Klara - Jan Off - E-Book

Klara E-Book

Jan Off

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Beschreibung

Klara ist eine äußerst intensive Erscheinung – fordernd, unberechenbar impulsiv. Sie betritt ein Leben unverhofft und genauso plötzlich verlässt sie es wieder. Die drei Ich-Erzähler dieses Buches, zwei Schriftsteller und ein Musiker, haben jeder eine Klara getroffen, die sich ihnen in Herz und Hirn gebrannt hat. Ob es immer dasselbe Geschöpf ist, das die männlichen Protagonisten an ihre jeweiligen Grenzen bringt? Wer weiß das schon … "Klara" ist Exzess, Ekstase, Schmerz – ein Roman, so unruhig wie die Liebe selbst.

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Seitenzahl: 176

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DIRK BERNEMANNJÖRKK MECHENBIERJAN OFF

KLARA

ROMAN

DIRK BERNEMANN wurde als Bauernsohn im Münsterland geboren, lebt jetzt als Hipster in Berlin. Literatur, meint der Sozialphilosoph, solle man nicht in die Hände halbbesoffener Ereignistheoretiker legen. Trinkt Weißweinschorle bei Lesungen, ist aber sonst angenehm.

JÖRKK MECHENBIER wurde 1977 im Saarland geboren. Weil Fußball ihm egal ist, hängt er meistens mit Musikern rum und gibt bei der Post-Punk-Band LOVE A und beim Punk-Schlager Duo SCHRENG SCHRENG & LA LA den Klassenkasper.

JAN OFF lebt in Hamburg. Obwohl von Tag zu Tag mehr von der Sinnlosigkeit menschlichen Handelns überzeugt, gilt: Kein Buch mehr zu schreiben, ist auch keine Lösung. Wenn du schon mit 180 Sachen auf einen Brückenpfeiler zusteuerst, sollte wenigstens der Soundtrack stimmen.

© Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG,Mainz 2018Alle Rechte vorbehalten

print-ISBN 978-3-95575-095-4e-ISBN 978-3-95575-594-2

Cover: Oliver Schmitt unter Verwendung einer Illustration von Liú Quara

Ventil VerlagBoppstraße 25, 55118 Mainzwww.ventil-verlag.de

JAN OFF

KURT COBAINSWAHRE LIEBE

DIRK BERNEMANN

GESPRÄCHE ÜBERFREEJAZZ UNDEINE SCHLÄGEREIZUM THEMA HARMONIE

JÖRKK MECHENBIER

»LACHEN SIE NICHT –SIE KÖNNTE IHRETOCHTER SEIN«

JAN OFF

KURT COBAINSWAHRE LIEBE

I.

Mein Geist ist so leer wie die Essener Fußgängerzone an einem gewöhnlichen Mittwochvormittag. Einzig ein paar Informationsbröckchen aus dem Bereich der unmittelbaren Wahrnehmung schwappen an seinem Rand herum. Ein beglückender Zustand. Ein Zustand, den ich schon monatelang nicht mehr habe erleben dürfen. Aber der Reihe nach.

»Tu mir weh«, hatte Klara gesagt, kurz nachdem ich in sie eingedrungen war.

Und ich tat ihr weh. Natürlich nur so, wie man eben jemandem wehtut, der Lust gern mit Schmerz und der eigenen Erniedrigung vermischt. Sie weinte ein bisschen, nachdem sie gekommen war. Aber es war kein trauriges Weinen. Und damit stand fest, dass wir zusammenbleiben würden. Jedenfalls für mich.

Klara dagegen begann gleich am nächsten Tag ein intensives Verhör, das meine Absichten weitaus detaillierter auszuloten gedachte.

Wir waren auf den Garagenkomplex hinter meinem Haus geklettert, saßen auf dem Flachdach und fingen die Strahlen einer käsegesichtigen Maisonne ein. Seit dem Aufwachen war noch keine halbe Stunde vergangen.

»Hast du eine Freundin? Wenn du eine Freundin hast, kannst du’s gleich vergessen. Ich habe keine Lust, mich einmal die Woche von dir ficken zu lassen und ansonsten keine Rolle in deinem Leben zu spielen. Ich bin keine Mätresse. Ich will eine Beziehung. Kannst du dir eine Beziehung mit mir vorstellen? Kannst du dir vorstellen, mit mir zusammenzuziehen? Also optional?«

Ich blinzelte sie an und lächelte dabei. Obwohl ich genau verstand, was sie sagte, weigerte sich mein Gehirn, das Gehörte in greifbare Bilder umzuwandeln. Und warum hätte es das auch tun sollen? Klara war schön, brutal schön, und das, obwohl sie eine dieser riesigen Sonnenbrillen trug, die selbst Filmstars oder Supermodels in Schmeißfliegen zu verwandeln vermochten. Ihre Nase war die eines Püppchens, ihr Kinn gehörte einer knallharten, erfolgsverwöhnten Geschäftsfrau, ihre Lippen versprachen nichts als Sinnlichkeit. Und diese Mischung war es einfach.

Kennengelernt hatten wir uns nach einer meiner Lesungen. Sie hatte sich ein Buch gekauft und auf meine Frage, ob ich ihr eine Widmung hineinschreiben solle, geantwortet, dass das nicht nötig wäre. So toll sei der Auftritt nun auch nicht gewesen.

»Gut, dann kaufe ich das Buch wieder zurück. Und du schreibst mir was rein«, konterte ich, »und zwar deine Telefonnummer.«

Sie sah mich kurz an, schien wie ein Pokerspieler abzuwägen, ob Mitgehen oder Passen die bessere Option wäre. Dann sagte sie: »Okay, aber du zahlst mir das Doppelte.«

Ich drückte ihr Geld, Roman und Kuli in die Hand. Sie nahm sich einen Stehtisch als Unterlage und ließ den Stift übers Papier fliegen.

Als ich das Buch wieder in den Händen hielt, stand auf der Innenseite tatsächlich eine Handynummer. Und neben der Nummer ein Name: Klara.

Angelina oder Anastasia hätten besser zur ihr gepasst. Klara klang zu brav, nach Klavierunterricht und im Schoß gefalteten Händen. Aber der Name löste auch andere Assoziationen aus: kaltes, klares Wasser; klare Sicht; klarer Verstand.

Klara verstand klarer Verstand wiederholte mein Gehirn unentwegt auf dem Heimweg. Gut möglich, dass sich währenddessen ein Lächeln auf meinem Gesicht zeigte.

Natürlich bestand die Möglichkeit, dass die Telefonnummer bloß eine ausgedachte war. Aber Klara hatte nicht den Eindruck erweckt, als hätte sie derartige Mätzchen nötig. Und so war ich, als ich zwei Tage später anrief, nicht überrascht, dass es wirklich ihre Stimme war, die ich vernahm.

Ich schlug vor, sie zum Essen auszuführen, und sie sagte ja.

»Irgendwelche Vorlieben?«, fragte ich.

»Sushi. Unbedingt Sushi«, kam es prompt zurück.

»Gut. Dann Sushi. Übermorgen?«

»Übermorgen plus sieben Tage. Ich will, dass du ausreichend Zeit hast, dir Gedanken zu machen.«

»Darüber, wo genau wir hingehen werden?«

»Nein, darüber, ob ich ein Höschen unterm Kleid tragen werde und ob meine Fotze rasiert sein wird. Solche Dinge.«

Sie sagte wirklich Fotze und damit machte sie mich völlig schwach. Ich meine, welches Mädchen redet schon so mit dir, bevor du sie gefickt hast? Und ja, ich musste wirklich darüber nachdenken, wie sie wohl nackt aussah. Aber nicht nur darüber. Mich beschäftigten auch banalere Fragen, zum Beispiel, mit welchem Restaurant ich sie am meisten beeindrucken konnte, oder wie ich mich kleiden sollte. Und, ich gebe es zu: Natürlich sann ich auch darüber nach, ob ich meinen eigenen Schambereich gründlich rasieren sollte. Der übliche abgeschmackte Wahnsinn eben, wenn der monochromen Sickergrube namens Menschheit plötzlich ein Geschöpf entstiegen ist, dessen Einzigartigkeit du nicht leugnen kannst. Ich entschied mich schließlich für ein Running-Sushi in Uni-Nähe, nicht zu schick, nicht zu ranzig.

Klara kam pünktlich. Und zwar auf die Sekunde. Ich hatte damit nicht gerechnet, ja, fand das Manöver in Bezug auf das, was ich von ihr erwartet hatte, regelrecht irreal, als würde ein Pickup-Artist in einem autonomen Zentrum referieren.

Ich reagierte entsprechend perplex, setzte, als sie da mit einem Mal vor mir stand, meine Flasche Tsingtao so heftig auf die Tischplatte, dass ein Schwall Schaum herausschoss. Das Bild hatte etwas von vorzeitigem Samenerguss. Jedenfalls war es das erste, woran ich denken musste, während ich die Flasche ein Stück anhob und die kleine Lache vor mir unbeholfen mit den Fingern verrieb.

Klara lächelte amüsiert. Mein Lächeln wird eher verkniffen gewirkt haben. Auch danach wollte meine Anspannung nicht weichen.

»Und? Gefällt’s dir?«, fragte ich wie ein Anfänger, nachdem wir der Bedienung unseren Wunsch übermittelt hatten, von der angebotenen Flatrate zu profitieren.

»Das spielt keine Rolle. Es ist egal, wohin ein Mann dich ausführt. Hauptsache, er trifft überhaupt eine Entscheidung«, sagte Klara, »nichts ist schlimmer als nervige Diskussionen zum Thema wo gehen wir hin.«

Ich wollte ihr gerade antworten, wollte charmant-witzig darauf hinweisen, dass ihre Aussage nicht unbedingt den letzten Stand der Emanzipation abbildete, als sie etwas tat, was mich erneut die Fassung verlieren ließ.

»Hey, was machst du da?«, fragte ich. Dabei sah ich genau, was sie tat. Sie nahm den Belag von einem Thunfisch-Nigiri, den das Laufband gerade an uns vorbeitransportierte, schob sich den Happen genüsslich in den Mund und ließ den Teller mit dem nun nackten Reisklumpen einfach weiterfahren.

»Shit. Die werden das merken.«

»Ja, das werden sie. Aber sie werden nicht wissen, wer der Dieb gewesen ist.« Klara lachte auf. In ihren Augen lag eine Mischung aus Übermut und sanfter Herablassung.

Meine Befürchtung, dass sie das Manöver im Lauf des Abends wiederholen würde, bewahrheitete sich zwar nicht, meinem Appetit half das jedoch nur bedingt auf die Sprünge. Ich ließ die meisten der kulinarischen Köstlichkeiten an mir vorüberziehen und griff stattdessen zum Bier. Dies fiel mir umso leichter, als Klara ebenfalls reichlich trank, und zwar Bier und Sake, ohne dabei allerdings aufs Essen zu verzichten. Es dauerte nicht lange, und die Zahl der Teller, die sich auf ihrer Seite stapelten, überragte die meinige ums Doppelte.

Obwohl ihre Finger ständig in Bewegung waren, ihr Mund ständig kauen und schlucken musste, hatte sie noch die Muße mich auszufragen.

»Ich hoffe, du bist kein Veganer.«

»Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

»Glück für dich. Ich stehe auf Hackfleisch. Wenn du mir also mal Frühstück ans Bett bringen willst, reicht ’ne Lasagne oder ein Teller Spaghetti Bolognese. Und Kaffee natürlich. Viel Kaffee. Schwarz ohne Zucker.«

Ich war nicht sicher, ob sie sich über mich lustig machte oder mich auf die Probe stellen wollte. Das Blitzen in ihren Pupillen war genauso wenig zu deuten, wie das feine Spiel ihrer Mundwinkel. Ich versuchte mich meinerseits an einem feinsinnigen Grinsen und beschloss, mich unter keinen Umständen aus der Reserve locken zu lassen.

Sie wechselte derweil das Thema und wieder gelang es ihr, mich zu überraschen: »Wie sieht’s mit Schallplatten aus? Magst du Schallplatten? Ich habe sicher an die dreitausend.«

»Vinyl? Unbedingt«, sagte ich, wohlwissend, dass mein Schallplattenspieler schon seit Jahren kaputt und meine Plattensammlung im selben Zeitraum nicht mehr erkennbar gewachsen war.

Klara gab sich mit meiner knappen Antwort zufrieden und kam unvermittelt auf Haustiere zu sprechen.

»Ich habe zwei Katzen. Was magst du lieber? Katzen oder Hunde?«

»Ich glaube, ich mag beides.«

»Der klassische Feigling.« Sie sah mich herausfordernd an.

Ich konnte es kaum erwarten, endlich mit ihr allein zu sein. Nach allem, was sich bisher zwischen uns abgespielt hatte, war es völlig ausgeschlossen, dass wir in dieser Nacht nicht miteinander vögeln würden. Und so sagte sie denn auch, kaum dass ich die Rechnung beglichen hatte: »Komm, wir gehen zu dir. Ich will mir ansehen, wie du lebst.«

Ich hatte keine Einwände.

In meiner Wohnung war alles ganz einfach. Wir saßen uns auf der zwei mal zwei Meter großen Matratze gegenüber, die mir als Bett diente (eine Couch oder Sessel besaß ich nicht), tranken Dosenbier und rauchten. Klara stellte zwei, drei kluge Fragen zu meinen Büchern, die ich zu beantworten versuchte, ohne mir anmerken zu lassen, wie sehr mir ihr Interesse schmeichelte. Und dann waren wir plötzlich halbnackt und Klara hatte meinen Schwanz in der Hand, während meine Finger von ihrem Bauch und ihren Brüsten Besitz nahmen, ein leicht gewölbter Bauch, die Brüste schwer, mit großen, hellbraunen Brustwarzenvorhöfen und kleinen, harten Nippeln.

Die Momente davor hat mein Gedächtnis verschluckt. Hatten wir uns geküsst? Hatte einer von uns etwas gesagt, das der andere als Aufforderung verstanden haben mochte? So sehr ich mich auch bemühe, ich finde kein Bild. Vielleicht weil die, die ich gespeichert habe, zu magisch sind. Klaras traumschönes Gesicht; ihre langen Haare, die sie an diesem Tag zu einem Zopf geflochten hatte; ihr einladendes Lächeln. Und über alldem lag keine Angst. All die Fragen, die sonst gern auftauchen – Wird er dir stehen? Wirst du es ihr ausreichend besorgen? Wird sie sich fallenlassen? – nichts davon klopfte diesmal an die Pforten meines Bewusstseins. Es war, als hätten wir schon zigmal miteinander gefickt, und gleichzeitig war es fremd und aufregend.

Schließlich dieses herausfordernde tu mir weh, kurz nachdem ich ihr meinen Schwanz reingeschoben hatte. Ich hielt einen Moment inne, sagte: »Das kann ich nicht.« Und tat es dann doch.

Natürlich war ihr Körper zur Gänze rasiert.

Am nächsten Tag auf dem Dach der Garage sah ich mich außerstande, irgendetwas zu bereuen. Klara dagegen wirkte reichlich unentspannt. Was erzählte sie da von Beziehungen, von Freundinnen? Was hieß optional im Zusammenhang mit dem Begriff zusammenziehen? Warum redete sie überhaupt so viel? Ich entschied, nicht allzu viel darauf zu geben. Sicher nur ein Machtspiel, eine Diven-Nummer. Wir waren uns in der Nacht so nahegekommen, unvorstellbar, dass Klara ein Wiedersehen davon abhängig machen würde, ob und wie ich ihren Fragenkatalog der Marke Bravo Girl beantwortete. Also lächelte ich und blinzelte schweigend.

Aber das genügte ihr nicht. Sie ließ nicht locker, nervte mich so lange, bis ich an einer Antwort nicht länger vorbeikam. In der Absicht, ihr eine Lektion zu erteilen, beschloss ich, mich unnahbar zu geben.

»Hör zu«, begann ich also, so lässig wie möglich, »ich habe keine Freundin. Und ich verspüre keinerlei Lust, in absehbarer Zeit etwas an diesem Zustand zu ändern. Da ist das Schreiben, mein Interesse an Politik, an praktischer Politik, Demos und so, du weißt schon, da sind meine Freunde, der Sport, das Nachtleben und und und.«

»Okay, das war deutlich«, sagte Klara und schnippte ihre halbgerauchte Kippe in den Hof. Dann schwang sie ihre Beine über die Dachkante, ließ sich nach unten gleiten, und weg war sie.

Ich wartete, versuchte mich mit dem Gedanken zu trösten, dass es immer besser ist, etwas nicht beginnen zu lassen, das mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Happy End besitzt. Und welche Liebesgeschichte endet nicht traurig, so nicht beide gleichzeitig vom selben Wolkenkratzer springen oder unter einen Tanklastzug geraten? Aber der Trick funktionierte nicht. Denn es hatte schon begonnen.

Die Tage dehnten sich zu Traueransprachen, zu Heimaufenthalten, zu Ozeanüberquerungen.

Und genau das ich schrieb ich Klara dann auch. In einer Kurznachricht. Nachdem ich mich fünf Nächte lang mit zuckendem Schwanz, klopfendem Herzen und einem Denkapparat, der einem Reaktor kurz vor der Kernschmelze glich, von einer Seite auf die andere geworfen hatte: »Die Tage dehnen sich zu Traueransprachen, zu Heimaufenthalten, zu Ozeanüberquerungen. Komm her.«

Lehrbuchartig ließ sie mich eine weitere Nacht warten, ließ meine Nervenenden bei jedem Lebenszeichen meines Handys in Lava baden, dann tauchte ihr Name endlich auf dem Display auf.

»Heute Abend. Um neun bei dir. Du besorgst Wein und Jägermeister.«

Da sie nicht geschrieben hatte, was für Wein, besorgte ich roten und weißen. Dazu die größte Flasche Jägermeister (0,7 Liter), die der Supermarkt zu bieten hatte.

Wie bei unserem letzten Treffen war sie auf die Minute pünktlich. Sie trug eine grüne Lederjacke; einen Rock, der so kurz war, dass er sie in Riad oder Doha umgehend ins Gefängnis gebracht hätte; dazu Schuhe mit Keilabsätzen. Als sie mich zur Begrüßung auf die Wange küsste, musste sie sich kaum recken. Was ihren Slip anging, tippte ich auf so ein dünnes Fähnchen, wie sie es beim ersten Mal getragen hatte. Und ich sollte Recht behalten. Der String, den sie mir alsbald präsentierte, hätte knapper nicht sein können.

Wir tranken und rauchten, und vögelten zwischendurch. Damit meine Lust nicht erlahmte, achtete ich peinlich darauf, nicht zu kommen. Jedes Mal, wenn ich kurz davor war, erbat ich eine Pause. Gespräche gab es diesmal kaum, jedenfalls keine, die ernste Themen zum Inhalt gehabt hätten. Dafür wurde beim Sex viel geredet. Je häufiger wir es miteinander trieben, desto stärker beschlich mich der Eindruck, dass Klara sich am Klang meiner Stimme berauschte. Je mehr ich redete, desto schneller ging ihr Atem, je schneller ihr Atem ging, desto mehr wollte sie mich reden hören. Aber es war nicht nur die Stimme allein, es waren vor allem die Geschichten aus meiner Vergangenheit, die Klara merkbar geil werden ließen. Sicher auch, weil das, was ich von mir gab, ihrer Eitelkeit schmeichelte.

Angefangen hatte sie damit.

»Erzähl mir von der hässlichsten Frau, die du je gefickt hast«, hatte sie unvermittelt gefordert.

Ich ließ mich nicht lange bitten und warf den erstbesten Namen ins Rennen, den ich mit der Liste Sexualkontakte, für die deine Freunde dich ausgelacht hätten (oder haben) in Verbindung brachte. Natürlich übertrieb ich ein bisschen, als ich das Äußere der Frau beschrieb, ließ sie altern und aufquellen und dreihundert Mitesser mehr bekommen. Und ich übertrieb auch, als ich Klaras zweite Frage beantwortete, die sich der ersten zwangsläufig anschloss: »Und was hast du mit ihr gemacht? Erzähl mir alles, ganz genau.«

Ich trug deshalb etwas dicker auf, weil ich schnell merkte, dass Klaras Erregtheit besonders von den Stellen befeuert wurde, die nicht unbedingt unter die Kategorie sanfte Erotik fielen. Je weniger nett ich mich in meinen Erzählungen gab, desto größer wurde Klaras Bereitschaft, sich weniger nett behandeln zu lassen.

Im Laufe der Nacht griff ich immer stärker auf meine Fantasie zurück. Zum einen war es so deutlich leichter, Klaras Erwartungen zu bedienen, zum anderen gaben meine Erinnerungen irgendwann schlicht nichts mehr her.

Aber auch meine Fantasie, besser: meine Lust, dieselbe zu bemühen, ließ schließlich nach. Klara wollte das jedoch nicht gelten lassen.

»Komm, bitte. Bitte eine noch«, bettelte sie, wie ein Kind, das nach jeder Gutenachtgeschichte eine weitere hören möchte. Ihre Augen groß wie die eines Streichelzoobewohners.

Dieses naiv Unschuldige stand natürlich im krassen Gegensatz zu dem, was wir taten, war damit aber gleichzeitig auch wieder Antriebskraft unserer Triebhaftigkeit.

Ich gab ihrem Drängen nach, bis das Zusammenspiel von Hirn und Zunge wirklich gar nichts mehr hergeben wollte, bis ich mich fühlte wie ein Barpianist auf Heroin, der immer wieder dieselben drei Töne anschlägt. Aber mein Einsatz hatte sich gelohnt. Klara war glücklich.

»Für mich beim nächsten Mal bitte nur Rotwein«, sagte sie, obwohl sie, nachdem wir den Roten geleert hatten, nicht hatte erkennen lassen, dass sie den Weißen nicht mochte. Dann lächelte sie, seufzte genüsslich und schloss die Augen.

Schon am nächsten Abend war es mit der guten Stimmung allerdings wieder vorbei. Auslöser war die Bedienung des Ladens, in dem wir uns getroffen hatten, eine burschikose, etwas herbe Mittvierzigerin, irgendwo zwischen ganz schön schlau und Guns N’ Roses.

Dass etwas nicht stimmte, merkte ich allerdings erst, als wir im Taxi saßen. Die Zeitspanne davor, wir mochten etwa zweieinhalb bis drei Stunden in der schlechtbeleuchteten Kellerbar verbracht haben, hätte ich ohne zu zögern als harmonisch bezeichnet. Weder hatten wir uns von dem viel zu lauten Elektropunk stören lassen, noch von der hohen Dichte an Menschen, die so wirkten, als wären Tinder, Grindr und Co. einzig erfunden worden, um die Welt an ihrem guten Aussehen und ihrem exquisiten Geschmack teilhaben zu lassen.

Wir hatten pausenlos aneinander herumgefummelt und uns abgefüllt, Klara mit Jägermeister, Mexikaner und Wein, ich mit Tequila Sunrise und Bier. Nun wollten wir zu mir, um das Programm der letzten Nacht zu wiederholen. Klara hatte kurz nach dem Einsteigen noch daran erinnert, dass wir Zigaretten brauchten, also vielleicht eine Tankstelle ansteuern sollten. Umso überraschter war ich, als sie plötzlich sagte: »Du hast sie angebaggert, du Scheißtyp.«

Ich drehte mich um und erwartete ein Lächeln auf ihrem Gesicht, dachte, sie würde scherzen. Aber da war kein Lächeln. Da waren nur Wut und Schmerz. Die Miene versteinert, der Blick ein glühendes Brandeisen.

»Wen angebaggert? Und was heißt das überhaupt angebaggert?«, empörte ich mich. »Das Wort ist schon völlig bescheuert.«

Da ich, von Klara abgesehen, den ganzen Abend über mit nur einer Frau gesprochen hatte, war nicht schwer zu erahnen, um wen es ging: die tätowierte Tresenkraft aus der Ü40-Liga. Zu der war ich, weil gutgelaunt, ausnehmend charmant gewesen. Und auch das Trinkgeld war nicht gerade knapp ausgefallen. Es existierte in meiner Erinnerung aber nichts, was auch nur ansatzweise unter die Rubrik Flirtversuch gefallen wäre. Warum auch, wo ich doch in der Begleitung einer Königin unterwegs war? Ich war deshalb sehr gespannt, was Klara mir konkret vorwerfen würde, und – da es eben nichts gab, was zum Vorwurf getaugt hätte – auch meinerseits bereits wütend.

Aber Klara wurde nicht konkret. Klara schwieg. Und als das Taxi vor dem nächsten Rotlicht stoppte, riss sie die Tür auf und lief davon. Ich wollte ihr hinterher, musste aber ja erst noch bezahlen.

»Meine ist auch so«, ließ sich der Fahrer ungefragt vernehmen. »Vierundzwanzig Jahre verheiratet, aber wenn ich ’ne andere nur mal von der Seite anschaue, gibt’s gleich Kassandra.«

»Kasalla«, korrigierte ich ihn, während ich mein Portemonnaie aus der Hosentasche friemelte und gleichzeitig aufs Taxameter schielte: 17,20 Euro. Ich drückte meinem neuen Freund und Leidensgefährten einen Zwanziger in die Hand: »Stimmt so.«

Der fühlte sich dadurch nur noch mehr animiert, mich an seinem Eheleben teilhaben zu lassen.

»Vierundzwanzig Jahre. Und verliebt wie am ersten Tag«, brüllte er, bevor ich die Tür von außen zuschlagen konnte.

Es dauerte ein paar Minuten, bis ich Klara gefunden hatte. Sie saß rauchend auf der Eingangstreppe irgendeiner Bildungseinrichtung und starrte auf ihr Smartphone.

Als ich Anstalten machte, mich neben sie zu setzen, sprang sie auf und begann auf mich einzuschlagen. Unkontrolliert und nicht allzu hart, aber auch nicht so, dass ich nicht hätte reagieren müssen.

»Du Wichser! Du blöder, dreckiger Wichser! Ich hab gewusst, dass du’s mit mir nicht ernstmeinst«, schrie sie währenddessen.

Ich zog sie an mich, schlang meine Arme um sie und redete beruhigend auf sie ein.

Irgendwann gab sie nach, erschlaffte in meiner Umklammerung, aber auf das, was sie von sich gab, hatte diese körperliche Kapitulation keinerlei Einfluss: »Dass du mir das antun konntest. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie so beschämt worden. Wie die Alte mich ausgelacht hat, als wir gegangen sind. Wie eine Hyäne hat die ausgesehen.«

Ich meinte mich zu erinnern, dass die Bedienung uns zum Abschied mit einem fast schon zärtlichen Wohlwollen zugelächelt hatte. Aber das war nicht das einzige Detail, das meinen Verstand zu sprengen drohte. Verdammt, es ging doch um mich selbst, ich war doch den ganzen Abend an meiner Seite gewesen. Wie konnte die Wahrnehmung zweier Menschen, die Wahrnehmung zweier Zeugen desselben Ereignisses derart weit auseinanderliegen? Aber ich wollte, dass wir hier wegkamen. Hatte keine Lust auf weitere Auseinandersetzungen auf der Straße. Nicht, dass am Ende noch irgendwer die Bullen rief. Also riss ich mich zusammen.

Wieder und wieder beteuerte ich meine Unschuld, führte die Logik ins Feld, pries Klaras Reize, während ich umgekehrt proportional das Äußere der Bardame bis an die Grenzen der Glaubwürdigkeit herabwürdigte (der Herr möge mir diese Sünde verzeihen). Schließlich konnte ich Klara zum Weitergehen bewegen. Und als wir kurz vor meiner Wohnung waren, hatte ich sie soweit. In ihrem Blick lag der erste, zarte Ansatz eines Lächelns.