Sardor 1: Der Flieger des Kaisers - Thomas Ziegler - E-Book

Sardor 1: Der Flieger des Kaisers E-Book

Thomas Ziegler

0,0

Beschreibung

"Schnee knirschte und war rot wie gefrorenes Blut unter dem Kirschrund der Sonne. Der Wind, der ohne Unterlass die Klippen und Gipfel, die Hänge und Simse im rostenden Fels der Krograniten-Berge umpfiff, wirbelte den Schnee auf und ließ ihn tanzen, wie er seit Äonen getanzt hatte. In zerrissenen Wolken wallte der Schnee über den Gletscher und hinab in den schwarzen Schlund der Schlucht, in die das Eis sich schob, als hoffte es, im Lauf der Zeit den Abgrund aufzufüllen und so die steile Wand zu erreichen, die hundert Meter weiter in den Himmel stieg ..." Mit diesen Worten beginnt eine Saga, die innerhalb der deutschsprachigen Fantasy ihresgleichen sucht: die Geschichte des Jagdfliegers Dietrich von Warnstein, den es aus den Wirren des Ersten Weltkriegs in eine fremdartige Welt verschlägt, wo Menschenvölker und magische Geschöpfe in eine endlose Schlacht verwickelt sind. Auf welcher Seite soll der Rittmeister kämpfen? Und gibt es einen Weg, in die Heimat zurückzukehren ...? Die lang erwartete Neuausgabe der großen Fantasy-Trilogie von Thomas Ziegler! Bei Band 1 und 2 handelt es sich um behutsam durchgesehene Neuausgaben der ursprünglich 1984 bzw. 1985 bei Bastei Lübbe erschienenen Romane; der bisher noch nicht publizierte, fast schon legendäre Band 3 wurde, zur Hälfte fertiggestellt, im Nachlass des Autors entdeckt und wird von Markolf Hoffmann zu Ende geschrieben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 211

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



-

Titel

--

Impressum

Thomas Ziegler •Der Flieger des Kaisers

Erstausgabe bei Bastei Lübbe (Bergisch Gladbach, 1984)

unter dem Titel Sardor

© 1984 by Rainer Zubeil

Mit freundlicher Genehmigung von Verena Zubeil,

vermittelt durch Ronald M. Hahn

© dieser Ausgabe 2013 by Golkonda Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Hannes Riffel

Korrektorat: Hellfrid Niesche

Gestaltung: s.BENeš [www.benswerk.de]

Satz und E-Book-Erstellung: Hardy Kettlitz

Golkonda Verlag

Charlottenstraße 36

12683 Berlin

Kontakt: [email protected]

www.golkonda-verlag.de

ISBN: 978-3-942396-51-6 (Buchausgabe)

ISBN: 978-3-942396-71-4 (E-Book)

-

Inhalt

Titel

Impressum

1. Kapitel: Der Eisenherzog

2. Kapitel: Gewitterflug

3. Kapitel: Dunkle Heere

4. Kapitel: Sardor

5. Kapitel: In der Gruft

6. Kapitel: Exkursion nach Gorm

7. Kapitel: Der Bosling

8. Kapitel: Zu den Seufzerschründen

9. Kapitel: Der letzte Flug des Albatros

10. Kapitel: Der Nachtmahr

Über den Autor

Weitere Bücher

Phantastik im Golkonda Verlag

-

Während des Ersten Weltkriegs

wurden 17.000 deutsche Offiziere und Soldaten

im Fliegerberuf ausgebildet.

Bei Kriegsende waren 13.100 verwundet, vermisst, tot.

Dies ist die Geschichte des Jagdfliegers

Leutnant Dietrich von Warnstein.

Im Herbst 1917 A.D. vermisst und für tot erklärt.

-

1. Kapitel: Der Eisenherzog

They sleep their patient sleep in altered lands,

The golden promise in their fleshless hands.

Agnes Mary Robinson

Etruscan Tombs, 1888

Schnee knirschte und war rot wie gefrorenes Blut unter dem Kirschrund der Sonne. Der Wind, der ohne Unterlass die Klippen und Gipfel, die Hänge und Simse im rostenden Fels der Krograniten-Berge umpfiff, wirbelte den Schnee auf und ließ ihn tanzen, wie er seit Äonen getanzt hatte. In zerrissenen Wolken wallte der Schnee über den Gletscher und hinab in den schwarzen Schlund der Schlucht, in die das Eis sich schob, als hoffte es, im Lauf der Zeit den Abgrund aufzufüllen und so die steile Wand zu erreichen, die hundert Meter weiter in den Himmel stieg – dem brodelnden Sonnenball entgegen, der wie eine rote Wunde im Grau des Firmaments schwärte und ein Viertel des Himmels einnahm. Dennoch war es kalt, so kalt, dass der Wasserdampf im Atem des einsamen Wanderers sofort zu Reif gefror und seinen Bart verkrustete.

Grimmig bahnte Churm sich seinen Weg.

Über den Grat zwischen Gletscher und Schlund, gegen den Wind und im tanzenden Schnee. Er spürte die Kälte, aber er erlaubte ihr nicht, sich in sein warmes Fleisch zu fressen und das Leben aus seinen Gliedern zu saugen. Der Schnee knirschte und der Gletscher knarrte und knackte, zermalmte mahlend gewachsenen Fels. Lüstern klirrte der Frost und rieb mit klammen Fingern über des Wanderers Rüstung, die schwarz schimmerte wie die Schlucht, über das engmaschige, aus Stahlfäden gesponnene Beinkleid und die Stiefel aus geschmeidigem Horn.

Churm missachtete den Frost.

Sich dem Frost zu stellen, hätte bedeutet, sich mit ihm zu messen, und wenngleich die Kälte kein unüberwindlicher Gegner war, so forderte jeder Kampf Zeit, und Zeit war in diesen Tagen kostbar wie das Leben selbst. Vielleicht war es schon zu spät. Vielleicht wogte drunten in der Ebene, im Glasgras zwischen Heldenhügel und Stryge, die Schlacht, die unausweichlich geworden war. Vielleicht mähten dort die Schwerter der Crypten die Reihen der Hainvölker nieder, und vielleicht brannten schon die Wälder und schickten Rauch zur geblähten Sonne hinauf.

Schneller, dachte Churm. Geh schneller!

Er beschleunigte seine Schritte und ließ den Frost hinter sich. Er lief über einen gefährlich glatten Felsgrat und atmete Reif aus. Doch sein Fuß fand immer sicheren Halt. Hungrig klaffte das Maul der Schlucht, und grollend kalbte der Gletscher, doch selbst wenn die Schneewolken so dicht wurden, dass sie das Sonnenlicht verschluckten, hielt der alte Krieger keinen Moment inne.

Dann krümmte sich der Grat und entfernte sich vom Abgrund, schnitt wie ein blankes Schwert durch das wandernde Eis und wölbte sich himmelwärts, um schließlich am Fuß einer rostenden Klippe erneut abzuknicken und in einen Sims überzugehen, so breit wie die Alte Eisenstraße. Die Klippenwand hielt den Wind ab und mit dem Wind auch den wirbelnden Schnee. Kirschlicht fiel kalt vom Himmel und verwandelte das zerfressene Erzgestein in wundes Fleisch.

Churm blieb stehen.

Zu seinen Füßen wälzte sich der Gletscher weiter der Schlucht entgegen, verschlang der Abgrund das tollkühne Eis, tanzten die Schneekristalle in den pfeifenden Böen. Felsstaub und Rost rieselten auf des Wanderers Helm und Rüstung. In der Ferne klirrte hungrig der Frost, tollte über den Gletscher, den Grat, zum Sims hinauf, um sich auf halbem Weg abzuwenden und wieder hinabzusteigen, und bald ertrank sein Klirren im ewigen Geheul des Windes.

Churm atmete aus und blies Raureif in seinen Bart.

Die letzten Meter, dachte er, während er mit silbernen Augen den breiten Sims musterte, die Abdrücke eiserner Füße, die sich tief ins mürbe Erzgestein gegraben hatten und so weit voneinander entfernt waren, dass ein normaler Mann zehn Schritte machen musste, um von einem Stapfen zum anderen zu gelangen. Churm bückte sich und strich mit seiner Hand aus Horn über den tiefen Abdruck. Eisenspäne blieben am schwarzen Horn kleben und blitzten im Kirschlicht. Frische Späne. Frei von Rost. Kaum so alt wie der Morgen.

Hatte ihn der Eisenherzog beobachtet?

Hatte er seinen Aufstieg verfolgt, verborgen in den Felseinschnitten, hinter den Schneevorhängen, von den eisverkrusteten Höhen der Gipfel aus? Eine mächtige Gestalt aus lebendem Eisen, das Metallgesicht roh und stumpf, in dumpfem Erstaunen so heiß glühend, dass der Frost entsetzt zurückschrak und entfloh, um Jagd auf leichtere Beute zu machen ...

Churm hob den Kopf und drehte ihn Himmel und Sonne entgegen, zu den Klippen und Schründen hinauf, sah dann in den Schlund, tausend Klafter tief und düster wie die mondlose Nacht. Sein forschender Blick wanderte über den Sims zu der Wand aus zerfurchtem Gestein, wo der Eingang zum Stollen lag, ein Bogen aus purem Gold, dort, wo die Klippe rechtwinklig abknickte und sich der Sims zu einem Plateau verbreiterte.

»Herzog!«, rief Churm, sodass seine Stimme in der Bergwelt hallte, bis sich das Echo in den Felskaminen verfing und in Gefangenschaft geriet, die erst enden würde, wenn der Rost in zwei oder drei Jahrtausenden die Kerkermauern in Staub verwandelt hatte. »Eisenherzog!«, schrie Churm.

Doch er erhielt keine Antwort. Nichts rührte sich im Schwarz der goldumrandeten Stollenöffnung. Mit einem grollenden Fluch, der den Eisenmännern galt und den Bastarden, die sie bei ihrer Flucht vor den Gehörnten in der Welt zurückgelassen hatten, eilte er leichtfüßig über den Sims. Sein Schwert schabte über die Klippenwand und fräste eine tiefe Rille in das poröse Erzgestein, und Rost rieselte wispernd in die Tiefe. Schließlich hatte er das Plateau vor dem halbrunden Loch im Fels erreicht.

Er lauschte.

Bis auf das unentwegte Pfeifen und Heulen des Windes war alles still.

»Ich warte, Eisenherzog«, sagte Churm drohend. »Wenn du nicht kommst, hole ich dich.«

Diesmal musste er nicht lange auf eine Antwort warten. Der Boden bebte. Rasseln und Dröhnen wie von tausend Ketten, dick und schwer genug, um einen Riesen zu fesseln, wurde im Innern des Stollens hörbar, und aus dem goldgefassten Halbrund drang stickiger Geruch: Hitze und schmelzendes Metall, Moder und fauliges Gas, und dann noch etwas Fremdes, Beißendes, das Churm zurückweichen ließ, weil es Erinnerungen weckte, Erinnerungen an Dinge, die er vergessen geglaubt hatte und die ihn dennoch verfolgten. Die Luft waberte im heißen Wind aus dem Stollen, und selbst die Kälte der Berge benötigte lange Sekunden, um den beißenden Gestank gefrieren zu lassen, den der Wind mit sich trug. Das rasselnde Gedröhn hielt an und wurde lauter und wilder. Der Boden vibrierte, und das Eis auf dem Plateau und an der Klippenwand splitterte.

Churm legte die Hornhand an den Knauf des Schwer­tes.

Er empfand keine Furcht, nur Wachsamkeit und leises Unbehagen, während er reglos dastand und auf den Eisenherzog wartete. Starr hielt er die Augen auf die Stollenöffnung gerichtet, die so hoch war, dass sich zehn Männer aufeinander stellen mussten, damit der oberste mit den Fingerspitzen die Wölbung des Goldbogens berühren konnte, und ebenso breit. Noch immer glomm kein Licht in der Finsternis; nur das Dröhnen nahm zu, und der Boden bebte heftiger.

Der Eisenherzog kam.

Aus der Tiefe des Berges schritt er polternd empor, und jedes Mal, wenn sich einer seiner eisernen Füße senkte und in den erzgeäderten Stollengrund bohrte, schien das Massiv der Klippe wie unter einem ungeheuren Hammerschlag zu wanken. Wieder fauchte Hitze dem einsamen Mann ins Gesicht und taute die Eisperlen im schwarzen Bart, der Kinn und Wangen überwucherte und nur die strenge, gerade Nase und die Silberaugen unbedeckt ließ. Dicht über den schwarzen, buschigen Brauen saß der stahlgraue Helm mit dem Putz aus langen gebogenen Hörnern.

Churm verzog die Lippen zu einem freudlosen Lä­­cheln.

Der Gehörnte und der Eiserne, dachte er. Es ist wie in den alten Tagen ...

»Ich warte, Herzog!«, schrie er in den Stollen hinein, laut genug, dass seine Stimme die stampfenden Schritte und die rasselnden Atemzüge des nahenden Eisenherzogs übertönte. »Komm heraus! Ich warte auf dich, Herzog Krarn!«

Gelächter antwortete ihm, laut und dröhnend, wie ein Schlag der alten Wehrglocke klingen musste, die im höchsten Turm der Feste Gorm an einem Balken aus versteinertem Holz hing und deren dumpfe Stimme bis hinauf zum höchsten Gipfel der Krograniten reichen sollte. Aber niemand hatte den Schlag der Wehrglocke je gehört. Nicht einmal der Kriegsherr der Crypten, der ruchlose Schwarze Mirn, der nun auf dem Knochenthron von Gorm regierte und seine Heere am Strygenufer aufmarschieren ließ, hatte es gewagt, an der Wehrglocke zu rühren.

Denn wenn sie erklang, kehrten die Eisenmänner zu­­rück, und kehrten die Eisenmänner zurück, dann stiegen auch die Gehörnten wieder von den Sternen herab, und mit den Gehörnten kamen die Nachtmahre, um die Welt erneut in ein Schlachthaus zu verwandeln ...

Aus dem Stollen trat der Eisenherzog.

Zuerst war es nur ein Fleck, der rot im dunklen Halbrund glühte, ein Fleck von der Größe eines Handtellers, der schnell und drohend wuchs, zu einem Ball, einer Schüssel, einem Wagenrad, und in der frischen Luft loderte das Rot auf und wurde weißglühend: Eisen, in der Esse ungestümem Zorns erhitzt. Formlos und fließend war das ungefüge Antlitz des Riesen, der sich mit dröhnenden Schritten und knirschenden Metallgelenken aus der Öffnung schob. Der Mund ein wabernder Spalt im halbgeschmolzenen Eisen, die Nase ein Erker von der Größe eines menschlichen Rumpfes, kühler und dunkler als die dampfende Haut, die Augen zwei Gruben, in denen Metall kochte. Der Schädel stieß gegen das Gold des Torbogens und ließ es aufzischen. Der Hals war ein Fass, der Leib ein Wall aus purem Eisen. An der Oberfläche rostete der Körper beständig, sodass sich immer wieder rotbraune Flocken lösten und zu Boden schneiten. Die Beine waren wie die Säulen der Tempel im Cryptenland.

Der Eisenherzog blieb stehen.

Der ungeheure Schädel drehte sich mahlend nach rechts und nach links, und die kochenden Augen, an das Dunkel der Berge gewöhnt und vom Kirschlicht der Sonne geblendet, suchten grimmig nach dem Störenfried, der es gewagt hatte, den Herzog vom Lavafeuer seiner Schmiede hinaus in die Kälte zu locken.

»Hier bin ich, Eisenherzog!«, schrie Churm. »Hier!«

Das Schwert – blau und unzerstörbar wie der metallene Pfad, der ihn zum Sims in der Klippe und zum Plateau vor dem Stollen geführt hatte – lag in seiner Hand. Sechs Schritte war er zurückgewichen, und hinter ihm, nur zwei Fußbreit von seinen Fersen entfernt, endete das Plateau und fiel steil ab, in bodenlose Leere, über der der blutrote Schnee seinen wilden Reigen tanzte.

»Churm!«, rasselte der Eisenherzog und senkte die mächtige Hand, die er bereits zum Schlag erhoben hatte, um den Frevler in den Abgrund zu schleudern. Der wa­­bern­­de Spalt des Mundes klaffte auf und entblößte blitzende Zähne, jeder so lang wie Churms Schwert, jeder so breit wie der hünenhafte Mann. »Zwerg Churm!« Der Eisenherzog lachte sein dumpf hallendes, ohrenbetäubendes Gelächter. Die Knie knickten ein, und in einem Schauer rostigen Staubes ließ sich das Ungeheuer auf den Boden sinken, sodass das Plateau knirschte und bebte und jeden Moment von der Klippe zu brechen drohte. Erst als das Glockengelächter verklang, ließ auch das Beben nach. »Und das Schwert Gly stoßbereit in der Hand«, grollte der Herzog. »Bist du gekommen, um mich zum Kampf zu fordern? Um die alte Fehde aufleben zu lassen und hier und jetzt auszutragen?«

»Du weißt, warum ich gekommen bin«, sagte Churm barsch. Die Schwertspitze war auf die Brust des eisernen Riesen gerichtet, und die blaue Klinge färbte sich im roten Sonnenlicht dunkel. »Ich habe deine Spuren gesehen. Du hast meinen Aufstieg beobachtet.«

»Ich habe meinen Nachtgang gemacht«, wies ihn der Herzog rasselnd zurecht. »Unter dem Eisenring, wie es meine Art ist. Ich habe die Sterne beobachtet, nicht deinen Aufstieg. Ich weiß nicht, was du willst. Streit, wie es scheint. Oder planst du neue Diebereien? Ah, das Schwert Gly ... Gehörte Gly nicht Herzog Hartrokor? Hat er nicht einen ganzen Winter damit verbracht, die Klinge im Magma der Erde zu schmieden, und einen ganzen Sommer, um den Stahl im Fleisch der Toten zu härten, die L’Ingan von den Zinnen seines Turms in den Spalt des Knochenpfads zu werfen pflegt? Und hat Hartrokor nicht Herzog Rurr erschlagen und ihn dann die Wilden Wasserstürze hinabgeschleudert, nur weil Rurr den Knauf von Gly berührte? Und ist nicht Churm in tückischer Verkleidung in Hartrokors Stollen geschlichen, um Gly zu rauben und den Herzog in die Gletscher zu locken? Brach Hartrokor nicht ein? Rutschte er nicht in den kalten Kamin, wo er noch immer eingeklemmt ist und brüllt und flucht, dass die halben Krograniten keine Ruhe finden? Haben nicht die Herzöge diesem Churm Rache geschworen und gedroht, ihn Stück für Stück in ihren Essen umzuschmieden und alle Schlechtigkeit aus ihm herauszuhämmern? War es nicht so? Und ist es nicht unklug von Churm, sich allein an diesen Ort zu wagen und Herzog Krarn herauszufordern, ihn bei Dingen zu stören, die keine Störung dulden?«

»Ah«, machte Churm und hob die blanke Klinge, sodass ihre Spitze auf die Nasenwurzel des Herzogs deutete. »Diese alten Geschichten! Wer will sie heute noch hören? Nebenbei – hat nicht Herzog Krarn diesem Churm geholfen, den Narren Hartrokor zu überlisten? Und war es nicht so, dass eben dieser Krarn dem Zwerg Churm den klug getarnten Einstieg zu Hartrokors Stollen gezeigt hat?«

»Aus reiner Barmherzigkeit«, rasselte der Eisenherzog. »Aber vergessen wir den Lohn nicht, der zuvor zwischen Krarn und diesem verräterischen Zwerg vereinbart wurde. Hieß es nicht, dass er Gly erhalten solle? Wartet er nicht noch immer auf diese einzigartige Klinge? Ist nicht auch er betrogen worden – wie so manch anderer vom Eisenvolk, der so töricht war, dem Zwerg Churm zu vertrauen?«

Der Hornmann lachte. »Aber Torheit verdient doch ge­­­wiss harte Strafe, damit die Torheit ihren Reiz verliert und aus der Welt verschwindet; meinst du nicht auch?«

»Dennoch ...« Die Metallaugen des Herzogs rauchten in der Kälte, und die Weißglut der breiten Eisenwangen kühlte ab. Sie wurden rot wie der Sonnenball, der behäbig seinen Weg am grauen Himmel fortsetzte und die Wolkenbänke purpurn und violett bemalte. »Verdient nicht auch Leichtsinn harte Strafe? Und lautet das Urteil auf Kühnheit nicht Tod?«

»Aber Tod für wen, Herzog Krarn?«, fragte Churm mit stoßbereiter Klinge.

Der Riese lachte, und die Glocke seines Gelächters hallte zwischen den Klippen der Krograniten, bis sich in schneeverhangener Ferne eine Lawine aus Rost und Eis mit Donner löste und grollend in die Tiefe stürzte.

»Manche Fragen sollten nicht beantwortet werden«, erklärte Krarn. »Um der Freundschaft willen.«

»Um der Freundschaft willen«, nickte Churm, ohne das Schwert zu senken. »Ist es nicht seltsam, dass Freundschaft zwischen den Enkeln der Eisernen und der Gehörnten besteht, wo sich deren Ahnen doch Äonen lang bekriegt haben und schließlich von der Erde verschwunden sind, ohne ihren Streit beizulegen?«

»Du sprichst von Freundschaft und stehst mit gezogener Klinge da«, rasselte Herzog Krarn vorwurfsvoll.

»Das ist die einzige Freundschaft, die von Dauer ist.«

»Gly blitzt im Sonnenlicht und blendet mich. Warum steckst du sie nicht fort? Es würde alles sehr viel leichter machen.« Der Eisenherzog neigte den mächtigen Schädel, und eine Hand voll Metall tropfte aus seinem rechten Auge und schmolz den letzten Rest des Eises, das vor Kurzem noch das ganze Plateau verkrustet hatte. »Freunde sollten einander vertrauen, Zwerg Churm.«

»Hartrokor kann dir erzählen, wohin Vertrauen führt«, erwiderte Churm.

Wieder lachte der Eisenherzog, und wieder polterte eine La­­wine ins Tal. Von der Klippe fiel Rostregen, während jenseits des hohen Plateaus der blutrote Schnee tanzte.

»Du bist ein Philosoph, Freund Churm«, rasselte Krarn und lehnte knarrend wie ein großes Schiff den Rücken an den Goldrand der Stollenöffnung. »Der Letzte vom Orden des Horns ist ein Philosoph und ein Freund des Eisenvolkes. Ist das nur eine Grille des Schicksals oder die Erfüllung der alten Prophezeiung von L’aa? Vielleicht«, grollte der Riese, »schlägt morgen schon die Wehrglocke und warnt die Welt vor den Schatten, die vom Himmel steigen. Auf welcher Seite wirst du dann stehen, Zwerg Churm?«

»Sollten wir nicht besser fragen, wer auf meiner Seite stehen wird?«

Der Riese hieb mit der Faust auf seinen eisernen Schenkel, dass es metallisch dröhnte und tausendfach von den Bergen widerhallte, als hätte ein Hammer von der Größe eines Hauses einen gewaltigen Amboss entzweigeschlagen. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das Churm mit einem Bissen verschlingen konnte. Aber das blaue Schwert drohte.

»Du hast Witz, mein Freund«, knirschte Krarn. »Du weißt, wie man Worte mit Worten pariert.«

»Meine Zunge ist träge im Vergleich zu der Flinkheit meines Schwertes«, sagte Churm. Er erwiderte das ungeheuerliche Lächeln des Riesen mit einem grimmigen Grinsen. »Aber meine Gegenfrage auf deine Frage, Herzog Krarn, war nicht nur eine Parade im Duell unserer Zungen. Sie sollte dich vorbereiten auf das, was ich zu sagen habe. Auf den Grund für meinen Besuch an diesem ungastlichen Ort ...«

»Ungastlich?« Krarn runzelte die Stirn, hoch wie ein Gartenzaun, und das flüssige Eisen strudelte in plötzlicher Weißglut um seine kochenden Augen. »Ah, in der Tat. Ich bin ein elender Gastgeber. Mein Verhalten ist unverzeihlich. Wie konnte ich dich nur hier in der Kälte stehen lassen? Gehen wir hinein in den Berg, und ich werde ...«

»Die Zeit ist zu knapp dafür«, unterbrach Churm. »Du weißt, was unten in der Ebene geschieht?«

»Seit zweitausend Jahren«, grollte der Eisenherzog, »habe ich mich nicht mehr um die Maden gekümmert, die dort wimmeln.«

»Deine Lügen«, versetzte Churm, »sind stets von be­­sonderem Reiz. Du verstehst es, die Fäulnis der Unwahrheit mit dem Gift der Beleidigung zu verbinden.«

»Du schmeichelst mir«, wehrte der Riese verschämt ab.

»Du bist mein Freund, Herzog Krarn.«

»Hartrokor weiß, was aus deinen Freunden wird ...«

»Früher oder später«, nickte Churm bedächtig, »sterben sie alle. Das haben sie mit meinen Feinden gemein.«

»Feinde?« Der Eisenherzog reckte neugierig den glühenden Kopf und wischte eine Lage Rost von seiner Brust. Hier draußen in der sauerstoffreichen Luft der Berge, unter der Wolkengrenze, häutete er sich mit größerer Geschwindigkeit als in der dunklen Stickigkeit der Stollen, die er mit seinen stählernen Zähnen in das Erzgestein gegraben hatte. »Du hast Feinde? Viele Feinde?«

»Tausend? Oder hunderttausend?« Churm machte eine vage Geste mit der schwarzen Hornhand. »Wer weiß. Ich zähle sie gewöhnlich erst, wenn sie erschlagen vor mir liegen.«

»Eine vernünftige Einstellung«, lobte der Riese rasselnd und knirschend. »Solange sie leben, besteht die Gefahr, dass sie fliehen. Das erschwert die vermaledeite Zählerei. Man muss ihnen nach und sie wieder einfangen, und man weiß nie, ob man sie schon mitgezählt hat oder nicht ... Eine schreckliche Unsicherheit, die uns alle plagt. Sie verdirbt die Moral. Ständig gibt es Streit, und an manchen Tagen dröhnen die Krograniten unter den Schlägen, die sich die Herzöge versetzen, weil sie sich nicht einigen können, wer mehr Feinde erschlagen hat. Außerdem gibt es zu viel Lüge und Prahlerei ...«

»Wäre es nicht klüger, die Schädel der Opfer zu sammeln – sozusagen als Beweis?«, fragte Churm.

Der Eisenherzog bleckte die mannsgroßen Stahlzähne. »Wir haben es bereits versucht, Freund Zwerg, aber eine Sammelleidenschaft wie diese, so ehrenvoll sie auch sein mag, musste zwangsläufig zu Betrug und Täuschung führen. Einige schmiedeten Schädel aus Eisen, tunkten sie in Harz und bestreuten sie mit geriebenem Gebein; andere schlichen sich heimlich an L’Ingans Turm vorbei zum Knochenpfad und griffen sich alles, was auch nur entfernt nach einem Totenschädel aussah; die Dritten drangen in die Trophäenhöhlen ihrer Freunde ein und stahlen deren knöcherne Schätze. So viel Betrug!« Krarn kratzte mit seinen schenkeldicken Fingern über den Rostbelag seiner Lenden. »Im Übrigen«, grollte er nach einem düsteren Moment des Schweigens, »bin ich der einzige Herzog vom Eisenvolk, der sich aufs Zählen versteht. Alle anderen sind zu dumm.«

»Es wird am Rost liegen«, vermutete Churm.

Krarns Metallaugen kochten auf und warfen Blasen. »Rost!«, rasselte der Herzog voll Zorn. »Mir gefällt dieses Wort nicht, Zwerg Churm. Vor allem dann nicht, wenn es von deinen Lippen dringt.«

Churm, das blaue Schwert noch immer auf die Nasenwurzel des Riesen richtend, lächelte dünn. »Freunde haben die Pflicht, einander die Wahrheit zu sagen, auch die unangenehme. Vor allem die unangenehme«, fügte er stirnrunzelnd hinzu. »Aber vielleicht gefallen dir meine nächsten Worte mehr. Unten in der Ebene warten zahllose Schädel darauf, von einer kundigen Hand zusammengerafft und in den Bauch der Berge verschleppt zu werden. Cryptische Schädel.«

»Ah, die Crypten«, nickte der Eisenherzog knirschend. »Sind sie endlich bis zur Stryge vorgedrungen?«

»Schon vor einigen Monaten.« Churms Miene verdüsterte sich, und in seinen Silberaugen glomm es auf, als hätte der Hass ein Feuer hinter seiner Stirn entfacht. »Sie haben N’jyr unterworfen und die Große Mauer geschleift, die Nord und Süd voneinander trennte. Aus den Trümmern der Großen Mauer mussten die Männer von N’jyr ihre Grabsteine hauen, und das ganze Land verwandelte sich in einen Friedhof.«

»Ich bewundere die Crypten«, grollte Krarn andächtig. »Sie sind Meister im Zerstören, Brandschatzen, Schänden und Morden, und sie haben die Folter zur Kunst erhoben. Ah!« Er seufzte, und es klang wie das Fauchen eines riesigen Blasebalgs. »Ah, diese zivilisierten Völker ...«

Churm lachte bitter. »Aber mit N’jyr und der nördlichen Hochebene haben sich die Crypten nicht zufriedengegeben. Der Lichtdespot schickte seinen Sohn, den Schwarzen Mirn, an der Spitze eines Heeres in den Süden. Über die Alte Eisenstraße stießen die Crypten zum Strygensee vor. Hencoren fiel an einem Tag, und die Fischer von Hencoren wurden mit ihren eigenen Netzen gefesselt, und die Netze wurden mit Steinen beschwert, und die gesamte Bevölkerung Hencorens wurde im Strygensee ersäuft.«

»Wahre Kunst kann auf Humor nicht verzichten«, grollte der Eisenherzog.

»Gorm wollte widerstehen«, fuhr Churm fort. »Die Bewohner der Feste schlossen die Tore, nachdem sie Boten über die Furt zu den Hainvölkern geschickt hatten, und sie glaubten, Mirn trotzen zu können, bis Hilfe eintraf.«

»Aber sie starben?«

»Sie starben alle«, bestätigte Churm.

Der Eisenherzog mahlte mit den Zähnen. »Gewiss war Verrat im Spiel?«

»Gewiss.«

»Köstlich!«, rief der Herzog. »Sprich weiter, Freund Zwerg. Deine Geschichte gefällt mir – was sich nicht von allen Ge­­schichten sagen lässt.«

»Die Verräter und die Verratenen wurden gleichermaßen an den Türmen Gorms aufgeknüpft. Mirn ließ dann die Feste von seinen Schlächtern räumen und zog sich für die Nacht nach Hencoren zurück. Und am nächsten Morgen ... waren die Gehenkten fort.«

»Fort?« Die eisernen Wangen des Herzogs glühten und dampften in der Kälte. »Was ist aus ihnen geworden?«

Churm zuckte die Schultern. »Niemand weiß es mit Sicherheit. Aber es gibt es Gerüchte ... scheußliches Ge­­flüster ...«

»Nun? Nun?«, drängte der Herzog.

»Der Geborstene Berg ...«

Der Herzog sagte nichts, aber die Glut seines Schädels kühlte ab, und ein Knacken und Knistern durchlief den mächtigen Eisenschädel, als wollte er im nächsten Augenblick zerspringen.

Churm beobachtete ihn, und er deutete die Zeichen. Furcht, dachte er. Der Herzog fürchtet sich, riesenhaft wie er ist, eisern und nahezu unverwundbar, aber er fürchtet sich. Nicht vor Gly, obwohl diese Klinge seinen Panzer durchbohren und bis in sein kaltes Herz dringen könnte, sondern vor dem Geborstenen Berg und dem, was in seinen finsteren Tiefen haust.

»Ich hätte es dir verschweigen können, Herzog Krarn«, murmelte Churm. »Ich hätte nichts vom Berg erwähnen können, doch es gibt Zeiten, da die Grausamkeit der Wahrheit mehr zählt als jeder Trost, den nur die Lüge spenden kann. Mirn hat es gewagt, Herzog. Mirn hat alles Menschliche in sich vergessen und ist hinabgestiegen in die Tiefe des Geborstenen Berges und hat geweckt, was seit Äonen schlief. Seit den Tagen des ersten kosmischen Krieges und dem Exodus der Eisenmänner ...«

»Unmöglich!«, keuchte der Eisenherzog. »Kein Mensch kann so verrückt sein ...!«

»Mirn schon.«

»Woher weißt du das, mein Freund? Wurde er bei seinem schändlichen Tun beobachtet? Gibt es einen Beweis für diese aberwitzige Tat?«

»Niemand sah ihn, und wenn doch, so lebte er nicht lange genug, um darüber zu berichten. Aber als die Hainvölker dem Hilferuf der Boten von Gorm folgten und mit Schwert, Axt und Spieß zur Feste zogen, waren die Gehenkten fort ... und ein sonderbarer Geruch hing in der Luft.«

»Ein Geruch?«, wiederholte Krarn. Sein Gesicht er­­starrte zu Schlacke, und der Rost breitete sich wie Schorf über seinen Eisenleib aus. »Ein Geruch wie von Staub, alt und süß und modrig, und von gefrorenem Leichengift, das seine Essenz im Eis bewahrt? Ein Geruch wie von feuchten Gemäuern und offenen Gräbern, wie er aus ­Schründen steigen mag, die tiefen Wunden gleich im Urgestein klaffen, schreckliche Gruben, in denen das Tier seit Anbeginn der Zeiten lauert? Ist es dieser grausige Geruch, von dem du sprichst?«