Kolibriküsse - Barbara Schinko - E-Book

Kolibriküsse E-Book

Barbara Schinko

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Beschreibung

**Ein romantischer Sommer in der sengenden Hitze Indianas** Weil ihre Mutter mal wieder auf einem Selbstfindungstrip ist, muss Kenzie für die letzten beiden Schuljahre zu ihrer Schwester ziehen. Das einzig Gute daran: die Autopanne kurz vor dem Ziel, die Kenzie in der sengenden Hitze Indianas eine Begegnung mit dem attraktiven Josh beschert. Kenzie verliebt sich Hals über Kopf in den heißen Farmboy mit den zerzausten Haaren und den kolibrigrünen Augen. Doch obwohl Josh ihre Gefühle scheinbar erwidert, weicht er ihren Flirtversuchen immer wieder aus. Als Kenzie sein Verhalten verstehen will, stößt sie auf ein gefährliches Geheimnis, das plötzlich ein ganz anderes Licht auf Josh wirft… //Textauszug: Stell dir die Szene so vor: eine Landstraße im Südwesten des amerikanischen Bundesstaats Indiana. Einspurig, na klar – mehr Spuren braucht man bei den paar hundert Einwohnern auch nicht. Indiana in den letzten Augusttagen, das heißt ca. vierzig Grad im Schatten. Nur dass es auf dieser Strecke keinen Schatten gibt, keine einzige Birke oder sonst einen Baum, bloß endlose verdorrte Mais- und Sojabohnenfelder. Die Luft stinkt nach kochendem Teer. Close-Up auf ein Schild am Straßenrand: „NO STOPPING, STANDING, OR PARKING“. Daneben steht eine schrottige Karre in einem echt schrägen Türkisgrün. Ein siebzehnjähriges Mädchen hat die Motorhaube geöffnet und starrt ratlos auf den Kabelsalat im Motorraum. Hi. Mein Name ist Kenzie.// //Alle Bände der gefühlvollen Reihe: -- Kirschkernküsse (Kiss of your Dreams) -- Kolibriküsse (Kiss of your Dreams) -- Cowboyküsse (Kiss of your Dreams)// Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden und haben ein abgeschlossenes Ende.

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

Epilog

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Impressum

1. Kapitel

Stell dir die Szene so vor: eine Landstraße im Südwesten des amerikanischen Bundesstaats Indiana. Einspurig, na klar – mehr Spuren braucht man bei den paar hundert Einwohnern auch nicht. Indiana in den letzten Augusttagen, das heißt circa vierzig Grad im Schatten. Nur, dass es auf dieser Strecke keinen Schatten gibt, keine einzige Birke oder sonst einen Baum zwischen endlosen verdorrten Mais- und Sojabohnenfeldern. Die Luft stinkt nach kochendem Teer.

Close-up auf ein Schild am Straßenrand: »NO STOPPING STANDING OR PARKING«. Daneben steht eine schrottige Karre in einem echt schrägen Türkisgrün. Ein siebzehnjähriges Mädchen hat die Motorhaube geöffnet und starrt ratlos auf den Kabelsalat im Motorraum.

Hi. Mein Name ist Kenzie.

***

Ich kam aus dem Bundesstaat Arkansas, war auf dem Weg zu meiner Schwester Page in Lacuna, Indiana, und hasste die ganze Welt. Vor allem aber Indiana!

»Mach jetzt bloß nicht schlapp!«, flehte ich den Kolibri an. »Bitte, bitte, bitte!«

Es nützte nichts. Der verschmorte Gummigestank aus dem Motorraum blieb. Dabei war der Kolibri eigentlich treu, treuer als sonst jemand in meinem Leben. Er hieß wegen seiner türkisgrünen Farbe so und weil ich beim Kauf auf dem Parkplatz des Autohändlers einen Kolibri gesehen hatte. Ein gutes Omen.

Mit sechzehn hatte mich der Kolibri aus dem Bundesstaat Michigan, wo wir damals gewohnt hatten, zu meiner Tante May nach Arkansas gebracht. Jetzt, ein Jahr später, ließ er mich auf dem Weg von Arkansas nach Indiana kurz vor dem Ziel im Stich. Vermutlich konnte er Indiana auch nicht leiden.

Ich gab ihm einen Klaps auf die Motorhaube. »Dich tot zu stellen nützt nichts. Wir beide müssen zu Page, ob's uns passt oder nicht. Du weißt ganz genau, dass Tante May keinen Platz mehr für mich hat, weil ihr Baby mein Zimmer kriegt!«

Entschlossen beugte ich mich vor, griff nach dem verschmorten Teil – und riss mit einem Aufschrei die Hand zurück: Autsch, der Riemen war brandheiß!

Mein Exfreund Mack hätte sich schiefgelacht, wenn er gesehen hätte, wie ich hier herumfummelte! Er hatte mir damals in Michigan etwas über Autos beibringen wollen, aber das war hauptsächlich ein Vorwand gewesen, um mich in der Werkstatt zu küssen. Mein Kopf hatte den Geschmack seiner Lippen und das Gefühl seiner Hände unter meinem T-Shirt abgespeichert und das Gerede über Zahn- und Keilriemen komplett verdrängt.

Sollte ich Mack anrufen und um eine Ferndiagnose bitten? Lieber nicht; Michigan war mehr als ein Jahr her und wir hatten uns nicht im Guten getrennt.

Ich gab auf und knallte die Motorhaube zu. Bei Pages Anschluss hob keiner ab, und Tante May saß hunderte Meilen hinter mir in Arkansas und würde bloß »Ach du liebe Güte!« ins Telefon jammern. Ratlos spähte ich zu der T-Kreuzung am Ende der Straße. Das Wort auf dem rechten Wegweiser begann mit einem L wie »Lacuna«. Und die Anzahl der Meilen sah einstellig aus.

Sollte ich den Kolibri absperren und laufen? Ich blickte an mir herab. Superkurze Jeansshorts, Sneakers und ein rockiges schwarzes T-Shirt mit geschlitztem Rücken aus dem Heilsarmee-Laden waren ideal für die Hitze im Auto. Nicht so ideal für eine Wanderung. Und ich müsste mein Gepäck zurücklassen. In den beiden Koffern und der Sporttasche steckte mein ganzes Leben.

Also rief ich wieder Pages Mobilbox an.

»Hey. Ich bin's. Dein lange verschollenes Schwesterlein. Der Kolibri hat sich gegrillt, ich hocke hier im Nirgendwo und warte darauf, dass mich ein Bär frisst. Gibt es bei euch Bären? Waschbären vielleicht?«

Ein Piepton unterbrach mich. Ich legte auf, sah nach, wieviel Wasser ich noch hatte – mehr als genug dank meines übervorsichtigen Tantchens –, und begann mich mit der Lage abzufinden. Hier zu sitzen war öde, aber Lacuna war vermutlich genauso öde. Irgendwann würde Page schon zurückrufen.

Oder sie hatte meine Nachrichten längst erhalten und wartete ebenfalls darauf, dass mich ein Waschbär fraß!

Um nicht im Kolibri zu ersticken, öffnete ich alle Türen. Den Fahrersitz schob ich so weit wie möglich zurück, streckte die Beine aus und steckte mir die Stöpsel meines iPods in die Ohren. Der Teer- und Gummigestank erinnerte mich an den Trailerpark in Michigan, nur dass es dort windiger gewesen war. Trotzdem konnte ich mir mit geschlossenen Augen einreden, ich knutschte wieder mit Mack in der Werkstatt oder hinge mit seiner Schwester Tiff auf dem Dach ihres Trailers ab, tränke geschmuggeltes Dosenbier und hörte dazu schrottige Indie-Musik.

»Don't let them catch you«, hatten wir zweistimmig auf dem Dach des Trailers gesungen. Nun raunte ich die Worte im Takt des Refrains.

»Don't let them

Don't let them catch you …«

In diesem Moment legte sich eine Hand auf meinen Arm!

Ich kreischte und stieß instinktiv mit dem Ellbogen zu, öffnete erst dann die Augen. Der Angreifer – ein etwas älterer Junge – wich ein paar Schritte zurück und hob die Hände.

Er sagte etwas. Es klang wie »Don't let them catch you«.

»Was …«, fauchte ich und riss mir die Stöpsel aus den Ohren. »Don't let …«, plärrte es in meinem Schoß weiter.

Der Junge grinste verlegen. Er war ein gutes Stück größer als ich. Mit seinem verschwitzten T-Shirt, der nassen Bandana um die Stirn und den schweißverklebten Haaren, die in alle Richtungen abstanden, kam er vermutlich frisch vom Feld. Hinter ihm parkte ein rostiger alter Pickup-Truck.

»Hey«, sagte er, während ich ihn von den Arbeitsstiefeln und Jeans bis zum Karohemd um seine Hüften, dem weißen T-Shirt und den brünetten Haaren musterte. »Ich habe gefragt, ob alles okay ist, aber du hast mich nicht gehört. Meditierst du hier nur oder kann ich dir irgendwie helfen?«

Ja. Schlepp mich bitte ab, hätte ich fast geantwortet und wusste nicht mal, ob ich das wortwörtlich meinte. »Klar, ich meditiere. Mein Yogalehrer hat mir Maisfelder verordnet.«

»Und brichst du beim Meditieren gern das Gesetz?«

Verdutzt starrte ich ihn an, bis mein Blick seinem zu dem »NO STOPPING STANDING OR PARKING«-Schild neben dem Kolibri folgte.

»Ich bin ein Outlaw«, erwiderte ich großspurig. »Die Cops sollen ruhig kommen. Sie werden mich nicht kriegen!«

»Die kommen hier frühestens nach ein paar Stunden. Und das auch nur, wenn du eine Tüte Donuts hast und damit wedelst.«

Er sagte es so trocken, dass ich lachen musste und ihm gestand: »Mein Auto hat sich gegrillt.«

»Dachte ich mir.« Alles Spielerische verschwand aus seiner Stimme. »Ich bin zwar kein Mechaniker, aber wenn du mir sagst, wo das Problem liegt …«

Problem Nr. 1 war, dass ich keinen Zahn- von einem Keilriemen unterscheiden konnte. Problem Nr. 2: Ich hasste jede Meile Asphalt und jeden einzelnen Maiskolben in Indiana. Außerdem bereute ich (Problem Nr. 3) erneut die Wahl meines Outfits, kaum dass ich ausstieg und meinen guten Samariter zur Motorhaube führte. In den superknappen Shorts und dem zerfetzten T-Shirt musste ich wie das Flittchen in einem Horrorfilm aussehen, das immer als Erstes vom Serienkiller ermordet wird.

Er beugte sich über den Kabelsalat. »Irgendwas verschmort da«, sagte ich hilfsbereit.

Mein Samariter wandte kurz den Kopf und warf mir einen belustigten Blick zu. »Und ich dachte schon, du veranstaltest ein Barbecue.« Fast hätte ich ihm dafür die Zunge rausgestreckt.

Er richtete sich auf, ging zu seinem Truck und schleppte eine riesige Kiste voller Werkzeug und Ersatzteile herbei. Mack wäre neidisch gewesen!

»Bist du so was wie ein Undercover-Mechaniker?«, fragte ich argwöhnisch.

»Nein. Nur einer, der zu oft den Abschleppdienst bezahlen musste.«

»Kein Wunder bei dieser Schrottkarre!«, entfuhr es mir.

»Hey!« Empört sah er auf. »Der Truck ist …«

»… neu?«, schloss ich mit Blick auf einen Rostfleck, der die halbe Tür einnahm.

»… meiner«, beendete er den Satz. Er zögerte, bevor er mir anbot: »Ich kann mit deinem Auto was versuchen, aber wenn's nicht klappt, schleppen wir es am besten …«

»Ihn«, platzte ich heraus.

Er runzelte die Stirn und, oh verdammt, das war eindeutig der falsche Zeitpunkt, um zu bemerken, dass seine Augen so grün wie Kolibrifedern schillerten. »Nicht ›es‹. ›Ihn‹. Er ist ein Kolibri.«

Mein Samariter hielt mich garantiert für bescheuert, doch er spielte mit. »Wir schleppen ihn ab und du kannst mit mir zur Werkstatt fahren. Ist nicht weit.«

Vor mir lagen zwei endlose, sterbenslangweilige High-School-Jahre, die ich hier in der Einöde Indianas absitzen musste, während sich meine Mom in der Karibik bräunte und Tante Mays Baby mein Zimmer kriegen würde. Die Sonne brannte glühend heiß auf uns herab. Meine schwarzen Haarsträhnen klebten am Nacken, das T-Shirt an meiner Brust. Und trotzdem fühlte ich mich ein wenig besser, als ich meinem Samariter bei der Arbeit zusah. Seine Hände wussten, was sie taten. Bald waren sie ölverschmiert wie Macks und ich wandte mich hastig ab, weil mir bei diesem Gedanken die Hitze in die Wangen stieg.

Macks Lippen und seine Hände waren das Einzige an ihm, was ich vermisste.

»Versuch jetzt zu starten. Sollte hoffentlich klappen.«

Gehorsam lehnte ich mich durch die Fahrertür ins Innere des Kolibris, fand den Zündschlüssel und war fast ein wenig enttäuscht, als der Motor ansprang.

Mein Samariter wischte sich die öligen Hände an den Jeans ab. Sein Blick fiel auf den Rücksitz. »Du hast ganz schön viel Gepäck. Machst du Urlaub?«

»Nein. Ich ziehe um.«

Er lachte, als wäre das ein Witz. War es ja auch: ein Witz auf meine Kosten! Plötzlich stürmte alles wieder auf mich ein – Indiana, Page, Tante Mays Baby.

»Danke«, stieß ich hervor.

»Kein Problem. Fahr nicht zu weit. Und nicht zu schnell.« Er klang so überfürsorglich wie Tante May. Bevor ich etwas einwerfen konnte, fügte er entschuldigend hinzu: »Wie gesagt: Ich bin kein Mechaniker.« Er rieb sich die Wange, verschmierte einen Ölrest darauf.

»Wie hoch stehen die Chancen, dass mein Auto explodiert?«

Das entlockte ihm ein Grinsen. »Wenn du da vorne rechts abbiegst, kommst du nach Lacuna. An der Main Street liegt eine Werkstatt, aber ein Tipp: Fahr lieber weiter zu Joe's Pit Stop an der River Road. Frag nach Gary und dem ›Mercer-Spezialdeal‹. Es sollte nicht mehr als fünfzig Dollar kosten.«

»Danke.«

»Kein Problem«, wiederholte er. »Ich muss jetzt los.«

»Um alten Ladys über die Straße zu helfen?«, neckte ich ihn.

»Nein, um einen Weidezaun zu streichen.«

Wir musterten einander, er mit seiner Bandana und seinen Kolibriaugen, ich mit meinem verschwitzten T-Shirt und den Haarsträhnen, von denen gefühlt jede einzelne an meiner Wange oder Stirn oder an meinem Nacken klebte.

Er schien auf etwas zu warten.

Los, küss ihn!, hätte Tiff gegackert. Doch obwohl ich ihn nie wiedersehen würde, zögerte ich. Ich war nicht so impulsiv wie sie und ich wollte vor allem nicht das Flittchen aus dem Horrorfilm sein.

»Musst du nicht weg?«, platzte ich heraus.

Er nickte. »Ich warte, bis du losfährst.«

Es war ihm offenbar ernst. Ich stieg ins Auto. Dabei fiel mir ein, dass ja der Fahrersitz verstellt war – also wieder raus und gebückt nach dem Hebel fummeln. Zu gern hätte ich gewusst, ob mein Samariter auf meinen Hintern sah! Endlich rutschte der Fahrersitz nach vorn, und ich startete den Motor.

An der Kreuzung warf ich einen hoffnungsvollen Blick in den Rückspiegel, aber der Pickup-Truck tauchte nicht auf.

***

Bis Lacuna waren es fünf Meilen. Nach der ersten Meile hätte ich mich ohrfeigen können, weil ich meinen Samariter nicht nach seinem Namen gefragt hatte.

Außerdem, fiel mir nach der zweiten Meile ein, hätte ich ihm als Dank für seine Hilfsbereitschaft etwas anbieten sollen. Zum Beispiel den Rest von Tante Mays Apfelkuchen.

Oder meine Telefonnummer.

Nur weil er Kolibriaugen hat?, spottete ich über mich selbst. Vielleicht ist er ein Serienkiller und hat in dem Feld gerade seine Opfer verscharrt!

Ich weigerte mich, das zu glauben. Kolibris waren ein gutes Omen und die Augen des Jungen das absolut Erste in Indiana, das mich an sie erinnerte. So etwas konnte kein Zufall sein!

Trotzdem wusste ich weder seinen Namen noch seine Telefonnummer, ja, ich hatte mir nicht mal das Kennzeichen des Trucks gemerkt. Meine Chance, die Zeit in Indiana etwas weniger unerträglich zu machen, und ich hatte sie vermasselt.

Ich fummelte am iPod und drehte die Musik lauter, bis sie meine Gedanken übertönte:

»Don't let them catch you

Don't let them hurt you

Don't let them rip off your wings.«

***

Lacunas Main Street bestand aus niedrigen Bungalows mit exakt gleich großen Vorgärten und identischen weißen Bretterzäunen – und einer Werkstatt. Das Schild mit der Aufschrift »Lacuna Motors« war aus dem rostigen Deckel eines Ölfasses gehämmert. Der Anblick genügte, damit ich beschloss, dem Rat meines Samariters zu folgen.

»Ja?«, rief ein Mechaniker, als ich stehenblieb und das Fenster herunterkurbelte. Er sah genauer her und grinste. »Womit kann ich dir helfen, Süße?«

Ich fragte nach der River Road, nahm wie beschrieben die nächste linke Abzweigung und holperte über buckeligen Asphalt, der abrupt vor einer eisernen Brücke endete. Das Flussbett darunter war so verschlammt, dass ich hätte hinüberwaten können, aber die Gegend auf der anderen Seite sah auch nicht einladend aus: Ein Feldweg führte auf einen unbewohnten Hügel und verschwand hinter der Kuppe. Argwöhnisch trat ich auf die Bremse.

Vielleicht ist er doch ein Serienkiller?

Don't let them rip off your wings.

Ich wählte Pages Nummer.

»Hey. Hör zu. Ich bin jetzt auf dem Weg zu einer Werkstatt namens Joe's Pit Stop. In Lacuna. Da ist eine Brücke über einen Fluss. Wenn ich nicht mehr auftauche, fangt bitte hier an zu suchen!«

Kaum legte ich auf, begann ich mich über meine Feigheit und mein Misstrauen zu ärgern. Ich trat aufs Gas und lenkte den Kolibri über die Brücke.

Schneller als gedacht erreichte ich die Hügelkuppe. Und gleich dahinter in der Senke erspähte ich eine Wellblech-Baracke – dann auch das Schild »Joe's Pit Stop«. Es war ebenfalls aus dem Deckel eines Ölfasses gehämmert. Der Parkplatz bestand nur aus Schlaglöchern. Alles in allem sah diese Werkstatt weniger vertrauenerweckend als die vorige aus, doch ich wollte nicht umkehren.

Also stellte ich den Motor ab und drückte ein paarmal auf die Hupe, bis ein älterer Mann aus der Baracke schlurfte.

»Was gibt’s?«, knurrte er.

Rasch setzte ich ein Lächeln auf. »Ich habe ein kleines Problem mit dem Motor. Sind Sie Gary?«

»Gary und wie noch?«

»Gary-der-hier-arbeitet?«, erwiderte ich ratlos.

»Gary arbeitet hier nicht. Ihm und Joe gehört der Laden.«

»Und ist er da? Gary?«

Ein Grunzen und ein Kopfschütteln.

Mir kam ein jäher Verdacht. »Wie sieht er aus? Doch nicht etwa brünett, ein oder zwei Jahre älter als ich?«

Der Mann musterte mich, als hätte ich den Verstand verloren – ja, okay, ich hatte nicht damit gerechnet, aber einen Versuch war es wert gewesen. Er wandte sich vom Fahrerfenster ab und öffnete die Motorhaube. Ich stieg aus und folgte ihm.

»Kennen Sie jemanden, der brünett und ein oder zwei Jahre älter ist als ich?«

Diesmal war ein Grunzen die einzige Antwort.

Die Reparatur kam auf sechzig Dollar. Für meine Frage nach dem Spezialdeal erntete ich ein weiteres Grunzen, sonst nichts. Na toll: Mein erster Tag in Lacuna und schon hatte mich jemand über den Tisch gezogen.

***

Page rief zurück, als ich wieder bei der Brücke war. Sie nannte kaum meinen Namen, da hörte ich, wie eine Männerstimme – vermutlich ihr Ehemann Lloyd – im Hintergrund etwas einwarf.

»Was? Nein, wir können nächste Woche nicht … Du weißt doch, meine Schwester kommt!«, antwortete ihm Page. »Sorry«, wandte sie sich übergangslos wieder an mich. »War das vorhin deine Nummer? Ich kann meine Nachrichten gerade nicht abrufen. Gab es denn was Wichtiges?«

Ich schüttelte den Kopf, obwohl sie das natürlich nicht sah. »Tu mir einen Gefallen: Lösch alle Nachrichten. Ich bin in Lacuna.«

Eine lange Pause.

»Jetzt schon?« Sie klang alles andere als begeistert. »Das ist … Aber ich dachte … Wolltest du nicht erst am Sonntag kommen? Lloyd muss noch das Büro für dich fertig machen! Vielleicht könntest du …«

Ich hatte genug! »Wenn du mich nicht willst, fahre ich zurück nach Arkansas!« Und Tante May würde mich im Kirchenblatt ihrer Gemeinde wie eine zugelaufene Katze inserieren: Kenzie, nicht erzogen, aber immerhin stubenrein, sucht ein nettes Zuhause …

»Nein! Ich meinte nur …« Pages Stimme wurde leiser. Sie hatte die Hand aufs Mikro gelegt. Ich hörte ein gedämpftes Flüstern. »Alles klar«, beruhigte sie mich. »Lloyd macht sich an die Arbeit. Kennst du den Weg?«

»Ja. Bis in zehn Minuten.« Grußlos legte ich auf und kurbelte das Fenster herunter. Ein schwaches Gurgeln und Schmatzen aus dem Flussbett war das einzige Geräusch in der Stille, die mich umgab. Kein Verkehr auf der Main Street. Keine menschliche Stimme. Ich war allein in einem Kaff in Indiana auf dem Weg zu Page und ihrem Mann Lloyd, die mich nicht wollten.

Ich hätte losfahren sollen, doch ich wartete, ich wusste nicht, auf was. Auf ein Omen?

Plötzlich flatterte etwas vor mir auf die Straße und hüpfte davon. Mein Herz tat einen Satz.

Aber es war bloß ein stinknormaler, staubgrauer Vogel. Kein Kolibri.

2. Kapitel

Am nächsten Morgen erwachte ich auf der Couch in Lloyds Büro.

Verdammt!, lautete mein erster Gedanke. Er galt zum Teil der Couch und dem Büro, zum Teil Indiana und zum Teil der Sonne, die durch die Jalousien grell auf mich herabbrannte. Schlaftrunken angelte ich nach dem Wecker. Wie spät …

Das Haus war totenstill, kein Mensch zu hören. Page pendelte zur Arbeit in die Leihbücherei zwei Orte weiter und Lloyd war als Makler den ganzen Tag unterwegs. Am Abend hatte mir Page den Wecker in die Hand gedrückt, der auf dem Ziffernblatt die Aufschrift Lloyd Stevenson, Realtor – It's Never Too Early To Move! trug.

Und der offenbar nicht funktionierte. Die Zeiger standen auf fünf vor zehn. Sie hatten sich nicht bewegt, seit ich ins Bett gegangen war! Mein erster Schultag und ich verschlief. So ein Mist!

Ich sprang aus dem Bett und raste ins Bad. Verdammt, diese Tür führte nicht ins Bad, sondern in Pages und Lloyds Schlafzimmer. Wo war das Bad? Ah. Hier. Zähne putzen, Haare kämmen, Make-up – wo war mein Make-up-Beutel, ich hatte ihn doch gestern aus der Sporttasche … Hatte ihn Page in einen der Schränke … Ah, hier. Im Regal. Die Haare offen oder doch Pferdeschwanz? Offen sah besser aus, aber vielleicht hatten wir Sport, also zur Sicherheit den Haargummi in die Hosentasche … Welche Hosentasche? Ich trug noch meine Pyjamashorts.

Verdammt!

Eine halbe Stunde später war ich aus dem Haus: ohne Frühstück und mit minimalem Make-up, in Shorts und einem weiteren Vintage-T-Shirt – diesmal mit einem aufgedruckten Alligator, der das Maul bedrohlich weit aufriss. Die goldenen Riemchensandalen passten nicht so recht dazu, aber ich hoffte, dass ich alles in allem eher nach Glam-Rockerin aussah als nach jemandem, der sich seine Klamotten bei der Heilsarmee zusammenklaute.

Auch wenn das Alligator-Shirt tatsächlich von der Heilsarmee stammte.

Page hätte garantiert die Augen verdreht. Sie war nur fünf Jahre älter als ich, aber schon immer perfekt organisiert: die Art von Schwester, die bei jedem Umzug dafür sorgte, dass alle Klamotten in den richtigen Kartons landeten, und die mit den Vermietern wegen der Kaution stritt. Bis zu meinem vierzehnten und ihrem neunzehnten Lebensjahr hatte sie über Mom und mich gewacht. Dann hatte sie ohne Vorwarnung ihre Koffer gepackt, mich und Mom verlassen und war mit dem Bus von Central Michigan, wo wir damals wohnten, nach Fort Wayne in Indiana gefahren. Eine Freundin aus der High School hatte ihr dort einen Job bei Verwandten verschafft.

Ich war an dem Tag gerade von der Junior High School heimgekommen und hatte mir als Abendessen ein paar Scheiben Zimttoast in die Mikrowelle geworfen. Seither roch Zimt für mich immer nach der Szene von Pages Abschied.

Erst viel später hatten wir erfahren, dass meine Schwester in Fort Wayne ihren Lloyd kennengelernt hatte und ihm in den Südwesten gefolgt war, genauer gesagt nach Lacuna.

***

Die Lacuna High School ließ sich nicht verfehlen. Erstens lag sie an der höchst originell benannten High School Road und zweitens gab es dort nur diesen einzigen Komplex. Er bestand aus einem Grünstreifen neben der Straße, einem langgestreckten Park- und dahinter einem schmalen, überdachten Vorplatz und zwei braunen Backsteingebäuden mit einem gläsernen Gang dazwischen. Der Parkplatz sah überfüllt aus. Ich konnte nicht mal rein, weil zwei abgestellte Autos die Zufahrt versperrten.

An die Schmalseite eines Backsteingebäudes grenzte ein kleinerer Parkplatz. Ein paar Bäume schirmten ihn zur Straße hin ab. Dort hatte ich Glück und stellte den Motor ab. Wenn auch mit einem mulmigen Gefühl: Die einzige Parklücke befand sich unter einem Vordach nur ein paar Schritte von der Eingangstür entfernt. Dass ausgerechnet dieser VIP-Platz noch frei war, ließ Alarmglocken in mir schrillen.

Ich stieg aus und umrundete den Kolibri, und dabei fiel mir die Plakette an der Backsteinmauer auf. Sie war golden, trug die Initialen D.M. und glänzte wie frisch poliert. Wäre ich nicht so spät dran gewesen, hätte ich mir schleunigst einen anderen Parkplatz gesucht! Ich eilte zum Eingang und hoffte nur, dass D.M. keiner meiner Lehrer war.

Hinter der Tür lag ein schmaler Gang. Auf dem ersten Schild links stand »Headmaster's Office«. Zu allem Überfluss hatte ich den Personaleingang erwischt! Ich wollte gerade kehrtmachen, als die nächste Tür – »Administration« – aufschwang. Eine blonde Mittvierzigerin streckte den Kopf heraus.

»Kann ich dir helfen?«

»Ich, äh, bin neu hier«, stammelte ich überrumpelt. Heute war Freitag. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich erst am Montag mit der Schule angefangen: Ob ich die ganze erste Woche oder nur die ersten vier Tage des Semesters versäumte, machte doch wohl keinen Unterschied! Aber da ich nun schon hier war, hatte Page darauf bestanden: Jede vermeidbare Fehlstunde sei eine zu viel. Page war eben die totale Spießerin!

Die Sekretärin musterte mich prüfend von den Riemchensandalen bis zur schwarzen Mähne. »Walsh!«, bellte sie.

Ich wirkte wohl verschreckt, vielleicht zuckte ich zusammen, denn mit einem Mal lächelte sie und sah plötzlich viel netter aus. »Du bist bestimmt Makenzie Walsh, Page Stevensons Schwester!«

»Lieber nur Kenzie.«

Sie ignorierte meinen Einwurf. »Komm bitte kurz hier rein.«

Also folgte ich ihr ins Sekretariat und las über ihre Schulter mit, während sie meine Daten in den Computer tippte. Obwohl Page geglaubt hatte, dass ich erst am Sonntag kommen würde, war sie – perfekt organisiert wie immer – schon ein paar Tage zuvor da gewesen und hatte fast alles geregelt. So musste ich wenigstens keine peinlichen Fragen à la »Wo sind denn deine Eltern?« beantworten.

Ich bekam einen Stapel Papiere in die Hand gedrückt.

»Hier ist dein Stundenplan. Hier der Zifferncode für deinen Spind.« Sie lächelte. »Keine Sorge, du kannst ihn ändern. Hier die Liste aller Gegenstände, die du nicht in deinem Spind aufbewahren darfst. Hier die Liste aller Gegenstände und Aktivitäten, die auf dem Schulgelände verboten sind. Hier ein Plan des Schulgebäudes – der Schulgebäude, sollte ich sagen, wir haben uns ja erweitert. Du hast«, ein Blick auf die Uhr, »in genau zehn Minuten Englisch bei Mrs Ragsdale – in Raum E10 im zweiten Stock des alten Gebäudes.« Mit einem Bleistift tippte sie auf den zuoberst liegenden Plan. »Noch Fragen?«

Wo ist der Notausgang? Ich will hier raus!

»Äh, ja. Arbeitet hier jemand mit den Initialen D.M.?«

Sie runzelte die Stirn. »Meinst du Mr Dean? Ich wusste nicht, dass du ihn kennst. Er verbringt das Semester in Europa.« Bevor ich fragen konnte, ob Mr Dean etwa mit Vornamen »Mister« hieß und seine Initialen gern verkehrt herum schrieb, schrillte die Pausenglocke: Meine erste Stunde hatte ich soeben verpasst.

***

Der Rest des Vormittags erwies sich als totaler Reinfall. Alle meine neuen Lehrer nahmen mich sofort dran. Ich konnte eine ihrer Fragen beantworten, drei nicht, und mein einziger Trost war, dass mich niemand für eine Streberin halten würde.

In Biologie fragte mich Mr Jackson nach den Farben der Flagge Indianas! Ich hatte keinen blassen Schimmer – aber das blonde Mädchen in der Bank vor mir hielt einen blauen Leuchtstift hoch und zupfte zugleich sehr auffällig an ihren kurzen Haaren. Also riskierte ich eine Antwort: »Blau und gelb?«

»Blau und gold«, kam die eisige Erwiderung. Jemand lachte. »Und welche Symbole …«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach ich Mr Jackson, weil ich es satthatte, die Dumme zu sein. »Auf meinem Stundenplan steht nicht Flaggenkunde, sondern Biologie. Bin ich hier falsch?«

Ich bekam meinen ersten Verweis.

Die anderen Schüler grinsten sich eins! Nur die Blonde in der Bank vor mir, mit ihren pinkfarbenen Strähnen im Haar, sah mitfühlend drein.

In der Pause nach der dritten Stunde fand ich meinen Spind im Flur des Erdgeschosses. Kaum drehte ich am Kombinationsschloss, sagte meine Spindnachbarin: »Ich habe dich noch nie gesehen.«

Puppe oder Prinzessin, war mein erster Eindruck: makellos gebräuntes Gesicht, perfekt gestylte dunkelbraune Locken, dezenter rosa Lipgloss. Dazu ein blassrosa Babydoll-Kleid mit blassrosa Sandalen.

Ich streckte ihr die Hand entgegen. »Kenzie Walsh.«

»Corrie d'Angelo.« Ihr Ton klang, als müsste ich den Namen kennen. Misstrauisch beäugte sie meine Finger. Wollte sie sich überzeugen, dass sie sauber waren? Ein Perlenarmband schimmerte an ihrem Handgelenk.

»Freut mich. Corrie, sagst du?«

»Du weißt nicht, wer ich bin?« Das klang verblüfft. »Wer wir sind!«

Ich sah mich um, konnte aber nicht erraten, wen sie in das Wir mit einbezog. Oder war das ein königliches Wir?

»Ich bin erst seit gestern …«

»Ich weiß«, unterbrach sie mich. »Wenn du von hier wärst, würde ich dich kennen.«

Sollte ich sie dafür bewundern, dass sie sich die paar Bewohner dieses Kaffs merken konnte? Ich verbiss mir eine sarkastische Bemerkung und nutzte die Gelegenheit, um zu fragen: »Toll! Kannst du mir helfen? Ich suche nämlich einen Jungen.« Er ging wahrscheinlich auf diese High School. Warum hatte ich bisher nicht daran gedacht? »Größer als ich, brünett …«

»Was trägt er?«, unterbrach sie mich ungeduldig.

»Äh, heute? Keine Ahnung.«

»Ich meine: Was trägt er? Wie zieht er sich an?«

»Ganz normal«, erwiderte ich ratlos und wies auf einen Jungen in Jeans und einem blau-weiß karierten Hemd. »Ungefähr so? Er trug eine Bandana.«

Angewidert verzog Corrie die Lippen. »Ein kariertes Hemd und eine Bandana? Was bitte willst du mit einem Farmboy?« Ihrem Ton nach zu urteilen, standen Farmboys bei ihr ungefähr so hoch im Kurs wie tote Ratten.

Eine Antwort blieb mir erspart. Denn in diesem Moment trat der Junge im karierten Hemd zur Seite – und hinter ihm stand niemand anderer als mein guter Samariter. Heute in einem khakifarbenen Hemd und ohne Bandana.

»Da ist er!«

Gleich darauf sah ich: Er war nicht allein. Eine weitere High-School-Prinzessin mit schwarzen Locken stand bei ihm. Bevor ich wusste, was ich tat, zerrte ich Corrie hinter die offene Tür ihres Spinds.

»Was soll das? Bist du bescheuert?«, zischte sie.

Ich ignorierte sie und lehnte mich ein wenig vor, um die beiden zu beobachten. Mein Samariter war einen halben Kopf größer als seine Prinzessin und er duckte sich, als sie leise etwas zu ihm sagte. Die Vertrautheit zwischen ihnen zu sehen, tat weh.

»Wir können uns nicht mehr treffen«, las ich ihm von den Lippen ab. Aber das war garantiert bloß Wunschdenken!

Nur am Rande bemerkte ich, dass mich Corrie zur Seite schubste. Mein Samariter und seine Prinzessin redeten noch miteinander. Ihr Kleid, oben Jeansstoff und unten schwingender weißer Chiffon, sah ein bisschen nach Tiffs Outfits damals in Michigan aus, bloß hundert Prozent weniger trashig. Ihre goldenen Armreifen blitzten. Sie legte meinem Samariter eine Hand auf den Arm und er wirkte nicht gerade, als wäre ihm die Berührung unangenehm.

So viel zu meinem guten Omen. Alles, wirklich alles an Indiana wollte mein Leben ruinieren!

Corrie tänzelte auf die beiden zu. Alarmiert packte ich ihren Arm. »Warte! Du willst doch nicht …«

»Lass mich los!« Ihre Stimme wurde schrill. Ein paar Mitschüler sahen sich schon um, trotzdem hielt ich sie fest.

»Wer ist er?«

Ihre Augen weiteten sich. Begriff sie erst jetzt, auf wen sich meine anfängliche Frage bezogen hatte? Sie wollte sich losreißen. Ich lockerte meinen Griff nicht, bis sie mir ins Gesicht fauchte: »Josh Mercer!«, und floh.

Josh Mercer. Ich lehnte mich an meinen Spind. Zu meiner Erleichterung wandte sich Josh ab und verschwand in einer Gruppe anderer Jungs, bevor Corrie ihn und die Prinzessin erreichte.

Immerhin hatten die Kolibriaugen nun einen Namen.

Josh Mercer.

***

Mittags fand ich in der Cafeteria einen freien Tisch. Ich hatte kaum zwei Bissen von meinem Tunfisch-Sandwich genommen, da marschierte eine Gruppe Jungs und Mädchen auf mich zu. Alle fünf trugen braune Jacken mit goldenen Ärmeln und einem aufgenähten L – für »Lacuna«? – auf der linken Brust.

Alle fünf sahen kämpferisch drein.

Den Jacken nach gehörten sie zu einem Sportclub. Saß ich an ihrem üblichen Tisch? Das Letzte, was ich brauchte, waren noch mehr Feinde! Ich sprang auf und schnappte mir hastig mein Tablett.

»Ist das euer Tisch? Sorry, wenn ich …«

»Hast du ein Auto?«, unterbrach mich der größte der fünf. Auf seine rechte Jackenbrusttasche war sein Name – B. Haberfield – gestickt. In dem L auf der linken Brust sah ich nun den Umriss eines Laufschuhs. Also hatte ich mit der Vermutung »Sportclub« wohl richtig gelegen: Die fünf gehörten zum Track-Team, zu den Leichtathleten, der High School.

»Äh, ja?«, antwortete ich argwöhnisch. »Warum …«

»Ein Auto mit einem Arkansas-Kennzeichen?«, mischte sich ein Mädchen ein – L.-A. Wainscott laut dem Schriftzug auf ihrer Brust.

Ich nickte.

»Du stehst auf Dannys Parkplatz.«

Vorsichtig erkundigte ich mich: »Ist das ein Problem? Ich war spät dran und es war der einzige freie Platz. Da dachte ich, er kommt heute vielleicht nicht.«

Autsch. Falsche Antwort! L.-A. Wainscott musterte mich schockiert und B. Haberfield ballte die Fäuste. Die drei anderen sahen drein, als hätte ich auf die blau-goldene Flagge Indianas gespuckt.

»Alles klar hier?«, fragte plötzlich eine Mädchenstimme. Die Blonde mit den pinken Strähnen aus meinem Biologie-Kurs schob sich neben mich. Auch sie trug eine braun-goldene Jacke.

»Hau ab, Buckley!«, schnappte einer der Jungs.

B. Haberfield beschwerte sich: »Sie steht auf Dannys Parkplatz!«

Buckley schien unbeeindruckt. »Und stehst du auf Verweise, Brian? Oder warum willst du dich in der Cafeteria prügeln? Max, Lou-Anne«, wandte sie sich an den anderen Jungen, der gesprochen hatte, und an das Mädchen, »regt euch ab! Sie ist neu. Sie kannte Danny nicht.« Herausfordernd starrte sie einem nach dem anderen in die Augen, bis sich alle fünf abwandten.

---ENDE DER LESEPROBE---