Keeper of the Lost Cities – Das Tor - Shannon Messenger - E-Book

Keeper of the Lost Cities – Das Tor E-Book

Shannon Messenger

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Beschreibung

Keeper of the Lost Cities. Das Tor  
Ein episches Fantasy-Abenteuer der preisgekrönten Bestsellerautorin Shannon Messenger. Die fantastische Reihe um Elfen, Freundschaft und Magie mit jeder Menge Spannung für Mädchen und Jungen ab 12 Jahren.    

Der fünfte Band des mitreißenden Abenteuers
Als Sophie in die Welt der Elfen zurückkehrt, ist nichts wie zuvor: Die Neverseen, eine gefährliche Geheimorganisation, verbreiten Angst und Schrecken. Sie wollen den Hohen Rat der Elfen stürzen und die Macht an sich reißen! Sophie und ihre Freunde müssen das um jeden Preis verhindern. Wird es ihnen rechtzeitig gelingen, die Neverseen aufzuspüren und die magische Welt zu retten? 

  • das ideale Geschenk: perfekter Lesestoff für Jungen und Mädchen ab 12 Jahren
  • wie eine richtig gute, actiongeladene Serie: ein Jugendbuch über Fabelwesen, Magie, Liebe und Freundschaft
  • So macht Lesen Spaß: fantastische Welten, starke weibliche Charaktere, verblüffende Wendungen und atemlose Spannung 
  • zeitloses Fantasy-Epos: Fans von „Woodwalkers“, „Land of Stories“ und „Harry Potter“ werden dieses Buch verschlingen
  • Extra-Motivation: Zu diesem Buch gibt es ein Quiz bei Antolin.     

„Keeper of the Lost Cities. Das Tor“ ist der fünfte Teil der preisgekrönten magischen Fantasy-Reihe – voller Zauber, Action und Abenteuer!      

Alle Bände dieser Reihe:
Band 1: Keeper of the Lost Cities. Der Aufbruch (9783845840901)
Band 2: Keeper of the Lost Cities. Das Exil (9783845840918) 
Band 3: Keeper of the Lost Cities. Das Feuer (9783845844541)
Band 4: Keeper of the Lost Cities. Der Verrat (9783845846293) 
Band 5: Keeper of the Lost Cities. Das Tor (9783845846309) 
Band 6: Keeper of the Lost Cities. Die Flut (9783845846316) 
Band 7: Keeper of the Lost Cities. Der Angriff (9783845846323) 
Band 8: Keeper of the Lost Cities. Das Vermächtnis (9783845846330)
Band 8,5: Keeper of the Lost Cities. Entschlüsselt (9783845851488)
Band 9: Keeper of the Lost Cities. Sternenmond (9783845851495) - erscheint im August 2023

Weitere Bände sind in Planung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 813

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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2022

Text copyright © 2016 by Shannon Messenger

Titel der Originalausgabe: Keeper of the Lost Cities – Lodestar

Die Originalausgabe ist 2016 bei Simon and Schuster (Aladdin) erschienen.

© 2022 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, D-80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung: Doris Attwood

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition unter Verwendung des Originalcovers

Coverillustration: Jason Chan, Typografie von geen graphy/shutterstock.com und Bildmaterial von Warm_Tail/shutterstock.com

Design: Karin Paprocki

Innenvignetten: Bildmaterial von Spicy Truffel/shutterstock.com

Satz: Müjde Puzziferri, MP Medien, München

ISBN eBook 978-3-8458-4642-2

ISBN Printausgabe 978-3-8458-4630-9

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Für Katie und Jo,

die den Worten »alle Erwartungen übertreffen«

eine völlig neue Bedeutung verleihen.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

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DANKSAGUNGEN

ÜBER DIE AUTORIN

Prolog

Das ist genau das, was sie wollen.

Die Worte wirbelten durch Sophies Kopf, als sie die Wendeltreppe hinaufrannte, ihre Schritte zählte und zu erraten versuchte, durch welche Tür sie gehen sollte.

Sie drückte die erste Klinke nach unten – abgeschlossen.

Hinter der nächsten Tür war nichts als Dunkelheit.

Die dritte enthüllte einen Gang, der in den unheimlichen blauen Schein von Signalfeuerwandleuchtern getaucht war.

Der Boden bebte, während sie zögerte. Staub fiel durch die Decke und kratzte so sehr in ihrer Kehle, dass es ihr beim Atmen wehtat.

Sophie folgte den Flammen.

Die Flure schlängelten sich hierhin und dorthin – ein dichtes Labyrinth, erschaffen, um zu täuschen. Zu verschlingen. Zu trennen.

Die Erschütterungen wurden mit jedem ihrer Schritte stärker, die Verschiebung subtil, aber unverkennbar.

Und zu weit entfernt.

Niemand sonst würde das anschwellende Beben spüren, wie Wellen, die stetig an Geschwindigkeit zunahmen.

Sie waren zu sehr von ihrer Feier abgelenkt.

Zu sehr in ihrem vermeintlichen Sieg gefangen.

Zu vertrauensselig.

Zu blind.

Zu spät.

Der Boden erzitterte noch heftiger und in den Steinen bildeten sich knackend erste Risse.

Das ist genau das, was sie wollen.

1

Das ist ein sicherheitstechnischer Albtraum!«, grummelte Sandor, die graue Pranke einsatzbereit über dem mächtigen schwarzen Schwert.

Seine quietschende Stimme erinnerte Sophie eher an eine sprechende Maus als an einen tödlichen Leibwächter.

Eine größere Gruppe von Schützlingen stürmte an ihnen vorbei und Sandor zog Sophie näher zu sich heran, als alle lachend und kichernd in die Luft sprangen. Die Schützlinge versuchten, die mit Süßigkeiten gefüllten Blasen zum Platzen zu bringen, die an den schimmernden Kristallbäumen vorbeischwebten. Überall um sie herum rannten Kinder in den bernsteinfarbenen Uniformen der Stufe drei durch das mit Konfetti übersäte Atrium, ihre Umhänge hinter ihnen herflatternd. Einige bedienten sich an den Leckereien und Flaschen mit Frischbeerensaft. Andere steckten in Lametta eingewickelte Geschenke in die langen weißen Spitzhüte, sogenannte Denkerhauben, die an sämtlichen Spinden hingen.

Die Halbjahresfeier war eine Tradition der Foxfireakademie – und ganz sicher weit von der unausweichlichen Katastrophe entfernt, die Sandor sich vorstellte. Trotzdem verstand Sophie seine Besorgnis.

All die Eltern, die durch die von Luftschlangen gesäumten Korridore streiften.

All die Gesichter, die sie nicht kannte.

Jeder von ihnen konnte ein Rebell sein.

Ein Bösewicht.

Der Feind.

Sandor sah zu, wie Sophie sich eine Wimper auszupfte. Ihre nervöse Angewohnheit war wieder genauso ausgeprägt wie früher. »Es wird nichts passieren«, versprach er ihr und strich ihr mit einer für einen über zwei Meter großen Koboldkrieger überraschend sanften Berührung eine Strähne ihres blonden Haars hinters Ohr.

Es half definitiv, Sandor wieder an ihrer Seite zu haben, vor allem nachdem Sophie ihn bei der Schlacht auf dem Mount Everest beinahe verloren hätte. Und Sandor war auch nicht mehr der einzige Kobold in der Foxfire. Jedem der sechs Flügel des Hauptcampus war eine Wache zugeordnet worden, während zwei zusätzliche Patrouillen das weitläufige Schulgelände schützten.

Der Hohe Rat hatte außerdem in allen Verlorenen Städten die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.

Ihm war keine andere Wahl geblieben.

Die Oger drohten noch immer mit einem Krieg.

Und in den drei Wochen, seit Sophie und ihre Freunde, die sich eine Zeit lang bei Black Swan versteckt hatten, nach Hause zurückgekehrt waren, hatten die Neverseen das Haupttor der Zuflucht in Brand gesteckt und waren in das Registeramt in Atlantis eingebrochen.

Sophie konnte sich nur allzu gut vorstellen, was die Rebellen im geheimen Tierschutzreservat der Elfen gesucht hatten. Ganz offensichtlich wussten sie nicht, dass sie den Hohen Rat persönlich davon überzeugt hatte, die wertvollen Alicorns in die Freiheit zu entlassen. Der Einbruch ins Registeramt war ihr jedoch ein Rätsel. Der Hohe Rat führte exakt Buch über alle jemals geborenen Elfen, aber niemand wollte Sophie verraten, ob irgendwelche Akten manipuliert oder gestohlen worden waren.

Eine Blase zerplatzte auf Sophies Kopf und Sandor fing die Schachtel Quassler auf, die darin herbeigeschwebt war.

»Wenn du die hier essen willst, dann sollte ich sie vorher überprüfen«, sagte er.

Sandors breite, platte Nase erschnupperte keinerlei Gift in der nussigen Süßigkeit, aber er bestand dennoch darauf, auch die Anstecknadel zu inspizieren, bevor er sie Sophie überreichte. In jeder Quasslerpackung befand sich ein besonderer Sammelpin und Black Swan hatte die Dinger in der Vergangenheit schon mehrfach dazu benutzt, Sophie Nachrichten zu übermitteln.

Sandor fischte den winzigen Samtbeutel aus der Packung und Sophie ertappte sich dabei, wie sie automatisch eine Hand um die Allergiemedizin an ihrer Halskette legte. Auch der silberne Mondlerchenanstecker, den Calla ihr geschenkt hatte, befand sich noch immer an der Kette – ein Andenken an die Freundin, die sie verloren hatte, und ein Symbol für die ganz besondere Rolle, die Sophie zugedacht war. Eine Rolle, von der sie noch immer herausfinden musste, wie sie sie spielen sollte.

»Scheint alles in Ordnung zu sein«, verkündete Sandor und reichte Sophie den Pin, der einen kleinen Pupsie zeigte, einen seltsamen schwarzen Vogel mit leuchtend gelben Schwanzfedern. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass das irgendetwas Wichtiges zu bedeuten hätte.«

Genauso wenig wie Sophie. Vor allem weil sich Black Swan in letzter Zeit nervtötend still verhalten hatte.

Keine Nachrichten. Keine Hinweise. Keine Antworten während ihrer flüchtigen Treffen.

Angeblich mussten sie sich »neu organisieren«. Und es dauerte ewig.

Aber wenigstens unternahm der Hohe Rat irgendetwas, indem er Koboldpatrouillen einsetzte und versuchte, einen Friedensgipfel mit den Ogern abzuhalten. Deshalb sollte Black Swan wenigstens …

Obwohl, eigentlich wusste Sophie auch nicht, was sie tun sollten. Genau das war das Problem dabei, dass sich einer ihrer Freunde dem Feind angeschlossen hatte.

»Da bist du ja!«, rief eine vertraute Stimme hinter ihr. »Ich hab schon gedacht, du wärst wieder mal abgehauen, ohne uns Bescheid zu sagen.«

Die tiefe Stimme und der klare Akzent waren unverkennbar. Dennoch wünschte sich Sophie, es stünde ein anderer Junge vor ihr, sobald sie sich umdrehte.

Fitz sah in seiner roten Uniform der Stufe fünf genauso süß aus wie immer, aber sein perfektes Lächeln erreichte seine charakteristischen aquamarinblauen Augen nicht ganz. Die jüngsten Enthüllungen waren ein riesiger Schlag für all ihre Freunde gewesen, aber Fitz hatten sie am härtesten getroffen.

Sowohl sein Bruder als auch sein bester Freund hatten sich den Neverseen angeschlossen.

Alvars Verrat hatte Fitz misstrauisch gemacht – so sehr, dass er an jeder einzelnen seiner Erinnerungen zweifelte.

Aber Keefes?

Fitz wollte nicht über ihn reden – kein einziges Wort.

Nicht dass sich Sophie besonders viele Gelegenheiten geboten hätten, das Thema zur Sprache zu bringen. Nur eine Handvoll Leute kannten die Wahrheit. Der Rest glaubte die von Black Swan sorgfältig gesponnene Lüge, Keefe würde sich nur eine Auszeit gönnen, um das Verschwinden seiner Mutter zu betrauern. Selbst der Hohe Rat hatte nicht den Hauch einer Ahnung und Sophie hoffte, dass dies auch so blieb. Je weniger Leute es wussten, desto leichter würde es für Keefe, wieder nach Hause zu kommen.

Falls er wieder nach Hause kam.

»Alles okay?«, fragte Fitz und ihr wurde bewusst, dass sie ganz vergessen hatte, Hallo zu sagen. »Ich hoffe, du machst dir keine Sorgen wegen deiner Prüfungen. Es kann unmöglich sein, dass du nicht bestanden hast.«

»Ich weiß nicht …«

Ihr fotografisches Gedächtnis war zwar durchaus hilfreich, doch in letzter Zeit hatte sie Mühe gehabt, sich in ihren Sitzungen zu konzentrieren. Aber wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie ohnehin kaum einen Gedanken an ihre Halbjahresprüfungen verschwendet. Sie war nicht mehr dasselbe Mädchen, das sie noch vor einem Jahr gewesen war und das geglaubt hatte, es wäre das Ende der Welt, wenn sie von der Foxfire flog, weil sie ihre Prüfungen nicht bestand. Seither war sie entführt, für tot erklärt und aus den Verlorenen Städten verbannt worden. Außerdem hatte sie dabei geholfen zu verhindern, dass eine Seuche die komplette Spezies der Gnome auslöschte. Sie hatte sich sogar heimlich in die Hauptstadt der Oger geschlichen und war mitverantwortlich dafür, dass die halbe Stadt zerstört worden war – was zufällig auch der Grund dafür war, dass der Hohe Rat seine liebe Mühe hatte, einen neuen Vertrag zwischen Elfen und Ogern auszuhandeln.

»Entspann dich«, sagte Fitz, während knollengesichtige, in zerstörerischer Wut durch glitzernde Elfenstraßen ziehende Oger durch ihren Kopf rauschten. »Wir sollten feiern.«

Seine Heiterkeit klang gezwungen. Aber sie wusste, dass Fitz sein Bestes versuchte.

Denn das taten sie jetzt.

Es versuchen.

Warten.

Hoffen.

»Ich hol nur noch schnell meine Denkerhaube«, sagte sie und ging zu ihrem Spind. Der lange spitze Hut war bei den Halbjahresprüfungen Pflicht, um die Fähigkeiten von Telepathen einzuschränken und zu gewährleisten, dass bei den Tests alles mit rechten Dingen zuging – nicht dass irgendetwas Sophies verstärkte Fähigkeiten hätte blockieren können. Aber nach den Prüfungen wurden die Hauben zu Geschenktüten umfunktioniert, die von den anderen Schützlingen mit Süßigkeiten und kleinen Schätzen gefüllt wurden.

»Ich muss deine Geschenke inspizieren, bevor du sie öffnest«, warnte Sandor Sophie und half ihr, den überquellenden Hut hochzuhieven.

»Perfekt«, fand Fitz. »Während er das tut, kannst du meins aufmachen.«

Er holte eine kleine Schachtel aus der Tasche seines taillenlangen Umhangs und reichte sie Sophie. Das in allen Farben schillernde Geschenkpapier war mit aquamarinblauem Glitter bestäubt und mit einer seidenen aquamarinblauen Schleife zugebunden. Sophie fragte sich, ob Fitz ihre Lieblingsfarbe erraten hatte.

Auch wenn sie inständig hoffte, dass er nicht auch wusste, warum es ihre Lieblingsfarbe war …

»Hoffentlich hab ich dieses Jahr eine bessere Wahl getroffen«, sagte er und errötete dabei. »Biana meinte, der Rätsler sei ein Totalausfall gewesen.«

Der Rätsel schreibende Stift, den er Sophie im letzten Jahr geschenkt hatte, hatte sie tatsächlich ein wenig enttäuscht, aber …

»Ich bin mir sicher, dass es mir gefallen wird«, erwiderte sie. »Und mein Geschenk für dich ist übrigens total langweilig.«

Sandor hatte einen Shoppingtrip nach Atlantis als zu riskant eingestuft, deshalb hatte Sophie den gestrigen Tag damit verbracht, Geschenke für ihre Freunde zu backen.

Sie reichte Fitz eine runde silberne Blechdose und er riss sofort den Deckel auf.

»Riffelflaum?«, fragte er und schenkte ihr sein erstes echtes Lächeln seit Tagen.

Die in Silberfolie eingewickelten Süßigkeiten waren das, was vermutlich dabei herausgekommen wäre, wenn ein Brownie und ein Cupcake buttrige Toffeebabys bekommen hätten, mit einer cremig süßen Überraschung in der Mitte. Sophies Adoptivmutter Edaline hatte ihr das Rezept gezeigt und ihr dabei geholfen, zwei eigene Geschmacksrichtungen zu kreieren.

»Woher wusstest du, dass ich am liebsten Schoko-Mint esse?«, fragte Fitz, schälte die silberne Verpackung ab und verschlang den kompletten Flaum mit einem Happs.

»Wusste ich nicht«, gab Sophie zu. »Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich dir keine mit Butterkaramellgeschmack gegeben.«

»Die sehen auch superlecker aus«, versicherte er ihr, blickte dann jedoch stirnrunzelnd auf sein Geschenk für Sophie. »Willst du es gar nicht aufmachen?«

»Soll ich nicht lieber warten, bis die anderen da sind?«

»Nee. Es ist besser, wenn nur wir beide hier sind.«

Irgendetwas an der Art, wie er es sagte, versetzte Sophies Herz in den Flattermodus, obwohl sie wusste, dass Fitz nicht so für sie empfand. Ihr schwirrten ein Dutzend Theorien durch den Kopf, während sie das schillernde Papier vorsichtig öffnete. Trotzdem war sie nicht auf das vorbereitet, was sie darin fand …

»Ringe?«

»Man trägt sie an den Daumen«, erklärte Fitz ihr. »Ist ein Kognatending.«

Sie wusste zwar nicht, was Daumenschmuck mit der seltenen telepathischen Verbindung zu tun hatte, die sie und Fitz teilten, aber ihr fiel auf, dass er ein identisches Paar Ringe trug. In jeden der mit grüner Patina angelaufenen Ringe waren Initialen eingraviert: im rechten Ring SEF – Sophie Elizabeth Foster – und im linken Ring FAV.

»Fitzroy Avery Vacker.«

»Dein vollständiger Name ist Fitzroy?«, fragte Sophie.

»Ja. Keine Ahnung, was meine Eltern sich dabei gedacht haben. Aber ich zeig dir was: Versuch, deine Gedanken für meine zu öffnen, und dann mach das hier.«

Er hob die Hände mit den Innenflächen nach vorn und wartete darauf, dass sie ihn imitierte. Sobald sie es getan hatte, wurden die Ringe ganz warm auf ihrer Haut und ihre und Fitz’ Hände zogen einander an wie Magnete.

»Sie bestehen aus Ruminel«, erklärte Fitz ihr. »Es reagiert mit geistiger Energie. Sie verändern nichts, aber sie zeigen uns, wann unser Geist mit dem des anderen verbunden ist, deshalb dachte ich, es würde uns dabei helfen, uns besser zu konzentrieren und …« Er verstummte kurz. »Sie gefallen dir nicht, oder?«

»Doch, natürlich!«

Tatsächlich gefielen sie ihr ein bisschen zu gut.

Sie versuchte nur, es sich nicht anmerken zu lassen.

Außerdem starrten sämtliche Schützlinge um sie herum sie an.

Und flüsterten.

Und kicherten.

Fitz drehte seine Handgelenke und trennte die Verbindung der Ringe. »Ich schätze, ich hätte lieber die Halskette nehmen sollen, die Biana mir gezeigt hat. Du hast nur schon so viele Ketten, und die letzte, die du bekommen hast …«

Er brachte den Satz nicht zu Ende.

Weil es bedeutet hätte, dass er Keefe erwähnen musste.

»Ich bin froh, dass du dich für die hier entschieden hast. Ehrlich. Sie sind mein absolutes Lieblingsgeschenk.« Sophie zeigte auf die Buchstaben »FAV«.

Es bescherte ihr ein weiteres Lächeln und Fitz strich sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. »Komm jetzt, ich bin mir sicher, dass Dex und Biana es allmählich leid sind, auf uns zu warten.«

»Wo ist denn Grizel abgeblieben?«, fragte Sandor, als sie sich zum Gehen wandten. »Sie sollte keinen Moment von deiner Seite weichen.«

»Ich bin hier«, antwortete eine rauchige weibliche Stimme, als eine graue Koboldin in einem eng anliegenden schwarzen Einteiler geschmeidig aus den Schatten zu schmelzen schien. Fitz’ Leibwächterin war genauso groß wie Sandor, aber viel schlanker, machte ihre mangelnde Masse mit ihrer Schnelligkeit und Anmut jedoch mehr als wett.

»Ehrlich«, sagte sie und tippte Sandor auf die Nasenspitze, »es ist schon fast zu einfach, dir zu entwischen.«

»In diesem Chaos könnte sich jeder verstecken«, schnaubte Sandor. »Und überhaupt haben wir jetzt keine Zeit für Spielchen!«

»Es ist immer Zeit für Spielchen.« Grizel warf ihren langen Pferdeschwanz nach hinten, was beinahe so aussah, als würde sie … flirten?

Sandor musste es ebenfalls bemerkt haben, denn seine graue Haut färbte sich rosa. Er räusperte sich und drehte sich wieder zu Sophie um. »Wollten wir nicht gerade in die Mensa?«

Sie nickte und folgte Fitz durch die labyrinthartigen Korridore, deren bunte Kristallwände im nachmittäglichen Sonnenlicht glänzten.

Die Mensa des Campus befand sich im zweiten Stock der fünfstöckigen Glaspyramide, die in der Mitte des vom u-förmigen Hauptgebäude umschlossenen Schulhofs aufragte.

Sophie verbrachte den Großteil des Weges damit, sich zu fragen, wie lange Dex wohl brauchen würde, bis er ihr neues Accessoire bemerkte. Die Antwort lautete: drei Sekunden – und anschließend eine weitere Sekunde, um die passenden Ringe an Fitz’ Daumen zu entdecken.

Dex’ efeugrüne Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, aber seine Stimme klang trotzdem fröhlich, als er sagte: »Dieses Jahr verschenken wir wohl alle Ringe.«

Biana streckte die Hand aus, um einen Ring zu zeigen, der Sophie ziemlich bekannt vorkam – wahrscheinlich weil sie selbst eine weniger funkelnde, etwas krummere und definitiv weniger pinke Version am Finger trug.

»Für dich hab ich auch einen gemacht«, verkündete Dex Fitz. »Er ist in deiner Denkerhaube. Und Tam und Linh kriegen auch einen, sobald wir sie wiedersehen, wann immer das auch sein mag. Dann hat jeder von uns einen eigenen Panikknopf. Ich hab außerdem stärkere Peilsender darin eingebaut, damit ich das Signal aufspüren kann, selbst wenn ihr nicht auf den Knopf drückt. Nur für den Fall, dass irgendwas Unvorhergesehenes passiert.«

»Deine Technopathentricks sind vollkommen unnötig«, erklärte Sandor ihm und zeigte auf die Gruppe ihrer Leibwächter: insgesamt vier Kobolde.

»Aber es kann nie schaden, einen Notfallplan zu haben, richtig?«, widersprach ihm Biana und bewunderte dabei ihren Ring aus einem anderen Blickwinkel. Der rosa Stein passte perfekt zu dem glitzernden Lidschatten, mit dem sie ihre türkisblauen Augen geschminkt hatte, ebenso wie zu dem Lipgloss auf ihren herzförmigen Lippen. Manchmal erinnerte Biana Sophie an die Puppen, die ihre menschlichen Eltern ihr als Kind immer zum Spielen gegeben hatte: so schön und elegant, dass sie eigentlich gar nicht echt sein konnte.

»Danke noch mal«, sagte Biana zu Dex. »Ich ziehe meinen nie wieder aus!«

Dex’ Wangen nahmen dieselbe Farbe an wie sein rotes Haar.

Sophie lächelte und freute sich, dass Dex und Biana sich offenbar so gut verstanden – vor allem nachdem Dex viele Jahre lang einen Groll gegen die Vackers gehegt hatte. Er hatte Fitz immer nur »Wunderknabe« genannt und war der Ansicht gewesen, ihre legendäre Familie sei viel zu eingebildet und viel zu perfekt.

Aber nun dachte niemand mehr so.

Tatsächlich sahen Fitz’ und Bianas Denkerhauben leerer aus als im Jahr zuvor. Ihre Eltern, Alden und Della, hatten Black Swans Angebot abgelehnt, den wahren Grund für Alvars Verschwinden ebenso zu vertuschen wie bei Keefe. Alvar hatte alle mehr als zehn Jahre lang angelogen und seine Position als Angehöriger des Adels dazu missbraucht, seinen Vater und den Hohen Rat auszuspionieren – und er war an Sophies und Dex’ Entführung beteiligt gewesen. Er hatte keinen Schutz verdient, auch wenn es seiner Familie große Schmach einbrachte.

Eine unbehagliche Stille legte sich über ihren Tisch, und Sophie versuchte, nicht auf die leeren Stühle zu blicken. Keefe war nicht der Einzige, der fehlte – auch Jensi hatte beschlossen, lieber bei seinen früheren Freunden zu sitzen. Er hatte sich ihnen in den Monaten, die Sophie und die anderen bei Black Swan verbracht hatten, wieder angenähert. Doch nun schien er sich nicht recht zu trauen, wieder zu ihrer Gruppe zurückzukehren, so als hätte er Angst, sie könnten ihn jeden Moment erneut verlassen. Auch Marella ging ihnen aus dem Weg, obwohl sie auch nicht an Stina Heks’ Tisch saß, wie Sophie es erwartet hätte. Stattdessen hockte sie allein in der hintersten Ecke, während Stina sich neben Bianas früherer bester Freundin Maruca niedergelassen hatte.

Stina ertappte Sophie dabei, wie sie sie beobachtete, erwiderte ihr Lächeln jedoch nicht. Aber sie bedachte Sophie auch nicht mit ihrem ansonsten üblichen bösen Funkeln. Mehr Freundlichkeit war von Stina ganz offensichtlich nicht zu erwarten, obwohl ihr Vater ebenfalls für Black Swan arbeitete.

»Hier«, sagte Dex und drückte Sophie ein weißes Kästchen in die Hand. »Das hab ich für dich gemacht – und tut mir leid, dass es nicht eingepackt ist. Rex und Bex haben sämtliche Geschenkbänder verbraucht, um Lex an einen Kronleuchter zu fesseln.«

Dex’ jüngere Geschwister waren Drillinge und notorische Unruhestifter. Sophie hatte das eindeutige Gefühl, dass das ohrenbetäubende Geschrei auf der anderen Seite der Mensa ebenfalls von den dreien stammte. Sie erwartete, ein weiteres dexifiziertes Gerät in dem Kästchen zu finden. Aber stattdessen erinnerte sein Geschenk sie daran, dass er nicht nur Technopath, sondern außerdem ein unglaublich talentierter Alchemist war.

»Du hast Panakesparfüm für mich gemacht?«, fragte sie, schüttelte das zerbrechlich wirkende Kristallfläschchen vorsichtig und sah zu, wie die rosa, violetten und bläulichen Blütenblätter darin durch die schimmernde, sirupartige Flüssigkeit wirbelten.

Sophie öffnete den Deckel, schloss die Augen und atmete den intensiven, süßen Duft ganz tief ein. Sofort befand sie sich wieder auf den Weiden von Havenfield und stand unter den sich wiegenden Ästen von Callas Baum. Ein Panakes wuchs nur, wenn ein Gnom freiwillig sein Leben aufgab und seine endgültige Daseinsform als Baum annahm. Calla hatte dieses Opfer für ihr Volk gebracht, um mit den heilenden Blütenblättern der tödlichen Seuche, die die Oger in die Welt gesetzt hatten, ein Ende zu bereiten.

»Ich bin mir sicher, dass du den Duft sowieso andauernd riechst«, sagte Dex. »Aber ich weiß, wie sehr du Calla vermisst. Und so hast du immer einen kleinen Teil von ihr bei dir, wenn du das Parfüm auflegst, ganz gleich wohin du gehst.«

Sophies Stimme versagte, deshalb schlang sie die Arme um Dex und drückte ihn so fest an sich, wie sie nur konnte – auch wenn sie ihn vielleicht ein bisschen zu lange festhielt. Als sie sich wieder von ihm löste, war Dex röter als Fitz’ Schuluniform.

Zum Glück wurden sie aus der peinlichen Situation erlöst, als plötzlich die Türen der Mensa aufschwangen.

Trotz ihrer bisherigen Ruhe wurden Sophies Handflächen ganz feucht, als sie in dem Strom aus Eltern nach Grady und Edaline suchte. Sie entdeckte Gradys zerzaustes blondes Haar als Erstes, und sobald seine leuchtend blauen Augen die ihren fanden, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf seinen gemeißelten Gesichtszügen aus.

»Mit wehenden Fahnen bestanden!«, brüllten er und Edaline ihr entgegen, als Sophie durch den Raum zu ihnen rannte.

Sie schlang die Arme um ihre Eltern. »Sogar Linguistik?«

Es war das Fach, bei dem sie die meisten Zweifel gehabt hatte – mit Abstand. Als Polyglottin verstand sie von Natur aus sämtliche Sprachen. Doch seit Keefe sie mit einem entsprechenden Trick getäuscht hatte, weigerte Sophie sich, andere Stimmen zu imitieren. Außerdem war ihre Beziehung zu ihrer Mentorin … kompliziert. Lady Cadence hatte sozusagen eine Schwäche für Oger und war ganz und gar nicht glücklich darüber, dass Sophie dabei geholfen hatte, die Ogerhauptstadt zu überfluten.

»Es war deine schlechteste Note«, gab Edaline zu und schüttelte sich eine Strähne ihres welligen bernsteinfarbenen Haars aus den Augen. »Aber du hast trotzdem locker bestanden.«

»Deine beste Note hast du in Bewirken«, fügte Grady hinzu. »Rat Bronte meinte, du seist in euren Sitzungen sehr engagiert gewesen. Tatsächlich hat er uns sogar gesagt, dass du bereits die fortgeschrittenste Stufe deiner Ausbildung erreicht hast.«

»Ist das was Schlechtes?«, fragte Sophie, der Gradys hochgezogene Augenbraue nicht entgangen war. Sie mochte es nicht, Schmerzen zu bewirken – aber die Fähigkeit hatte ihr definitiv das Leben gerettet. Und die Ausbildung gab ihr wenigstens etwas, das sie tun konnte, um sich auf ihre nächste Begegnung mit den Neverseen vorzubereiten. »Ich will nur dafür sorgen, dass ich mich selbst verteidigen kann – und ja, ich weiß, dass ich Sandor habe. Aber es ist schließlich nicht so, als wäre er unverwundbar. Ist es nicht klug, für das Schlimmstmögliche zu planen?«

»Es ist klug«, stimmte Grady ihr zu. »Aber ich finde auch, dass wir zwei uns später noch unterhalten sollten, in Ordnung?«

Sophie nickte ihm zaghaft zu. Das Letzte, was sie wollte, war ein weiterer Vortrag zum Thema »Große Macht bringt große Verantwortung mit sich«. Allerdings war sie sich ziemlich sicher, dass er unvermeidbar war.

»Wollt ihr wieder gehen?«, fragte sie ihre Eltern, weil sie wusste, dass die beiden keine Fans von Massenveranstaltungen waren. Bevor Sophie zu ihnen gezogen war, hatten Grady und Edaline sechzehn Jahre lang völlig zurückgezogen gelebt und den Tod ihrer einzigen Tochter betrauert. Jolie war bei einem Feuer getötet worden und sie hatten erst vor Kurzem herausgefunden, dass es von ihrem Verlobten Brant entzündet worden war – einem heimlichen Pyrokinetiker und Anführer der Neverseen.

»Uns geht’s gut«, versicherte Grady ihr und drückte Sophies Hand. »Außerdem können wir sowieso nicht gehen, bevor Magnat Leto seine abschließende Rede gehalten hat.«

Ihm kam der Name ganz leicht über die Lippen, ohne dass er darüber stolperte, wie es Sophie immer wieder passierte. Nun, da sie seine geheime Identität kannte, wollte ihr Gehirn ihn immer MrForkle nennen.

Sie ließ den Blick auf der Suche nach ihren Freunden durch den Raum schweifen und sah, dass sie fröhlich lächelten und feierten. Sogar Alden und Della wirkten glücklicher, als sie die beiden seit Wochen gesehen hatte. Sie wollte gerade zu ihnen gehen und Hallo sagen, als die Lichter im Raum sich verdunkelten und das Gesicht von Magnat Leto auf die gläsernen Wände projiziert wurde.

»Ihr Kinder habt bei euren Halbjahresprüfungen hervorragende Ergebnisse erzielt!«, lobte er die Schützlinge, indem er seine Rede mit seinen beiden Lieblingswörtern begann.

Ganz gleich wie oft Sophie sein zurückgegeltes dunkles Haar und seine scharfen Züge betrachtete, sie konnte darin nie das aufgedunsene, faltige Gesicht eines der Anführer von Black Swan erkennen. Aber sie hatte mit angesehen, wie MrForkles Ruckelbeerentarnung sich direkt vor ihrer Nase aufgelöst und er sich in Magnat Leto verwandelt hatte.

»Mir ist bewusst, dass dies normalerweise der Moment ist, in dem ihr in eure sechswöchigen Ferien entlassen werdet«, fuhr Magnat Leto fort. »Doch angesichts der jüngsten Ereignisse hat der Hohe Rat beschlossen, die Dinge in diesem Jahr ein wenig anders zu handhaben. Ich werde an dieser Stelle nicht weiter ins Detail gehen – der Hohe Rat wird nach diesem Wochenende offizielle Schriftrollen verschicken. Aber ich wollte es trotzdem nicht unerwähnt lassen, damit es euch nicht vollkommen unvorbereitet trifft. Genießt in der Zwischenzeit den Rest der Feierlichkeiten – und vergesst nicht: Veränderungen können etwas sehr Kraftvolles und Inspirierendes sein, wenn wir ihnen ganz offen begegnen.«

Das Gemurmel schwoll zu einem lebhaften Brummen an, als alle eifrig darüber diskutierten, was er damit gemeint haben könnte.

»Hast du irgendeine Ahnung, wovon er spricht?«, fragte Grady Sophie.

Hatte sie nicht – und das machte die Sache nur umso frustrierender. Nach all den Debatten, die sie mit Black Swan geführt hatte, nach all ihrem Flehen, sie in die Entscheidungen der Organisation einzubeziehen und ihr zu vertrauen, beharrten die Anführer weiter darauf, sie bei gewissen Dingen im Dunkeln tappen zu lassen.

»Wie es aussieht, gehen alle nach Hause«, sagte Grady und bot Sophie an, ihre Geschenke zu nehmen, während sie die Denkerhaube zu ihrem Spind zurückbrachte.

Das Atrium war leer, als sie dort eintraf – abgesehen von ihr selbst, Sandor und ein paar vergessenen Süßigkeitenblasen. Sie legte die Haube auf das mittlere Regalfach in ihrem Spind und wollte gerade wieder gehen, als sie auf dem obersten Fach einen weißen Umschlag mit einem vertrauten, geschwungenen schwarzen Symbol bemerkte.

»Endlich«, flüsterte sie und zerriss das dicke Papier mitten durch das Zeichen des Schwans.

In dem Umschlag befand sich eine kurze Nachricht – und ein Geschenk.

Sophie legte sich die lange Kette um den Hals und machte sich nicht die Mühe, den Anhänger in Form eines Schwanenhalses oder das runde Stück Glas, das in seiner Mitte eingelassen war, näher zu betrachten. Black Swan hatte ihr das gleiche Monokel schon einmal gegeben, als sie der Organisation die Treue geschworen hatte, und sie war froh, endlich Ersatz für den Anhänger zu haben, den Brant zerstört hatte.

»Was steht in der Nachricht?«, fragte Sandor sofort, um sie daran zu erinnern, dass sie sich nicht ohne ihn zu irgendwelchen geheimen Treffen schleichen durfte.

Sie reichte ihm die Botschaft, die direkter war als Black Swans übliche Hinweise:

Büro des Rektors.

Sofort.

Komm allein.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Sandor.

»Das tut es nie.«

Er folgte ihr ohne weiteren Kommentar, als sie wieder zur Glaspyramide zurückkehrte. Sophie hielt beim Gehen den Blick gesenkt, erleichtert, als sie die Spitze erreichte, ohne unterwegs ihren Freunden zu begegnen. Wenn sie von der Nachricht gewusst hätten, hätten sie darauf bestanden, sie zu begleiten.

»Sie können hereinkommen, Miss Foster«, rief Magnat Leto mit tiefer Stimme durch die schwere Tür, bevor Sophie überhaupt anklopfen konnte. »Aber ich möchte, dass Sandor draußen Wache hält. Unsere Unterhaltung darf unter keinen Umständen von irgendjemandem belauscht werden.«

Sandors hohes Seufzen klang wie ein Knurren. »Ich warte direkt vor der Tür – und wenn du ohne mich irgendwo hinspringst, dann wird das Konsequenzen nach sich ziehen.«

»Mach die Tür hinter dir zu«, bat Magnat Leto Sophie, als sie eintrat, und die Worte hallten in dem gläsernen Büro wider.

Das Licht der Nachmittagssonne strömte durch die Fenster herein und tauchte den dreieckigen Raum in grellen Glanz. In jede zweite Scheibe der schrägen Glaswände waren Spiegel eingelassen, Überbleibsel jener Zeit, als Rätin Alina – Sophies unliebstes Mitglied des Hohen Rats – Rektorin der Foxfire gewesen war.

»Ich freue mich, dass du gekommen bist«, sagte Magnat Leto. Er saß mit dem Gesicht zu den Fenstern in einem riesigen drehbaren Schreibtischsessel, versteckt hinter den steifen Ohren der Rückenlehne. »Es tut mir leid, dass meine Nachricht so salopp war. Das nächste Mal sorge ich wieder dafür, dass sie sich reimt.«

Bei den letzten Worten klang seine Stimme ein wenig höher und Sophie versuchte herauszufinden, warum, als sich der Sessel langsam zu ihr umdrehte.

Statt des dunkelhaarigen Elfs, den sie erwartet hatte, sah sie jedoch einen ganz in Schwarz gekleideten Jungen vor sich, mit kunstvoll gestyltem blonden Haar und einem berühmt-berüchtigten Talent im Imitieren fremder Stimmen.

»Keefe?«, stieß sie leise aus.

Er grinste schelmisch. »Hast du mich vermisst?«

2

Wow, das nenn ich mal eine legendäre Gefühlswelle, die du mir da entgegenschwappen lässt«, sagte

Keefe und fuhr mit den Händen durch die Luft. »Es fühlt sich an, als wolltest du mich entweder umarmen oder erwürgen – ich persönlich stimme für umarmen.«

Er lehnte sich auf dem Sessel zurück und breitete die Arme aus.

»Willst du darüber wirklich Witze reißen?«, fragte Sophie und versuchte, leise zu sprechen. Sie wollte nicht, dass Sandor zur Tür hereinstürmte, bevor sie ein paar Antworten erhalten hatte. »Komm nicht näher«, warnte sie Keefe, als er aufstand und Anstalten machte, auf sie zuzugehen. »Ich habe Bewirken geübt. Jede freie Minute.«

Sie legte sich eine Hand auf den Bauch und massierte den Knoten aus Emotionen, der unterhalb ihrer Rippen lag. Bronte hatte ihr beigebracht, wie sie ihn lösen konnte, damit sie jederzeit in der Lage war, eine wütende Kraftexplosion auszusenden.

Keefes Lächeln verblasste. »Hast du Angst vor mir?«

»Du bist der Empath.«

Die Worte hingen mehrere Sekunden lang in der Luft und wurden immer schwerer und schwerer.

Keefe ließ sich wieder auf den Sessel sinken. »Wow … das hätte ich nicht erwartet.«

»Was hast du denn erwartet? Du hast dich den Neverseen angeschlossen! Dir ist schon klar, dass das die Leute sind, die mich umbringen wollen, oder? Die Leute, die Kenric und Jolie getötet haben, die beinahe alle Gnome ausgelöscht hätten und –«

»Ich weiß«, unterbrach Keefe sie. »Aber du kennst mich doch, Foster.«

»Das dachte ich zumindest.«

»Tust du auch. Ich bin immer noch derselbe. Ich versuche nur, diesem ganzen Albtraum ein Ende zu machen. Wenn ich herausfinden kann, was sie vorhaben –«

»Nein«, schnitt Sophie ihm das Wort ab. »Das ist die mieseste Idee aller Zeiten. Für beide Seiten zu spielen, geht niemals gut aus. Früher oder später werden sie dich zwingen, ihnen zu beweisen, dass du wirklich auf ihrer Seite stehst.«

Keefe rutschte auf dem Sessel hin und her. »Mir ist klar, dass das Ganze riskant ist –«

»Und dumm«, ergänzte Sophie. »Und gefährlich. Und –«

»Ich muss es trotzdem tun. Und mir passiert schon nichts. Es geht nur darum, das perfekte Gleichgewicht zu wahren.«

»Es gibt kein Gleichgewicht, wenn es um die Bösen geht, Keefe. Sie sind böse. So einfach ist das.«

»Du und ich wissen doch beide, dass es nie einfach ist. Und überhaupt: Wenn ich mich recht erinnere, warst du diejenige, die zu mir gesagt hat, dass die Bösen niemals nur böse sind.«

»Ich habe das aber nicht gesagt, weil ich wollte, dass du dich ihnen anschließt! Ich habe es gesagt, weil genau das sie so furchteinflößend macht!«

»Ich weiß. Aber … ich habe einen Plan. Und an den muss ich mich halten.«

Seine eisblauen Augen fingen ihren Blick ein und flehten um Verständnis.

Sophie schüttelte den Kopf. »Wir können sie gemeinsam schlagen. Team Foster-Keefe, schon vergessen?«

»Und wie oft wirst du dabei noch beinahe sterben?«, fragte er. »Wie viele Notfälle wird es noch geben, bei denen wir dich sofort zum Arzt bringen müssen? Und was, wenn Elwin dich dann nicht wieder heilen kann?«

»Was, wenn Elwin dich nicht heilen kann?«

»Ich … bin nicht wichtig.«

Und da waren sie wieder.

Keefes Schuldgefühle.

Die gefährlichste Emotion, die ein Elf empfinden konnte.

Die meisten Elfen zerstörte sie völlig. Auch Aldens Geist war einmal daran zerbrochen. Andere machte sie hingegen waghalsig.

»Es ist nicht deine Aufgabe, mich zu beschützen«, erklärte sie ihm.

»Vielleicht nicht. Aber wenn dir irgendetwas passieren würde …«

Sophie wartete darauf, dass er den Satz zu Ende brachte und den wahren Grund aussprach, warum er sich verantwortlich fühlte. Als er es nicht tat, sagte sie es für ihn.

»Ich weiß, dass du dir die Schuld für das gibst, was deine Mom getan hat –«

»Hier geht es nicht um sie!«

Aber das tat es.

Sophie kannte ihn zu gut.

Keefes Familienleben war schon immer schrecklich gewesen, dank seines strengen, ihn stets herabsetzenden Vaters. Doch seit er erfahren hatte, dass seine Mutter zu den Anführern der Neverseen gehörte, befand er sich in einer strudelnden Abwärtsspirale. Sie hatte sogar einige seiner Kindheitserinnerungen aus seinem Kopf gelöscht und einen Peilsender an der Anstecknadel mit seinem Familienwappen versteckt, damit er die Neverseen direkt zu seinen Freunden führte. Aber all das war passiert, bevor die Neverseen Keefes Mutter in ein Ogergefängnis gesteckt hatten – ein sicheres Todesurteil. Sie hatte zugelassen, dass ein anderes Mitglied ihrer Gruppe gefangen genommen wurde, und war so dafür bestraft worden.

Keefe hatte die ganze Zeit behauptet, es sei ihm egal. Aber Lady Gisela war und blieb nun mal seine Mutter – und darüber hinaus hatte er sich den Neverseen angeschlossen, direkt nachdem er erfahren hatte, dass sie möglicherweise bereit waren, ihm bei Lady Giselas Rettung zu helfen.

»Bitte«, flehte Sophie ihn an. »Wir können alles tun, was sie auch tun. Komm einfach wieder nach Hause – bevor es zu spät ist.«

»Es ist bereits zu spät.«

Seine Stimme hatte genau denselben flachen Tonfall wie damals, als er ihr erklärt hatte: Ich kann nicht länger so tun, als wäre ich der, den du dir wünschst.

»Dann geht es hier also um die Lodestar-Initiative?«, fragte Sophie.

Sie hatte erst zweimal gehört, wie das geheimnisvolle Projekt erwähnt worden war – einmal von den Neverseen und einmal in Keefes Geist, in einer Erinnerung, die seine Mutter zu löschen versucht hatte. Es schien sich dabei um den großen Masterplan der Neverseen zu handeln. Und Keefe glaubte, dass er ein Teil davon war.

Er erhob sich und ging auf und ab, achtete jedoch darauf, dass er den Abstand zwischen ihnen beibehielt.

»Was ist die Lodestar-Initiative?«, hakte Sophie nach. »Und was für verlorene Erinnerungen hast du sonst noch entdeckt? Du hast gesagt, dass es noch mehr waren.«

»Das spielt keine Rolle.«

»Ganz offensichtlich tut es das sehr wohl.«

Keefe legte den Kopf in den Nacken und blickte zum höchsten Punkt an der Decke. »Alles, was du wissen musst, ist, dass ich nicht wie du bin, okay? Die Neverseen werden mir keine Wahl lassen.«

Auch Sophie war Teil eines Projekts – des Projekts Mondlerche. Die Mitglieder von Black Swan hatten ihre Fähigkeiten genetisch verstärkt und wichtige Geheimnisse in ihrem Geist versteckt, auch wenn sie ihr die Gründe dafür noch immer nicht wirklich verraten hatten. Trotzdem hatte MrForkle immer klargemacht, dass es ganz allein bei ihr lag, wie sehr sie sich ihrer Sache verschreiben wollte.

»Es gibt immer eine Wahl, Keefe.«

»Ja – ich werde einen Weg finden, dieser Sache auf meine Weise ein Ende zu bereiten. Das ist meine Wahl.«

Stille trat ein und Sophie spielte an dem Monokelanhänger herum, den er seiner Nachricht beigefügt hatte. »Ist das der, mit dem du mich brandmarken solltest, als Brant es dir befohlen hat?«

Keefe zuckte zusammen. »Nein. Das ist meiner. Ich habe ihn zurückgestohlen.«

»Und was passiert, wenn sie bemerken, dass er verschwunden ist?«

Er zuckte mit den Schultern.

Sophie seufzte. »Das wird niemals funktionieren, Keefe. Brant und Fintan sind verrückt, aber sie sind nicht dumm. Genauso wenig wie Alvar. Einer von ihnen wird herausfinden, was du tust – und wer weiß, wie sie dich dann bestrafen werden. Steig einfach aus, hier und jetzt, und dann lassen wir uns gemeinsam einen Plan einfallen.«

Sie streckte ihm ihre Hand hin.

Keefe starrte so lange darauf, dass Sophies Armmuskeln schon zu schmerzen begannen.

»Das war’s dann also?«, fragte sie, als er sich schließlich abwandte. »Du tust lieber weiter allen weh, denen du etwas bedeutest?«

»Ich helfe euch!«

»Und du tust uns weh. Weißt du, was Fitz getan hat, als ich ihm gesagt habe, dass du weg bist?«

Keefe fuhr sich mit den Händen durchs Haar und zerstörte seine aufwendig gestylte Frisur. »Ich schätze, es hatte was mit Schreien zu tun.«

»Das hatte ich gehofft. Aber er ist noch nicht mal laut geworden. Er hat sich einfach nur weggedreht, damit ich ihn nicht weinen sehe. Genau wie Biana. Sogar Dex hatte Tränen in den Augen.«

Sekunden verstrichen. Vielleicht sogar Minuten. Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bevor Keefe flüsterte: »Und was ist mit dir?«

»Ich habe heftiger geweint als sie alle«, gestand Sophie. »Und dann bin ich wütend geworden. Du hast mir Kenrics Verwahrer gestohlen. Du hast meine Stimme nachgeahmt!«

Der murmelgroße Gegenstand enthielt sieben »vergessene Geheimnisse« – Informationen, die für so gefährlich erachtet wurden, dass noch nicht einmal die Mitglieder des Hohen Rats sie kennen durften. Jedes Ratsmitglied verfügte über einen solchen Verwahrer, und Kenric hatte Oralie gebeten, seinen nach seinem Tod Sophie anzuvertrauen. Sophie hatte geschworen, den Verwahrer mit ihrem Leben zu beschützen, und wenn sie ihn nicht zurückbekam, bevor der Hohe Rat bemerkte, dass er verschwunden war …

»Ich habe dir auch geholfen zu fliehen«, erinnerte Keefe sie.

»Ja, aber du hast nur eine einzige spezielle Perle für mich gemacht. Also was passiert, wenn die Neverseen mich das nächste Mal schnappen wollen? Oder Dex? Oder Fitz? Oder Biana?«

»Dann finde ich einen anderen Weg. Ich arbeite schon an ein paar Sachen. Und ich habe nur eine der Perlen präpariert, weil ich wusste, dass die Neverseen nicht zweimal auf denselben Trick reinfallen würden.«

»Ich liebe es, wie du die ganze Zeit von ihnen sprichst, als wärst du keiner von ihnen.«

»Das bin ich auch nicht.«

Sie zeigte auf das Abzeichen an den Ärmeln seines langen schwarzen Umhangs, dasselbe Symbol, das sie in ihren Albträumen verfolgte: ein weißes, von einem Kreis umschlossenes Auge.

»Das ist nur eine Verkleidung«, beharrte Keefe.

»Selbst wenn dem so ist – das, was du tust, ist trotzdem real. Dieser Verwahrer könnte alles zerstören. Und du hast ihn ihnen überlassen, als wäre es keine große Sache –«

»Weil es das auch nicht ist! Sie schaffen es nicht, ihn zu öffnen. All ihre Technopathen haben sich die Zähne daran ausgebissen, aber sie können die Sicherheitsvorkehrungen nicht überwinden.«

»Und wenn sie doch irgendwann dahinterkommen?«

»Bis es so weit ist, habe ich ihn längst zurückgestohlen. Ich krieg das hin, Sophie. Es ist mein Vermächtnis.«

»Was soll das denn nun wieder bedeuten?«

»Ich bin auch noch dabei, sämtliche Puzzleteile zusammenzusetzen. Aber ich weiß genug, um sicher zu sein, dass ich das hier tun muss. Und mein Plan funktioniert auch bereits. Jeden Tag vertrauen sie mir ein kleines bisschen mehr.«

»Und warum?«, blaffte sie ihn an. »Was für schreckliche Dinge verlangen sie von dir, damit du dich ihnen beweisen kannst?«

Keefe versuchte wieder, auf und ab zu gehen, aber Sophie versperrte ihm den Weg. »Hast du ihnen dabei geholfen, ins Registeramt einzubrechen?«

»Natürlich nicht.«

»Weil sie dich nicht darum gebeten haben? Oder weil du Nein gesagt hast?«

Er zappelte so nervös herum, dass sie sich wünschte, sie müsste ihm die nächste Frage nicht stellen.

»Und was ist mit der Zuflucht?«

Die Neverseen hatten Monate mit dem Versuch verbracht, in das Tierschutzreservat einzubrechen und Silveny und Greyfell zu stehlen – die einzigen bekannten Alicorns, die noch dazu Sophies und Keefes Freunde waren.

»Du warst dabei, oder?«, fragte sie, als er sich von ihr entfernte. »Du hast den Neverseen geholfen, das Tor niederzubrennen.«

»Ich habe nur Wache gehalten.«

Sophie schüttelte den Kopf. »Wie konntest du dabei nur mitmachen?«

Die Neverseen würden alles riskieren, um Silveny zu stehlen. Sie hatten ihr sogar schon mal einen Flügel gebrochen. Und das alles nur, weil die Elfen glaubten, es würde das empfindliche Gleichgewicht des ganzen Planeten zerstören, wenn auch nur eine einzige Spezies ausstarb. Wer auch immer die beiden letzten Alicorns – und ihr ungeborenes Baby – in seiner Gewalt hatte, konnte den Hohen Rat zu praktisch allem erpressen. Und dem Rest der Welt gleichzeitig vor Augen führen, wie unzureichend der Hohe Rat beschützen konnte, was ihm lieb und teuer war – was die brodelnde Unruhe schüren würde, die ohnehin bereits überzukochen drohte.

»Ich wusste, dass Silveny und Greyfell nicht mehr dort waren«, verteidigte sich Keefe. »Das war der einzige Grund, warum ich zugestimmt habe. Und nur für den Fall, dass du dich das gefragt hast: Ich habe den Neverseen überhaupt nichts verraten.«

»Noch nicht«, korrigierte Sophie ihn. »Und selbst wenn du es ihnen nicht verrätst, können sie immer noch einen Telepathen benutzen, um all deine Geheimnisse aufzudecken.«

»Im Moment haben sie keinen Telepathen. Gethen war ihr einziger und der Hohe Rat hat ihn eingesperrt – dank uns. Wenn ich’s dir doch sage: Ich habe das alles durchdacht. Du musst mir einfach nur vertrauen.«

Das wollte sie.

Das wollte sie wirklich.

Sie hatte sogar ihr Bestes getan, Fitz, Dex und Biana davon zu überzeugen, ihn noch nicht ganz aufzugeben.

Aber sie konnte auch immer noch hören, wie die Neverseen zu Keefe sagten: Sicher war dir doch bewusst, dass du deine Freunde verraten musst, wenn du die Seiten wechselst.

»Bitte«, flehte Keefe. »Ich verspreche dir, dass ich immer noch ich bin. Und ich krieg das hin.«

Er machte einen vorsichtigen Schritt auf sie zu.

Dann noch einen.

Und noch einen.

Bis er direkt vor ihr stand, den Mund zum traurigsten Lächeln der Welt verzogen.

»Wie ich sehe, ist die nervöse Angewohnheit zurück, was?«, fragte er und strich eine heruntergefallene Wimper von ihrer Wange.

»Die letzten Wochen waren ziemlich hart«, flüsterte sie.

»Ja. Das waren sie wirklich.«

Er blies die Wimper weg und Sophie fragte sich, ob er sich etwas gewünscht hatte – bis ihr wieder einfiel, dass es bei den Elfen keinen albernen Aberglauben gab.

Wahrscheinlich sollte auch sie es nicht tun, aber sie schickte trotzdem stumm einen Wunsch ans Universum.

»Du hast hoffentlich nicht immer noch Angst vor mir?«, fragte er. »Du vertraust mir doch?«

Sie wusste es ehrlich nicht. Also hielt sie ihm eine zitternde Hand hin. »Sag du es mir.«

Keefes Finger griffen nach ihren und tiefe Falten gruben sich in seine Stirn, als er die Augen schloss.

»Danke«, flüsterte er und auf seinen Lippen zeigte sich ein wundervolles Lächeln. »Ich wusste doch, dass ich auf dich zählen kann, Foster.«

»Sorg lieber dafür, dass ich es nicht bereue.«

»Das wirst du nicht. Deshalb bin ich ja heute hergekommen – ich musste einen Weg finden, um euch zu warnen. Die Neverseen planen irgendwas Großes. Ich habe noch nichts Genaues herausgefunden, aber ich weiß, dass es etwas mit Grady und Edaline zu tun hat und – wow, ganz ruhig!« Er hielt sie fest, als ihre Knie zu zittern begannen. »Es wird alles gut. Verstehst du jetzt, warum ich das hier tue? Ich kann es aufhalten, bevor etwas Schlimmes passiert.«

Sophie atmete langsam und tief durch und versuchte, sich selbst daran zu erinnern, dass Gradys Fähigkeiten als Mesmer ihm einen unglaublichen Vorteil verschafften. Einmal hatte sie gesehen, wie er alle zwölf Hohen Rätinnen und Räte dazu gebracht hatte, sich selbst eine Ohrfeige zu verpassen. Er hatte sogar Brant dazu gezwungen, seine eigene Hand zu verbrennen.

Aber die Neverseen waren skrupellos.

Und clever.

Und ihnen immer einen Schritt voraus.

Wobei ihr bewusst wurde …

»Du kannst nicht wieder zurückgehen, Keefe. Das heute war wahrscheinlich ein Test. Ich wette, sie haben dir diese Information nur gegeben, um zu sehen, ob du dich davonschleichen und mich warnen würdest. Sie könnten dich bereits in diesem Moment aufspüren und – Was?«, fragte sie, als ihr auffiel, wie fest er sich auf die Unterlippe biss.

»Es ist kein Test. Sie … haben mich hierhergeschickt.«

»Warum sollten sie das tun?«

Keefes Blick wanderte wieder zur Decke hinauf. »Wahrscheinlich weil ich es vorgeschlagen habe. Ich brauchte eine Möglichkeit, um dich zu warnen – und sie mussten mich irgendwie dazu bringen, meine Loyalität unter Beweis zu stellen. Und das hier war die beste Lösung, die mir eingefallen ist.«

Ein eiskalter Schauer jagte Sophie über den Rücken, als er zwei Gegenstände aus seiner Umhangtasche hervorholte – ein flaches goldenes Dreieck und einen blauen Anhänger mit einer einzigen Facette.

»Der nächste Teil wird ziemlich heftig«, flüsterte er. »Aber wenn du dein Gesicht bedeckst, verspreche ich, dass dir nichts passieren wird. Und nur für den Fall …« Er streifte seinen Umhang ab, legte ihn ihr über die Schultern und zog ihr die Kapuze über den Kopf. »Ich werde ihnen erzählen, dass ich ihn in dem ganzen Chaos verloren habe.«

»In welchem Chaos, Keefe? Was hast du denn vor?«

»Euch helfen. Manchmal muss alles erst schlimmer werden, bevor es wieder besser wird.«

Sophie wollte nach Sandor rufen, aber Keefe legte ihr eine Hand auf den Mund und warf mit der anderen das goldene Dreieck zur Decke hinauf. Eine der Ecken blieb in der Spitze der Pyramide stecken und das Gerät begann, grün zu blinken.

»Das bedeutet, dass uns noch zehn Sekunden bleiben«, sagte Keefe. »Duck dich einfach und bedeck dein Gesicht, dann wird alles gut. Sandor kann nichts passieren. Kobolde haben superdicke Haut. Vertrau mir einfach, okay?«

Er zog seine Hand zurück, aber Sophie zitterte ohnehin viel zu heftig, um zu schreien. Sie fiel auf die Knie und zog sich die Kapuze noch tiefer übers Gesicht.

»Bitte hass mich nicht«, flehte Keefe und hielt den blauen Kristall ins Licht, um einen Pfad zu erschaffen. »Sag den anderen, dass ich wieder zurückkomme, sobald ich diese Sache zu Ende gebracht habe. Und vergiss nicht: Ich bin auf eurer Seite.«

Er glitzerte im selben Moment davon, als das grün blinkende Gerät rot zu leuchten begann und ein hohes, durchdringendes Piepsen von der Decke ertönte. Dann jagte eine gewaltige Schallwelle durch die Wände.

Und sämtliches Glas zerbarst.

3

es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.«

Magnat Leto hatte die Worte schon ein Dutzend Mal wiederholt – und Sophie wollte sie ihm auch glauben. Aber immer wenn sie aufblickte, sah sie die Tausenden winzigen Glasscherben in seinem Haar.

Sie war genauso davon übersät, auch wenn sie in ihrem Fall vor allem in Keefes dickem Umhang steckten. Sie hatte weder Schnittwunden noch einen einzigen Kratzer davongetragen, genau so, wie er es ihr versprochen hatte.

Die Glaspyramide hingegen hatte weniger Glück gehabt. Magnat Letos Büro lag in Scherben, von den Wänden war nichts weiter übrig als leere Metallgerüste. Und auch wenn der Rest der Pyramide nur hier und da Sprünge und Risse aufwies, würde das komplette Glas ersetzt werden müssen.

Aber wenigstens war niemand verletzt worden und die anderen Gebäude auf dem Campus waren ebenfalls verschont geblieben. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass die Neverseen nun sogar die Foxfire angegriffen hatten.

Und es war Keefes Idee gewesen.

Alle zwölf Mitglieder des Hohen Rats hatten der Schule einen Besuch abgestattet, um den Schaden zu begutachten und Sophie ausführlich zu befragen. Dann hatte Magnat Leto sie nach Hause begleitet, um die wahre Geschichte zu hören.

Das verblassende Licht der Dämmerung strömte durch die Glasfronten in Havenfield und tauchte die elegante weiße Einrichtung des Wohnzimmers in verschiedene Violett-, Grau- und Blautöne. Doch selbst im sanften Schimmern der funkelnden Kronleuchter hatte Sophie das Gefühl, als hätte die ganze Welt eine tiefe Wunde davongetragen.

»Ehrlich, Sophie«, versicherte Magnat Leto ihr und ließ sich neben sie auf das weiche Sofa sinken. »Ich wollte mein Büro schon neu dekorieren, seit ich zum Rektor ernannt wurde. Ich war noch nie ein Fan meines eigenen Spiegelbilds – vor allem in dieser Gestalt.«

Sophie schüttelte den Kopf. »Sie wissen sehr gut, dass es hier um mehr geht als um zerbrochene Spiegel.«

»Sie hat recht«, stimmte Grady ihr zu, als er die geschwungene Treppe in der Mitte des Raums herunterkam, dicht gefolgt von Brielle, seiner anmutigen Koboldleibwächterin. »Hier geht es um diesen Jungen! Ich weiß, dass er mal dein Freund war –«

»Er ist mein Freund«, korrigierte Sophie ihn.

Und er arbeitete mit ihren Feinden zusammen.

Grady ging vor ihr in die Hocke. »Was immer er für dich ist oder nicht ist, es ändert nichts daran, was er tut.« Er pflückte eine besonders zackige Glasscherbe von ihrem Ärmel.

Die rasiermesserscharfen Kanten hätten ihre Haut zerschnitten, wenn Keefe ihr nicht seinen Umhang gegeben hätte.

Andererseits wäre er gar nicht nötig gewesen, hätte Keefe nicht die Pyramide in die Luft gejagt.

Sie nahm Gradys Hände. »Mir geht’s gut. Und Keefe hat das nur getan, um uns zu warnen.«

»Das macht noch lange nicht wieder gut, dass er die Foxfire zerstört hat!«

Nein, das tat es nicht …

»Genau genommen hat er nur mein Büro zerstört«, warf Magnat Leto ein. »Und dafür ist meine eigene Torheit mitverantwortlich. Ich hätte sofort Verdacht schöpfen sollen, als ich ins Atrium der Stufe fünf gerufen wurde, um ein Gremlinpärchen aus den Spinden zu entfernen. Unruhe zu stiften, gehörte schon immer zu Keefes Spezialitäten. Ebenso wie in das Büro des Rektors einzubrechen.«

»Wollen Sie das wirklich mit einem seiner Streiche vergleichen?«, fragte Grady. »Als wäre das Ganze nichts anderes als ein weiteres Großes Gulonspektakel?«

Wenn die Ader auf Gradys Stirn nicht so dick hervorgetreten wäre, hätte Sophie darum gebeten, dass ihr endlich jemand die Geschichte von Keefes legendärem Triumph erzählte.

»Wir befinden uns hier in einer ziemlich dunklen Grauzone«, räumte Magnet Leto ein. »Aber das ist eine Farbe, mit der wir alle nur zu vertraut sind, nicht wahr? Würden Sie damit nicht auch Ihr Verhalten beschreiben, als Sie Brant damit konfrontiert haben, was er Ihrer Tochter angetan hat? Oder du, Sophie, als du deine Menschenfamilie betäubt hast, damit du aus ihrem Leben gelöscht werden konntest? Und der Hohe Rat würde sicher auch die meisten meiner Taten in diese Kategorie einordnen. Schließlich habe ich dabei geholfen, eine illegale Organisation zu gründen. Mit den Genen eines unschuldigen Kindes experimentiert. Es verheimlicht und in den Verbotenen Städten versteckt, wo es von Menschen großgezogen wurde. Zwei seiner Erinnerungen ohne seine Erlaubnis gelöscht –«

»Wir haben ein viel größeres Problem«, unterbrach Sophie ihn, die nicht schon wieder daran erinnert werden wollte, wie eigenartig ihr Leben war. »Ich bin mir sicher, Oralie wusste, dass meine Aussage gelogen war. Ich habe behauptet, ich hätte nicht gesehen, wer die Schallwelle ausgelöst hat. Aber ich war viel zu aufgewühlt, um eine Empathin zu täuschen.«

»Rätin Oralie ist dir gegenüber stets loyal gewesen und hat dich immer unterstützt«, versicherte Magnat Leto ihr.

»Ja, aber Rätin Alina wirkte auch ziemlich misstrauisch – und sie hasst mich. Wenn einer von ihnen herausfindet, dass es Keefe war, dann wird er nie wieder zurückkommen können.«

»Nicht unbedingt«, widersprach Magnat Leto. »Fragwürdige Taten können verziehen werden, wenn sich gute Absichten dahinter verbergen. Denk doch nur mal an die Gründe der ältesten Räte, die Gnome nicht zu warnen, obwohl sie wussten, dass die Oger eine Seuche auslösen könnten. Im Lauf der Zeit haben die meisten Verständnis für ihre komplexe Entscheidung entwickelt.«

Der Schlüsselbegriff in diesem Satz war »die meisten«.

In Keefes Fall würden viele nur den notorischen Unruhestifter sehen, der in ganz neue Sphären des Chaos aufgestiegen war. Oder noch schlimmer: einen treu ergebenen Sohn, der in die Rolle schlüpfte, die seine Mutter ihm zugedacht hatte.

Sophie sank in die Sofakissen zurück und versuchte, in den weichen Polstern zu verschwinden. Sie wollte sich einfach nicht den Kopf darüber zerbrechen, was sie tun oder denken sollte oder –

»Ich weiß, dass das alles ziemlich überwältigend ist«, sagte Magnat Leto. »Aber das liegt nur daran, dass du Keefes Handeln mit deinem Verstand zu begreifen versuchst. Und dein Verstand ist ein zuverlässiger Ratgeber, Sophie. Sehr logisch, klug und stark. Aber weißt du, was sogar noch mächtiger ist?«

Er zeigte auf ihr Herz.

»Und was soll das bedeuten?«, fragte Grady. »Dass wir uns jetzt schon auf Teenagergefühle verlassen?«

»Ich würde sie jedenfalls nicht vorschnell abtun. Sophie versteht Keefe auf eine Weise, auf die wir anderen es schlicht nicht können. Ich habe die beiden während ihrer Zeit in Alluveterre sehr genau beobachtet. Er hat sich ihr gegenüber geöffnet. Hat auf sie gebaut. Ihr vertraut. Also«, er schaute Sophie direkt in die Augen, »was sagt dir dein Herz?«

Sophie verschränkte die Arme vor der Brust und wünschte sich, sie könnte hineinfassen und die Antwort herausfischen. Aber stattdessen übernahm ihr Verstand die Kontrolle und flutete ihr Bewusstsein mit Erinnerungen:

Keefe, wie er an dem Tag, an dem sie ihm hatte mitteilen müssen, dass seine Mutter vielleicht tot war, an ihrer Schulter weinte.

Die Pyjamapartys am Fenster, die sie veranstaltet hatten, damit sie sich den besonders harten Nächten nicht allein stellen mussten.

Sein von Notizen und zerknülltem Papier übersätes Zimmer, als er verzweifelt versucht hatte, die Wahrheit, die in seiner Vergangenheit verborgen lag, wie ein Puzzle zusammenzusetzen.

Ein noch viel jüngerer Keefe, der ganz allein in Atlantis saß und auf eine Familie wartete, der er nicht mal genug bedeutete, um ihn nicht zu vergessen.

Wieder und wieder liefen die Szenen vor ihrem inneren Auge ab, bis sie allmählich durch ein anderes Bild ersetzt wurden.

Keefe, im Heilungszelt in Exillium, sein Humor und sein Selbstvertrauen wie in Luft aufgelöst, sodass der verängstigte, wütende Junge zum Vorschein kam, den er darunter versteckte.

Die Erinnerung verriet ihr überhaupt nichts. Aber sie löste Herzschmerzen aus – und den Wunsch, Sophie könnte Keefe ganz fest in den Arm nehmen und alles wieder gut machen.

Magnat Leto nickte, so als hätte er ihre Gedanken belauscht. Und prompt fragte sie sich …

»Als wir in Alluveterre waren, haben Sie da jemals seine Gedanken gelesen?«

Telepathen sollten nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis in die Privatsphäre anderer Leute eindringen – aber Magnat Leto war noch nie dafür bekannt gewesen, sich streng an die Regeln zu halten.

»Fragst du mich, ob ich wusste, dass er sich den Neverseen anschließen würde?«, entgegnete er. »Ich wusste, dass er mit dem Gedanken gespielt hat. Aber die Idee war vollkommen unausgereift. Sie hat erst wirklich Gestalt angenommen, als ihr nach Ravagog aufgebrochen seid – und selbst dann schien er immer noch unentschlossen. Aber ich kann dir sagen, dass er es als notwendiges Übel betrachtet hat, um das Unrecht wiedergutzumachen, das seine Mutter verursacht hat.«

»›Übel‹ ist noch milde ausgedrückt –›Böses‹ trifft es wohl eher«, murmelte Grady. »Und wenn dieser Junge dir auch nur noch ein einziges Mal zu nahe kommt, dann will ich, dass du ihn die geballte Macht deiner Bewirkerfähigkeiten spüren lässt.«

»Grady!« Edaline schnappte erschrocken nach Luft.

Sie hatte die ganze Zeit an der hinteren Wand neben Cadoc gestanden – ihrem bulligen neuen Leibwächter, gegen den selbst Sandor beinahe wie ein Hering aussah – und so still auf die Weiden mit grasenden Dinosauriern und anderen verrückten Kreaturen hinausgestarrt, dass Sophie ihre Anwesenheit fast vergessen hatte.

»Muss ich dich wirklich daran erinnern, dass Keefe das Gleiche zu tun versucht, was auch deine Tochter tun wollte?«, fragte Edaline ihn. Die Worte schleuderten Grady förmlich einen Schritt rückwärts.

Und auch Sophie trafen sie unerwartet hart.

Jolie hatte versucht, die Neverseen zu infiltrieren, und ihr Plan hatte auch funktioniert – bis sie von ihr verlangt hatten, ein menschliches Atomkraftwerk zu zerstören, um ihre Loyalität zu beweisen. Ein paar Tage nachdem sie sich geweigert hatte, war sie tot.

Grady ging zu Edaline, stellte sich an ihre Seite und schlang die Arme um ihre Taille. »Es tut mir leid. Nach Brant habe ich wohl Probleme, anderen zu vertrauen.«

Er sagte noch etwas anderes, aber Sophie hörte es nicht. Sie war mit den Gedanken bei Keefe und der unfassbaren Situation, in der er sich befand.

Sosehr sie sich auch um ihn gesorgt und so aufgewühlt sie auch gewesen war, sie hatte sich nie wirklich vor Augen geführt, welch unmöglichen Entscheidungen Keefe sich vielleicht gegenübersah – ebenso wenig wie sie sich den schlimmstmöglichen Ausgang dieser ganzen Geschichte ausgemalt hatte:

Ein hoher, schmaler Baum mit hellen, struppigen Blättern und vereinzelten eisblauen Blüten, der auf einem grasbewachsenen Hügel in den Wanderlingwäldern wuchs – der Elfenversion eines Friedhofs.

Jeder Wanderlingsamen wurde mit der DNA der Person versehen, zu deren Andenken er gepflanzt worden war. So spiegelte das Aussehen jedes Baums das Wesen des Verstorbenen wider. Blätter, Blüten und Stamm eines Wanderlingbaums glichen oft der Haar- oder Augenfarbe des Elfs.

»Irgendwann werden sie ihn umbringen«, murmelte Sophie und der Knoten aus Emotionen unterhalb ihrer Rippen zog sich noch eine Million Mal enger zusammen. »Wir müssen ihn da rausholen.«

»Und was schlägst du vor, wie wir das anstellen sollen?«, fragte Magnat Leto.

Sophie wünschte, sie hätte irgendeine Idee. Aber sie wusste ja noch nicht einmal, wo Keefe war. Sie versuchte schon seit Wochen, seine Gedanken aufzuspüren, wie sie es auch immer getan hatte, wenn sie Sturm auf die Basis gespielt hatten. Aber bisher konnte sie nur sagen, dass Keefe sich sehr weit entfernt aufhielt.

»Er kommt wieder nach Hause, wenn er bereit dazu ist«, versicherte Magnat Leto ihr. »Und in der Zwischenzeit schlage ich vor, dass wir uns die Informationen zunutze machen, die er uns so mühevoll hat zukommen lassen.« Er drehte sich zu Grady und Edaline um. »Ich vertraue darauf, dass Sie es Ihren neuen Leibwächtern erlauben werden, ihre Aufgabe zu erledigen.«

»Brielle und Cadoc gehören zu den Besten unseres ganzen Regiments«, fügte Sandor hinzu.

»Glauben Sie, die Neverseen erraten, dass Keefe uns gewarnt hat, wenn Grady und Edaline plötzlich überallhin von Kobolden begleitet werden?«, musste Sophie einfach fragen.

»Ich bin mir sicher, dass Keefe auch dafür einen Plan hat«, erwiderte Magnat Leto.

»Äh, wir sprechen hier schon vom selben Keefe, oder?«, entgegnete Sophie.

»Das spielt sowieso keine Rolle«, sagte Grady. »Ich brauche keinen Leibwächter.«

Brielle räusperte sich. »Bei allem nötigen Respekt, MrRuewen, es gibt einen guten Grund dafür, dass sich die Elfen auf den Schutz der Kobolde verlassen. Sind Sie wirklich bereit zu töten, falls es zum Äußersten kommt?«

Grady wich alle Farbe aus dem Gesicht, als Brielle ihr Schwert aus der Scheide zog und es mit einer Art tödlicher Anmut durch die Luft sausen ließ. Der Verstand der Elfen konnte Gewalt nicht verarbeiten. Ihr Wesen war zu empfindsam – ihr Gewissen zu ausgeprägt. Das war auch der Grund dafür, warum die Neverseen so labil waren – obwohl Fintan seine geistige Gesundheit entschieden besser zu bewahren schien als Brant.

»Was, wenn wir einfach hierbleiben?«, schlug Edaline vor. »Der Hohe Rat hat Grady seit Wochen keinen Auftrag mehr gegeben und wir haben mit den Tieren ohnehin jede Menge zu tun. Wir könnten Cadoc und Brielle zu zusätzlichen Wachen für Sophie erklären – nach allem, was passiert ist, sollte das niemandem seltsam erscheinen.«

»Das«, erwiderte Magnat Leto, »ist eine brillante Lösung.«

»Abgesehen davon, dass wir uns damit praktisch selbst Hausarrest aufbrummen«, widersprach Grady ihm.

»Ist eure Sicherheit das denn nicht wert?«, konterte Sophie.

»Hey, ich könnte dich dasselbe fragen, wenn es um deine Sicherheit geht«, erinnerte Grady sie. »Wenn ich dieser Sache zustimme, dann will ich, dass du mir versprichst, keine Treffen unter vier Augen mehr mit den Neverseen abzuhalten – vor allem nicht mit diesem Jungen.«

Sophie stöhnte. »Sein Name ist Keefe!«

»Nein, nicht im Moment. Den muss er sich erst wieder verdienen. Und wenn er wirklich auf unserer Seite steht, dann wird es ihn sicher auch nicht stören, dass du zur Sicherheit deinen Leibwächter dabeihast. Verstanden?«

Sophie willigte ein, vor allem weil Sandor ihr sonst vermutlich eins übergezogen hätte. »Was glaubst du, was die Neverseen von euch beiden wollen?«

»Ich denke, dass es hier vor allem um Machtspielchen geht«, antwortete Magnat Leto leise. »Genau wie bei ihren Versuchen, die Alicorns zu stehlen. Wenn sie irgendetwas in ihren Besitz bringen, das du liebst …«

»Dann können sie mich kontrollieren«, beendete Sophie den Satz.

Magnat Leto nickte. »Kenric muss gewusst haben, dass der Verwahrer entschieden wertvoller für dich ist, wenn du auf die Informationen darin zugreifen kannst. Das haben inzwischen vermutlich auch die Neverseen durchschaut. Und daher könnte ihr Plan sein, dich dazu zu zwingen, ihn für sie zu öffnen.«

»Oh, gut – dann bringt das Ding, dass dieser Junge gestohlen hat, uns also alle noch mehr in Gefahr«, grummelte Grady.