KOKS UND KARNEVAL - Thomas Ziegler - E-Book

KOKS UND KARNEVAL E-Book

Thomas Ziegler

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Ausgerechnet an Weiberfastnacht soll zum großen Schlag gegen den Rauschgiftboss Lorcaz ausgeholt werden. Der Zeitpunkt ist schlecht gewählt, der Zugriff misslingt. Damit beginnt die wilde Jagd auf einen prall gefüllten Koks-Koffer. Und erst am Aschermittwoch ist alles vorbei...    KOKS UND KARNEVAL  , der zweite Köln-Krimi von Bestseller-Autor Thomas Ziegler, erscheint als durchgesehene Neuausgabe im Signum-Verlag. 

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THOMAS ZIEGLER

Koks und Karneval

Roman

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

KOKS UND KARNEVAL 

Weiberfastnacht 

Freitag  

Samstag 

Sonntag 

Rosenmontag 

Aschermittwoch 

Das Buch

Ausgerechnet an Weiberfastnacht soll zum großen Schlag gegen den Rauschgiftboss Lorcaz ausgeholt werden. Der Zeitpunkt ist schlecht gewählt, der Zugriff misslingt. Damit beginnt die wilde Jagd auf einen prall gefüllten Koks-Koffer. Und erst am Aschermittwoch ist alles vorbei...

Koks und Karneval, der zweite Köln-Krimi von Bestseller-Autor Thomas Ziegler, erscheint als durchgesehene Neuausgabe im Signum-Verlag.

KOKS UND KARNEVAL

 

 

  

  Weiberfastnacht

 

»Jäje die jecken Wiever künne mer nix maache.«

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Über Nacht hatte sich in Köln eine ungesunde, schrille Fröhlichkeit breitgemacht. Kostümierte Sekretärinnen gingen mit Scheren bewaffnet auf Männerjagd, alkoholisierte Geschäftsleute warfen Luftschlangen durchs Büro, und übergeschnappte Rundfunkmoderatoren feierten den Beginn der tollen Tage mit Schunkelliedern und improvisierten Büttenreden. Nicht einmal die Polizei blieb vom närrischen Treiben verschont - im Präsidium am Waidmarkt hatte sich die Zahl der Pappnasen schlagartig verdoppelt.

Weiberfastnacht - eine ganze Stadt dreht durch, dachte Adolf Kaminski kopfschüttelnd. Dabei ist das erst der Anfang - wer weiß, wie es Rosenmontag hier aussehen wird. Bestimmt nicht normal, soviel steht fest.

Er sah durch das Seitenfenster hinaus in den sintflutartigen Regen, der den Bahnhofsvorplatz unter Wasser gesetzt hatte. Der Minutenanzeiger der großen Uhr über dem Haupteingang rückte einen Strich weiter.

Sieben Uhr fünfzig.

Noch zehn Minuten bis zur Ankunft des Wien-Ostende-Express. Noch zehn Minuten, dann war der Mann mit dem Koffer in der Stadt.

Jorge Gabriel Lorcaz, dachte Kaminski grimmig, du bist im Arsch. Du weißt es noch nicht, aber du bist im Arsch, im Arsch, im Arsch.

Sein Blick wanderte zum Taschenbuchkeller, wo Kriminalkommissar Schmöller unter seinem Schirm trutzig dem Unwetter widerstand, und weiter zur Domplatte, wo die Kollegen Vosswinkel und Müller-Lindlar tapfer die Stellung hielten, obwohl der Regen auf sie niederprasselte, als wollte er sie erschlagen. Unten auf dem Bahnhofsvorplatz, am Rievkooche-Pavillon, hatte Jean Lehnhard Posten bezogen und blätterte zur Tarnung im durchweichten Sportteil des Kölner Express.

Weitere Fahnder waren am Ausgang Breslauer Platz, an allen Nebenausgängen und auf dem Bahnsteig 8 postiert, wo in wenigen Minuten Jorge Gabriel Lorcaz aussteigen würde, im Gepäck einen Koffer voll Kokain.

Kaminski lehnte sich zufrieden in seinem Sitz zurück; die Operation war perfekt vorbereitet. Der Kolumbianer hatte keine Chance.

»Do leever Jott«, sagte Kriminalkommissar Heppekausen und beugte sich über das Lenkrad. »Die jecken Wiever sin do, Schäff!«

Er wies mit dem Daumen auf den Haupteingang, aus dem sich in diesem Moment ein Schwall entfesselter Jecken ergoss: erwachsene Männer mit Pappnasen im Gesicht und lächerlichen Hütchen auf dem Kopf und vier fette Matronen in Micky-Maus-Kostümen, die johlten und lachten und im Regen tanzten, als wäre das Leben ein einziger Spaß und die Welt eigens zu ihrem Vergnügen erschaffen worden.

Dann flog die Schwingtür erneut auf, und ein kleiner dicker Mann, der als einziger normal gekleidet war, wurde von einer jungen Blondine in Clownsmaske und rot-weiß gestreiftem Nachthemd aus dem Bahnhof gejagt. Sie klapperte mit einer riesigen Tapezierschere und kreischte wie wahnsinnig. Der kleine Dicke schlug mit seiner Aktentasche nach ihr und floh in panischer Angst Richtung Domplatte. Die mörderische Blondine blieb ihm dicht auf den Fersen.

»Allmächtiger!«, sagte Kaminski erschüttert.

Heppekausen lachte. »Nä, wat ene bängliche Möp. Dä Tünnes möt us Berchhem komme. Ene kölsche Jong dät nit die Fleje maache. So wat es vill zo jefährlich. Die jecken Wiever könne so wat nit ob. Die könne so wat totalemang nit ob!«

Der kleine Dicke hatte die rettende Treppe fast erreicht, als sich von oben eine schwarzhaarige Hexe auf ihn stürzte und ihm ihren Hexenbesen zwischen die Beine schob. Der Dicke stolperte und landete bäuchlings in einer großen Pfütze. Die Aktentasche flog im hohen Bogen durch die Luft. Dann war die Blondine mit der Schere über ihm.

»Allmächtiger!«, sagte Kaminski wieder.

Ein schneller Schnitt, und die Blondine schwenkte triumphierend eine kastrierte Krawatte. Die Hexe sprang hinzu, packte den Dicken an beiden Ohren und drückte ihm einen Kuss ins aschfahle Gesicht.

»Jlöck jehat«, meinte Heppekausen. »Nu kritte doch sin Bützche. Äwer normalemang hädde mer us op et Schlemmste jefass maache könne, Schäff. Normalemang sin die jecken Wiever janz biestich, wann son Tünnes die Fleje maache dät. Do jibts dann kinne Bützche, do jibts nix wigger wie Klöpp!«

Der blonde Clown und die schwarzhaarige Hexe verschwanden mit der erbeuteten Krawatte im Bahnhof. Die vier fetten Micky-Maus-Matronen beendeten ebenfalls ihren Regentanz und huschten mit wippenden Mäuseschwänzchen die Treppe zur Domplatte hinauf. Der kleine Dicke kam langsam auf die Beine, fischte seine Aktentasche aus der Pfütze und befingerte fahrig den Rest seiner Krawatte, als könnte er immer noch nicht fassen, was mit ihm geschehen war.

Völlig durchnässt schlich er davon.

Kaminski schüttelte schockiert den Kopf. »Einfach unglaublich! Ein klarer Fall von Körperverletzung und Sachbeschädigung! Und so was ist hier in Köln wirklich erlaubt?«

»Dat es Wieverfastelovend, Schäff«, sagte Heppekausen. »Die Lück han sich die janze Zick dadrop jefreut.«

Kaminski griff unwillkürlich nach seiner eigenen Krawatte.

»Ene jode Jedanke«, bestätigte Heppekausen. »Bloß wech domit. Die jecken Wiever losse sich prinzipijell op keine Diskösch in, Schäff.«

»Reden Sie keinen Quatsch, Heppekausen«, knurrte Kaminski. »Ich bin Kriminalbeamter. Mir schneidet keine übergeschnappte Emanze die Krawatte ab!« Er sah zur Bahnhofsuhr hinüber; zwei Minuten vor acht. »Okay, es geht los. Fragen Sie noch mal bei der Zentrale nach, ob die Abhörschaltung von Hoballas Telefon steht. Vielleicht ruft Lorcaz schon vom Bahnhof aus an, und ich möchte nicht, dass es irgendwelche Pannen gibt.«

»Jot, Schäff.« Heppekausen griff nach dem Funkgerät. »Äwer passe Se bloß op die jecken Wiever op!«

Kaminski knurrte nur, stieg aus und warf die Autotür zu. Der Wind blies ihm den Regen ins Gesicht. Er schlug den Kragen seines Trenchcoats hoch und eilte zum Eingang, wo ihm Kriminalkommissar Schmöller nervös unter seinem Schirm entgegenspähte.

»Ist es soweit, Chef?«

Kaminski nickte. »In ein paar Minuten. Halten Sie sich bereit.«

Er ließ Schmöller im Regen stehen und betrat die lärmerfüllte Bahnhofshalle. An der U-Bahn-Treppe watschelte ein Mann in einem Pinguinkostüm auf und ab und blies misstönend auf einer Tröte. Kaminski ging zu den Kästen mit dem Fahrplanaushang hinüber und gab vor, die Fahrpläne zu studieren.

Es war genau acht Uhr.

Jorge Gabriel Lorcaz, dachte er, du bist im Arsch.

»Da steht ein Pferd auf m Flur, ein echtes Pferd aufm Flur, ja, ja, ein Pferd auf m Flur...«

»Allmächtiger!«, sagte Kaminski.

Ein Mann mit Pappnase und schief sitzender feuerroter Perücke schwankte grölend durch die Halle, rammte fast den Fahrplankasten, bekam im letzten Moment die Kurve - und prallte krachend gegen einen Fahrkartenautomaten. Kaminski wandte sich schaudernd ab. Hinten an den Münztelefonen fielen der blonde Clown und die schwarzhaarige Hexe über einen stämmigen Glatzkopf her. Der Glatzkopf lachte blöde, als ihm die Blondine die Krawatte abschnitt und das rituelle Bützche gab. Die Hexe fummelte währenddessen an ihm herum, als wollte sie ihn vergewaltigen oder ihm die Brieftasche klauen oder beides, aber die Glatze lachte nur noch blöder.

Kaminskis Walkie-Talkie summte.

Er drehte sich wieder zu den Fahrplänen um und ging auf Empfang.

Es war Hubschmidt, einer der beiden Kollegen, die auf dem Bahnsteig postiert waren. »Der Zug rollt ein, Chef.«

»Okay. Einsatzleiter an alle. Halten Sie sich bereit. Wir gehen wie besprochen vor.«

Er ließ das Walkie-Talkie wieder in der Tasche verschwinden und sah zu den Münztelefonen hinüber. Die beiden Weiber hatten sich aus dem Staub gemacht. Der grinsende Glatzkopf stand noch da und wühlte in seinen Taschen nach Kleingeld zum Telefonieren. Dann gefror sein Grinsen. Offenbar vermisste er sein Geld; offenbar hatte ihm die Hexe tatsächlich die Brieftasche geklaut. An der U-Bahn-Treppe kam es zu einem Tumult. Die vier fetten Micky-Mäuse waren wieder da und tanzten mit dem trötenden Pinguin. Vom fröhlichen Treiben angelockt, stieß die singende Pappnase dazu, verlor das Gleichgewicht, hielt sich am Pinguin fest und riss ihn mit die Treppe hinunter. Die Micky-Mäuse kreischten vor Vergnügen. Von unten drangen dumpfe Hilfeschreie herauf, gefolgt vom Gesang der Pappnase.

»...ja, ja, ein Pferd auf m Flur...«

Kaminskis Walkie-Talkie summte wieder.

Es war Heppekausen.

»Schäff! Schäff! Da bängliche Möp es widder do un dät ene janz widderliche Krawall mache!«

»Wie? Was?«, fragte Kaminski irritert. »Welcher Möp? Wovon reden Sie überhaupt?«

»Do leever Jott! Dä Möp, dä jrade vun denne jecken Wievern fädich jemaacht woode es. Die Wiever han dem Tünnes nit bloß sin Krawatt jekläut, die han och sin Jeld jekläut! Wat soll mer do maache, Schäff?«

»Machen Sie mich nicht wahnsinnig, Heppekausen! Lorcaz kann jeden Moment auftauchen, und Sie belästigen mich mit dieser Scheiße! Wenn der Mann tatsächlich bestohlen worden ist, soll er sich ans nächste Revier wenden.«

»Dat han ich em och jesaat, ävver dä dät wie jeck nach sin Jeld schreie un...«

»Heppekausen! Noch ein Wort, und Sie können über Karneval die Asservatenkammer fegen! Haben Sie mich verstanden?«

»Secher, Schäff. Ich kann Se jot verston. Äwer dä Tünnes kütt...«

Kaminski fluchte und schaltete ab.

»Mein Geld! Die verdammten Schlampen haben mir mein Geld geklaut!«

Der kleine Dicke kam wutschnaubend in die Halle gestürmt und blickte sich wild um. Einen Atemzug später begann auch der Glatzkopf an den Münztelefonen loszuschreien.

»Mein Geld! Ich bin bestohlen worden!«

Kaminski spürte den unwiderstehlichen Wunsch, seinen Dienstausweis zu zücken und den ganzen Bahnhof für verhaftet zu erklären. Er musste die Nerven behalten. Wenn Lorcaz bemerkte, dass die Polizei im Bahnhof war...

Lorcaz!

Dort kam er!

Nadelstreifenanzug, protziger Zobelmantel, maßgefertigte Lederschuhe und mit einem Kilo Schmuck behängen: Brillantringe, Goldkettchen, diamantbesetzte Krawattennadel, Manschettenknöpfe aus Platin, Rolex-Uhr. Eine Narbe zog sich von seinem linken Auge bis zum Kinn und verlieh ihm ein verwegenes Aussehen. Er grinste so frech und breit, wie nur ein kriminelles Arschloch mit drei Kilo Koks im Koffer grinsen konnte.

Den Koffer hielt er locker in der rechten Hand; es war ein kleiner, kompakter Aktenkoffer, wie ihn Millionen Geschäftsleute besaßen. Im Abstand von zehn Schritten folgten ihm die Kollegen Hubschmidt und Weber.

Jorge Gabriel Lorcaz, dachte Kaminski, du bist im Arsch.

Von der U-Bahn-Treppe näherten sich die kreischenden Micky-Mäuse. Lorcaz stutzte, schüttelte den Kopf, rückte seine Krawatte zurecht und ging weiter.

Kaminski starrte die Krawatte an.

Hoffentlich kamen die übergeschnappten Weiber nicht...

Die Mäuse stürzten sich auf Lorcaz. Eine hatte plötzlich eine Schere in der Hand und grabschte nach seiner Krawatte. Der Kolumbianer wich entsetzt zurück, und das einzige Ergebnis war, dass er sich selbst strangulierte; die fette Maus hielt ihn gnadenlos an seinem Binder fest.

»Oh, Scheiße!«, sagte Kaminski.

Der Kolumbianer holte mit dem Koffer aus und schmetterte ihn der scherenschwingenden Maus an den Kopf. Sie röchelte und klappte mit glasigen Augen zusammen. Die anderen Mäuse quiekten vor Wut und fielen gemeinsam über ihn her.

Eine kreischte wie von Sinnen: »Was hast du mit Anna gemacht? Was hast du kleiner Scheißer mit Anna gemacht?«

Lorcaz holte wieder mit dem Koffer aus, aber bevor er zuschlagen konnte, wurde ihm ein spitzes Mäuseknie zwischen die Beine gerammt. Sein Gesicht wurde grau, und er krümmte sich zusammen. Eine besonders aggressive Maus riss ihn an der Krawatte hoch und versetzte ihm einen Kinnhaken, der einem weniger zähen Burschen den Kiefer gebrochen hätte. Lorcaz ließ den Koffer fallen und sank röchelnd zu Boden.

Kaminski entschied, dass die Zeit zum Eingreifen gekommen war. Er stürzte los und packte eine der Mäuse an der Schulter.

»He, Sie, sehen Sie denn nicht, dass...«

Sie sprang ihn an. Kaminski wurde von der Wucht des Aufpralls umgeworfen und schlug hart mit dem Hinterkopf auf den Steinboden. Ihm wurde schwarz vor Augen. Benommen blieb er liegen.

Die Maus setzte sich auf seine Brust und schrie: »Anna, schnell! Ich hab’ ihn! Ich hab’ ihn!«

»Runter mit Ihnen!«, keuchte Kaminski. »Sie wissen nicht, wen Sie...«

Die Maus zerrte an seiner Krawatte und schnürte ihm die Luft ab.

»Schnell, Anna! Der Kerl bewegt sich wieder!«

Kaminski röchelte, holte mit der Faust aus und erwischte sie dicht unter dem Ohr. Die Maus kippte zur Seite, aber ehe Kaminski aufstehen konnte, war Anna mit der Schere über ihm.

»Du kleiner Scheißer!«, schrie sie. »Ich sollte dir die Eier abschneiden!«

Die Schere klapperte. Aber zum Glück schnitt ihm Anna nur die Krawatte ab. Sie heulte triumphierend auf und machte sich mit der Trophäe davon. Kaminski rappelte sich auf - und wurde von der singenden Pappnase gerammt. Sein Kopf prallte krachend gegen den Fahrplankasten. Stöhnend sackte er zusammen.

»...ja, ja, ein Pferd auf m Flur.,.« 

»Mein Geld! Rück mein Geld raus, du Schlampe!«

»Meine Brieftasche! Her mit meiner Brieftasche!«

»Au, Scheiße, hören Sie auf, mich zu beißen. Ich bin Polizist!«

»Mach ihn fertig, Anna!«

»Zu Hilfe, Chef! Sie kratzt mir die Augen aus!«

»Zorras! Fulanas! Mi maleta! Mi maleta!«

»Chef, Chef, der Koffer!«

»Hau ab, Susi! Los, hau mit dem Koffer ab!«

Kaminski zog sich am Fahrplankasten hoch; die Schatten vor seinen Augen lichteten sich, und er konnte wieder klar sehen. Doch was er sah, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren.

Lorcaz kroch halb betäubt über den Boden und wurde von zwei Mäusen mit Fußtritten bearbeitet. Von hinten tauchte Kommissar Hubschmidt auf, der den Koffer sicherstellen wollte, aber mit Anna zusammenprallte und ebenfalls zu Boden ging. Die vierte Maus hatte sich wie ein wildes Tier in den Arm des vor Schmerzen winselnden Kollegen Weber verbissen. Ein paar Meter weiter kämpften der kleine Dicke und der Glatzkopf mit der schwarzhaarigen Hexe und wurden von ihr durch gezielte Schläge mit dem Besen in die Flucht getrieben. Die schätzungsweise hundert Schaulustigen, die sich in der Zwischenzeit eingefunden hatten, johlten und lachten und amüsierten sich großartig.

»Der Koffer, Susi!«, schrie die schwarzhaarige Hexe wieder. »Schnapp dir den Koffer!«

Lorcaz schüttelte die Mäuse ab und streckte die Hand nach dem Koffer aus - doch einen winzigen Augenblick zuvor schloss sich eine andere Hand um den Koffergriff.

Kaminski traf fast der Schlag.

Die Hand gehörte der Blondine in der Clownsmaske, die schon den kleinen Dicken und den Glatzkopf beklaut hatte. Jetzt wollte sie auch noch den Kokskoffer stehlen!

»Hände weg vom Koffer!«, schrie er. »Ich sagte, Hände...«

Lorcaz griff unter sein Jackett, riss eine Pistole hervor und schoss mit wutverzerrtem Gesicht in die Luft. Eine kleine Ewigkeit lang war es totenstill. Dann brach Panik aus. Die Menge spritzte auseinander. Die Leute kreischten und schrien, schoben und drängten, rannten blindlings in alle Richtungen davon. Einige strauchelten und stürzten, die anderen trampelten rücksichtslos über sie hinweg.

»Oh, Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, sagte Kaminski verzweifelt.

Er zog seine Dienstpistole und zielte auf den Kolumbianer, aber eine hysterisch schreiende Frau versperrte ihm das Schussfeld.

»Auf den Boden!«, brüllte er. »Verdammt, auf den Boden mit Ihnen!«

Lorcaz schoss wieder. Die Kugel pfiff an Kaminskis Kopf vorbei und zersplitterte die Glasscheibe des Fahrplanaushangs. In der nächsten Sekunde rannte der Kolumbianer los und verschwand in der Menge.

Kaminski fluchte und griff nach seinem Walkie-Talkie.

»Einsatzleiter an alle! Ich brauche sofort Verstärkung! Lorcaz schießt um sich, und jemand hat den Koffer geklaut. Die Beschreibung der Täterin...«

Aus den Augenwinkeln sah er eine Bewegung. Er drehte sich und starrte in das höhnisch grinsende Gesicht der Hexe. Ihr Besen sauste nieder und traf ihn am Kopf. Er röchelte. Walkie-Talkie und Dienstpistole entglitten seinen kraftlosen Händen, und der Boden kam rasend schnell auf ihn zu.

Adolf Kaminski, dachte er, ehe der Aufprall alle Gedanken auslöschte, Adolf Kaminski, du bist im Arsch.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Um elf Uhr stand ganz Köln köpf. In Ehrenfeld stürmten die Wiever mit Enterhaken das Bezirksrathaus; in Sülz kidnappten die Walküren vom Kegelclub Schreihals den Bezirksvorsteher und pressten ihm ein Fass Kölsch ab; im Justizpalast an der Luxemburger Straße tanzten Richter und Staatsanwälte im Punkerlook eine Polonaise durch die Gerichtskorridore; und selbst im Präsidium am Waidmarkt wurde in den Büros geschunkelt und gebützt, als gäbe es keine Verbrecher mehr, sondern ausschließlich Jecken auf der Welt.

Nur im Chefbüro des Rauschgiftdezernats herrschte Grabesstille.

Adolf Kaminski saß mit hängenden Schultern, höllischem Schädelbrummen und dickem Kopfverband vor Hauptkommissar Bocks wuchtigem Eichenschreibtisch und versuchte, sich mit der deprimierenden Tatsache abzufinden, dass er tatsächlich im Arsch war. Selbst wenn er noch irgendwelche Zweifel daran gehabt hätte - der Chef des Rauschgiftdezernats hatte sie nicht.

»So, wie ich das sehe«, sagte Böck zum zehntenmal innerhalb von zehn Minuten, »sind Sie im Arsch. Sie sind im Arsch, Kaminski, und Sie wissen es. In meiner fast dreißigjährigen Laufbahn als Kriminalbeamter habe ich noch nie eine so dilettantisch vorbereitete und amateurhaft ausgeführte Operation erlebt wie dieses Desaster im Hauptbahnhof.«

»So schlemm es et och ens widder nit, Schäff«, meldete sich Jupp Heppekausen zu Wort. »Jäje die jecken Wiever künne mer nix maache, un dä Spetzbov vun Lorcaz...«

»Halten Sie sich da raus, Heppekausen!« schnappte Böck. »Die Lage ist viel schlimmer, als Sie überhaupt ahnen! Ich wage gar nicht daran zu denken, was der Polizeipräsident zu dem Vorfall sagen wird, von den Zeitungen ganz zu schweigen. Wahrscheinlich wird man unsere Köpfe fordern. Wahrscheinlich wird man sie auch bekommen.«

Er trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte. Es klang wie Chopins Trauermarsch in h-Moll.

»Ich war von Anfang an gegen diese zweifelhafte Operation«, behauptete Böck. »Ich habe von Anfang an gesagt, verhaftet Lorcaz schon am Bahnhof. Hoballa hätten wir auch anders festnageln können, auch ohne die Übergabe des Kokains. Aber Sie wollten ja nicht auf mich hören, Kaminski!«

Kaminski sah ihn verblüfft an. In Wirklichkeit hatte gerade Böck darauf bestanden, mit Lorcaz’ Verhaftung bis zur Übergabe des Kokskoffers an Charly Hoballa zu warten. Offensichtlich wollte der Hauptkommissar diese Panne ausnutzen, um seinen Posten als Abteilungsleiter zu retten, den er seit Kaminskis Versetzung ins Kölner Rauschgiftdezernat bedroht wähnte.

Und das mit Recht.

Als Präsident des Polizeikarnevalvereins K. G. Mord un Dutschlaach und als Büttenredner Dä jecke Spetzbov genoss Böck ohne Zweifel die Sympathien der Öffentlichkeit - aber von Pappnasen und Kamellen ließen sich hartgesottene Gangster wie Jorge Gabriel Lorcaz und Charly Hoballa nicht beeindrucken. Man musste ihnen mit eiserner Faust den Arsch aufreißen, und jemand wie Adolf Kaminski, der in Herne die örtliche Drogenszene quasi im Alleingang trockengelegt hatte, war dafür besser geeignet als ein Mann, der vom elften elften bis Aschermittwoch mehr Jeck als Rauschgiftfahnder war.

Durch das offene Fenster drang scheppernde Karnevalsmusik.

Tätä-tätä-tätä!

»Ha!«, rief Böck nach einem Blick auf seine Armbanduhr. »Elf Uhr elf. Großartig, einfach großartig. Eigentlich sollte ich jetzt mit dem Oberbürgermeister, dem Präsidenten des Festkomitees und dem Dreigestirn am Altermarkt auf der Ehrentribüne stehen und den Beginn des Straßenkarnevals feiern. Eigentlich sollte ich jetzt schunkeln und lachen und glücklich sein. Stattdessen muss ich mir den Kopf darüber zerbrechen, wie ich dem Polizeipräsidenten dieses Massaker im Hauptbahnhof erklären soll!«

Kaminski strich sich vorsichtig über den schmerzenden Kopf. »Massaker ist doch wohl ein wenig übertrieben«, sagte er verärgert. »Es war eine Panne, die jederzeit passieren...«

»Eine Panne?« Böck starrte ihn an. »Eine wilde Schießerei mitten in der Bahnhofshalle nennen Sie eine Panne? Sechzehn Verletzte, davon drei Polizisten, fünf ungerechtfertigte Festnahmen, zwei unaufgeklärte Taschendiebstähle, ein entkommener gemeingefährlicher kolumbianischer Kokainhändler, ein spurlos verschwundener Koffer mit drei Kilo Kokain, der gute Ruf des Rauschgiftdezernats auf Jahre hinaus ruiniert - und für Sie ist das nichts weiter als eine Panne?«

In Kaminski kochte die Wut hoch. »Verdammt, Sie tun so, als wäre die Schießerei im Bahnhof meine Schuld! Niemand konnte ahnen, dass Lorcaz zur Waffe greift. Und hätten sich diese übergeschnappten Mäuse nicht eingemischt...«

»Hätte, hätte, hätte!« äffte Böck abfällig nach. »Hätte Gott dem Menschen eine Pappnase gegeben, hätten wir das ganze Jahr Karneval. Außerdem waren das keine übergeschnappten Mäuse, sondern die Damen des Frauensparvereins Kamelle, die nur das getan haben, was alle anständigen Kölnerinnen an

Weiberfastnacht tun - Schlipse abschneiden und Bützche verteilen. So was ist völlig normal, Kaminski. Normal! Wissen Sie, was das ist?«

»Ich verbitte mir diesen Ton!«, brüllte Kaminski.

Böck kniff die Lippen zusammen.

»In Ordnung«, sagte er schließlich gefährlich leise. »Lassen Sie uns sachlich bleiben. Lassen Sie uns sachlich darüber reden, warum Sie nicht nur den ganzen Sparverein, sondern auch den Schwager des Festkomitee-Präsidenten verhaftet haben.«

»Woher sollte ich denn wissen, dass diese singende Pappnase...«