Kein Biss unter dieser Nummer - Mary Janice Davidson - E-Book

Kein Biss unter dieser Nummer E-Book

Mary Janice Davidson

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Beschreibung

Dass sie den Teufel um die Ecke gebracht hat, bereut Betsy keineswegs - allerdings hat sie damit ihre Schwester Laura gehörig in die Bredouille gebracht, die nun das Amt Satans übernehmen muss. Auch zu Hause ist die Hölle los. Betsys Freundin Jessica ist immer noch schwanger (nach 18 Monaten!), und Betsy verspürt zunehmend das Bedürfnis Reißaus zu nehmen, wenn Jess sie an ihren einschlägigen Erfahrungen teilhaben lässt. Hat sie doch selbst genug zu tun mit ihrem Adoptivkind Baby Jon, der eindeutig vorhat, dem Hang der Familie zu Katastrophen die Krone aufzusetzen.

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Seitenzahl: 372

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MARY JANICE DAVIDSON

Kein Biss unter

dieser Nummer

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Corinna Wieja

Zu diesem Buch

Betsy Taylor hat es wirklich nicht leicht. Ihre Halbschwester Laura ist sauer, sehr sauer, und will nichts von Notwehr und Affekttaten hören. Betsy tut es zwar nicht wirklich leid, den Teufel, also Lauras Mutter, getötet zu haben, aber sie wollte ihre Schwester auf keinen Fall in eine so schwierige Situation bringen. Denn wer hat schon Lust, Satans Erbe anzutreten? Dabei steht Rot Laura eigentlich gar nicht mal so schlecht. Die Wogen müssen auf jeden Fall geglättet werden, und Betsy weiß auch schon, wie: Ein verspätetes Thanksgiving-Dinner soll die Schwestern wieder versöhnen, schließlich würde Laura für nichts in der Welt auf Kartoffelbrei mit Bratensoße verzichten. Doch es wäre kein Familienfest bei der Königin der Vampire, wenn Betsys gutgemeinter Plan nicht in einer riesigen Katastrophe enden würde: Im Getümmel zwischen Truthahn, Sinclairs jungen Hundewelpen und zu vielen Verwandten eskaliert der Streit zwischen den Schwestern erneut. Doch anstatt sich gegenseitig Geschirr an den Kopf zu werfen wie normale Untote, wird Betsy kurzerhand von Laura in die Hölle entführt …

Für Mom, Dad und Yvonne, die nie daran zweifelten, dass etwas aus mir werden würde, und mir damit ein Riesenkompliment gemacht haben.

Und fast ist es mir auch gelungen! Etwas aus mir zu machen, meine ich. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sich die Schriftstellerei auszahlen wird. Ich kann es spüren!

Und für Tony, der möchte, dass ich das tue, was ich liebe, ganz egal, ob es sich jemals auszahlen wird.

Eine Bemerkung vorab

Auf einer befahrenen Straße herumzuspazieren ist gefährlich. Selbst für Vampirkönige. Es ist eine ganz und gar blöde Idee, die keiner nachmachen sollte. Basta.

In diesem Buch unterhalten sich Tina und Betsys Mutter über ein Projekt von Clara Barton, das »Office of Correspondence with the Friends of the Missing Men of the United States Army«. Nach dem Bürgerkrieg 1865 waren viele der Soldaten nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Sie hinterließen trauernde Eltern, Ehefrauen, Geschwister und Freunde, die nach dem Ende des Krieges alle gleichermaßen mit der quälenden Ungewissheit leben mussten, dass der geliebte Mensch vermutlich im Krieg gefallen war, dafür aber keinen gesicherten Beweis hatten und diesen letztendlich wohl auch nie mehr erhalten würden.

Um den verzweifelten Hinterbliebenen zu helfen und die Vermisstenfälle abzuschließen (verzeihen Sie mir den Fachjargon des 21. Jahrhunderts), gründete Clara Barton das Office of Correspondence. Sie erhielt Zigtausende von Briefen, antwortete auf über sechzigtausend dieser Schreiben und hat über zwanzigtausend vermisste Männer aufgespürt. Und das ganz ohne die Hilfe von Internet, Datenautobahnen, Fernsehen, ohne die »Haben Sie diesen Mann gesehen?«-Aufrufe an stark frequentierten Gebäuden und – oh ja! – ohne finanzielle Förderung. Clara Barton war eben in so ziemlich allem, was sie tat, wahnsinnig gut. Weitere Informationen über ihr »Missing Men«-Projekt finden Sie hier: http://www.civilwarmed.org/clara-bartons-missing-soldiers-office-museum/about-clara-bartons-missing-soldiers-office/.

Sinclairs Definition von »unbezahlbar« entstammt dem Online-Duden, siehe http://www.duden.de/rechtschreibung/unbezahlbar.

Den Summit Lookout Park in St. Paul gibt es tatsächlich – die Aussicht ist wirklich außergewöhnlich –, und es findet sich dort auch ein Schild, auf dem übersetzt auszugsweise ungefähr Folgendes steht: An der Stelle dieses Parks befand sich ursprünglich das Carpenter’s Hotel, ein hoch aufragender Holzbau, der in den späten 1850er-Jahren errichtet wurde … Auf dem Dach des Hotels, drei Stockwerke über dem Boden, thronte eine offene Aussichtsterrasse. Es wird angenommen, dass ein Feuer das Hotel zerstört hat.

Was soll das heißen: Es wird angenommen? Also echt! Ein hoch aufragendes, drei Etagen hohes Gebäude aus Holz hat gebrannt – womöglich –, und niemand weiß es genau? Mir ist schon klar, dass dieser Vorfall weit über ein Jahrhundert zurückliegt, aber ich denke doch, dass sich vielleicht jemand eine Notiz in seinem Tagebuch gemacht haben könnte: 17. März 1865. Es ist immer noch verflixt kalt, doch schon in zwanzig Wochen naht der Frühling. Übrigens ist das riesige Hotel am Ende der Straße völlig niedergebrannt. Während das Flammeninferno tobte, trieben sich eine Menge verärgerter Besucher hier auf der Straße herum. Außerdem gibt es noch zu berichten, dass ich mir einen Splitter eingefangen habe, deshalb werde ich wohl bald tot sein. Da ich gestern jedoch einen Fünfdollarschein gefunden habe, werde ich als reicher Mann sterben!

Sehen Sie? Geht doch.

Jedenfalls gibt es den Summit Lookout Park tatsächlich, aber ich kann jedem nur abraten, dort Sex zu haben. Der Sichtschutz ist echt ziemlich spärlich.

Und es gibt auch tatsächlich Frühstückspensionen, deren Besitzer erwarten, dass die Gäste im Haushalt nicht nur helfen, sondern obendrein für dieses Privileg auch noch bezahlen. Ich rege mich darüber zwar nicht so sehr auf wie Betsys Mutter, doch ich finde es dennoch merkwürdig.

Dinkytown und das Historic gibt es ebenfalls. Dinkytown wird auf ewig einen Platz in meinem Herzen haben, denn dort spross auch das erste Khan’s Mongolian Barbecue in den Twin Cities Minneapolis und St. Paul aus dem Boden. Als ich von Boston in den Mittleren Westen der USA umzog, vermisste ich meine Freunde, meine Familie und Khan’s (ich tue einfach so, als wäre es tatsächlich in dieser Reihenfolge gewesen). Es ist kein Zufall, dass Betsy in Weiblich, ledig, untot vor dem Khan’s angegriffen wird – ein Ereignis, das zufällig dazu führt, dass sie Vampirkönigin wird.

Freudian Slippers sind tolle Pantoffeln. Ich bin so neidisch, dass ich sie nicht erfunden habe. Sie können sie sich bei der Unemployed Philosophers Guild anschauen, http://www.philosophersguild.com.

Und schließlich, obwohl der Begriff genius ditz (dt. geniales Schusselhirn) Betsy perfekt beschreibt, ist er nicht von mir. Dafür muss ich dem unermüdlichen Giganten der Popkultur-Wikis namens Television Tropes and Idioms (TVTropes.org) danken. Für mich war die Website eine unschätzbar wertvolle (und zeitfressende) Quelle, und ich war überrascht und begeistert, als ich feststellte, dass auch meine eigenen Werke in mehreren Kategorien aufgeführt werden. Anti-Antichrist, Our Vampires Are Different, Fluffy the Terrible, Answers to the Name of God, Fantastic Racism, Ironic Name und A Chat with Satan sind nur einige der Artikel, in denen Betsy, Jennifer Scales und andere Charaktere als Beispiele erwähnt werden.

Warnung: Auf der Website kann man sich festlesen. Daher empfehle ich Ihnen, erst dann einen Blick darauf zu werfen, wenn Sie mindestens sechsunddreißig Stunden Zeit zur freien Verfügung und nichts Besseres zu tun haben. Ich habe Sie hiermit gewarnt.

Ich hab gehört, du fühlst dich krank,

Kopfweh, Fieber, Gott sei Dank

weiß ich es jetzt und lass mich blicken,

denn ich bin Schwester und liebe das …

Ferris macht blau

Und doch werde ich mit dir kämpfen,

noch aus der tiefsten Hölle stoß ich nach dir,

und mit meinem letzten Atemzug spei ich noch meinen Hass nach dir.

Moby Dick von Herman Melville

… und wenn ihre eigene Familie zuweilen glaubte, sie wäre zu hart, dann kam es nur daher, weil sie nicht begriffen, dass alles, was nicht tötet, stark macht.

Christine von Stephen King

Das Gehirn braucht Training, um fit zu bleiben.

Wie man seinen Verstand wachhält

von Martha Stewart Living

Ich schenke Althergebrachtem fast gar keine Beachtung und vertraue auf die Möglichkeit, es besser machen zu können. Es verdrießt mich, wenn man mir sagt, dass etwas immer schon auf eine bestimmte Weise gemacht worden ist. Ich widersetze mich der Tyrannei von Althergebrachtem.

Clara Barton

1

Der Teufel ist tot, und der Antichrist ist sauer. Das ist eigentlich schon alles.

Tja … eine Sache wäre vielleicht noch erwähnenswert: Ich habe den Teufel getötet. Und der Antichrist ist meine Halbschwester (okay, zwei Sachen). Weil ja Weihnachten sonst noch nicht stressig genug wäre, richtig? Sie können mir glauben: Wenn Sie Satan mit List einen Wunsch abluchsen und sie danach töten, während der Antichrist Sie anbrüllt, sofort damit aufzuhören, ist davon auszugehen, dass zukünftige Familienfeiern ziemlich ungemütlich ablaufen werden.

Aber dieser Herausforderung war ich gewachsen! Natürlich besteht der Trick bei der ganzen Sache darin, erst einmal dafür zu sorgen, dass die Familienfeier überhaupt stattfindet. Glücklicherweise habe ich reich (und tot) geheiratet. Und selbst wenn ich nicht reich geheiratet hätte – beachten Sie, dass ich absichtlich nicht von einer »guten Partie« rede –, gab es da ja immer noch meine beste Freundin und schwangere, reiche Mitbewohnerin Jessica. Es ist schon merkwürdig, dass ich tot bin und in einem schneelosen Winter in St. Paul mit zwei Zillionären zusammenlebe, stimmt’s? Nun ja, sei’s drum!

Früher hatte ich mich immer stark auf Hallmark verlassen. Die hatten wirklich eine Grußkarte für fast jeden Anlass. Noch besser: Sie hatten lustige Karten für fast jeden Anlass. Doch leider konnte ich nicht in jedem Fall darauf vertrauen, dass ein gesichtsloses Unternehmen meine besten Wünsche übermittelte … oder Beileidsbekundungen, Geburtstagsgratulationen, Muttertagshallos und allgemeine Feiertagsgrüße, denn es gab gewisse Gelegenheiten, an die nicht einmal die guten Leute bei Hallmark Cards gedacht hatten.

Und selbst, nachdem die Wir-basteln-unsere-Karten-selbst-Phase eingeläutet wurde, gab es immer noch Anlässe, für die man einfach keine Karte basteln kann, ganz egal, wie viel Geld man für das Bastelmaterial ausgibt.

Eine Bemerkung am Rande: Dieser Do-it-yourself-Wahn ist völlig außer Kontrolle geraten. Zuerst Karten, dann selbst gemachte Limo (die ja soooo schwer zu bekommen ist, weshalb die Leute natürlich angefangen haben, sie selbst herzustellen), selbst gebrautes Bier (siehe Limo), selbst gemachter Käse und Eier dank eigener Hühnerzucht. Es gibt tatsächlich Leute, die mitten in der Stadt Hühner halten! Wenn Sie mir das nicht glauben wollen, dann schauen Sie doch mal in einen Katalog von Williams-Sonoma. Ehrenwort. Darin können Sie all das hier finden: Töpfe zum Selbermachen von Essig für 89,95 Dollar, einen Hühnerstall mit aufgemaltem Huhn für 399,95 Dollar (vermutlich wurde das Huhn aufgemalt, damit auch ja niemand daran zweifelt, dass der Stall, um den sich die Hühner tummeln, auch wirklich ein Hühnerstall ist). Außerdem gibt es einen Bienenkorb für den Garten mit zugehörigem Bienen-Starterset für 89,95 Dollar (»Gentlemen! Starten Sie … Ihre … Bienen!«) und ein Set zum Buttermachen für 29,95 Dollar. Da frage ich mich echt: Wer macht denn bitte schön seine Butter selbst? Wann haben wir alle beschlossen, dass wir wie in einer Wiederholung von Unsere kleine Farm leben wollen?

Mit alldem will ich sagen, dass es bei Hallmark keine Karte und im Online-Bastelshop keinen Aufkleber mit der Aufschrift Sorry, dass ich deine Mutter gekillt habe, die der Satan war. Und fröhliches Thanksgiving gab. Das wusste ich, auch ohne nachzusehen. Stattdessen habe ich sinistere Methoden angewandt, um meine »Tut mir so leid, dass ich deine Mutter gekillt habe!«-Botschaft rüberzubringen.

Ballonsträuße. Ein musikalischer Gruß von einem Barden (wirklich praktisch, dass man die Verrückten vom Renaissance-Festival das ganze Jahr über buchen kann). Schokoladenkekssträuße. Gesungene Telegramme (ja, die gibt es immer noch, und zu einem überraschend günstigen Preis).

Comedy Central hat die Saat meines finsteren Plans durch die Ausstrahlung eines John-Hughes-Marathons gesät. Erinnern Sie sich noch an die Szene in seinem Film Ferris macht blau, in der die nuttig wirkende Frau im Krankenschwesternkostüm vor Ferris Buellers Tür steht, um ihn mit einem Liedchen aufzumuntern, er aber bei einem Spiel der Cubs ist und stattdessen seine motzige Schwester (gespielt von Jennifer Grey, die ihre Karriere mit einer Nasen-OP ruinierte) in den Genuss ihres Vortrags kommt? John Hughes: kreatives Genie und Comedy-Halbgott.

All diese Maßnahmen hatten jedenfalls dazu geführt, dass der Antichrist nun schnaufend und sichtlich aufgebracht in ihren grässlichen Uggs die Auffahrt hinaufstampfte (in welchem Jahr glaubte die Brut des Satans eigentlich zu leben? Selbst wenn Uggs in wären, wären sie nicht in). Wild fuchtelte sie mit einer Handvoll Ballons vor meiner Nase herum. »Hör auf, mir die zu schicken! Die verfolgen mich.«

Ha, Sieg! Familienversöhnung, die Erste.

2

Der Antichrist stand qualmend … – nein, halt, das waren Atemwölkchen von der Kälte. Ihrer Miene nach zu urteilen, war sie allerdings megasauer auf mich. Sie qualmte also im bildlichen und wortwörtlichen Sinne.

»Du hast mich nicht zurückgerufen und reagierst auch nicht auf meine … meine …« Fast wäre ich an dem Wort erstickt, ehe ich es ausspuckte: »… SMS.« Ich begreife nicht, warum sich der halbe Planet von seinen Handys hat versklaven lassen. Ich habe mir geschworen, nicht in die klebrig süße Falle der Technik zu tappen. Doch das ist so, als kämpfte eine Kugel dagegen an, langsam einen Abhang runterzurollen: Irgendwann kommt sie unten an. Man kann es sich leicht machen oder schwer, aber irgendwann verschickt man doch eine SMS. »Ich versuche schon seit Tagen, dich zu erreichen, und du hast mir nicht geantwortet.«

»Weil ich nicht mehr mit dir spreche!«

»Ich weiß! Deshalb blieb mir ja nichts anderes übrig, als dir zu simsen, und du weißt, wie sehr ich das hasse. Ich bin also in gewisser Weise auch ein Opfer.«

Nun schäumte sie nicht nur vor Wut; ich hörte, wie sie mit ihren perfekten Zähnen knirschte. Der Antichrist hatte nie eine Zahnspange gebraucht und nicht eine einzige Plombe in ihrer Kauleiste. In Dinkytown muss das Wasser höllisch stark mit Fluoriden versetzt sein.

Laura Goodman (ja, Sie lesen richtig, und ja, die Ironie entging … nun ja … wirklich niemandem) fing an, den betonierten Weg vor der Veranda auf und ab zu marschieren; das Dutzend heliumgefüllter Ballons schwebte hinter ihr her. Anfang Dezember konnte es in Minnesota grauenhaft kalt sein, aber im Moment genossen wir milde Temperaturen, die sich um den Gefrierpunkt bewegten. Vor ein paar Tagen hatte es geschneit, doch der Schnee schmolz bereits wieder. Nicht, dass die Temperaturen Laura etwas ausgemacht hätten. Da ihre Beine in den Uggs wie in einem Kokon steckten, hätte sie sogar auf Noahs Arche klettern können, ohne sich nasse Füße zu holen. Warum dachte ich überhaupt an ihre Füße? Antwort: Weil es mir für ihre hübschen, kleinen Füße leidtat, dass sie in solchen riesigen, hässlichen Stiefeln stecken mussten.

»Ich will nicht mit dir reden«, erklärte sie. Schritt. Schritt. Umdrehen. Schritt. Sie wirbelte so schnell herum, dass ihr Gesicht eine volle Sekunde lang hinter den Ballons verschwand. Sie schlug sie zur Seite, und ich biss mir auf die Lippen, um ein Grinsen zu unterdrücken. »Ich will dich nicht sehen. Dank dir muss ich einige grundlegende Entscheidungen über mein Leben fällen. Dank dir hat oder wird sich wohl nicht nur mein Leben verändern, sondern das Leben oder Nachleben von Millionen von Menschen. Seit meinem dreizehnten Geburtstag musste ich mich mit der Tatsache abfinden, dass ich der Zerstörer bin. Und nun muss ich mich auch noch entscheiden, ob ich das Schwert meiner Mutter aufnehme; dabei bin ich noch nicht einmal alt genug, um mir legal irgendwo Alkohol zu besorgen. Schlimm genug, dass ich diese Situation ertragen muss. Aber dich werde ich bestimmt nicht länger ertragen.«

Sag jetzt nicht, dass »der Zerstörer« wie der Name einer supertollen Küchenmaschine klingt! Sie möchten Gemüse im Handumdrehen pürieren? Nehmen Sie den Zerstörer!

Ich schluckte die Worte herunter und sagte stattdessen: »Schau, es tut mir leid …«

»Tut es nicht.«

»… dass es zu dieser Situation gekommen ist. Du hast recht«, fuhr ich mit einem, wie ich hoffte, in ihren Augen mitfühlend wirkenden Schulterzucken fort. »Es tut mir nicht leid, dass ich den Teufel getötet habe. Aber es tut mir leid, dass du es mit ansehen musstest. Und es tut mir leid, dass du nun in der Klemme steckst. Ja, es ist meine Schuld. Ich bin dafür verantwortlich. Ich will dir helfen.«

Ein höhnisches Lachen war die Antwort. »Mir helfen?« Laura schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr die perfekten blonden Locken um die Augen flogen, doch ihr blaues Haarband sorgte dafür, dass sie gleich darauf wieder ordentlich ihr makelloses Gesicht umrahmten. »Du hast mir weiß Gott schon genug geholfen.«

Ich muss unbedingt herausfinden, welchen Conditioner sie benutzt … und welche Feuchtigkeitscreme …

Sie kam näher, ganz nahe. Die Ballonseile hielt sie so fest umklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Als sie sich vor mir aufbaute, rieben sich die Ballons aneinander und ließen ein bedrohliches Rascheln hören. Ich war inzwischen von der Veranda hinuntergestiegen, hatte den Weg überquert und stand nun in unserer matschigen Auffahrt und verfluchte mal wieder die Kälte. Allerdings war ich viel zu tough, um über meine verfrorenen, nassen, schmutzigen Füße zu jammern. Beim Geräusch von Lauras Auto war ich sofort zur Vordertür gesprintet, was bedeutete, dass die Nachbarschaft nun in den Genuss kam, mich in meinem alten, angeranzten Renaissance-Festival-Sweatshirt (mit der Aufschrift Drachenköder) und in abgewetzten violetten Leggings zu sehen (es war Waschtag, und wenn Sie das schon für schlimm halten, wollen Sie meine Unterwäsche bestimmt nicht beschrieben bekommen). Tja, immerhin. Da ich schon gestorben war, konnte ich mich nicht mehr zu Tode frieren, doch selbst wenn es so heiß gewesen wäre wie in Texas, hätte ich immer noch erbärmlich gebibbert. Es war zwar unangenehm, in der Kälte mit nassen Füßen rumzustehen, allerdings hatte Laura zugegeben weitaus größere Probleme.

Und sie täuschte sich, wenn sie annahm, ich hätte ihr schon genug geholfen. Ich war noch längst nicht fertig.

»Halt dich bloß von mir fern!«, befahl sie mit ruhiger Stimme. Ihre babyblauen Augen blickten wütend in meine babyblaugrünen Augen. Obwohl ich wusste, wozu sie fähig war, fiel es mir schwer, sie ernst zu nehmen. In ihrer cremefarbenen Merinowolljacke und den ausgeblichenen Jeans, die so bequem aussahen, wie sie vermutlich weich waren, den Uggs (darüber werde ich mich nicht weiter auslassen) und den hinter ihr schwebenden Ballons wirkte sie wie der Inbegriff der engelsgleichen Unschuld vom Lande. Das hellblaue Haarband, mit dem sie ihr butterblumenblondes Haar aus dem Gesicht zurückhielt, betonte diesen Eindruck zusätzlich. Es kam mir so vor, als bedrohte mich ein konservativ gekleidetes Victoria’s Secret-Model (mit Ballons in der Hand).

Laura sah bildschön aus, aber keineswegs Furcht einflößend (auch nicht ohne Ballons).

»Halt dich von mir fern!«, wiederholte sie. »Und bleib bloß weg!«

»Ich denke, das ist dopp…«

»Ich komme wieder, wenn ich weiß, was ich mit dir machen werde.«

»Gut, du musst auch nicht erst anrufen. Du kannst jederzeit auftauchen. Und das meine ich wortwörtlich.« Der Antichrist beherrschte nämlich die Kunst des Teleportierens. Ihr plötzliches Auftauchen habe ich zwar schon immer gehasst wie die Pest, aber dennoch ließ ich sie großzügigerweise wissen, dass es mir nichts ausmachte, wenn sie einfach so bei mir erschien. Sehen Sie? Ich gab mir alle Mühe!

Sie machte auf dem Ugg-Absatz kehrt und ging zu ihrem Wagen, einem gebrauchten, doch gut gepflegten Ford Fusion, dessen Farbe an Gingerale erinnerte. Der Antichrist war umweltbewusst und legte Wert auf einen geringen Benzinverbrauch. Moment mal, war Laura überhaupt noch der Antichrist, jetzt, da der Teufel tot war? Oder war sie jetzt der Teufel?

»Was ist denn nun mit Thanksgiving?«, rief ich ihr hinterher. Mein Ass im Ärmel! Eher verzichtete Laura auf Wohltätigkeitsarbeit als auf Kartoffelbrei mit Bratensoße, besonders an einem Familienfeiertag.

»Was soll denn mit Thanksgiving sein? Das war vor mehreren Tagen.«

»Na ja, wir haben die Feier verschoben.« Sie drehte sich – mit reichlich genervter Miene übrigens – um, und ich fuhr fort: »Es ist doch kein richtiges Thanksgiving ohne Blutsverwandte. Und ohne Jessica. Und ohne ihren Freund, den wir seit ungefähr einem Jahr kennen. Und ohne Marc, der tot ist.« Jawoll! Meine Loyalität zu lebenden und toten Freunden würde ihr zeigen, wie enorm wichtig sie mir war, wie viel sie uns allen bedeutete. Wir würden diese grässliche Sache klären, und danach würde unser schwesterliches Band nur noch enger werden. Es war nur eine Frage der …

»Du scheißverlogenes Biest.«

»Whoa!« Lauras Vorstellung von Kraftausdrücken bestand gewöhnlich darin, ihre Sätze mit »verflixt«, »verdammt«, »verflucht« und »Mist« zu würzen. »Das ist jetzt aber ganz schön kalt von dir. So kalt wie meine armen eisigen Füße. Aber du musst dir keine Gedanken um meine blau gefrorenen, von der Kälte tauben Zehen machen, denn es ist viel wichtiger, dass wir diese Sache klären.«

»Du hast die Thanksgivingfeier verschoben, weil du Thanksgiving hasst …«, erwiderte sie bissig, und verflixt – damit hatte sie nicht ganz unrecht, »… und nicht etwa, weil du dich mit mir versöhnen und wieder gut Freund mit mir sein wolltest. Wir sind ohnehin nie Freunde gewesen.«

»Meine Abneigung gegen Thanksgiving hat nur ein klitzekleines bisschen damit zu tun«, wandte ich ein.

»Bleib weg!« Sie trat zurück (was mich erleichterte, denn sie war mir ziemlich auf die Pelle gerückt, und ich hatte es mir zum Prinzip gemacht, Auf-die-Pelle-Rückern niemals nachzugeben). Abrupt drehte sie sich um, und ich wusste, dass es sinnlos war, sie noch einmal zurückzurufen. Ihr blondes Haar wirbelte und wogte um ihre Schultern, als sie zu ihrem Auto lief. Die Ballons hüpften hinter ihr her.

Moment mal. Blond? Ha.

Es gehörte zu Lauras seltsameren Wesenszügen, dass ihre äußere Erscheinung ihre inneren Gefühle widerspiegelte (beachten Sie, wer hier von seltsamer spricht, dann bekommen Sie eine ungefähre Ahnung, wie merkwürdig es tatsächlich war). Normalerweise war sie eine Seele von Mensch, die sich über alle Maßen anstrengte, Gutes zu tun, obwohl all ihre Instinkte darauf ausgerichtet waren, böse zu sein. Wenn sie jedoch sauer wurde, färbte sich ihr Haar in ein flammendes Blutrot, und ihre Augen wurden giftgrün.

An diesem Tag jedoch nicht. Ich wusste nicht, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Ihre Haar- und Augenfarbe waren wie ein Lackmustest, an dem man ihre momentane Stimmung ablesen konnte. Blaue Augen und blondes Haar bedeuteten, der Antichrist war nicht wütend, egal, was sie sagte oder wie sie es sagte. Sicherlich verspürte sie starke Emotionen, aber keine Wut. Nein, sie hatte Angst!

Vor mir? Vor sich selbst? Vor uns beiden? Vermutlich Letzteres, ja. Das war nur logisch. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als der Tatsache ins Auge zu sehen, dass die Beziehung zwischen dem (neuen) Teufel und mir erst schlechter werden würde, bevor sie wieder besser werden konnte.

3

»Ich wette, es lag am Minnesängergruß«, mutmaßte der Zombie hinter mir. »Da hätte ich an ihrer Stelle auch einen Schreianfall bekommen.«

Ich drehte mich um, erblickte meinen Freund Marc und wusste erst nicht, was ich sagen sollte. Immer wenn ich ihn sah, überschwemmte mich neuerdings ein schwindelerregendes Wechselbad der Gefühle: Erleichterung, Überraschung, Freude, Furcht, Mitleid und Verzweiflung mischten sich mit dem überwältigenden Glücksgefühl, dass er, nach all dem, was er durchgemacht, gesehen und gehört hatte, immer noch mein Freund sein wollte.

Vielleicht fürchtete er sich aber auch nur zu sehr vor dem, was ihm zustoßen könnte, wenn er ging (würde er wieder Selbstmord begehen?). Schon allein der Gedanke war unerträglich.

»Das musst ausgerechnet du sagen!« Bibbernd sah ich zu, wie meine Schwester zu ihrem Auto stürmte, die Ballons mühsam auf dem Rücksitz verfrachtete, auf den Fahrersitz plumpste und den Motor aufjaulen ließ. Dann knallte sie den Rückwärtsgang rein, schoss die Auffahrt hinunter, wendete und brauste mit aufheulendem Motor und eine rauchende Reifenspur hinterlassend die Summit Avenue hinunter.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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