Komm, setz Dich zu mir ... - Daniela Noitz - E-Book

Komm, setz Dich zu mir ... E-Book

Daniela Noitz

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Beschreibung

Hier bin ich zu Hause, hier auf meinem Steg am See. Ich lade Dich ein mich zu besuchen und mir Deine Geschichte zu erzählen und ich werde Dir meine erzählen. Geschichten sind ein Aufeinander-Zu in Begegnung, Begegnung, die sich ereignen kann indem wir uns einander und unsere Gedanken anvertrauen.

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Seitenzahl: 221

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Daniela Noitz

Komm, setz Dich zu mir ...

Geschichten vom Steg am See

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Welt der Stille

Das Unglaubliche und das Selbstverständliche

Was bleibt von mir, wenn Du in mir bist?

Stille

Drei Schwestern

Glückseligkeit

Einfach so!

Zulassen

Io & Eos

Realität oder Fiktion?

Der Weg zu mir

Das Drama mit dem „Happy End“

Was, wenn es das letzte Mal wäre ...

Gesichter der Stadt

Der Korb

Gefangen

Nyx

Humankapital

Glauben heißt nichts wissen

Bilder – geborgte, geschenkte, gestohlene

Der Schreibtisch

Weg mit dem Binnen-I

Der alte Baum

Der alte Kater und der junge Hund

„Kino war am schönsten ...“1

Wildvögelein

Gebrochene Flügel

Eine Aufforderung

Die zerstörte Symmetrie

Begegnungen

Es ist so und anders

In meinem Traum

Dankbarkeit – Nein, danke!

Das Bild von Dir

Wenn der Mond durch die Wolken bricht ...

Zwischen Hoffnung und Gewissheit

Zwischen Gewissheit und Geheimnis

Zwischen Geheimnis und Realität

Feuer

Nenn es nicht ...

Wenn der Fernseher flimmert ...

Wie die Zeit vergeht ...

Das Glück und die Notwendigkeit

Ich wünsche mir ein Ringelspiel

Lass mich einfach nur da sein

In allen Farben des Regenbogens

Veränderungen

Fährmann

Wenn es mir passiert ...

Mama, wo bist Du?

Gib acht!

Der Hut!

Darf ich um diesen Tanz bitten?

Der Leuchtturm

Maskerade

Verschlossene Tore

Die Prozession

Eine himmlische Pokerrunde

Die Schöpfung Gottes

Tod

Die Braut

Der Schmerz

Leben

Weichen

Impressum neobooks

Die Welt der Stille

Ich sitze auf meinem Steg und lasse mir die Füße vom Wasser umschmeicheln, sanftes, ruhiges Wasser, das meine Anwesenheit nicht im Mindesten beeindruckt.

Ich gehe dem Ufer entlang und lasse mich ein, auf die Geräusche und Gerüche der Nacht.

Ich suche die Blaue Blume und all die Möglichkeiten mich Dir zum Ausdruck zu bringen – oder ist das eine vom anderen umschlossen.

Ich erwarte Dich, mit jedem Aufgang der Nacht, aufs Neue.

Ich empfange Dich, in meiner Welt, in mir, Dich zu beschenken, zu erweitern, wie Du mich beschenkst und erweiterst.

Ich träume, jede getane und jede ungetane Begegnung, jede getane und jede ungetane Berührung.

Nein, da geschieht nichts Aufregendes in meiner Welt, keine Abenteuer und keine Blitzlichtszenen.

Nein, da geschieht nichts Lautes und nichts Entsetzliches in meiner Welt, keine übermenschlichen Taten und keine Horrorszenarien.

Wenn dies Dein Maß für Geschehen ist, so geschieht bei mir wahrhaftig nichts.

Doch, wenn du einen Ort suchst, an dem Du Dir die Schminke vom Gesicht waschen darfst, um Dich endlich wieder einmal selbst, richtig und unverfälscht, zu sehen, einen Ort, an dem Du alle Masken fallen lassen kannst, um Dir einmal wieder selbst zu begegnen und Dich als Du selbst sein lassen darfst, wenn Du einen Ort suchst, an dem Du keine Rolle mehr zu spielen brauchst, um wieder zu Dir zu finden, weil es an diesem Ort keine Rolle mehr spielt wer oder was Du bist, welches Amt oder welchen Rang Du bekleidest, sondern nur was Dich als Du selbst in allen Tiefen und Abgründen ausmacht, wenn Du einen Ort suchst, an dem Du die selbstverschriebenen Einengungen ablegen kannst, um endlich wieder frei atmen zu können, dann, ja dann bist Du hier richtig.

Das Unglaubliche und das Selbstverständliche

Eines Tages kamst Du, fandest den Weg zu mir und warst da, einfach so.

Eines Tages hast Du mich angesprochen und Dich mir zugesprochen, einfach so.

Eines Tages hast Du begonnen mit mir die Welt zu entdecken, Du mir und ich Dir, worin wir uns uns entdeckten, einfach so.

Eines Tages hast Du Dich zu mir gesetzt, und Dich mir erzählt, und mich Dir erzählen lassen, einfach so.

Eines Tages hat es begonnen, dass Du Dich in mich einbrachtest, Dich mir unter die Haut schobst. Nicht auf einmal, ganz sanft und langsam, immer ein Stückchen mehr, bis meine Haut unterzogen war von Deiner Haut, Du mir näher warst als ich mir selbst.

Eines Tages hat es begonnen, dass Du Dich in mein Blut einspeistest und Du Dich in meinen Körper ausbreitetest, mein Blut infisziertest mit Dir, Du durch meine Adern rannst, vom Herzen weg, durch meinen ganzen Körper und wieder zurück.

Eines Tages hat es begonnen, dass Du mich umarmtest, und meine Haut schmolz unter Deiner Berührung, schmolz wie Wachs und ließ Dich in mich, sog Dich auf, um sich um Dich wieder zu schließen.

Eines Tages war es, und es war mit aller Selbstverständlichkeit, so dass ich das Unglaubliche der Eins-Werdung nicht erkannte, die selbst die Begrenzung des Leibes überwand.

Viel zu viel Selbstverständlichkeit in dem Unglaublichen, so dass ich es nicht wahrnahm, nicht wahrnehmen konnte, dass ich es nicht erkannte, nicht erkennen konnte.

Hätte ich Abstand von Dir nehmen wollen, so hätte ich mir die Haut vom Leib reissen müssen, um überhaupt erst zu Dir zu gelangen.

Hätte ich mich einen Schritt von Dir weg bewegen wollen, so hätte ich erst mein Blut aus mir pumpen müssen.

Hätte ich mich von Dir abwenden wollen, so hätte ich Dich zuerst aus mir herausschmelzen müssen.

Hätte ich Dich hinter mir lassen wollen, so hätte ich zuerst meine Welt verwüsten müssen, denn in jedem Ding steckt Deine Ansprache, mit der wir es uns entdeckten, und selbst der Wind flüstert mir Dein Dich mir erzählen zu, denn er hat mit mir gehört.

Eines Tages war es, und eines Tages war es nicht mehr, was doch einmal nicht war, aber nie mehr nicht mehr sein kann.

Was bleibt von mir, wenn Du in mir bist?

Noch einmal sehe ich zu Dir hinüber, bevor Du aufstehst und gehst, gedankenverloren, wortlos. Noch einmal folge ich Dir mit den Augen, als Du aufstehst und weggehst, ungläubig, vertraut. Ich weiß nicht wann Du wiederkommst. Ich weiß nicht ob Du überhaupt wiederkommst. Du hast Dich nicht gesprochen und ich habe Dich nicht gefragt. Hast Du nichts dazu gesagt, weil es dazu nichts zu sagen gab oder weil Du bereits wußtest, dass Du nicht mehr wiederkommst, weil Du mir die Offenlegung des Nie-wieder ersparen wolltest? Habe ich Dich nicht gefragt, weil ich Angst davor hatte eine Antwort zu bekommen oder weil ich die Antwort bereits kannte? Ich verliere Dich aus den Augen, und ich merke, es ist nicht richtig, dass Du gehst, denn in mir, da beibst Du. Bewahre das schöne und schmeisse alles andere weg, wie die Reste des letzten Mittagessens. So hatte ich es mir vorgenommen. So wäre es vernünftig gewesen, doch um jede Faser meines Leibes hat sich eine von Deinen gewunden. Wer vermag sie zu entwirren? Doch auf jeden meiner Gedanken antwortet ein Gedanke von Dir. Wer vermag mir meine Gedanken, als eigenständig, zurückzugeben? Doch zwischen jedem meiner Worte steht ein Wort von Dir. Wer vermag sie herauszustreichen? Ich, sage ich, immer und immer wieder, ich, ich, ich, mein Leib, meine Gedanken, meine Worte, mein Ich, und erwarte, dass es irgendetwas gibt, was sich damit verbinden läßt, irgendetwas, was diesen Begriffen Sinn verleiht, irgendetwas, was mir helfen könnte zu verstehen. Doch da gibt es keinen Sinn mehr und kein Verstehen, kein Unterscheiden und keine Ek-sistenz, nur noch Vereinigung, wo die Einheit längst verloren ging, nur noch Verwobenheit, wo der Stoff schon längst zerrissen ist. Ich habe es geopfert, und noch viel, viel mehr, weil ich dachte, nein, weil ich hoffte, dass es jedes Opfer wert wäre, weil ich ahnte, dass es nicht anders möglich wäre, mir nicht anders möglich wäre, das Begegnen. Ob möglich oder nicht, nun sitze ich vor dem Scherbenhaufen unserer einstigen Verbundenheit, doch was davon Ich war ist nicht mehr auffindbar. Gib mich mir zurück und mich zu mir frei! Ich will es Dir hinterherrufen, doch da kommt kein Laut zwischen meinen Lippen hervor, und alles, was ich vermag ist tonlos darum zu bitten, das alles so bleibt, wie es niemals war.

Stille

Erfahrungen sind unhintergehbar. Be-Gegnungen verändern Dich, und diese Veränderung ist unumkehrbar. Will ich die Be-Gegnung, so muss ich ganz wollen, mich ganz darauf einlassen und mich ganz darin verlieren. Mache ich Abstriche von dieser Ganzheit, so geschieht auch die Be-Gegnung nicht Es ist ein mit offenen Augen in einen schwarzen Bergsee springen, mit dem Kopf voran, denn das Du ist die Unergründlichkeit.

„Komm, spring.“, forderst Du mich auf, und als Versicherung, dass mir nichts geschieht, dass unter der ruhigen, undurchsichtigen Wasseroberfläche kein Felsen lauert, habe ich nichts als Dein Wort, das alles und nichts sein kann. Ich habe nichts weiter zu tun, als die Entscheidung zu treffen ob ich springe oder nicht. Was dann geschieht, was mich erwartet, das kann ich nur mehr annehmen, mit aller Demut, mit aller Größe.

„Komm, spring“, forderst Du mich auf, und ich springe, durchstoße die Oberfläche, und finde mich unversehrt, noch finde ich mich unversehrt. Eine neue, fremde, herausfordernde Welt eröffnet sich mir, deren Tiefe nicht zu ermessen ist, während sich die Wasseroberfläche wieder sanft über mir schließt. Und es gibt kein Zurück mehr.

„Komm, spring“, forderst Du mich auf, und ich fühle mich wie jemand, dem soeben das Paradies zurückgeschenkt wurde. Hier wird es sein, hier wird es geschehen, die Erfüllung meiner ungeahnten Sehnsucht, hier werde ich leuchten sehen, die Blaue Blume und das Mehr als Alles. So dass ich beginne, mit Feuereifer, mir diese neue Welt zu entdecken, die Du bist, zu erfahren, dass Du bist, in all seiner Ganzheit und Klarheit.

„Komm, spring“, forderst Du mich auf, und ich bin gesprungen, eingetaucht, gefangen genommen worden und verloren gegangen. Über mir hat sich die Wasseroberfläche wieder geschlossen, der Rückgang verwehrt. Dann hast Du Dich zurückgezogen, bist fortgegangen und hast mich hier gelassen, als ob Du es nicht mehr gewußt hättest, von einem auf den anderen Moment vergessen, dass Du es gesagt hattest, „Komm, spring“.

Nun sitze ich fest – die Farben sind verschwunden und hat die Welt in grau hinterlassen. Die Geschichten und Melodien sind verfolgen, alle Laute verstummt – und ich bin eingekesselt in der dunklen, starren Stille. Aber hätte ich denn anders können, als Du mich aufforderdest. Hatte ich denn je eine Alternative, nachdem Dein Ruf an mich erging. Hatte ich denn je eine Chance, nachdem Du es mir zuflüstertest, „Komm, spring“

Ich habe es genossen, das Glück gekostet und am Nahklang der Verbundenheit Anteil haben dürfen. Ich habe nie darüber nachgedacht was dann kommt, was nach der Vertreibung aus dem Paradies folgt. Nichts, als ungestillte Sehnsucht, denn die Erfahrung ist unhintergehbar, die Veränderung unumkehrbar. Nie wieder wird es so sein wie es war, denn nie wieder werde ich so sein wie ich war.

Drei Schwestern

„Setz Dich zu mir und erzähl mir Deine Geschichte.“, bat ich Dich, in jener Nacht, als Du Dich zu mir setztest, zu verweilen, ein wenig. Und Du erzähltest mir Deine Geschichte:

„Meine Mutter war eine wunderschöne Frau, aber es war jene Art von Schönheit, die sich nicht aufdrängt, sondern in ihrer Schlichtheit gern übersehen wird. Doch sie war nicht nur schön, sondern auch weise. Nicht im Sinne von gebildet oder belesen, sondern sie hatte die Gabe sich in jeden hineinversetzen zu können, aber ohne das Umfeld aus dem Blick zu verlieren, so dass sie jedem richtig zu raten wusste, egal welches Problem es zu lösen galt oder welche Sorge plagte. Für die Leidenden und die Trauernden fand sie immer die richtigen Worte des Trostes. Diese Gabe konnte nicht lange geheim bleiben, so dass immer mehr zu ihr kamen ihren Rat oder ihren Trost zu erbitten – und sie wies niemanden ab, lies niemanden ungetröstet ziehen. Man sollte meinen, diese Menschen kämen nur ein einziges Mal und dann nie wieder, doch das Gegenteil war der Fall. Sie kamen immer und immer wieder und gewöhnten sich nach und nach daran sich bei ihr Rat zu holen, ja, sie gewöhnten sich so sehr daran, dass sie gar nicht mehr versuchten sich selbst zu helfen, sondern automatisch zu meiner Mutter kamen. Es dauerte wohl einige Zeit bis meine Mutter begriff, dass die Menschen immer abhängiger von ihr wurden. Ja, bei manchen war es so schlimm, dass sie nicht einmal mehr entscheiden konnten welche Schuhe sie anziehen sollten. Und meine Mutter wusste natürlich, dass das nicht gut war, für sie nicht, aber noch weniger für die Menschen, die sich von ihr helfen ließen, denn sie hörten auf ihrem eigenen Urteil zu vertrauen, hörten auf sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Sie hätte die Macht gehabt diese Menschen wie Marionetten zu benutzen, hätte sie es denn gewollt. Dabei war ihr einziges Ziel gewesen, diesen Menschen einen Anstoß zu geben, bloß einen kleinen Anstoß, woraufhin sie sich wieder selbst weiterhelfen sollten. Doch es hatte sich in die falsche Richtung entwickelt. So beschloss sie keine Ratschläge mehr zu geben und schickte die Menschen, die nach wie vor in Scharen zu ihr strömten, fort. Natürlich tat sie es nicht ohne Erklärung, doch niemand wollte sie verstehen. Das einzige, was sie aus den Worten meiner Mutter mitnahmen war, dass sie als Hilfesuchende abgewiesen wurden, dass sie nun wieder ganz allein mit ihren Problemen und Sorgen waren. So geschah es, dass die Zuneigung sich in Wut und Ablehnung wandelten, wie es wohl des öfteren geschieht. Nur einer blieb, und ließ sich auch nicht abweisen. 70 Tage und 70 Nächte saß er im Garten vor dem Haus meiner Mutter, bis er schließlich ihr Herz so sehr rührte, dass sie ihn aufnahm und heiratete, doch Rat hat sie keinem mehr erteilt.“

Sie hielt inne und sah hinauf zu den Sternen, als würde sie dort den Ansatz zum Fortgang ihrer Geschichte finden.

„Meine Mutter und mein Vater haben geheiratet, und so weit ich das beurteilen kann, müssen sie wohl glücklich gewesen sein, denn es gibt über die folgenden Jahre nichts weiter zu berichten, und es gibt nur eines, worüber man nicht berichten kann und das ist der Zustand des Glücks. Und es kann nur ein Zustand sein, das Glück, denn darin gibt es keine Entwicklung und kein Wachsen. Wozu auch? Man ist ja eigentlich schon dort, wo man hinwill. Meine Mutter und mein Vater waren also glücklich miteinander, so lange sie diesen Zustand aushielten, und als sie es eines Tages nicht mehr aushielten, beschlossen sie Kinder in die Welt zu setzen, denn das sollte ihre Liebe vervollkommnen. So sagt man wohl dazu. In Wahrheit ist es doch nichts weiter als das Leben wieder spüren zu wollen, herauszukommen aus dem vegetativen Sumpf des Glücks, zurück in die Ungeordnetheit und das Chaos, das wachsen und werden beinhalten, Leben, das unbezähmbar und unbegreiflich ist und bleibt, in seiner überbordenden Leidenschaft. Ein Wahn, ein Rausch, eine Ent-setztheit, die niemand auf Dauer erträgt, sodass man Phasen des Glücks einbauen muss um sich ein wenig zu erholen und auszuruhen, um wieder genügend Kräfte zu sammeln um das Leben wieder leben zu können. Das ist wohl auch gemeint, wenn man von jemandem sagt, er lebt schnell oder langsam. Da gibt es wohl Menschen, die in einer Woche so viel Leben verbrauchen wie andere in Jahren nicht, und immer noch nicht genug bekommen, immer noch geifern und gieren nach mehr Leben, immer mehr, dem Mehr als Alles, das sie nicht zu benennen wissen, und wohl auch nicht was das eigentlich sein soll. Manche suchen unermüdlich weiter, und andere – so wie meine Mutter und meine Vater – setzen eben Kinder in die Welt. Mindestens zwei sollten es sein, doch dann bekamen sie drei auf einen Schlag. Drillinge, drei Mädchen, Sophie, Sabrina und Sarah, wurden sie genannt, und nun, nun sollte ihr Glück vollkommen sein. Vielleicht hätte es so sein können, doch meine Mutter hatte wohl keine Zeit mehr über Glück oder dessen Abwesenheit zu philosophieren, denn ihr Tag wurde von da an von den Bedürfnissen dieser drei kleinen Mädchen bestimmt. Noch einmal hatte sie ihrem Leben eine völlig neue Ausrichtung gegeben, hatte eine Entscheidung getroffen, die wohl die ihre war, und auf die sie – wie sich herausstellte – doch keinen Einfluss hatte. Aber Rat, ja Rat hat sie keinen mehr erteilt.“

„Stattdessen hat sie uns großgezogen, mich und meine beiden Schwestern, und auch über diese Zeit gibt es eigentlich nicht viel zu berichten, nicht mehr und nicht weniger als es eben über die Alltäglichkeit zu berichten gibt. Statt Rat, schenkte sie uns Vertrauen zu unseren Entscheidungen und wohl auch den Mut diese durchzutragen, und so kam der Tag, an dem es sich erweisen sollte, die Wurzeln, ob sie Halt gefunden hatten, die Flügel, ob sie stark genug seien sich selbst im Sturm zu bewähren. Wir drei, wir gleichen einander wie ein Ei dem anderen, jedoch nur äußerlich, denn ansonsten sind wir so vierschieden wie Menschen nun mal verschieden sind. Sabrina sah ihr Talent darin Geschäfte zu betreiben. So begann sie, indem sie in unserer Heimatstadt einen Drogeriemarkt eröffnete. Mittlerweile besitzt sie etliche Filialen im ganzen Land und vielleicht auch schon im Ausland. Irgendwann habe ich den Überblick verloren. Wahrscheinlich, weil es mich nicht weiters interessierte, und auch, weil wir uns darüber aus den Augen verloren haben. Solch eine Expansion ist wohl nur mit 100%igem Einsatz zu erreichen, Einsatz, Fleiß und Beharrlichkeit. Ab und zu kam sie vorbei, doch jedes Mal musste sie auch schon wieder weg, kaum, dass sie angekommen war, wobei ich nicht einmal sicher bin, ob sie überhaupt ankommt oder sie nicht vielmehr mit den Gedanken und dem Interesse ganz woanders ist. Ich fragte sie ob sie glücklich sei, eines Tages. Ohne auch nur einen Moment zu zögern bejahte sie diese Frage, denn schließlich hatte sie ja das, was sie immer angestrebt hatte, und da könne es keinen Irrtum geben. Zeit für Freunde oder Familie habe sie natürlich nicht, doch sie habe etwas viel Verläßlicheres als die Gunst der Menschen, das Werk ihrer Hände und ihres Kopfes. Ob sie denn niemals einsam sei, wollte ich sie noch fragen, doch da läutete schon wieder das Telephon und sie musste weg. Vielleicht werde ich irgendwann die Gelegenheit haben sie zu fragen, all das, was ich nicht verstehe, und ich will verstehen, nicht irgendetwas, sondern sie. Es ist nicht mein Weg, den sie gegangen ist, nicht mein Bestreben all diese persönlichen Opfer, bei dem so vieles auf der Strecke bleibt. Sie ist reich und unabhängig, und doch auch arm und abhängig. Ist es möglich das durchzutragen, ein ganzes Leben lang? Ist sie wirklich glücklich, oder deckt sie sich absichtlich so derart mit Arbeit ein, dass sie keine Minute Zeit hat darüber nachzudenken? Aber vielleicht ist es auch der falsche Ansatz, die Frage nach dem Glück, und der richtige wäre einfach die Zeit zwischen Anfang und Ende so souverän wie möglich zu überbrücken, und nichts weiter. Nichts weiter!“

„Sabrina, die eine meiner beiden Schwestern, hatte sich also für die Karriere als Geschäftsfrau entschieden und darin ihre Erfüllung gefunden. Sarah, die andere meiner beiden Schwestern, konnte diesem Treiben wohl nur kopfschüttelnd zusehen, wenn sie denn überhaupt zusah, denn sie ist die Träumerin, die Romantikerin, die Phantasievolle. Alles was sie sah und wahrnahm war die Unmittelbarkeit. Jeder, der mit ihr zu tun hatte blühte auf und öffnete sich, er wusste nicht warum und fragte auch nicht. In ihrer Gegenwart kann man nicht anders als aus sich heraus zu gehen. Ihre Zuwendung ist Annahme, reinste, unverbaute Annahme. Sie sprüht vor Kreativität und Einfallsreichtum, vor hehren Ideen und Idealen. Der allerbanalste Gegenstand verwandelt sich in ihren Händen in ein Kunstwerk. Und doch lebt sie in ihrer eigenen Welt, in der sie jeden willkommen heißt, die sie selbst jedoch nie verläßt. Bunt und prächtig ist diese Welt, doch weit ab alles Praktischen und Vernünftigen. Es war auch nicht notwendig, denn sie wurde von einem Mann gefunden, der ihr dies alles abnahm und sie sein ließ wie sie war. Was für ein Segen jemanden zu finden, der einen genau so nimmt wie man ist, mehr noch, der einen darin befördert immer mehr selbst zu werden. Ich denke, sie kann gar nicht anders als in allem nur das Schöne und Kunstvolle zu sehen. Alles andere blendet sie aus. Beseelt von einer schier unerschöpflichen Kraft und Intensität, erfindet sie sich jeden Tag neu. Mit ihren Kindern wuchs sie, hinein in die Märchen- und Phantasiegestalten, und es war mir, als würde sie mit ihnen ihr Leben nochmals neu leben. Finanziell und emotional hat sie sich in die völlige Abhängigkeit begeben und kostet in vollen Zügen, die Höhen und Tiefen, die Selbstverströmung und Selbstverstrickung. Das Feuer in ihr brennt, doch es wärmt und verbrennt gleichermaßen. Sie atmet und erstickt, sie fliegt und sie fällt, sie tanzt und sie zittert, von einem auf den anderen Moment. Es kann sein, dass sie einbricht wie ein Wirbelwind, wenn sie kommt, um kurz darauf völlig entkräftet dazusitzen. Und auch sie habe ich gefragt, ob sie denn glücklich sei, und in einem Moment war sie grenzenlos glücklich, um im nächsten ebenso grenzenlos unglücklich zu sein. Woher nur nimmt sie die Kraft sich so rücksichtslos zu verschenken? Ist es der Sinn, Geschenk zu sein, bis man sich völlig ausgezehrt hat? Bis zu den Grenzen, und weit darüber hinaus!“

„Sabrina war also Geschäftsfrau geworden und Sarah Künstlerin. So hatten sie ihren Weg gefunden, und waren ihn gegangen, wohl jede auf die ihr eigene Weise, aber sie hatten eines darin gemeinsam, die Konsequenz und das Durchhaltevermögen. Sabrina ist die Frau der Zahlen, Sarah die der Bilder und Farben. Niemals, so mein Eindruck, sahen sie zurück und niemals wäre etwas anderes denkbar, ja nicht einmal vorstellbar gewesen als eben jener Weg, den sie gegangen sind. Ich gebe es unumwunden zu, ich bewunderte, ja mitunter beneidete ich sie wohl auch für diese Gewißheit und Zweifelsfreiheit. In all ihrer selbstgewählten Abhängigkeit hatten sie mir diese eine Freiheit voraus, die Freiheit sich innerhalb der Grenzen ihrer Entscheidung zu bewegen. Doch ich, ich habe diese Entscheidung für mich nie getroffen. Eine Zeit lang bewegte ich mich im Wissenschaftsbereich. Alle waren zufrieden mit mir, nur ich nicht, denn sehr bals schon stieß ich an die Grenzen der Wissenschaftlichkeit, des wissentlich Fassbaren. So eng ist der Kreis dessen was wägbar, messbar, fassbar ist, und ich wollte darüber hinaus und stellte mich damit ins Aus. So entschloss ich mich dazu das Leben zu fassen, richtig, ehrlich, kompakt. Ich wollte berühren und greifen, spüren und atmen. Also wurde ich Gärtnerin. Das bedeutet wirklich anzupacken und mittendrin zu sein, verbunden zu sein mit der Erde und all dem, was die Erde uns schenkt. Darin war ich recht zufrieden, eine Zeit lang, denke ich. Naturverbundenheit und Freiheit, erlebte ich hier, doch auch das war mir mit der Zeit zu wenig. Natürlich, auch das war eine Verantwortung, doch es kam keine Resonanz. So begann ich mich abermals auf den Weg zu machen mir eine neue Aufgabe zu suchen und fand sie im sozialen Engagement, arbeitete mit alten Menschen und mit Sandlern, und stellte mich mit ihnen an den Rand der Gesellschaft, die nur das Jugendliche, Erfolgreiche und Schöne sehen will, und alle an den Rand drängt, die das Bild stören und keine Konsumenten sind. Ich ließ mich hinein- und hinunterziehen, ließ mich ein, bis ich wirklich einer von ihnen war, doch als ich an diesem Punkt angelangt war, merkte ich, ich war ihnen keine Hilfe mehr, nur mitleidend. So raffte ich mich noch einmal auf und versuchte mich dort zu engagieren, wo die Rahmenbedingungen für all diese Menschen verbessert werden könnten, in die Politik, doch von dem wandte ich mich am schnellsten wieder ab, denn nirgendwo sonst wird so sehr auf den eigenen Vorteil geachtet, nirgendwo sonst so wenig an andere und deren Bedürfnisse gedacht. Und jetzt, jetzt bin ich hier, und blicke auf einen bunten Teppich aus Erfahrungen zurück, einen einzigen Flickenteppich, und weiß immer noch nicht wo ich hingehöre oder was mein Talent ist.“, und damit schloss sie ihre Erzählung. Ich hatte aufmerksam zugehört und verstanden. „Steh auf, tritt ein paar Schritte zurück, und dann sieh noch einmal auf Deinen Lebensteppich.“, forderte ich sie auf. „Du hast recht, da taucht plötzlich ein Weg, ein durchgehender, erkennbarer, wohl recht verschlungener, aber doch ein Weg, umrahmt von vielen bunten, lebendigen Bildern.“, entdeckte sie plötzlich, „Aber dennoch, warum hat sie mir nicht einen Rat mitgegeben, meine Mutter?“, fügte sie nachdenklich hinzu. „Weil Du niemandem raten kannst, denn Deinen Weg kannst nur Du finden, denn auch nur Du kannst ihn gehen.“, antwortete ich. „Aber welcher ist meiner?“, fragte sie. „Lass Dich führen, durch Deine Offenheit und Deine Neugierde, und Du wirst einen Platz finden um zu bleiben.“, antwortete ich. „Dann schickst Du mich fort?“, fragte sie. „Ja, ich schicke Dich fort, aber komm wieder, wenn Du angekommen bist.“, sagte ich, und sah ihrem Fortgang noch lange nach.

Glückseligkeit