Our Beautiful Flaws - Yvonne Westphal - E-Book
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Our Beautiful Flaws E-Book

Yvonne Westphal

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Beschreibung

Wenn dich die Vergangenheit einholt, kannst du dennoch in die Zukunft blicken?
Ein gefühlvoller Liebesroman voller Geheimnisse und Herzklopfen

Vanessas Leben scheint perfekt – sie ist hübsch, intelligent und steht mit beiden Beinen fest im Leben. Doch niemand weiß, dass es hinter der Fassade bröckelt. Deswegen ist sie auch fest entschlossen, sich von dem attraktiven Sandro fernzuhalten. Er schreit nicht nur nach Ärger, sondern ist auch noch mit ihrer Mitbewohnerin Isabella zusammen. Doch dann beginnt es in der Beziehung zwischen Sandro und Isabella zu kriseln und Vanessa fällt es immer schwerer, die Anziehungskraft zwischen ihr und Sandro zu leugnen. Bis sie merkt, dass er etwas verbirgt und schmerzlich an ihre eigenen Fehler in der Vergangenheit erinnert wird. Schafft sie es, den Schmerz von damals abzulegen und in die Zukunft zu schauen oder verschließt sie ihr Herz für immer?

Weitere Titel dieser Reihe
Our Beautiful Mistakes (ISBN: 9783987786426)

Erste Leser:innenstimmen
„Eine Liebesgeschichte zum Mitfühlen und Träumen mit fesselndem Schreibstil.“
„Ich hab den Liebesroman nur so verschlungen, weil mir Vanessa und der vermeintliche Bad Boy Sandro sofort ans Herz gewachsen sind.“
„Emotionaler Liebesroman mit Tiefgang, bei dem man sich trotzdem wohlfühlt!“
„Sympathische Charaktere und berührend-romantische Lovestory, große Empfehlung!“

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 536

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Über dieses E-Book

Vanessas Leben scheint perfekt – sie ist hübsch, intelligent und steht mit beiden Beinen fest im Leben. Doch niemand weiß, dass es hinter der Fassade bröckelt. Deswegen ist sie auch fest entschlossen, sich von dem attraktiven Sandro fernzuhalten. Er schreit nicht nur nach Ärger, sondern ist auch noch mit ihrer Mitbewohnerin Isabella zusammen. Doch dann beginnt es in der Beziehung zwischen Sandro und Isabella zu kriseln und Vanessa fällt es immer schwerer, die Anziehungskraft zwischen ihr und Sandro zu leugnen. Bis sie merkt, dass er etwas verbirgt und schmerzlich an ihre eigenen Fehler in der Vergangenheit erinnert wird. Schafft sie es, den Schmerz von damals abzulegen und in die Zukunft zu schauen oder verschließt sie ihr Herz für immer?

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe März 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-645-7 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-234-3

Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Evgeny Karandaev, © Pung, © Standret, © Look Studio Lektorat: Katrin Ulbrich

E-Book-Version 28.03.2024, 10:08:30.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Our Beautiful Flaws

Für alle, die immer wieder Fehler machen.

Ihr seid perfekt so, wie ihr seid.

Playlist

Homecoming queen? – Kelsea Ballerini

Rescue Me – OneRepublic

Rooftop – Nico Santos & Samantha Harvey

Hold It Together – Nico & Vinz feat. Willy Beaman

Satellite – Rise Against

With Me – Sum 41

Bring Me Back to Life – Ht Bristol, Charlie Bannister, Vincent Steele & Nine One One

New Day – Nico Santos

Your Song – Rita Ora

1 Brave Mädchen kommen in den Himmel

Vanessa

Ich hatte nie vor, meiner großen Liebe das Herz zu brechen.

Ich wollte auch nie die Träume meiner Mutter zerstören oder meine beste Freundin hintergehen. Genauso wenig, wie ich die elfte Klasse wiederholen, zwei Studiengänge abbrechen und meinen Vater an dreihundert Tagen im Jahr vermissen wollte.

Den Großteil meiner Jugend hatte ich auf Bühnen und im echten Leben die erste Geige gespielt – im übertragenen Sinne, denn meine Leidenschaft war das Tanzen, nicht die Musik –, aber spätestens an meinem siebzehnten Geburtstag hatte auch ich festgestellt: Das Leben war kein Wunschkonzert. Man bekam nicht, was man sich wünschte, sondern was man verdiente.

Und so sehr diese Wahrheit schmerzte: Ich verdiente es wohl, seit Jahren Single zu sein, während manche Freunde aus meiner Schulzeit mit dreiundzwanzig schon heirateten oder Kinder hatten. Und ich verdiente es wohl auch, auf Hochzeiten eingeladen zu sein, die mir das Herz brechen würden.

»Oh mein Gott, wie wunderschön ist bitte diese Karte?«, rief in dem Augenblick Isabella aus der Küche, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ich hörte ihre beschwingten barfüßigen Schritte auf den Dielen und tat eilig so, als wäre ich völlig in meinen Laptop vertieft, um der Inquisition auszuweichen. Es gelang mir ganze zehn Sekunden, in denen ich deutlich spürte, wie sie mich von der Küchentür aus ansah. »Hast du die gesehen?!«

Jetzt musste ich doch schmunzeln. Meine Mitbewohnerin war unverbesserlich. »Nein, Isa, ich hab die Karte blind aus dem Umschlag gezogen und auf den Küchentisch gelegt«, zog ich sie auf, woraufhin sie eine Grimasse schnitt, die ihr ovales Gesicht wie das eines niedlichen Meerschweinchens aussehen ließ. Das Sofa sank neben mir ein, als sie sich mit der Selbstverständlichkeit einer Hauptmieterin darauf fallen ließ und die mit getrockneten Blumen beklebte Karte mehrfach wendete.

»Gehst du hin?«

Plötzlich war mir heiß. Ich klappte den Laptop zu und befreite meine nackten Beine von der Kunstfelldecke, zupfte an dem weiten Ausschnitt meines Oversize-Pullis.

»Ich denke schon.« Was blieb mir anderes übrig?

Isabella warf mir einen liebreizenden Wimpernschlag zu. »Also, falls du eine Begleitung brauchst, sag Bescheid! Ich wollte schon immer mal eine Hochzeit auf Mallorca erleben. Und was ist mit der hier?«

Während ich noch mit mir haderte, ob ich es wirklich ertragen konnte, dabei zuzusehen, wie mein Dad eine andere Frau heiratete und neben mir zwei weitere erwachsene Kinder bekommen würde, hatte Isabella die zweite Einladungskarte hervorgezogen. Sie inspizierte das roségolden geprägte Kraftpapier, befühlte die aufgeklebte Spitze und betrachtete das perfekte Paar auf dem Foto mit geradezu aufdringlicher Neugier.

»Krass, dass dein Ex dich einlädt.«

Mein Kopf ruckte herum, obwohl ich wusste, dass sie es nicht so herablassend meinte, wie es geklungen hatte. Ich hatte ihr nicht erzählt, was damals geschehen war, sondern nur, dass dieser Ex den wohlklingenden Namen Milias hatte, meine erste große Liebe und wir unsere jeweils erste Beziehung gewesen waren. Gott, das war so lange her, und trotzdem erinnerte ich mich noch genau an den Tag, an dem wir uns endlich getraut und unsere Verliebtheit gestanden hatten – mit sechzehn auf der Skifreizeit unserer Klasse! Wie wir auf der Rückbank im Bus knutschend Schulgeschichte geschrieben hatten und fast zwei Jahre lang das Traumpaar der gesamten Schule gewesen waren.

Tja. Dann hatte ich alles kaputtgemacht und jetzt heiratete meine erste und einzige große Liebe eine andere.

Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich darüber hinweg sei. Aber die Tatsache, dass mich eine bloße Einladungskarte zurück in den alten Strudel aus Minderwertigkeitsgefühlen, Selbsthass und Herzschmerz geworfen hatte, bewies: Fehlanzeige. Trauma blieb Trauma und Fehler blieb Fehler. Da brauchte ich auch keine Therapiestunden und kein Psychologiestudium, um das zu erkennen.

»Ich meine, wenn ich mich von Sandro trenne, würde ich ihn bestimmt nicht zu meiner Hochzeit einladen«, nahm Isabella den Gesprächsfaden wieder auf, in dem sich meine Gedanken verstrickt hatten.

Ich hing noch einen winzigen Moment der Erkenntnis nach, dass Milias eben ein Traummann war, den man nur einmal im Leben fand. Dann wurde sein geistiges Abbild von einem anderen Mann abgelöst, dessen bronzefarbene Haut im Sommer nur geringfügig heller war als Milias’ italienische Bräune. Sandros Statur war drahtiger und sein Gesicht schärfer geschnitten, aber sein Grinsen war genauso gewinnend, sein charmantes Selbstbewusstsein genauso anziehend. Wenn er denn grinste, was leider nicht allzu oft vorkam.

Doch ich schob das Bild und alle Vergleiche mit Milias weit von mir. Denn Sandro war Isabellas Freund, und zwar seit fast einem Jahr. Und Isabella war nicht nur meine Mitbewohnerin, die mich großzügig in ihrer Wohnung aufgenommen hatte, sondern mittlerweile fast so etwas wie meine beste Freundin, auch wenn es ihre Launen einem nicht immer leicht machten, sie zu mögen. Entschieden schüttelte ich den Kopf und konzentrierte mich auf Isabellas letzte Aussage, um endlich auch etwas zu diesem einseitigen Dialog beizutragen: »Wenn du dich von Sandro trennen würdest, würde zuallererst deine Mutter ausrasten.«

Isabella lachte lahm. Unsere von Perfektion besessenen Mütter waren eine der Gemeinsamkeiten gewesen, die wir im ersten Psychologie-Semester entdeckt hatten, als wir den Einfluss der Eltern auf die Psyche und Entwicklung ihrer Kinder untersucht hatten. Seitdem wunderte mich auch nicht mehr, was bei mir so schiefgelaufen war: Bei einer nahezu geisteskrank fanatischen Mutter, die heimlich die Pille abgesetzt hatte, um ihren Traummann festzuhalten, und einem nie erwachsen gewordenen Peter Pan, der sich seit zehn Jahren verzweifelt aus ihren Fängen zu lösen versuchte, hatte aus mir ja gar kein normaler Mensch werden können. Nicht, dass ich meinen Eltern die Schuld für irgendetwas gab. Manchmal wünschte ich mir bloß, wir wären … nun ja, glücklicher gewesen. In dem Haus, in dem ich aufgewachsen war, hatte nie ein Familienporträt über dem Kamin gehangen und waren nie Weihnachtspostkarten in ulkigen Pullis verschickt worden. Dort hatte es bloß kalten Marmor, kältere Botox-Grimassen und gähnende Leere im Kühlschrank gegeben – abgesehen von Detox-Smoothies und Sellerie.

»Oh Mann, darüber hab ich noch gar nicht nachge– Scheiße!« Plötzlich saß Isabella aufrecht neben mir auf dem Sofa, sah hektisch auf ihre elegante Armbanduhr und strich sich mit beiden Händen die dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht. »Sie wollte ja gleich vorbeikommen! Oh Gott, und ich hab total vergessen, ihre Bluse aus der Waschmaschine zu holen. Die ist jetzt bestimmt total …«

»Keine Sorge«, unterbrach ich ihre Panikattacke, indem ich beruhigend eine Hand auf ihren Oberschenkel legte. »Ich hab die Wäsche heute Morgen rausgeholt und aufgehängt. Die Bluse ist bestimmt sogar schon trocken.«

Isabella blinzelte mich kurz an, strich sich dann erneut das Haar aus dem Gesicht, diesmal erleichtert. »Du bist echt die Beste, Vanessa.« Ich zwang mich, die Mundwinkel zu heben, sagte jedoch nichts. »Moment, wie lange bist du denn schon wach?« Wieder sah sie auf ihre Uhr und diesmal tat ich es ihr aus Reflex gleich. Es war halb elf an einem grauen Samstag im Januar. Aber als ich gegen acht Uhr aufgestanden war, hatte noch die Morgensonne gegen die Winterwolken angekämpft.

»Egal, ich muss mich anziehen«, entschied Isabella und erhob sich, ohne meine Antwort abzuwarten. »Und ich muss frühstücken. Wann hast du zuletzt gegessen?«

»Vorhin«, log ich vage und stand ebenfalls auf, um die Kunstfelldecke wieder zwischen die champagnerfarbenen Kissen zu drapieren und meinen Laptop in mein Zimmer zu bringen. »Ich brauch nix.«

Ich hörte, dass Isabella hinter mir stehen blieb und sich auf den nackten Fußballen umdrehte. Als ich den Kopf hob, hatte sie das missbilligende Gesicht aufgesetzt, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. »Ist es wieder so weit, ja?«

Ich schüttelte den Kopf, um keinen Streit vom Zaun zu brechen. Sie sorgte sich um mich, deswegen reagierte sie so. Aber zu erklären, dass ich wegen zwei simplen Einladungskarten derartige Minderwertigkeitskomplexe entwickelte, dass sich mein Magen allein beim Gedanken an Nahrung verknotete, brachte ich nicht fertig. Das wäre ein Eingeständnis, dass ich trotz aller Bemühungen nicht so weit war wie ich gerne wäre.

»Nein, ich hatte einfach keinen Hunger. Ehrlich! Aber ich hatte zwei Kaffee mit Hafermilch«, führte ich Beispiele an, die eindeutig nicht auf jemanden mit Essstörung hinwiesen. Zweihundert Milliliter Hafermilch hatten immerhin achtzig Kalorien. Letzteres behielt ich für mich, weil es doch ziemlich nach Essstörung klang.

Isabella schien nicht überzeugt und ließ noch einen kritischen Blick über meinen Körper wandern, wie um Bestätigung für meine Worte zu suchen. Dann zuckte sie mit den Schultern und ging in die Küche, um sich einen Kaffee und eine Schüssel Cornflakes zu machen, womit sie im Bad verschwand. Wo sie so lange brauchte, dass ich keine Chance mehr hatte, wenigstens meine Haare zu kämmen, bis es an der Tür klingelte.

»Vanessa, was für eine Überraschung, dich zu sehen!«, rief Constanze mit maskenhaft versteinerter Miene, als ich die Tür öffnete.

Wer sonst? Ich wohne schließlich hier.

Ich versteckte diese Gedanken hinter einem Lächeln, während Isabellas Mutter meine Schultern festhielt, um mich mit zwei Wangenküssen in Chanel No. 5 zu ersticken. Ich hasste Chanel No. 5 ebenso sehr, wie ich dessen Schöpferin bewunderte.

»Mmmh, du hast ein tolles Parfüm an dir, Vanessa«, sagte sie mit Gönnermiene, während sie in unsere Wohnung stolzierte wie ein Pfau. »Aber du zeigst immer noch zu viel Haut.« Jetzt ließ sie fast denselben missbilligenden Blick über mich gleiten wie ihre Tochter vor einer halben Stunde, und ohne dass ich es wollte, fühlte ich mich plötzlich unwohl mit meiner entblößten Schulter in dem Oversize-Pulli und den nackten Beinen in Kuschelsocken. »Du wohnst hier schließlich nicht alleine, und andere junge Frauen haben Beziehungen. Und damit meine ich echte, tief verbundene Beziehungen.«

Ich ließ ihre unterschwellige Beleidigung auf die Weise an mir abprallen, die mir meine eigene Mutter beigebracht hatte: indem ich den Stich mit einem Lächeln überspachtelte wie andere Narben mit Make-up. »Und ist jetzt mein Beziehungsstatus das Problem oder glaubst du ernsthaft, dass ein unförmiger XXL-Strickpullover eine echte, tief verbundene Beziehung gefährden könnte?«

Constanze blinzelte, schloss den Mund, ließ dezent den Blick schweifen und sagte dann versöhnlich: »Nein, natürlich nicht. Das war nur ein gut gemeinter Rat.«

Ich tat mein Bestes, versöhnlich zurückzulächeln. »Willst du einen Kaffee?«

Constanze nahm mein Friedensangebot an, und während ich unsere Maschine bediente, kam endlich Isabella aus dem Bad, woraufhin ich mich wieder ins Wohnzimmer zurückziehen und in das Konzept für den Onlineshop vertiefen konnte, den ich im Moment betreute.

Als ich nach einer Stunde wieder in der Küche auftauchte, um mir etwas zu essen zu holen, rief Isabellas Mutter gerade in voller Lautstärke: »Papperlapapp!« Ich blieb irritiert neben dem Kühlschrank stehen, eine Hand untätig am Griff, und wechselte einen Blick mit meiner Mitbewohnerin, die höchst unglücklich aussah. »Nichts für ungut, mein Kind, aber Sandro ist mit Abstand der beste Fang, den du jemals gemacht hast! Er muss bloß aus dieser asozialen Schlägerszene raus, das ist alles. Glaub mir, Bella …«

Mir entfuhr ein Schnauben, während ich jetzt doch die Kühlschranktür öffnete und den spärlichen Inhalt betrachtete, mir einen Sojajoghurt nahm und einen Löffel aus der Schublade zog. Als ich mich umdrehte, sah Constanze mir direkt in die Augen.

»Ist was, Vanessa?«

Ich erwog, die Küche einfach wieder zu verlassen, aber alles an dieser Frau erinnerte mich so sehr an meine eigene Mutter, dass ich geradezu instinktiv zum Widerspruch anhob, um Isabella und ihrem Freund beizustehen: »Kickboxen ist ein ganz normaler Sport.«

»So wie Poledance?«, fragte sie spitz zurück und warf einen sehr eindeutigen Blick auf mein nacktes Bein, das ich aus Gewohnheit gegen den linken Oberschenkel gestemmt hatte wie in der Yoga-Baumposition. Ich verdrehte die Augen und stellte den Fuß wieder auf den Boden.

»Vanessa ist Ballerina, Mama, keine Stripperin«, ergriff nun Isabella ihrerseits Partei für mich, auch wenn ich seit meiner Kindheit kein Ballett mehr getanzt hatte. Aber ich korrigierte Isabella nicht, um sie nicht vor ihrer Mutter bloßzustellen. Und, weil es Constanzes Meinung ohnehin nicht ändern würde.

Isabella warf mir einen mitleidigen Blick zu, aber ich versicherte ihr stumm, dass ich mich nicht beleidigt fühlte. Schließlich lenkte sie das Gespräch wieder auf sich selbst: »Außerdem geht es darum gar nicht! Ich weiß einfach nicht, ob wir noch lange zusammen sein werden.«

Moment mal, sprach sie etwa gerade davon, ihre Beziehung hinzuschmeißen?

Ich sah sie verstört an, fing dabei aber erneut den finsteren Blick ihrer Mutter auf, die mich mit vielsagend erhobener Braue ansah. »Wieso, ist er fremdgegangen?«

Fuck it, das musste ich mir nicht geben!

Und während Isabella noch empört »Nein, natürlich nicht!« rief, ließ ich die beiden einfach sitzen und verschanzte mich mit voll aufgedrehten Kopfhörern in meinem Zimmer.

2 Kein Sex ist auch keine Lösung

Vanessa

Ich kehrte erst wieder aus dem Musiktunnel zurück, als Isabella den Kopf durch die Tür steckte.

»Wenn du mich nicht klopfen hörst, ist deine Musik vielleicht ein bisschen zu laut, meinst du nicht?«

»Ich spüre Mom-Vibes«, teilte ich ihr mit, schob aber bereits den Kissenberg von meinem Bett, um ihr Platz zu machen. Sie verzog das Gesicht – sie hasste es, wenn sie sich wie eine unserer Mütter anhörte – und setzte sich schuldbewusst auf die Bettkante. »Sorry. Und sorry wegen dem, was sie vorhin gesagt hat.«

Ich zuckte mit den Schultern und zog ein Bein in einen halben Schneidersitz, während ich nach den richtigen Worten suchte. Gerade hatte ich sie gefunden, da redete Isabella schon weiter.

»Kannst du mir einen Gefallen tun und Sandro nicht sagen, dass wir über ihn geredet haben?«

»Klar.« War ja nicht so, als würden wir viel miteinander reden. Sandro fiel in die Kategorie verschlossener Typ, der meistens eher stumm observierte als viel redete. Aber seine Augen bekamen immer einen warmen Glanz, wenn er Isabella ansah … die daran dachte, ihn zu verlassen. »Alles okay bei euch?«, fragte ich vorsichtig.

Jetzt zog sie auch ein Bein aufs Bett und legte das Kinn aufs Knie. »Keine Ahnung. Ich hab einfach …« Sie unterbrach sich, schnaubte, setzte noch mal an. »Das klingt total bescheuert. Ich hab irgendwie das Gefühl …« Wieder eine Pause, in der ich deutlich sah, dass sie nicht auszusprechen wagte, was sie eigentlich sagen wollte. Angst flackerte in ihrem Blick.

»… dass er fremdgeht?«, stellte ich behutsam dieselbe Frage wie ihre Mutter.

»Nein, natürlich nicht! Wir reden hier immer noch über Sandro Stavaros, okay? Würde mich wundern, wenn er überhaupt irgendeine weibliche Handynummer in seinen Kontakten hat.«

Da hatte sie recht, musste ich einräumen. Ich hatte in den zehn Monaten, die er jetzt mit meiner Mitbewohnerin zusammen war, nicht ein einziges Mal erlebt, dass er eine andere Frau auch nur angesehen hätte. Und das machte die Beziehung der beiden in meinen Augen nur noch bewundernswerter … und Isabellas Zweifel umso tragischer.

»Dass du Abwechslung brauchst?«, tippte ich also auf die nächstwahrscheinlichste Option. Ich sagte es vorsichtig, doch sie fuhr herum wie von der Tarantel gestochen, sodass ich sofort abwehrend die Hände hob und mich entschuldigen wollte.

»Merkt man das?« Ich wollte verneinen, aber da ließ sie schon die Schultern hängen und den Fuß von meinem Bett baumeln. »Wir hatten seit über einem Monat keinen Sex mehr.«

»Autsch!«, kommentierte ich. »Das ist ja fast länger als ich, und ich bin Single.«

»Danke, Arschkuh!«, schnaubte sie. »Und das ist länger als du, weil ich mich nämlich ziemlich gut daran erinnere, dass Nico vor drei Wochen abends um zehn vor der Tür stand.«

Ich verzog ertappt das Gesicht. Nico war vor ein paar Jahren mein erster Freund nach Milias gewesen. Unsere Beziehung hatte ganze drei Monate gehalten, weil ich meinen ersten Freund einfach noch nicht überwunden hatte, aber na ja … hin und wieder verabredeten Nico und ich uns trotzdem noch. Wir redeten uns beide ein, dass wir nur nett plaudern wollten, aber eigentlich wussten wir jedes Mal ziemlich genau, wie der Abend enden würde. Immerhin musste ich mich so nicht durch Clubs knutschen, um ein passables Date zu finden.

»Okay«, nahm ich die Schuld auf mich und den Faden wieder auf. »Und geht das von deiner oder Sandros Seite aus?«

Sie warf mir einen sehr eindeutigen Blick zu, bei dem ich mit aller Kraft gegen die Hitze auf meinem Gesicht ankämpfen musste. Natürlich nicht von seiner Seite, denn dieser Typ verbrachte den Großteil seines Tages in testosterongeladenen Faustkämpfen.

»Bist du schwanger?«

»Vanessa!« Ihr Gesicht glich mittlerweile mehr einem runzligen Maulwurf, so sehr hatte sie die Augen zusammengekniffen und die spitze Nase gekräuselt. »Nein, ich hab … einfach keine Lust!«

Ich war froh, dass sie in diesem Moment Löcher in meinen flauschigen Hochflorteppich starrte, denn ich konnte nicht verhindern, dass mir die Gesichtszüge entgleisten. Sandro war so ziemlich der heißeste Typ, den ich kannte, dessen Körper wie aus Bronze gemeißelt war und dessen scharf geschnittenes Gesicht eine olympische Medaille zieren könnte – und sie hatte keine Lust?

»Vielleicht solltest du die Pille wechseln?«, schlug ich vor, um meine Gedanken abzulenken. Ich hatte schon vor Jahren aufgehört, diese künstliche Hormonschleuder zu nehmen, aus genau dem Grund, dass sie schleichend die Kontrolle über unseren Körper und unsere Gefühle übernahm – ganz zu schweigen von der Belastung für unser Abwassersystem.

Isabella warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, seufzte dann aber. »Ich weiß nicht. Vielleicht hab ich im Moment einfach nur zu viel Stress mit der Bachelorarbeit und der Entscheidung für einen Master-Studiengang und meiner Mom und dem Nebenjob …«

Ich hatte vergessen, dass sie schon den Bachelor machte – weil sie im Gegensatz zu mir Dinge durchzog und das Psychologiestudium nicht nach zwei Semestern abgebrochen hatte. Aber ich hatte nicht vergessen, dass ihr Studium und Nebenjob als Nachhilfelehrerin alles andere als anstrengend waren. Zumindest nicht, wenn man wie ich seit dem Abi gewohnt war, Nebenjob und ein eigenes Gewerbe neben dem Studium zu jonglieren. Doch ich verkniff mir jeden Kommentar darüber, zumal sie ohnehin schon weitersprach.

»Vielleicht muss ich einfach mal wieder so richtig einen draufmachen. Die Jungs gehen heute Abend ins Ace, hast du Lust, mal wieder mitzukommen? Vielleicht lernst du ja einen süßen Typen kennen.«

Ich schnaubte. In meiner Jugend war ich fast jedes Wochenende in Clubs unterwegs gewesen, hatte unzählige Kerle abgeschleppt und noch mehr Alkohol getrunken. Heute blieb ich lieber zu Hause, arbeitete an Blogartikeln und Konzepten und rief vielleicht Nico an, wenn ich mich einsam fühlte.

»Bitte, bitte, bitte!« Isabella fiel gegen meine Schulter, zog einen Schmollmund und setzte einen Hundeblick auf. »Lena und Marc kommen auch.«

»Wow, Pärchenabend«, kommentierte ich wenig begeistert, woraufhin sie sich wieder aufrichtete und einen Finger hob.

»Nein, Tiago kommt auch! Und der scheint ja ziemlich scharf auf dich zu sein. Hattet ihr mal was miteinander?«

»Nein. Santiago hat eine Freundin!«

So wie verdammt noch mal jeder in unserem Alter in der Lage war, eine funktionierende Beziehung zu führen. Isabella zuckte bloß mit den Schultern, als wäre das kein Hindernis. Oder, als würde sie mir genau wie ihre Mutter zutrauen, ihn trotzdem abzuschleppen.

Während ich noch in Selbstpsychoanalyse versunken war, vibrierte Isabellas Handy. »Oh, das ist Sandro. Noch mal, das bleibt unter uns, ja?«

Ich nickte. Natürlich blieb das unter uns, warum sollte ich denn ihrem Freund erzählen, dass sie keine Lust mehr auf ihn hatte? Das musste sie ihm schon selbst sagen.

Strahlend nahm sie das Telefonat entgegen. »Hey Schatz!«

Da gestikulierte ich zur Tür. »Könnt ihr das wenigstens draußen machen?«

Sie streckte mir die Zunge raus. »Nee, das ist Vanessa. Ich bin grad in ihrem Zimmer. – Grüße«, richtete sie mir aus.

Kopfschüttelnd ließ ich zurückgrüßen, aber das hörte Isabella wie immer nicht mehr, während sie in meinem Zimmer herumtigerte und unzusammenhängende Worte sprach:

»Nö … Ja … Na klar … Doch … Hm.«

Was für ein tiefsinniges Gespräch. Ich schwang gerade das Bein vom Bett, um sie aus meinem Zimmer zu schieben, als Isabella flötete: »Klar kommt sie mit!«

»Nein, tut sie nicht!«, widersprach ich so laut, dass er es am anderen Ende hören musste.

»Hör nicht auf sie, sie kommt mit. Grüß Tiago von mir … Klingt super … Was, zwei Stunden?! Sagen wir drei? … Ich mich auch, ciao!«

»Santiago kann mich mal am Arsch lecken«, projizierte ich meinen Frust unfairerweise auf Sandros südamerikanischen Machokumpel und sah auf die Uhr. »Und in drei Stunden bin ich definitiv nicht fertig, weil ich um vier Kurs habe.«

»Oh ja, richtig. Yoga«, spottete sie.

»Pilates«, korrigierte ich. Ein Teil von mir wollte wieder Ballett tanzen, aber der größere Teil hatte immer noch zu große innere Blockaden bei der Erinnerung daran, meiner Mutter gefallen zu müssen.

Isabella gab mir einen vergnügten, wenn auch etwas zu harten Klaps auf den Po. »Dann hopphopp! Heute Abend wird Party gemacht.«

Ich war mir immer noch nicht sicher, ob ich es allein zwischen all den Pärchen aushalten würde.

»Kann ich wen mitbringen?«, fragte ich aus einem spontanen Impuls heraus und zog bereits mein Handy hervor, um der einzigen Frau zu schreiben, mit der ich das durchstehen konnte: Valeria Schwarzer, der kleinen Schwester meines Ex-Freunds.

***

Sandro

»Und?«, fragte Santiago, immer noch voller Adrenalin davon, dass er im Übungskampf gegen Marc gleich viele Punkte geholt hatte. »Was hat sie gesagt?«

Ich zog den Reißverschluss meiner Sporttasche zu. »Hat sich angehört, als würde sie mitkommen.«

»Geil«, kommentierte er, aber ich war mir da nicht so sicher. In zehn Monaten hatte ich Vanessa noch nicht ein einziges Mal auf einer Party gesehen. Santiago zog sich seinen Sweater über. »Die hat grad keinen Freund, oder?«

Ich fuhr mir beherrscht über das Gesicht. Ich liebte Tiago, aber heute machte er mich fertig. Andererseits konnte ich es ihm kaum verdenken: Seine Freundin Eva hatte vorgestern fast ein Jahr Beziehung hingeschmissen.

»Ich glaube nicht. Frag sie doch einfach selber. Wir treffen uns in drei Stunden bei Ella. Ich fahre.«

Damit schulterte ich die Tasche und verließ die Umkleide, um draußen zu Marc aufzuschließen. Tiago holte uns schneller ein, als mir lieb war, drängte sich zwischen uns und hängte die Arme über unsere Schultern.

»Hey, Marc, mal ganz objektiv: Wie stehen meine Chancen bei Vanessa?«, fragte Tiago.

Mein engster Freund gluckste. »Vanessa, die Freundin von Bella? Ich schätze mal, so bei minus zehn?«

»Quécabrón, so schlecht bin ich auch nicht!«

Das stimmte, Santiago war eigentlich ganz cool, wenn er nicht gerade Trennungsschmerz mit Machomanier zu kompensieren versuchte, und sein südamerikanischer Latino-Charme ließ ihm die Herzen geradezu zufliegen. Aber Vanessa war nun mal …

Ich hielt meine Gedanken auf, bevor sie weiter wandern konnten – bloß, um sie eine Sekunde später aus Marcs Mund zu hören.

»Das sagt ja auch keiner! Aber sie ist einfach weit über deiner Liga. Zehn von zehn, Mann. Frauen wie sie können sich jeden aussuchen, und ganz ehrlich: Wäre ich sie, würde ich dich nicht nehmen.«

Ich schüttelte belustigt den Kopf, mischte mich aber nicht ein. Gedanken über Vanessa Kaiser erlaubte ich mir nicht, aus genau diesem Grund. Sie war verdammt heiß, und sie war intelligent genug, um zu wissen, wie sie auf Männer wirkte. Dennoch ging sie kaum aus, trug keine sexy Kleidung und nicht halb so viel Make-up wie andere Frauen – und das machte sie noch attraktiver. Himmel, sie war vermutlich die einzige Frau in meinem Umkreis, die mich noch nicht ein einziges Mal angeflirtet hatte – und ich sie auch nicht, worauf ich ziemlich stolz war. Das hätte der Sandro von letztem Jahr mal sehen sollen! Und das, obwohl es zwischen uns definitiv diese Momente der Anziehung gab, die ich manchmal geradezu mit Händen greifen konnte, mit Fingern erkunden und Lippen kosten wollt–

Stopp! Ich hatte definitiv zu lange keinen Sex mehr gehabt. Entschlossen schob ich jeden Gedanken weit von mir und widmete meine Aufmerksamkeit meinen beiden Sportpartnern, die sich immer noch lachend Beleidigungen zuriefen.

Mochte sein, dass Vanessa mich beeindruckte, seit ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. Fakt blieb, dass das drei Tage gewesen war, nachdem ich eine Beziehung mit Isabella begonnen hatte. Und ich war nicht mehr der Typ von damals. Ich würde keinen Rückzieher machen, nie mehr. Wenn ich etwas anfing, dann zog ich es durch.

Das war ich mir schuldig.

Das war ich Jamie schuldig.

»Tiago«, warnte ich, als der gerade immer noch lachend die Linke vorschnellen ließ. Aber Marc war schneller, duckte sich und machte Santiago grinsend im Schwitzkasten kampfunfähig, bevor ich dazwischengehen musste.

»Sieh’s ein, Tiago«, lachte Marc. »Das sind wir halt: Straßenjungs. Wir haben uns alle hochgearbeitet, aber wir werden trotzdem nie eine wie Vanessa kriegen. Die ist drei Ligen über uns.«

Und jemand wie Vanessa würde nie einen Typen wie uns nehmen, fügte ich in Gedanken hinzu und hakte das Thema ab.

Tiago war anderer Ansicht: »Hast du nie Aladdin geguckt, Mann? Der kommt auch von der Straße und kriegt die Prinzessin.«

Marc konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Der hat auch ’nen Geist in der Flasche und ist keine Flasche ohne Geist.«

»Ihr guckt beide zu viele Disneyfilme«, beendete ich das Thema und verdrängte dabei jeden Gedanken an kleine Geschwister.

Tiago murrte eine spanische Beleidigung. »Dann halt nicht Vanessa. Aber irgendwen muss ich heute Abend abschleppen, sonst sterbe ich. Ich hatte über eine Woche keinen Sex mehr!«

Ich schnaubte, sagte aber nichts dazu und ersparte es mir, nachzurechnen, wie viele Monate es bei mir her war.

»Also um halb zehn im Ace?«, vergewisserte ich mich in Marcs Richtung, um mich endlich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Er streckte den Daumen nach oben, dann stieg er in seinen neuen BMW und ich in meinen verbeulten Volvo. Der alte Kombi war keine Augenweide, weil sein Vorbesitzer ein kurzsichtiger Rentner gewesen war, aber er hatte einen großen Kofferraum, überall Airbags – und vor allem war er günstig gewesen.

Ich startete den Motor, nachdem Santiago endlich eingestiegen war.

»Wusstest du, dass sie mit achtzehn eine Misswahl gewonnen hat?«

Ich blinzelte, weil es einen Moment dauerte, bis ich begriff, dass er immer noch von Vanessa sprach. Mein Blick streifte die aufblinkende Warnleuchte. »Nein, wusste ich nicht. Schnall dich an.«

»Total krass«, laberte Tiago weiter, tat aber wie geheißen, und die Warnleuchte samt Ton erlosch. »Sie hat elftausend Fans auf Instagram, aber vor zwei Jahren plötzlich aufgehört Modelbilder zu posten und ’nen Blog über gesunden Lifestyle gestartet. Dann hat sie bei irgend’ner Modemarke eine Kollektion rausgebracht und jetzt schreibt sie Konzepte für andere Blogs und Onlineshops. Alles neben dem Studium! Ganz schön viele Talente, oder?«

»Oder ganz schön inkonsequent«, kommentierte ich, bevor ich mich daran erinnerte, dass ich eigentlich nicht über Vanessa sprechen oder nachdenken wollte. Trotzdem musste ich mir die nächsten zehn Minuten lang anhören, wie perfekt sie in Santiagos Augen war – und was sie alles so in den letzten Jahren gemacht hatte.

»Alter«, realisierte ich plötzlich, als wir vor dem Wohnblock seines Vaters anhielten, spürte ein vertrautes Lodern im Bauch und spannte unwillkürlich die Muskeln. »Stalkst du sie etwa?«

»Wenn alles im Internet steht, ist es kein Stalken«, antwortete er mit seinem sonnigen Grinsen, schnallte sich ab und machte Anstalten, seine Tasche aus dem Kofferraum zu holen.

Ich war schneller aus dem Wagen als er, hielt die Kofferraumklappe fest und schob mich dicht vor ihn. Er war vielleicht schwerer als ich, aber ich war einen Kopf größer.

»Halt dich von ihr fern, Tiago.«

Eine Sekunde lang blitzte Kampfgeist in seinen dunklen Augen, dann grinste er unverfänglich, ging rückwärts auf das schmucklose Mehrfamilienhaus zu und streckte dabei die Arme aus.

»Klar, aber ich kann nicht versprechen, dass sie sich von mir fernhält. Was soll ich machen, ich bin halt heiß.« Das entlockte mir ein unwillkürliches Glucksen. Er war einfach unverbesserlich. »Ich komme übrigens selbst zum Club, du kannst also den Nachmittag mit deiner Süßen verbringen. Vielleicht hast du ja Glück und Vanessa ist nicht da, dann habt ihr ein paar Stunden für euch. Für Sex, zum Beispiel.«

Ich schüttelte belustigt den Kopf. Sex wäre in der Tat grandios, aber mit Glück hatte das nichts zu tun, höchstens mit Glücklichsein.

Und dieses Recht hatte ich schon vor langer Zeit verspielt.

3 Neue Blickwinkel

Sandro

Vanessa war tatsächlich nicht da, aber Sex hatten wir trotzdem nicht. Stattdessen half ich Ella beim Abwasch, sah ihr dabei zu, wie sie sich die Fingernägel lackierte, und schaute eine ganze Folge irgendeiner Serie auf Netflix mit ihr, bis sie entschied, dass der Lack nun trocken genug war.

»Perfekt. Jetzt brauche ich nur noch ein Outfit. Ich bin gleich wieder da, ja?« Damit gab sie mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund und verschwand in ihrem Zimmer.

Ich blieb irritiert auf der Couch sitzen, starrte auf den Fernseher und überlegte, ob das eine Art versteckter Code für eine Einladung gewesen war. Zog sie gerade Reizwäsche an? Wie lange hatte ich Isabella nicht mehr in sexy Spitzenwäsche gesehen?

Ich blieb volle drei Minuten auf der Couch sitzen, bis ich den automatisch durchlaufenden Trailer nicht mehr sehen und meine Gedanken nicht mehr zügeln konnte. Dann stand ich auf, ging zu ihrer Zimmertür, die nur angelehnt war – ein gutes Zeichen! –, und hielt einen winzigen Moment inne, bevor ich sie aufschob.

Ella trug keine Spitze, aber der schwarz-lila Push-up-BH war trotzdem sexy. Allerdings war das hier scheinbar keine spontane Überraschung, denn auf dem Bett neben ihr stapelte sich ein kleiner Berg weggeworfener Kleidungsstücke in allen Farben und Formen. Neugierig lehnte ich mich in den Türrahmen und sah ihr dabei zu, wie sie ein ziemlich enges türkisblaues Top über den knappen Minirock zog. Es stand ihr gut, betonte ihr volles Dekolleté und schmiegte sich wie eine zweite Haut um ihre Taille.

Isabella sah das offenbar anders. Sie kniff die Augen zusammen und zog ihrem Spiegelbild eine Schnute, bevor sie sich wieder herausschälte, dabei aber halb stecken blieb und ein niedliches Bild der Verzweiflung abgab, das mich leise lachen ließ.

»Kann man dir helfen?«, fragte ich und löste die Arme von der Brust, um auf sie zuzugehen. Ella erschrak und wich zurück, wollte das Top ausziehen, kam aber nicht weiter und zog es wieder halb herunter, um mich anzusehen.

»Was machst du hier?«

Ich grinste. »Dir dabei zusehen, wie du dich ausziehst?«

Sie wollte protestieren, aber ich sah an ihren Mundwinkeln, wie ihr Tadel schmolz. Ihre Augen verrieten, wie sie auf meine Nähe reagierte. Viele Frauen reagierten so, aber ich hielt seit dreihundertfünfzehn Tagen jede auf Distanz. Jede außer Isabella – die seit ein paar Wochen mich auf Distanz hielt. Ich nahm es sportlich, trat ganz an sie heran und legte die Hände auf ihre Taille.

Fast automatisch stellte sie sich auf die Zehenspitzen. Isabella war fast zwei Köpfe kleiner als ich, aber das machte mir nichts aus. Und als ich sie küsste, ließ sie es zu. Erleichtert zog ich sie enger an mich, da schob sie mich weg.

»Warte! Vanessa ist gleich vom Sport wieder da und ich hab immer noch kein Outfit! Und ich muss noch duschen und –«

»Ella«, unterbrach ich sie leise, sah ihr in die Augen. »Das Outfit ist toll.«

»Nein!« Jetzt klang ihre Stimme fast verzweifelt. »Also, ja, aber nicht toll genug! Die anderen sollen nicht … Ich meine, Vanessa …«

»Hey«, sagte ich immer noch ruhig und völlig ernst, strich ihr die Haare aus dem Gesicht. »Vergiss Vanessa und vergiss die anderen. Es geht nicht darum, was andere von dir denken, sondern, was du wirklich willst, okay?«

Isabella blinzelte, als hätten meine Worte eine Tür in ihrem Innersten aufgeschlossen, und sah mich geradezu erleuchtet an. Ich verlagerte meinen Blick von ihren Augen auf ihre Lippen und verstärkte meinen Griff leicht, um ihr zu zeigen, was ich wirklich wollte. Sie musterte mein Gesicht einen schier endlosen Moment lang, schluckte schwer. Öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn wieder. Und entzog sich meinen Händen.

»Ich muss mich jetzt umziehen …«

Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht, hob die Hände zum Zeichen meiner Kapitulation und trat einen Schritt zurück. Wahrscheinlich war das einfach ein Teil meiner göttlichen Strafe, vielleicht sogar eine Prüfung. Ich war fest entschlossen, sie zu bestehen. Ich würde nicht wieder kneifen.

Eine Minute später verschwand Ella mit einem Haufen Klamotten unter dem Arm im Bad. Ich öffnete den Kühlschrank, fand nichts Proteinreiches außer einem veganen Quark, der garantiert Vanessa gehörte, und füllte mir stattdessen ein Glas am Wasserhahn. Setzte mich zurück auf die Couch und startete irgendeine Folge irgendeiner Serie. Hielt es ganze zwei Minuten untätig auf der Couch aus, stand wieder auf und ließ die Schultern kreisen. Als die Rastlosigkeit nicht aus meinen Gliedern weichen wollte, ließ ich mich auf den Teppich fallen und wollte gerade Liegestütze machen, als mir zum ersten Mal die abstrakt geometrisch zulaufenden Beine des Beistelltischs auffielen. Ich blinzelte kurz, konnte mich aber nicht von dem eleganten Stangengewirr lösen. Setzte mich wieder auf und musterte den Raum mit neuem Interesse. Wie sehr die beigen Kissen auf der Couch zusammenpassten, obwohl sie alle unterschiedliche Formen und Bezüge hatten. Wie perfekt die Kunstfelldecke dazu drapiert war. Wie harmonisch die scheinbar gewürfelte Glasdeko auf dem Fensterbrett aussah. War das Ellas oder Vanessas Stil? Hatte Ellas Zimmer überhaupt einen bestimmten Stil? Mir fiel auf, dass ich noch nie in Vanessas Zimmer gewesen war. Dann fiel mir auf, was mir da auffiel, und ich zwang meine Aufmerksamkeit wieder von der Tür mit dem aufgeklebten Ornamentrahmen weg.

Stattdessen betrachtete ich zwei Klappkarten auf dem Wohnzimmertisch und griff danach. Eine mit getrockneten Blumen und in geschlungener Handschrift verfasst, die ich gerade zu anstrengend zum Entziffern fand. Die andere mit Goldprägung, aufgeklebter Spitze und dem Foto eines so glücklich strahlenden jungen Pärchens, dass ich kurz überlegen musste, ob das als Platzhalterbild bei der Karte dabei gewesen war. Dann realisierte ich, dass niemand ein fremdes Foto auf seine Hochzeitseinladung drucken würde, und ich musterte die zwei erneut. Sie war ein süßer blonder Engel, wie eine niedliche Miniaturausgabe von Vanessa, er ein braun gebrannter Sonnyboy mit Casanova-Lächeln. Ich drehte die Karte um, gerade als sich der Haustürschlüssel im Schloss drehte.

Immer noch auf dem Boden sitzend, sah ich nichts als endlose Beine in hautengen Leggins.

»Hör zu, ich sag dir Bescheid, sobald ich mich entschieden habe, okay? Ich wi–« Vanessa brach mitten im Satz ab und hörte frustriert zu, während sie die Tür leise hinter sich schloss und die Stirn dagegen drückte. Ich nahm den Blick von ihrem wohlgeformten Hintern und stand lautlos vom Boden auf. »Keine Ahnung, ich weiß auch ni–« Wieder wurde sie unterbrochen, atmete die hilflose Wut jedoch genauso weg, wie ich es immer tat. Als sie wieder sprach, war ihre Stimme ganz ruhig: »Ich sage dir Bescheid, Mama.« Sie drehte sich um und unsere Blicke schienen sich für einen Sekundenbruchteil ineinander zu verhaken. Ihre rehbraunen Augen blinzelten kurz, dann sah sie weg. »Ich muss jetzt auflegen. Ich ruf dich morgen an.«

Sie beendete das Telefonat, ohne eine Antwort abzuwarten, blieb stehen, ohne sich zu rühren, und sah für einen Moment so verloren aus, dass ich den Impuls verspürte, sie zu trösten.

Dann setzten sich ihre schlanken Glieder in Bewegung, ließen die Sporttasche zu Boden gleiten und schälten sich aus der Daunenjacke. Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte.

»Hi.«

»Hi«, antwortete ich und sah ihr dabei zu, wie sie die Winterboots gegen Plüschsocken tauschte und einen Kleiderbügel von der Garderobe angelte. Alles an ihr war so … biegsam. Jede ihrer Bewegungen war geschmeidig wie die einer Katze, selbst als sie sich einen halben Meter neben mir auf die Couch plumpsen ließ und ein Bein anzog. »Stress mit deiner Mom?«, fragte ich unverfänglich, um ihr anzubieten, darüber zu reden – wenn sie wollte.

Sie verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf, legte ihn dann schräg auf die Lehne und sah zum Fernseher. »Nicht so wichtig. Was guckst du?«

Ich blinzelte, löste meinen Blick von ihrem fast symmetrischen Gesicht und sah ebenfalls auf den Bildschirm, zuckte ertappt mit den Schultern. »Keine Ahnung, um ehrlich zu sein.«

Ihre hellbraunen Augen wanderten zurück zu mir. Es sah nicht aus, als wäre sie geschminkt, aber ihre Wimpern waren so dicht, dass ich unwillkürlich daran denken musste, wie besessen Ella von Mascara war.

»Wo ist Isabella?«, fragte Vanessa in dem Augenblick, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Ich nickte verschwörerisch in Richtung Badezimmertür und sie lachte leise. »Ah. Wie lange schon?«

Jetzt musste ich lachen. Sie wusste vermutlich besser als ich, dass meine Freundin immer übertrieben lange im Bad brauchte.

»Und, wie geht’s dir?«, fragte Vanessa jetzt, wie nur sie es konnte, und sah mich dabei aufrichtig an. Die meisten Leute nutzten diese Frage als Gesprächseinstieg, wollten aber eigentlich nur »Gut« hören und weitermachen. Aber wenn Vanessa diese Frage stellte, dann war sie wirklich interessiert, und zwar an der echten Antwort.

Ich hob die Mundwinkel. »Ganz gut«, wiegelte ich trotzdem ab, denn ich wollte im Augenblick nicht über den ganzen Müll sprechen, der mich beschäftigte. »Und dir?«

Ihr Blick huschte zu meinem, überprüfte kurz, wie ernst ich die Frage gemeint hatte, bevor auch sie sich für die gesellschaftlich taugliche Antwort entschied: »Auch ganz gut. Mein Dad heiratet, yay.« Sie schwenkte das Handgelenk in einer erfolglosen Jubelbewegung, aber das Lächeln erreichte ihre Augen immer noch nicht.

»Shit«, seufzte ich, denn die künftige Braut war sicherlich nicht ihre Mutter. »Das tut mir leid.«

»Ach Quatsch, ist doch nicht deine Schuld.« Vanessa kräuselte die Stirn, woraufhin sich ihre Nasenflügel auf eine Weise verengten, die ich irgendwie sexy fand. »Ich weiß noch nicht, ob ich hingehe.«

Darum war es also im Telefonat gegangen. Ich fragte mich kurz, ob sich ihr Vater getrennt hatte oder ihre Mutter, dann entschied ich, dass mich das nichts anging – und dass ich Vanessa aufheitern wollte.

»Und was ist mit der Hochzeit deiner Schwester?«

Ihr Blick kehrte aus einer anderen Welt zurück zu mir, ihre schmalen Augenbrauen hoben sich fragend. Ich drehte bedeutend die Fotokarte in der Hand, hielt aber augenblicklich inne, als sich ein Schatten über ihr Gesicht legte, der weit mehr zu verdunkeln schien als nur ihre hellbraunen Augen.

»Sie … ist nicht meine –«, setzte sie gerade an, als Isabella sich auf meiner anderen Seite auf die Couch fallen ließ und einen triumphalen Laut ausstieß.

»Ja, oder?«, rief sie begeistert und schnappte sich die Karte aus meiner Hand. »Ich hab schon immer gesagt, wie ähnlich ihr euch seht! Fast wie ein jüngeres, süßeres 2.0-Modell! Hast du gehört, Vanessa?«

Ich lächelte schwach als Reaktion auf die Aussage meiner Freundin, während ich immer noch Vanessa ansah, hinter deren schönem Gesicht zum zweiten Mal innerhalb einer Viertelstunde ein Sturm der Gefühle tobte.

»Ja«, bändigte sie den Orkan jetzt und lächelte uns an, ließ den Blick wohlwollend über Ella gleiten. »Du siehst toll aus!«

Endlich folgte ich ihrem Blick und sah meine Freundin an. Vanessa hatte recht, Ellas dunkle Augen waren aufreizend geschminkt, ihre Lippen tiefrot und ihre Haare sinnlich gelockt. Unwillkürlich lächelte ich und lehnte mich vor, um sie zu küssen. Sie ließ es geschehen.

»Okay, ich bin dann auch mal im Bad«, verkündete Vanessa, bevor sie in ihrem Zimmer verschwand.

Ich sah Ella an, mein Blick fiel auf ihre Lippen. »Wie lange braucht Vanessa im Bad?«

Sie erkannte meine Absicht und grinste tadelnd. »Nicht lange genug.«

Da kam ihre Mitbewohnerin auch schon wieder aus ihrem Zimmer, ein kleines Bündel unter dem Arm, und öffnete die Tür zum Bad. »Fünfzehn Minuten und dann können wir los, wenn ihr wollt«, versprach Vanessa. Ihre Stimme klang heiter, aber ich hatte immer noch das Gefühl, ihr Geist wäre von Regenwolken umgeben.

»Gefällt sie dir?«, fragte Isabella aufgeregt, während ich geradezu ein Loch in die geschlossene Badezimmertür starrte.

»Wer?« Ich überlegte schon, wie ich ihr erklären konnte, dass ich mir nur Sorgen um Vanessa machte, als ich Ellas auffordernd ausgestrecktes Bein wahrnahm.

»Na, die Strumpfhose, Dummerchen!«

Ich lächelte matt, nickte zustimmend. Die schwarz glänzende Strumpfhose sah toll aus, genau wie der Rest von Ellas aufregendem Outfit. Aber jetzt gerade war ich zu beschäftigt mit Vanessas innerem Kampf, um meine Freundin gebührend zu bewundern.

Vanessa

Ich schloss die Badezimmertür, drehte den Schlüssel um und lehnte mich gegen die flauschigen Morgenmäntel, die an der Innenseite hingen.

Warum tat ich mir das an?

Mein Handy vibrierte, aber ich ignorierte es, während ich vier tiefe Atemzüge lang mit mir rang, ob ich wirklich mit in den Club gehen sollte. Beim Sport hatte ich das noch für eine gute Idee gehalten, mich sogar ein bisschen darauf gefreut und genau gewusst, was ich anziehen würde. Jetzt wollte ich einfach nur einen XXL-Becher Eiscreme mit extraviel Sahne und eine fettige Familienpizza essen und mich im Bett vergraben, bevor ich beides wieder hochwürgen konnte.

Mein Handy vibrierte noch mal. Und noch mal. So penetrant schrieben nur zwei Personen auf der Welt Nachrichten. Und mit einer davon hatte ich seit mindestens fünf Jahren nicht mehr getextet.

Ich zog mein Handy aus dem Kleiderhaufen in meinen Armen, entsperrte und las:

Valeria: Was ziehst du an?

Valeria: Was ziehe ich an?

Valeria: Gelbes Top oder lieber kleines Schwarzes?

Valeria: Schreib jetzt sofort!

Valeria: Oder ich ruf an.

Valeria: Los!

Valeria: Bei 3!

Noch während ich ein Grinsen unterdrückte, klingelte das Handy in meiner Hand.

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du genauso nervig bist wie dein Freund?«, begrüßte ich sie wohlwollend, löste mich endlich von der Tür und trat ans Waschbecken. Während ich mein Gesicht im Spiegel musterte, dachte ich darüber nach, wie verrückt es war, dass sie jetzt wirklich wieder mit ihrer Jugendliebe Raphael zusammen war, dem heißesten Typen und größten Aufreißer, den ich je gekannt hatte. Raphael, der vor vielen Jahren mein Nachbar und vor noch mehr Jahren mein bester Freund gewesen war. Bis ich mit seinem besten Freund zusammengekommen war.

»Krass, ich finde immer, Milias ist viel nerviger als Raphael«, antwortete Valeria quirlig wie immer und riss mich aus den Erinnerungen an meine Jugend, bloß um mich in andere, noch schmerzlichere zu werfen. Ich presste die Lippen aufeinander, woraufhin sie scheinbar durchs Telefon meine Bedrückung wahrnahm und das Thema wechselte: »Egal! Wie geht’s dir?«

Ich erwog eine heitere Lüge, aber Valeria war immer noch meine beste Freundin, auch wenn sie vor drei Jahren zum Studium nach Italien gezogen und seitdem quasi unerreichbar für mich war. Also warf ich meinem Spiegelbild ein schiefes Lächeln zu. »Beschissen.«

»Shit«, reagierte sie genau wie Sandro vorhin. »Ein Kerl oder deine Mama?« Ich wog kurz ab. Zählte mein Dad als Kerl? Doch Valeria plapperte schon weiter. »Ach, egal wer. Weißt du was? Es wird das kleine Schwarze! Wir betrinken uns so richtig und schleppen irgendeinen heißen Typen ab! Also … du schleppst einen ab«, ergänzte sie dann, als wäre ihr gerade erst wieder eingefallen, dass sie schon einen der heißesten Typen der Stadt zu Hause hatte.

Ich musste gegen meinen Willen lachen und konnte nicht anders, als mich von ihrer sonnigen Laune anstecken zu lassen. »Also, ich habe auf jeden Fall vor, das kleine Schwarze anzuziehen«, grinste ich. Wobei ich damit kein schickes Kleid meinte, sondern ein an den Hüften gerafftes Longtop mit geschlitzten Fledermausärmeln, das ich gerne mit einem breiten Taillengürtel und Cowboystiefeln kombinierte, weil es dadurch die perfekte Mischung aus elegant und casual war.

»Ich liebe dieses Teil!«, schwärmte Valeria inbrünstig. »Okay, dann ziehe ich kein Kleid an. Hashtag Gegensätze und so. Apropos Hashtag – ist es okay für dich, wenn ich dich verlinke? Du magst den Rummel ja nicht mehr so …«

Sie klang jetzt weiter weg, als hätte sie mich auf Lautsprecher gestellt, während ich energische Bürstenstriche hörte. Ich rollte wohlwollend mit den Augen und verbrannte mich prompt am Lockenstab. »Natürl– Autsch!«

»Hallooo Locken!«, trällerte Valeria, die mich einfach immer noch viel zu gut kannte und genau wusste, was ich tat. »Wie lange habe ich dich nicht mehr mit Locken gesehen?«

»So ungefähr drei Jahre?«, fragte ich zurück, obwohl ich mich lieber nicht daran erinnern wollte. »Eine von uns ist nach Italien gezogen, und ich war’s nicht.«

»Aber jetzt bin ich wieder da!«, frohlockte sie, während ich Sprühstöße hörte, und erst in dem Moment fiel mir auf, wie sehr ich sie vermisst hatte.

»Wie lange bleibst du diesmal?«

»Ich bin vorgestern eingezogen!«

Mein Herz machte einen Satz. »Im Ernst?«

»Ja! Fernbeziehungen sind sowas von ätzend«, antwortete Valeria und hätte mich mit keinem Satz der Welt glücklicher machen können. Eine kurze Pause entstand, in der ich dem Himmel dafür dankte, dass meine beste Freundin wieder da war. Dann hörte ich Stoff rascheln, gefolgt von einem kurzen Kichern und leisem Gemurmel. Schlagartig wurde mir heiß, während Valeria vergnügt »Vany« raunte.

»Oh Gott«, stöhnte ich. »Bitte leg auf, bevor ihr weitermacht.«

Ein leises – und eindeutig männliches – Glucksen, das mir mehr Hitze ins Gesicht trieb als mein Lockenstab. Dann: »Bist du sicher, dass du das willst?« Das war Raphael, und der süffisante Bass in seiner Stimme ließ mein Rückgrat kribbeln.

Ich schüttelte den Kopf und alle ungebetenen Gedanken ab. »Sorg dafür, dass Valeria nicht zu spät …« Nein, das würde sich falsch anhören. »Vergiss es. Halb zehn!«, erinnerte ich Valeria, dann legte ich auf und löste vorsichtig meine Haarsträhnen auf, bis sie genau die richtige lockere Wellenform hatten.

***

Entgegen meinen Erwartungen kam Valeria fast pünktlich. Wofür ich ihr mehr als dankbar war, weil ich zwischen den zwei Pärchen Isabella mit Sandro und Marc mit Lena buchstäblich das fünfte Rad am Wagen war.

Wir standen gerade in der Schlange eines türkischen Imbissladens, der nur ein paar Häuser neben dem Club lag, als ich Valeria sah. Genauer gesagt sah ich zwei Typen, die sich nach einem Mädchen umdrehten, das mit energisch klackenden Absätzen, wippendem schwarzem Zopf und gegen den Januarwind aufgestelltem Mantelkragen zügig die Straße entlangkam.

»Val!«, rief ich fröhlich, löste mich aus unserer Gruppe und lief auf sie zu.

Sie war völlig fokussiert darauf, nicht von irgendwelchen Typen angequatscht zu werden, und hatte den Blick so eisern geradeaus gerichtet, dass ich mich ihr geradezu in den Weg stellen musste. Kurz sah ich das ärgerliche italienische Temperament in den dunklen Augen aufblitzen, die ich so schmerzlich liebte, dann erkannte sie mich und brach in jubelndes Kreischen aus.

Wir umarmten uns so fest, dass mir fast die Luft wegblieb, aber ich wollte nicht loslassen, vergrub meine Nase an ihrer Schulter und atmete ihr exotisches Parfüm tief ein. Ihres – und das von Raphael. Mein Bauch verkrampfte sich, aber das könnte auch der Hunger sein.

»Ohhh, ich freu mich so, dich zu sehen!«, sprach sie meine Gedanken aus, während wir von einem Bein auf das andere schaukelten wie Betrunkene.

»Ich mich auch!«, rief ich und ließ einen bewundernden Blick über sie wandern. Sie hatte die glatten schwarzen Haare zu einem hohen, strengen Pferdeschwanz zurückgebunden, der ihre Gesichtszüge und dunklen Augenbrauen immer so toll zur Geltung brachte, trug eine glänzende Lederhose und Ankle Boots. »Sexy!«, grinste ich.

»Das sagt die Richtige!«, kicherte sie und ihre Augen leuchteten auf, als sie vorsichtig meine voluminösen Haare betastete, die mir selbst leicht gelockt bis über die Brust fielen. »Hab ich schon mal gesagt, wie sehr ich deine Haare liebe, Vany?«

»Erst ungefähr hundert Mal.« Ich lächelte, weil mir so warm ums Herz wurde. Valeria war die einzige echte Freundin, die ich jemals gehabt hatte. Aber bevor ich sentimental werden und ihr das sagen konnte, hakte sie sich aufgeregt bei mir unter und ließ sich von mir zu den anderen führen.

»Also, lass uns Party machen! Wo sind die anderen? Und gibt es irgendwas, was ich – uh, wer ist er?« Valerias unbeschwertes Geplapper brach ab, während sie neben mir Haltung annahm, den Blick direkt auf Sandro gerichtet.

»Er ist vergeben«, raunte ich ihr zu. »Und du auch!«

Ihre dunklen Augen wanderten zu mir. Einen Sekundenbruchteil fürchtete ich, darin den Reiz des Verbotenen zu lesen, dann lächelte sie, nein, strahlte geradezu, und ich sah nur noch Glück und Liebe – was mir einen weitaus größeren Stich versetzte als ihre vorherige Versuchung.

In dem Moment legte Sandro einen Arm um Isabella, um sie aus der Schlange zu ziehen, und Valeria zog die Oberlippe hoch wie eine angewiderte Katze. »An die?!«

Oh Gott, hoffentlich machte sie keine original italienische Szene! Aber bevor ich Valeria anflehen konnte, löste sich ein untersetzter Latino aus der Gruppe und trat auf uns zu.

»Da ist ja Miss Germany!«, strahlte Santiago mit sonnigem Gewinnergrinsen und begrüßte mich mit einer parfümschweren Umarmung und einem Luftkuss neben meiner Wange. Ich wollte den Titel dementieren, doch da war sein Blick schon auf Valeria gefallen: »Oh, und wer ist Ariana Grande? Ich bin Santiago. Warte mal, kennen wir uns?«

Valeria, die gerade noch die Augen verdreht hatte, ging nahtlos in ein amüsiertes Glucksen über und auf seine letzte Frage gar nicht erst ein. »Santiago? Wie Santiago de Compostela?«

Er grinste. »Nein, cielo, wie Santiago de Chile. Da wurde ich gezeugt.«

Jetzt prusteten wir beide los.

»Zumindest behauptet er das, seit ich ihn kenne«, ergänzte Marc, wechselte seinen Döner in die Linke und wischte sich die Hand an der Jeans ab, bevor er sie Valeria hinstreckte. »Hi, ich bin Marc.«

»Valeria«, antwortete sie, während sich auch die anderen dazugesellten und sich reihum vorstellten. Alle bis auf Sandro, der damit beschäftigt war, seinen gerollten Dürüm-Fladen auslaufsicher einzuwickeln, um sich die Hände nicht zu sehr zu beschmieren.

Valeria stieß ihn fröhlich an. »Und hast du auch einen Namen, oder bist du eher der stumme Hüne?«

Sandro hörte auf zu kauen, blinzelte und sah dabei für einen Sekundenbruchteil herzzerreißend niedlich wie ein überrumpelter Welpe aus, bevor er sich wieder fing, herunterschluckte und die Mundwinkel zu einem Halblächeln hob, bei dem sicherlich reihenweise Frauen Herzklopfen bekamen. Ich selbst möglicherweise eingeschlossen.

»Sandro«, antwortete er schließlich, wischte sich die Rechte an seiner abgetragenen Jeans ab und hielt sie ihr hin.

Valeria schüttelte sie mehr als erfreut und mir entging nicht das entzückte Lächeln, das sie ihm dabei zuwarf. Ich folgte ihrem Blick zu seinem Gesicht, um mir vorzustellen, was sie gerade dachte. Ich brauchte nicht einmal viel Vorstellungskraft.

Ich hatte mir nie wirklich erlaubt, ihn so zu betrachten, aber man konnte es nicht anders sagen: Sandro. War. Heiß. Seine zimtblonden Haare standen eigensinnig in alle Richtungen ab und bildeten einen faszinierend weichen Kontrast zu seinen kantigen Gesichtszügen. Genauso faszinierend wie der Gegensatz seiner olivgrünen Augen zu leicht getönter Haut, von der ich keine Ahnung hatte, welchen ethnischen Wurzeln er sie zu verdanken hatte. Osteuropäisch? Griechisch? Überhaupt wusste ich ziemlich wenig über den Freund meiner Mitbewohnerin. Aber was ich wusste, war, dass mir warm wurde, als sein Blick mich streifte, auf mir haften blieb und sich mit meinem verhakte. Genau wie heute, als ich vom Sport zurückgekommen war. Und noch intensiver als vorhin, als ich gestylt aus dem Bad gekommen war.

Eilig sah ich weg und unterdrückte jede Gefühlsregung. Ich würde das nicht tun. Nicht schon wieder.

4 Unter der harten Schale

Vanessa

»Können wir dann langsam rein?«, drängte Isabella, und ich war ihr dankbar, dass sie damit Sandros Blick auf sich zog.

»Erst wenn die Herren aufgegessen haben«, kicherte Lena, die gerade vorsichtig vom Döner ihres Freunds abgebissen hatte, während Marc aus der Colaflasche trank. Isabella rollte mit den Augen und warf einen ungeduldigen Blick auf Sandros halb gegessenen Wrap.

»Wir zwei Hübschen können definitiv schon mal vorgehen, mi Bella«, beschloss Santiago, legte den Arm um ihre Schulter und schob sie vorwärts. Sie lachte begeistert und schien sogar ein paar Zentimeter größer zu werden.

Sandro schüttelte belustigt den Kopf, während Marc die Flasche in seiner Hand beäugte. »Dürfen wir Flaschen mit reinnehmen?«

Jetzt gluckste Sandro und antwortete so laut, dass Santiago es hören konnte: »Klar, sonst müsste Tiago ja draußen warten.«

Der drehte sich mit spielerisch erhobener Faust um, während Marc und Lena in ein Lachen ausbrachen, gegen das auch ich nicht ankam. Wir alle setzten uns in Bewegung.

»Warst du wirklich Miss Germany?«, fragte Lena leise, als wir knapp zwanzig Meter weiter Santiago und Isabella wieder eingeholt hatten und in der nächsten Schlange standen, diesmal in der zum Club. Ich spürte deutlich den Blick der anderen auf mir und wollte nicht antworten, bis mich Valeria auffordernd in die Seite stieß.

»Nein«, antwortete ich also, während die Gruppe vor uns von den beiden Türstehern durchsucht wurde. »Ich war nur Finalistin unseres Bundeslands.« Santiago gluckste ein ironisches »Nur«, während Isabella unzufrieden die Gruppe vor uns musterte. Ich warf ihr ein verschwörerisches Zwinkern zu. »War die Idee meiner Mom, dass ich da mitmache.« Isabellas Gesichtsausdruck wechselte von Skepsis zu einem verschwörerischen Grinsen, als sie das Band der Verbundenheit spürte, das uns überhaupt erst zusammengebracht hatte. Einen Moment lang schlang es sich wohlig fest um meine Seele.

»Unser Deal war, dass ich eine Runde mitmache und dafür von zu Hause ausziehen darf, also hab ich’s gemacht und dann bin ich ausgezogen.« Ich zuckte mit den Schultern. Das war keine große Sache und ich war nicht stolz darauf.

Lena klappte trotzdem der Mund auf und Santiago setzte zu einer Folgefrage an, doch dann kamen wir glücklicherweise bei den Türstehern an, die ihn und Isabella durchwinkten, aber Sandro und Marc zu verstehen gaben, draußen essen zu müssen. Widerstrebend traten wir neben die Absperrung, um die Leute hinter uns vorbeizulassen.

»Ausziehen finde ich super«, verkündete Santiago von der anderen Seite der Absperrung her und schälte sich aus seiner dicken Daunenjacke, unter der er ein schwarzes Muskelshirt trug, das ein Tribal Tattoo auf seinem beachtlichen Bizeps entblößte. »Solange ihr da noch rumsteht, such ich schon mal die Bar. Der Abend ist jung und die Frauen viel zu hübsch. Heute Nacht geht keiner von uns nüchtern nach Hause, klar?«

»Ich komme mit«, beschloss Isabella nach kurzem Zögern und zog ebenfalls ihre Jacke aus, woraufhin sich auch Lena mit einem Wangenkuss von Marc löste. Santiagos dunkle Augen blieben an mir hängen, luden mich geradezu ein. Aber ich schüttelte den Kopf.

»Wenn ihr vorhabt, euch zu betrinken, muss ich zuerst was essen.«

»Wieso? Auf leeren Magen brauchst du doch viel weniger«, frohlockte Santiago, hielt aber sofort inne, als Sandro den Kopf wandte und »Tiago« knurrte. Mir wurde ein bisschen heiß bei dem finsteren Klang seiner Stimme und dem noch finstereren Ausdruck seiner Augen.

Isabella stöhnte kaum hörbar und ging weiter, Valeria blieb stehen und sah mich alarmiert an. »Aber du hast heute schon was gegessen, oder?«

»Ja«, antwortete ich wahrheitsgemäß, ohne zu sehr über den einen Apfel, den Joghurt zu Mittag und einen Müsliriegel ins Detail zu gehen, und suchte in meiner Clutch nach einem Geldschein. »Ich geh mir kurz was holen.«

»Willst du meine Hälfte?«, fragte Sandro wie aus dem Nichts und hielt mir seinen Dürüm hin. »Keine Sorge, da ist kein Fleisch drin.«

Valeria stieß einen Laut aus wie jemand, der gerade ein niedliches Tierbaby betrachtet, während ich auf den Wrap blinzelte und danach in Sandros Gesicht.

»Ehrlich?«

»Ja.« Er nickte so aufrichtig, dass es mir für einen Moment außerordentlich schwerfiel, mir vorzustellen, wie er jemanden mit Schlägen und Tritten bearbeitete. Zögerlich nahm ich den gerollten Wrap entgegen und wickelte die Alufolie enger.

»Danke …«

Sandro zuckte bloß mit den Schultern und vergrub die Hände in den Jackentaschen. »Essen ist wichtig«, sagte er, während ich den Wrap-Inhalt inspizierte. Falafel, Salat und Tomaten. Gute Wahl für einen Mann.

Warte mal … und Feta! Ich schnitt eine Grimasse und zog mit spitzen Fingern den Schafskäse aus dem Wrap, was Sandro zu einem amüsierten Kopfschütteln verleitete und mir wortlos die Serviette hinhalten ließ, damit ich die Käsestücke hineinlegen konnte.

»Danke«, sagte ich noch mal. Er nickte nur.

»Und außerdem ist Essen verdammt geil«, ergänzte Marc, nachdem er den Rest seines Döners verdrückt hatte. Valeria grinste mich indes über Sandros Schulter hinweg breit an wie die Grinsekatze auf Dope.

Ich warf ihr einen sehr eindringlichen »Denk nicht mal dran!«-Blick zu, woraufhin sich beide Jungs zu Valeria umdrehten und sie augenblicklich den fragenden Blick eines Unschuldslamms aufsetzte.

»Willst du auch was essen?«, interpretierte Sandro unsere stumme Konversation falsch, woraufhin Valerias Augen wieder strahlten. Sie legte den Kopf schief, sodass ihr langer dunkler Zopf zur Seite fiel.

»Du bist echt so viel niedlicher als du aussiehst, weißt du das? Danke. Aber um meine Ernährung musst du dir keine Sorgen machen.«

Sandro schien unsicher, ob sie ihn verarschte, und hob eine Augenbraue samt Mundwinkel zu einem Halblächeln, das Skepsis ausdrücken sollte, aber ebenso gut ein sexy verträumtes Boybandposter zieren könnte.

Ich atmete ein Stück Krautsalat ein und konnte mein Husten gerade noch in einem Räuspern tarnen. Marc hielt mir seine Colaflasche hin, aber ich verneinte.

»Geht schon, danke. Lieb von dir, aber ich hasse Cola.«

Jetzt gluckste Sandro erneut und dieser hinreißende Gesichtsausdruck galt eine Sekunde lang mir, bis er Marc mitteilte: »Hör auf das Mädchen, dann lebst du länger.«

Ich blinzelte. Normalerweise bekam ich regelrecht Anfälle, wenn mich jemand herablassend als »Mädchen« bezeichnete, aber aus seinem Mund klang es irgendwie … anerkennend. Sexy. Himmel, ich musste dringend auf andere Gedanken kommen.

»Oh, bitte sag nicht, dass du auch so ein Wellfood-Fanatiker bist wie Vany«, lachte Valeria, aber ich redete einfach dazwischen.

»Wie sieht’s aus, gehen wir rein?« Zum Zeichen des Aufbruchs wischte ich mir mit der Serviette die Finger ab und warf sie in den Mülleimer. »Ich brauch jetzt ’nen Drink.«

»Vany«, wiederholte Sandro mit rauer Stimme und jagte einen ungebeten heißen Blitz durch meinen Körper, der mich wie angewurzelt stehen bleiben und zu ihm umdrehen ließ. Er hob einen Mundwinkel. »Die Abkürzung klingt cool.«

Ich verfluchte mich für die Sekunde, die es dauerte, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte und das überhebliche Lächeln meines früheren Ichs aufsetzen konnte. »Tja, leider muss man sich den Namen erst verdienen.«

»Ach so?« Er drehte den Kopf, und ich sah dabei zu, wie der Blick seiner olivgrünen Augen über mein Gesicht wanderte, bis er auf meinen eigenen Augen haften blieb. Sandro schaute mir geradezu in die Seele – und für einen Sekundenbruchteil dachte ich, meine eigenen Fehler und Selbstzweifel würden sich in seinem Blick spiegeln.

Dann blinzelten wir beide und der Moment war vorbei.

»Jap«, antwortete ich, um die unangenehme Stille zu überbrücken, und flüchtete mich erneut in die unantastbare Arroganz, die mich früher umgeben hatte wie ein Schutzschild.

»Und damit wäre die Schlange wieder einen Kilometer lang«, stöhnte Marc, der die wartenden Menschen neben uns bereits entdeckt hatte. »Ich hoffe, euch ist warm, Ladys.«

Während wir uns einreihten, lehnte ich mich über das Absperrband, um die Leute vor uns zu zählen.

»Das dauert ja mindestens eine halbe Stunde«, kam Valeria ächzend zum selben Schluss wie ich. »Bis dahin bin ich definitiv erfroren. Kannst du die nicht irgendwie bequatschen, Vany?«

Ich zog unwillig die Brauen zusammen. So was hatte ich seit mindestens drei Jahren nicht mehr gemacht.

Marc kicherte. »Glaubst du, die lassen uns einfach so durch, nur weil ihr euch auszieht oder so was?«, fragte er, während ich die beiden Türsteher betrachtete. Sie sahen beide arabisch aus und schauten grimmig drein, wirkten aber nett.