übel, wenn sie nur daran dachte. Und die neun Tage danach waren sogar noch unerträglicher gewesen. Sie hatte ihren Freunden aus dem Weg gehen müssen, weil sie Angst gehabt hatte, sie würden sofort erkennen, dass irgendetwas passiert war, und ihr Gehirn hatte in dieser Zeit immer neue lebhafte Szenarien erschaffen, auf welche Weise ihr Leben in sich zusammenstürzen würde. Das Einzige, was ihr die Kraft gegeben hatte durchzuhalten, war die Aussicht auf diesen Moment gewesen – auf diese Chance, die Katastrophe doch noch abzuwenden.

»Bitte«, sagte sie, bereit, auf die Knie zu fallen und MrForkle anzuflehen. »Ich werde es auch niemandem verraten und –«

»Das müsstest du aber«, unterbrach er sie. »Diese Informationen würden dir nur etwas nützen, wenn sie an offizieller Stelle verzeichnet wären. Und das darf nicht passieren.«

»Aber ich bin unvermittelbar!«, wiederholte sie, diesmal deutlich lauter. Und sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass er nicht einmal mit der Wimper zuckte.

Und dann wurde ihr klar …

»Sie wussten es.«

Sie hätte schon längst darauf kommen müssen.

Er war derjenige gewesen, der ihr Ursprungszertifikat ausgefüllt und diese entscheidende Information dabei ausgelassen hatte.

Natürlich hatte er gewusst, was dies eines Tages für sie bedeuten würde.

»Was soll das sein?«, fauchte sie. »Eine weitere Möglichkeit, wie Sie mit Projekt Mondlerche meine Sichtweise manipulieren können, damit ich die törichten Fehler in unserer Welt erkenne? Soll ich vielleicht so eine Art Aushängeschild sein für die Schattenseiten der Heiratsvermittlung?«

»Selbstverständlich nicht! Auch wenn ich mich daran zu erinnern glaube, dass du gewisse Vorbehalte gegen dieses System hegst. Du hast sogar ernsthaft in Erwägung gezogen, nicht daran teilzunehmen.«

Das stimmte.

Die Heiratsvermittlung war enttäuschend unromantisch und definitiv problematisch. Aber das war gewesen, bevor …

Sophie konnte noch nicht mal daran denken, ohne sich übergeben zu wollen. Und dennoch blitzten in ihrem Geist sofort zwei wunderschöne aquamarinblaue Augen auf.

Fitz hatte so hinreißend ernst ausgesehen – so aufrichtig –, als er die sechs Worte ausgesprochen hatte, die alles verändert hatten.

Ich will, dass du es bist.

Der Junge, den sie schon seit dem allerersten Moment mochte, als er sie damals auf dem Schulausflug entdeckt und ihr gezeigt hatte, wohin sie wirklich gehörte – der Junge, der eigentlich so unerreichbar für sie sein sollte, dass es beinahe lächerlich war –, hatte ihr gestanden, dass er ihren Namen auf seinen Heiratsvermittlungslisten sehen wollte. Und ob sie dieses System nun guthieß oder nicht, sie musste zusehen, dass ihr Name tatsächlich darauf stand, damit sie zusammen sein konnten.

Aber sie war unvermittelbar.

»Bitte«, versuchte sie es erneut. »Es muss einen Weg geben, die Sache in Ordnung zu bringen.«

»Ich wünschte, den gäbe es.«

Das Bedauern in seiner Stimme klang echt.

Doch das half Sophie auch nicht weiter.

»Mir ist bewusst«, fügte er hinzu, »dass in deinem Alter Schwärmereien und Beziehungen alles zu sein scheinen. In Wahrheit sind sie jedoch nur ein winziger Teil des Lebens – und sie gehören ganz sicher nicht zu den Dingen, die du überstürzen musst. Vielleicht wird in ein paar Hundert Jahren –«

»In ein paar Hundert Jahren?«, wiederholte Sophie und hasste die unbegrenzte Lebensspanne der Elfen plötzlich mit der Kraft und dem Feuer von tausend brennenden Sonnen.

Es spielte keine Rolle, wie er diesen Satz hatte beenden wollen. In ein paar Hundert Jahren hätten alle, die sie kannte, bereits einen Partner oder eine Partnerin gefunden.

Tatsächlich würden sie wahrscheinlich alle in den nächsten zehn Jahren vermittelt werden. Fitz ganz bestimmt. Trotz des Dramas, das seine Familie im Augenblick umgab, war er praktisch ein Mitglied der elfischen Royals. Außerdem sah er unfassbar gut aus, war charmant und talentiert, süß und fürsorglich und stark und –

»Zeit ist relativ«, unterbrach MrForkle Sophies Gedankenstrom. »Manchmal erscheint etwas unglaublich dringend und ist im großen Ganzen doch nahezu unbedeutend. Mir ist klar, dass dieses Konzept in so jungem Alter nur schwer zu begreifen ist – und ich bin mir sicher, dass es für dich sogar noch schwerer ist, wenn man bedenkt, wie du aufgewachsen bist.«

»Ich bin nur Ihretwegen so aufgewachsen«, spuckte sie aus.

»Ja, das gehört zu den wenigen Dingen, bei denen wir dir keine Wahl gelassen haben. Trotzdem nehme ich an, dass du die Zeit nicht missen möchtest, die du mit deinen menschlichen Eltern und deiner Schwester verbracht hast.«

»Stimmt«, gab sie zu. »Aber das heißt nicht, dass ich es nicht verdient hätte, meine biologischen Eltern zu kennen – vor allem weil sie nicht zu kennen, alles zerstört.«

»Nicht alles«, widersprach er. »Und es zerstört auch nichts. Es macht die Dinge nur etwas komplizierter.«

Sophie schüttelte den Kopf.

Es würde zerstören, was zwischen ihr und Fitz war. Und das war mehr als genug.

»Bitte tun Sie mir das nicht an«, flüsterte sie, während Flori erneut zu summen begann, um sie zu beruhigen.

MrForkle fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich tue dir gar nichts an. Wir befinden uns nur … in einer Sackgasse. Und ich wünschte, ich könnte daran etwas ändern. Aber im Augenblick führt kein Weg hinaus – und angesichts all der Dinge, die zurzeit passieren, möchte ich dich inständig bitten, die Sache fürs Erste aus deinen Gedanken zu verbannen. Du darfst dich dadurch nicht davon ablenken lassen, was wir besprochen haben. Konzentriere dich auf die Zwerge. Es steht zu viel auf dem Spiel, Sophie. Zu viele Leute, die uns etwas bedeuten, könnten verletzt werden. Ich weiß, dass du klug genug bist, um das zu erkennen, deshalb werde ich sonst nichts weiter dazu sagen.«

Sophie wandte sich ab, zählte ihre Atemzüge und verbot sich zu weinen. Aber sie konnte trotzdem spüren, wie die Tränen in ihren Augen brannten, als MrForkle ihr Kinn hob, um sie anzusehen.

»Du bist der stärkste, einfallsreichste Elf, der mir jemals begegnet ist, Sophie. Und nach allem, was du bereits überlebt hast, weiß ich, dass du auch das hier überleben wirst.«

Er irrte sich.

Das hier war ganz offiziell zu viel.

Aber …

Vielleicht hatte er auch recht.

Sie war stark und einfallsreich.

Und sie würde nicht klein beigeben.

Sie hatte in den letzten Jahren gelernt, mit mehreren Herausforderungen gleichzeitig zu jonglieren. Sie beherrschte die Kunst des Multitaskings perfekt.

Deshalb ließ sie zu, dass MrForkle sie und ihre Leibwachen wieder auf die sonnenbeschienene Wiese hinausführte, während sie bereits ihren Heimkristall unter ihrer Tunika hervorholte. Sie musste schnell davonspringen, damit er keinen Blick auf den neuen Plan erhaschte, der bereits in ihrem Kopf Gestalt annahm.

Wenn er ihr nicht sagen wollte, wer ihre biologischen Eltern waren, dann würde sie es eben selbst herausfinden.

2

Und, wie ist es gelaufen?«, rief Grady Sophie zu, als sie mit ihren Leibwachen auf einen blumengesäumten Pfad in Havenfield glitzerte. Sophie brauchte eine Sekunde, bis sie ihren Adoptivvater in der Nähe des Triceratopsgeheges entdeckte. Edaline, ihre Adoptivmutter, stand neben ihm.

Havenfield gehörte zu den Eingewöhnungszentren für die Zuflucht, deshalb tummelte sich auf den saftig grünen Weiden, die sich bis zu den steilen, an das Anwesen grenzenden Meeresklippen erstreckten, stets eine Fülle bizarrer Kreaturen. Eines von Sophies Lieblingstieren hüpfte gerade auf wackeligen Beinen um Grady und Edaline herum, flatterte mit seinen Flügeln mit blauen Spitzen und schüttelte seine glänzende Mähne.