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GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS. NUR FÜR KURZE ZEIT Sie ist die Königin der Nacht. Unerbittlich, schön und tödlich. Doch was, wenn ich noch etwas viel Schlimmeres bin? Nach den unverzeihlichen Taten auf beiden Seiten liegt Alyssas und Lincolns Liebe in Scherben. Während Alyssa in Portland ihren Verlust in Wut kanalisiert und sich über die Kreaturen der Nacht erhebt, steigt Lincoln in den Schatten Europas zu einem todbringenden Leben auf. Dort begegnet er endlich seiner wahren Familie – und einem noch viel größeren Übel, als er jemals für möglich gehalten hätte. Die Seiten werden neu verteilt, Gut und Böse verschwimmen zwischen Sehnsucht, Verlangen und Schmerz in diesem Jahrtausende alten Krieg zwischen Vampiren und Vampirjägern, als Lincoln und Alyssa sich als verhasste Feinde wieder gegenüberstehen. Wird ihre frühere Liebe ihr Untergang sein? Oder ihre Rettung? Abschluss der packenden Vampir Dilogie – gefährlich, dramatisch, heiß
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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Dieser Roman beinhaltet potentiell triggernde Inhalte. Eine Aufzählung folgt am Ende des Romans.
© Piper Verlag GmbH, München 2025
Redaktion: Cornelia Franke
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Covergestaltung: Giessel Design
Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
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Cover & Impressum
Widmung
Playlist
Was bisher geschah …
Motto
1 Königin aus der Asche
Alyssa
2 Der König ist tot, kurz lebe die Königin
Alyssa
3 Sterben ist was für Anfänger
Lincoln
4 Du bist mein Vater, aber ich bin nicht Luke
Lincoln
5 Ein Band zwischen Liebe und Hass
Alyssa
6 Entfesselter Hass
Lincoln
7 Vampire. Töten.
Lincoln
8 Sind alle Männer solche Mimosen?
Alyssa
9 Bier, Bordelle und Blutsaugerfreunde
Lincoln
10 Blut ist auch nur rotes Wasser
Lincoln
11 Die hoheitliche Kunst des Blutvergießens
Alyssa
12 Ich glaube, mir dämmert etwas
Alyssa
13 In diesem Leben, nicht im Nächsten
Alyssa
14 Tot und trotzdem nix gelernt
Lincoln
15 Tot oder nicht tot, das ist hier die Frage
Alyssa
16 Ein Angebot, das ich definitiv ablehnen kann
Lincoln
17 Trübsal wälzen und etwas anderes blasen
Alyssa
18 Man braucht keinen Doktortitel, um einen Hinterhalt zu erkennen
Alyssa
19 Die Feinde meiner Feinde sind meine … Geliebten?
Alyssa
20 Kühlschrankparty
Lincoln
21 Das schweigende Dilemma
Lincoln
22 Das Herz einer Mutter
Lincoln
23 Die Königin schreibt die Geschichte
Alyssa
24 Von Monstern und Männern
Lincoln
25 Biss zur Mitternachtsstunde
Alyssa
26 Die Ewigkeit ist eine Bitch
Lincoln
27 Wer Krieg sät, wird die Dämmerung ernten
Alyssa
28 Leben und sterben lassen
Alyssa
29 Es ist in meinem Blut
Alyssa
30 Die unendliche Nacht
Alyssa
31 Nicht jeder Prophet ist ein Gott
Lincoln
32 Die Waffe der Dämmerung
Alyssa
33 Asche zu Staub
Alyssa
34 Eine neue Ära
Lincoln
Epilog König von Asche und Staub
Alyssa
Danksagung
Triggerwarnungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für alle, die schon einmal an einem Punkt waren,
an dem ihre einzige Option war, stark zu sein.
Gebt nicht auf. Die Nacht erscheint immer am dunkelsten,
kurz bevor die Dämmerung beginnt.
Für die Menschen, die mir geholfen haben, stark zu sein.You know who you are.
Shot in the Dark – Within Temptation
I Will Not Bow – Breaking Benjamin
Teeth – 5 Seconds of Summer
Here Comes the Rain Again – Hypnogaja & ShyBoy
River – BRKN LOVE
Broken (feat. Amy Lee) – Seether
Irresistible – Fall Out Boy
Walk Through the Fire – Zayde Wølf & Ruelle
Immortals – Fall Out Boy
https://open.spotify.com/playlist/2iHAcshE2dbhIQPTcuAxQ1
Aus der Nacht geboren und in Blut geschrieben,
wird uns die Erlösung aus der Dunkelheit führen.
Dieser Satz aus dem Tagebuch Vlad Draculēas, das die zutiefst abergläubische Vampirgesellschaft als Evangelium ihres heiligsten Propheten verehrt, bestimmt Alyssas Dasein. Denn sie ist nicht nur die Vampirprinzessin, sondern auch die einzige geborene Vampirin, Tochter von Kataleyna Ferrara, der Königin der Nacht.
Doch alles ändert sich, als Alyssa eines Nachts in einem Vampirclub Lincoln Gabriel trifft, einen menschlichen Barkeeper, in dessen Adern Vampirblut fließt. Aus der anfänglichen Anziehung entwickelt sich ein Gefährtenband.
Um die Vampirjäger zu provozieren, den seit 1897 währenden Friedenspakt zu brechen, wandelt König Salvatore einen menschlichen Doktoranden und Lincolns besten Freund Kyle. Dabei stellt sich heraus, dass Kyle selbst ein Vampirjäger ist – ebenso wie jeder in Lincolns Familie. Lincoln schafft es, Kyle aus Salvatores Fängen zu befreien, doch der frisch Gewandelte richtet sich gegen Lincoln und bei einem Kampf erwachen Lincolns Vampirjäger-Instinkte vollständig.
Zerrissen zwischen Rache am Vampirkönig und seiner Liebe zu Alyssa, sucht Lincoln einen Weg der Schlichtung. Dabei wird er jedoch von seiner Schwester Anna und einigen Vampirjägern hintergangen, woraufhin ein blutiger Kampf in Alyssas Haus entbrennt, bei dem der Vampirkönig Anna hinrichtet. Alyssa kann nicht verhindern, dass ihr Gefährte in Zorn und Schmerz den Vampirkönig tötet.
Was Lincoln nicht wusste: Unter Vampiren gilt das Gesetz des Stärkeren. Wer den Vampirkönig tötet, wird der nächste König – und zur Zielscheibe.
Alyssa bleibt keine Wahl, als ihren Gefährten zu töten, wodurch sie zur Vampirkönigin aufsteigt.
Unbeantwortet bleiben die Fragen, warum Lincoln Vampirblut in sich trug. Wer sein Vater war. Und wie Alyssa mit ihren Schuldgefühlen und der Verantwortung auf ihren Schultern weiterleben kann …
Denn selbst auf die dunkelste Nacht
Folgt unweigerlich die Dämmerung
Und mit ihr bricht eine neue Ära an.
– VD 2, Heilige Schrift des Propheten (Originalabschrift)
Die Nacht schmeckt schal und riecht nach Asche und Staub.
Staub, zu dem sowohl Mensch als auch Vampir zerfallen, denn im Tod sind wir alle gleich.
Asche, weil das alles ist, was von meinem Leben übrig ist, seit mein Gefährte vor fast einem Monat meinen Stiefvater getötet und mein Zuhause in Brand gesteckt hat. Seit mein Geliebter mich verraten hat. Seit der Mörder des Vampirkönigs in meinen Armen starb.
Es war notwendig. Es war unausweichlich.
Warum tut es dann so weh?
Mein Blick wandert durch die Eingangshalle unserer Villa, die einst ein majestätischer Leuchter beherrschte. Jetzt liegt das Kristall gesplittert am Boden, begraben von Resten des verkohlten Dachstuhls. Dahinter ragt der zerstörte Westflügel wie das Gerippe eines Schiffswracks aus der Dunkelheit. Eingestürzte Dachbalken versperren die verkohlten Gänge, in denen einst purpurrote Samtvorhänge und Ölgemälde von unschätzbarem Wert hingen.
Entschieden wende ich mich von der Ruine ab und verdränge den Gedanken, wie ich Lincoln beim letzten Mitternachtsball über diesen Teppich zu meinem Flügel gezerrt habe. Wie er mich wenige Meter von hier gegen die Wand gedrückt und geküsst hat, als wäre meine Berührung die Luft, die er zum Atmen braucht. Wie goldenes Licht und finstere Abgründe in seinem Blick tanzten, als er mir mit seinem letzten Atemzug seine Liebe versicherte.
Ich liebe dich … In diesem Leben und im –
Ich verschließe mein Herz vor Lincolns Schmerzensschrei. Doch ich kann mich nicht vor der Qual verschließen, die sein Tod in meine Seele gebrannt hat wie eine schwärende Wunde, die niemals verheilen wird. Tränen brennen in meinen Augenwinkeln, doch ich kämpfe sie zurück.
Lincoln war ein Vampirjäger. Er hat den Vampirkönig getötet.
Lincoln war ein Verräter. Er hat die Vampirjäger in unser Haus geführt.
Er musste sterben.
Doch vor allem … war er mein Gefährte.
Der sachte Nachtwind umschmeichelt mein Gesicht, ersetzt den Brandgeruch mit sanftem Jasminduft, als er tröstend über meine tränennassen Wangen streicht. Ich wische hastig darüber und drehe dann den Kopf zu meiner Mutter, die im Gang zum anderen Gebäudeteil unserer Villa steht. Wie aus Hohn ist der Flügel, in dem mein angeblicher Vater Salvatore seine Studiergemächer hatte, vom Feuer verschont geblieben.
Meine Mutter lächelt sanft, in ihrem Blick liegt eine liebevolle Wärme, die mir die einhundertacht Jahre meines Lebens nicht zuteilwurde. Weil sie ihre Liebe zu mir nie zeigen durfte, solange Salvatore noch lebte.
… Komm …, wispert der Wind. Die Königin der Nacht braucht keine Stimme, um zu kommunizieren. Dabei liebe ich den Klang ihrer Stimme so sehr.
»… Ich will dir etwas zeigen«, erfüllt sie mir flüsternd diesen Wunsch und streckt die Hand nach mir aus. Ihre Finger sind kühl, aber tröstlich, als ich sie ergreife.
»Was denn?«
»Wenn ich es dir sagen würde, bräuchte ich es dir nicht zu zeigen«, sagt sie schmunzelnd.
Ihr Lächeln streift meine Seele, während sie mich weiter in den Südflügel führt, vorbei an Ritterrüstungen und bedrohlichen Gemälden. Ich konzentriere mich auf den Duft von Jasmin und frischem Bergquell, den meine Mutter verströmt, und das Rascheln ihrer Kleidung. Sie bevorzugt weiterhin mitternachtsblaue und schwarze Stoffe, heute trägt sie ein eng anliegendes Maxikleid unter einem schwarzen Wollmantel. Ihre Stiefel hingegen verursachen keinen Laut auf dem von Asche und Staub bedeckten Teppich.
»Wird es jemals weniger wehtun, seinen Gefährten zu verlieren?«, frage ich – und bereue es im selben Moment, weil sich meine Mutter versteift. Die Nachtluft kühlt merklich ab.
Sie hat ihren Gefährten ebenfalls verloren: meinen Vater, Vlad Dracula, den ersten Gottkönig und Propheten der Vampire. Als er im Jahr 1897 im Kampf gegen den Vampirjäger Prof. Abraham Van Helsing fiel, schloss meine schwangere Mutter einen Pakt mit seinem damaligen General Salvatore Massimo di Ferrara, um mich, die »aus der Nacht geborene Erlösung der Vampire«, zu schützen und aus der gefallenen Vampirhochburg Prag nach Portland, Oregon, zu fliehen. Ihre Liebe ist in der Heiligen Schrift des Propheten verewigt.
Ich werde dich immer lieben/In diesem Leben/und im Nächsten.
Ich grabe die Fingernägel tief in meine Handflächen, damit der körperliche Schmerz den seelischen betäubt. Die halbmondförmigen Wunden schließen sich, bevor der metallische Blutgeruch durch den Jasminduft dringt.
»Nicht der Schmerz wird weniger«, sagt meine Mutter schließlich, »Du wirst stärker. Es fühlt sich immer noch an, als würde ich innerlich verbrennen und entzweigerissen werden. Aber man lernt, neben dem Schmerz zu existieren.«
Ein Schnauben bricht aus meiner Kehle, halb zynisch, halb gequält. Mit anderen Worten: Man wird eine gefühllose Hülle.
»Du weißt, wie man jemandem Hoffnung macht«, murmle ich. »Wie erträgst du es?«
Dieses Mal ist ihr Lächeln mehr Schmerz als Trost. »Auf die einzige Weise, wie eine Frau alles ertragen kann: mit erhobenem Haupt, verschlossenem Herzen und eisernem Willen.«
Diese Worte treffen mich unerwartet hart. Schwer schluckend bleibe ich vor der Flügeltür zu den Gemächern meiner Mutter stehen, während sie hineingeht. Ich war erst ein einziges Mal hier, vor knapp zwei Monaten, als sie mir eröffnete, wer mein wahrer Vater ist. Und was meine Bestimmung ist: die Vampire aus der Dunkelheit zu führen.
Nur, dass ich auch einen Monat später keine Ahnung habe, wie ich das anstellen soll.
»Das hier wird dir den Weg weisen.« Als meine Mutter zurück in den schummrigen Korridor tritt, hält sie etwas Rechteckiges in der Hand. Es hat die Größe einer Pralinenschachtel und ist mit einem hauchzarten Schal umwickelt, dessen nachtschwarzer Stoff mit Goldfäden durchwirkt ist. Gestickte Sonnen, Monde und Sterne schimmern im Licht des abnehmenden Halbmonds, der fahl durch die Fenster scheint.
»Was ist das?«, frage ich, während ich es vorsichtig entgegennehme. Sie behandelt es wie einen Schatz, also tue ich dasselbe, als ich behutsam die Stofflagen aufschlage. Ein Buch?
Staunend betrachte ich den gebundenen Einband. Das schwarze Leder trägt keinen Titel, lässt nicht erahnen, welche Geschichte sich dahinter verbirgt. Nur ein eingeprägtes Symbol ist darauf zu sehen: Ein diagonal geteilter Kreis, halb Sonne, halb Mond.
»Ist das …?« Ich wage nicht, es auszusprechen.
… die erste Abschrift unseres Evangeliums, beendet meine Mutter den Satz. Die Tatsache, dass sie es nur in meinem Kopf tut, sagt mir, dass niemand von diesem Buch erfahren soll. Immerhin warten Alecto und Kingston in der Auffahrt auf uns.
Das Original?, hauche ich ebenfalls in Gedanken.
Die Luft kühlt sich weiter ab, als sie an mir vorbei zurück nach draußen geht. Das Original ist verloren, weht ein Echo ihrer Gedanken zu mir heran, die Seiten sind verstreut in alle Winde unserer Heimat.
Unsere Heimat. Damit muss die Geburtsstätte der Vampire gemeint sein, im europäischen Böhmen. Ich war nie dort. Das schemenhafte Bild einer Burg taucht in meinen Gedanken auf, eine Ansammlung unterschiedlich hoher Bauten mit hell getünchten Mauern und dunklen Spitzdächern, zu allen Seiten umgeben von Wäldern. Der ehemalige Stammsitz meiner Mutter?
»Die Vampire hatten viele Stammsitze«, höre ich ihre sanfte Stimme, schwer vor Melancholie. »Die meisten mehrere Tagesreisen von Prag entfernt. Das heißt, für die Reisegeschwindigkeit damaliger Menschen. Mit heutigen Fahrzeugen sind es vermutlich nur ein paar Stunden.«
Bevor ich die Szenerie genauer betrachten kann, verblasst sie.
Komm. Meine Mutter spricht wieder in meinem Kopf. Verbirg das Buch.
Eine Sekunde später spüre ich einen anderen Vampir in der Eingangshalle. Kingston streckt den Kopf in den Korridor.
»Alyssa?«
Kristall knirscht unter seinen Stiefeln, als er zurückweicht, weil meine Mutter schneidend wie eine Windböe an ihm vorbeigeht.
Die Königin benötigt deinen Schutz nicht auf Schritt und Tritt, Kingston, tadelt sie ihn in Gedanken, aber deutlich für alle Umstehenden hörbar.
Ich verberge die Freude darüber, dass sie offen für mich Partei ergreift, genauso sorgfältig in meinen Gedanken wie das kostbare Buch unter meinem Mantel, bevor ich Kingston entgegentrete.
»Er macht nur seinen Job«, schlichte ich dann für alle Anwesenden und werfe Kingston einen versöhnlichen Blick zu. Ich habe ihn mitgebracht, also übernehme ich auch die Verantwortung. Ich mag ihn immer noch nicht, aber er hat Lucy, meine beste Freundin, beschützt, als mein Stiefvater sie für ein Verbrechen bestrafen wollte, das sie nicht begangen hat. Allein dafür schulde ich ihm einen Vertrauensvorschuss. Außerdem gehört er nicht zu Salvatores Generation von Konsuln, die sich durch vorsintflutliche Denkmuster auszeichnen, und das ist genau das, was ich brauche, um eine neue Vampirgesellschaft aufzubauen.
Ich respektiere deine Entscheidung und Beweggründe, umweht mich die Stimme meiner Mutter, während sie an Alecto vorbeigeht und in den wartenden Wagen steigt. Gib nur acht. Ein Wolf im Schafspelz ist immer noch ein Wolf.
»Hoheit.« Die Marschall-Konsulin, deren rabenschwarzes Haar zu einem strengen Zopf zurückgebunden und mit goldenen Flechtsträhnen durchzogen ist, verneigt sich vor meiner Mutter, bevor der Blick ihrer silbergrünen Augen auf mich fällt. »Hoheit«, wiederholt sie. Ich nicke gnädig. Sie gehört ebenfalls zu der alten Riege meines Stiefvaters und hat als Marschall seit Jahrzehnten die Ordnung und den Frieden in der Vampirgesellschaft gesichert – ebenso die Sicherheit meiner Mutter. »Wir sollten gehen. Es ist nicht sicher.« Ihre Stimme klingt wie ein Befehl, doch ihr Blick zu mir gleicht eher einem drängenden Flehen. Sie rechnet an jeder Ecke mit einer Verschwörung oder einem Attentäter.
»Selbstverständlich ist es sicher. Die Vampirjäger sind aus der Stadt verschwunden«, erklärt Kingston.
»Ihr wisst genau, dass die größte Gefahr für die Königin nicht von den Vampirjägern ausgeht«, hält Alecto dagegen. »Der König ist seit fast einem Monat tot und die Rebellen werden unruhig. Die Königin ist hier nicht sicher.«
Kingstons Augen zucken zu meiner Mutter, bevor er es schafft, seine Gesichtszüge zu kontrollieren. Seine Gedanken höre ich jedoch sehr wohl: Welche von beiden?
Er ist nicht der Einzige, dessen Loyalität zerrissen ist. Soll sie bei mir liegen, ihrer rechtmäßigen Königin, die den Mörder des vorherigen Königs tötete? Oder bei meiner Mutter, der Königin der Nacht? Sie wissen nicht, dass sie die Gefährtin ihres Gottkönigs und Propheten war. Dennoch verehren sie sie wie eine Göttin.
Als Kingston meinen Blick bemerkt, verschließt er seinen Geist und neigt unterwürfig den Kopf. »Haben du und deine Mutter gefunden, wofür ihr gekommen seid?«
Es klingt vertraut, beinahe zärtlich, was mich schnell auf Distanz gehen und die Arme vor der Brust – und dem unter dem Mantel verborgenen Buch – verschränken lässt.
Ja, antwortet die Stimme meiner Mutter an meiner Stelle, während sie zum Beweis eine Schmuckschatulle aus der Manteltasche zieht. Die Schatulle wirkt schwer und altertümlich, als hätte meine Mutter diese bereits aus Europa hergebracht. In diesem Haus ist nichts mehr von Wert. Sie sieht Alecto an, bevor sie in den Wagen steigt. Reißt es nieder. Lasst keinen Stein auf dem anderen.
Alecto nickt und gibt ein paar Befehle an die Handvoll Männer und Frauen, die in einem zweiten Wagen angekommen sind. Sie machen sich sofort ans Werk. Meine Mutter und ich steigen auf den Rücksitz des ersten Wagens, Kingston auf den Beifahrersitz. Er gibt dem Fahrer ein Zeichen.
Warum zerstörst du erneut dein Heim?, frage ich meine Mutter in Gedanken, während der Wagen zum letzten Mal das schmiedeeiserne Tor unseres Herrenhauses passiert und auf die lange gewundene Straße einbiegt, die sich am Oregon-Trail vorbei durch den dichten Wald bis hinab in die Stadt schlängelt. Dort wohnen wir in einem leer stehenden Vampir-Apartment, auch wenn Lucys Familie uns mit Freuden bei sich aufgenommen hätte.
Weil eine Königin Opfer bringen muss, um ein größeres Wohl zu erreichen, antwortet meine Mutter in meinem Kopf. Und, um diejenigen zu schützen, die sie liebt.
Ich sehe aus dem Wagenfenster, um ihrem Blick auszuweichen. Vorbeiziehende Bäume schälen sich aus der Nacht und verschwinden wie Holzpfähle, wie immer ist kein anderes Fahrzeug auf dieser Waldstraße zu sehen, mit Ausnahme von Alectos Motorrad hinter uns.
Die Person, die ich am meisten geliebt habe, habe ich verloren.
Ein eisiger Hauch erfasst das Wageninnere und ich erkenne meinen unsensiblen Egoismus. Immerhin teilt meine Mutter mein Schicksal.
Entschuldigung, denke ich sofort, Das war taktlos–
Nein!, unterbricht sie mich scharf. Entschuldige dich niemals, Alyssa! Entschuldigungen demonstrieren Schwäche. Du bist nicht schwach. Du darfst nicht schwach sein. Du bist die Vampirkönigin und die Tochter deines Vaters. Mach ihn stolz, erfülle seine Vision. Führe uns aus der Dunkelheit.
Aber wie?, denke ich verzweifelt.
Ihr Blick wandert zu meiner Mitte, wo das in Tuch eingeschlagene Evangelium unter meinem Mantel versteckt ist.
Alles, was du brauchst, besitzt du bereits.
Ich will etwas erwidern, als plötzlich –
KRACH.
Ein heftiger Ruck schleudert meinen Körper gegen die Seitentür, als etwas Großes das Wagendach eindellt, als wäre ein Kühlschrank darauf gekracht. Oder ein mordlustiger Vampir.
Der schlitternde Wagen driftet gen Fahrbahnrand, als sich eine Klinge durch das Wagendach bohrt. Säßen meine Mutter oder ich in der Mitte der Rückbank, wäre unser Schädel jetzt gespalten.
Mit pochendem Herzen starre ich auf die Silberklinge, während der Fahrer sein Bestes tut, den Bäumen am Straßenrand auszuweichen. Hinter der Klinge sehe ich das Gesicht meiner Mutter. Sie starrt vollkommen reglos auf die Mordwaffe. Paralysiert. Hypnotisiert.
Ruckartig wird die Klinge herausgezogen, ein schmaler Schlitz bleibt im Wagendach zurück. Der Wind zischt empfindlich in meinem feinen Gehör.
Fensterglas splittert. Eine Sekunde lang fürchte ich, jemand wird sie rückwärts in die Nacht hinaus reißen. Dann fällt mir auf, dass es nicht das Seitenfenster war, sondern die Windschutzscheibe. Der Geruch von Blut steigt mir in die Nase. Vampirblut. Der Wagen gerät ins Schlingern, weil der leblose Fahrer nicht mehr das Lenkrad festhält. Der Waldrand kommt näher.
Ich beschließe, nicht abzuwarten, bis sich der Wagen um einen Baum wickelt oder der Angreifer eindringt. Ich muss meine Mutter schützen, denn sie ist das, was ich in diesem Wagen – auf dieser Welt – am meisten liebe. Meine Hand geht zum Türgriff, in der Sekunde stemmt sich ein Vampir gegen die Motorhaube. Kingston ist mir zuvorgekommen und bremst den Wagen mit seinem Körper. Metall ächzt, als sich die Karosserie verbiegt, doch der Wagen bremst ab.
Unsere Blicke treffen sich und ich weiß, dass wir beide an jene Nacht auf nebliger Straße denken. Damals wollte er Lincoln umbringen, stattdessen hat Lincoln seinem Fährtensucher eine tiefe Verletzung beigebracht, die mein Interesse für diesen augenscheinlich einfachen Barkeeper mehr angefacht hat, als gut war – für sein Leben, meine Seele und die gesamte Vampirgesellschaft.
Aufgestaute Emotionen überrollen mich mit der Wucht einer Lawine. Schmerz, Trauer, Wut, Vergeltung. Noch bevor der Wagen zum Stehen gekommen ist, habe ich das Buch unter den Beifahrersitz geschoben und bin ausgestiegen.
Alyssa!, fegt der Zorn meiner Mutter so scharf über mich hinweg, dass ich mich instinktiv ducke.
Draußen tobt ein Kampf. Es ist nicht bloß ein Angreifer, es sind drei. Zwei davon liefern sich einen erbitterten Kampf mit Alecto, deren Motorradscheinwerfer die Szenerie in grelles Licht und scharfe Schatten teilt. Ein Angreifer stürzt sich auf Kingston, der immer noch zwischen der verbeulten Motorhaube und dem Waldrand steht und dessen grimmiger Blick fest auf die Insassen des Wagens gerichtet ist – den toten Fahrer und meine untote Mutter. Führen die beiden etwa ein stummes Streitgespräch? Jetzt?!
Nein, erkenne ich da, Kingston schaut nicht grimmig, sondern angestrengt! Als würde er sich bewegen wollen, es jedoch nicht schaffen. Was ist da los? Ich muss ihm helfen!
Bleib, wo du bist!, herrscht der Wille meiner Mutter.
»Kingston!«, rufe ich stattdessen, doch ich weiß im selben Moment, dass meine Warnung zu spät kommt. Der Angreifer hat ihn fast erreicht.
In dieser Sekunde schießt ein Schemen aus Rot und Schwarz aus der Dunkelheit und reißt den Angreifer zu Boden. Der Aufprall ist so hart, dass beide Körper ineinander verkeilt einige Meter über die Straße rollen. Rote Locken blitzen auf, grollendes Fauchen zerreißt die Nacht. Ich höre Haut aufplatzen, rieche blutige Schrammen. Aber vor allem sehe ich …
»Lucy?!« Mein Körper ruckt nach vorn, will meiner besten Freundin zur Hilfe eilen. Wie kommt sie denn hierher?
Kingston ist außer sich. »Was zur Hölle tust du hier?«
Meine beste Freundin erkämpft sich die Oberhand, nagelt den Angreifer mit ihrem Körpergewicht auf die nebelfeuchte Straße. »Was glaubst du denn?«, faucht sie über die Schulter zurück. Mordlust brennt in ihren Augen, während sie dem Angreifer die Kehle zudrückt. Speichel tropft von ihren vollständig ausgefahrenen Fangzähnen, ein deutliches Zeichen dafür, wie wütend sie ist.
»Du hast hier nichts zu suchen, Montgomery!«, brüllt Kingston, weitaus aufgebrachter, als ich es ihm zugetraut hätte.
»Weniger meckern, mehr helfen!«, schießt meine beste Freundin gewohnt schnell zurück, während ihr Angreifer nach Leibeskräften um sich schlägt und schnappt. »Alecto braucht Unterstützung.«
»Alecto kann auf sich selbst aufpassen, im Gegensatz zu –«
»JETZT, KINGSTON ECCLESTONE!«, schreit Lucy, und zu meiner Überraschung gehorcht Kingston. Keine Sekunde zu früh, denn gerade schlägt einer der Angreifer seine Fänge in Alectos Hals. Die Marschall-Konsulin brüllt auf, umfasst den Kopf des Angreifers mit beiden Händen – und bricht ihm mit einem Ruck das Genick.
Der Körper fällt zu Boden wie eine zerbrochene Puppe, doch kaum, dass sich Alecto dem zweiten Angreifer zugewandt hat, zuckt seine Hand bereits. Zwei Sekunden später ist der Exekutierte wieder auf den Beinen.
Vampire können nur auf zwei Arten getötet werden: indem man ihnen das Herz herausschneidet oder den Kopf abtrennt. Alle anderen Methoden sind Mythen: Weihwasser, Silber, Holzpflöcke. Unangenehm, zuweilen höllisch schmerzhaft und im Falle von Silber lähmend, aber nicht tödlich.
Bevor sich der Exekutierte wieder auf Alecto stürzen kann, ist Kingston bei ihm, rammt ihm seinen Schädel gegen die Schläfe. Ich stehe inmitten des Kampfes und fühle mich hilflos. Was kann ich tun? Mein erster Impuls ist, nach meiner Mutter zu sehen, doch im Wagen ist es aktuell wohl am sichersten.
Aus diesem Grund solltest du dich wieder zu mir setzen und die Angreifer denen überlassen, die etwas vom Kämpfen verstehen, umweht mich die sanfte Stimme meiner Mutter aus dem Wageninneren. Aber das kann ich nicht. Ich kann nicht tatenlos zusehen, während Vampire, die mir etwas bedeuten, kämpfen und Schmerzen erleiden. Ich kann nicht noch jemanden verlieren.
Du kannst nicht kämpfen, drängt meine Mutter. Und du wirst dich nicht in Gefahr bringen!
Mit anderen Worten: Sie hält mich für schwach. Genau wie Salvatore. Genau wie jeder andere. Ich spüre, wie mich ihr Wille auf den Wagen zuschieben will, doch ich stemme mich dagegen. Ich werde nicht den Kopf einziehen, während meine Freunde für mich kämpfen.
»Was wollt ihr?«, rufe ich über das Fauchen hinweg.
»Alyssa, diese Typen verhandeln nicht …«, knurrt Kingston. Der Vampir, dessen Kehle er umschlossen hat, bricht in Lachen aus, das zu einem Röcheln wird, als Kingston fester zudrückt.
In der Sekunde ertönt ein Schrei von rechts, der meinen Körper lähmt wie Lincolns Silberbolzen durch meine Schulter, kurz bevor er meinen Stiefvater getötet hat. Lucy!
Ohne nachzudenken, wirble ich herum und schlittere über das Wagendach, gerade, als der Angreifer Lucy herumwuchtet und eine klauenbewehrte Hand über ihr Gesicht zieht. Ich sehe rot. Rot wie Lucys Haare. Rot wie mein kochendes Blut. Zum Teufel damit, mich hinter anderen zu verstecken. Früher musste ich das vielleicht, aber mittlerweile hatte ich meinen Blutrausch. Meine Kräfte sind vollständig entwickelt. Zeit, sie auszuprobieren.
»Hey, Arschloch!«, rufe ich. Der Vampir hebt den Kopf und ich verpasse ihm einen Schlag mit der geballten Faust, der meine Fingerknochen und seinen Kiefer knacken lässt. Scheiße, tut das weh! Wie können sich Menschen zum Spaß prügeln, wenn ihr Schmerzempfinden so viel höher ist als unseres?
Ich verbeiße mir den Schmerz, während der Vampir ein paar Meter zur Seite fliegt. Okay, vielleicht verstehe ich es ein bisschen: Es ist verdammt befriedigend, zu sehen, wie stark ich bin. Wie viel Leid ich zufügen kann. Das Pulsieren in meinen Ohren wird zu einem drängenden Taktgeber.
Mehr Blut. Mehr Schmerz. Mehr Kraft.
Unendliche Kraft.
Lucy kommt neben mir auf die Beine. »Danke, Aly. Ich hab ihn unter Kontrolle.«
Ihre Stimme reißt mich aus dem Rausch wie eine helfende Hand aus tosenden Stromschnellen. Ich schnappe nach Luft, bin kurz orientierungslos. Um mich herum immer noch Kampfgeräusche. Dann fällt mein Blick auf Lucys blutige Wange und Zorn brodelt erneut in mir hoch. Diesmal gelingt es mir, ihn einzudämmen.
»Du bist meinetwegen hier, oder nicht?«, frage ich den Angreifer. »Dann leg dich gefälligst mit mir an, anstatt mit ihr.«
Der Angreifer rappelt sich auf und sieht wutentbrannt zu mir hoch. »Du kannst mir keine Befehle erteilen.«
»Und ob sie das kann«, zischt Lucy. »Sie ist deine Königin!«
Er spuckt aus. »Sie ist bloß die Prinzessin unseres Gottkönigs. Das macht sie nicht zu seiner Nachfolgerin. Sie ist zu schwach, zu tolerant. Sie ist nicht in der Lage, uns anzuführen.«
Die Aussage katapultiert mich zurück ins Arbeitszimmer meines Vaters, zu dem Moment, als ich dachte, ich könnte den König Schachmatt setzen. Der Moment, in dem er mir gezeigt hat, wie wenig Macht ich habe.
»Macht wird immer mit Opfern bezahlt. Je größer die Macht, desto schmerzhafter das Opfer. Also, was bist du bereit zu opfern, Tochter?«
Für einen Sekundenbruchteil ergreift die irrationale Angst von mir Besitz, dass Salvatore noch leben könnte und all das hier sein Werk ist. Damals wollte er, dass ich Lucy opfere.
Ich werfe einen kurzen Blick zu meiner besten Freundin, weil ich es nicht ertragen würde, sie zu verlieren. Nicht auch noch sie.
Ein Grollen lässt mein Herz erstarren. Zu spät fällt mir mein Fehler auf. Meine Unaufmerksamkeit ist alles, was er braucht, um vorzustürzen. Nicht auf mich, sondern auf Lucy.
Ich höre Lucys Schrei, rieche ihr Blut. Und im Bruchteil einer Sekunde schlägt der blutrote Strudel wieder über mir zusammen. In blinder Wut stürze ich mich auf den Angreifer, schleudere ihn zur Seite, schlage meine Fänge in seinen Hals und reiße ein Stück heraus. Nicht genug, um ihn zu töten. Ich muss dringend lernen, mein Gift zu kontrollieren, wie Salvatore es konnte. Die Schmerzen, die ich ihm zufügen könnte, wären …
»Alyssa! Runter!«, höre ich Kingstons Stimme hinter dem roten Rauschen aus Zorn und Blut. Gleich darauf werde ich zu Boden gerissen. Nicht von Kingstons großer Statur, sondern von Lucys weichem Körper. Lavendel und Aprikosenblüten besänftigen die Bestie in mir, die sich gegen den Griff meiner besten Freundin wehrt.
Über meinen Kopf saust ein greller Blitz hinweg, kurz darauf schreit der Angreifer und fällt um wie ein gepfählter Eber. Das Bild ist nicht ganz verkehrt, denn Kingston hat das Schwert nach ihm geworfen, das vor wenigen Minuten noch das Wagendach durchstoßen hat. Offenbar hat er es geschafft, den anderen Angreifer zu entwaffnen.
Silber, grollen die Gedanken meiner Mutter über uns hinweg. Diese Feiglinge benutzen die Waffen unserer Feinde.
»Bring ihn hierher«, ächzt Alecto, die die beiden anderen, seltsam lethargischen Vampire nebeneinander aufreiht und mit einem Tritt in die Kniekehlen zu Boden zwingt. Etwas Silbernes blitzt in ihren Oberkörpern auf, als sie zusammensacken – Dolche, die sie offenbar selbst mitgebracht haben. Alecto und Kingston konnten die Angreifer mit einem Stich ihrer eigenen Waffen ins Herz lähmen. Der Kampf ist vorbei.
Die Erleichterung darüber verpufft jäh, als ich das Blut in Lucys Gesicht und an ihrem Hals sehe. Der Vampir hat sie voll erwischt!
»Lucy …«, krächze ich und strecke die Hand nach ihr aus. Das ist alles meine Schuld. Hätte ich bereits offiziell den Thron bestiegen, wäre all das nicht passiert. Hätte ich sie zu unserer alten Villa mitgenommen, wäre sie mir nicht still und heimlich gefolgt. »Es tut mir so leid …«
»Mir gehts gut, ehrlich. Ich bin zäher, als du denkst. Außerdem habe ich dir doch gesagt, dass ich für dich sterben würde.« Ein Kichern entkommt ihrer Kehle, dass mir Tränen in die Augen treibt – gleichermaßen vor Angst und Dankbarkeit. Lucy drückt meinen Arm, als wir zu den anderen zurückgehen. Meine Mutter zieht es weiterhin vor, im Wagen zu bleiben.
»Wer schickt euch?«, fragt Alecto die drei gerade, ihrem gereizten Tonfall nach offenbar nicht zum ersten Mal. »Und woher habt ihr diese Waffen?«
Keine Antwort. Alectos Rückhand trifft den ersten Vampir im Gesicht, er brüllt vor Schmerz, als ihm der in den Handschuh eingefasste Obsidiankristall die Haut versengt. Noch etwas, das ich zum ersten Mal sehe. Das sind alles Waffen der Vampirjäger? Dann war die Zelle um Lincoln und seine Schwester, die in unser Haus eingedrungen ist, wirklich eine ungefährliche, schlecht ausgerüstete Splittergruppe. Erinnerungen an meinen toten Gefährten und seine Halskette aus Obsidian drängen sich mir auf. Hungrige Küsse und nackte Haut auf meiner. Wie er sich die Kette in meinem Bett über den Kopf zog. Sein schlagendes Herz auf meiner Haut, seine Nähe, …
Sein abgefeuerter Silberbolzen in meiner Schulter.
Augenblicklich schüttle ich die Bilder ab, sehe von der unerbittlichen Alecto, schön wie eine Kriegsgöttin, über meine mitgenommen wirkende beste Freundin Lucy, zu Kingston, der ungeduldig von einem Bein auf das andere tritt.
»Aus denen kriegen wir nichts raus. Lasst uns verschwinden, bevor noch mehr hier auftauchen«, drängt Kingston.
Alecto schüttelt den Kopf. »Entweder sie reden. Oder sie sterben. Zum letzten Mal, bevor ich eure Köpfe abreiße und eure Gefährten in ewige Qualen stürze: Wer. Schickt. Euch?«
Ein weiterer Schlag gegen den Silberdolch in der Brust des Ersten, ein weiteres Stöhnen. Endlich zwingt er die Kiefer auseinander, das Sprechen fällt ihm sichtlich schwer. Kein Wunder mit dem Silber im Körper, ich erinnere mich nur zu gut an meine eigene Lähmung von Lincolns Silberbolzen.
»Die … Dämmerung …«
Die Dämmerung? Unwillkürlich schießt mir eine Passage aus den unveröffentlichten Schriftsammlungen unseres Propheten durch den Kopf, eine Liebeserklärung an meine Mutter … und an mich: »Und erst, wenn die Nacht den Tag gebärt/und die Felder sich rot färben/bricht ein neuer Morgen an.«
Die Vampire glauben nach wie vor an die Prophezeiung und unseren Propheten. Aber sie glauben nicht an mich. Weil ich in ihren Augen nicht fähig bin, ihren unfehlbaren Gottkönig getötet zu haben.
Zorn will in mir aufsteigen, über den falschen Vater, der mich nur benutzt hat; und den echten Vater, den ich nie kennengelernt habe; über die Lüge, die mein Leben ist; über die Vampirgesetze, die den Stärksten zum König krönen; und über die drei Vampire vor mir, die so blind vor Hass sind, dass sie einen offenen Angriff riskieren.
Ich sehe meine beste Freundin an, deren vergiftete Bisswunde immer noch nicht geschlossen ist, sehe Kingston an, dessen Anzug aus Merinowolle von schwarzem Vampirblut getränkt ist, sehe Alecto an, die von unzähligen Kämpfen, Verrätern und Attentaten so gezeichnet ist, dass sie meiner Mutter nicht einmal bei einem kleinen Ausflug von der Seite weicht – zurecht, wie sich herausgestellt hat.
Habe ich wirklich geglaubt, ich könnte mit Verstand und Wohlwollen über ein Volk herrschen, das bloß Schmerz, Zorn und Diktatur kennt?
Ich hefte meinen Blick auf denjenigen, der Lucys Blut im Gesicht hat. »Wie heißt du?«
Er spuckt aus. »Fahr zur Hölle, Prinzessin.«
Ich unterdrücke den Impuls, wegen des verhassten Spitznamens aufzuschreien, ringe das tosende Rauschen in meinen Ohren nieder, das mich vorhin bereits fast über die Klippe gestoßen hat, und setze stattdessen meine Mentalkräfte ein.
»Jesper Warwicz«, wiederhole ich die Antwort, die meine Frage in seinen Gedanken entstehen lassen hat. Ich will meine Fähigkeiten nicht auf diese Weise nutzen, aber ich kann nicht zulassen, dass sie ungestraft davonkommen, und ich werde nicht riskieren, dass Lucy oder meiner Mutter etwas passiert, weil ich meinen Königinnenposten nicht verteidige.
Ich bin die Nacht, der Tod, die ewige Verdammnis/Wer mich infrage stellt, muss mir den Tod bringen/Wer es versucht, wird selbst den Tod finden, rufe ich mir die Stelle aus dem Evangelium unseres Propheten – meines Vaters! – ins Gedächtnis, das den Machtanspruch des Königs demonstriert. Meinen Machtanspruch.
Der Vampir erbleicht und überzieht seinen Geist mit einem Schleier, von dem er wohl glaubt, es sei ein Schutzwall.
»Gib dir keine Mühe«, sage ich für alle hörbar. »Selbst Nebel ist dichter als dein Schutzwall.«
Bleib … aus meinem Kopf, Schlampe!, zischt er lautlos.
Ich lächle bloß, als mich das berauschende Gefühl von vorhin umspült wie ein kühler, wilder Gebirgsstrom.
»Ihr haltet mich für schwach«, sage ich. Meine Stimme klingt leise wie die Nacht. Fest. Tödlich. »Was, wenn ich euch sage, dass ich nicht nur Salvatore Ferrara, meinen Vater, euren Gottkönig getötet habe?«
Ich spüre Alectos fassungslosen, Kingstons entsetzten und Lucys verstörten Blick auf mir – und die bestärkende Zuversicht meiner Mutter. Die drei fragen sich, ob ich den Verstand verloren habe. Meine Mutter hingegen spendet mir Kraft.
Allumfassende Stille. Es scheint, als würde selbst die Nacht den Atem anhalten, um meinen nächsten Worten zu lauschen. Ich weiß, dass ich sie mit Bedacht wählen muss.
»Ich habe noch etwas weitaus Schlimmeres getan«, fahre ich fort, leise, geradezu weich, um die gefangenen Vampire vollständig einzulullen, bevor ich den Giftstachel in ihr Fleisch stoße. »Ich habe meinen Gefährten getötet. Sein Blut hat meine Hände getränkt. Sein schlagendes Herz ist vor meinen Augen verstummt.« Jesper Warwiczs Augen weiten sich und ich genieße die Genugtuung, die mir dies verschafft. Es ist nicht annähernd genug für die Wunde, die er Lucy beigebracht hat. »Und ihr glaubt, ich würde davor zurückschrecken, euer Blut zu vergießen?«
Stille. Ich rieche ihre Angst, höre ihre inneren Debatten, spüre ihre Zweifel. Dann schnaubt der Erste von ihnen. »Du … bluffst.«
Alecto sieht mich abwartend an. Kingston verlagert abermals sein Gewicht. Lucys Gedanken sind ein einziges Knäuel aus Fragezeichen, Angst und Sorge. Sorge um mich, Sorge um meinen Ruf, Sorge um die Zukunft der Vampirgesellschaft.
Und da wird mir bewusst, warum Salvatore so lange unser König war. Von seinem Volk geliebt zu werden, ist nett. Von seinem Volk gefürchtet zu werden, ist weitaus effektiver.
In einer blitzschnellen Bewegung reiße ich Lucys Peiniger das von Kingston geworfene Schwert aus dem Rumpf und ramme es ihm mitten ins Herz. Ich spüre Knochen brechen, als er augenblicklich erstarrt. Silber ins Herz lähmt uns vollständig. Doch es tötet uns nicht.
Ich lasse zu, dass der Rausch erneut durch meine Adern strömt, gebe mich der Gier hin und verschließe meine Seele. Dunkles Blut benetzt meine helle Haut, als ich das Schwert herausziehe und stattdessen die Hand in die Wunde stoße. Jesper Warwiczs Schrei hallt durch die nebelige Nacht, während sich meine Finger vorbei an Knochen, Muskeln und Gewebe graben, sich um sein träge pumpendes Herz schließen. Ich stemme mich gegen das letzte Aufbäumen meines Mitleids und sehe den anderen beiden fest in die Augen.
»Ihr wollt wissen, wozu ich fähig bin?«, wiederhole ich, meine Stimme zittert vor unterdrücktem Schmerz und Groll. Und dann reiße ich das Herz ihres Kumpanen mit einem Ruck heraus. Blut spritzt auf meinen Mantel, verschmilzt mit dem dunkelroten Stoff. Es ist weitaus weniger, als ich erwartet habe. Vampire bluten nicht wie Menschen. Unser Blut ist dicker, träger.
»Ich habe mein Herz, meine Seele und meine Liebe geopfert. Ich habe meinen eigenen Gefährten getötet und lebe seitdem mit einem zerrissenen Seelenband.« Meine Stimme klingt wie die einer anderen. Teilnahmslos. Gefühllos. Gnadenlos. Genau, wie meine Mutter es beschrieben hat. »Die Antwort ist: Ich bin zu allem fähig.«
Der mitleidsvolle Teil meiner Seele verachtet meine Tat. Verachtet, dass ich nicht besser bin als Salvatore. Doch die zwei Vampire sind bis ins Mark erschüttert, ihre Augen in Terror so sehr geweitet, dass das Weiß darin dominiert. Ich rieche ihre Angst, schmecke ihre Ehrfurcht, spüre ihren Widerstand bröckeln.
Und in der Sekunde, in der Jesper Warwiczs untotes Herz in meiner Hand verstummt, weiß ich, dass ich nicht gewinnen kann, indem ich Mitleid und Milde walten lasse. Dass man Vampire mit eiserner Hand regieren muss.
»Wer mich infrage stellt, muss mir den Tod bringen«, zitiere ich das Evangelium unseres Propheten, meines Vaters, »Wer es versucht, wird selbst den Tod finden.«
Ich halte den Blick der beiden noch lebenden Vampire eisern fest, bis sie die Lider senken. Die Nachtluft umschmeichelt mich, kühlt mein brodelndes Fleisch.
Gut gemacht, Tochter, flüstert der Wind. Dein Vater wäre stolz auf dich.
»Sollen wir sie töten, Hoheit?«, fragt Alecto, die als Erste ihre Stimme wiederfindet.
»Nein«, beschließe ich, bestärkt von der Anerkennung meiner Mutter. »Sie sollen allen erzählen, was sie heute Nacht erlebt haben. Ihr sagt, euch schickt die Dämmerung? Ich bin die Dämmerung. Geboren aus der Nacht und geschrieben in Blut. Ich bin eure Königin. Wenn ihr mich nicht die Königin der Nacht nennen könnt, dann werdet ihr mich die Königin des Blutes nennen.« Ich lasse Jesper Warwiczs kaltes Herz fallen und wende mich ab. »Und sagt eurem Auftraggeber, dass er das nächste Mal selbst herkommen soll. Lasst sie frei.«
Gleichzeitig ziehen Kingston und Alecto die Silberdolche aus ihren Körpern. Die gelähmten Vampire klappen zusammen wie Strohpuppen.
Während wir auf die Ankunft von Alectos Trupp warten, ist das Einzige, woran sich der zerbrochene Teil meiner Seele festklammert, die Erleichterung darüber, dass Lincoln all das hier erspart blieb. Würde er noch leben, würde die Vampirwelt Jagd auf ihn machen. Und als Mensch hätte er nicht die körperliche und mentale Stärke, um zu tun, was getan werden muss.
Sterben ist gnädiger als Leben.
Der Tod ist eisig und schmeckt nach Asche und Staub.
Letzteres könnte daran liegen, dass sich dieses pelzige Ungetüm in meinem Mund mehr nach einer verendeten Maus anfühlt als nach meiner Zunge. Ich schlucke trocken und meine Kehle rebelliert mit brennendem Feuer. Alles ist Schmerz. Leere. Von innen und von außen. In allen Fasern meines Seins. In jedem Splitter meiner Seele.
Vorbei die Schwerelosigkeit, zurück ist die endlose Qual.
Sterben ist leicht. Leben ist unerträglich.
»Er wacht auf.« Eine Stimme, die ich nicht zuordnen kann. Eine Sprache, die sich fremd anhört. Wieso verstehe ich sie?
»Wurde auch Zeit«, knurrt eine zweite Stimme in derselben fremdartigen Melodie. Sie ist tief, bassig, eindeutig männlich. »Macht euch bereit.«
Sengender Schmerz schießt mir in alle Glieder, so heiß, als stünde mein Körper in Flammen. So allumfassend, dass sich die Schwärze, die mich umgibt, rot färbt. Ich will schreien, aber kein Laut entkommt meiner Kehle. Ich will mich aufbäumen, doch erbarmungslose Hände drücken mich nieder. Ungehaltene Stimmen, die einander überschreien. Es riecht nach Desinfektionsmittel, menschlichen Ausdünstungen und … Blut.
»Scheiße, spinnst du?« Wieder die erste Stimme. Eine junge Frau? »Wir sind hier, um ihn im Auge zu behalten, nicht, um ihn umzubringen!«
»Diese ganze Aktion war Schwachsinn! Er bindet bloß dringend benötigte Kapazitäten und verschwendet unsere Medikamente«, knurrt der andere.
»Wir haben mehr als genug!«, fegt eine herrische Frauenstimme über die anderen hinweg. Sie klingt älter, reifer. »Macht Platz.« Rutschende Schritte, das leise Klirren von Glasflaschen und Metall. Etwas Kühles berührt meine Wange. »Lincoln …« Die Stimme der älteren Frau. Sanft, leise, ein wenig kratzig. Verräterisches Licht am Ende des schwarzen Tunnels. Trügerische Geborgenheit in der Finsternis, als die Dunkelheit endlich zähem Grau weicht. Meine Lider flattern im Versuch, sie aufzustemmen. »Trink.«
Feuchtigkeit benetzt meine Lippen, mein Kopf wird angehoben.
»Warte, Schwester Melania!«, geht die erste Stimme dazwischen, plötzlich zögernd. Das Gefäß vor meinen Lippen hält inne. »Was, wenn er recht hat? Ich meine, wie können wir sicher sein, dass Lincoln nicht … ihr wisst schon.«
Nicht was?, fragt der verdurstende Teil meines Reptilienhirns, aber weder Zunge noch Lippen gehorchen mir.
»Oh, das lässt sich leicht feststellen«, antwortet die Bassstimme.
Keine Sekunde später explodiert sengender Schmerz in meinem linken Oberarm. Keramik geht zu Bruch. Die ältere Frau zetert, doch ein gellender Schrei klingelt zu laut in meinen Ohren. Mein Schrei.
Alles ist Schmerz. Die Welt ist zu hell, zu laut und mein Schädel explodiert gleich. Hände packen mich von allen Seiten, Gurte schneiden mir in die Haut.
»Was … zur H…lle …« Scheiße, meine Stimme klingt, als hätte ich meine Stimmbänder über ein Reibeisen gezogen. Ungefähr so, wie sich das Fleisch an meinem Oberarm anfühlt. Mein Magen rebelliert. Durst. Ich brauche etwas zu trinken!
»Macht ihn los!«, herrscht die ältere Frau namens Melania. »Er braucht Platz.«
»Auf keinen Fall«, beharrt der Kerl mit der Bassstimme, von dem ich mir ziemlich sicher bin, dass er mich gerade pfählen wollte. »Er ist einer von ihnen!«
Von wem?
Stöhnend will ich eine Hand an die Schläfe heben, doch ich bin festgebunden.
»Ich sage, wir töten ihn sofort«, bestimmt Mister Bassstimme.
»Wenn du das tust, wird Gabriel dich töten«, hält die erste Stimme dagegen.
»Und wenn ich es nicht tue, wird Lincoln uns alle töten.«
»Mäßigt euch! Das hier ist eine Krankenstation. Krieg deine Wut unter Kontrolle, Lance«, murmelt Schwester Melania und gibt damit zumindest Bassstimme einen Namen. Lance, der mich pfählen wollte. Leicht zu merken. »Lincoln ist kein Vampir!«
Oh.
Fuck.
Kälte benetzt die schmerzende Stelle an meinem Oberarm, dann lässt ein penetrantes Prickeln den Schmerz verschwinden – inklusive meines halben Arms. Kräuterpaste?
»Seid ihr alle blind?«, faucht Lance. »Das Silber hat ihn verletzt!«
»Der Bolzen hat ihn verletzt!«, hält die erste Stimme dagegen. »Möchte mal deine Reaktion sehen, wenn ich dir einen spitzen Pfahl durch die Schulter stoße!«
Ich mag die erste Stimme.
Offenbar ist mir ein Glucksen entkommen – oder ein Ächzen. Denn augenblicklich spüre ich wieder ein halbes Dutzend Hände auf dem Körper. Und dann spüre ich etwas anderes. Wasser an meinen Lippen.
»Trink.«
Ich trinke – und muss mich fast übergeben. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber diese ekelhafte Brühe schmeckt nach Asche, Knoblauch und Feuer. Prustend kippe ich zur Seite. Und endlich, endlich schaffe ich es, die Augen zu öffnen.