Man stirbt nur zweimal - Mary Janice Davidson - E-Book

Man stirbt nur zweimal E-Book

Mary Janice Davidson

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Beschreibung

Betsy Taylor hat Probleme, wie sie nur eine Vampirkönigin haben kann. Nachdem ihre Freundin, die Werwölfin Antonia, für sie ihr Leben gegeben hat, will sie ihre Leiche nach Cape Cod bringen. Doch sie weiß nicht, ob die Wyndhamer Werwölfe sie mit offenen Armen empfangen werden. In der Zwischenzeit fällt Betsys Halbschwester durch ihr merkwürdiges Benehmen auf, das immer absurder und irrwitziger wird. Hat sie es als Tochter des Teufels womöglich darauf abgesehen, Betsy das Leben zur Hölle zu machen?

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Seitenzahl: 283

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Inhalt

Titel

Anmerkung der Autorin

Was bisher geschah

Vorschau

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Danksagung

Story

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Impressum

Mary Janice Davidson

MAN STIRBT NUR ZWEIMAL

Roman

Ins Deutsche übertragen von Stefanie Zeller

Anmerkung der Autorin

Ich habe noch nie einen Werwolf auf Cape Cod gesehen. Aber es gibt dort viele Wyndhams. Was Sie für Schlüsse daraus ziehen, bleibt Ihnen überlassen.

Außerdem sind junge Werwölfe wirklich ganz und gar nicht wie vorpubertäre Menschen. Lassen Sie sich nicht von ihren engelsgleichen Gesichtern täuschen. Das wäre ein Fehler, den Sie kein zweites Mal machen werden.

Und schließlich: Zyr Wodka gibt es tatsächlich, aber nicht in den Geschmacksrichtungen, die Marc in seinem Gefrierschrank entdeckt hat. Gott sei Dank.

Was bisher geschah

Vor drei Jahren wurde Betsy („Bitte, nennen Sie mich nicht Elizabeth!“) Taylor von einem Pontiac Aztec überfahren. Sie erwachte als Königin der Vampire und (wenn auch vielleicht nicht in dieser Reihenfolge) biss ihren Freund Nick Berry, zog aus der Vorstadt in eine Villa in St. Paul, löste mehrere Mordfälle, verlor ihren Vater und ihre Stiefmutter, wurde die Pflegemutter ihres Halbbruders, mied weiterhin das Zimmer, in dem das Buch der Toten lag, heilte den Krebs ihrer besten Freundin, besuchte ihren alkoholkranken Großvater (zweimal), befreite mehrere entführte Personen, erfuhr, dass ihr Ehemann, Eric Sinclair, ihre Gedanken lesen konnte (sie konnte von Anfang an seine lesen), und fand heraus, dass die Biester nichts Gutes im Schilde führten (Biest, das: ein Vampir, dem man nur – totes – Tierblut gibt; ein Vampir, der schnell verwildert).

Außerdem warf sich Antonia, ein Werwolf aus Cape Cod, in die Schusslinie, als auf Betsy geschossen wurde, und bekam die Kugel in den Kopf. Die Geschichte, dass Kugeln Vampiren nichts anhaben können, stimmt nicht. Mit genug Blei in der Gehirnmasse steht auch ein Untoter nicht mehr auf. Und zu guter Letzt brachte Garrett, Antonias Geliebter, sich um, sobald er erfahren hatte, dass sie tot war.

Die letzten paar Jahre waren nicht einfach.

Vorschau

Beinahe bekam er Kopfschmerzen, so angestrengt starrte er durch die Linse. Er wandte den Blick ab, nur um gleich wieder hin- und dann wieder wegzusehen.

Der Stern war immer noch da. Wie ein Diamant hing er am samtschwarzen Himmel, glitzernd und verführerisch.

Nach ein paar Minuten, vielleicht auch einer Stunde, griff er nach seinem Handy und wählte eine Nummer, die er sich vor über fünfzehn Jahren gemerkt hatte.

Es klingelte dreimal, bevor sich eine verschlafene Stimme meldete: „Weißt du, wie spät es ist?“

„Ich weiß genau, wie spät es ist.“ Er holte tief Luft und legte eine Hand auf seine Brust. Wenn er nicht aufpasste, würde er vor Aufregung noch einen Herzinfarkt bekommen. „Unsere Gebete wurden erhört. Es ist so weit.“

Darauf folgte eine kurze Stille. „Ich stehe auf und rufe die anderen an.“

„Tu das.“ Er legte auf und starrte wieder hoch zu dem Stern. Er konnte den Blick einfach nicht von ihm lösen. Der Stern rief ihn.

Bald würde er sie alle rufen.

1

„Also, wenn ich das hier richtig lese, sind Sie jetzt ein Vampir. Keine Sekretärin.“

„Keine Verwaltungsassistentin“, korrigierte ich ganz automatisch. Also wirklich! Ich wusste, dass Cooper steinalt war, aber in welchem Jahrhundert lebten wir denn? (Oder, wie in meinem Fall, starben wir und erstanden dann wieder auf?)

„Die wesentlichen Punkte betreffen doch die Tatsache“, fuhr Cooper fort, „dass Sie ein Vampir sind.“

„Na ja, schon richtig.“

„Und dass Sie die Königin der Vampire sind.“

Ich seufzte und ließ mich tiefer in den Flugzeugsitz sinken. Ich betrachtete die Spitzen meiner marineblauen Slipper von Cole Haan. Bisher war noch kein einziger Kratzer zu entdecken. „Ja, ich nehme an, manche würden das für wesentlich halten. Die Sache mit der Königin.“

„Dieser Punkt ist fett gedruckt. Außerdem ist das Datum Ihres Todes kursiv gesetzt, genau wie die Information, dass Sie nicht mehr urinieren müssen.“

„Mein Pipi oder der Mangel an ebensolchem geht niemanden etwas an!“ Ich biss die Zähne aufeinander. „Geben Sie mir das.“

Ich riss Cooper das Memo so schnell aus der Hand, dass er die Bewegung meiner Hand erst wahrnahm, als seine runzligen Finger nur noch Luft festhielten. Erschrocken keuchte er auf. Wir beide taten so, als hätten wir es nicht gehört. Wie ich kürzlich gelernt hatte, gehörte das unter Vampiren zum guten Ton. Oder besser gesagt, so benahmen sich höfliche Vampire, wenn sie es mit Menschen zu tun hatten. Nach drei Jahren als Untote hatte ich auch das endlich herausgefunden.

Für Leute wie mich sollte es Fortbildungen geben. Grundkurs Vampiretikette: Wie man sich Menschen gegenüber verhält. Noch fünfzig Jahre, und ich würde selber einen geben können.

Ich überflog das Memo, und mir traten beinahe die Augen aus dem Kopf. Cooper hatte keinen Spaß gemacht. Jessica hatte ihm tatsächlich ein Memo über meine Körperfunktionen geschickt. Zwei Seiten lang!

An: Samuel Cooper

Von: Dem Boss

Re: Betsy, Vampirismus und Fracht

Fracht? Mir drehte sich der Magen um.

Und der Teil über meinen Status als Vampirkönigin war wirklich noch einmal extra hervorgehoben.

„Ich kann nicht glauben, dass sie Ihnen tatsächlich ein Memo geschickt hat.“

„Das tut sie immer. Und ich schicke ihr auch welche. Über die steigenden Treibstoffkosten, Lizenzprobleme, Streckenänderungen. Wissen Sie, wie teuer Treibstoff wird, jetzt, da China das ganze Öl aufkauft? So ein Jet ist nicht billig. Sie schickt mir Memos, um mich auf dem Laufenden zu halten. Dieses hier scheint allerdings ein bisschen zu spät zu kommen“, brummte er.

„Unheimliche Schnelligkeit und übernatürliche, groteske Superkräfte?“ Entgeistert las ich weiter. Immer wieder sprangen mir neue Gemeinheiten ins Auge. „‚Immer noch besessen von Schuhen, aber reich verheiratet und kann sich die doofen Dinger jetzt auch leisten?‘ Diese gemeine Verräterin, ich werde … Arg! ‚Die Unsterblichkeit hat sie nicht dazu bewegen können, sich für Themen zu interessieren, von denen sie nicht in der ersten Person sprechen kann.‘ Na ja, das … okay, mit dem letzten Punkt hat sie recht, aber sie musste es nicht gerade unterstreichen. Sehen Sie mal! Es ist unterstrichen.“

„Genau wie ‚extreme narzisstische Tendenzen‘. Jedenfalls soll ich Sie nach Cape Cod bringen, damit Sie den König der Werwölfe treffen und dafür sorgen, dass er nicht sein Rudel auf Sie ansetzt. Anscheinend sind die ziemlich sauer. Wegen Antonia?“

Ich knabberte an meiner Lippe, unglücklich, wie immer, wenn jemand Antonia erwähnte. Es war erst eine Woche her. Immerhin war der Schmerz jetzt nicht mehr stechend – eher so, als würde man mit einem Messer quer durch meine Leber schneiden. Die arme Antonia begleitete uns nämlich – im Frachtraum, wo alle Leichen untergebracht werden. In einem einfachen Holzsarg. Die tödlichen Schusswunden am Kopf waren noch nicht von dem Bestatter aufgefüllt worden. Mein Mann Sinclair und ich hatten keine Ahnung, wie die Bestattungsbräuche von Werwölfen aussahen, daher hatten wir angeordnet, dass ihre Leiche einfach in einen Sarg gelegt und in Jessicas Privatjet geladen wurde.

Noch nicht einmal ihr schönes, liebes Gesicht hatten wir gewaschen.

Aber das war nichts gegen das, was wir mit Garretts Leiche gemacht hatten.

„Also, Cooper, das Wichtigste ist doch, dass Sie wissen, worauf Sie sich einlassen. Wenn Sie uns also nicht dort hinfliegen können, oder falls Sie glauben …“

„Halten Sie mal die Luft an, Fräulein. Ich fliege für Jessica Wilson, seit sie sieben Jahre alt ist, und da ist es mehr als einmal ganz schön haarig geworden.“

„Cooper, ich möchte nie, niemals, etwas über Ihre Haare hören.“

Er ignorierte mich. Mir war es recht. „Ich habe Dinge gehört und gesehen … aber lassen wir das. Das sind vertrauliche Familienangelegenheiten.“

„Ach, kommen Sie. Wir sind doch beste Freunde. Jessica und ich, meine ich.“ Ich wusste nicht, ob Cooper überhaupt Freunde hatte. „Sie können unmöglich etwas wissen, das ich nicht …“

Unbarmherzig unterbrach Cooper meinen schamlosen Versuch, ihm Klatsch zu entlocken. „So etwas macht mir keine Angst.“ Er nickte in Richtung des Memos in meiner Hand, das ich, ohne es zu merken, zerknüllt hatte. „Aber ich wünschte, Miss Jessica hätte mich früher informiert.“

Damit wollte er natürlich sagen: „Am besten, noch bevor ich Sie und den König der Vampire in Ihre Flitterwochen nach New York geflogen habe, Dumpfbacke.“ Aber Cooper flippte weder aus, noch kündigte er. Gott sei Dank, denn um diese Uhrzeit wäre es schwer geworden, einen anderen Piloten aufzutreiben.

„Haben Sie ein Problem mit der Chefin?“, fragte ich. „Dann machen Sie es mit ihr aus. Ich will nur wissen, ob wir immer noch um acht Uhr abfliegen?“ Wenn nicht, würden ich und mein Gatte möglicherweise mächtigen Ärger mit fünfundsiebzigtausend Werwölfen bekommen. Ich hielt den Atem an, rief mir zum x-ten Mal in Erinnerung, dass ich nicht zu atmen brauchte, und wartete auf seine Antwort.

2

„Durch solche Memos lasse ich mich nicht in den Flugvorbereitungen stören“, schimpfte Cooper, nur halb ernst, in seinem wunderbaren irischen Akzent. Beinahe wäre ich vor Erleichterung in Ohnmacht gefallen. Und ooooh, dieser europäische Akzent, den konnte ich mir den ganzen Tag anhören. Dagegen klangen Amerikaner wie ungebildete Bauerntrampel. „Genauso wenig wie durch Schüsse.“

„Keine Sorge. Wir haben kein Gepäck.“ Dieses Mal nicht.

„Ich könnte Ihnen Geschichten über Gemetzel mit Unmengen von Todesopfern erzählen …“ Coopers helle blaue Augen verklärten sich vor lauter Nostalgie, während ich ihn nervös ansah. Dann schien er wieder zu sich zu kommen. „Aber die Regierung hat mich zu Stillschweigen verpflichtet.“

„Hoch lebe die Regierung.“

Cooper hatte bereits für Jessicas Vater gearbeitet, und als ihre Familie starb (einen unschönen, aber passenden Tod, aber diese Geschichte gehört nicht hierher) und sie alles erbte, flog er auch für sie weiter.

Und wie er bereits gesagt hatte, er hörte so einiges. Wahrscheinlich hatte er schon irgendwo aufgeschnappt, dass ich tot war und trotzdem weiter herumlief. Er war nur beleidigt, weil Jessica es ihm nicht schon vor drei Jahren gesagt hatte.

Außerdem sah er nicht gerade abstoßend aus. Er war groß – ungefähr so groß wie ich –, seine Augen hatten die Farbe von neuen Jeans, und das dichte weiße Haar trug er schulterlang wie ein alternder Hippie, allerdings wie einer, der nie Drogen oder Alkohol angerührt hatte.

Er trug das, was Jessica scherzhaft „seine Uniform“ nannte: Kakishorts, Sandalen und ein T-Shirt mit der Aufschrift „Jesus rettet. Er gibt an Noah weiter. Und Noah macht den Punkt!“. Er hatte massenweise komische Jesus-T-Shirts. Wenn er das Falsche am falschen Ort trug, kam es schon mal zu einer Schlägerei. Aus denen Cooper immer als Sieger hervorging, trotz seines Alters. Erstaunlich, aber cool … wie Cooper selbst. Zu seiner eigenen Sicherheit hatte Jessica ihn bereits mehrfach gefeuert, aber am nächsten Tag tauchte er immer wieder auf.

„Na dann.“ Ich stand auf, vergaß, dass ich unter einer niedrigen Decke saß, und stieß mir den Kopf. „Aua!“

„Wie schön, dass die Tatsache, dass Sie tot sind, nicht Ihre natürliche Anmut beeinträchtigt.“

„Ach, seien Sie still, Cooper.“ Spöttisch salutierte er mit zwei Fingern an der Stirn. „Gut, dann sehe ich Sie in einer Stunde. Antonia, äh … ist verladen worden, und mein Mann macht gerade den Papierkram fertig.“

Um welche Art von Papierkram es sich handelte, wusste ich nicht. Sinclair hatte beinahe überall die Hand im Spiel, und es interessierte mich nicht genug, um nachzufragen. Er könnte ja womöglich antworten, und dann müsste ich zuhören. Oder so tun, als würde ich zuhören, was schwerer war, als es schien.

„Wie dem auch sei“, schloss ich, nachdem ich beinahe in Gedanken abgeschweift wäre (wieder einmal), „wir kommen später wieder.“

„Ich werde bereit sein, Mum.“

Oh, jetzt nannte er mich also schon Mum? Wer war ich denn? Die Königin von … ach, egal. „Und zum hundertsten Mal: Nennen Sie mich Betsy. Einfach nur Betsy.“

„Wie Sie wünschen, Mum.“

Höflich wie immer, drehte er mir nicht den Rücken zu, solange ich aus dem Flugzeug und die Treppe hinunterkletterte. Mein Wagen war an der Westseite des Rollfeldes des Minneapolis International Airport geparkt. Ich hatte keine Ahnung, welche Beziehungen Sinclair hatte spielen lassen, damit ich dort parken konnte. Und ehrlich gesagt, wollte ich es auch gar nicht wissen.

Okay, es war nicht wirklich „mein“ Wagen … Ich war mit einem von Sinclairs Wagen zu meinem Treffen mit Cooper gefahren, um ihn darüber aufzuklären, dass ich tot war. Es war ein Lexus Hybrid, der einzige Geländewagen, den ich fahren konnte, ohne mich wie ein umweltverschmutzendes Arschloch zu fühlen. Außerdem hatte er Sitzheizung.

So, eine unangenehme Aufgabe hatte ich bereits erledigt – Cooper war aufgeklärt und hatte, was noch besser war, nicht versucht, mir ein Kreuz ins Gesicht zu halten. Er hatte sich bereit erklärt, uns nach Cape Cod zu fliegen, und – das war das Beste – er hatte mir keinen mit Weihwasser getränkten Waschlappen angeboten. Auf einen weiteren Niesanfall konnte ich wirklich verzichten.

Hatte ich bereits erwähnt, dass es tatsächlich auch Vorteile hat, wenn man die prophezeite Königin der Vampire ist? Ich bin so daran gewöhnt, über dieses Amt, das ich mir niemals gewünscht hatte, zu meckern, dass ich manchmal die positiven Seiten nicht richtig zu schätzen weiß.

Weihwasser, Kreuze und Pflöcke können mir nichts anhaben. Genauso wenig wie Knoblauch. Antonia, meine liebe Freundin, hatte keine Ahnung, ob Kugeln mich töten würden, und wollte das Risiko nicht eingehen, es herauszufinden. Deswegen reiste sie jetzt auch im Frachtraum statt auf den weichen Sitzen des Privatflugzeugs.

Ich verdrängte den Gedanken an Antonia; es tat immer noch zu weh, an ihr Opfer für mich zu denken.

Und da wir gerade bei Opfern waren, musste ich auch an Garrett, Antonias toten Geliebten, denken. Als er begriffen hatte, dass Antonia tot war – teilweise wegen seiner eigenen Feigheit –, hatte er sich vor unseren Augen umgebracht. Auf sehr blutige Weise.

Sinclair gegenüber wagte ich das Thema kaum anzusprechen. Er verspürte lediglich Verachtung für jemanden, der erst seine Geliebte in die Klemme brachte und dann nicht für die Konsequenzen geradestand.

Ich dagegen sah es nicht ganz so schwarz-weiß. Garrett war nie stark gewesen. Er war nie mutig gewesen. Aber er hatte Antonia geliebt und konnte nicht ohne sie leben. Buchstäblich.

Tina und Sinclair hatten sich um seine Leiche gekümmert. Sie hatten ihn von dem zerbrochenen Treppengeländer gehoben (der arme Garrett war darauf aufgespießt gewesen wie auf riesigen Zähnen), ihm dann den Kopf abgeschnitten und ihn auf dem Gelände von Nostros Gut beerdigt (wo die Biester lebten – die, die noch am Leben waren).

Aber nun wollte ich fürs Erste nicht mehr daran denken. Garrett war tot, daran würde ich nichts ändern können. Aber mit meiner angeblich besten Freundin musste ich über ihr beleidigendes und idiotisches Memorandum (oder hieß es Memoranda?) reden.

Also wirklich. Narzisstisch? Hatte sie denn keinen Gedanken daran verschwendet, wie ich mich fühlen würde, wenn Cooper das las? Ganz zu schweigen davon, dass ich noch nicht einmal cc gesetzt war.

Ich wusste nicht, was in die Frau gefahren war, seitdem ich ihren Krebs geheilt und sie ihren Freund abserviert hatte, weil er mich nicht ausstehen konnte. Ich hatte, ehrlich gesagt, eine schlimme Woche hinter mir.

Und jetzt wurden auch noch Memos hinter meinem Rücken verschickt! Das war zu viel für mich. Das ging über meine Kräfte. Und das würde ich Jessica auch deutlich zu verstehen geben, sobald ich sie zu Gesicht bekommen würde.

Egozentrisch? Ich? In mancher Hinsicht kannte mich diese Frau überhaupt nicht.

3

Liebes Ich,

ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal ein Tagebuch geführt habe.

Dieses hier wird, denke ich, das gleiche Schicksal wie die anderen erleiden. Ich werde eine Woche oder zwei wie verrückt hineinschreiben, bis ich dann keine Lust mehr habe, über mein Leben zu schreiben, und es lieber lebe. Aber trotzdem versuche ich es noch mal und beginne das erste Mal seit zwanzig Jahren wieder ein Tagebuch.

Das ist natürlich gelogen. Einer meiner Psychologie-Profs im College hat mir einmal gesagt, dass wir am überzeugendsten lügen, wenn wir uns selbst anlügen.

DerMannwusste,wovonersprach.Ichweißgenau,wannichdamitaufgehörthabe,einTagebuchzuführen:Nämlichalsichentdeckthatte,dassichmichnichtfürMädchen,sondernfürJungeninteressierte.Ichwarvierzehnundhabedaraufgewartet,dasssichdasirgendwieauswachsenwürde.Immerwiederhabeichmichgefragt,obmitmiretwasnichtstimmte.Ichhoffte,eswärenureinePhase.Ichhabegebetet,dassmeinVaternichtdahinterkommenwürde.UndauchniemandausderHighschool.

Das ist nämlich das Schlimme, wenn man ein versteckter Homosexueller ist: Man lebt immer in der furchtbaren Angst, dass es herauskommen könnte.

Ich habe mich versteckt, bis ich alt genug war, um Alkohol zu trinken.

Als ich sechzehn war, habe ich mein Tagebuch aus einem einfachen und feigen Grund zerrissen: Ich wollte nicht, dass mein Vater es fand. Der einzige Sohn von Colonel Phillip P. Spangler ein Arschficker? Ein Schwuler? Ein Schwanzlutscher? Er hätte mich umgebracht, oder ich hätte mich selber umgebracht. Es war also besser, wenn ich aufhörte, Dinge niederzuschreiben wie: „Ich wünschte, Steve Dillon würde mit dieser blöden Cheerleaderin Schluss machen und mir zwei Stunden lang einen blasen.“

Das Risiko, dass der Colonel dieses Tagebuch, das ich jetzt beginne, findet, geht gegen null, denn im Moment wartet er in einem Hospiz schlecht gelaunt auf seinen Krebstod.

Ich war nicht traurig, als ich es erfuhr. Das ist ziemlich mies, ich weiß. Ich habe sogar die Labortests eigenhändig noch einmal durchgeführt, um sicherzugehen. Ich war erleichtert. Und das als einziger Sohn meines Vaters.

Mein Name ist Marc Spangler. Ich bin Arzt im praktischen Jahr in der Notaufnahme eines der meistfrequentierten Krankenhäuser in Minneapolis, und ich lebe in einer Villa. Nein, ich bin nicht reich. Noch nicht … Und möglicherweise werde ich es auch nie sein, wenn ich mich nicht auf Kardiologie, Onkologie oder Facelifts spezialisiere. Glücklicherweise ergreift man diesen Beruf nicht, um viel Geld zu verdienen. Was auch gut so ist, denn als ich einmal meine Schichten in Stundenlohn umgerechnet habe, fand ich (eher zufällig) heraus, dass jede Sprechstundenhilfe mehr Geld verdient als ich.

Aber zurück zur Villa und ihren Bewohnern. Meine besten Freunde sind ein Vampir und die reichste Frau in Minnesota (und, wie Jessica selbst betonen würde, nicht die reichste schwarze Frau, sondern tatsächlich … die reichste Frau). Eigentlich sind sie sogar meine einzigen Freunde. Nachdem ich das Mistkaff, in dem ich aufgewachsen bin, erst einmal verlassen hatte, bin ich nie wieder dorthin zurückgekehrt. Und das werde ich auch nie.

Ich habe schon seit einer Weile keinen Sex mehr gehabt, aber dafür führe ich von allen, die ich kenne, das interessanteste Leben … Betsy und Sinclair vielleicht einmal ausgenommen, den König und die Königin der Vampire.

Ohhhh, Sinclair. Bei ihm gerate ich leicht ins Schwärmen. Groß, breitschultrig, dunkles Haar, dunkle Augen, lange Finger, und wenn er und Betsy miteinander schlafen, wackelt die ganze Villa. Dann gehe ich meistens aus und betrinke mich.

Vorallem,weilichmichschonimmersehrstarkzuihmhingezogengefühlthabe.Aberauch,weilmichBetsy,ohneeszuwollen,mitihremVampircharmebezirzthat …SieistdieeinzigeFrau,mitderichjeernsthafthabeschlafenwollen.Und –verstehenSiemichnichtfalsch;ichliebesieüberalles –esistwahrscheinlichgut,dasswiresniegetanhaben.SieistbesessenvonSchuhen,schimpftständigaufihrenJob,umdensienichtgebetenhatunddensienichtwill,undschafftes(ganzunbewusst,dessenbinichmirsicher),dasssichimmerallesnurumsiedreht.Nein,nein,nein.WennsiemeineFreundinwäre,hätteichmirwahrscheinlichschonnacheinerWocheeineKaliumspritzeinsHerzgerammt.

Sie besitzt achtundzwanzig Paar schwarze Pumps. Achtundzwanzig! Ich habe sie selbst gezählt. Nicht nur einmal, sondern zweimal, um sicherzugehen, dass ich nicht halluziniere. Beim zweiten Mal kam ich dann auf neunundzwanzig. Diese acht- oder neunundzwanzig Paare machen ungefähr ein Drittel ihrer gesamten Kollektion aus. Ihre Liebe zu gutem Schuhwerk … ist beinahe pathologisch.

Doch während ich darüber nachdachte, ob ich tatsächlich mal Sex mit einer Frau ausprobieren sollte, war Betsy sich ihrer Wirkung auf mich gar nicht bewusst. Dass ich oft an sie dachte und ein bisschen mehr Aftershave auflegte, dass ich sie wollte … es geschah, ohne dass sie es darauf angelegt hätte. Als Wissenschaftler wünschte ich mir, ich hätte sie schon vor ihrem Tod gekannt, um ihr Charisma post mortem mit ihrem „Vampir-Mojo“, wie sie es nennt, vergleichen zu können.

Aber warum schreibe ich die ganze Zeit über Betsys erstaunlichen und gefährlichen Sexappeal? Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes sagen.

Ich glaube, der eigentliche Grund, warum ich noch einmal ein Tagebuch begonnen habe, ist, dass nicht mehr alles nur noch eitel Sonnenschein und Friede, Freude, Eierkuchen ist. Die Guten gewinnen nicht immer. Ich dachte, das hätte ich bereits während meines Medizinstudiums gelernt, aber damals wusste ich rein gar nichts vom Tod.

Heute weiß ich sehr viel mehr.

Menschen sterben. Gute Menschen sterben. Freunde sterben. Und ich finde, jemand sollte das alles einmal niederschreiben. Weil ich nämlich Angst habe, dass ich irgendwann einmal in einem Privatflugzeug reisen werde, und zwar nicht in der ersten Klasse – wenn Sie verstehen, was ich meine.

Den Colonel würde es vielleicht interessieren. Vielleicht. Aber ich werde nicht mehr da sein, um es herauszufinden, also ist es wohl auch nicht von Bedeutung.

4

Mein Gatte zog eine Grimasse, als ich mich mit Baby Jon in den Armen neben ihn fallen ließ. Er war nie besonders scharf darauf gewesen, Vater zu werden. Umso größer war sein Entsetzen, als seine Frau zum Vormund ihres kleinen Halbbruders bestimmt wurde.

Er war, wie jeder Mann, eifersüchtig auf jeden, der ihm die Aufmerksamkeit seiner Frau streitig machte (was teils süß, teils aber auch lästig war).

Außerdem war es meine Schuld, dass mein Vater und meine Stiefmutter tot waren. Um es kurz zu machen: Es ging um einen Verlobungsring, der mit einem Fluch belegt war, Wünsche, die gewährt wurden, und den hohen Preis, den man immer dafür zu zahlen hat. Und als ich den Ring an den Finger zog, wurde mein Vater getötet. Wie auch meine Stiefmutter.

Ich hatte mir nämlich ein eigenes Baby gewünscht, und mein Wunsch wurde mir auf furchtbare Art erfüllt: Wer bekam wohl das Sorgerecht, als Baby Jons Eltern tot waren? Bingo. So kam ich von heute auf morgen zu einem Baby, ohne Schwangerschaftsstreifen, aber mit schweren Schuldgefühlen.

Da ich Baby Jon unbeabsichtigt zu einem Waisen gemacht hatte, war es das Mindeste, ihn zu mir zu nehmen. Er war meine einzige Chance, jemals Mutter zu sein. Tote Menschen können sich selbstverständlich nicht fortpflanzen.

Er wand sich in meinen Armen. Ich lächelte ihn an. Tiefschwarze Haare und kristallblaue Augen und rund genau dort, wo Babys rund zu sein hatten. (Genieße es, solange die Gesellschaft dein Körperfett noch akzeptiert, kleiner Bruder.) Er hatte schon vier Zähne, und von seiner Unterlippe tropfte reichlich Sabber.

„Warum setzt du ihn nicht in seinen Sitz?“, fragte mein Mann und schüttelte das Wall Street Journal aus, als wäre es ein Strandlaken.

„Weil wir noch nicht sofort abfliegen.“

„Noch nicht!“, rief Jessica aus dem Cockpit. Sie nahm die Kopfhörer ab – sie meinte wohl, damit würde sie cool aussehen, aber ich wusste, sie hörte nur das neueste Album von Shakira – und kam zu uns. Sie ließ sich in den Sitz hinter uns plumpsen und rollte sich, klein, wie sie war, zusammen wie eine Katze.

„Also ziehen wir die Sache echt durch?“

Sinclair sah sich um, als prüfe er seine Umgebung, das Cockpit, den Piloten, seine Zeitung, meine Magazine. „Es scheint so.“

„Weil – nur fürs Protokoll – ich finde, ihr seid wahnsinnig. Was dem armen Mädchen passiert ist, war nicht eure Schuld.“

„Natürlich“, sagte ich, entsetzt darüber, wie bitter ich mich anhörte. Als würde ich tief im Inneren an einer Zitrone saugen. „Der Nachbarshund war schuld.“

„Doch nicht Muggles?“, keuchte Jessica erschrocken auf, und trotz allem musste ich kichern. Sie schaffte es immer wieder. Ich war schrecklich froh, dass sie nicht gestorben war.

„Selbst wenn Elizabeth sich nicht verantwortlich fühlen würde, wäre es ein Zeichen von Respekt, die Leiche nach Hause zu begleiten.“

Und dabei mal einen genauen Blick auf potenzielle Feinde zu werfen, was? Aber ich behielt meine Gedanken für mich; das hatte mein Mann mir im Vertrauen in den vier Wänden unseres Schlafzimmers erzählt, und es ging Jessica nichts an.

Obgleich sie es wahrscheinlich bereits wusste. Diese Gelegenheit (einen mächtigen Gegner auf neutralem Territorium zu treffen) würde sich Sinclair ebenso wenig entgehen lassen, wie er ohne Hose aus dem Haus gehen würde.

„Aber ich möchte noch einmal hinzufügen …“

„Oh, jetzt fängt das wieder an.“

„Ich finde, du solltest uns nicht begleiten, Jessica. Es könnte gefährlich werden.“

Jessica wedelte mit den spindeldürren Ärmchen. Mit diesen Dingern würde sie noch einmal jemandem ein Auge ausstechen. „Was ist denn nicht gefährlich, seitdem Betsy von den Toten wiederauferstanden ist? Ich kann ja noch nicht einmal in die Mall of America gehen, ohne dort auf ein Scharfschützenteam zu treffen.“

„Du übertreibst.“

„Ja, aber nicht sehr.“

Sinclair zuckte die Achseln. „Wie du willst.“ Er wusste, dass das Flugzeug Jessica gehörte. Und dass sie darauf bestehen würde, mit uns zu kommen, selbst wenn es seines wäre.

Ich weiß, es hört sich furchtbar an, aber manchmal bereute ich es fast, dass ich ihren Krebs geheilt hatte. Jetzt war sie wie besessen davon, das Leben zu genießen und nichts zu verpassen, und war noch schwerer abzuschütteln als gewöhnlich.

Ich hatte sie nur durch einen Zufall geheilt, und das war wunderbar, keine Frage. Aber durch diesen Zufall spürte sie keine Furcht mehr, und das war weniger wunderbar. Der Tag würde kommen – nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit –, an dem ich nicht in der Nähe sein würde, um ihren winzigen Hintern zu retten.

„Weißt du, Sinclair hat nicht unrecht“, begann ich, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war. „Wer weiß, was für einen Empfang sie uns bereiten werden? Du hast immer noch Zeit, vernünftig zu sein und …“

„Wir starten jetzt, Ma’am“, rief Cooper.

„Das hast du mit Absicht gemacht“, murmelte ich.

Vor uns checkte Cooper die Instrumente, während Jessica von ihrem Sitz kletterte, nach vorne ging (wie nannte sich das? Das Vorderteil? Die Kabine? Ich war ja viel, aber sicher kein Pilot) und ihren Platz neben Cooper einnahm.

Sie konnte nicht fliegen und kannte sich nur wenig mit den Instrumenten aus, die Cooper benutzte, aber das Flugzeug gehörte ihr. Irgendwann würde sie auch den Mut aufbringen, ihn zu bitten, ihr das Fliegen beizubringen.

Jessicas Anwesenheit war für Cooper weniger ein Problem als für mich. Eigentlich sollte man so etwas nicht über seine beste Freundin sagen. Wie ich schon erwähnte, habe ich sie rein zufällig von einer tödlichen Blutkrankheit geheilt. Dabei hatte der Vampir in mir zwar ihren Krebs besiegt, aber er war auch über sie hergefallen, hatte ihr ihren Freund weggenommen und ihre Großzügigkeit ausgenutzt.

Jedes Mal, wenn ich sie ansah, überkam mich Sorge. Dann nahm ich mir vor, mich zu bessern. Und machte mir sofort wieder Sorgen.

Um mich abzulenken, stand ich auf, setzte Baby Jon in seinen Autositz, sah nach, ob er auch wirklich an dem Flugzeugsitz befestigt war, und setzte mich dann, um meinen eigenen Sicherheitsgurt umzulegen. Mein kleiner Bruder blickte, ohne einen Mucks zu machen, aus dem Fenster.

Moment mal. Sicherheitsgurt? Brauchte ich den überhaupt? Würde ich bei einem Flugzeugabsturz überhaupt zu Schaden kommen? Ich sah auf Erics Taille und stellte fest, dass er auf einen Gurt verzichtet hatte.

Hm. Nun gut. Alte Gewohnheiten. Sie wissen schon.

„Bist du nicht nervös?“, fragte ich.

„Sehr.“

„Das war eine ernst gemeinte Frage.“

„Oh.“ Die Zeitung senkte sich langsam. „Ich bitte um Verzeihung, meine Liebe. Warum sollte ich nervös sein? Weil wir es mit einer unbekannten Anzahl von Gegnern zu tun bekommen, die alle stärker und schneller sind als wir? Oder weil wir in einem Flugzeug sitzen, das von einem Iren geflogen wird?“

„Böse, böse! Was haben die Iren dir getan?“

„Schon gut“, brummte er düster. „Das ist lange her.“

„Konzentrier dich einfach darauf, nicht zu sterben. Dann ist alles in Ordnung.“

Er lächelte und umfasste mein Kinn mit der Hand. In einer Sekunde waren unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. „Ich verspreche dir, nicht zu sterben, aber nur wenn du das Gleiche tust.“

„Abgemacht“, murmelte ich, ohne genau zu wissen, was ich eigentlich gerade versprochen hatte. Sinclairs Nähe hatte oft diese Wirkung auf mich.

„Bereit zum Start, meine Damen und Herren“, sagte Cooper, der Spielverderber.

Sinclair zog seine Hand zurück und nahm seine Zeitung wieder auf. Ich starrte nur hoch zur Decke. So begann also unsere Reise zu einem Ort, an dem ich nie gewesen war und den ich eigentlich auch gar nicht aufsuchen wollte.

Mit einer Leiche unter meinen Füßen. Nicht zu vergessen.

5

Ein paar Stunden später stiegen wir die Treppe zum Rollfeld des Logan Airport hinab (außer Cooper, der das tat, was Piloten so taten, wenn die Passagiere das Flugzeug verlassen hatten).

Ich zuckte zusammen, als man Antonias Sarg hinaustrug und vorsichtig absetzte.

Überrascht stellte ich fest, dass der riesige Flughafenbereich sehr ruhig war … beinahe verlassen. Wahrscheinlich, weil wir uns in dem Teil befanden, in dem die Privatflugzeuge landeten.

Auf dem Rollfeld erwarteten uns drei Personen, die ein Fahrzeug umstanden, das wie eine Mischung aus Limousine und Leichenwagen aussah.

Ich erkannte sie sofort wieder. Michael Wyndham, der Rudelführer (und, obwohl dies weder der rechte Zeitpunkt noch der rechte Ort war, um dies festzustellen, ein sehr süßer Typ mit goldbraunem Haar und ruhigen gelben Augen), seine Frau Jeannie, eine Blondine mit dicken Locken (die bei feuchtem Wetter sicher kaum zu frisieren waren), und Derik, einer von Michaels Werwölfen, auch ein leckeres Kerlchen, mit seinen kurzgeschorenen gelbblonden Haaren und den grünen Augen. War es genetisch bedingt, dass alle Werwölfe so attraktiv waren?

Moment, Moment. Jeannie war, anders als die anderen, ein Mensch. Wir hatten uns in der Woche vor meiner Hochzeit kennengelernt (eine laaaange Geschichte), und damals hatte sie mir ein wenig mehr von ihrer Geschichte erzählt. Ich glaube, bei Michael und Jeannie war es Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Im Gegensatz zu dem Hass auf den ersten Blick zwischen Sinclair und mir. Ach ja, das waren noch Zeiten.

Ich hoffte, dass es zu einem friedlichen Verlauf der Gespräche beitragen würde, wenn sich Jeannie an unser erstes Treffen erinnerte. Schließlich hatte sie mir geholfen, mein Hochzeitskleid auszusuchen. Das machte uns doch beinahe zu Freundinnen.

Zur gleichen Zeit hatte ich Derik und Michael das erste Mal getroffen. Michael war ganz der coole Anführer gewesen, aber Derik hatte sich sehr gut gelaunt und freundlich gezeigt.

Damals.

Wir starrten einander an. Das Schweigen wurde lang und ungemütlich. Als ich mich schließlich räusperte, um etwas zu sagen, ging Derik zu dem Sarg und …

Oh Mann, er tat es nicht wirklich. Er konnte doch nicht … Doch, er tat es. Er hob den Sargdeckel.

„Ich glaube, das ist keine gute Idee“, sagte mein Mann ruhig. Ich nahm seine Hand und drückte sie, was die Knochen eines normalen Menschen pulverisiert hätte, aber auf Sinclair nur wie ein Mückenstich wirkte.

Er erwiderte den Druck, und das tat weh.

„Derik, Eric hat recht“, sagte Michael warnend. Unter dem Neonlicht sah er milchigweiß aus. Sie waren alle sehr blass. Die Armen. Ich wusste nicht, mit wem ich mehr Mitleid hatte: der toten Antonia oder den lebendigen Rudelmitgliedern.

„Ich muss sicher sein“, sagte Derik stur, und ich zuckte wieder zusammen. Der arme Mann hoffte tatsächlich, dass wir einen anderen Werwolf mit Antonia verwechselt hatten. Dieser Gedanke war so dumm, dass ich zu Tränen gerührt war.

Jetzt war der Deckel ganz oben. Derik starrte lange in den Sarg und schloss ihn dann wieder – sehr, sehr vorsichtig.

Dann begann er zu heulen.

6

Wir waren alle schockiert, selbst seine Freunde. Derik, der normalerweise ein so sonniges Gemüt hatte (diesen Eindruck hatte ich zumindest vor einigen Monaten bekommen), brüllte wie ein tollwütiger Bär. Dann hob er die Fäuste über den Kopf und schlug mit aller Kraft auf den Sargdeckel, der sofort nachgab.

Auf einmal hatte ich Schwierigkeiten zu schlucken. Und verspürte gleichzeitig ein unbändiges Verlangen nach etwas zu trinken. Irgendetwas, egal was. Einen Smoothie, einen Frozen Mudslide, Blut, Benzin, Reinigungsmittel, egal.

Derik fixierte mich mit einem Blick, der es mir unmöglich machte wegzuschauen. „Ihr hättet ihr wenigstens das Gesicht waschen können.“

Heute Abend sollte ich wohl mehr als einmal zusammenzucken, obwohl ich dieses Mal beinahe zurückschreckte. Weil Derik natürlich recht hatte … Aber hatte ich wirklich einen Fehler gemacht in dem Bemühen ihren mir unbekannten Ritualen Respekt zu zollen?

Jessica hustete und wollte mir zu Hilfe kommen. „Wir, ähem … wollten euch nicht beleidigen.“

„Beleidigen?“, zischte Derik. Und plötzlich fiel mir ein, dass Antonia mir einmal erzählt hatte, dass Derik ihr einziger wirklicher Freund im Rudel gewesen war. „Beleidigen?“

Krach! Noch mehr faustgroße Löcher in dem Sargdeckel, den er anscheinend zu Tausenden von samtbezogenen Zahnstochern verarbeiten wollte. Ich machte einen Schritt nach vorne … doch dann spürte ich, wie sich Sinclairs Finger um meinen Bizeps legten und mich sanft zurückzogen.

Er hatte natürlich recht. Hier ging es nicht um mich. Ich sollte mich nicht einmischen. Aber dennoch. Ich konnte einfach nicht mit ansehen, wie jemand, selbst wenn er nur eine flüchtige Bekanntschaft war, so furchtbar litt.

Meine Füße verweigerten meinem Gehirn den Gehorsam und taten noch einen langsamen Schritt … und Sinclair zerrte mich zurück, dieses Mal nicht ganz so sanft.

„Du hättest nie fortgehen dürfen!“, schrie Derik in den Sarg hinein. „Du dumme Kuh. Du hast dein Rudel verlassen!“

Darauf sagte niemand etwas. Was für eine Überraschung. Weil es nämlich wieder die Wahrheit war.

„In Ordnung, das reicht jetzt“, sagte Michael ruhig. Unter den Neonlampen glänzten seine kupferfarbenen Augen beinahe orange. „Bringen wir sie nach Hause, Derik.“