Zum Teufel mit Vampiren - Mary Janice Davidson - E-Book

Zum Teufel mit Vampiren E-Book

Mary Janice Davidson

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Beschreibung

Kaum ist Betsy mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Eric und ihrem Adoptivsohn in ihre neue Villa gezogen, gehen die beiden ihr auch schon gehörig auf die Nerven. Dass Betsys Schwester sie bittet, mit ihr gemeinsam einen Abstecher in die Hölle zu machen, kommt ihr deshalb gerade recht. Doch der Ausflug wird zu einer Reise in Betsys Vergangenheit - mit ungeahnten Folgen.

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Inhalt

Titel

Widmung

Eine Bemerkung vorab

Was bisher geschah

Prolog

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Epilog

Danksagung

Story – Gar nicht so feenhaft

Ein paar Worte vorab

Prolog

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Epilog

Danksagung

Impressum

Mary Janice Davidson

ZUM TEUFEL MITVAMPIREN

Roman

Ins Deutsche übertragen von Barbara Först

Für Sarah, Sherrilyn, Jen, Lisa,

Vicky und Marissa,

die mir geholfen haben, mein böses Ich

mit meinem bösen Ich zu versöhnen,

Eine Bemerkung vorab

Ich habe nichts gegen Claes Oldenburg oder seine Frau Coosje van Bruggen. Und ich habe auch nichts gegen den Minneapolis Sculpture Garden.

Aber wenn man es recht bedenkt, ist es doch nur ein riesiger Löffel.

Jawohl, ein Löffel.

Was bisher geschah

Vor knapp drei Jahren wurde Betsy (»Bitte, nennen Sie mich nicht Elizabeth«) Taylor von einem Pontiac Aztek überfahren. Sie erwachte als Königin der Vampire, biss ihren Freund Detective Nick Berry, zog aus der Vorstadt in eine Villa in St. Paul, löste mehrere Mordfälle, verlor einige Angehörige (ihren Vater, ihre Stiefmutter), wurde die Pflegemutter ihres Halbbruders, mied weiterhin das Zimmer, in dem das Buch der Toten aufbe­wahrt wurde (Buch der Toten, das: die Bibel der Vampire, verfasst von einem geisteskranken Vampir. Ein Buch, das bei zu langem Lesen Irrsinn auslöst), heilte ihre krebserkrankte beste Freundin, besuchte ihren alkoholabhängigen Großvater, (zweimal), löste ein paar Entführungsfälle, erfuhr, dass ihr Gemahl Eric Sinclair, der König der Vampire, ihre Gedanken lesen konnte (sie konnte von Anfang an die seinen lesen) und lernte, dass Biester nichts Gutes im Schilde führten (Biest, das: Vampir, dem man nur Blut von – toten – Tieren gibt; Vampir, der schnell verwildert).

Ferner warf sich Betsys Mitbewohnerin Antonia, ein Wer­wölfin aus Cape Cod, in die Schusslinie, als auf Betsy geschossen wurde, bekam die Kugel in den Kopf und rettete der Vampir­königin das Leben. Die Geschichte, dass Kugeln Vampiren nichts anhaben können, stimmt nicht. Schießen Sie nur genug Blei in das Gehirn eines Blutsaugers, dann werden Sie schon erleben, dass er nicht mehr aufsteht. Zu guter Letzt beging Garrett, Antonias Liebhaber, Selbstmord, nachdem er vom Tod seiner Liebsten erfahren hatte.

Und als ob das noch nicht gereicht hätte, wurde Betsy im Anschluss daran nach Cape Cod, Massachusetts, beordert, wo Antonias Rudel lebte. Als die äußerst scharfzüngige Antonia noch in ihrem Rudel lebte, hatte sich niemand sonderlich um sie geschert. Nun aber, nachdem sie ihr Leben für eine Vampirin geopfert hatte, hatten ein paar tausend wutentbrannte Werwölfe peinliche Fragen an sie.

Während Betsy, Sinclair, Baby Jon und Jessica auf Cape Cod weilten und ihr Bestes taten, um diese Fragen zu beantworten, waren Marc, Laura und Tina in der Villa geblieben. (Tina musste stellvertretend Betsys Regierungsgeschäfte übernehmen, Marc hatte keinen Urlaub bekommen, und Laura drehte heimlich, still und leise durch.)

Betsy war noch nicht lange fort, als Tina verschwand. Und Marc fiel auf, dass in der Villa immer mehr Teufelsanbeter auftauchten, die sich Laura, dem Antichristen, zu Füßen warfen.

In einem konfusen Versuch zu helfen (möglicherweise durch den Stress seines erbärmlichen Liebeslebens bedingt … als Notarzt arbeitete Marc so viel, dass es selbst dem miesesten kapitalistischen Ausbeuter grausen würde), schlug Marc Laura vor, sie solle ihre »Anhänger« doch zu wohltätiger Arbeit in Suppen­küchen und ähnlich karitativen Einrichtungen überreden.

Laura stürzte sich mit Feuereifer auf diesen Vorschlag. Doch dann verfiel sie auf die glorreiche Idee, ihre verblendeten Anbeter könnten doch gleichzeitig den Abschaum der Gesellschaft eliminieren … zum Beispiel Kreditberater, Gesetzesflüchtige, betrügerische Bauunternehmer und nicht zuletzt … Vampire.

Währenddessen diskutierte Betsy am Cape mit Michael Wynd­ham, dem Alphawolf der weltweit dreihunderttausend Werwölfe, und spielte die Babysitterin für Lara Wyndham, die künftige Leitwölfin und derzeitige Erstklässlerin.

Mit Sinclairs Hilfe (und Jessicas Unterstützung, die halb freudig, halb widerwillig Baby Jon sittete) konnte Betsy schließlich die Werwölfe überzeugen, dass sie Antonia nicht mit Absicht geschadet hatte. Vielmehr hatte sie die Werwölfin geachtet und geliebt. Sie bedauerte Antonias Tod und wollte in Zukunft versuchen, Michael zu unterstützen … nicht als Begleichung einer Schuld, sondern um sich erkenntlich zu zeigen. Sie würde Anto­nias Rudel zur Seite stehen, wann immer ihre Hilfe gebraucht würde.

Außerdem fiel Betsy auf, dass ihr Halbbruder und Pflegesohn Baby Jon unempfindlich für paranormale und magische Beeinflussung war. Dies wurde offenbar, als ein jugendlicher Werwolf seine erste Verwandlung durchmachte und das Baby angriff. Baby Jon fand das sehr lustig, stieß ein wenig auf und schlief ein.

Obwohl Baby Jon durchaus nicht unverwundbar war, konnten ihm weder der Biss eines Werwolfs noch der Sarkasmus eines Vampirs, der Fluch einer Hexe oder die Schuppen eines Kobolds­ etwas anhaben. Betsy war sehr erstaunt. Sie hatte immer schon vermutet, dass Baby Jon anders war, jedoch nicht, in welcher Weise.

Sinclair, der den Kleinen bis zu diesem Zeitpunkt einigermaßen toleriert hatte, wandelte sich augenblicklich zum stolzen Vater (»Das ist ganz mein Sohn«) und begann, Ränke zu schmieden … äh, über die Erziehung und Ausbildung des Kleinen nachzudenken.

Daheim auf der Ranch (eigentlich eine Villa auf der Summit Avenue in St. Paul) war Laura mehr oder weniger dem Wahnsinn verfallen. Sie hatte dafür gesorgt, dass Marc keine Hilfe holen konnte (nachdem er gemerkt hatte, dass kein Handy mehr funktionierte, schlich er sich auf der Suche nach einem Telefon aus dem Haus, doch die Teufelsanbeter hefteten sich an seine Fersen und hinderten ihn höflich aber bestimmt daran, Hilfe zu holen). Währenddessen machten Laura und ihre Anhänger weiter fleißig Jagd auf Vampire.

Schließlich wurde Betsy klar, dass zu Hause einiges im Argen liegen musste (Marc hatte ihr eine Menge SMS voller unverständlicher Akronyme geschickt. Erst Derik, der Werwolf, konnte ihr übersetzen, was damit gemeint war). Betsy kehrte gerade zur rechten Zeit zurück, um in einen Schlagabtausch zwischen Vampiren und Satansjüngern zu geraten.

Betsy gewann diesen Kampf, aber nur deshalb, weil sie Laura im letzten Moment den K.-o.-Schlag verpasste.

Für eine Weile gingen alle getrennte Wege. Niemand wollte über das Vergangene reden.

Und drei Monate später ist immer noch kein richtiges Gespräch über die verhängnisvollen Ereignisse des Sommers zustande gekommen.

Ich habe auf der Erde seit Anbeginn meine Finger mit im Spiel. Ich habe alle Empfindungen genährt und gefördert, zu denen der Mensch inspiriert wurde. Ich habe mich stets seiner Wünsche angenommen und ihn nie verurteilt. Wieso? Trotz all seiner Schwächen und Fehler habe ich ihn nie zurückgewiesen, weil ich sein bester Freund bin.

Satan,Im Auftrag des Teufels

Könnt ihr euch vorstellen, wie das war? Zehn Milliar­den Jahre lang den Sterblichen einen Ort zu bieten, an dem sie sich selbst quälen können? Und wie alle Masochisten wollten sie natürlich die Marschrichtung bestimmen. »Versenge mich.« »Vereise mich.« »Friss mich.« »Tu mir weh.« Und wir haben ihre Wünsche befolgt. Warum geben sie mir die Schuld für ihre Sünden? Sie benutzen meinen Namen in einer Weise, als würde ich den ganzen Tag auf ihren Schultern sitzen und sie zwingen, etwas zu tun, das sie aus freien Stücken niemals tun würden. »Der Teufel ist schuld. Er hat mich dazu gezwungen.« Ich habe niemals irgendjemanden zu irgendetwas gezwungen. Niemals. Sie leben ihr erbärmliches Leben selbst. Nicht ich für sie.

Lucifer Morningstar, Devil in the Gateway

Ist nicht leicht, die Barbra Streisand des Bösen zu sein, weißt du?

Satan,Teuflisch

Prolog

Archivierte Audiodateien von Elizabeth der Ersten, Herrscherin der Untoten, ca. 2010

Okay, hier sind ein paar echt widerliche Auszüge aus dem Buch der Toten. Gott, wie ich diesen Schinken hasse!

»Die Schwester der Königin wird von dem Morgenstern geliebt werden und die Weltherrschaft übernehmen.«

Das wäre dann also Laura, meine Schwester. Sie ist ein tolles Mädel – studiert an der University of Minnesota. Außerdem ist sie der Antichrist.

»Und die Königin wird die Toten kennen, alle Toten, und sie sollen sich nicht vor ihr verstecken oder Geheimnisse vor ihr haben.«

Genau. Dieses kleine Schmankerl ließe sich übersetzen mit: »In deinem Keller werden Zombies lauern, und Geister – jede Menge Geister – werden dir überallhin folgen und herum­nörgeln.«

»… und der Morgenstern wird seinem eigenen Kind erscheinen und ihm dabei helfen, die Welt zu übernehmen, und wird der Königin im Gewand der Dunkelheit erscheinen.«

Was das heißen soll? Ich habe keinen blassen Schimmer. Es könnte das Ende der Welt bedeuten oder lediglich einen Hausbesuch von Pfadfindern, die Kränze verkaufen wollen. Abgesehen davon ist es unerträglich, wirklich unerträglich, dass ich nicht zu viel auf einmal in diesem grässlichen Höllenbuch (wahrscheinlich stammt es im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hölle) lesen darf, weil ich sonst verrückt werde. Jeder, der seine Nase zu lange in den Schmöker steckt, verliert seinen Verstand. Und was mich noch daran stört? Dass ich das verdammte Ding einfach nicht loswerden kann.

Es findet mich. Es findet mich immer, und sei es mit Hilfe des skrupellosen United Parcel Service. Wie Ferris Bueller so treffend meinte: »So ist das eben, wenn man unter einem schlechten Stern geboren wurde.«

»Und die Königin wird die Toten kennen und die Toten um sich scharen.«

Yep, das hab ich kapiert. Ich wohne mit Vampiren zusammen und rede viel mit ihnen, und mit einem von ihnen habe ich fantastischen Sex. Außerdem lassen wir uns gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagen, was für Tote ein echt guter Trick ist.

Was das Beherbergen von Toten angeht: Ich habe zigtausend Hausgenossen und keinen einzigen von ihnen darum gebeten, dass er zu mir zieht.

»Und die Königin wird ein lebendiges Kind haben, und es wird ihr gegeben werden von einem lebendigen Mann.«

Wieder hat das Buch der Angst einen Volltreffer gelandet. Mein Halbbruder, Baby Jon, ist jetzt mein Pflegesohn, weil mein Vater und meine Stiefmutter kürzlich auf ziemlich grausige Weise das Zeitliche gesegnet haben. Eigentlich hatte ich ja sämtliche Ambitionen auf Mutterschaft begraben – ich kann nicht mehr schwitzen und schon gar nicht mehr menstruieren –, doch da landete Baby Jon mitten in meinem (untoten) Leben.

Was ist wohl schlimmer? Dass ich nicht lange genug in dem Buch lesen kann, um das Gesagte auch zu verstehen – oder dass es immer recht behält?

»Um die Herrschaft der Königin anzufechten, musst du das Symbol entweihen.«

Wenigstens wird es nicht gruselig.

»Die Königin soll über die Toten herrschen, und sie sollen von ihr nehmen, wie auch sie von ihnen nimmt, und sie soll sie so erkennen, wie auch die Toten sie erkennen sollen. Denn so herrscht eine Königin.«

Okay, jetzt wird’s doch gruselig. Denn wissen Sie, ähm, eine meiner erschreckenden, bösen Super-Vampirkräfte besteht darin, dass ich anderen Vampiren Energie entziehen kann, diese Energie auffrische und wieder in sie zurückschicke. Ich habe das erst einmal gemacht. Es war ganz furchtbar unangenehm und hätte mich fast (wieder einmal) umgebracht.

Bitte, lieber Gott, mach, dass ich es nie wieder tun muss!

Du kannst einer Dame doch mal einen Gefallen tun, ja, Gott?

»Die Königin wird Meere von Blut sehen und Verzweiflung.«

So, und was lässt sich schließlich über solch einen Satz sagen? Dass er mir richtig Angst einjagt.

1

Ich wäre gar nicht erst in die Hölle geraten, wenn der Antichrist nicht fließend Tagalong gesprochen hätte. Wirklich, es war ein Wirbelsturm paranormaler Dämonie … und noch dazu an Halloween.

Okay, ich muss wohl etwas weiter ausholen. Dieser ganze­ Mist fing damit an (wie immer, wie immer), dass es bei Bloomingdale’s einen Schuhausverkauf gab. Wie es aussah, arbeitete die Einzelhandels-Zeitschleife wenigstens dieses eine Mal zu meinen Gunsten.

Ich sehe schon, ich muss noch weiter ausholen. Sie kennen doch das Phänomen, dass die Geschäfte dem Kalender immer vier Monate voraus sind? Dass es ab Ostern Halloween-Deko zu kaufen gibt und ähnlichen Blödsinn? Genau davon rede ich. Also, obwohl gerade Halloween war, hielten sie ihren Frühjahrsschlussverkauf ab (wenn ungefähr dreißig Zentimeter hoch Schnee liegt, ist die Kundschaft ja auch ganz wild auf Sandalen, stimmt’s?). Der Antichrist hatte gefragt, ob sie mitkommen könn­te, und ich hatte okay gesagt.

Ich … hatte … okay … gesagt! Man könnte wirklich meinen, ich hätte in den vergangenen vier Jahren überhaupt nichts dazugelernt. Nun ja, irgendwie entspricht das auch der Wahrheit. Dennoch hätte ich das Unheil vorausahnen müssen. Dass Laura unbedingt neue Sandalen brauchte, hätte meine Entscheidung nicht beeinflussen dürfen. Ich hätte wissen sollen, dass die harmlose Suche nach hübschem Schuhzeug unausweichlich damit enden würde, dass ich in der Hölle schmorte, während der Antichrist komplett ausflippte. Wieder einmal.

Genau. Der Antichrist. Vielleicht sollte ich auch das erklären. Meine Halbschwester Laura ist von meinem, äh, Vater gezeugt worden. Mein lieber Vater vögelte meine Stiefmutter – das Biest, das früher unter dem Namen Antonia bekannt war, und das ich immer nur »Ant« genannt habe. Und mein dummer, alter Vater bekam nicht mit, dass Ant vom Teufel besessen war. Vermutlich ist eine vom Teufel besessene Ant auch nicht schlimmer als eine nicht besessene Ant … aber wie dem auch sei, es wirft leider kein allzu gutes Licht auf meines Vaters Geschmack an zweiten Gemahlinnen.

Die Sache war nun die: Satan hatte absolut keine Lust auf Schwangerschaft, Geburt und Stillen. Also zog sie die Baby-auf-die-Türschwelle-legen-Nummer ab und verzog sich schleunigst wieder in die Hölle.

Deshalb ist meine Schwester, die von einem Geistlichen aufgezogen wurde, nicht nur der Antichrist, sondern ihr ist auch geweissagt worden, dass sie die Weltherrschaft übernehmen wird. Wahrscheinlich wird das zwischen einer Blutspende und ihren Sonntagsschulstunden geschehen.

Aber man muss meiner Schwester Gerechtigkeit widerfahren lassen. Sie arbeitet in Obdachlosenheimen, leitet Blutspendeaktionen (rasend komisch, wenn man bedenkt, dass ihre Schwester eine Vampirin ist) und backt Cupcakes für die Kuchenbasare der Kirche. Schokoladen-Cupcakes. Mit echtem Buttercremeüberzug. Buttercreme, nicht dieses gefärbte Crisco-Zeug, das manche Lebensmittelhändler uns als Überzug andrehen wollen. Mmm …

Gott, wie sehr ich feste Speisen vermisse!

Natürlich verliert auch Laura zuweilen die Geduld. Wem von uns passiert das schließlich nicht gelegentlich? Wenn es geschieht, schlachtet sie jeden ab, der ihr in die Finger kommt. Das wird mit der Zeit allmählich peinlich. Außerdem befindet sie sich in einem Dauerkonflikt mit den Untoten. Was eigentlich eine ziemlich normale Reaktion auf Vampire ist.

Lauras Temperament und ihre gelegentlichen Ausbrüche psychopathischer Wut waren der Grund, warum wir uns an diesem Abend in der Mall of America treffen wollten. Laura hatte vor ein paar Monaten versucht, mich zu töten, und fühlte sich immer noch mies deswegen. Sie hasste krassen Materialismus und Shopping, weswegen ihr Vorschlag, mich in mein persönliches Graceland zu begleiten, als großzügiges Friedensangebot gewertet werden musste.

Ich hatte mich aus meinem gottlosen Grab erhoben (eigentlich aus meinem Bett, das mit marineblauen Biberlaken von Target bezogen war – immerhin stand der November vor der Tür, und ich bin schließlich keine unzivilisierte Wilde), einen Unschuldigen zum Frühstück verspeist (einen Dreifrucht-Smoothie. Ich als Königin der Untoten genieße die Vergünstigung, nicht jeden Tag Blut trinken zu müssen, obwohl ich, ehrlich gesagt, schon den Wunsch dazu verspüre), meine düstere Kutsche geordert (einen Lexus-Hybrid), und nun war ich auf dem Weg zur Shoppingmeile.

Ich parkte im Parkhaus Ost, zweite Ebene. Viele meiner Lieblingsgeschäfte lagen auf dieser Seite der Mall, zum Beispiel Williams-Sonoma, ein Haushaltwarengeschäft, und Coach, ein Designer für Accessoires (obwohl ich niemals vierhundert Scheine für einen Rucksack ausgeben würde, der aussieht, als wäre er von einem Zweitklässler entworfen worden). Aber auch Tiger Sushi lag auf dieser Seite der Mall, und Laura war geradezu süchtig nach Tiger Balls, den gefüllten Reisbällchen.

Also setzte ich ein Lächeln auf, während ich auf dieses Restaurant zumarschierte, das Seetang, Reis und rohen Fisch mit einer Gewinnspanne von mehreren Hundert Prozent verkaufte. Sushi eben. Ich kapiere es einfach nicht und werde es nie kapieren. Als Kind war ich zu oft angeln gewesen und konnte mich niemals dazu überwinden, einen Köder zu essen. Egal, wie frisch er war.

Ich entdeckte Laura bereits aus zehn Metern Entfernung, doch das hatte überhaupt nichts mit meinen Vampirsuperkräften zu tun. Laura war einfach eine hinreißende Schönheit und würde es immer bleiben. Zu ärgerlich.

Das ist jetzt kein Neid, klar? Oder wenigstens kein übertriebener Neid. Ich gehöre keineswegs zu diesen Schnepfen, die so tun, als hätten sie keinen Schimmer, wie hübsch sie sind. Ich bin hübsch, das gebe ich offen zu. Groß und blond (wie ungewöhnlich für Minnesota … wir Blonden sind ungefähr so selten wie gelber Schnee im Hundeklo), blasser Teint und helle Augen. Musste nie sonderlich mit meinen Pfunden kämpfen, und nun, da ich untot bin, werde ich auf ewig schlank bleiben. Der Satz »Ich habe gerade mein Wintergewicht« hat jede Macht über mich verloren. In meinem Abschlussjahr auf der High School habe ich an der Wahl zur Miss Burnsville teilgenommen und die Miss-Liebenswürdigkeit-Schärpe eingeheimst. Diese Schärpe bedeutet, dass man zwar nicht die Hübscheste und Talentierteste ist, von den anderen Mädchen aber als nette Mitbewerberin eingeschätzt und deshalb mit diesem Trostpreis bedacht wird. Dennoch pflege ich mein Wasser nicht aus dem Hundenapf zu trinken.

Laura hingegen …

Atemberaubend. Hinreißend. Und, wie mein Freund Marc es ausdrückt: »verführerisch.«

Mein schwuler Freund Marc.

Laura stand mitten im Einkaufszentrum und redete mit einer Unbekannten. Dabei gestikulierte sie wild, ganz wie es die Angewohnheit der Eingeborenen Minnesotas ist. Und während ich näher herantrat, fiel mir wieder der wahre Grund dafür ein, dass die Brut Satans und meiner toten Stiefmutter mich so sehr beunruhigte.

Sie war einfach schön, auf eine mühelose und gleichbleibende Art. Eine dieser (mir wird gleich übel) natürlichen Schönheiten. Taillenlanges Haar von maisgelber Farbe und seidiger Fülle. Große blaue Augen. Das Blau der ersten Frühlingstage. Wolkenloser Sommertage. Ein wirklich und wahrhaftig hinreißendes Blau. Ach ja, und außerdem war Laura total schlank – muss ich das erst noch erwähnen?

Dazu Riesenmöpse, die stets züchtig in einen 75-B-Büstenhalter geschnürt waren. Und lange Beine – Laura war gerade mal um Haaresbreite größer als ich, und ich bin mit meinen ein Meter zweiundachtzig auch nicht gerade eine Zwergin –, die in richtig ausgewaschenen Jeans steckten. Keine ausgeblichenen Prewashed-Jeans … Lauras Mom pflegte ihr neue Jeans zu kaufen (ja, ihre Adoptivmutter kaufte ihr immer noch die Klamotten, obwohl das Mädel an der University of Minnesota studierte). Diese Hosen trug Laura brav auf und auf und auf … so lange, bis sie auf echte Weise ausgeblichen, ausgefranst und abgetragen waren. Denn Verschwendung war eine Sünde. Oh! Und vergessen wir nicht den makellosen, seidigen Teint der Satanstochter, den sie ihrem Hautklär-Waschgel verdankte.

Und sie trug verschlissene Turnschuhe, wie ich im Näherkommen erkannte. Von Target. Turnschuhe! Wer trägt denn Turnschuhe, wenn er Sandalen kaufen will? Laura würde sich jedes Mal hinsetzen und Schuhe und Strümpfe ausziehen müssen … nein, allein die Vorstellung machte mich rasend, deshalb dachte ich rasch an etwas anderes. Zum Beispiel daran, wer die Frau war, auf die Laura so heftig gestikulierend einredete.

Es war nicht weiter überraschend, dass der Antichrist mit jemandem redete. Eigentlich hätte sie ständig von Männern und Frauen und kleinen Kindern verfolgt werden müssen. Laura sah nicht nur hinreißend aus, sie zog überdies die Menschen in Scharen an. Wie ich schon sagte: Dafür, dass sie der Antichrist war, war sie eigentlich ziemlich nett.

Als ich endlich nahe genug herangekommen war, damit Laura auf mich aufmerksam wurde, sah ich, dass sie gar nicht mit der Frau sprach. Oder ihr zuwinkte. Beide wedelten wie wild mit den Händen. Entweder war Laura unversehens taub geworden, oder sie hatte kürzlich die Gebärdensprache erlernt.

2

»Ach, da bist du ja!« Laura warf ihre Hände mit den langen, schlanken Fingern und den kurzen Nägeln hoch und stellte mich vor. »Betsy, meine Schwester. Betsy, das ist Sandy Lindstrom.« Sandy, eine kleine, dickliche Person von Mitte dreißig, schob sich die zotteligen Ponysträhnen aus den dunklen, schräg stehenden Augen und lächelte mich freundlich an. »Sie war nicht sicher, wann Macy’s den nächsten Schuh-«

»Am zweiten November«, erwiderte ich wie aus der Pistole geschossen. »Der Ausverkauf beginnt um acht, eine Stunde vor der üblichen Öffnungszeit. Parken Sie am besten im Parkhaus West.«

Lauras Hände bewegten sich flink, während sie übersetzte­ – ich bin immer wieder erstaunt, wie cool und geheimnisvoll Gebärdensprache aussieht.

»Okay, danke«, formte Sandy mit den Lippen, während sie die Worte gleichzeitig als Gebärde ausdrückte.

»Nichts zu danken«, sagte ich, aber sie wandte sich bereits ab. Ich wollte schon meine Stimme heben, erkannte aber noch rechtzeitig das Unsinnige daran, einer Gehörlosen »Nichts zu danken!« hinterherrufen zu wollen. Ziemlich dürftig. Stattdessen wandte ich mich an meine Schwester. »Wer war denn das?«

»Was meinst du? Sandy Lindstrom.«

»Aha. Du kanntest sie also nicht vorher?«

»Nein, aber ich wusste, dass du genau die Richtige sein würdest, um ihre Frage zu beantworten.« Laura grinste und schob ihren Arm unter meinen. Der Antichrist war eine Berührerin und Umarmerin, hatte ich das schon erwähnt?

»Sie war also nur eine Zufallsbekanntschaft?«

»Klar.« Ein Stirnrunzeln furchte Lauras perfekten Brauenbogen. »Warum?«

»Spielt keine Rolle«, beruhigte ich sie. Dann spazierten wir los, vorbei am Beauty Shop Crabtree & Evelyn, die Arme untergehakt wie die halbe Besetzung aus dem Zauberer von Oz (die hirn- und ratlose Hälfte der Besetzung.) »Ich wusste nur nicht, dass du die Gebärdensprache beherrschst.«

»Oh.« Eine so kurze Antwort war vollkommen untypisch für Laura, ebenso das nachfolgende Schweigen. Tatsächlich waren wir schon an Daniel’s Leather vorbei, als sie fragte: »Ist das auch der richtige Weg zu Payless?«

»Payless?«, kreischte ich fast und stoppte so abrupt, dass sie um ein Haar eine Säule gerammt hätte. »Welches schändliche Mundwerk spricht solchen Unflat?«

»Meines«, erwiderte das Kind des Teufels, richtete sich wieder auf und vergewisserte sich, dass sie bei dem Beinahezusammenstoß nicht ihre Handtasche fallen gelassen hatte. Laura verstand sich großartig auf den Kampf gegen die Untoten (Waffen des Höllenfeuers, Tochter Satans usw.), aber Shopping war nicht ihre Stärke. »Du weißt doch, dass ich sparen muss, Betsy. Nicht jede von uns ist mit einem Millionär verheiratet.«

»Mit einem untoten Millionär«, betonte ich, nur um Laura zusammenzucken zu sehen – und sie tat es brav, wie ich es erwartet hatte. Was übrigens viele Leute taten, wenn mein Mann Sinclair, der König der Vampire, erwähnt wurde. Teufel auch, selbst ich zuckte bei der Erwähnung seines Namens gelegentlich zusammen, doch eher vor Wut als aus Angst. »Und sei fair – du weißt verdammt gut, dass ich mir früher von einem Sekretärinnengehalt Designerschuhe gekauft habe.« Wie zum Beispiel meine kostbaren, sehr kostbaren Burberry-Gummistiefel für zweihundert Dollar. Fast neun Wochen hatte ich dafür sparen müssen.

»Na ja, schon …« Sie druckste ein wenig herum, dann entdeckte sie einen Plan der Mall. »Ähm … Payless Shoes … Klar, man könnte mehr bezahlen, aber warum?«

Nun war ich diejenige, die zusammenzuckte, als ich Payless’ gefürchteten Slogan vernahm. Man könnte mehr bezahlen, aber warum? Warum? Weil Qualität vielleicht ihren Preis hat, ihr Idioten!

»Ach, da ist es! North Garden einhundertfünfzig.«

»Mord-Garten.« Das war kindisch, ist mir klar. Verklagen Sie mich, wenn Sie wollen.

Können Tote überhaupt verklagt werden? So, wie es in den letzten drei Jahren gelaufen war, würde ich es wohl spätestens zu Thanksgiving herausfinden.

Oh nein, ich sollte lieber nicht an Thanksgiving denken …

»Ach, nun komm schon.« Wieder nahm sie meinen Arm und zerrte mich in Richtung Fahrstuhl. »Vielleicht findest du auch welche, die dir gefallen.«

»Das ist ungefähr so wahrscheinlich, als wenn du dir Gedanken­ über ein Muttertagsgeschenk machen würdest.«

Laura schnappte hörbar nach Luft und sackte auf den Boden­ des Fahrstuhls. Ich beugte mich über sie und ergriff ihre Hand. »Das war echt gemein!«, warf sie mir vor, während die anderen, die ebenfalls einstiegen, mit der milden Neugier der Leute aus dem Mittelwesten auf uns herunterstarrten.

»Also bitte. Seit wann tun wir denn so, als wäre sie nicht deine Mom? Schämst du dich für sie? Ich gebe wenigstens zu, dass deine andere Mom meine Stiefmutter ist.«

»Deine tote Stiefmutter.«

»Tja, das Blöde ist nur, dass ich sie noch genauso oft wie früher sehe.« Nachteil Nummer 235, wenn man die Königin der Vampire ist: Ich sehe tote Leute, die mich echt nerven.

»Mir zu unterstellen, ich hätte ihr auch nur jemals eine Muttertagskarte geschickt!«

»Genau deshalb war’s ja auch ein Scherz. Denn ich würde ganz bestimmt keine Karte … was ist los?«

Laura war unvermittelt aufgestanden. Sie musste etwas entdeckt haben, denn sie zerrte mich aus dem Fahrstuhl zu einem ungefähr drei Jahre alten Kleinkind, das die alterstypischen Latz-Jeans und ein MoA-T-Shirt trug.

Ach, zur – nicht schon wieder! Laura spürte ständig verloren gegangene Kinder auf und tröstete sie. Das gehörte ebenso zu ihren Superkräften wie die Eigenschaft, niemals einen Pickel oder schlechten Atem oder Sand in den Augen zu haben.

Ich habe nichts gegen Kinder. Ich habe sogar sozusagen ein eigenes. Es ist mein Halbbruder, gleichzeitig aber auch mein Pflegekind, und ich bin seine Schwester/Mutter. Der Junge sorgt dafür, dass Sinclair und ich mehr Steuern absetzen können. Also mag ich Kinder, klar? Ich besitze aber nicht die Fähigkeit, sie wie eine Popelsuch-Maschine aufzuspüren. Laura hingegen schon. Deshalb werde ich auch niemals mehr mit ihr in den Zoo gehen.

Jetzt kniete sie vor dem dunkelhaarigen Racker und schwatzte in – äh – einer weiteren unbekannten Sprache auf ihn ein. Jesus. Vermutlich hätte ich die Uni damals nicht einfach so abbrechen sollen, denn offensichtlich gab es enorm viele Fremdsprachenkurse für Studenten im zweiten Jahr.

Ah! Wie zu erwarten war, hatte der verloren gegangene Racker Nr. 32 seine Tränen bereits vergessen und knabberte nun meiner Schwester ein Ohr ab. Sie lauschte geduldig und nickte nach jedem unverständlichen Wort, und im nächsten Augenblick … aha!

Ein Ruf voller Sorge und Glück von der Mutter des verloren gegangenen Rackers. Entweder hatte sie Laura die Hinreißende entdeckt und war von ihrer Schönheit dermaßen überwältigt, dass sie das Kind vergaß … oder sie hatte das Brabbeln ihres Augensterns vernommen und war nun wie eine … Popelsuch-Maschine herbeigestürzt.

Jetzt bildeten der verloren gegangene Racker Nr. 32 und seine Mom die wiedervereinte Familie Nr. 6 und plauderten fröhlich mit Laura. Es folgte ein dankbarer Händedruck, die klebrige, aber aus tiefstem Herzen kommende Umarmung des Kleinen, dann die tief empfundene und tränenselige Dankbarkeit der Mutter und schließlich … entfernten sie sich!

»Was ist nur mit dir los?«, fragte ich den Antichristen, als sie auf mich zuhüpfte.

»Nur du schaffst es, dass es wie ein Charakterfehler klingt, verirrten Kindern zu helfen.« Während sie das sagte, lächelte sie jedoch entwaffnend, deshalb war ich nicht gekränkt. Wenn Laura nicht die Absicht hegte, einen Vampir zu töten, gab sie sich alle Mühe, ihn nicht zu kränken.

»Nein, aber … und was war das überhaupt?«

»Was war was?«

»Wie du mit ihm geredet hast. Was war das?«

»Tagalog.« Wieder eine ziemlich knappe Erklärung, und schon schleppte sie mich weiter auf den verhassten Payless-Laden zu.

Ich würde alles aufbieten, nur um nicht diesen Höllenschlund von Payless ShoeSource betreten zu müssen, deshalb fragte ich: »Tagalong? Was soll das sein?«

»Es heißt Tagalog. Das ist eine Sprache.«

»Ich habe auch nicht angenommen, dass ihr drei Improvisationstheater aufgeführt habt. Was ist das für eine besondere Sprache?« Nicht nur, dass ich Tagalog nicht kannte, ich hatte noch nicht einmal davon gehört.

»Sie wird auf den Ppphiiiliinnn gesprochen.«

Jetzt zog sie nicht mehr, sie zerrte geradezu. Und das bei einem Mädchen, das nicht einmal dann zerren würde, wenn ein Müllwagen mich zu überrollen drohte, weil sie fand, man dürfe niemanden erschrecken. Das wurde ja immer seltsamer!

Ich stemmte meine Füße in den Boden und hoffte nur, dass ich, die furchtlose Vampirkönigin, nicht ausgerechnet vor Payless ein Tauziehen mit dem Antichristen veranstalten musste. Mein Ruf! Ganz zu schweigen von meiner geistigen Gesundheit. »Ich hab das nicht verstanden. Würdest du bitte aufhören zu nuscheln? Und zu zerren?«

»Sie wird auf den Philippinen gesprochen.« Laura schrie es fast. »Von ungefähr zweiundzwanzig Millionen Menschen.«

»Von zweiundzwanzig Millionen und einem«, scherzte ich. »Und ich meine es ernst: Wenn du weiter so zerrst, schneidest du mir am Handgelenk die Blutzufuhr ab. Falls ich dann überhaupt noch ein Handgelenk habe.« In diesem Augenblick traf mich wie ein Blitz die Erkenntnis, warum ihr diese Unterhaltung so unangenehm war … da es sonst doch nur eine Sache gab, die ihr unangenehm war. »Warte mal. Du hast Tagalong gar nicht gelernt, stimmt’s?«

»Tagalog.«

»Oder die Gebärdensprache? Oh Gott. Du hast sie gar nicht gelernt … du konntest sie bereits. Ganz einfach so. Du kannst sie alle. Alle Sprachen … du beherrschst alle Sprachen der Welt, nicht wahr?«

3

Laura zuckte verdrießlich mit den Achseln und zerrte meinen untoten Kadaver weiter in Richtung Höllenschuhe. Das konnte ich jedoch nicht dulden – und nicht nur aus dem vorhin erwähnten Grund.

»Mach schon den Mund auf, Laura! Kannst es ja auch in Gegenwart von fremden Kindern. Warum verschließt du dich jetzt wie eine Auster? Es ist ein Teil von dir, nicht wahr? Du magst nicht über deine Mom reden, du magst es nicht, wenn andere Leute über deine Mom reden … und vor allem magst du nicht über das reden, was du von deiner Mom geerbt hast. Es ist einfach unglaublich! Du kennst alle Sprachen. Die Sprachen der ganzen Welt.«

Oho, wie würde sie in Paris damit auftrumpfen können! Die Vorstellung machte mich geradezu benommen. Laura beherrschte sämtliche gesprochenen Sprachen der Welt … dann musste sie ja auch Latein und andere tote Sprachen beherrschen. Wow! Und nie hatte sie ein Wort darüber verloren. In keiner Sprache.

»Genau wie in dem Film!«

»In welchem Film?«

»Im Auftrag des Teufels. In dem Al Pacino den Teufel spielt.« Den mit Abstand geilsten Teufel aller Zeiten.

Laura senkte den Blick. Wenn es möglich war, dass ein so schönes, nettes, kluges und gelegentlich verrücktes Mädel beschämt aussehen konnte, dann brachte sie eine verteufelt gute Vorstellung zustande. »Den kenne ich nicht. Meine Eltern wollten nicht … und dann wollte ich’s auch nicht … denn er handelte ja von … du weißt schon.«

Ihr! Er handelte von ihr … oder ihr, wenn sie in diesem Film Keanu Reeves gewesen wäre. Laura mochte nicht nur Filme über den Teufel nicht, sie konnte auch Filme über des Teufels Nachkommen nicht ausstehen. Sie mochte Filme nicht, in denen … sie selbst die Hauptrolle spielte! »Also hast du nie irgendwelche Filme mit …«

Sie schüttelte heftig den Kopf und verbarg ihr Gesicht hinter glänzenden, blonden Wellen. (Ihr auf dämonische Weise pickelfreies Gesicht.)

»Das Omen?Damien – Omen II?Barbaras Baby – Omen III? Oder Rosemarys Baby?Satan Junior? Oder vielleicht Teuflisch? Ach nein, in dem spielst ja gar nicht du mit, sondern deine …«

»Nein, ich hab keinen davon gesehen!«

Furchtbar wütend hörte sie sich allerdings nicht an. Also zugegeben: Wut war auch dabei, aber gleichzeitig … Faszination?

Ich spähte ihr forschend ins Gesicht. Dieser Ausdruck kam mir vertraut vor … Genau! Es war jener hungrige Ausdruck, den mein Gesicht annahm, wenn Pradas im Ausverkauf waren.

»Tja, dann wird es ja wohl höchste Zeit«, beschloss ich, ergriff ihre feuchte Hand und schleifte sie – Gott sei Lob und Dank! – aus dem Dunstkreis von Payless fort. »Die Hälfte hab ich zu Hause, und den Rest können wir uns über Netflix anschauen. So kannst du alles über deine Herkunft erfahren – oder zumindest das, was Hollywood sich darunter vorstellt. Wenn man allerdings bedenkt, dass sie auch grünes Licht für Sequels von Speed, Teenwolf, Natürlich blond, Dumm und Dümmer, Der Weiße Hai und Die Fliege gegeben haben, dann solltest du die Teufelsfilme lieber nicht für bare Münze nehmen.«

»Hast du denn all diese Filme gesehen?«

»Das ist eine meiner vielen Superkräfte«, versicherte ich ­meiner Schwester, während ich sie vom Höllenschlund fortschleifte.

4

»Ich muss dir die Wahrheit gestehen«, nuschelte der Antichrist mit einem Mund voller Popcorn. »Al Pacino ist ein Wahnsinns­teufel.«

»Was du nicht sagst.« Ich schlürfte meinen siebten Erdbeer-Smoothie – heimlich, weil mein versnobter Gatte der Meinung war, Tiefkühlfrüchte seien ein ärgeres Sakrileg als die Morgenmesse. Im Sommer sei es ja in Ordnung, da gebe es genug frisches, gesundes Obst. Im Winter aber wollte er die Zutaten für meine Smoothies gnadenlos rationieren. »Eigentlich will mir kein Film einfallen, in dem Al Pacino nicht absolut super ist … Ach! Das ist cool! Ich liebe diese Szene. Schau nur, jetzt steckt er den Finger ins Weihwasser, und es brodelt. Man könnte glatt ein Ei darin kochen.«

»Und was soll das für einen Sinn haben?«, fragte Laura entgeistert, aber auch belustigt.

»Wen kümmert’s? Er ist eben der verdammte Al Pacino!«

Mampf. Knirsch. »Wenn du es sagst …«

Wir hatten Das Omen (»Keine Angst, Kleiner. Ich beschütze dich.«) und Rosemarys Baby geguckt (»Wir sind Ihre Freunde, Rosemary. Es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Überhaupt keinen Grund.«) und waren schließlich bei Big Al gelandet.

Nach anfänglichem Zögern verschlang Laura diese Filme so gierig wie ich Schokoladenshakes (oder Erdbeer-Smoothies außerhalb der Saison). Es schmeckte verdächtig nach verbotenen Früchten. Jedes Mal, wenn irgendwo im Haus eine Tür ging, zuckte sie ein wenig zusammen, als hätte sie Angst, erwischt zu werden.

Ihre Eltern – ich meine natürlich: ihre Adoptiveltern – wussten, dass Laura die Tochter des Teufels war. Laura hatte es ihnen gebeichtet. Vielmehr: Satan hatte es ihnen gebeichtet (sie steht darauf, zu den unmöglichsten Zeitpunkten Teile der Wahrheit zu enthüllen).

Und ich glaube … ich vermute, Laura versuchte ihre Identität als Antichrist wiedergutzumachen, indem sie so tat, als seien ihr sämtliche Popkultur-Anspielungen auf den Antichristen gleichgültig, ja sogar widerlich.

Im Moment jedoch konnte sie gar nicht genug von diesen Filmen bekommen. Würde das nun auf mich zurückfallen oder nicht?

Darauf können Sie Gift nehmen.

»Wer ist denn dein Lieblingsteufel?«

»Elizabeth Hurley in Teuflisch. ›Die meisten Männer halten sich für Gott. Der hier ist es zufällig.‹ Außerdem war sie eine tolle Verkehrspolizistin. Und eine sehr unkonventionelle Krankenschwester! M&Ms an die Patienten auszugeben statt Medikamente … da kommt man sich ja fast vor, als wäre man krankenversichert.«

»Meine Mutter …«

»Ja? Deine Mutter?« Ich versuchte, es nicht zu auffordernd klingen zu lassen, denn Laura redete nie über ihre Mutter. Ich hatte sogar Angst, mich zu bewegen, ausgestreckt, wie ich dalag auf dem Love Seat, ein Schuh auf dem Boden, der andere noch an meinem großen Zeh hängend … ich wollte den Bann nicht brechen. »Deine Mutter, Satan …«

Laura schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr Gesicht hinter den blonden Locken verschwamm.

»Jetzt hab dich nicht so …! Laura, du bist der Antichrist, und ich bin die Königin der Vampire. Du bist noch Jungfrau und ich hab meine Unschuld nach dem Abschlussball an einen Kerl namens Buck verloren. Buck! Du hast einen Serienmörder zu Tode geprügelt und ich hab mal imitierte Louboutins für echte ausgegeben. Ich bin also genauso krank und böse wie du. Also werde ich dich ganz bestimmt nicht verurteilen.«

»Oh«, machte sie. Dann: »Buck?«

»Ja, Herrgott, mich brauchst du auch nicht zu verurteilen.«

»Das würde ich nie tun. Echt, deine Unschuld? Na ja, also … ich habe sie gesehen.«

»Deine leibliche Mutter?«

Laura feixte. »Ich weiß nicht einmal, ob man das so sagen kann. Schließlich wurde ich nicht aus ihrem Leib geboren, sondern aus dem deiner Stiefmutter. Der Teufel fuhr wieder in die Hölle zurück, nachdem ich geboren war.«

Ich nickte. »Ja, das Leben mit einem Neugeborenen muss so unglaublich anstrengend sein, dass einem die Hölle dagegen wie ein Sanatorium vorkommt.« Memo an mich: Sei dankbar, dass du Baby Jon hast, und beschwer dich nicht ständig, dass du niemals schwanger werden und ein anderes Wesen aus deiner Gebärmutter in die Welt zwängen kannst.

»Ich bin gar nicht ihr leibliches Kind.«

»Sehe ich etwa wie eine Genetikexpertin aus? Oder wie eine Theologin? So ist das eben mit diesem übernatürlichen Scheiß. Wer weiß schon, wie das funktioniert? Ich ganz bestimmt nicht. Ich bin immer noch dabei, das Handbuch für die Vampirkönigin durchzuarbeiten. Du wirst dich noch selbst verrückt machen, wenn du mit Gewalt versuchst, aus diesem ganzen Mist – Antichristen, Vampiren, Werwölfen, Geistern und Halbbrüdern, die zugleich Pflegesöhne sind, und Hochzeiten, Beerdigungen, Selbstmorden und Königen und Königinnen und Umsturzversuchen – wenn du versuchst, aus all dem einen Sinn herauszufiltern. Also: Deine Mom ist in letzter Zeit unerwartet aufgetaucht?«

»Sie taucht immer unerwartet auf.«

»Wem sagst du das …« Ab und zu besuchte der Teufel auch mich unerwartet. Und schlimmer noch: Das diabolische Miststück führte mich mit Schuhen in Versuchung! Mit wunderbaren, wunderschönen, sündhaft teuren und seltenen Schuhkreationen. Oh, sie war wirklich ein Teufel! Außerdem ähnelte sie auf seltsame Weise Lena Olin, und auch sie war nicht mehr so jung, aber dennoch sexy. Zobelbraunes Haar, hie und da von Silbersträhnen durchzogen. Wahnsinnsbeine. Tolles Kostüm. Und die Schuhe erst … wenn ich anfange, von diesen Schuhen zu reden, höre ich bestimmt so schnell nicht wieder auf …

»Sie hat mir so Sachen erzählt.«

»Was?« Oh. Genau. Laura stand kurz davor, mir etwas über ihre Mutter anzuvertrauen. Ich sollte lieber zuhören. »Okay.« Ich war ziemlich sicher, dass diese Geschichte böse enden würde, B-Ö-S-E in Großbuchstaben.

»Und ich … ich möchte vieles über sie wissen.« Nun flüsterte sie fast. Als ob es ungehörig sei. Als ob sie sich deswegen schämen müsste. Was sie aber tat.

Ich lachte. »Ach, Süße, ist es das, was dich so quält? Welches adoptierte Kind macht sich keine Gedanken über seine leiblichen Eltern? Glaubst du etwa, das machte dich zu einer schlechten Tochter? Als ob du keinen Respekt vor den Menschen hättest, die dich aufgezogen haben?« Wieder lachte ich. Aus lauter Erleichterung. »Mach dich nicht dauernd selber fertig, bloß weil du normal bist, okay?«

Meine Schwester wurde zusehends lockerer. Sie ließ ihre angespannten Schultern fallen und verlor das Aussehen eines Menschen, der total gestresst ist. Sie beugte sich vor und strich sich das Haar aus den Augen. »Okay. Also: Baal möchte …«

»Holla, holla. Hier muss ich im Namen der Zuschauer um eine Wiederholung bitten. Baal?«

»Ein antiker Name meiner Mutter.«

»Dann muss er wohl richtig antik sein, denn ich habe ihn noch nie gehört. Ich nehme an, er ist ein bisschen weniger kränkend als Crack-Nutte.«

»Ein kleines bisschen weniger.«

»Mir persönlich gefällt ja Beelzebub besser.«

»Nenn sie den Leibhaftigen, wenn dir das besser gefällt. Nenn sie Lügenbaron. Nenn sie Mrs Tiggy-Winkle. Welchen Namen du am passendsten findest. Jedenfalls möchte sie, dass ich sie besuche.«

»Okay.«

»Um ihre Welt zu sehen. Ihre Heimat.«

»Deine Mom möchte, dass du zur Hölle fährst.« Diesen Satz sollte man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. »Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Igitt. Und ich dachte immer, meine Mom hätte übel an mir gehandelt, als sie mich mit siebzehn auf eine Kollegiumsfeier mitnahm. Es gibt nichts Öderes als einen Haufen Akademiker mit Minderwertigkeitskomplexen. Auf dieser Party waren nicht irgendwelche Historiker. Sondern prahlende Historiker.

»Und ich will dir auch gar nicht verheimlichen, dass es mich total interessiert. Ich würde … ich würde die Hölle einfach gern sehen. Ich würde … ich weiß auch nicht. Ich bin neugierig. Ich weiß so vieles nicht. Und denk nur: Wenn ich dich nicht kennengelernt hätte, hätte ich nie geglaubt, dass es in Ordnung ist, mich dafür zu …«

»Warte mal kurz, warte mal. Nei-hein. Dafür bin ich jetzt aber nicht verantwortlich und werde es auch nie sein. Zieh mich da nicht mit rein!«

»Ich will dich ja gar nicht hineinziehen. Ich danke dir nur, weil …«

»Nein, Schluss damit! Was auch immer nach dem heutigen Tag geschieht, was auch immer bis zum Ende des Monats geschieht, ist nicht meine Schuld.« Mein Leben als Untote hatte mich unglaublich paranoid gemacht. Ich entwickelte allmählich die Fähigkeit, desaströse Situationen im Voraus zu wittern, denn meistens fingen die Dinge harmlos an und endeten damit, dass entweder ich oder mein Mann fast starben, oder dass einer meiner Freunde tatsächlich starb. Oder ein Elternteil starb, oder ich hatte tausend Werwölfe an den Hacken.

Was kann man dazu schon sagen? Das Schicksal möchte mich eben auf Trab halten.

»Ich meine nur, es wäre doch ein interessanter Trip.«

»Falsch, o göttlich verblendete Schwester. Chicago ist ein interessanter Trip. Die Boundary Waters sind ein lohnendes Ausflugsziel, falls es dir nichts ausmacht, dein Essen in einem Baum zu verstecken. Die Hölle aber ist ein Urteil und dieses lautet: lebenslänglich. Mehr als lebenslänglich, wenn ich’s recht bedenke.« Laura öffnete den Mund, doch ich schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Fang gar nicht erst an. Ich werde es dir nicht ausreden – dafür kenne ich dich zu gut –, aber ich werde ganz bestimmt nicht mitkommen. Ich habe in meinem Leben niemals etwas getan, das einen Ausflug in die Hölle rechtfertigen würde.«

Das war eine ziemlich fette Lüge. Mir fielen nämlich so einige Untaten ein, für die ich einen Tag in der Unterwelt verdient hätte. Zum Beispiel, dass ich mit fünf die Brieftasche meiner Mom im Hof vergraben hatte, weil ich mir vorstellte, dass sie ohne Führerschein nicht in der Lage wäre, mich zu Payless Shoes zu fahren.

Wie alle Tricks war auch dieser äußerst riskant gewesen. Und die Strafe war lang und hart.

Denn am Ende landeten wir bei WalMart. Jesus, hab Erbarmen mit deiner ergebenen untoten Dienerin.

5

»Was für ein ekelhafter, grässlicher, erbärmlicher, kolossal blöder Mist!«

»Ich hörte deine wohlklingende Stimme schon an der Haustür«, bemerkte Sinclair, als er, nach Blut und Geheimnis riechend, unser Schlafzimmer betrat. »Jedoch scheinst du noch, äh, aufgewühlter zu sein als gewöhnlich.«

»Aufgewühlt ist noch milde ausgedrückt …«

»Sicher, meine Liebe, aber blindwütig schäumend klingt so gar nicht romantisch. War das Laura, die da eben gegangen ist?«

»Wie? Ja.«

»Sie schien keine besondere Lust zu einer Unterhaltung zu haben.«

»Sie hat Probleme mit ihrer Mom.«

Mein Gemahl verzog das Gesicht – für ihn das Äquivalent zu hysterischem Kreischen und büschelweisem Ausreißen der Haare. Die Liebe meines Lebens war ein sehr beherrschter Mann. »Laura hat Probleme mit ihrer Mutter? Was für ein ernüchternder Gedanke.« Er streifte sein marineblaues Jackett ab, betrat unseren begehbaren Kleiderschrank und hängte es umständlich auf einen Holzbügel. »Ich habe dich heute Nacht vermisst, mein Herz.«

»Ach ja?« Ich blieb ungerührt. Eine große, sehr große Vergünstigung für die Vampirkönigin besteht darin, dass sie nicht jeden Tag Blut trinken muss. Wann immer es mir möglich war, stillte ich also meinen Durst mit kannenweise Tee und mixerweise Smoothies. Es half zwar nicht richtig. Aber ich fühlte mich besser. Weniger missgeburtsmäßig. Nicht so furchtbar monsterartig. »Ich hab dich aber gar nicht vermisst, nicht einmal ein klitzekleines –iiihh!« Kichernd wand ich mich auf unserem Bett, weil der König der Vampire mich mit seinen bösen Krabbelfingern an den Rippen kitzelte.

»Nach meinem Verständnis gesteht derjenige, der zugibt, kitzlig zu sein, ein, dass er keinerlei Willensstärke besitzt.«

»Ach, das behauptet ihr nicht kitzligen Kerle immer. Als ob es ein Beweis für Willensstärke oder so wäre, wenn man genetisch gesehen eine Missgeburt ist.«

»Das ist es ja auch«, sagte Sinclair mit absolut teuflischem Lächeln, und sogleich machten sich seine Finger wieder an meinen Rippen zu schaffen. Ich schlug um mich und trat aus und jaulte. Haben andere Königinnen sich jemals eine solch miese Behandlung gefallen lassen müssen? Victoria? Anne Boleyn? Elizabeth die Zweite? Das kommt mir unwahrscheinlich vor. Nicht, dass ich Anne Boleyn beneidet hätte. Aber ich bin mir ziemlich sicher: Obwohl Henry, der nie zufriedene Tudor, ihre Hinrichtung plante, hat er sie bestimmt nie gekitzelt, bis sie sich fast in die Hosen machte.

»Nein, hör auf damit, sonst muss ich … hör auf!« Ich bog und wand mich und schaffte es, mich seinem eisenharten Griff zu entwinden.

Okay. Lüge. Er ließ mich los. Für ein totes Mädchen war ich ganz schön stark, aber so einen wie Eric Sinclair gab es nur einmal unter Millionen. Buchstäblich.

»Ich habe da dieses riesige Problem.«

»Ach, tatsächlich?« Nun erhob auch er sich. Entkleidete sich methodisch und hängte jedes Teil einzeln auf. Das konnte ich gut verstehen, seit ich einmal den Auszug seiner American Express-Karte gesehen hatte. Auch ich würde alle meine Kleidungsstücke sorgfältig aufhängen, wenn ich für eine simple Krawatte hundert Scheine bezahlt hätte.

Wir waren schwerreich – das heißt, er war reich, und Jessica – meine beste Freundin – war es natürlich auch.

Das höchste Jahresgehalt, das ich je verdient habe, waren vierzigtausend. Das war, als ich Direktionsassistentin mit sieben Jahren Berufserfahrung war, und bevor mich der Pontiac Aztec überfuhr. Aber nun wohnten wir in einer Villa auf der superschicken Summit Avenue in St. Paul. Wo unser Haus in Gesellschaft der anderen schicken Häuser nicht weiter auffiel. Unser Haus konnte mit den anderen durchaus mithalten, ja, sich sogar über sie lustig machen (obwohl es im Vergleich mit ihnen nicht sehr erwachsen war: erst 1860 erbaut, soweit ich wusste.)

Sehen Sie, unsere Geschichte lief folgendermaßen … wissen Sie was? Ich hab wirklich keine Zeit für diesen ganzen Mist. Also fasse ich zusammen: wachte tot auf, führte mich auf wie ’ne Wilde, wurde Königin der Vampire, hatte Sex mit Eric Sinclair und machte ihn zum König der Vampire (ich werde immer noch wütend, wenn ich daran denke, dass der Sex mit mir für ihn Anfang, Mitte und Ende seiner Krönungszeremonie war … welche kümmerliche Gesellschaftsordnung gründet denn auf so etwas?), zog vor einigen Jahren, als meine alte Wohnung von Termiten wimmelte, in die Vampirzentrale um und habe nun ständig ein halbes Dutzend (ungeladene) Mitbewohner, lebende und tote und die dazwischen.

Sehen Sie? Wenn ich Ihnen das alles lang und breit erzählt hätte, hätten wir einen ganzen Monat dafür gebraucht. Den furchtbarsten Monat, den es gibt: November.

(Es war 3 Uhr 18 in der Frühe am 1. November. Nun begann der Höllenmonat. Der furchtbarste Monat: November.)

»Hat es etwas mit deinem unbegründeten Hass auf Thanksgiving zu tun?«, fragte Sinclair der Gleichgültige, während er behutsam seine Manschettenknöpfe löste (goldene Bohnen von Elsa Peretti, und ja, Sie haben richtig gelesen, der Mann trägt goldene Bohnen am Handgelenk, macht sich aber über mich lustig, weil ich auf Schmuck von Target stehe) und in seine Manschettenknopf-Schublade legte.

Ja, ja. Und ich war verdammt dazu, mit diesem Mann die nächsten fünftausend Jahre zu verbringen.

»Unbegründet? Das stimmt schon mal gar nicht, du rücksichtsloser Tölpel. Mein Hass auf Thanksgiving hat einen Grund!«

»Wie kommt es nur, dass ich dich jetzt …«

»Eine Ewigkeit.«

»… nein, so fühlt es sich nur an, Liebes. Ich kenne dich nun seit fast drei Jahren …«

»Eine absolute, totale Ewigkeit.«

»… und bin doch immer wieder überrascht über deine absurden Vorurteile, besonders über deine Abneigung gegen einen im Grunde harmlosen Feiertag.«

»Harmlos? Da spricht aus dir der alte, reiche weiße Mann, der du nun einmal bist.« Verärgert schwang ich mein Bein vor und hätte mir fast an einem der Bettpfosten einen Zeh gebrochen. Die Superkräfte und -schnelligkeit einer Untoten zu besitzen bedeutet noch lange nicht, dass auch die Zehen unverwundbar sind.

»Ich verstehe dich nicht.«

»Wie solltest du auch! Du bist eben ein Mann, und ein reicher, weißer Mann dazu, falls du das noch nicht kapiert haben solltest. Deine einzigen Aufgaben zu Thanksgiving bestanden darin, Massenmord zu begehen, Fußball zu sehen und Truthahn-Hosen zu tragen.«

Sinclair blinzelte mich verständnislos an. Wie eine Eule. Wie eine große, blasse, hinreißende, gut gebaute Eule. »Truthahn-Hosen?«

Ich winkte ab. »Du weißt schon. Jogginghosen. Hosen, die so elastisch sind, dass du Truthahnbraten in dich hineinstopfen kannst, bis du platzt.«

»Bei mir zu Hause war Thanksgiving ein wenig anders«, sagte er erstaunt und ein wenig gekränkt.

»Das ist ja wohl eine fette Lüge, mein Alter.«

»Außerdem kann ich es nicht ausstehen, wenn du mich Alter nennst.«

»Als ob mich das kümmern würde, mein Alter! Hör zu: Vom allerersten Thanksgiving bis zu dem in drei Wochen ist Thanksgiving ein Feiertag, der Frauen stresst. Haben wir etwa Zeit, nach dem ganzen Ausnehmen und Stopfen und Braten den Truthahn zu genießen? Wohl nicht. Wir sind ja vollauf damit beschäftigt, frische Braten- und Cranberrysauce aus der Küche zu holen … bevor wir putzen, auf die Knie fallen und um Kraft beten, damit wir bis Weihnachten durchhalten. Dann wird gespült, und der Kreislauf beginnt von vorn. Das ist unmenschlich. Da ich kein Mensch mehr bin, muss ich es wissen. Außerdem ist Thanksgiving eine Verschwörung, um uns an unsere Besen zu ketten.«

»Haben wir denn einen Besen?«

»Aber bestimmt.« Die Küche war so groß wie ein Fußballfeld, die Arbeitsflächen stets sauber und glänzend, der Boden eine schimmernde, saubere Fläche. Und es roch nach Zitronen und altem Holz. Wahrscheinlich besaßen wir ein Dutzend Besen. Eine Batterie von Besen. Und diskretes, überbezahltes Hauspersonal.

»Aber, mein Herz, du musst doch gar nichts davon tun. Du musst nicht ausnehmen, stopfen und braten – du weißt hoffentlich noch, was du alles hergebetet hast. Ehrlich gesagt bin ich sicher, dass du so etwas noch nie getan hast.«

»Darum geht es doch gar nicht … ich versuche gerade, einen Lanze für den Feminismus zu brechen.«

»Feminismus?«

»Ja, du weißt doch, diese lästige Idee, dass Frauen den Männern gleichwertig sind. Und sag nicht Feminismus in einem Ton, als ob du das Wort noch nie gehört hättest, du chauvinistischer Mistkerl.«

Mein Ehemann trug einen Ausdruck zur Schau, den ich nur zu gut kannte: Er war belustigt und verärgert zugleich und sah aus, als bekäme er im nächsten Moment Migräne. »Natürlich habe ich dieses Wort schon einmal gehört, mein Liebes, und …«

Zu spät! Nichts würde ihn mehr vor meinem Vortrag retten. »Wir Feministinnen mussten den Feminismus erfinden, um die zügellose Unterdrückung und all das zu stoppen.«

»Wie wirst du denn unterdrückt?«

Ich starrte ihn offenen Mundes an. »Wie ich unterdr… – siehst du etwa meine Möpse nicht, die mich doch ganz offensichtlich als Mitglied der Unterdrückten ausweisen?«

»Aber du wirst nicht unterdrückt. Du bist reich …«

»Es ist dein Geld.« Ich überlegte kurz. »Und vor dir hat es Jessica gehört.«

»Na gut. Aber du hast Zugang zu Geld, können wir es dabei belassen? Dein Vater hat großartig verdient, und du hattest immer Zugang zu seinem Vermögen. Ich habe dich niemals ein Fenster putzen oder einen Truthahn stopfen sehen.«

»Ach so. Weil Sinclair der Große es nie gesehen hat, ist es auch niemals geschehen?«

»Mein Liebes, ich werde dir ewige Huldigung erweisen und diesen Streit sogleich fallen lassen, vorausgesetzt …«

»Huldigung, toll, der Klang gefällt mir. Ich hätte gern Huldigung in rauen Mengen, aber es ist schon seltsam, dass du so früh aufgibst …«

»Vorausgesetzt, du verrätst mir, wo die Besen sind.«

Ich brach mitten im Satz ab. Ich blinzelte. (War Blinzeln überhaupt nötig? Ich musste nicht mehr aufs Klo, ich menstruierte nicht mehr, ich schwitzte nicht und ich rülpste nicht. Musste ich blinzeln, oder konnte mein toter Augapfel sich von selbst befeuchten … und warum zum Henker dachte ich in diesem Moment überhaupt an Tränenflüssigkeit?!)

»Obwohl mich dein momentanes Schweigen freut, will ich dir nicht verhehlen, dass der bloße Gedanke, du könntest mich zurückweisen, in meiner Brust Schrecken auslöst.«

»Alter Freund, können wir in unserer Ehe keinen einzigen netten Plausch halten, ohne dass du auf deine Brüste zu sprechen kommst?«

»Die Besen, mein Herz?« Er kniffte die Bügelfalte an seinem tollen Savile Row-Anzug, ließ die Schnalle seines Gürtels aufschnappen und … okay, ich schweife jetzt ganz fürchterlich ab, aber ich liebe das Geräusch, wenn Sinclair seine Gürtelschnalle aufschnappen lässt. So sexy und doch so praktisch. Mit einem Klicken.

Jedenfalls öffnete er seinen Gürtel, klink-klank, zog den Reißverschluss herunter und stieg aus seiner Hose, während er die ganze Zeit munter weiterredete: »Weißt du, wo besagte Besen wohnen? Weißt du, wie viele wir besitzen? Weißt du,« – er hängte die Hose auf einen seiner noblen Holzbügel (was einst Regenwald war, liefert nun die Bügel für die Hosen meines Gemahls) – »wo das Bohnerwachs ist?«

»Nicht einmal das weißt du also«, erriet ich. Es war ein Schuss ins Blaue, aber ich war mir ziemlich sicher.

»Das heißt also: Du weißt es auch nicht.«

»Okay, so ganz genau weiß ich nicht, wo die Besen sind. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich nicht unterdrückt werde.«

»Doch, das tut es, meine Liebe.«

»Denn ich …« Denn mein Kopf steckte voller Gedanken, und alle wollten gleichzeitig heraus.

Okay. Lasst mich jetzt mal ganz scharf nachdenken.

Ich habe nie ein Bett machen oder eine Mahlzeit selbst zubereiten müssen. Ich habe seit dem – scheußlich! –Handarbeitsunterricht in der siebten Klasse keinen Knopf mehr angenäht. Ich brauchte keine Rechnungen zu bezahlen. Ich musste nicht einmal mehr einkaufen gehen, obwohl ich es manchmal zum Vergnügen tat.

Aber Sinclair war ein Weißer und ein alter Mann – so ungefähr um die siebzig. Oder sogar neunzig. Ich konnte mir das nie merken und versuchte es lieber gar nicht erst. Wenn ich mir plastisch genug vorstellte, dass ich fröhlich und häufig einen Mann vögelte, der alt genug war, um mein Großvater zu sein, dann könnte Sinclair seinen Gürtel bis zum Ende aller Zeiten aufschnallen, und es würde mich nicht anmachen.

Und doch! Er war alt, und er war ein Weißer. Von Geburt lediglich Farmer, aber kurz nach seinem Tod war er zu Reichtum gekommen. Dieser hatte aber, soweit ich informiert war, nicht lange vorgehalten.

Hmm. Es war mir schon ein bisschen peinlich. Wie viel wusste ich überhaupt über diesen Mann, der doch angeblich die Liebe meines Lebens war?

6

Mal sehen. Er war im Mittelwesten geboren und aufgewachsen.

Seine Eltern waren Farmer gewesen.

Er verlor seine Eltern und seine kleine Schwester bei einem furchtbaren Unfall – ich war mir ziemlich sicher, dass es sich um einen Unfall gehandelt hatte – und lernte am Abend der Beerdigung Tina kennen (über sie später mehr).

Ich wusste, dass er am liebsten schwarze Schuhe von Kenneth Cole trug.

Ich wusste, dass er Erdbeeren mochte.

Ich wusste, dass er mich liebte.