Kognitive Verhaltenstherapie der Schizophrenie - Tania Lincoln - E-Book

Kognitive Verhaltenstherapie der Schizophrenie E-Book

Tania Lincoln

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Beschreibung

Die Neubearbeitung des Manuals liefert eine praxisorientierte Darstellung kognitiv-verhaltenstherapeutischer Interventionen zur ambulanten und stationären Behandlung von schizophrenen Patienten. Anhand zahlreicher Beispiele werden Techniken zur Veränderung von Wahn, Halluzinationen und Negativsymptomatik ausführlich beschrieben. Nach einer kurzen Einleitung zur klinischen Symptomatik, Klassifikation, Epidemiologie und Diagnostik bietet das Manual einen aktuellen Einblick in die Erforschung psychologischer Mechanismen, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Psychosen beteiligt sind, sowie einen Überblick über neue Evaluationsstudien zur Therapieforschung. Den Schwerpunkt des Buches bildet die Beschreibung psychotherapeutischer Interventionen, die u.a. den Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung, die Entwicklung individueller Erklärungsmodelle für die Symptome und Probleme sowie die Vermittlung von Strategien im Umgang mit störenden Symptomen wie Stimmenhören oder desorganisiertem Verhalten umfassen. Weiterhin werden Strategien zur gezielten Umstrukturierung wahnhafter Überzeugungen und zugrunde liegender dysfunktionaler Kognitionen, Techniken zur Reduktion von Negativsymptomatik und Interventionen zur Vorbereitung auf Rückfälle dargestellt. Zahlreiche Beispiele und konkrete Formulierungsvorschläge veranschaulichen das Vorgehen. Die erforderlichen Arbeitsmaterialien, inklusive Übersetzungen englischsprachiger Fragebögen, können von der beiliegenden CD-ROM direkt ausgedruckt werden.

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Tania Lincoln

Kognitive Verhaltenstherapie der Schizophrenie

Ein individuenzentrierter Ansatz

3., überarbeitete Auflage

Prof. Dr. rer. nat. Tania Lincoln, geb. 1972. 1992–1999 Studium der Psychologie in Marburg. 2000–2003 Promotionsstipendiatin in der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie. 2003 Promotion. 2005 Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). 2003–2005 klinische und wissenschaftliche Tätigkeit in der Klinik für forensische Psychiatrie Haina. 2005–2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philipps-Universität-Marburg. 2008 Habilitation. Seit 2010 anerkannte Supervisorin. Seit 2011 Inhaberin der Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Hamburg. Forschungsschwerpunkte: Grundlagen- und Therapieforschung bei psychotischen Störungen.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Beate Hautsch, Göttingen

Format: EPUB

3., überarbeitete Auflage 2019

© 2006, 2014 und 2019 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2956-4; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2956-5)

ISBN 978-3-8017-2956-1

http://doi.org/10.1026/02956-000

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Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 3. Auflage

Einleitung

I. Theoretischer Hintergrund

Kapitel 1 Beschreibung schizophrener Störungen

1.1 Symptomatik

1.2 Begriff, Begriffsverwendung und Stigmatisierung

1.3 Klassifikation

1.4 Differenzialdiagnostik

1.5 Komorbide Störungen

1.6 Verlauf und Prognose

1.7 Epidemiologische Befunde

1.7.1 Prävalenz der Schizophrenie

1.7.2 Psychoseähnliche Symptome in der Normalbevölkerung

Kapitel 2 Ätiologie

2.1 Risikofaktoren

2.1.1 Genetische Risikofaktoren

2.1.2 Prä- und perinatale Risikofaktoren

2.1.3 Kritische Lebensereignisse

2.1.4 Kindheitstraumata

2.1.5 Migration

2.1.6 Urbanizität

2.1.7 Alltagsstressoren

2.1.8 Gemeinsamer Nenner sozialer Risikofaktoren

2.2 Neurochemische Befunde und Erklärungsmodelle

2.3 Vulnerabilitäts-Stress-Modelle

2.4 Kognitiv-behaviorale Erklärungsansätze

2.4.1 Psychologische Grundlagenforschung zu Wahn

2.4.2 Kognitive Modelle zur Entstehung von Wahn

2.4.3 Psychologische Grundlagenforschung zu Halluzinationen

2.4.4 Kognitive Modelle zur Entstehung von Halluzinationen

2.4.5 Psychologische Grundlagenforschung zu Negativsymptomatik

Kapitel 3 Diagnostische Verfahren

3.1 Ziele der Diagnostik

3.2 Diagnostische Verfahren

3.2.1 Instrumente zur Diagnoseerstellung

3.2.2 Instrumente zur Symptomerfassung

3.2.3 Verfahren zur Erfassung neuropsychologischer Defizite

3.2.4 Instrumente zur Erhebung dysfunktionaler Kognitionen

3.2.5 Ein Instrument zur Erfassung KVT-spezifischer Veränderungen

Kapitel 4 Überblick über Behandlungsansätze

4.1 Klassifikation der Behandlungsansätze

4.2 Medikamentöse Ansätze

4.2.1 Akutbehandlung

4.2.2 Längerfristige Behandlung (Rezidivprophylaxe)

4.3 Psychotherapeutische Ansätze

4.3.1 Psychoedukation (mit und ohne Einbezug der Familie)

4.3.2 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Familieninterventionen

4.3.3 Systemische Familieninterventionen

4.3.4 Soziale Kompetenztrainings

4.3.5 Kognitive Remediation

4.3.6 Metakognitives Training

4.3.7 Psychodynamische Ansätze

4.3.8 Gesprächspsychotherapie

4.3.9 Dritte-Welle-Ansätze

4.3.10 Leitlinienempfehlungen der DGPs

Kapitel 5 Kognitive Verhaltenstherapie für Schizophrenie

5.1 Was ist kognitive Verhaltenstherapie bei Schizophrenie?

5.2 Entwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie

5.3 Bisheriger Forschungsstand

II. Therapie

Kapitel 6 Rahmenbedingungen

6.1 Zielgruppe

6.2 Struktur und Aufbau der Therapie

6.3 Settings und Formales

6.4 Einbettung der Therapie in andere Behandlungsangebote

6.5 Therapeutische Voraussetzungen

6.6 Beziehungsgestaltung

Kapitel 7 Einstieg, Zielerklärung, Diagnostik und Erarbeitung von Erklärungsmodellen

7.1 Einstieg

7.2 Klärung von Zielen und Erwartungen

7.3 Problemerfassung und Diagnostik

7.3.1 Ziele der Diagnostik

7.3.2 Die therapeutische Haltung während der diagnostischen Phase

7.3.3 Einstieg in die diagnostische Phase

7.3.4 Diagnoseerstellung

7.3.5 Erfassung relevanter Symptome

7.3.6 Erhebung der Symptomentwicklung

7.3.7 Erhebung neuropsychologischer Defizite

7.3.8 Erhebung von Problemverständnis

7.4 Erarbeitung des Erklärungsmodells

7.5 Aus dem Modell abgeleitete Ziele

Kapitel 8 Arbeit mit Halluzinationen

8.1 Entpathologisieren

8.2 Vorbereitung der Interventionen

8.3 Einsatz von Copingstrategien

8.4 Veränderung von Bewertungen der Stimmen

8.5 Exposition

Kapitel 9 Arbeit mit dem Wahn

9.1 Ausgangsüberlegungen

9.2 Anhaltspunkte für den Wahn eruieren

9.3 Besprechung von Mechanismen der Einstellungsbildung

9.4 Modellerarbeitung

9.5 Eruierung der Konsequenzen bei Aufgabe der Wahnüberzeugung

9.6 Umstrukturieren wahnhafter Überzeugungen

Kapitel 10 Interventionen für Negativsymptomatik

10.1 Entpathologisierende Haltung des Therapeuten

10.2 Motivationsarbeit und Arbeit an Zielen

10.3 Erstellung individueller Problemanalysen

10.4 Erarbeitung von Erklärungsmodellen für die Aufrechterhaltung der Negativsymptomatik

10.5 Veränderung der dysfunktionalen Überzeugungen

10.6 Aktivitätenaufbau

10.7 Vermittlung von Fertigkeiten

10.8 Änderung weiterer verursachender und aufrechterhaltender Bedingungen

Kapitel 11 Arbeit mit weiteren belastenden Symptomen

11.1 Impulsives und suizidales Verhalten

11.2 Desorganisierte Sprache

11.3 Kognitive Defizite

11.4 Angst

Kapitel 12 Umstrukturierung dysfunktionaler Grundannahmen

12.1 Herausarbeiten dysfunktionaler Grundannahmen

12.2 Veränderung dysfunktionaler Annahmen

12.2.1 Besonderheiten bei Patienten mit Schizophrenie

12.2.2 Verbales Infragestellen der Annahmen

12.2.3 Realitätstestung

12.2.4 Herausarbeiten der Implikationen der Sichtweisen

12.2.5 Verankerung veränderter Sichtweisen

Kapitel 13 Rückfallprävention

13.1 Diskussion über die psychische Diagnose

13.2 Vorbereitung auf Rückfälle

13.3 Erkennen von Rückfällen

13.3.1 Erkennen von Warnsignalen

13.3.2 Erkennen von wiederkehrenden Symptomen

13.4 Umgang mit Warnsignalen und Symptomen

13.4.1 Kognitive Strategien

13.4.2 Umgang mit Stressoren

13.4.3 Umgang mit Medikamenten

13.4.4 Krisenplan

Kapitel 14 Zielklärung und Abschied

Literatur

Anhang

Arbeitsblatt 1: Kurzanleitung zur Brief Psychiatric Rating Scale (BPRS)

Materialien auf CD-ROM

|9|Vorwort zur 3. Auflage

Schizophrenie zählt zu den schweren psychischen Störungen, die für die Betroffenen und ihre Angehörigen sehr beeinträchtigend sind und oft langfristige und einschneidende Lebensveränderungen nach sich ziehen. Seit Anfang der 1990er Jahre gibt es deutliche Fortschritte in der psychotherapeutischen Behandlung der Schizophrenie. So ist inzwischen die Wirksamkeit für kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze von psychotischen Symptomen sehr gut belegt. In den internationalen Behandlungsleitlinien gibt es eine klare Empfehlung für die kognitive Verhaltenstherapie bei Schizophrenie.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die durch Behandlungsleitlinien verbreitete Empfehlung und die in Fachzeitschriften publizierten Studienergebnisse der kognitiven Verhaltenstherapie überhaupt in der Praxis umgesetzt werden. Bis heute ist es nicht einfach für Patienten, die an einer Schizophrenie leiden, einen Zugang zu ambulanter Psychotherapie in Deutschland zu finden. So erfordert die Organisation eines ambulanten Therapieplatzes eine sehr hohe Behandlungsmotivation. Diese Motivation ist dabei nicht nur auf Seiten der Betroffenen, sondern auch auf Seiten der Behandelnden notwendig. Dieses Manual liefert eine ausgezeichnete Grundlage dafür, die Barrieren auf der Seite der Behandelnden zu überwinden.

Eine der wichtigsten Aufgaben der Psychotherapieforschung sollte sein, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse auch in der Praxis ankommen. Tania Lincoln ist im deutschsprachigen Bereich die Expertin für kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze bei Schizophrenie und hat in einer großen Studie die Wirksamkeit im ambulanten Setting in Deutschland nachgewiesen. Es ist ihr Verdienst, diese Ergebnisse, aber fast noch wichtiger – das konkrete therapeutische Vorgehen – zu beschreiben, sodass ambulant tätige Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen eine Anleitung haben, diese nachgewiesenermaßen wirksamen Strategien auch in der Praxis umzusetzen.

Die erneute Überarbeitung des Therapiemanuals nach nur fünf Jahren verdeutlicht die rasante Entwicklung der Forschung zu kognitiver Verhaltenstherapie von Psychosen in den letzten Jahren. Eine Aktualisierung hinsichtlich des Stands der Ursachen- als auch der Therapieforschung war nötig. So wird immer deutlicher, dass zum einen soziale Faktoren und Umweltstressoren und zum anderen die psychische Verarbeitung dieser Stressoren eine wichtige Rolle in der Ätiologie und der Aufrechterhaltung der Störung spielen. Ergänzend zu den aktuellen Leitlinien zur Psychotherapie von Schizophrenie und anderen psychotischen Störungen (Lincoln et al., 2019) liefert das vorliegende Manual eine detaillierte, praxisnahe Beschreibung für die Psychotherapie mit dieser Klientel.

Das Buch von Tania Lincoln liefert einen wertvollen und aktuellen Beitrag, die psychotherapeutische Behandlung dieser beeinträchtigenden psychischen Störung weiter zu verbessern. Möge es in diesem Sinne von vielen Lesern und Leserinnen genutzt werden.

Berlin, im Mai 2019

Babette Renneberg

|10|Einleitung

Die Probleme von Menschen mit einer schizophrenen Psychose sind vielfältig und komplex. So leiden Betroffene einerseits direkt unter den für die Störung typischen Symptomen, wie Ängsten im Zusammenhang mit Wahn oder Halluzinationen. Andererseits nehmen sie wahr, dass die Kommunikation mit anderen erschwert ist und dass sie aufgrund ihrer Symptome deutliche soziale und berufliche Leistungseinbußen verzeichnen müssen. Hinzu kommen Folgeprobleme wie die negative Erfahrung von möglicherweise unfreiwilligen Psychiatrieaufenthalten, sozialer Abstieg, unerwünschte Nebenwirkungen der Medikamente und das Erleben von Unverständnis und Stigmatisierung durch Dritte. Dies alles führt zu extremer Verunsicherung bis hin zu Traumatisierung. Nach dem Abklingen einer akuten Episode leben viele Betroffene mit der Angst vor Rückfällen und erneutem Kontrollverlust. Sie können zudem den Eindruck bekommen, dass mit ihnen als Person etwas Fundamentales nicht in Ordnung ist und dass sie nie wieder ein normales Leben werden führen können. Die Vielfalt und Schwere dieser Probleme sowie die geringe Aussicht auf vollständige Besserung, die von vielen Behandlern suggeriert wird, resultieren oft in massiver Hoffnungslosigkeit. Diese führt wiederum zu einer unzureichenden Bewältigung der Probleme und nicht selten zu Suizid.

Bedauerlicherweise spiegelt sich in den Köpfen vieler Behandler eine vergleichbare Hoffnungslosigkeit wieder. Schizophrenie wird üblicherweise als qualitativ andere und im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen viel stärker, wenn nicht sogar ausschließlich biologisch bedingte psychische Erkrankung klassifiziert, deren Symptome einer Psychotherapie nicht zugänglich sind. Schizophrenie wird hier ferner weniger als psychische Störung, sondern eher als „medizinische Erkrankung“ bewertet, die in der akuten Phase vorrangig medikamentös zu behandeln sei. In der psychiatrischen Behandlung werden Patienten in der Regel mit einem medizinischen Krankheitsmodell konfrontiert und ihnen wird erklärt, dass sie nur dann eine Chance auf Besserung haben, wenn sie in eine lang anhaltende neuroleptische Behandlung einwilligen. Psychologische Behandlung in Form einer Psychotherapie bleibt ihnen nicht selten trotz ihres ausdrücklichen Wunsches, aufgrund von Kapazitätenmangel und der untergeordneten Bedeutung verwehrt. Aber auch dort, wo Psychologen durch das Psychotherapiegesetz und die Auflagen für die psychotherapeutische Weiterbildung in den Psychiatrien einen zunehmend größeren Raum einnehmen, sind sie in ihren Einflussmöglichkeiten durch untergeordnete Positionen in der Hierarchie eingeschränkt. In vielen Psychiatrien wird das ohnehin geringe psychotherapeutische Angebot inzwischen nahezu ausschließlich von Psychologen in Ausbildung durchgeführt. Sie sind eklatant unterbezahlt und bleiben nur so lange, wie dies für ihre Ausbildung notwendig ist. Diese Psychologen sind daher nicht geeignet, um eine hochwertige professionelle psychotherapeutische Versorgung in den Psychiatrien zu gewährleisten. Dass sie dennoch in diese Rolle gebracht werden, verdeutlicht den geringen Stellenwert, den Psychotherapie in den Psychiatrien leider immer noch hat. Ferner übernehmen Psychologen in den Kliniken oft die vorherrschende medizinisch geprägte Sichtweise und zeigen wenig Vertrauen in den Einsatz psychologischer Interventionen oder in die Möglichkeit einer grundlegenden Besserung der Symptomatik. Auch in der ambulanten Versorgung durch Psychologische Psychotherapeuten kommen Patienten mit psychotischen Störungen oft zu kurz (Schlier & Lincoln, 2016), denn auch viele ambulante Psychotherapeuten trauen sich nicht zu, diese Störungen erfolgreich behandeln zu können.

Dieser Pessimismus wird sicherlich nicht selten durch Erfahrungen der jeweiligen Behandler gestützt. Trotzdem stellt sich die Frage, ob eine solch pessimistische Haltung nicht selbst zu einem ungünstigen individuellen Behandlungsverlauf beiträgt, in dem die negative Erwartung bezüglich des weiteren Verlaufs dem Patienten implizit vermittelt wird. Eine positive Er|11|wartungshaltung sowohl durch den Therapeuten als auch durch den Patienten gilt immerhin als eine der nachgewiesenen methodenübergreifenden Wirkvariablen von Psychotherapie (Perrez & Baumann, 1998).

Zwar wäre auch eine völlige Überschätzung der therapeutischen Interventionsmöglichkeiten von Psychosen kontraproduktiv, da sie falsche Erwartungen beim Patienten wecken und somit zu Frustrationserlebnissen sowie zu einer Herabsetzung der Glaubwürdigkeit des Therapeuten führen würde. Dennoch soll dieses Manual ein Plädoyer für einen zuversichtlicheren Zugang zu Patienten mit Schizophrenie und mehr Optimismus in Bezug auf die Verbesserung relevanter Symptome sein. Dass diese Zuversicht zu rechtfertigen ist, wird durch die nachfolgenden Ausführungen und hoffentlich durch Ihre eigenen Erfahrungen in der Anwendung der in diesem Manual vorgeschlagenen Interventionsstrategien deutlich.

Aufbau des Manuals

Der erste Teil des Manuals bietet zunächst einen Überblick über die Symptomatik der Schizophrenie, Klassifikation, Differenzialdiagnostik, epidemiologische und ätiologische Befunde und psychologische Erklärungsmodelle. Dabei wird der Fokus in erster Linie auf jene Aspekte und Ergebnisse gelegt, die die Grundlage für die Entwicklung kognitiv-behavioraler Interventionsverfahren bilden. Es folgen eine kurze Darstellung gängiger Interventionen bei schizophrenen Psychosen und ihrer Evidenz. Schließlich wird die Entwicklung kognitiv-behavioraler Ansätze geschildert und aktuelle Interventionsstudien werden vorgestellt. Im zweiten Teil des Buches erfolgt eine ausführliche und praxisorientierte Beschreibung der kognitiv-behavioralen Interventionsmethoden mit vielen Fallbeispielen. Dabei stützt sich die Darstellung sowohl auf die von den führenden Forschern des Gebietes publizierten Beiträge und Manuale (Fowler, Garety & Kuipers, 1995; Chadwick, Birchwood & Trower, 1996; Kingdon & Turkington, 1994; Morrison, Renton, Dunn, Williams & Bentall, 2004; Haddock & Slade, 1996) als auch auf meine eigene klinische Erfahrung in der Durchführung und Supervision von kognitiver Verhaltenstherapie bei Psychosen. Auf der CD-ROM finden sich eine Reihe von diagnostischen Inventaren und Arbeitsmaterialien für die Therapie.

Änderungen in der neuen Auflage

Während sich an dem therapeutischen Vorgehen in der kognitiven Verhaltenstherapie seit der letzten Auflage im Grunde nichts Wesentliches verändert hat, bewegt sich die Ursachen- und Therapiewirksamkeitsforschung für psychotische Störungen unaufhörlich fort. Daher erschien mir – trotz der eher kurzen Zeitspanne von nur knapp 5 Jahren seit der letzten Auflage – eine erneute umfängliche Aktualisierung des Manuals sinnvoll.

Die inhaltlichen Überarbeitungen beziehen sich vor allem auf den theoretischen Hintergrund und die Evidenzforschung. Änderungen im Therapieteil betreffen den Teil zum Umgang mit der Medikation in der Therapie und beschränken sich ansonsten eher auf kleinere sprachliche Verbesserungen und Ergänzungen.

Die deutsche Übersetzung der DSM-5-Kriterien war bei der Bearbeitung der letzten Revision noch in vollem Gang, sodass sich der diagnostische Teil noch an DSM-IV ausrichtete. In dieser neuen Auflage erfolgt nun eine konsequente Orientierung an den DSM-5-Kriterien. In den Kapiteln 1 und 2, in denen es neben der Beschreibung der Symptomatik auch um die Epidemiologie und Ätiologie von psychotischen Störungen geht, habe ich viele aktuelle Forschungsbefunde eingefügt (und dafür einige ältere entfernt) sowie neuere Entwicklungen und Debatten aufgegriffen.

In Kapitel 3, in dem es um die diagnostischen Verfahren geht, sind einige ältere und m. W. zunehmend weniger gebräuchliche Instrumente zugunsten neuerer und viel beachteter Verfahren ersetzt worden.

Umfangreich überarbeitet habe ich Kapitel 4. Hier habe ich im Abschnitt zur pharmakologischen Therapie etwas weiter ausgeholt, um auf die in den letzten Jahren teils auch hitzig geführte Debatte zu Risikoabwägungen zwischen Vor- und Nachteilen von Neuroleptika eingehen zu können. Ferner habe ich einen Ausschnitt aus den pharmakologischen Behandlungsleitlinien hinzugefügt, damit sich Therapeuten einen schnellen Überblick verschaffen können, um auf Rücksprachen mit dem Facharzt besser vorbereitet zu sein. Den Überblick über andere psychotherapeutische Behandlungsansätze habe ich um die Beschreibung weiterer Ansätze (z. B. systemische Ansätze, psychodynamische Ansätze, achtsamkeitsbasierte Ansätze) erweitert. In enger Anlehnung an die 2019 erschienene Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie für die Behandlung von Schizophrenie und anderen psychotischen Störungen (Lincoln et al., 2019) erhält der Leser hier auch einen aktuellen Überblick über den Stand der Wirksamkeitsforschung zu jedem dieser Ansätze sowie eine Zusammenfassung der Leitlinienempfehlungen.

Schließlich musste auch der aktuelle Forschungsstand zur Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie |12|in Kapitel 5 wieder umfassend aktualisiert werden. Dieses Kapitel geht jetzt auf einige neue Studien ein, z. B. auf solche, die neue computergestützte Therapieansätze für Halluzinationen untersucht haben, aber auch auf solche, die endlich Antworten geben auf Fragen, die mir von Therapeuten schon oft gestellt worden sind, wie beispielsweise die Frage „Was mache ich, wenn eine komorbide PTBS vorliegt?“. Man kann gar nicht so schnell lesen, wie neue und interessante Wirksamkeitsstudien und Metaanalysen publiziert werden. Das spricht für ein weiterhin ungebremstes Interesse an dieser Therapie.

Danksagung

In den Therapieteil des Manuals ist vor allem die Erfahrung aus meiner Zeit in Marburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Leiterin des „Psychoseprojekts“ eingeflossen. In diesem Projekt haben wir die Wirkung von kognitiver Verhaltenstherapie in der klinischen ambulanten Praxis im Vergleich zu einer Wartekontrollgruppe sowie viele weitere Fragen rund um die Entstehung und Veränderung psychotischer Symptome untersucht. Mein Dank für die Unterstützung in der Erstellung dieses Manuals gilt daher nach wie vor den Kollegen aus der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie in Marburg, die in diesem Projekt als Therapeuten und als Doktoranden mitgewirkt haben und inzwischen alle ihre Promotion längst erfolgreich abgeschlossen haben: Frau Dr. Stephanie Mehl, Herrn Dr. Michael Ziegler, Frau Dr. Marie-Luise Kesting, Frau Dr. Eva Heibach und Herrn Dr. Stefan Westermann. Ganz besonders danken möchte ich Prof. Dr. Winfried Rief, der mich als Leiter der Arbeitsgruppe ermutigt hat, das Manual zu verfassen und auch das Therapieprojekt in die Tat umzusetzen. Prof. Dr. Cornelia Exner danke ich für hilfreiche Korrekturvorschläge für die erste Auflage und dafür, dass sie mir bei allen fachbezogenen Anliegen mit Rat und Tat behilflich war. Auch bei allen anderen Kollegen aus der Arbeitsgruppe in Marburg möchte ich mich herzlich für den angenehmen und kollegialen Umgang untereinander bedanken, der die Voraussetzung für produktives Arbeiten geschaffen hat.

Unterstützung für die erste Auflage des Manuals erhielt ich auch von ehemaligen Kollegen aus der Klinik für forensische Psychiatrie in Haina. Vielen Dank an Michael Fritz, der alle Teile des Manuals gelesen und kommentiert hat. Danke auch für die fachbezogenen Streitgespräche zum medizinischen Krankheitsmodell der Schizophrenie! Walter Schmidbauer danke ich für die fachmännische Überarbeitung des Abschnittes zu Psychopharmakologie. Alexandra Kirste danke ich für das Korrekturlesen des Therapieteils und allen Kollegen und Patienten der Station G2/2 für die Erfahrung in der Therapie von Patienten mit Schizophrenie, die ich dort sammeln konnte. Ein besonderer Dank gilt meiner ehemaligen Supervisorin Dr. Monika Frank. Sie ist mir während meiner Therapieausbildung und darüber hinaus eine hervorragende Supervisorin gewesen und hat zudem die erste Auflage des Manuals gegengelesen und kommentiert.

Mein Dank für die beiden Neuauflagen gilt vor allem denjenigen, die mir in Form von Buchbewertungen oder persönlich Rückmeldung zur ersten Auflage gegeben haben. Ganz besonders denke ich dabei an Angela Kieserg, deren Rückmeldung sich direkt aus ihren eigenen Erfahrungen in der ambulanten Behandlung von Patienten mit Schizophrenie speiste. Ferner bedanke ich mich bei Dr. Anja Fritzsche und Dr. Maike Engel für ihre Rückmeldungen zum Kapitel über die Behandlung von Negativsymptomatik. Auch die Erfahrungen in der Supervision in der Hochschulambulanz in Hamburg fließen in die neuen Auflagen ein. Herzlicher Dank geht daher an alle Therapeuten dort, die bereit waren, ihre Erfolge und Schwierigkeiten in die Supervision einzubringen. Stellvertretend für alle gilt mein Dank hier insbesondere Valeska Hug, die ihre Patienten unermüdlich und inzwischen schon seit vielen Jahren mit viel Wärme und Engagement therapeutisch begleitet.

Bedanken möchte ich mich zudem bei Frau Weidinger aus dem Hogrefe Verlag für die hilfreichen Verbesserungsvorschläge zum Aufbau des Manuals und zu beiden Neuauflagen.

Mein Dank gilt auch Prof. Aaron Beck, der die kognitive Therapie erstmalig auch bei Schizophrenie untersuchte und so die ganze Welle ins Rollen brachte. Ich danke ihm auch dafür, dass er mich in meiner wissenschaftlichen und klinischen Arbeit durch sein Interesse sowie durch ein Reisestipendium unterstützt hat. Schließlich möchte ich den Beitrag der britischen Forscher und Forscherinnen betonen, die die Ansätze in Form von Manualen erstmalig spezifiziert und ihre wissenschaftliche Erforschung vorangetrieben haben, hier denke ich vor allem an Prof. Philippa Garety, Prof. Elizabeth Kuipers, Prof. David Fowler, Prof. Richard Bentall, Prof. David Kingdon, Prof. Douglas Turkington, Prof. Paul Chadwick, Prof. Max Birchwood und Prof. Tony Morrison.

Hamburg, im März 2019

Tania Lincoln

|13|I. Theoretischer Hintergrund

|15|Kapitel 1Beschreibung schizophrener Störungen

1.1 Symptomatik

Die charakteristischen Symptome einer akuten Schizophrenie sind vielfältig und umfassend, wobei kein spezifisches Symptom bei allen Betroffenen auftritt. In der Regel stehen in verschiedenen Stadien unterschiedliche Symptome stärker im Vordergrund. In der akuten Phase der Schizophrenie dominieren sogenannte Positivsymptome wie Wahn, Halluzinationen oder desorganisiertes Verhalten und formale Denkstörungen, während in der post-akuten Phase oft eher Negativsymptome wie Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug und eingeschränkter Affektausdruck zu beobachten sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Symptome und Merkmale der Schizophrenie, teilweise anhand von Beispielen, geschildert.

Wahnphänomene

Als besonders charakteristisch gelten Wahnphänomene, die bei etwa 80 bis 90 % aller Patienten mit Schizophrenie im Verlauf der Störung auftreten (Andreasen & Flaum, 1991). Nach DSM-5 beschreibt Wahn „eine feste Überzeugung, die trotz gegenteiliger Evidenz nicht verändert werden kann“ (S. 117, DSM-5, APA, 2015).

Kasten 1:Beispiele für Wahnvorstellungen

Herr V. ist überzeugt davon, dass er im Golfkrieg als Soldat eine herausragende Rolle gespielt hat und mehrfache Heldenauszeichnungen erhalten hat. Auf Nachfrage, ob er die Auszeichnungen zeigen könnte, erwidert er, dass diese im Kriegsfeuer verbrannt seien. Zudem seien die Narben, die er in den Kriegseinsätzen erwarb, alle auf wundersame Weise verheilt, sodass keine Spuren seines Kampfeinsatzes mehr zu sehen seien.

Obwohl Anhaltspunkte dafür fehlen, und Herr Z. nicht politisch aktiv ist, ist er überzeugt, dass die chinesische Geheimpolizei hinter ihm her ist und ihn bespitzelt. Er verbrennt deshalb alle seine schriftlichen Dokumente.

Frau M. ist davon überzeugt, dass sie mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestattet und in der Lage ist, in besonderer Weise mit Gott zu kommunizieren und Aufträge von ihm zu erhalten. Manchmal erhält sie den Auftrag, wochenlang das Haus nicht zu verlassen.

Wahnvorstellungen variieren erheblich sowohl in der Überzeugungsstärke als auch thematisch (vgl. Kasten 1). Am Anfang handelt es sich oft eher um fixe Ideen oder um überzogene dysfunktionale Konzepte oder Interpretationen. Wenn jemand bereits sehr verfestigte Wahnvorstellungen hat und neue, widersprüchliche Information zunehmend in seine Vorstellungen integriert, bzw. diese entsprechend ausweitet, spricht man von einem Wahnsystem. Inhaltlich finden sich am häufigsten Verfolgungswahn oder wahnhafte negative oder positive Überzeugungen in Bezug auf das Selbst (z. B. die Überzeugung, dass eigene Gedanken entzogen werden oder die Überzeugung, telepathische Fähigkeiten zu besitzen). Im Prinzip kann eine große Bandbreite an Themen wahnhaft verarbeitet werden. Typisch sind jedoch religiöse oder politische Inhalte, bei denen ein Bezug zum Selbst besteht, die Themen Sexualität und Partnerschaft oder körperbezogene Wahnhalte (z. B. hypochondrischer Wahn). Seltener sind negative oder positive Wahnvorstellungen in Bezug auf die Welt oder andere nicht selbstbezogene Inhalte (vgl. auch Appelbaum, Robbins & Roth, 1999).

An wahnhaften Überzeugungen wird in der Regel stark festgehalten. Sie werden also trotz Gegenargumenten, widersprüchlichen Erfahrungen oder falsifizierender Information nicht leicht in Frage gestellt. In Anlehnung an frühe Beschreibungen von Karl Jaspers (1973) beinhalteten Definitionen von Wahn deshalb Kriterien, wie „eine Überzeugung, an der mit |16|absoluter Überzeugung festgehalten wird“, die unveränderbar durch andersartige Erfahrungen oder Argumente anderer ist. Solche prototypischen Definitionen sind jedoch inzwischen umstritten, weil es vielfache Belege dafür gibt, dass Wahnphänomene in der Überzeugungsstärke variieren und modifizierbar sind (Chadwick, Lowe, Horne & Higson, 1994; Moritz et al., 2013; Sharp et al., 1996).

Neuere Therapieansätze finden ihren Ursprung in der Annahme, dass die Grenzen zwischen normalen Überzeugungen und Wahn fließend sind und dass Wahn auf einem Kontinuum mit normalen Überzeugungen betrachtet werden sollte (van Os et al., 2009).

Halluzinationen

Etwa 60 % aller Patienten mit der Diagnose Schizophrenie erleben in der akuten Phase akustische Halluzinationen (McCarthy-Jones et al., 2017). Eine Halluzination ist eine Wahrnehmung, die in Abwesenheit eines angemessenen Stimulus erfolgt, aber den vollen Umfang und die Auswirkung einer realen Wahrnehmung hat. Das bedeutet zum Beispiel, dass jemand Stimmen hört, obwohl niemand spricht. Halluzinationen können in jeder Sinnesmodalität auftreten. Die häufigste akustische Halluzination ist jedoch Stimmenhören. Dabei handelt es sich meistens um kommentierende Stimmen, gefolgt von dialogischen oder kommandierenden Stimmen (Andreasen & Flaum, 1991). Die Stimmen produzieren meistens kurze Sätze (1 bis 5 Worte), die repetetiver Natur sind. Die meisten Stimmenhörer berichten, dass sie mehr als eine Stimme hören. Die Stimmen können laut und deutlich oder leise und verschwommen vernommen werden. Auch die Zuschreibung der Quelle der Stimme(n) variiert erheblich. Die Anzahl der Patienten, die berichten, dass Stimmen von außen (durch die Ohren) kommen, ist ebenso hoch wie die Anzahl von Patienten, die angeben, dass Stimmen von innen stammen. Wenn Stimmen als von innen kommend wahrgenommen werden, werden sie dennoch klar vom Ursprung der eigenen Gedanken abgegrenzt und nicht als selbstgeneriert wahrgenommen (Chadwick, Birchwood & Trower, 1996). Patienten entwickeln aufgrund der Charakteristika der Stimmen eine Vorstellung über deren Identität. Oft ist die Stimme dem Betroffenen vertraut, sie klingt beispielsweise wie die Stimme eines Verwandten oder Bekannten. Dabei handelt es sich manchmal um längst verstorbene Personen (z. B. der verstorbene Großvater), in anderen Fällen um Personen aus aktuellen Beziehungen (z. B. die Stimme des Nachbarn). Manchmal wirkt es für die Betroffenen, als würden die Stimmen wie aus heiterem Himmel kommen. Meistens kommen sie jedoch in spezifischen Situationen, oft im Zusammenhang mit wahnbezogenen Gedanken. Viele Patienten berichten, dass Stimmen das erste Mal nach einem belastenden oder traumatischen Erlebnis aufgetreten sind (Romme & Escher, 1989).

Stimmen sind häufig auf die eigene Person bezogen und verursachen Angst. Die Inhalte der Stimmen sind den Inhalten automatischer Gedanken bei anderen psychischen Störungen wie Depression, soziale Phobien oder Zwangsstörungen ähnlich (Beck & Rector, 2003; Morrison, Haddock & Tarrier, 1995). In Kasten 2 sind Beispiele für akustische Halluzinationen aufgeführt.

Kasten 2:Beispiele für akustische Halluzinationen

Abwertende Kommentare: „Loser“, „Trottel“, „Idiot“, „Du bist nutzlos“, „Er weiß nicht, was er tut“, „Sie hört sich lächerlich an“, „Dich nimmt eh keiner ernst“,

Kommandierende Stimmen: „Mach es!“, „Schlag zu“, „Heb das auf“, „Du musst dich jetzt schneiden“,

Fragende Stimmen: „Bist du sicher, dass du es bist?“, „Bist du sicher, dass du lebst?“.

Akustische Halluzinationen werden von Patienten oft als äußerst belastend erlebt und führen nicht selten zu Suizidversuchen (Kjelby et al., 2015). Allerdings werden nicht alle Halluzinationen als belastend erlebt. So berichteten Patienten auch von freundlichen, unterstützenden Stimmen. Auch wollen nicht alle Patienten ihre Stimmen loswerden.

Optische Halluzinationen werden seltener berichtet und gelten als weniger spezifisch für Schizophrenie. Zudem finden sich weniger systematische Beschreibungen. In einer Studie von Gauntlett-Gilbert und Kuipers (2003) wurde eine Stichprobe von 20 Patienten mit optischen Halluzinationen, unter Ausschluss organischer Ursachen, untersucht. Aus der systematischen Befragung der Patienten ergab sich, dass die Halluzinationen überwiegend ohne Vorankündigung auftraten, ihre Quelle als außerhalb der Person lokalisiert wurde, aber Patienten in vielen Fällen unsicher waren, ob es sich um die konkrete physische Anwesenheit des Gesehenen (meistens menschliche Gestalten) oder um ein übernatürliches Ereignis handelte. Die meisten Betroffenen berichteten, dass die optischen Halluzinationen Angst auslösten und überwiegend in Zeiten sozialer Isolation und/oder Stress sowie bei verringertem sensorischen Input auftraten.

|17|Körperhalluzinationen sind Sinnestäuschungen im Bereich der Körperwahrnehmung, z. B. die Wahrnehmung berührt zu werden, veränderte Körpertemperatur, Schmerzen oder Vibration. Patienten fühlen sich beispielsweise am oder im Körper durch Apparate, Strahlen, Gase oder andere physikalische Vorgänge beeinflusst oder verändert. Dies wird oft als Gefühl des Gemachten beschrieben. Seltener werden auch olfaktorische und gustatorische Halluzinationen beschrieben (Falkai et al., 2017).

Störung von Denken und Sprache

Bei manchen Patienten findet sich zudem eine Beeinträchtigung des Denkprozesses. Dies wird als formale Denkstörung beschrieben und macht sich oft an der Sprache bemerkbar, die beispielsweise beschleunigt oder verlangsamt sein kann.

Von Denkzerfahrenheit wird gesprochen, wenn Begriffe ihre feste Bedeutung verlieren, verschiedene Sachverhalte miteinander verschmelzen, wenn geläufige Begriffe durch andere umschrieben werden oder Wortneuschöpfungen entstehen.

Sogenannte „Sprachverarmung“ äußert sich in kurzen oder ausbleibenden Antworten auf gestellte Fragen. Beim Gedankenabreißen erfolgt ein plötzlicher Abbruch eines sonst flüssigen Sprechens ohne erkennbaren Grund. Beim „Danebenreden“ passt die Antwort nicht zu der gestellten Frage. Einige Beispiele sind in Kasten 3 abgebildet. Patienten, die unter Denkzerfahrenheit leiden, sind oft schwer zu verstehen. Manchmal kann durch Bemühen des Gegenübers ein roter Faden erkannt oder auch weiterverfolgt werden. Dies gelingt eher in Fällen, in denen der Satzbau noch intakt ist, und lediglich der logische Zusammenhang nicht klar erkenntlich ist.

Kasten 3:Beispiele für Denkzerfahrenheit

„Ich bin jetzt im Haus ein Jahre lang links und rechts geimpft und wer kein Menschenfresser ist, ist über 30 Jahre.“

„Früher sind die Leute aus blauäugigen Menschen bestanden und wie Hirne schaffen.“

(aus AMDP-System, Arbeitsgemeinschaft für Methodik und Dokumentation in der Psychiatrie, 2000, S. 77).

Verhaltensauffälligkeiten

Desorganisiertes Verhalten gehört eher zu den auffälligen als zu den häufigen Verhaltensmerkmalen. Die Handlungen des Patienten wirken auf äußere Beobachter ungerichtet, sinnlos oder bizarr. Ein Patient wirft beispielsweise Gegenstände aus dem Fenster, stellt die Möbel durcheinander oder sammelt in sinnlos erscheinender Weise Gegenstände auf, um sie woanders zu verteilen.

Nicht selten ist eine Vernachlässigung oder Veränderung der äußeren Erscheinung zu beobachten. Als solche gilt beispielsweise eine exzentrische Aufmachung, oder wenn ein Patient bei sommerlichen Temperaturen vier Pullover und zwei Jacken übereinander anzieht. Verhalten, das von Beobachtern als impulsiv oder bizarr geschildert wird, steht häufig in Zusammenhang mit Wahnerleben. Ein Patient, der sich bedroht fühlt, handelt aus seiner Wahrnehmung heraus rational, wenn er in Gefahrensituationen plötzlich aufschreit, davonläuft oder sich wehrt.

Katatone Symptome (Stupor, Haltungsstereotypien, wächserne Biegsamkeit etc.) werden inzwischen kaum noch beobachtet. Weitere Verhaltensauffälligkeiten bestehen in sichtbarer Unruhe, die sich in Auf- und Abgehen äußern kann, übermäßigem Antrieb oder in sozialem Rückzug und Antriebslosigkeit (vgl. Negativsymptomatik).

Affektstörungen

Affektstörungen zeigen sich häufig an einer eingeschränkten sichtbaren emotionalen Reaktion. Dies führt dazu, dass Patienten auf andere wirken, als seien sie emotional abgestumpft oder gleichgültig, was Therapeuten verunsichert und den Aufbau einer guten Therapiebeziehung erschweren kann (Jung et al., 2014). Inzwischen zeigen jedoch viele Studien, dass dieser Eindruck oft täuscht und die Betroffenen durchaus starke Gefühle erleben (Krings & Elis, 2013). Zu den Affektstörungen zählt hingegen vor allem die Fähigkeit, sich auf angenehme Aktivitäten zu freuen. Dies führt dazu, dass weniger Freizeitinteressen und Aktivitäten aufgesucht werden, ein geringeres sexuelles Interesse vorliegt und der Kontakt zu Freunden und Altersgenossen deutlich verringert wird. Es findet sich aber auch inadäquater Affekt in dem Sinne, dass der Gefühlsausdruck nicht mit der aktuellen Situation oder Kommunikation übereinstimmt. Auch dies kann Therapeuten bisweilen verunsichern.

Mangelnde „Krankheitseinsicht“

In mehreren Studien zeigte sich, dass ca. 50 % aller schizophrenen Patienten das Vorhandensein einer psychischen Störung leugnen (|18|Lincoln, Lüllmann & Rief, 2007). Viele Betroffene haben den Eindruck, dass alles, worunter sie wirklich leiden, Verfolgung ist oder aber der Druck durch Angehörige oder Freunde, sich endlich einer Behandlung zu unterziehen. Symptome werden entweder nicht wahrgenommen oder als Nebenwirkungen der Medikation, körperliche Prozesse oder allenfalls Symptome einer anderen psychischen Störung (z. B. Depression) gewertet. Diese mangelnde Wahrnehmung sowie die fehlende Akzeptanz der Diagnose Schizophrenie werden oft als „mangelnde Krankheitseinsicht“ bezeichnet. Abgesehen davon, dass dieser Bezeichnung etwas Paternalistisches anhaftet, ist fehlende „Krankheitseinsicht“– zumindest für die KVT – kein Prädiktor von Therapieerfolg (Lincoln et al., 2014). Auch mit Patienten, die ihre Überzeugungen nicht auf eine Erkrankung attribuieren, lassen sich gut Therapieziele erarbeiten und verfolgen. Hingegen haben es Ansätze, die mit dem Konzept einer zu bewältigenden „Erkrankung“ arbeiten (z. B. psychoedukative Ansätze), schwer, wenn der Patient sich nicht als psychisch krank bewertet.

Verminderter Antrieb und sozialer Rückzug

Verminderte Aktivität, Lethargie, Antriebsschwierigkeiten, Selbstvernachlässigung und sozialer Rückzug sind bei Patienten mit schizophrenen Psychosen häufig und werden zusammen mit weiteren Aspekten unter den Begriff „Negativsymptomatik“ zusammengefasst.

Gerade im Hinblick auf negative Symptome besteht eine pessimistische Erwartung vieler Behandler, da hier selbst die antipsychotische Medikation allenfalls geringe Verbesserung erbringt (Aleman et al., 2017). Im Gegenteil gehen sogar manche Forscher davon aus, dass auch die neuroleptische Medikation für bestimmte Negativsymptome in Form eines „Neuroleptika-induzierten Defizitsyndroms“ (Lewander, 1994) verantwortlich sein kann. Patienten mit diesem Syndrom fühlen sich lethargisch und motivationslos, sodass alle Anforderungen des täglichen Lebens eine unüberwindbare Hürde darstellen. Es gibt Forschungsarbeiten, die darauf hindeuten, dass Patienten unter neuroleptischer Medikation zwar weniger Rückfälle erleiden, aber auch weniger „schaffen“ (im Sinne von produktiv sein oder Ziele aktiv verfolgen bzw. erreichen) als Patienten ohne neuroleptische Behandlung (Murray et al., 2016).

Wenn jemand nicht in der Lage ist, morgens aufzustehen, das Haus zu verlassen und an sozialen Aktivitäten teilzunehmen, hat dies Auswirkungen. Es fehlen dann positive Erfahrungen, die die Stimmung aufhellen und Selbsteffizienzerwartungen steigern, die wiederum für eine erfolgreiche Bewältigung der Störung hilfreich wären.

Neuropsychologische Defizite und hirnorganische Befunde

Charakteristisch für schizophrene Störungen sind zudem eine Reihe neuropsychologischer Defizite (Fioravanti, Bianchi & Cinti, 2012; Exner & Lincoln, 2012). Im Bereich der Wahrnehmung ist die Fähigkeit, in einem Moment eine große Anzahl von Einzelinformationen zu erfassen, bei vielen Patienten gestört. Dies gilt selbst bei nur mittleren Ausprägungen der Störung und findet sich teilweise auch in symptomfreien Intervallen sowie bei Hochrisikopersonen. Sowohl akut psychotische als auch remittierte Patienten zeigen auch in ihrer Aufmerksamkeit in verschiedenen Tests Probleme im Vergleich zu Kontrollpersonen. Im Hinblick auf Gedächtnisfunktionen deuten bisherige Befunde darauf hin, dass das explizite verbale Gedächtnis sowie das Arbeitsgedächtnis am stärksten beeinträchtigt sind. Darüber hinaus gibt es auch Befunde, die Defizite des prozeduralen Lernens, das Teil des impliziten Gedächtnisses ist, belegen. Die bei Patienten mit Schizophrenie häufig beobachteten Schwierigkeiten bei der Lösung abstrakter Problemstellungen und der Aufrechterhaltung längerer Planungen werden als Defizite in den Exekutivfunktionen beschrieben, die auch durch ein insuffizientes Arbeitsgedächtnis erklärbar sind. Schließlich können bei Personen mit einer Schizophrenie auch andere wichtige Teilbereiche wie die sensomotorische Koordination und räumliche Wahrnehmungsfähigkeiten beeinträchtigt sein. Es gibt zudem Studien, die darauf hindeuten, dass neuropsychologische Defizite bereits vor Beginn der Störung auftreten und im weiteren Verlauf zunehmen (Maier et al., 2014), wobei vor allem Letzteres umstritten ist.

Neuropsychologische Funktionseinbußen sind jedoch nicht spezifisch für Schizophrenie, sondern kommen auch bei Patienten mit affektiven Störungen vor, insbesondere bei bipolaren Störungen. Die mangelnde Spezifität ist auch ein Grund, warum neuropsychologische Funktionseinbußen es nicht in die Kriterien A des DSM-5 geschafft haben. Kritisch angemerkt sei zudem, dass das Ausmaß neuropsychologischer Funktionseinbußen durch die fehlende Kontrolle von relevanten Einflussfaktoren überschätzt worden sein könnte. So zeigten sich beim Vergleich von Patienten mit psychotischen Störungen und gesunden Kontrollpersonen vergleichsweise geringere Gruppenunter|19|schiede, die z. T. sogar gänzlich verschwanden, wenn man das subjektive und psychophysiologisch messbare Stressniveau der Patienten kontrollierte (Krkovic et al, 2017). Andere Studien weisen darauf hin, dass die Testleistungen von Patienten mit Schizophrenie schlechter sind, wenn diese von vorneherein davon ausgehen, dass nach „Defiziten“ gesucht wird (Moritz et al., 2017).

Wo vorhanden, haben neuropsychologische Erkrankungen aber negative Auswirkungen auf die Erholung und die soziale und berufliche Resozialisation nach einer psychotischen Episode (Galderisi et al., 2014). Die Konzentrationsschwierigkeiten können beispielsweise dazu führen, dass Patienten sich die Inhalte der Therapiesitzungen nicht merken können. Beeinträchtigte Planungsfertigkeiten können die Generierung und Überprüfung von Strategien im Umgang mit neu auftretenden Problemen erschweren. Auch im Freizeitbereich wirken sich solche Defizite aus, wenn ein Patient etwa während eines Kinofilms oder Theaterstücks ab der Hälfte unaufmerksam und abgelenkt wirkt, wenn er Probleme hat, sich in längeren Gesprächen auf das vorher Gesagte zu beziehen oder Schwierigkeiten bei der Durchführung feinmotorischer Aufgaben erlebt.

Somatische Symptome

Patienten mit Schizophrenie sterben im Durchschnitt etwa 15 bis 20 Jahre früher als gesunde Kontrollpersonen (McGrath, Saha, Chant & Welham, 2008). Für die verkürzte Lebenserwartung sind neben soziökonomischen Problemen (z. B. Arbeitslosigkeit, Armut, soziale Isolation, Gefängnisaufenthalt oder Obdachlosigkeit) und einer erhöhten Suizidalität (Popovic et al., 2014) vor allem körperliche Beschwerden und somatische Erkrankungen verantwortlich, die oft unentdeckt und daher auch unbehandelt bleiben. Zu diesen Erkrankungen zählen metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebs, Infektionen, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung und sexuelle Dysfunktionen (Hasan & Wobrock, 2016), von denen einige auch eine Folge der Medikation sind. Die Tatsache, dass Erkrankungen übersehen werden, wird auch auf stigmatisierende Einstellungen von Behandlern gegenüber Patienten mit psychotischen Störungen zurückgeführt (Sullivan et al., 2015). Psychotherapeuten sollten sich dessen bewusst sein und ihre Patienten zu regelmäßigen Abklärungen bei Allgemein- und Fachärzten motivieren (Lincoln & Heibach, 2017).

1.2 Begriff, Begriffsverwendung und Stigmatisierung

Historischer Kontext des Begriffs

Der Begriff der Schizophrenie (Bewusstseinsspaltung) wurde von Bleuler 1911 eingeführt, und löste die von Kraepelin eingeführte Bezeichnung „Dementia praecox“ (vorzeitiger Verfall) ab. Die Ablösung des Begriffes der Dementia praecox war richtig, da die Störung weder nur in jungem Alter auftritt (wie es die Bezeichnung praecox impliziert), noch typischerweise zu Demenz (Dementia) führt.

Schizophrenie bedeutet – wörtlich übersetzt – gespaltener Geist oder, genauer, gespaltenes „Zwerchfell“, die griechische Bezeichnung für Seele. Der Begriff Schizophrenie sollte die mentalen Assoziationsstörungen (Denk- und Sprachstörungen sowie inadäquater Affekt), die Bleuler für das wesentliche Merkmal der Störung hielt, zum Ausdruck bringen. Auch diese Sichtweise gilt jedoch heute als verkürzt, da auch der Fokus auf die Assoziationsstörungen der Komplexität des Störungsbildes nicht gerecht wird.

Falsche Begriffsverwendung

„Schizophren“ wird im Sprachgebrauch in falscher und diskriminierender Weise als Synonym für unlogisches, widersprüchliches oder als sinnlos eingestuftes Verhalten oder Denken verwendet: z. B. „Das ist doch schizophren!“, „Der ist schizo!“ oder „Es handelt sich um einen schizoiden Sachverhalt“. Viele Leute glauben, dass „Schizophrenie“ soviel bedeutet wie „gespaltene Persönlichkeit“, können aber auch nicht erklären, was das wiederum sein soll, oder sie verwechseln Schizophrenie mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung. Insgesamt ist die Bezeichnung Schizophrenie als Beschreibung der relevanten Symptome der Störung (z. B. Halluzinationen, Wahn) eher irreführend und trägt mitunter sogar zu Stigmatisierung bei (Schlier & Lincoln, 2013).

Stigmatisierung

Auch Vorurteile in Bezug auf die psychische Störung selbst, führen dazu, dass die Bezeichnung „schizophren“ im alltäglichen Sprachgebrauch in der Regel als Schimpfwort fungiert. Die typischen Symptome der Schizophrenie werden von der Umgebung als unverständlich und beängstigend erlebt. Der Störung haftet in faktisch allen Ländern und Kulturen ein soziales Stigma der Unberechenbarkeit und Gefährlich|20|keit an. Angermeyer und Matschiger (2004) führten eine repräsentative Befragung an über 5.000 Deutschen durch. Dabei untersuchten sie die Prävalenz verschiedener Komponenten von Schizophreniestereotypen sowie den Zusammenhang zwischen Stereotypen und Diskriminierung. Das häufigste Stereotyp bestand in der Auffassung, dass Menschen mit Schizophrenie unkontrollierbar, bzw. unvorhersehbar handeln und inkompetent sind, gefolgt von Überzeugungen, dass sie gefährlich sind und eine schlechte Prognose haben. Beispielsweise stimmten 47 % der Befragten der Aussage zu „Man weiß nie, was eine Person mit Schizophrenie als nächstes tun wird“ und nur 13 % stimmten dieser Aussage explizit nicht zu. 50 % stimmten der Aussage zu, dass Personen mit Schizophrenie schnell die Selbstbeherrschung verlieren, 35 % stimmten der Aussage zu, dass schizophrene Patienten eine große Gefahr für kleine Kinder darstellen und 37 % stimmten der Aussage zu, dass Personen mit Schizophrenie nicht in der Lage sind, wichtige Entscheidungen im Hinblick auf ihr eigenes Leben zu treffen. Die Autoren konnten zudem zeigen, dass eine relativ enge Assoziation zwischen stigmatisierenden Einstellungen auf der einen Seite und der Befürwortung von Distanz, bzw. Akzeptanz einer strukturellen Diskriminierung auf der anderen Seite besteht. Als strukturelle Diskriminierung wurde dabei z. B. eine Bejahungstendenz bei der Aussage: „Personen mit Schizophrenie sollte eine kostengünstige Medikation verschrieben werden, auch wenn diese mit mehr Nebenwirkungen einhergeht“ gewertet.

Angesichts der negativen Begriffsverwendung und der Vorurteile und Ablehnung gegenüber Personen mit Schizophrenie überrascht es nicht, dass die Konfrontation mit der Diagnose der Schizophrenie bei Betroffenen zumeist tiefe Beunruhigung, Angst und Pessimismus auslöst. Die negativen emotionalen Reaktionen auf die Diagnose führen oft zu einer Ablehnung der Diagnose durch Betroffene (vgl. vorheriger Abschnitt Mangelnde „Kranheitseinsicht“) oder auch Angehörige. Dies hat wiederum zur Folge, dass die aufgrund mangelnden Krankheitsgefühls ohnehin verringerte Bereitschaft, sich mit der psychischen Störung auseinanderzusetzen, an psychoedukativen Programmen teilzunehmen oder dem Rat der Behandler zu folgen, weiter sinkt. Das soziale Stigma erschwert zudem die Wiedereingliederung in Familie, Freundeskreis, Beruf und Gesellschaft.

Um die Akzeptanz der Diagnose zu erhöhen wurde in Japan die Diagnosebezeichnung „Schizophrenie“ durch „Störung der Einheit des Selbst“ ersetzt (Umehara et al., 2011). Vermutlich würde eine erneute Veränderung des Begriffes auch hierzulande, vor allem für Betroffene, kurzfristig zu einer Verbesserung der Akzeptanz führen. Allerdings besteht die Gefahr, dass eine neue Bezeichnung bald mit denselben Vorurteilen behaftet wäre, denn jede Bezeichnung einer für viele Menschen unbegreiflichen psychischen Störung birgt die Gefahr, negativ besetzt und missbraucht zu werden. Sinnvoller ist es wahrscheinlich, über die Behandlung der Schizophrenie hinaus das negative soziale Stigma zu bekämpfen. In diesem Sinne sind in den letzten Jahren eine Reihe von Programmen entstanden, die auf die Reduzierung von Stigma in Bezug auf Schizophrenie abzielen (Morgan et al., 2018).

1.3 Klassifikation

Unter dem Begriff „Schizophrenie“ wird eine psychopathologisch heterogene Gruppe von Störungen zusammengefasst. Kaum eine andere diagnostische Kategorie ist so umstritten wie die Schizophrenie. Ein Grund hierfür liegt in dem Fehlen eines einzelnen Merkmals, das für diese Diagnose als notwendig angesehen wird. Hinzu kommt, dass bislang keine klaren Ursachen bekannt sind, die die Störung als Ganzes erklären. Schließlich bietet die Diagnose selbst auch keine Anhaltspunkte im Hinblick auf die Einschätzung des weiteren Verlaufs, der sehr unterschiedlich sein kann.

Seit der Einführung von DSM-III kann Schizophrenie trotz der Heterogenität der Symptomatik vergleichbar zuverlässig diagnostiziert werden, wie andere psychische Störungen. Die weitgehende Anpassung der Diagnosesysteme DSM und ICD bilden eine verbesserte Basis für die Suche nach ätiologischen Faktoren, effektiver Prävention und Behandlung und erleichtern den Austausch unter Klinikern. Ein wesentlicher Unterschied liegt noch in der im DSM-5 geforderten Störungsdauer von sechs Monaten (APA, 2015), wohingegen die ICD lediglich einen Monat mit akuten Symptomen fordert.

Kasten 4 und 5 zeigen eine gekürzte Form der diagnostischen Kriterien für Schizophrenie nach DSM-5 (American Psychiatric Association, 2018) und ICD-10 (Dilling et al., 2004). Ein Überblick über die wichtigsten Änderungen vom DSM-IV zum DSM-5 findet sich in Kasten 6.

|21|Kasten 4:Diagnostische Kriterien für Schizophrenie nach DSM-5 (F20.9)1

Zwei (oder mehr) der folgenden Symptome, jedes bestehend für einen erheblichen Teil einer einmonatigen Zeitspanne (oder kürzer, wenn erfolgreich behandelt). Mindestens eines dieser Symptome muss (1), (2) oder (3) sein.

Wahn.

Halluzinationen.

Desorganisierte Sprechweise (z. B. häufiges Entgleisen oder Zerfahrenheit).

Grob desorganisiertes oder katatones Verhalten.

Negativsymptome (z. B. verminderter emotionaler Ausdruck oder reduzierte Willenskraft [Avolition]).

Für eine erhebliche Zeitspanne seit dem Beginn der Störung sind eine oder mehrere zentrale Funktionsbereiche wie Arbeit, zwischenmenschliche Beziehungen oder Selbstfürsorge deutlich unter dem Niveau, das vor dem Beginn erreicht wurde (oder, falls der Beginn in der Kindheit oder Adoleszenz liegt, wird das zu erwartende Niveau der zwischenmenschlichen, geistigen oder beruflichen Leistungen nicht erreicht).

Zeichen des Störungsbildes halten durchgehend für mindestens 6 Monate an. Diese 6-monatige Periode muss mindestens einen Monat mit Symptomen (oder weniger, falls erfolgreich behandelt) umfassen, die das Kriterium A (d. h. floride Symptome) erfüllen, und kann Perioden mit prodromalen oder residualen Symptomen einschließen. Während dieser prodromalen oder residualen Perioden können sich die Zeichen des Störungsbildes auch durch ausschließlich negative Symptome oder durch zwei oder mehr Symptome manifestieren, die im Kriterium A aufgelistet und in einer abgeschwächten Form vorhanden sind (z. B. seltsame Überzeugungen, ungewöhnliche Wahrnehmungserlebnisse).

Eine Schizoaffektive Störung und eine depressive oder bipolare Störung mit psychotischen Merkmalen wurden ausgeschlossen, da entweder 1) keine Episode einer Major Depression oder Manie gemeinsam mit den floriden Symptomen aufgetreten ist oder 2) falls affektive Episoden während der floriden Phase aufgetreten sind, ihre Gesamtdauer im Vergleich zur Dauer der floriden und residualen Perioden kurz war.

Das Störungsbild ist nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz (z. B. eine Substanz mit Missbrauchspotenzial oder ein Medikament) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors.

Bei einer Vorgeschichte mit einer Autismus-Spektrum-Störung oder einer Kommunikationsstörung mit Beginn im Kindesalter wird die zusätzliche Diagnose einer Schizophrenie nur dann gestellt, wenn mindestens einen Monat lang (oder weniger, falls erfolgreich behandelt) zusätzlich zu den anderen erforderlichen Symptomen einer Schizophrenie auch ausgeprägte Wahnphänomene oder Halluzinationen vorhanden sind.

Kasten 5:Diagnostische Kriterien nach ICD-10 (Forschungskriterien) für Schizophrenie (F20.0-20.3)

Allgemeine Kriterien für die paranoide, die hebephrene, die katatone und die undifferenzierte Schizophrenie:

G1. Entweder mindestens eines der Syndrome, Symptome und Anzeichen aufgelistet unter 1. oder mindestens zwei unter 2. sollten in der meisten Zeit innerhalb von mindestens einem Monat während einer psychotischen Episode vorhanden sein (oder während einiger Zeit an den meisten Tagen).

1.

Mindestens eines der folgenden Merkmale:

a)

Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder Gedankenausbreitung

b)

Kontrollwahn, Beeinflussungswahn; Gefühl des Gemachten deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahnwahrnehmung

c)

kommentierende oder dialogisierende Stimmen, die über das Verhalten des Patienten reden oder untereinander über ihn diskutieren oder andere Stimmen, die aus bestimmten Körperteilen kommen

d)

anhaltender kulturell unangemessener, bizarrer und völlig unrealistischer Wahn, wie der, das Wetter kontrollieren zu können oder mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen.

2.

Oder mindestens zwei der folgenden Merkmale:

a)

anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während mindestens eines Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deutlichen affektiven Inhalt oder begleitet von lang anhaltenden überwertigen Ideen

b)

Neologismen, Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt

c)

katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächserne Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor

d)

„Negative“ Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte. (Es muss sichergestellt sein, dass diese Symptome nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht werden.)

|22|G2. Ausschlussvorbehalt

Wenn Patienten ebenfalls die Kriterien für eine manische Episode (F30) oder eine depressive Episode (F32) erfüllen, müssen die oben unter G1.1 und G1.2 aufgelisteten Kriterien vor der affektiven Störung aufgetreten sein.

Die Störung kann nicht einer organischen Gehirnerkrankung (im Sinne von F00-F09) oder einer Alkohol- und Substanzintoxikation (F1x.0), einem Abhängigkeitssyndrom (F1x.2) oder einem Entzugssyndrom (F1x.3, F1x.4) zugeordnet werden.

Kasten 6:Änderungen von DSM-IV-TR zum DSM-5

Wichtigste Änderungen der Diagnosekriterien für Schizophrenie

Modifikationen des A-Kriteriums:

Wegfall des diagnostischen Sonderstatus für bizarren Wahn und Halluzinationen ersten Ranges nach Schneider (die nach DSM-IV jeweils allein zur Erfüllung des A-Kriteriums ausreichten), aufgrund geringer Spezifität bzw. geringer Reliabilität dieser Kriterien.

Die Diagnose von Schizophrenie setzt jetzt zwei A-Kriterium-Symptome voraus, von denen eines der drei Symptome Wahn, Halluzinationen oder desorganisierte Sprache sein muss.

Wegfall der Schizophrenie-Subtypen: Die Aufgliederung in Paranoider, Desorganisierter und Katatoner Typus wurde nicht ins DSM-5 übernommen.

(optionale) Erfassung der Symptom-Schwere auf Kontinuen: Alle vorhandenen A-Kriterium-Symptome werden in ihrer aktuellen Intensität (höchste Ausprägung innerhalb der letzten Woche) auf einer Skala von 0 bis 4 quantifiziert.

Änderungen im Kapitel Schizophrenie Spektrum und andere psychotische Störungen

Die Schizoaffektive Störung wurde rekonzeptualisiert als längsschnittliche Diagnose. Nach Erfüllung des A-Kriteriums ist nun erforderlich, dass eine majore affektive Episode über den Großteil der Störungsdauer vorhanden ist.