Kleopatra - Wolfgang Schuller - E-Book

Kleopatra E-Book

Wolfgang Schuller

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Beschreibung

Kleopatra war ihrer kulturellen Herkunft nach Griechin. Für ihr Leben und Schicksal spielte Rom eine entscheidende Rolle. Doch zuallererst war sie Königin des 3000 Jahre alten Ägypten. Vor diesem Hintergrund schildert Wolfgang Schuller die politische Karriere und die Persönlichkeit der letzten Pharaonin. Sichtbar wird eine intelligente Herrscherin und leidenschaftlich Liebende, deren Beziehungen zu Caesar und Mark Anton von der politischen Kraft großer Gefühle zeugen. Diese Biographie spiegelt den neuesten Stand der Wissenschaft wider; gleichzeitig bringt sie eine erstaunliche Vielfalt antiker Quellen zum Sprechen – von ägyptischen Inschriften bis zu Werken großer römischer Dichter. Ihre Stimmen lassen eine schillernde Epoche lebendig werden. «Die Liebe als unberechenbare Macht, die auch Weltgeschichte bewegen kann – das ist der Kern dieser schönen Kleopatra-Biographie.» Die Zeit «Ein lebendiges, leichtes, schnell lesbares Buch.» Süddeutsche Zeitung

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Seitenzahl: 307

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Wolfgang Schuller

Kleopatra

Königin in drei Kulturen

Eine Biographie

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Einleitung

I. GRUNDLAGEN

1. Kapitel: Die Hauptstädte: Alexandria und Memphis

2. Kapitel: Ägypten

3. Kapitel: Die Pharaonin

4. Kapitel: Die griechische Königin

5. Kapitel: Ptolemaios XII. und Rom

II. KLEOPATRAS LEBEN

6. Kapitel: Frühe Jugend

7. Kapitel: Kleopatra und Caesar

8. Kapitel: Kleopatra in den Gärten

9. Kapitel: Kleopatra und Antonius

10. Kapitel: Königin für Rom

11. Kapitel: Kleopatra und Herodes

12. Kapitel: Der Triumph

13. Kapitel: Zug auf Rom

14. Kapitel: Der Sturz

15. Kapitel: Kleopatras Tod

III. ERGEBNISSE

16. Kapitel: Kleopatras Sohn Kaisar

17. Kapitel: Kleopatra regiert

18. Kapitel: Große Politik

19. Kapitel: Kleopatra und die Dichter

20. Kapitel: Kleopatra

21. Kapitel: Königin in drei Kulturen

22. Kapitel: Kleopatras Nachruhm

Schluss

ANHANG

Zeittafel

Bildnachweis

Nachweise

Bibliographie und Abkürzungen

Danksagung

Register

In memoriam Jan Quaegebeur 

EINLEITUNG

Qui voudra connaître à plein la vanité de l’homme n’a qu’à considérer les causes et les effets de l’amour. La cause en est un je ne sais quoi (CORNEILLE), et les effets en sont effroyables. Ce je ne sais quoi, si peu de chose qu’on ne peut le connaître, remue toute la terre, les princes, les armées, le monde entier. Le nez de Cléopâtre: s’il eût été plus court, toute la face de la terre avait changé.

Blaise Pascal

Mit dem Namen Kleopatra verbindet sich vor allem die Vorstellung einer sehr schönen, sehr reizvollen Frau, die die Geliebte bedeutender Römer war, die vom exotischen Reiz des alten Ägypten umweht ist und die durch einen spektakulären Selbstmord endete. Dieses Buch hat sich nicht zum Ziel gesetzt, alle diese Vorstellungen ins Reich der Fabel zu verweisen und alle Kleopatra betreffenden Sachverhalte in falsch verstandener Nüchternheit so zu entzaubern, dass nur noch das Grau in Grau einer vermeintlichen Wissenschaftlichkeit übrig bleibt.

Alle Aussagen des Buches müssen und werden sachlich belegt sein, aber zur Sachlichkeit gehört auch, Irrationales wie unter anderem die Liebe in dem Sinne nüchtern festzustellen, wie Pascal es in dem eben zitierten Aphorismus angedeutet hat. Auch sie kann ja eine historische Kraft sein, wenn die Konstellation der politischen Faktoren danach ist, und bei Kleopatra war sie es. Diese politischen Faktoren waren zudem in ihrem Fall außerordentlich vielgestaltig, so vielgestaltig, dass es eine schwer zu lösende Aufgabe ist, die in komplexer Weise miteinander verflochtenen Dimensionen ihrer Geschichte auseinander zu halten und in einer fortlaufenden Darstellung zu schildern.

Das Buch versucht, dieser Aufgabe zum einen in einem Dreischritt gerecht zu werden. Im ersten Teil werden einige Grundlagen für das Verständnis des Geschehens gelegt, im zweiten Teil wird Kleopatras Leben in zeitlicher Reihenfolge erzählt, und der letzte Teil bringt zusammenfassend wieder Querschnitte und Schlussfolgerungen. Vor allem im erzählenden Teil sollte die Offenheit des Geschichtsablaufs in Rechnung gestellt werden. Es wäre pedantisch, das jedes Mal eigens zu betonen, aber man muss sich gleich zu Anfang klar machen, dass die sehr dramatischen Ereignisse mit ihrem Auf und Ab kaum so vor sich gingen, als ob es gar nicht anders möglich gewesen wäre. Im Gegenteil folgte ein Umschwung, folgte eine neue nicht vorhersehbare Konstellation auf die andere und erforderte neue Entscheidungen. Erst dann können Leben und auch Leistung Kleopatras angemessen gewürdigt werden.

Zum anderen will das Buch Ernst mit der Tatsache machen, dass Kleopatra in drei Kulturen lebte, in der ägyptischen, der griechischen, der römischen, jedoch in jeweils verschiedener Weise. Besonderes Gewicht wird auf die Tatsache gelegt, dass sie ägyptische Königin war und so in einer drei Jahrtausende alten Tradition stand. Insofern die ägyptische Geschichte und Kultur einen besonderen Reiz ausüben, werden diese Passagen hoffentlich davon nicht unberührt bleiben, aber auch sie werden nicht über das zu Verantwortende hinausgehen. Rom spielte in Kleopatras Leben und Schicksal eine im Wortsinn entscheidende Rolle, es ist im Buch aber darauf geachtet worden, alles nur insoweit zu berichten, als es auf Kleopatra Bezug hat, und der Gefahr zu entgehen, längere Ausführungen über Ereignisse der römischen Geschichte überhaupt zu machen.

Die Quellenlage ist von einer merkwürdigen Diskrepanz. Die meisten und wichtigsten erzählenden Texte sind nicht zeitgenössisch, Plutarch, Appian und Cassius Dio schrieben lange nach den Ereignissen, Dio sogar über zweihundert Jahre später. Zudem tragen sie deutliche Kennzeichen von Siegerhistoriographie, was im Fall Kleopatras heißt, dass die heftige gegen Kleopatra gerichtete Propaganda Octavians, der bald nach seinem Sieg zum Kaiser Augustus wurde, die Berichte stark prägte. Weil die Texte aber nicht einheitlich sind und auch abweichende Meinungen und Varianten enthalten, ist es alles in allem dennoch möglich, sowohl die nur mittelbare Authentizität der Nachrichten als auch deren propagandistische Züge zu erkennen und zu berücksichtigen.

Andererseits sind wir in der ganz ungewöhnlich bevorzugten Lage, wegen der Besonderheit Ägyptens über viele zeitgenössische und vollkommen authentische Quellen zu verfügen. Wir haben neben den sehr aussagekräftigen Münzen zahlreiche ägyptische – hieroglyphische und demotische – Inschriften, zu denen auch diejenigen gehören, die die Wände der Tempel bedecken und die nicht nur unmittelbar Religiöses betreffen. Die Tempel selber sind eine weitere Quelle insbesondere für die ägyptische Dimension von Kleopatras Geschichte, und schließlich verfügen die Skulpturen vor allem mit Darstellungen Kleopatras selber und anderer Angehöriger der herrschenden Schicht über eine unvergleichliche Aussagekraft.

Zudem besitzen wir die Papyri, also im trockenen Wüstensand oder als Mumienkartonage konservierte Schriftstücke, von hochoffiziellen Erlassen bis hin zu völlig privaten Texten. Gerade sie eröffnen uns Einblicke in Kleopatras Geschichte, die das Bild, das uns die literarischen Quellen bieten, zumindest ergänzen, wenn nicht modifizieren. Trotzdem sind die literarischen Texte unabdingbar, nicht nur deshalb, weil Inschriften, Papyri und materielle Hinterlassenschaften oft lückenhaft und schwer zu interpretieren sind, sondern weil die Literatur die Einzelereignisse in den Zusammenhang stellt und auch Nachrichten über ganz anders geartete Vorgänge und Sachverhalte liefert, als das Inschriften oder Papyri bieten können.

Der Lebendigkeit und der Authentizität wegen werden viele Quellen wörtlich zitiert, gewiss in Übersetzung – nur manche kurzen lateinischen Sätze auch in der Originalsprache–, und wenn es sich um gebundene Rede handelt, ebenfalls in Versen. Schon vorliegende Übersetzungen werden meist leicht verändert, falls kein Name genannt ist, habe ich übersetzt.

I.GRUNDLAGEN

1.Kapitel

DIE HAUPTSTÄDTE: ALEXANDRIA UND MEMPHIS

Mit weißem Mehl ließ Alexander der Große nach der Eroberung Ägyptens den Grundriß einer am Meer zu gründenden Stadt im Freien auf den Boden zeichnen – da kamen unzählige Vögel aller Arten und vertilgten das Mehl. Alexander war über dieses vermeintlich schlechte Vorzeichen bestürzt, die Seher aber sagten, im Gegenteil werde diese Stadt unzählig vielen Menschen aller Arten Platz bieten und sie ernähren. Die Seher hatten Recht. Alexander gründete die Stadt, benannte sie nach sich selber Alexandria, und bis auf den heutigen Tag ist sie, obwohl sie im 20.Jahrhundert leider viel Kosmopolitisches hat einbüßen müssen, immer noch eine der lebendigsten Städte Ägyptens und der Welt.

Alexander starb zu früh, als dass er sein riesiges Reich von diesem Alexandria aus wenigstens zeitweise hätte regieren können. Das Reich zerfiel in mehrere Königreiche, die meist von seinen Generälen regiert wurden, das Zeitalter des Hellenismus begann. In Ägypten herrschte Ptolemaios, Sohn des Lagos, der sich dann König nannte und dessen Dynastie der Lagiden oder Ptolemäer drei Jahrhunderte lang Ägypten und viele andere Teile der antiken Welt beherrschte. Ihm war es gelungen, Alexanders Leichnam nach Alexandria zu bringen, sodass in dieser Stadt mit dem Alexandergrab ein religiös legitimierendes Zentrum der damaligen Welt entstand. Am Ende der Dynastie stand Kleopatra, nach heutiger Zählung die siebente ägyptische Königin dieses Namens – aber nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil sie tatsächlich die weitaus bedeutendste dieser Königinnen war, werden wir sie in diesem Buch nur Kleopatra nennen. Während ihrer Regierung war Alexandria schon lange eine pulsierende Weltstadt, ein politisches und geistiges Zentrum der damaligen Welt, viele verschiedene Völkerschaften lebten hier, und von hier aus betrieben die Ptolemäer und also auch Kleopatra ihre Politik. Welche Vorstellungen haben wir uns also von dieser ihrer Stadt zu machen?

Seltsamerweise stammt die immer noch beste Beschreibung der Topographie Alexandrias von dem Historiker und Geographen Strabon, der Kleopatras Zeitgenosse war und sich von 24 bis 20v.Chr. in der Stadt aufhielt, sie also sechs Jahre nach Kleopatras Tod betreten hatte. Seltsam ist das deshalb, weil in den meisten anderen Fällen die moderne Archäologie ganz wesentliche Anteile an unseren Kenntnissen antiker Städte bereitgestellt hat. Für Alexandria ist das aber deshalb sehr schwierig bis unmöglich, weil zum einen das Meer wichtige Teile der Stadt überflutet hat und weil zum anderen die übrigen Teile überbaut sind, sodass man nicht ausgraben kann. Allerdings gibt es neuerdings die Unterwasserarchäologie, die mit Bildbänden und Ausstellungen beansprucht, Entscheidendes von dem endlich ans Licht gebracht zu haben, was seit zweitausend Jahren auf dem Meeresgrund gelegen hatte. Gerade die königlichen Paläste der Ptolemäer und wohl auch Kleopatras selber, die sogar ein Drittel der gesamten Stadt ausmachten, gehören dazu, und es hätte ein Leichtes sein müssen, sie zusammen mit ihrer üppigen Einrichtung sozusagen von dem ja nicht tiefen Meeresboden einfach aufzusammeln.

Die Ausgrabungen haben jedoch zwar zahlreiche neue Erkenntnisse über die östlich Alexandrias liegenden Städte Kanopos und Herakleion, über Alexandrias Topographie und über den Küstenverlauf gewonnen, aber gerade die königlichen Paläste und so auch der Palast Kleopatras sind nach wie vor nur chaotische Trümmerhaufen. Daher müssen wir uns bis jetzt wenigstens mit dem begnügen, was wir bisher schon meist aus literarischen Quellen gewusst haben, wenig ist es ja glücklicherweise nicht. Strabons Bericht freilich, so informativ er ist, kann wegen seiner Länge hier nicht wiedergegeben werden, stattdessen beginnen wir mit der enthusiastischen Schilderung durch den Alexandriner Achilleus Tatios, einen Schriftsteller des 2.Jhs. n. Chr., der in seinem Liebesroman «Leukippe und Kleitophon» schreibt:

Als ich die Stadt durch das so genannte Sonnentor betrat, schlug mich sogleich ihre strahlende Schönheit in ihren Bann und füllte meine Augen mit Entzücken. Zur Linken und zur Rechten erstreckte sich eine geradlinige Reihe von Säulen vom Sonnentor bis zum Mondtor– Sonne und Mond sind nämlich die Torhüter der Stadt–, und in der Mitte der Säulenreihe dehnte sich die Stadtebene. Die Ebene durchzogen unzählige Straßen, und man konnte in seiner eigenen Heimatstadt weite Reisen unternehmen. Nachdem ich wenige Stunden in der Stadt zurückgelegt hatte, gelangte ich an den nach Alexander benannten Platz. Von hier aus sah ich eine zweite Stadt und eine folgendermaßen aufgeteilte Schönheit: ebenso lang wie die Säulenreihe, der ich entlanggewandert war, war eine andere, die die erste im rechten Winkel schnitt. Ich aber, bemüht, meine Augen auf alle Straßen aufzuteilen, war ein unersättlicher Betrachter, und doch überstieg es meine Kräfte, die ganze Schönheit zu sehen.

Plan von Alexandria

Das Viertel der königlichen Paläste, das die Hafenbucht im Osten abschloss, dehnte sich deshalb immer mehr aus, weil jeder der etwa zwanzig Könige sich seinen Palast baute. Im Inneren waren die Paläste, wie es der Selbstdarstellung der hellenistischen Herrscher entsprach, mit großer Pracht gebaut und eingerichtet. Der kaiserzeitliche Dichter Lukan schildert in seinem Epos über den Bürgerkrieg das Gastmahl, das die junge Kleopatra dem römischen Eroberer Gaius Iulius Caesar gibt, der kurz vorher ihr Geliebter geworden war – auch davon wird in diesem Buch später im Zusammenhang die Rede sein. Gewiss mögen die Farben seines Stils allzu prächtig sein, gewiss sind innerliterarische Maßstäbe anzulegen, wodurch manches gedämpft werden muss, zu unserer Erleichterung zeigen aber seriöse Vergleiche mit anderen erhaltenen Bauten in Griechenland und Makedonien durch die – sozusagen – Festlandsarchäologie, dass wir uns im Allgemeinen doch auf Lukans Schilderung verlassen können:

Einem Tempel war ähnlich der Ort, wie kaum ihn errichtet

Ein verderbtes Geschlecht; es trugen getäfelte Decken

Reichtum und gediegenes Gold verhüllte die Balken.

Nicht mit geschnittenem Marmor belegt erglänzen die Wände;

Nein, die Säulen sind von Achat, der völlig für sich steht,

Und von Purpurstein; in der weitverbreiteten Halle

Tritt man auf Onyx; nicht bedeckt die gewaltigen Pfeiler

Meroes Ebenholz, es steht wie gemeineres Holz nur,

Stoff, nicht Zierde des Hauses allein. Die Säle bekleidet

Elfenbein, und die Schale der Schildkröt’ Indiens ist an

Türen geheftet, die Flecken geziert mit vielen Smaragden.

Polster ruhen auf Edelgestein, gelb schimmert von Jaspis

Häuslich Gerät, und Decken erglänzen, in tyrischer Farbe

Lange gekocht, nicht nur in Einem Kessel bereitet;

Der Teil strahlt mit Golde gestickt, der feurig im Scharlach,

Wie man zu mischen pflegt die Fäden am pharischen Webstuhl.

Nach dem königlichen Luxus nun ein paar Worte zur Bevölkerung. Sie war sehr selbstbewusst, und jahrhundertelang neigte sie bis in die Spätantike hinein, wenn nicht sogar zu Aufständen, dann mindestens doch dazu, ihre Meinung sichtbar und lautstark zu artikulieren; nicht umsonst hatte Caesar nicht nur gegen ptolemäische Truppen, sondern auch gegen die romfeindlichen Alexandriner zu kämpfen. Zu ihrer Anzahl sagt Achilleus Tatios:

Blickte ich auf die Stadt, konnte ich kaum glauben, dass eine Einwohnerschaft sie mit Menschen füllen sollte, betrachtete ich aber die Einwohnerschaft, so staunte ich, dass eine Stadt sie fassen sollte; so ausgewogen war deren Verhältnis zueinander.

In Zahlen: Alexandria wurde zur Zeit Kleopatras von mehr als 300000 steuerzahlenden Freien bewohnt, und wenn man die anderen sowie die Sklaven hinzunimmt, dürfte es eine Millionenstadt gewesen sein. Entsprechend drängten sich die Menschen in den Straßen, und es dürfte sich wohl nicht nur auf Feste beziehen, wenn der hellenistische Dichter Theokrit Frauen in seinem Gedicht über die Frauen am Adonisfest etwa ausrufen lässt:

Welche Menge, ihr Götter! Wie nun gelangen wir endlich

Durch die Plage hindurch? Ameisen, unzählig und endlos!

[…]

Schauderhaft! Gorgo, gib mir die Hand. Du, Eunoa, fasse

Eurychis. Und pass auf, dass uns der Trubel nicht fortreißt.

Ethnisch war die Bevölkerung gemischt; die wichtigsten, auch jeweils in sich organisierten Volksgruppen waren Griechen und Makedonen, natürlich sehr viele Ägypter, die im Stadtteil Rhakotis wohnten – in Theokrits Gedicht fühlten sich manche Griechinnen von ihnen belästigt–, sowie Syrer, die jüdische Gemeinde stellte einen besonders charakteristischen und aktiven Teil der Alexandriner dar. Wie sehr die alexandrinischen Juden einerseits präsent, andererseits aber auch hellenisiert waren, zeigt die in Alexandria entstandene Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, die Septuaginta, die deshalb nötig war, weil die Juden nicht mehr Hebräisch sprachen.

Dementsprechend zahlreich und vielfältig waren die Götter, denen in Alexandria gehuldigt wurde. Die Stadt war übersät mit Tempeln, hervorzuheben ist zunächst der des durch die Ptolemäer sehr erfolgreich geförderten Sarapis. Ihm war im südöstlichen Teil der Stadt ein besonders hervorstechender Tempel gebaut worden, von dem noch der Historiker Ammianus Marcellinus aus dem 4.Jh. n. Chr. schreibt:

Außerdem gibt es hier Tempel mit hochragenden Giebeln. Besondere Bedeutung unter ihnen hat das Serapeum, das zu beschreiben Worte nicht ausreichen. Seinen Schmuck bilden weite Säulenhallen, lebensvolle Statuen und viele weitere Kunstwerke in einem solchen Ausmaß, dass die Welt nichts Prunkvolleres kennt, abgesehen vom Kapitol.

Sogar mehrere Tempel gab es für die ägyptische Göttin Isis, die gerade zu Kleopatras Zeit dabei war, auf das ganze Mittelmeergebiet überzugreifen. Selbst in Rom fasste sie Fuß, und gelegentliche Verbote erwiesen sich als nutzlos und mussten wieder aufgehoben werden.

Überhaupt war Alexandria ein, wenn nicht das kulturelle Zentrum der griechischen Welt, und diese kulturelle Führungsposition verdankte sich der Kulturpolitik der Dynastie der Ptolemäer. Zwei Institutionen waren die hauptsächlichen Instrumente dieser Politik, das Museion und die Bibliothek. Das Museion war insofern eine Art Akademie der Künste und der Wissenschaften, als die berühmtesten und bedeutendsten – was bekanntlich nicht immer dasselbe ist – Dichter und Gelehrten der gesamten griechischen Welt dort als Stipendiaten leben und wirken konnten. Seinen Namen hatte das Museion – aus dem unser Wort Museum hervorgegangen ist – von seiner Organisationsform als religiöser Kultverein der neun Musen. Die Bibliothek gehörte dazu, sie umfasste schließlich etwa eine halbe Million von Buchrollen und repräsentierte die gesamte künstlerische und wissenschaftliche Literatur der griechischen und außergriechischen – in Übersetzung– Welt. Zwar hatte die geistige Energie Alexandrias seit den ersten Jahrzehnten seines Bestehens allmählich abgenommen, aber gerade in Kleopatras Zeit hatte es wieder einen neuen Aufschwung gegeben.

Wo genau sich Museion und Bibliothek befanden, wissen wir nicht. Sie müssen in dem Viertel – oder Drittel – der Stadt gelegen haben, in dem sich auch die königlichen Paläste befanden. Auch die weitere Topographie Alexandrias ist nur bruchstückhaft bekannt, großenteils aus Strabon. Die Stadt lag – und liegt – an einer Meeresbucht, die im Osten durch die Halbinsel Lochias, im Westen durch die Insel Pharos begrenzt wird; südlich lag der Mareotissee, sodass Alexandria nördlich und südlich von Wasser begrenzt war. Die Insel Pharos trug den größten Leuchtturm der antiken Welt. Er wurde oft besungen, so von dem Dichter Diodor von Sardes, der zur Zeit Kleopatras lebte:

Pharos bin ich, ein Turm auf dem Felsen im Meere; ich heiße

So wie die Insel und bin schirmenden Hafens Symbol.

Ein weiterer Augenzeuge, nämlich Caesar, beschreibt ihn detaillierter in seiner Darstellung des Krieges, den er in Alexandria als eine Art Häuserkampf führen musste, wir werden auf ihn noch zu sprechen kommen:

Der Pharos liegt auf einer Insel und ist ein Turm von gewaltiger Höhe, ein Wunderwerk der Baukunst. Seinen Namen hat er von der Insel. Diese liegt Alexandria gegenüber und bildet den Hafen. Frühere Könige ließen eine Mole von 800Schritt ins Meer hinaus bauen, sodass die Insel durch eine schmale Straße wie durch eine Brücke mit der Stadt verbunden ist. Auf dieser Insel befinden sich die Häuser einiger Ägypter und ein Stadtteil in der Größe einer kleinen Stadt. Die Einwohner dort pflegen die Schiffe, die aus Unvorsichtigkeit oder wegen eines Sturmes ein wenig von ihrem Kurs abkommen, nach Seeräuberart zu plündern.

Die Mole maß etwa sieben Stadien (das Längenmaß Stadion beträgt etwa 190Meter) und wurde demgemäß Heptastadion genannt; dieser Damm hat sich durch Anschwemmungen inzwischen so verbreitert, dass er zusammen mit Pharos heute selber Festland geworden ist. Die durch das Heptastadion gebildete östliche Bucht war der Große Hafen, während westlich davon der Eunostos-Hafen lag.

Das Palastviertel war in große Rechtecke eingeteilt und erstreckte sich von der Halbinsel Lochias bis weit auf das südlich gelegene Festland. Dort grenzte es an die Wohnviertel, die von der großen von West nach Ost verlaufenden Hauptachse der Kanopischen Straße durchzogen und, wie Achilleus Tatios schreibt, im rechten Winkel von der nordsüdlich verlaufenden Palaststraße gekreuzt wurden. Die Kanopos-Straße, die am Sonnen-Tor endete, führte nach Kanopos im Osten, an ihr lagen die öffentlichen Gebäude der Stadt, die sie wie jede andere griechische Stadt auch aufwies, die Agora, also der Marktplatz, das Gymnasion, wo sportliche und geistige Unterweisungen und Übungen stattfanden, und das Gerichtsgebäude. Das Theater lag weiter nördlich noch im Palastviertel. Auf der Kanopos-Straße fanden die für ein hellenistisches Königtum wichtigen repräsentativen Umzüge und Paraden statt, das Gymnasion diente auch der Verkündung politischer Entscheidungen – beides wird gerade in der Geschichte Kleopatras eine wichtige Rolle spielen.

Die Pracht Alexandrias zeigte sich in vielfältigster Weise; zum Schluss soll nur etwas Besonderes erwähnt werden, das nicht oft anzutreffen sein dürfte. PtolemaiosII. leistete sich zahlreiche Hetären, also schöne Frauen, mit denen er außerehelichen Umgang pflegte. Das geschah ganz offiziell, von einigen kennt man auch die Namen, und von zweien wurden sogar öffentlich Standbilder aufgestellt. Der Historiker Polybios erzählt, dass in den Tempeln von Alexandria viele Statuen von Kleino, der Mundschenkin des Königs, gestanden hätten, nur mit einem Chiton, also einem Untergewand bekleidet und ein Trinkhorn in den Händen; und von einer Stratonike wissen wir nicht nur, dass sie Sarapis und Isis Weihegaben gestiftet hatte, sondern dass eine große Statue von ihr östlich von Alexandria am Meer bei dem eleganten Vorort Eleusis stand.

Womöglich derbere Vergnügungen bot das weiter östlich gelegene Kanopos, es wird, auch durch den Mund Kleopatras, in diesem Buch mehrfach als Vergnügungsort erwähnt. Strabon schreibt:

Eine große Menge kommt von Alexandria, um auf dem Kanopos-Kanal zu feiern. Denn jeden Tag und jede Nacht ist er voll von Männern und Frauen, die teils auf Booten Flöte spielen und enthemmt mit der letzten Ausgelassenheit tanzen, teils in Kanopos selbst in Gasthäuser gehen, die am Kanal liegen und für solche Zügellosigkeit und Wohlleben zur Verfügung stehen.

Alexandria war die jüngste ägyptische Großstadt, die älteste war Memphis. Es lag dort, wo der Nil noch ein einheitliches Flußbett hat, sich aber bald darauf in die Arme seines Deltas aufteilt. Memphis war seit Gründung des ägyptischen Reiches die Königsstadt, die erst viel später ihre Rolle als wichtigste Stadt vor allem an das südliche Theben abgeben musste, und das auch nur zeitweise. Vor dem Ausbau Alexandrias hatten die Ptolemäer von Memphis aus regiert, Alexanders Leichnam wurde zuerst nach Memphis gebracht, Memphis blieb für ganz Ägypten die Stadt der unzähligen Tempel, und vor allem wurden die Pharaonen, auch die der Ptolemäerdynastie, dort gekrönt. Alexandria und Memphis, das sind auch Kleopatras Hauptstädte, in Alexandria war sie griechische Königin, in Memphis der weibliche Pharao. Strabon beschreibt die Stadt so:

Memphis ist die Königsstadt der Ägypter […]. In ihr sind Tempel, so der des Apis, der auch Osiris ist, wo der Apisstier in einer Art Heiligtum gehalten und […] für einen Gott angesehen wird. Seine Stirn und andere kleine Partien seines Körpers sind weiß, das andere schwarz, und durch diese Zeichnung beurteilen sie, wer für die Nachfolge infrage kommt, wenn der gestorben ist, der diese Ehre innehatte. Vor dem Heiligtum liegt ein Hof, in welchem sich ein anderes Heiligtum für die Mutter des Stieres befindet. In diesen Hof führen sie den Apis zu einer bestimmten Stunde, insbesondere um ihn den Fremden zu zeigen, denn man kann ihn zwar durch ein Fenster des Heiligtums erblicken, man möchte das aber auch von außen tun. Wenn er dort eine Weile herumgelaufen ist, wird er wieder in seinen gewohnten Stall geführt.

Das also ist der Apistempel, der neben dem Tempel des Hephaistos liegt, und dieser Hephaistostempel selber ist prachtvoll sowohl in Bezug auf die Größe des Baues als auch in allem anderen. Davor steht auf einer breiten Fläche ein aus einem einzigen Stein gearbeiteter Koloss. Es ist üblich, auf dieser Fläche Stierkämpfe abzuhalten, und es gibt Männer, die für diesen Zweck die Stiere aufziehen, so wie Pferdezüchter. Die Stiere werden losgelassen und kämpfen gegeneinander, und wer für den besten gehalten wird, bekommt einen Siegespreis. Es gibt in Memphis auch einen Tempel der Aphrodite, die für eine griechische Göttin gehalten wird, einige sagen jedoch, es sei der Tempel der Selene.

Es gibt in Memphis auch einen Sarapistempel an einer Stelle, die so sandig ist, dass durch die Winde Sanddünen aufgehäuft werden, unter welchen die Sphingen teils bis zum Kopf begraben, teils halb sichtbar sind. Deshalb kann man sich die Gefahr für denjenigen denken, der zum Tempel gehen will und den dabei ein Sandsturm überfällt. Die Stadt ist groß und volkreich, kommt gleich nach Alexandria und hat wie sie eine gemischte Bevölkerung. Seen liegen vor der Stadt und den Königspalästen; diese Paläste erstrecken sich von den Höhen bis hinunter zum Niveau der Stadt, sind aber jetzt verfallen und leer. Neben der Stadt sind ein Hain und ein See.

Zu Strabons, also auch zu Kleopatras Zeit waren die altägyptischen Paläste verfallen, die Ptolemäer residierten ja in Alexandria. Was aber geblieben war, waren die Tempel, es gab viel mehr, als Strabon hier schildert. Allerdings sind die beiden wichtigsten in der Tat der Apis-, also der Hephaistostempel, denn in Apis wurde der ägyptische Schöpfergott Ptah verehrt, und Hephaistos ist dessen gräzisierte Namensform, sowie der weiter westlich hinter einem Nilkanal auf einer Anhöhe gelegene Sarapistempel, der dem zum Osiris gewordenen Apis galt und zu dem die Sphinxallee führte. In diesem Teil von Memphis lag auch der große Tempelbezirk für den hundsköpfigen Gott Anubis und der ebenso große Tempelbezirk des Bubasteion mit der grandiosen, schon im 5.Jh. von Herodot bewunderten Tempelanlage für die Katzengöttin Bastet. Und natürlich war alles von riesigen, Gewerbe und Handel treibenden Menschenmassen bevölkert, die hier ihre Behausungen hatten, ganz vorwiegend Ägypter.

Die Stadt im Tal dagegen hatte, wie Alexandria, einen großen Anteil an Fremden, die ebenso in abgegrenzten Vierteln wohnten: Phöniker, Karer, Griechen, Idumäer, Juden und andere, und auch hier Werkstätten, Gasthäuser und Geschäfte. Hier befanden sich das Theater, das Gymnasion, das Hippodrom, hier erstreckten sich Weinanpflanzungen, Gärten, Parks, hier legten die Schiffe an, und hier maß das offizielle Nilometer den Wasserstand des Nils – es hat sich sogar aus späterer Zeit ein Papyrus mit einer offiziellen Wasserstandsmeldung erhalten:

Der Gott und Herr Nil ist angestiegen im 8. und 9.Jahre, 17. bis 18.Toth um 2Fingerbreiten, das ergibt 13Ellen 4Fingerbreiten. Der vorjährige Anstieg betrug 14Ellen 8Fingerbreiten.

Hier im Tal gab es die zentralen Heiligtümer für den Stiergott Apis und für Ptah – und genau dort war die Krönungsstätte der Pharaonen, also auch der Könige, deren letzter die Königin Kleopatra war. Wir haben das große Glück, die Krönungszeremonie durch den Priester des Ptah in einer Inschrift zu besitzen, die die Krönung von Kleopatras Vater PtolemaiosXII. schildert. Es ist die nach einem früheren Besitzer benannte Stele Harris, eine in London aufbewahrte Grabinschrift des obersten Ptah-Priesters Psen-PtahIII., Angehöriger einer alten Familie, in der das Priesteramt erblich war.

In dieser wohlerhaltenen Inschrift stellt er seinen Lebenslauf von der Geburt bis zum Tode dar. Geboren war er unter Seiner Majestät dem König von Ober- und Unterägypten, dem Herrn der Beiden Länder, Ptolemaios dem Rettergott – PtolemaiosIX., Kleopatras Großvater –, gestorben unter Ihrer Majestät, der Herrin der Beiden Länder Kleopatra und ihrem Sohn Kaisaros. Dazwischen lag unter anderem die Krönungszeremonie für Kleopatras Vater:

Ich war es, der den Uräuskragen – die Uräusschlange ist die die Feinde abschreckende Kobra – am Haupt des Königs anbrachte am Tag, als ihm die Beiden Länder – Ober- und Unterägypten – vereinigt wurden, und ich vollzog an ihm alle Riten in den Sedfesthäusern. Ich war es, der alle geheimen Ämter anführte. Ich war es, der die Anweisungen für die Reinigung des Horusfalkens gab bei der Geburt des Kindes des Sonnengottes Re im Goldenen Haus. Man begab sich dann zu dem Palast der Könige der Griechen, der am Strand des Meeres westlich von Rakotis – Alexandria – gelegen ist. Der König von Ober- und Unterägypten, der Herr der Beiden Länder, der Gott Philopator Philadelphos, der Jugendliche Osiris, erschien feierlich aus seinem Palast des Lebens und des Wohlergehens, und begab sich zum Tempel der Isis […]. Er veranstaltete für sie eine Menge von großen Opfern. Dann verließ der König den Tempel auf seinem Kriegswagen.

Aber auch später besuchte der König gelegentlich Memphis und seine Tempel, wobei, wie bis heute bei Staatsbesuchen üblich, natürlich auch für das Vergnügen gesorgt wurde:

Der König erschien in der Weißen Mauer – so hieß Memphis auch auf Griechisch, leukon teichos – und fuhr in seinem Schiff aufwärts und abwärts, um beide Teile der Stadt zu erblicken, und landete bei – dem Stadtteil – Anchtawi. Er fuhr weiter zum Heiligtum, begleitet von seinen Hofbeamten, seinen Frauen, seinen königlichen Kindern und allen seinen für das Fest bestimmten Dingen. Sie saßen beim Mahl und hatten eine schöne Zeit bei allen Göttern und Göttinnen, die in Khanufe wohnen. Er neigte seine Weiße Krone zu mir, weil ich ein bedeutender Mann war…

Bemerkenswert ist zwar, dass all das von Kleopatra nicht berichtet wird, jedoch dürfte das an den Zufällen der Überlieferung liegen, sie mag von einem anderen Priester gekrönt worden sein. Dass sie ihre Beziehungen zu den Priestern vernachlässigt hätte, kann jedenfalls daraus nicht geschlossen werden, das Gegenteil war der Fall. Der wunderbare Tempel von Dendera in Oberägypten ist fast ausschließlich unter ihrer Regierung gebaut worden, Einzelheiten und weitere Beispiele werden noch erzählt werden. Welche zentrale Rolle die Krönungsstadt Memphis in ihrer Religionspolitik gespielt hatte und wie eng Memphis und Alexandria zusammenhingen, zeigt sich zudem im Krönungsritual. Die eigentliche Krönung nach ägyptischem Ritus mit der Uräusschlange geschah im Ptahtempel von Memphis, dann begab man sich nach Alexandria zu einem Isistempel; der Streitwagen könnte sowohl ägyptisch als auch griechisch gewesen sein.

2.Kapitel

ÄGYPTEN

Zu Lebzeiten Kleopatras hatte es Ägypten als Staat und Kultur schon seit mehr als 3000Jahren gegeben – das ist eine Zeitspanne, deren ungeheures Ausmaß man sich am leichtesten dadurch klar macht, dass man von heute 3000Jahre zurückrechnet: Dann wäre man im Jahre 1000 vor Christi Geburt, und es muss hier nicht ausgemalt werden, welchen Veränderungen Europa in dieser Zeit unterlegen ist. Ägyptische Kultur und Geschichte hatten während dieser Zeit natürlich auch erhebliche Wandlungen durchgemacht, es hatte tiefe Einbrüche gegeben, aber im Vergleich mit der europäischen Geschichte war Ägypten in einer kaum vorzustellenden Weise mit sich selber identisch geblieben.

Nicht nur für Laien sind die aus der letzten Phase der ägyptischen Geschichte, also die aus der Ptolemäerzeit stammenden Tempel von Dendera und Edfu mit ihrer Architektur, ihren hieroglyphischen Inschriften und ihren Darstellungen von Königen und Göttern kaum von ägyptischen Kunstwerken anderer Zeiten zu unterscheiden – die Fachwelt sieht zwar die Unterschiede zu früheren Zeitabschnitten und die Weiterentwicklungen auch in Sprache, Schrift und Inhalt der Texte, jedoch sind auch für sie Kontinuität und partielle Identität mit allem Früheren selbstverständlich. Sogar ein Ägypter früherer Epochen würde mit Interesse wahrnehmen, was sich im Verhältnis zu seiner Zeit verändert hat, aber er würde sich ohne weiteres zurechtfinden, die Tempel, ihr Bildschmuck, ihre Texte, ihr Götterkult wären nichts ganz Fremdes für ihn.

Ägypten und der Mittelmeerraum

Diese Tempel von Dendera und Edfu – nördlich und südlich des alten Theben, heute Karnak und Luxor, auf der Westseite des Nils gelegen – werden nicht nur deshalb zum Ausgangspunkt unserer Erzählung gemacht, weil sie die besterhaltenen ägyptischen Tempel überhaupt sind, und nicht einmal nur deshalb, weil sie von der Dynastie errichtet worden sind, der Kleopatra als letzte und neben ArsinoeII. bedeutendste Königin entstammt, auch im Vergleich mit den meisten ihrer männlichen Vorgänger. Vor allem sind es Darstellungen und Inschriften dieser Tempel, in denen sie selbst und ihr Sohn und Mitregent Ptolemaios Kaisar als ägyptische Pharaonen erscheinen, legitime Verkörperungen einer ungeheuer langen Traditionslinie, die mit den Pyramidenbauern der 3. und 4.Dynastie ihren ersten gewaltigen Ausdruck gefunden hatte. Da Kleopatra und Kaisar wirkliche ägyptische Pharaonen waren – und nicht nur wie anschließend die römischen Kaiser diese Rolle nur pro forma innehatten–, muss in diesem einleitenden Kapitel skizziert werden, wovon mit dieser Feststellung überhaupt die Rede ist.

Dass Ägypten in der Frühzeit aus den beiden Teilen Ober- und Unterägypten vereinigt worden war, war nicht nur eine ägyptische Legende, sondern entspricht auch der historischen Wirklichkeit. Von Oberägypten ausgehend, war das Land gegen Ende des 4.Jahrtausends unter einem einzigen König vereinigt worden und entwickelte alsbald eine einheitliche, zentralistische Staatsstruktur. Gleichwohl blieb die Einteilung des Landes in Ober- und Unterägypten immer lebendig und zeigte sich in vielen Symbolen bis zum Ende der ägyptischen Geschichte: Einer der fünf Königstitel war «König von Ober- und Unterägypten»; ein wichtiger ritueller Akt war die «Vereinigung der beiden Länder», und jeder Landesteil hatte seine spezifische Königskrone. Die hohe weiße Krone war die Oberägyptens, die gedrungene rote die Unterägyptens, und meistens trugen die Könige beide Kronen ineinander gesteckt, wie etwa noch Kleopatras Sohn Kaisar auf dem Relief der Südwand des Tempels von Dendera. Trotzdem wurden sie nicht nur voneinander unterschieden, sondern wurden durchaus auch separat getragen, so noch von PtolemaiosXII. bei seinem Besuch beim Ptah-Priester in Memphis.

Das bebaubare Land wurde als Eigentum des Königs angesehen und in einem wohldurchdachten Abgabensystem erfasst, das vor allem der geregelten Versorgung der Bevölkerung diente; die Josephsgeschichte des ersten Buches Mose gibt einen Begriff davon. Ein Beamtenapparat entstand, der sich neben dieser Wirtschaftsverwaltung vor allem mit der Rechtsprechung befasste und sehr bald schon ein Beamtenethos entwickelte, das mit seinem auch allgemein geltenden Gerechtigkeitssinn für alle Zeiten vorbildhaft sein dürfte. Die Armee diente vor allem der oft auch präventiven Abwehr der nicht zu Unrecht als unzivilisiert geltenden Nachbarstämme in West und Ost; nach Süden rückte Ägypten langsam immer weiter vor, eine großräumige Expansion nach Vorderasien fand erst zur Zeit des Neuen Reiches statt.

Die ägyptische Geschichte ist – wie das Niltal – übersichtlicher als die der meisten anderen Reiche der Geschichte, trotzdem fehlt es natürlich nicht an tiefen Einschnitten, ja Abstürzen. Die heutige Wissenschaft kennt ein Altes, Mittleres und Neues Reich und eine Spätzeit, durch Zwischenzeiten voneinander getrennt, innerhalb deren über 30Dynastien regierten. Das Alte Reich, mit der Hauptstadt Memphis und durch die großen Pyramidenbauer der 4.Dynastie charakterisiert, zerfiel durch innere Entwicklungen der Ersten Zwischenzeit. Vom oberägyptischen Theben aus gelang es den Königen der 11. und 12.Dynastie – hauptsächliche Namen Sesostris und Amenemhet–, das Reich wieder zu einigen und auch kulturell die klassische Zeit der ägyptischen Geschichte herbeizuführen.

Das abermalige Auseinanderdriften durch lokale Gewalten und durch die fremde Dynastie der Hyksos charakterisiert die Zweite Zwischenzeit, bis wieder von Theben aus unter den Königen vor allem der 18.Dynastie – wichtige Namen Amenophis und Thutmosis– Ägypten abermals vereint und nun auch zur Großmacht im Vorderen Orient wurde und zeitweise bis zum Euphrat vorstieß. Ein wenig charakteristisches, aber im heutigen Bewusstsein besonders bekanntes kurzlebiges Zwischenspiel war die kulturrevolutionäre Regierung AmenophisIV. (sein neu angenommener Name war Echnaton) und seiner Frau Nofretete. Die 19.Dynastie der Ramessiden erwehrte sich erfolgreich der von Norden einfallenden Seevölker, jedoch ging anschließend Ägyptens Stellung in der damaligen Welt drastisch zurück. Teilweise unterlag es, unterbrochen durch einheimische Könige, verschiedenen Fremdherrschaften von Libyern, Nubiern, Assyrern und Persern. Die libyschen und nubischen Könige ägyptisierten sich, die der Assyrer und Perser traten aber nur der Form nach als Pharaonen auf.

Schon mit Beginn des einheitlichen ägyptischen Reiches war die ägyptische Schrift ins Leben getreten, die Hieroglyphen, in der amtliche Dokumente sowie die vielfältige religiöse und weltliche Literatur der Ägypter geschrieben wurden – allerdings keine historischen Texte in unserem Sinne. Sehr bald entstand die Schreibform des Hieratischen und danach die Kursive des Demotischen. Die Schrift und die mit ihr geschriebenen Texte entwickelten sich weiter, insbesondere entstanden neue Literaturformen, und zu den bisherigen Hieroglyphen kamen neue Schreibweisen und Buchstabenformen, insbesondere für die ursprünglich nicht geschriebenen Vokale, aber ein Blick auf Inschriften, die Tausende von Jahren auseinander liegen mögen, zeigt, dass es sich immer um dieselbe Schrift und dieselben wichtigsten Zeichen handelte. Ähnliches kann, mit Ausnahme der Amarna-Kunst Echnatons und vielleicht mancher Kunstwerke der Spätzeit, vom Stil der bildenden Kunst gesagt werden.

Gewaltige Veränderungen gab es bei den religiösen Vorstellungen einschließlich des Totenkultes. Die großen Pyramiden als Begräbnisstätten der Könige waren nur auf eine bestimmte Phase des Alten Reiches beschränkt, Totentempel so gewaltigen Ausmaßes wie etwa der der Königin Haptschepsut auf das Neue Reich, und die religiösen Texte und bildlichen Darstellungen sprechen vom Aufkommen neuer Götter, dem Zurücktreten alter und von immer neuen Kombinationen von Eigenschaften bei den jeweiligen Göttern. Aber viele Grundvorstellungen und der Hauptbestand der Gottheiten blieben doch konstant. Zwar tritt der Sonnengott Re erst mit der 5.Dynastie im Alten Reich hervor, zwar wird der thebanische Gott Amun Reichsgott erst mit dem Mittleren Reich, zwar erhält die Göttin Isis erst im 1.Jahrtausend ihre dominierende Stellung, zwar stand Osiris nicht von Anfang an im Zentrum des Jenseitsglaubens; zwar werden die religiösen Dogmen und Theologien im Laufe der Zeit teils immer weiter verfeinert und ausgebaut, teils lösen die einen die anderen ab – aber Hathor, Horus, Osiris, Ptah, Seth und viele andere gibt es, wenn auch einem Wandel unterworfen, in der Substanz jedoch über die Jahrtausende hinweg. Vor allem aber sind die Jenseitsvorstellungen in dem Sinne konstant geblieben, dass ein Weiterleben nach dem Tod, örtlich vorgestellt im Westen, für selbstverständlich gehalten wird, und ebenso selbstverständlich, dass man sich um die physische Erhaltung des Körpers zu bemühen hat.

Das Königtum nahm in Theorie und Praxis die zentrale Stellung im öffentlichen Leben ein. Im König konzentrierte sich die politische und wirtschaftliche Macht, er entschied allein, und ihm gehörte das gesamte Land. Zwar war diese Position im Laufe der Geschichte selbstverständlich Wandlungen unterworfen, und sei es nur in den Zwischenzeiten, etwa dadurch, dass sich die Beamtenschaft entwickelte, oder dadurch, dass sich das Eigentum an Grund und Boden regelmäßig ausdifferenzierte – aber das Königtum selber blieb in seiner Machtfülle oder jedenfalls zentralen Rolle bestehen und regenerierte sich dann von Zeit zu Zeit. Das lag auch daran, dass die religiöse Stellung des Königs unangetastet blieb, und dass es auf diese Stellung ankam.

Zu Lebzeiten war der König zwar – noch – nicht Gott, wenngleich er in einem seiner fünf Königstitel der göttliche Horusfalke, in einem anderen der Sohn des Sonnengottes Re war. Ihm wurden als Mensch keine übernatürlichen Kräfte zugeschrieben, und wenn ihm regelmäßig göttliche Verehrung entgegengebracht wurde, dann galt sie nicht ihm als sterblichem Menschen, sondern seinem Ka, der ihm innewohnenden göttlichen Kraft, sowie ihm als dem Repräsentanten und Bewahrer göttlicher Ordnung. Denn der König war der Vermittler zwischen den Menschen, ja der Schöpfung, und der Götterwelt, er garantierte insofern das Wohlergehen der Menschen, und diese Funktion ist nie angetastet worden. Zum Gott wurde er dann aber nach seinem Tode: Einerseits wurde er selber zum Osiris, andererseits stieg er als Falke zum Himmel auf und vereinigte sich mit seinem Vater, dem Sonnengott Re.

Der tiefste Einschnitt erfolgte mit der Eroberung Ägyptens – als Teil des Perserreiches – durch Alexander den Großen ab dem Jahre 330.