Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme) - Samer Tannous - E-Book
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Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme) E-Book

Samer Tannous

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Beschreibung

Der SPIEGEL-Bestseller jetzt im Taschenbuch und mit neuen Kolumnen!

Samer Tannous kam 2015 mit seiner Familie aus Damaskus und lebt seitdem im beschaulichen Städtchen Rotenburg an der Wümme. Dass das Leben in Deutschland deutlich anders sein würde als in der syrischen Heimat, darauf war Tannous vorbereitet. Aber wie vielfältig die kleinen und die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Arabern und Deutschen sind, das erstaunt ihn immer wieder. Anknüpfend an alltägliche Beobachtungen und Begegnungen hat er kurz nach seiner Ankunft begonnen, gemeinsam mit Gerd Hachmöller seine Gedanken über die neue Heimat in Deutschland aufzuschreiben. Die Kolumne, die aus diesen Texten hervorging, hat deutschlandweit viele Fans – auch weil es Tannous und Hachmöller immer wieder gelingt, die mitunter seltsamen Eigenheiten der Deutschen ebenso treffend wie warmherzig einzufangen.

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Seitenzahl: 294

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Samer Tannous wurde in 1970 in Al-Bayda (Syrien) geboren. Fünf Jahre lang studierte er in Nancy (Frankreich) und Damaskus französische Literatur. Von 2007 bis 2015 arbeitete er als Dozent für französische Sprache und Literatur an den Universitäten Damaskus und Hama. Im Dezember 2015 kam er mit seiner Familie nach Deutschland und lebt seitdem mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern im niedersächsischen Rotenburg (Wümme). Nachdem er im Eigenstudium die deutsche Sprache erlernt hat, arbeitet er seit Sommer 2016 als Französischlehrer an verschiedenen Schulen.

Gerd Hachmöller wurde 1972 in Celle, Niedersachsen geboren. Als Stabstellenleiter im Landkreis Rotenburg (Wümme) ist er unter anderem für die Themen Migration und Integration zuständig. Im Jahr 2015 leitete er die Einrichtung und den Betrieb einer Notunterkunft für Geflüchtete. Nebenberuflich arbeitet Gerd Hachmöller als systemischer Coach, Teamentwickler, Dozent und Autor. Schwerpunkt seiner Dozententätigkeit sind der Umgang mit kulturellen Unterschieden sowie die Psychologie des Helfens. Gerd Hachmöller ist verheiratet und hat drei Kinder.

Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme) in der Presse:

»Leicht, heiter und lustig. Man klappt das Buch zuversichtlich zu und denkt sich: Hey, geht doch, Integration ist machbar! Jedenfalls mit so einem syrischen Nachbarn.«

rbbKultur

»Samer Tannous und Gerd Hachmöller schreiben witzig und warmherzig über deutsche Eigenarten und arabische Lebensweise.«

NDR Kulturjournal

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Samer Tannous undGerd Hachmöller

Versuche, meine neue deutsche Heimat zu verstehen

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Für Hala, Christina und CilinaFür Ainhoa, Fritz, Martha und Ludwig

Inhalt

Vorwort

Teil I: Kontakt

Danke und Tschüss!

Morgen des Jasmins

Kaffeesatz lesen

Ein Leben für das Essen

Was machen wir heute?

Al-Jazeera und der Integrationsschock

Teil II: Kommunikation

Schickimicki

Sie trinkt keinen Kaffee

Inshallah

Übers Wetter reden

Was denn, Sie wollen nicht feilschen?

Je mehr du isst, desto mehr magst du mich

Streiten lernen mit Angela

Zu Beginn

Ich bezahle!

Komm und komm nicht

Teil III: Feiern

Freude braucht keinen Termin

Integration zu Ostern

Wie schön, dass Du geboren bist

Erst die Hochzeit, dann die Kinder

Wie die Kuh auf der frischen Weide

Übersommern

Stille Nacht

Euer Vaterland blüht

Teil IV: Alltag

Der Zug wird kommen

Die Maschine

Deutschland ist meine Heimat, Bier mein Getränk

Handys auf stumm

Von Hunden und Eseln

Erst die Regierung fragen

Habt Ihr was geplant?

In Jogginghosen zur Schule?

Die Foto-Lizenz

Man muss in die Pedale treten

Gesundheit, Onkel!

Wir haben die Flexibilität

Plastik am Karton

Talkshows wie im Wohnzimmer

Ich brauche Ersatzteile

Deutsche Sparsamkeit lernen

Dienst ist Dienst

Als ob der Regen in uns weint

Bekreuzigungen im Auto

Beim Licht von angezündetem Kuhmist

Teil V: Gesellschaft

Ruhige Lage

Der Deutsche wohnt in einer Bücherei

Nackte Tatsachen

Im Wald

Das Sieb schütteln

Die Magie einer deutschen Umarmung

Kartoffelsäcke und Sparschweine

Geschmacksfragen

Die Bewerbungsrede

Ein Termin mit der Liebe

Der beliebteste Vorname

Vater Goriot

Das Band

Den Teppich ausschütteln

Corona und die Deutschen

Das mediale Virus

Mein Integrationsrezept

Shukraan (= Danke)

Vorwort

Samer, der Syrer, und Gerd, der Deutsche, könnten unterschiedlicher kaum sein. Wir sind wie Kardamom und Petersilie, und dass aus dieser ungewöhnlichen Mischung nicht nur eine tiefe Freundschaft, sondern auch einmal ein Buch werden würde, haben wir zu Beginn nicht geahnt.

Zum ersten Mal begegnet sind wir uns auf einer Feier des deutsch-französischen Partnerschaftsvereins im April 2016. Samer saß am hintersten Tisch, und die Vorsitzende des Partnerschaftsvereins erzählte Gerd, dass es sich bei ihm um einen Syrer handle, der vor kurzem nach Rotenburg zugezogen sei und der gut Französisch spreche. Gerds Französisch ist eher schlecht, aber vielleicht klappte es ja auf Englisch.

Als er sich zu Samer setzte, stellte er jedoch zu seiner Freude fest, dass Samer sogar schon ein wenig Deutsch sprechen konnte. Auf die Frage, wie Samer es geschafft habe, in so kurzer Zeit schon einen Deutschkurs zu besuchen, antwortete dieser, dass er sich seine Deutschkenntnisse in den letzten Monaten im Eigenstudium und über das Internet angeeignet habe. Kurse gäbe es leider zu wenige. Gerd war beeindruckt von Samers Engagement und Wissendurst. Wir tauschten Telefonnummern aus, und so ging alles los.

Wenige Wochen nach diesem Zusammentreffen spielten wir jeden Freitag gemeinsam in einer Basketballgruppe. Und, was für interkulturelles Lernen noch wichtiger war, tranken anschließend in der »dritten Halbzeit« noch das obligatorische Bierchen. Hier, wie auch bei vielen anderen Gelegenheiten, lernten wir einander besser kennen und erzählten uns unsere Lebensgeschichten.

Samer stammt aus einem kleinen Dorf in den Bergen im Westen Syriens. Dort wuchs er mit zwei Brüdern und einer Schwester auf. Sein Vater starb früh, und so musste die Mutter mit einer kleinen Witwenrente und großer Sparsamkeit die vier Kinder alleine großziehen. Nach dem Abitur erhielt er ein Stipendium, um zum Studium nach Frankreich zu gehen. An der Universität Nancy studierte er erst Informatik, dann französische Literatur. Zurück in Syrien studierte und arbeitete er zunächst an der Universität Damaskus. Seine spätere Frau Hala lernte er jedoch in seinem Heimatdorf kennen. 2009 heirateten die beiden und bekamen zwei Töchter. Wegen des Krieges in Syrien verschlechterten sich ab 2011 die privaten wie auch die beruflichen Perspektiven für Samer. Auch wenn weite Teile der syrischen Hauptstadt nur wenig vom Krieg betroffen waren, stellten Raketenangriffe und Explosionen eine ständige Gefahr dar. 2013 verließ Samer deshalb Damaskus und zog wieder in sein Heimatdorf, um von dort aus an der Universität Hama als Dozent für französische Literatur zu arbeiten. Aber die beruflichen und finanziellen Verhältnisse verschlechterten sich weiter. Schließlich konnten Samer und Hala für sich und ihre Kinder keine langfristige Zukunft mehr in Syrien erkennen und entschlossen sich im Dezember 2015, nach Europa auszuwandern. Samers Bruder hatte in Deutschland Zahnmedizin studiert und arbeitete schon seit mehreren Jahren im kleinen Rotenburg an der Wümme als Zahnarzt. Deshalb zog Samer mit seiner Familie nicht nach Frankreich, obwohl er fließend Französisch sprach, sondern nach Norddeutschland, wo er zunächst im Haus seines Bruders wohnen konnte. Seitdem arbeitet er als Lehrer und Dozent und versucht so, seinen Lebensunterhalt selber zu verdienen.

Gerd hatte Wirtschaftsgeografie in Marburg und Hannover sowie an der London School of Economics studiert. Nach einem halben Jahr in der EU-Kommission in Brüssel arbeitete er in Deutschland zunächst in der Forschung, dann als Stabsstellenleiter im Landkreis Rotenburg (Wümme). Nicht zuletzt durch ein Austauschprogramm, das ihn für eine kurze Zeit nach Japan führte, begann er, sich zunehmend mit Fragen der Migration und kultureller Unterschiede zu beschäftigten. Seit 2014 ist er nebenberuflich als systemischer Coach und Teamentwickler tätig und entwickelte ein Curriculum für die Ausbildung ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer. Im Herbst 2015 leitete Gerd eine Notunterkunft für Flüchtlinge und war seitdem Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten im Landkreis Rotenburg (Wümme). Auch deshalb ist er stets daran interessiert, Zuwanderer kennenzulernen.

Bei unseren Treffen kreisten die Gespräche immer wieder um die Unterschiede zwischen dem Leben in Syrien und in Deutschland. Samer versuchte, mit seiner Familie in Deutschland möglichst schnell Fuß zu fassen, und wollte die Kultur und die Menschen, mit denen er hier lebte, besser verstehen. Gerd leitete zu dieser Zeit Workshops im Bereich interkulturelle Kompetenz und stellte immer wieder fest, dass es auf Seiten deutscher Ehrenamtlicher zwar einen Überschuss an Hilfsbereitschaft, ja fast schon Enthusiasmus gab, an der großen Aufgabe der Integration mitzuwirken, doch dass viele dieser Menschen bei der Arbeit mit Zuwanderern auch auf Probleme und Missverständnisse trafen. Schnell entwickelte sich die Idee, gemeinsam Workshops durchzuführen, in denen wir typische Hürden im Verständnis zwischen der arabischen und der deutschen Kultur thematisierten. Es bereitete uns große Freude, wenn es bei diesen Veranstaltungen gelang, einige Missverständnisse aufzulösen.

Da gelungene Integration jedoch nicht nur von der Aufnahmebereitschaft des Gastlandes abhängt, sondern in erster Linie von der Integrationsbereitschaft der Zuwanderer, dehnten wir unser Angebot auch auf französisch- und arabischsprachige Workshops für Zuwanderer aus sowie auf gemischte deutsch-arabische Veranstaltungen. Durch diese Arbeit erweiterte sich noch einmal unser Horizont, hatten wir doch hier die Möglichkeit, kulturelle Unterschiede von beiden Seiten beleuchten und begreifen zu können.

Während der Autofahrten zu den Workshops erzählten wir von unseren Leben in so unterschiedlichen Kulturen und verglichen unsere Erfahrungen, Gedanken und Einstellungen zu allen möglichen Themen. Unsere Gespräche empfanden wir als so spannend und fruchtbar, dass wir uns im Frühjahr 2018 zusammensetzten und daraus erste Texte entwarfen. Auch wenn es sich bei den Texten um unser gemeinsames Werk handelte, entschlossen wir uns, sie aus der Ich-Perspektive von Samer zu schreiben, denn er lieferte den größeren Teil der Inhalte. Von nun an trafen wir uns jeden Sonntagmorgen in Samers Wohnzimmer und sprachen über Begegnungen, die er in der vergangenen Woche gehabt hatte, oder Dinge, die er schon länger beobachtet hatte. Daraus entspannen sich intensive Gespräche, in denen Gerd Fakten und Sichtweisen aus der deutschen Gesellschaft beisteuerte und wir oft zusammen zu neuen Einsichten kamen. Gerd übernahm dann die Aufgabe, die gemeinsamen Gedanken und Beobachtungen zu kurzweiligen Geschichten zusammenzufassen.

Da uns das Schreiben dieser Geschichten nicht nur viel Freude bereitete, sondern wir auch die Fragen, die wir in ihnen thematisierten, für viele Leser spannend fanden, boten wir dem »Weser-Kurier« zwanzig dieser kurzen Texte zum Abdruck an. Tatsächlich erschienen sie im Sommer 2018 als regelmäßige Kolumne in der Regionalbeilage »Wümme-Zeitung«, was uns beide sehr freute. Noch größer war unsere Freude, als sich der SPIEGEL entschloss, ab Herbst 2018 längere Texte von uns im Onlineangebot SPIEGEL+ zu veröffentlichen. Im ersten Jahr wurden daraus über fünfzig Ausgaben dieser Kolumne, die Woche für Woche immer mehr Leser gewinnt.

Nachdem das Buch als Sammlung dieser Texte am 2. März 2020 als Hardcover erschien, brach zeitgleich die Corona-Pandemie über Deutschland herein. Sie veränderte nicht nur unser aller Alltag, sondern machte auch viele unserer Pläne für Lesungen zunichte. Kolumnen für SPIEGEL+ schrieben wir aber weiterhin. Zwei dieser Kolumnen, die wir im Frühjahr 2020 über den Umgang mit der Corona-Pandemie geschrieben haben, haben wir zusätzlich in diese Taschenbuchausgabe mit aufgenommen.

In diesem Buch blickt ein Syrer in den Spiegel und entdeckt dabei viele Unterschiede und Gemeinsamkeiten seiner kulturellen Prägung zur deutschen Kultur. Darüber hinaus wird ein Einblick in das Seelenleben eines Zuwanderers gewährt, der bemüht ist, die fremde Kultur zu verstehen und sich zu integrieren, ohne dabei seine eigene kulturelle Prägung über Bord zu werfen. Gleichzeitig halten wir dabei aber auch den Deutschen den Spiegel vor, die darin manch Eigentümlichkeiten und Besonderheiten ihrer Gesellschaft erkennen können, die sie bisher vielleicht nicht als solche wahrgenommen haben.

Es ist wichtig zu betonen, dass es sich in unseren Texten ausschließlich um individuelle und subjektive Sichtweisen handelt. Sie sind nicht zwangsläufig repräsentativ für alle syrischen Einwanderer, die in den letzten Jahren nach Deutschland gekommen sind. Syrien ist, verglichen mit Deutschland, ein extrem heterogenes Land, sowohl mit Blick auf die Geografie und den Gegensatz von Stadt und Land als auch in Bezug auf Religionen und Konfessionen. Samer ist Akademiker, er ist Christ, er hat lange in der Millionenstadt Damaskus gelebt und hatte bereits interkulturelle Erfahrungen gesammelt, als er in den Neunzigerjahren in Frankreich studierte. Menschen aus anderen Regionen Syriens, mit anderen religiösen Prägungen oder mit einem anderen Bildungshintergrund als Samer mögen deshalb andere, nicht minder interessante Erfahrungen in Deutschland gemacht haben als die, welche in diesem Buch geschildert sind.

Viele Menschen in Deutschland setzen die syrische Kultur mit der islamischen Kultur gleich. Das jedoch ist in mehrfacher Hinsicht irreführend. Zum einen besteht die syrische Gesellschaft zu elf Prozent aus Christen und weiteren nicht-islamischen Religionen, zum anderen gäbe es ohnehin keine homogene »islamische« Kultur. Samer spricht in diesem Buch also aus syrischer beziehungsweise arabischer Perspektive und nicht aus muslimischer. Auch wenn viele kulturelle Prägungen zwischen Christen und Muslimen in Syrien gleich sind, so kann man bei Angehörigen dieser Religionen zuweilen auch auf unterschiedliche Ansichten stoßen, zum Beispiel wenn es um die Themen Gleichstellung von Männern und Frauen, Religionsfreiheit oder um den Stellenwert der Religion insgesamt geht.

Unsere Kolumnen beschäftigen sich vor allem mit Unterschieden zwischen der deutschen und der arabischen Kultur. Warum tun wir das und betonen nicht etwa die Gemeinsamkeiten? Als wir einmal gebeten wurden, in einer norddeutschen Gemeinde einen Workshop zu interkultureller Kompetenz zu halten, war die Veranstaltung überschrieben mit dem Titel: »Wir sind alle gleich!« Auf Nachfrage erfuhren wir, dass der Schwerpunkt auf Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen der ins Land gekommenen arabischen und persischen Flüchtlinge und den Deutschen gelegt werden sollte, um das Verbindende in den Vordergrund zu stellen. Damit hatten wir ein Problem und baten den Veranstalter, den Titel des Workshops zu ändern. Erst als am Ende ein Fragezeichen hinter den Titel gesetzt wurde, waren wir zufrieden.

Natürlich gibt es auch viele Gemeinsamkeiten zwischen der arabischen und der deutschen Kultur, und auch die klingen in diesem Buch an. Und grundsätzlich sind Menschen zunächst einmal Individuen und nicht Angehörige einer bestimmten Kultur. Auch gilt es zu berücksichtigen, dass weder die arabische noch die deutsche Kultur homogen und statisch sind, sondern einem ständigen Wandel in der Zeit unterworfen sind und Ausnahmen die Regel bestätigen.

Dennoch sind wir durch unsere Arbeit, unsere Erfahrungen und unsere zahlreichen Gespräche zu dem Schluss gekommen, dass viele Araber und Deutsche in ihren kulturellen Prägungen zunächst einmal eher gegensätzlich sind. Das heißt nicht, dass man nicht gemeinsam in einem Land leben könnte. Aber es können eben viele Missverständnisse, Kommunikationsprobleme und Vorurteile im Zusammenleben zwischen Arabern und Deutschen lauern. Je mehr sich beide Seiten möglicher kultureller Unterschiede als Ursachen bewusst sind, desto besser kann man aufeinander zugehen und desto leichter kann die gesellschaftliche Integration gelingen. Oder um es mit dem algerischen Autor Kamel Daoud zu sagen: »Kulturelle Unterschiede zu leugnen ist keine Lösung. Sie bewusst ins Auge zu fassen, ist der Beginn einer Lösung.«

Unser Buch möchte kulturelle Unterschiede zwischen arabischen Zuwanderern und Deutschen weder überbetonen noch verniedlichen, sondern einladen zum Perspektivwechsel, zu Verständnis sowie zur Reflektion über die fremde, aber auch die eigene Kultur. Vor allem möchten wir dazu ermuntern, die große Aufgabe der gesellschaftlichen Integration von beiden Seiten beherzt anzupacken: als Deutsche und als Zuwanderer. Beide können dabei nur gewinnen.

Teil I: Kontakt

Danke und Tschüss!

Was ist der Unterschied zwischen Abendland und Morgenland, zwischen Ost und West, wenn sie sich in Deutschland treffen? Diese Frage beschäftigt mich und meine Frau fast täglich. Sie beschäftigt in diesen Monaten, in denen wir diese Texte schreiben, ganz Deutschland.

Das syrische Dorf, aus dem meine Frau und ich kommen, hat zwei Ortsteile: Meine Frau stammt aus dem Ostteil, ich aus dem Westteil. Der Ostteil ist die »Altstadt«, mit engen Gassen, vielen alten Menschen, die nachmittags auf dem Bordstein sitzen und tratschen, bevor sie früh ins Bett gehen. Der Westteil dagegen besteht aus Neubauten und beherbergt viele Bars und Restaurants.

Bis heute frotzeln wir über unsere unterschiedlichen Prägungen, nennen uns gegenseitig »altmodische Ostdörflerin« oder »hochnäsiger Westdörfler«. Dabei liegen zwischen ihrem Elternhaus und meinem nur 300 Meter.

Zwischen Deutschland und Syrien liegen ungefähr 3500 Kilometer.

Zu Beginn unserer Reise nach Deutschland streckte sich uns das Abendland in Form von zwei Schuhen entgegen. Es war nachts, und der Flughafen von Beirut war sehr voll. Wir hatten das Glück, dass wir Syrien mit dem Flugzeug entkommen konnten und nicht wie viele unserer Landsleute über die gefährliche Mittelmeerroute nach Europa reisen mussten. Nun warteten wir in der Abflughalle, und uns gegenüber saß ein Mann, der seine Beine ausgestreckt auf seine Koffer hochgelegt hatte. Seine Füße berührten fast die Nasen meiner Kinder. Er war eindeutig Europäer, und er las eine Zeitung.

Ich wollte ihn ansprechen und bitten, seine Schuhe aus unseren Gesichtern zu nehmen. Aber meine Frau hielt mich davon ab. Sie sagte: »Wir reisen nach Europa. Für Europäer ist ihre Freiheit sehr wichtig! Sie können machen, was sie wollen.« Ich war sehr unsicher, ob und wie ich den Herrn ansprechen sollte. Welche Art von Kommunikation würde mich wohl in Deutschland erwarten?

Noch immer gerate ich in Situationen, in denen ich unsicher bin, wie ich Menschen ansprechen soll. Zum Beispiel, wenn ich im Zug sitze: Deutsche lesen im Zug fast immer ein Buch oder eine Zeitung oder tippen am Handy. Sie richten ihre Aufmerksamkeit dabei auf Menschen, die weit weg oder schon tot sind, aber ihren Sitznachbarn versuchen sie, so gut wie möglich zu ignorieren. Ich würde gerne mit ihnen sprechen, nur so kann ich meine Deutschkenntnisse trainieren. Aber wie kann ich mit ihnen in Kontakt kommen, ohne sie zu stören?

Mit 800 Stundenkilometern sind wir aus dem umkämpften, aber geschwätzigen und leutseligen Syrien nach Deutschland geflogen. Bei der Landung bremste unser Flugzeug stark ab, genau wie die Kommunikation mit unseren Mitmenschen.

Nachdem wir in Deutschland angekommen waren, habe ich versucht, im Eigenstudium möglichst schnell Deutsch zu lernen. Nach ein paar Wochen klingelte einmal der Postbote an unserer Tür und gab ein Paket für unsere Nachbarn ab. Ich sagte zu meiner Frau: »Das ist die Gelegenheit, endlich meine ersten Deutschkenntnisse auszuprobieren!« Einen ganzen Tag lang bereitete ich mich auf den Moment vor, wenn mein Nachbar das Paket abholen würde. Ich wollte ihn willkommen heißen, uns vorstellen, ein bisschen Smalltalk machen und ihn auf einen Kaffee einladen. Wie es unter Arabern Brauch ist. Ich habe dafür ganze Sätze auswendig gelernt.

Abends um acht klingelte es endlich an der Tür. Ich sagte zu meiner Frau: »Jetzt wirst du sehen, wie ich eine Unterhaltung auf Deutsch mit meinem Nachbarn führe.«

Ich öffnete die Tür. Der Nachbar hielt mir den gelben Abholschein vor das Gesicht.

Ich sagte: »Hallo.«

Er zeigte auf das Paket, ich gab es ihm.

Er sagte: »Danke und Tschüss.«

Ich schloss die Tür.

Noch mehrere Sekunden stand ich auf der Fußmatte und trauerte meinem nicht geführten Gespräch hinterher. Dann ging ich ins Wohnzimmer zu meiner Frau. Sie hat mich ausgelacht. Ich sagte: »Ist das Deutschland?«

Später habe ich versucht, diese Situation zu begreifen. Ich habe mir gesagt, dass der Nachbar wahrscheinlich keine Zeit hatte und spät dran war. Hatte ich nicht gerade gelernt, wie wichtig Zeitplanung für die Deutschen ist? Vielleicht braucht er für einen kurzen Plausch mit seinem neuen Nachbarn einen Termin in seinem Kalender?

Meine Frau meinte: »Erwartest du etwa, dass unser Nachbar dich wie die Araber mit blumigen Worten willkommen heißt? ›Deine Anwesenheit erleuchtet das Viertel und verschafft uns mehr Ehre?‹ Du bist in Deutschland, sie übertreiben nicht so wie wir.« Ich fragte meine Frau, woher sie das wisse. Sie sagte: »Ich komme aus dem östlichen Dorfteil, mein Schatz, und das erkläre ich dir das nächste Mal.«

Viele arabische Zuwanderer denken mit Blick auf die wortkargen Deutschen, die leeren Bürgersteige und ernsten Mienen der Menschen: »Deutsche haben kein Sozialleben!« Inzwischen weiß ich, dass das nicht stimmt. Aber die sozialen Kontakte laufen hier anders: geordneter, geplanter und infolge von Einladungen. Dafür sind Freundschaften manchmal umso fester.

Schon wenige Wochen nachdem mein Nachbar das Paket abgeholt hatte, begann ich, in der Altherren-Gruppe von Gerd Basketball zu spielen. Sie nennen das »Daddel-Gruppe«. Als Nils, einer meiner Mitspieler, zum ersten Mal Vater geworden war, lud er uns abends in eine Dorfkneipe ein, um seinen Nachwuchs zu feiern. In Norddeutschland heißt das »Baby pinkeln«. Wir fuhren alle gemeinsam fünf Kilometer mit dem Fahrrad in das Dorf und hatten einen tollen Abend. Nils bezahlte alle Getränke und das Essen. Ich war sehr beeindruckt, nicht nur von seiner Gastfreundschaft, sondern auch davon, dass wir alle den weiten Weg mit dem Rad fuhren, nur um mit ihm die Geburt seines Kindes zu feiern. In Syrien hatte ich dergleichen nicht erlebt. Deutsche haben also sehr wohl ein Sozialleben.

Morgen des Jasmins

Eine Frage, die in unseren Workshops oft von deutschen Teilnehmern gestellt wird, ist: Wie begrüßt man sich in Syrien? Insbesondere zwischen Mann und Frau, wer darf da wem die Hand geben? Vor einer Antwort möchte ich betonen, dass die richtige Begrüßung auch für mich manchmal eine Herausforderung ist, denn die deutsche Begrüßung ist nicht so einfach, wie man sich das vorstellt.

Bevor ich in dieses Land kam, hatte ich mich informiert: In Deutschland gibt man sich zur Begrüßung die Hand. So steht es in den gängigen Reiseführern. Auch die Teilnehmer in unseren Workshops sagen, dass es zur deutschen Kultur gehört, sich zur Begrüßung die Hand zu geben.

Aber seit ich in Deutschland lebe, habe ich gelernt: Diese Regel stimmt längst nicht immer. In Wahrheit ist es viel komplizierter. Dem Paketboten zum Beispiel gibt man nicht die Hand. Auch nicht unbedingt dem Nachbarn, der das Paket abholen möchte. Guten Freunden gibt man in Deutschland auch nicht immer die Hand, stattdessen umarmt man sich. Selbst Männer begrüßen sich oft mit einer kurzen Umarmung, sofern sie gut befreundet sind. Wenn ich meine Freundin Anne in der Stadt treffe, geben wir uns links und rechts ein Küsschen, weil sie in Frankreich geboren ist. Unter Sportlern ist es in Deutschland häufig üblich, sich mit »High Five« abzuklatschen. Meine Schüler auf dem Schulhof begrüßen sich untereinander in der Regel mit mehr oder weniger ausgefeilten »Checks«, also dem Berühren mit den Fäusten oder mehrfachem Abklatschen. Und wenn man auf Partys anderen Leuten vorgestellt wird, reicht in der Regel ein Nicken oder freundliches Lächeln, insbesondere wenn man gerade ein Glas und einen Teller mit Häppchen in den Händen hat.

Die Begrüßung ist der erste Kontakt mit einem anderen Menschen und sendet ihm eine Botschaft, in welcher Weise man mit ihm kommunizieren möchte. Nicht immer kann man Missverständnisse vermeiden. Zu wissen, wie man sich angemessen verhält, und Reaktionen richtig zu interpretieren erfordert viele Kenntnisse und Einfühlungsvermögen von beiden Seiten.

Ein kultureller Unterschied: Wenn die Deutschen »Guten Morgen« sagen, antwortet man ebenso mit »Guten Morgen«. Wenn man in Syrien »Guten Morgen« sagt, antworten wir mit »Morgen des Lichts!« oder »Morgen des Jasmins!«. Wieso? Weil die arabische Sprache eben sehr blumig ist. Und weil Araber bei der Begrüßung immer noch einen draufsetzen müssen. Wenn Deutsche einem ihr knappes »Guten Morgen« entgegenschleudern, entrollt sich im Kopf eines Syrers ein ganzes Begrüßungsprogramm: Er möchte die Begrüßung mit einer noch besseren Begrüßung erwidern. Wenn ein Syrer einen anderen Syrer zum Beispiel fragt: »Wie geht’s dir?«, antwortet der andere: »Gut, Gott sei Dank, und selbst? Wie geht’s dir, und wie geht es deinen Eltern?« Anderes Beispiel: Wenn ein Syrer zu dem anderen als typische Grußformel sagt: »Wir vermissen eure Nähe«, sagt der andere: »Wir hoffen, dass die Gesundheit auch eure Nähe sucht«, um einem damit gute Gesundheit zu wünschen.

Wann also gebt Ihr Deutschen Euch überhaupt die Hand? Sollte ich mal einen Reiseführer über Deutschland verfassen, schriebe ich dort hinein: »In Deutschland gibt man sich manchmal zur Begrüßung die Hand, insbesondere in formellen Zusammenhängen. Aber nicht immer. Am besten, man wartet erstmal ab, was das Gegenüber macht, und richtet sich danach.«

Diese Taktik nutze ich immer, wenn ich beim Kontakt mit einem Deutschen nicht sicher bin, wie ich mich verhalten soll. Auch wenn meine Frau mich fragt: »Samer, was muss ich machen?«, antworte ich: »Warte ab und beobachte, was die Deutschen machen. Und dann verhalte dich ebenso.« Dieser Trick funktioniert auch unter Syrern. Kürzlich habe ich es so gemacht, als mich ein syrischer Freund eingeladen hatte. Da er Muslim ist, wusste ich nicht, ob ich seiner Frau die Hand geben sollte oder nicht. Ich habe einfach gewartet, bis sie mir ihre Hand entgegenstreckte, dann war alles klar.

Nur selten liegt man mit diesem Abwarten und Abgucken falsch, aber es kommt natürlich vor. So wie beim ersten Mal, als ich bei unserer Basketballgruppe mitgespielt habe. Ich bin mit Gerd zur Sporthalle gefahren, außer ihm kannte ich noch niemanden aus der Gruppe. Gerd begrüßte der Reihe nach alle Mitspieler mit einer kurzen Umarmung. Als auch ich mich einreihte und jeden meiner neuen Mitspieler zur Begrüßung umarmte, merkte ich sofort, dass die anderen bei mir zögerlicher waren als bei Gerd. Offenbar war dies eine Begrüßungsform unter Freunden, nicht zwangsläufig unter allen Basketballspielern in Deutschland. Aber welche andere Begrüßung wurde hier von mir als Neuling erwartet? Hand geben? Abklatschen? Freundlich nicken? Die Begrüßung in diesem Land ist viel komplizierter, als Ihr Deutschen es selber ahnt.

Ich gebe zu, auch in Syrien ist es nicht immer eindeutig. Ein gängiges Vorurteil von Europäern lautet, dass Araber sich zur Begrüßung nicht die Hand geben. Oder dass man muslimischen Frauen generell nicht die Hand geben sollte. Aber das stimmt so nicht. In Syrien reicht man sich bei vielen Gelegenheiten die Hand, nicht nur zur Begrüßung, sondern etwa auch bei Geschäften oder Vertragsabschlüssen. Es gibt in Syrien sogar Frauen mit Kopftuch, die einem zur Begrüßung die Hand reichen, und längst nicht alle muslimische Männer lehnen es in Syrien ab, einer Frau die Hand zu geben. Ob sie es tun oder nicht, hat mit dem Grad der Traditionsverbundenheit beziehungsweise der Progressivität der Menschen zu tun sowie mit der Art der Religiosität. Und es gibt viele verschiedene Religionen und Konfessionen in Syrien.

Hier in Deutschland ärgere ich mich, wenn ich beobachte, dass ein arabischer Mann einer deutschen Frau nicht die Hand geben will. In einem unserer Workshops gab es mal eine solche Situation. Es war ein gemischter Workshop, also mit deutschen und arabischen Teilnehmern. In der Diskussionsrunde sagte eine Deutschlehrerin, dass es sie immer kränkt, wenn dieser bestimmte Araber ihr zu Beginn des Unterrichts als Einziger nicht die Hand gibt. Der arabische Teilnehmer versuchte sich damit zu rechtfertigen, dass es für einen muslimischen Mann unrein sei, einer anderen Frau als der eigenen die Hand zu geben. Das kränkte die Deutschlehrerin nur noch mehr. Den anderen arabischen Teilnehmern der Veranstaltung war das Verhalten ihres Landsmannes sehr unangenehm. Sie wiesen ihn darauf hin, dass die Verweigerung des Handschlags in Deutschland inakzeptabel sei. Sie fragten, was er denn machen wolle, wenn er Arbeit gefunden hätte und seine Chefin eine Frau sei. Als er antwortete, dass er sich einen solchen Job eben nicht suchen würde, wurde er gefragt, ob er sich nicht lieber gleich ein anderes Land suchen wolle.

Kaffeesatz lesen

Unsere Geschichten sind in der Regel zwischen einer Tasse Tee und einer Tasse Kaffee entstanden. Wenn Gerd und ich uns sonntagmorgens zum Kolumnenschreiben in meinem Wohnzimmer treffen, bringt meine Frau Hala zunächst zwei Gläser Tee herein. Und zum Abschied gibt es meist noch eine Tasse Kaffee.

Auf die Idee, über diese beiden Getränke zu schreiben, kamen wir durch den Verlag, der unsere Texte als Buch herausbringt. Ein Entwurf für ein mögliches Cover dieses Buches zeigt eine Tasse arabischen Tees in der einen Ecke und einen »deutschen« Becher Kaffee in der anderen. Der Grafiker hat sich offenbar von einem Klischee über Araber und Deutsche inspirieren lassen. Da habe ich mich gefragt: Was steckt eigentlich hinter diesem Klischee?

Wenn Ihr glaubt, dass wir Araber mehr Tee trinken als Ihr Deutsche, liegt Ihr richtig. Die Ostfriesen bilden natürlich eine Ausnahme und bleiben bei diesem Vergleich außen vor. Aber ansonsten haben Türken, Perser und Araber tatsächlich den höchsten Teekonsum pro Kopf in der Welt.

Vielleicht habt Ihr Deutschen dafür die größere Tee-Vielfalt. Kürzlich habe ich mich mit einer Lokalredakteurin für ein Interview in einem Café getroffen. Die Kellnerin fragte uns, was wir trinken wollten. Um nicht weiter Zeit mit der Bestellung zu verschwenden, antwortete ich: »Einen Tee, bitte.« Ich dachte, damit hätte ich als Syrer ein Heimspiel. Die Kellnerin aber fragte, welchen Tee ich denn möchte. Auf meinen völlig überforderten Gesichtsausdruck zählte sie sage und schreibe sieben verschiedene Teesorten auf. Ich verstand kein Wort und bat sie, die Liste noch einmal aufzusagen. Da ich weiterhin ratlos war, sagte ich einfach: »Den letzten!«, nicht wissend, was ich damit bestellt hatte. Wenig später kam die Kellnerin mit einer schwach grünen, fast geschmacklosen Flüssigkeit zurück. Um das zu bekommen, was ich unter Tee verstehe, hätte ich sagen müssen: »Einen schwarzen Tee mit Zucker bitte!« Das Thema des Interviews war übrigens »Integration«. Und schon zu Beginn des Gesprächs wurden wir so mit diesem kleinen, aber feinen Integrationsmerkmal konfrontiert.

Denn unter Arabern erübrigt sich die Frage nach der Teesorte. Es gibt bei uns nur eine Art von Tee: schwarzen Tee, er heißt bei uns »Schai«. Die Teeblätter kommen direkt in die Kanne und werden kurz mit aufgekocht. Teebeutel in der Tasse sind bei Arabern dagegen eher unüblich. Die Farbe des aufgegossenen Tees ist dabei besonders wichtig, es muss ein kräftiges Rot ergeben. Deshalb trinken wir ihn aus Gläsern oder durchsichtigen Tassen. Wir Syrer sagen: »Der Tee muss eine Farbe haben wie das Blut einer Gazelle!«

Noch ein Unterschied: Einige Araber schlürfen den heißen Tee, manchmal auch richtig laut. Ihr Deutschen dagegen lasst den Tee erst ein bisschen abkühlen, bis er Trinktemperatur hat und sich geräuschlos genießen lässt. Meinen deutschen Schwager habe ich einmal ziemlich schockiert, als ich in seiner Gegenwart einen heißen Tee auf meine Weise »genossen« habe. Er mag das Geräusch nicht und scheint mir diesbezüglich auch wenig tolerant.

Der Tee ist bei uns das erste Getränk beim Frühstück. Ohne Tee wäre ein Frühstück wie Shampoo ohne Spülung. Nach dem Mittagessen kommt bei uns der Tee als Digestif daher, mit oder nach dem Dessert. Manchmal wird auch zum Abendessen Tee getrunken, und nach dem Besuch des Hamam, der öffentlichen Badeanstalt, gehört ein Tee unbedingt dazu.

Die Deutschen dagegen trinken deutlich mehr Kaffee als die Syrer. Zumindest, was die Flüssigkeitsmenge angeht. Da Euer Kaffee etwas dünner ist als der syrische, denke ich, dass wir beim Verbrauch an Kaffeebohnen sogar gleichauf liegen könnten. Syrischer Kaffee ist vergleichsweise stark, wird oft mit Kardamom gewürzt und aus kleinen Espressotassen getrunken. Auch die Zubereitung ist bei Arabern in der Regel anders als bei Deutschen. Ich zum Beispiel schütte meist den Kaffee in einen kleinen Henkeltopf mit Wasser, rühre ihn um und erhitze ihn auf dem Herd. Das macht mir stets eine besondere Freude und duftet ganz herrlich. Der Kaffeesatz setzt sich später am Boden des Topfes oder der Kaffeetasse ab. Kaffee zu filtern wäre mir früher nicht in den Sinn kommen. Serviert wird der Kaffee in Syrien immer mit einem Glas Wasser.

Da ich mich aber in die deutsche Gesellschaft integrieren möchte, trinke ich mittlerweile auch zuhause den Kaffee oft aus dem Vollautomaten. Ich finde, dass das sehr praktisch ist, insbesondere wenn man wenig Zeit hat. Und weil der Kaffee dann etwas dünner ist als in meiner syrischen Heimat, habe ich abends wenigstens kein Problem mit dem Einschlafen. Ob man die arabische oder die deutsche Kaffeezubereitung bevorzugt, bleibt am Ende eine Frage des Geschmacks und der Gewohnheit.

Getrunken wird der Kaffee in Syrien nicht zu festen Uhrzeiten, sondern zu bestimmten Anlässen. Da gibt es zum einen den Brauch des Willkommens- und des Abschiedskaffees: Wenn man in Syrien Besuch bekommt, wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, dass er ohne eine Tasse Kaffee das Haus wieder verlässt. Wenn sich dann doch mal jemand ohne einen Kaffee verabschieden will, wird der Gastgeber ihn aufhalten, um ihm mehrfach eine Tasse aufzudrängen. Man hätte sonst einfach Sorge, dass die Leute einen für einen schlechten Gastgeber halten. Hier in Deutschland haben meine Frau und ich uns diese Hartnäckigkeit inzwischen weitgehend abgewöhnt und fragen höchstens ein Mal.

Die beliebteste Tageszeit für Kaffee ist in Syrien der Vormittag. Der Kaffeegenuss gehört bei uns zur Matinee, genau wie die Stimme der Sängerin Fayrouz. Wenn vormittags die Verwandtschaft oder die Nachbarn zu Besuch kommen, trinkt man traditionell gemeinsam Kaffee. Sind die Tassen leer, lesen die älteren Frauen dann manchmal zum Vergnügen aller den Kaffeesatz aus und weissagen den Jüngeren wortreich ihr zukünftiges Schicksal. Versucht das mal mit Eurem deutschen Filterkaffee!

In dem Gedicht »Die Kaffeesatzleserin« des berühmten syrischen Poeten Nizar Kabani heißt es:

»Sie saß mir gegenüber und ihre Augen zeigten Angst.

Sie betrachtete meine umgedrehte Tasse.

Sie sagte: ›Sei nicht traurig, mein Sohn! Die Liebe ist Dein Schicksal.

Ich habe schon viele Tassen gelesen, aber niemals sah ich eine wie die Deine.

Trotz Wetter und Sturm wird die Liebe der schönste Weg für Dich sein.

In Deinem Leben, mein Sohn, gibt es eine Frau, die wunderschön ist.

Ihr Mund ist süß wie eine Weintraube.

Und ihr Lachen ist wie eine schöne Melodie und wie eine Blume.

Sie hat die wunderbaren Haare einer schönen Zigeunerin.

Aber der Himmel regnet über Dir. Und Dein Weg ist Dir am Ende versperrt.

Denn Dein Schatz schläft in einem Schloss. Und Du wirst sie überall suchen.‹«

Ein Leben für das Essen

Ich kenne außer meinem Bruder nicht viele andere Syrer in Rotenburg. Ich habe vor allem Kontakt mit Deutschen, weil mich ihre Kultur interessiert. Aber es gibt einen anderen Syrer hier im Ort, dem ich zwar schon häufiger begegnet bin, den ich aber lange nur flüchtig kannte. Ich wusste von ihm zunächst nur, dass er schon seit über zwanzig Jahren in Deutschland lebt.

Eines Tages klingelte abends das Telefon. Ich war schon im Pyjama und korrigierte gerade hoch konzentriert französische Klassenarbeiten. Von einem deutschen Freund hatte ich dazu den Tipp bekommen, alle Arbeiten nebeneinander auszubreiten und zu vergleichen, um zu einer für alle gerechten Benotung zu kommen. Also war unser Wohnzimmertisch übersät mit Klausuren, und mir rauchte der Kopf. Der Anruf kam von diesem Syrer aus Rotenburg. Beim letzten Smalltalk in der Fußgängerzone hatte ich ihm unsere Nummer gegeben. Er fragte mich, was ich gerade mache. Ich antwortete spontan: »Nichts! Warum?« Meine Frau, die in der Nähe saß, zog eine Augenbraue hoch. Er sagte: »Weil ich gerne mal mit dir einen Kaffee trinken wollte. Hast du Zeit?« Ich antwortete: »Ja natürlich, sehr gerne!« Jetzt hatte meine Frau beide Augenbrauen hochgezogen und ein großes Fragezeichen im Gesicht. Nachdem ich mich mit meinem Gesprächspartner in der Stadt verabredet hatte, räumte ich alle Klausuren vom Tisch und zog mich um.

Meine Frau fragte, warum ich der Verabredung zugestimmt hätte und ob ich nur eine Gelegenheit suchte, dem trauten Heim zu entfliehen. Ich antwortete, dass der Mann am Telefon älter sei als ich, dass es das erste Mal sei, dass er mich anrief, und dass ich schließlich schon oft in meinen Kolumnen über die arabische Spontaneität und Höflichkeit gesprochen habe. Hätte ich auf die Frage »Was machst du gerade?« ehrlich geantwortet, hätte das für einen Araber eher frostig geklungen und die anschließende Einladung verhindert. Ich konnte und wollte diese Verabredung jetzt nicht ablehnen.

Eine halbe Stunde später traf ich mich mit dem Mann in einer Shisha-Bar. Beim Betreten des völlig verqualmten Lokals konnten wir nur wenige Meter weit sehen, aber es reichte, um ein paar meiner Schüler unter den Gästen zu erkennen. Ich sagte zu meinem neuen Bekannten, dass ich diesen Ort vorgeschlagen hätte, weil ich ihn schon einmal dort gesehen hatte. Er sagte, dass es hier guten Wein gäbe. Als ich das hörte, fragte ich ihn verwundert, ob er Alkohol trinke. Er bejahte, und so entschieden wir, in ein anderes, weniger verqualmtes Lokal zu gehen, um einen Rotwein zu trinken.

Zunächst sprachen wir ein wenig über Politik. Da dies jedoch ein schwieriges und wenig erquickliches Thema war, entschied ich mich, die Weichen für den Abend anders zu stellen: Ich befragte ihn intensiv über seine Erfahrungen in Deutschland. Es sollte für mich der vergnüglichste Abend seit langem werden.

»Was sind deine Erfahrungen mit den Deutschen? Was kann ich von dir lernen?«, fragte ich ihn.