Konfliktcoaching - Astrid Schreyögg - E-Book

Konfliktcoaching E-Book

Astrid Schreyögg

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Beschreibung

Coaching kann Konflikten vorbeugen. Coaching kann Konflikte entschärfen. Es kann aber auch sinnvoll sein, mit Hilfe von Coaching Konflikte zuzuspitzen und auf den Tisch zu bringen. Erfolgsautorin Astrid Schreyögg, die mit ihrem ersten Buch einen Klassiker der Coachingliteratur geschrieben hat, setzt sich mit allen drei Möglichkeiten auseinander: Prophylaxe, Bewältigung und Stimulierung.

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Astrid Schreyögg

Konfliktcoaching

Anleitung für den Coach

www.campus.de

Information zum Buch

Coaching kann Konflikten im Unternehmen vorbeugen und sie entschärfen. Doch manchmal kann es auch sinnvoll sein, Konflikte zuzuspitzen und auf den Tisch zu bringen. Welcher Weg jeweils der beste ist und wann Sie als Coach Prophylaxe, Bewältigung oder Stimulierung von Konflikten forcieren sollten, verrät Erfolgsautorin Astrid Schreyögg.

Diese komplett überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Bestsellers ist ein Leitfaden für alle Coaches, die Führungskräfte in Konfliktsituationen kompetent beraten möchten.»Ein fundiertes Lehrbuch, das Hintergrundinformationen gibt und in die Tiefe geht.« ManagerSeminare

Informationen zur Autorin

Dr. Astrid Schreyögg arbeitet als freie Psychotherapeutin, Supervisorin und Organisationsberaterin in Berlin. Sie gibt die Zeitschrift Organisationsberatung, Supervision, Coaching heraus und ist Autorin mehrerer Bücher. Im Campus Verlag erschien ihr Standardwerk Coaching. Eine Einführung für Praxis und Ausbildung.

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 

Copyright © 2011 Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln

Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,

KN digital – die  digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart

ISBN der Printausgabe: 978-3-593-39544-9

E-Book ISBN: 978-3-593-41247-4

www.campus.de

|9|Vorwort zur 2. Auflage

Coaching als personenorientierte Beratung für Führungskräfte hat sich im letzten Jahrzehnt in vielen Firmen, Behörden und sozialen Dienstleistungssystemen durchgesetzt. In diesem Zeitraum entstand eine Vielzahl neuer Publikationen und einschlägiger Ausbildungsinstitute sowie eine ganze Reihe von Verbänden, die zur Professionalisierung des Formates beigetragen haben. Auf diesem Weg avancierte Coaching in vielen Organisationen zum festen Bestandteil der strategischen Personalentwicklung. Dabei soll es die generelle Qualität des Managements befördern. Und im Ensemble aller Managementfunktionen geht es am häufigsten um die Unterstützung der Personal- und Führungsfunktionen. Solche prospektiven Zielsetzungen entwickelte man erfreulicherweise nicht nur in Unternehmen wie etwa bei Audi, sondern auch in Bundesbehörden wie etwa in der Bundesagentur für Arbeit.

Neben derartigen in die Zukunft weisenden Zielsetzungen diente und dient Coaching aber besonders häufig zur Bearbeitung von Konflikten. Denn eine grundlegende Aufgabe von Führungskräften besteht ja in der Regelung konfliktärer Prozesse. Und in jeder Organisation finden sie sich laufend in mehr oder weniger deutlich wahrnehmbarer Form. Sie sind eben ein selbstverständlicher Bestandteil jedes Sozialsystems. Und gerade heute schwellen Konfliktpotenziale mehr und mehr an, weil Organisationen immer häufiger fusioniert, akquiriert und reorganisiert werden. Auch das im Prinzip konstruktive Konzept der »lernenden Organisation« hat in breitem Umfang zur Vermehrung von Konflikten beigetragen. Nicht zuletzt dadurch sind Organisationen heute zunehmend schwächer formalisiert. So haben aber bürokratische Vorab-Konstruktionen ihre stabilisierende Funktion weitgehend eingebüßt, weshalb Führungskräfte jetzt mehr als früher Ad-hoc-Regelungen aufgrund ihrer eigenen persönlichen Kompetenzen treffen müssen. Daraus folgt, dass in allen Organisationen größere |10|Reibungsflächen für Konflikte entstehen. Der Führungskraft kommt dann wieder die Aufgabe zu, systembedrohende Konflikte zu handhaben. Und dabei soll sie nun der Coach unterstützen. Dieser benötigt aber »Landkarten«, das heißt Strukturierungsmuster zur Analyse und Bearbeitung unterschiedlicher Konflikttypen, damit er seinen Klienten möglichst treffsicher antworten kann.

Solche Landkarten bietet das vorliegende Buch. Seit seinem Erscheinen im Jahr 2002 haben sich diese Landkarten anscheinend so gut bewährt, dass ich nun fast 10 Jahre später eine zweite Auflage des Buches vorlegen kann. Dafür wurde es überarbeitet und ein neues Kapitel eingefügt. Dieses befasst sich mit einer Konstellation, die heute immer häufiger anzutreffen ist: mit »Doppelspitzen« in Organisationen.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Frau Selina Hartmann vom Campus Verlag bedanken, die mich zur Bearbeitung einer zweiten Auflage ermuntert hat. Und nicht zuletzt danke ich allen Klienten, die sich mir im Verlauf der letzten Jahrzehnte anvertraut haben. Ohne sie wäre dieses Buch nie zustande gekommen.

Berlin im März 2011

|11|Einleitung

Coaching als professionelle Form der Managementberatung setzt sich in den letzten Jahren immer umfassender durch. Heute wird es von vielen externen Beratern und von Mitarbeitern in Personal- bzw. Personalentwicklungsabteilungen zu unterschiedlichen Fragestellungen angeboten. Dabei spielen Konflikte eine herausragende Rolle. Konflikte treten zwar in allen zwischenmenschlichen Zusammenhängen auf – natürlich auch in der Arbeitswelt und auch in Organisationen; sie sind aber doch vielfach von schwerwiegenden Irritationen begleitet. Dadurch können sie die Funktionsfähigkeit eines Systems erheblich beeinträchtigen. Gerade heute treten Konflikte häufiger als früher auf, weil die Anforderungen an Unternehmen, Behörden und soziale Dienstleistungssysteme laufend zunehmen.

Im Zuge der Globalisierung hat sich ein erhöhter Konkurrenzdruck ergeben, weshalb Fachleute aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenarbeiten müssen. Der qualifizierte Ingenieur benötigt zum Beispiel heute den Kaufmann als Partner, um erfolgreich zu sein. Auf diese Weise entsteht ein komplexes kognitives Feld, das Missverständnisse geradezu provoziert. Denn von den Fachleuten bringt jeder sein eigenes Bezugssystem in den Kooperationszusammenhang ein und hält seine Perspektive für die allein gültige. Kaum ein Experte ist zunächst jedenfalls auf die »Wahrheiten« seiner fachfremden Kooperationspartner vorbereitet. Anders als früher finden wir heute auch überall Firmenzusammenschlüsse im Sinne von Fusionen oder von Akquisitionen. Dadurch ergeben sich rasch emotionale Spannungen. Jedes System oder Teilsystem bildet nämlich durch tagtägliche Interaktionen eine spezifische Organisationskultur mit eigenen Ritualen, Normen und Standards aus. Diese erzeugen bei den »anderen«, die mit der ihnen noch fremden Kultur in Berührung kommen, vielfach Gefühle von Erstaunen bis Ablehnung. Anders als früher gilt heute die grundlegende Forderung, dass Firmen oder Verwaltungssysteme, die über Jahrzehnte |12|gleiche oder ähnliche Aufgaben wahrgenommen haben, sich in einen kontinuierlichen Veränderungsprozess begeben. Das aber führt besonders bei älteren Mitarbeitern zu einem Veränderungswiderstand (resistance to change), der Angst oder zumindest milde Formen der Labilisierung nach sich zieht. Auch solche Phänomene machen sich oft als Konfliktpotenzial bemerkbar.

Konfliktmanagement avancierte deshalb zu einer grundlegenden Aufgabe jeder Führungskraft. Im Idealfall handhabt sie alle Konflikte in der Weise, dass sich die Organisation optimal entwickelt. Dann wird sie manchem Konflikt, der ihr unproduktiv oder sogar schädlich erscheint, vorbeugen, ihn eindämmen oder zu bewältigen suchen. In anderen Situationen ist es aber umgekehrt durchaus sinnvoll, Konflikte zur Entwicklung einer konstruktiven Streitkultur sogar noch zu fördern. Ein solch flexibler Umgang mit Konflikten stellt aber nun Anforderungen, auf die viele Führungskräfte weder in fachlicher noch in menschlicher Hinsicht vorbereitet sind. Im Gegenteil, uns begegnen viel häufiger Situationen, in denen sie sich von einer Konfliktdynamik chaotisch überrollt fühlen, vor allem dann, wenn sie selbst ins Zentrum der Prozesse geraten.

Harry Fischer, ein promovierter Biologe, hatte in jungen Jahren zusammen mit einigen Mitstreitern »seine« Firma VacinoGen gegründet. Als Biotech-Unternehmen entwickelten sie vor allem Impfstoffe, meistens solche gegen Katzenallergien. Die Firma verzeichnete zunächst traumhafte Umsätze, sodass die Mitarbeiterschaft schnell auf hundert Personen anwuchs. Zu Beginn der 90er Jahre ergaben sich aber Umsatzeinbrüche, sodass, um den Mitarbeiterbestand zu wahren und um ein weiteres Wachstum der Firma zu garantieren, 60 Prozent der Firma an das erheblich größere Konkurrenzunternehmen Syntex verkauft werden mussten. Der neue Miteigentümer versuchte nun in Person eines Aufsichtsrates alsbald seinen Einfluss geltend zu machen. Er forderte vor allem, dass für die Firma ein Betriebswirt engagiert werde. Bislang bestand nämlich das gesamte Topmanagement des Unternehmens ausschließlich aus Naturwissenschaftlern, von denen die Administration eher »hobbymäßig« abgewickelt wurde.

Harry Fischer reagierte auf diese Forderung zunächst wie ein störrisches Kind. Er empfand es geradezu als Unverschämtheit, dass »seine Firma, sein Kind« nun von einem »Betriebsverwirrt«, wie er abfällig meinte, gemanagt werden sollte. Die Führungskräfte der Firma Syntex sahen wegen des massiven |13|Widerstands von Harry, der immerhin als renommierter Forscher auf seinem Gebiet galt, zunächst davon ab, ihre Forderung durchzusetzen. Harry erlebte aber die Situation mit dem Miteigentümer zunehmend als lästig. Nach allen Sitzungen mit den Syntex-Leuten geriet er, wieder in sein Labor zurückgekehrt, regelmäßig in Rage. Er schrie und tobte sich seinen Unmut förmlich aus dem Leib. Seine Mitarbeiter hielten jeweils ängstlich die Luft an und hofften, dass das Gewitter möglichst schnell vorüber geht. Eines Tages geschah dann das, was alle schon heimlich befürchtet hatten: Im Verlauf eines solchen Tobsuchtsanfalls griff sich Harry ans Herz, verdrehte die Augen, fiel zu Boden und war auf der Stelle tot.

Seine Familie, von der sich niemand in der Lage sah, die Nachfolge von Harry anzutreten, verkaufte nun auch die restlichen 40 Prozent der Anteile von VacinoGen an Syntex. Trotz aller Trauer über den Verlust des renommierten Wissenschaftlers (was übrigens fast sofort zu einem Umsatzeinbruch bei den Großabnehmern führte) atmete der Aufsichtsrat auf, denn nun konnte endlich ein Geschäftsführer mit ökonomischen Kompetenzen engagiert werden. Die Wahl fiel auf einen Diplomkaufmann, Henning Zeitler, der dem Aufsichtsrat von einer Personalberatungsfirma als »High Potential« wärmstens empfohlen worden war. Dieser hatte nämlich bereits allerlei »Meriten« vorzuweisen: Trotz seines vergleichsweise jugendlichen Alters von 31 Jahren hatte er schon eine Pharmafirma saniert und danach sehr erfolgreich als Unternehmensberater gearbeitet.

Henning Zeitler nahm nun als einziger Nicht-Naturwissenschaftler im Topmanagement von VacinoGen seine Tätigkeit auf. Durch den Aufsichtsrat angefeuert, tat er dies mit viel Schwung. Das war allerdings auch notwendig, denn durch den plötzlichen Tod von Harry war das Unternehmen von den Ereignissen regelrecht überrollt worden. Henning behielt aber einen klaren Kopf. Er verhandelte mit neuen Zulieferern sowie mit den wichtigsten Großabnehmern. Außerdem erarbeitete er in kürzester Zeit ein Strategie-Konzept für die weitere Entwicklung von VacinoGen. All das überzeugte den Aufsichtsrat nun endgültig, dass der richtige Mann für die richtige Aufgabe gefunden war. Henning leitete auch sofort eine Reihe organisatorischer Veränderungen ein: Zunächst stellte er weitere Wirtschaftsexperten ein, einen Controller sowie einen Spezialisten für Personalwirtschaft. Sodann richtete er ein wöchentliches Treffen aller Topmanager und Projektleiter ein. Außerdem war ihm aufgefallen, dass in VacinoGen noch eine Reihe bislang nicht ausgeschöpfter Potenziale steckten. So hatte er im Verlauf seiner Rundgänge durch die Labore bemerkt, dass im Zuge der Entwicklung von Impfstoffen |14|interessante Nebenprodukte wie etwa Haarwuchsmittel zu extrahieren waren. Um solche »By-the-way-Entwicklungen« zu fördern rief er sogar eine Projektgruppe ins Leben. Diese Gruppe junger Wissenschaftler, die der neu angestellte Spezialist für Personalwirtschaft rekrutiert hatte, machte sich auch sogleich mit Feuereifer an die Arbeit. Im Verlauf eines halben Jahres hatte sie fünf Produkte bis zur Marktreife entwickelt.

Vor lauter Begeisterung über seine neue Aufgabe entging es aber Henning Zeitler zunächst, dass sich einige Projektleiter bei den wöchentlichen Meetings »wegen dringender Aufgaben im Labor« immer häufiger entschuldigen ließen. Es handelte sich dabei in der Regel um diejenigen, die früher besonders eng mit Harry Fischer zusammengearbeitet hatten. Drei von ihnen waren ohnedies nach der vollständigen Übernahme durch Syntex (nach einer »Schamfrist« von sechs Monaten) zu einer anderen Firma gewechselt. Wie Henning von einem der kürzlich angestellten Wissenschaftler erfuhr, ließ der älteste von den Projektleitern der »alten Garde«, Tillmann Feick, beim Essen in der Kantine oder beim Pausieren in der Teeküche immer wieder abfällige Bemerkungen fallen. So meinte er über die Projektgruppe, die sich mit den »By-the-way-Produkten« beschäftigte: »Früher ging es hier um echte Medizinprodukte, aber heute schleppen wir ja noch diesen Kosmetikfirlefanz mit.« Oder er mokierte sich in einem Nebengespräch über ein Leistungsbeurteilungssystem, das der Spezialist für den Personalbereich in einem der Wochenmeetings vorgestellt hatte. Von Henning auf diese Themen angesprochen, gab er jeweils nur ausweichende Kommentare von sich. Bei den wöchentlichen Meetings erschienen die Projektleiter der alten Ära nun immer seltener, und langsam waren auch deutliche Motivationseinbrüche bei den neu eingestellten Mitarbeitern zu verzeichnen. Als der Controller auch noch einen merklichen Rückgang der Umsätze meldete, begann sich Henning Zeitler ernste Sorgen zu machen. Ihm fielen jetzt eine ganze Reihe von Gruppierungen auf, die sich zumindest verdeckt bekämpften: Da polemisierten die Mitarbeiter der alten »VacinoGen-Ära« gegen die neuen aus der »Syntex-Epoche«, die Naturwissenschaftler gegen die Wirtschaftswissenschaftler, die Forscher der medizinischen Produkte gegen die der Kosmetikfraktion. Und alle diese Divergenzen wurden nicht offen ausgetragen, sondern nur im Rahmen von Nebengesprächen und zynischen Bemerkungen etwa beim Essen. Als seinen »Erzfeind« machte Henning Zeitler den promovierten Biologen Tillmann Feick aus. Ausgerechnet auf diesen war aber die Firma in besonderer Weise angewiesen, denn er verfügte über das tiefste und breiteste Wissen im Kernbereich der Firma, also im Bereich der Impfstoffe. |15|Henning fühlte sich wie in einer Falle und zunehmend ratlos. Deshalb wandte er sich an einen Coach, um für den Umgang mit den vielfältigen Konfliktherden in der Firma besser gerüstet zu sein.

Im Coaching von Henning Zeitler war zunächst eine breite Analyse der aktuellen Situation nötig. Dazu gehörte die Firmengeschichte, die Organisationskultur, die jeweiligen Subkulturen, die Mitarbeiterstruktur mit den unterschiedlichen fachlichen Orientierungen und alle derzeit relevanten formalen wie informellen Phänomene auf systemischer, interaktiver und sogar auf individueller Ebene. Auf diese Weise reflektierte Henning sein berufliches Feld in einer verdichteten und strukturierten Weise. Daran anschließend entwickelte er zusammen mit dem Coach Handlungsstrategien, die einerseits auf seine strategischen Ziele und andererseits auf die verschiedenen Gruppierungen und zum Teil auch auf einzelne Personen im Unternehmen abgestimmt waren. Daraus ergaben sich konfliktprophylaktische Maßnahmen etwa zur besseren Integration von Tillmann Feick, solche zur Konfliktreduzierung, wie etwa Maßnahmen zur Auflösung von Ressentiments zwischen den alten und den neuen Mitarbeitern, aber auch Maßnahmen zur Konfliktstimulation, um besonders bei den älteren Mitarbeitern eine erhöhte Diskussionsbereitschaft und damit eine größere Bereitschaft für Innovationen zu entwickeln.

Es versteht sich fast von selbst, dass für eine derartige Beratung auch der Coach über eine Landkarte verfügen sollte, die es ihm erlaubt, Führungskräfte bei einem kompetenten Umgang mit Konflikten möglichst umfassend und möglichst elaboriert zu begleiten. Dazu benötigt der Coach einerseits eine Vielzahl von Analysemustern, auf deren Hintergrund er zusammen mit dem Klienten eine gegebene Konfliktsituation rekonstruieren und damit besser verstehen kann. Außerdem benötigt der Coach vielfältige methodische Ansätze, um die Führungskraft mit einem möglichst wirkungsvollen Inventarium an methodischen Möglichkeiten zu versorgen. Das Ziel des vorliegenden Buches besteht nun genau darin, dem Coach bei der Bearbeitung von Konflikten mit unterschiedlichen Themen in unterschiedlichen Milieus behilflich zu sein.

|16|Zur Struktur des Buches

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Im ersten zeige ich, was heute unter Coaching zu verstehen ist, welche Funktionen es hat, in welchen äußeren Anordnungen und Rollenkonstellationen es praktiziert wird und welche Anforderungen an den Coach und vor allem an sein Konzept zu stellen sind. Im zweiten Kapitel fächere ich eine breite Palette von Anlässen fürs Coaching auf, unter denen Konflikte besonders häufig zu finden sind. Da es in der Beratung von Führungskräften immer um Konflikte in Organisationen geht, werden genau diese in einem nachfolgenden Kapitel mit ihren unterschiedlichen Manifestationsformen, in unterschiedlichen Milieus und mit ihren unterschiedlichen Ursachen ausführlich aufgerollt. Im dritten Kapitel führe ich den Leser ins Zentrum des Konfliktcoachings. Hier zeige ich, wie Führungskräfte unproduktiven Konflikten vorbeugen können, wie sie im Bedarfsfall zu mildern oder zu beseitigen sind – und wie Konflikte gelegentlich sogar produziert werden müssen, um eine Organisation »in Form« zu bringen.

Der zweite Teil ist acht speziellen Konfliktkonstellationen gewidmet. Die Kapitel werden jeweils durch ein typisches Konfliktbeispiel eingeleitet und enthalten zum Abschluss Empfehlungen fürs Konfliktcoaching in dem jeweiligen Bereich. Im vierten Kapitel arbeite ich Differenzen beim Konfliktcoaching von Führungskräften aus Behörden, aus Wirtschaftsbetrieben und aus sozialen Dienstleistungssystemen heraus. Dabei geht es um die zum Teil äußerst unterschiedlichen Anforderungen, mit denen Führungskräfte in diesen Systemen konfrontiert sind, und natürlich um die begleitenden Konfliktpotenziale mit der dazu passenden Beratung. Im fünften Kapitel rolle ich das gesamte Spektrum von Konflikten auf, mit denen neu ernannte Führungskräfte konfrontiert sind. Je nach der Art, wie sie rekrutiert wurden, je nach der Situation des Vorgängers oder je nach ihrem spezifischen Auftrag haben sie ein äußerst unterschiedliches Konfliktmanagement zu realisieren, für das sie auch eine je unterschiedliche Beratung erhalten sollten. Daran anschließend (im sechsten Kapitel) geht es um Konfliktpotenziale, mit denen Führungskräfte in charismatischen Konstellationen konfrontiert sind. Diese in der amerikanischen Managementliteratur derzeit sehr populäre Thematik behandle ich für unterschiedliche Organisationstypen in unterschiedlichen Stadien. Selbstverständlich geht es auch hier wieder um Konflikte und das Coaching zu ihrer Bearbeitung. Danach thematisiere |17|ich Konfliktkonstellationen, die sich zwischen Haupt- und Ehrenamt ergeben (siebtes Kapitel). Dabei geht es einerseits um das Verhältnis von hauptamtlichen Geschäftsführern zu ehrenamtlichen Vorständen und andererseits um das zwischen Geschäftsführern und ehrenamtlichen Helfern. Beide Relationen sind ausgesprochen konfliktträchtig, weshalb auch hier oft eine sorgfältige Beratung angebracht ist. Das achte Kapitel, »Konfliktcoaching für Führungskräfte in Doppelspitzen«, befasst sich mit einer organisatorischen Konstellation, die wir heute immer häufiger finden, die sich aber als relativ störanfällig erweist. Zuerst fächere ich auf, was als »Doppelspitze« zu begreifen ist, wie unterschiedliche Formen in Organisationen verankert sind, um dann typische Konfliktpotenziale darzustellen. Zum Abschluss beschreibe ich auch hier wieder entsprechende Bearbeitungsstrategien. Im neunten Kapitel »Konfliktcoaching für Führungskräfte in Familienunternehmen« fächere ich zunächst das Konfliktpotenzial dieses Organisationstyps auf, um sodann die relevantesten Coachingthemen für Familienunternehmer, ihre Nachfolger und die angestellten Manager zu beleuchten. Der nachfolgende Abschnitt (zehntes Kapitel) befasst sich mit einem primär gesellschaftspolitisch verursachten Konfliktpotenzial, nämlich mit Komplikationen, die Manager im Postkommunismus zu bewältigen haben. Hier wird gezeigt, welche betrieblichen Muster sich in der Planwirtschaft bei Mitarbeitern wie Führungskräften entwickelt hatten, die sich heute nur noch begrenzt als tauglich erweisen. Sie müssen von den Führungskräften oft unter erheblichen Schwierigkeiten modifiziert werden. Das letzte Kapitel ist universellen Konstellationen gewidmet, nämlich denen zwischen Frauen und Männern, denen unter Männern sowie unter Frauen. Nach einer Auseinandersetzung mit der Frage, welche grundlegende Bedeutung der Beruf für Männer wie für Frauen hat, beschäftige ich mich mit Führungsphänomenen in unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Konstellationen. Sodann thematisiere ich hetero- und homosexuelle Liebesbeziehungen in der Arbeitswelt sowie das damit verbundene Konfliktpotenzial. Den Abschluss bilden auch hier wieder Empfehlungen fürs Coaching der Führungskräfte.

Zur Behandlung der einzelnen Themen ziehe ich jeweils Wissen aus verschiedenen Bereichen der Psychologie, der Soziologie und der Managementlehre heran. Diese fachübergreifende Orientierung ist nicht nur durch den komplexen Gegenstand von Coaching begründet, gerade die Beratung von Konfliktmanagement erfordert eine hohe konzeptionelle Flexibilität. |18|Mit dem vorliegenden Buch wende ich mich an alle, die sich fürs Coaching interessieren, zuerst natürlich an organisationsexterne und -interne Coaches, aber auch an Studenten der Psychologie, der Betriebswirtschaftslehre, der Soziologie und der Pädagogik. Ich freue mich außerdem, wenn auch potenzielle Coaching-Klienten das Buch mit Gewinn lesen.

Ich bedanke mich bei allen Professionellen, die sich mir bislang anvertraut haben. In dem einen oder anderen Beispiel werden sie gewiss auch ihren eigenen Konflikt wiedererkennen, den sie mit mir bearbeitet haben. Wie in meinen anderen Publikationen habe ich aber auch hier alle Namen verändert, alle Konstellationen in ihre Bestandteile zerlegt, sie neu gemischt und zu meinen eigenen Fantasiegebilden komponiert. Ein Dank sei auch an den Lektor des Buches gerichtet, Christoph Schmidt-Lellek, der mit Sorgfalt und fachlicher Kompetenz schon manche meiner publizistischen Aktivitäten begleitet hat.

|19|TeilI

CoachingundKonflikte

Der erste Teil des Buches befasst sich mit den Grundlagen von Konfliktcoaching, mit dem, was Coaching ist, was sich über Konflikte in Organisationen sagen lässt und welche unterschiedlichen Möglichkeiten der Behandlung von Konflikten und der entsprechenden Begleitung durch Coaching bestehen.

Im ersten Kapitel rolle ich die Debatte ums Coaching auf. Dabei geht es zunächst um seine Funktionen, seine Zielgruppen, die Themen und die Ziele. Danach differenziere ich kurz die möglichen Rollen des Coaches und die heute praktizierten Anordnungen des Coachings. Es findet nämlich heute keineswegs nur »unter vier Augen« statt, sondern auch in unterschiedlich zusammengesetzten Kleingruppen. Als Fragestellung, die immer wieder thematisiert wird, erläutere ich auch die Anforderungen, die an den Coach und vor allem an sein Konzept zu stellen sind. Als zentralen Punkt fächere ich zum Abschluss die Anlässe von Coaching auf, wobei Konflikte wahrscheinlich den häufigsten Anlass darstellen, Coaching in Anspruch zu nehmen.

Im nachfolgenden, sehr kompakten Kapitel mit dem Titel »Konflikte in Organisationen« wird zunächst klargestellt, dass es sich bei allen weiteren Ausführungen im Buch um Konflikte in organisatorischen Kontexten handelt, innerpsychische Konflikte einzelner Personen also von untergeordneter Bedeutung sind. Dann erläutere ich unterschiedliche konzeptionelle Positionen von Konflikten, unterschiedliche Definitionen und verschiedene Manifestationsformen. Daran anschließend zeige ich, welche Zugänge bei der Diagnose von Konflikten empfehlenswert sind. Dabei geht es um den Ist-Zustand von Konflikten ebenso wie um ihren Prozess. Bei der Analyse einer aktuellen Konfliktsituation differenziere ich zwischen äußeren und inhaltlichen Merkmalen. Und unter dem Begriff »Konflikteskalation« wende ich mich sehr ausführlich prozessualen Phänomenen |20|zu. Dabei geht es immer um Möglichkeiten, wie eine jeweilige Führungskraft Konflikte erfassen kann.

Im dritten Kapitel, »Coaching bei Konflikten«, werden nun die drei möglichen Handlungskategorien von Führungskräften bei Konflikten beschrieben. Dabei wird jeweils erläutert, wie sie sich durch Coaching unterstützen lassen. Hier differenziere ich zwischen Coaching zur Konfliktprophylaxe, Coaching zur Konfliktbewältigung und Coaching zur Konfliktstimulation.

|21|1. Coaching als Managementberatung

Der Begriff »Coaching« lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals bemühte man ihn schon an angelsächsischen Hochschulen zur Betreuung von Studenten (Rauen 2008). Populär wurde er aber erst im Zusammenhang mit dem Sport. Dort erfreut er sich seit mindestens zwei Jahrzehnten großer Beliebtheit. Etymologisch entstammt das Wort Begriffen wie »Kutsche« oder »Kutscher«. Bei »Kutsche« assoziiert man vielleicht einen »kuscheligen« Ort, an dem ein Mensch alle seine Gefühle, Fragen oder Sorgen ausbreiten kann, und bei »Kutscher« einen Lenker bzw. Betreuer von Pferden. Der Sport-Coach, die geläufigste Variante des Coachings, erhält dann bei Spitzensportlern wie etwa bei Tennisstars, die durch ihre Lebensumstände oft stark vereinsamt sind und trotz vielfältiger mentaler Belastungen Höchstleistungen erbringen wollen, die Bedeutung eines intimen Solidarpartners für alle fachlichen und gefühlsbezogenen Fragen. Die Funktion von Coaching besteht hier in der emotionalen und fachlichen Vorbereitung des Sportlers auf Leistungssituationen.

1.1 Funktionen, Zielgruppe, Themen, Ziele

Was besagt der Begriff in der modernen Managementliteratur? Bei Durchsicht einschlägiger Publikationen fällt in diesem Bereich eher eine Diffusität und Uneinheitlichkeit in der Begriffsverwendung auf. Von manchen Autoren wird Coaching wie eine Wunderdroge angepriesen: Es könne angeblich Führungskräfte von Alkoholismus und Depressionen befreien. Andere scheinen den Begriff lediglich als modische Worthülse zu bemühen, indem sie alle Arten von hausinterner und -externer Weiterbildung, Nachbeschulung und selbst konventionellste Seminaraktivitäten unter dem |22|Begriff »Coaching« zusammenfassen. Von wieder anderen wird »Vorgesetztencoaching« als ideale »Beratungsform« für unterstellte Mitarbeiter propagiert. Hier steht Coaching wohl als Synonym für einen besonders sorgfältigen Führungsstil (z. B. Dehner 2004). Diese Begriffsverwendung stellt allerdings schon terminologisch einen Widerspruch dar. Eine Relation zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern beinhaltet niemals eine vollständige Freiheit im Hinblick auf die Wahl des Beraters, die Wahl der Themen usw., durch die eine Beratung im eigentlichen Sinn definiert ist. Im Übrigen würde sich ein Vorgesetzter, der laufend seine unterstellten Mitarbeiter coacht, wie eine Glucke verhalten, die ihre Jungen nicht aus ihrer Obhut entlassen kann. Coaching hätte hier geradezu kontraproduktive Effekte, nämlich die Verhinderung des Selbstmanagements von Mitarbeitern.

Funktionen

Welche Bedeutung des Wortes »Coaching« ist in der Managementliteratur wirklich neu und welche ist sinnvoll? Im Gegensatz zu allen sonstigen Begriffsverwendungen lässt sich von einer Innovation sprechen, wenn Coaching als professionelle Form der Managementberatung verstanden wird. Dabei bearbeiten Führungskräfte ihre Themen mit einem Coach unter vier Augen (Looss 2002) oder in einer Kleingruppe (Wallner 2004 u. a.).

Seiner Funktion nach stellt Coaching (1) eine innovative Maßnahme der Personalentwicklung dar. Im Gegensatz zu bisher üblichen Trainings oder Seminaraktivitäten können Führungskräfte hier nämlich alle für sie aktuell relevanten Fragestellungen offen verhandeln. Außerdem dient Coaching (2) als Dialogform über Freud und Leid im Beruf. Hier erhalten alle beruflichen Krisenerscheinungen und Konflikterfahrungen, aber auch alle Bedürfnisse nach beruflicher Fortentwicklung den ihnen gebührenden Raum. So dient Coaching auf der einen Seite zur Bewältigung von Krisen und Konflikten, andererseits zur Fortentwicklung von Einzelnen und von Kollektiven. In vielen Coachings sind wie in dem folgenden Beispiel beide Funktionen relevant:

|23|Ein junger Unternehmer suchte um Coaching an, weil ihm »alles über den Kopf zu wachsen« drohte. Er litt bereits unter erheblichen Schlafstörungen, und seine Partnerin drohte mit Auszug aus der gemeinsamen Wohnung, wenn er nicht »langsamer tritt.« Nach einem Informatikstudium hatte er sich zügig selbstständig gemacht, um für Baumärkte, Großgärtnereien und vergleichbare Betriebe die »jeweils maßgeschneiderte Software« zu entwickeln. Die Dienstleistung wurde gut nachgefragt, sodass er bald Mitarbeiter zu seiner Entlastung einstellen musste, zuerst eine Sekretärin, bald eine zweite, dann einige weitere Informatiker und mangels entsprechender Bewerbungen als »Informatiker-Ersatz« schließlich noch einen Mathematiker. Im Verlauf von vier Jahren wuchs die Firma auf 10 Personen an. »Ich habe die Dinge nicht mehr im Griff, mir entgleitet alles, die machen, was sie wollen«, stöhnte er. Besonders der Mathematiker stellte für den Unternehmer »ein Riesenproblem« dar. »Der will immer alles 100-prozentig machen, der wird nie fertig, der hat bei jeder Lösung, die wir anderen entwickeln, etwas zu meckern, aber seine eigenen Projekte bringt er nie termingerecht an den Kunden.«

Im Verlauf eingehender Rekonstruktionen zeigte sich, dass der Firmengründer über eine ungewöhnliche Treffsicherheit im Hinblick auf die Wünsche seiner Kunden verfügte und dass er mit ihnen auch ausgesprochen sicher kommunizierte. Als Kind und Jugendlicher hatte er laufend im elterlichen Gartenbaubetrieb ausgeholfen. Auch später während seines Studiums, als längst seine ältere Schwester und ihr Partner die Firma übernommen hatten, verbrachte er dort oft als Aushilfe seine Ferien. Aufgrund seiner daraus resultierenden Branchenkenntnis wurde er bei allen anstehenden Fragen von seinen Mitarbeitern jeweils als »der« Experte konsultiert – nur nicht von dem Mathematiker. Dieser tüftelte und bastelte mit einer geradezu »unglaublichen Selbstgenügsamkeit«, wie der Unternehmer fand, an seinen Projekten. Er fragte auch nie um Rat wegen inhaltlicher Belange. »Der schottet sich von unserem Team weitgehend ab. Ich schaffe es jedenfalls nicht, ihn zu integrieren«, meinte er. »Den erreiche ich überhaupt nicht«, setzte er resigniert hinzu und deutete damit an, dass der Mathematiker gegenüber allen seinen Beeinflussungsversuchen resistent blieb. »Immer wenn ich ihn wegen dieser Einzelgängerei anspreche, bedeutet er mir kurz und knapp, dass er eben Mathematiker und kein Anwender sei.« Die weitere Rekonstruktion ergab, dass sich der Firmengründer durch solche Aussagen jeweils herabgesetzt fühlte. »Der ist eben ein Vertreter der reinen Lehre, und ich bin nur ein Anwender«, meinte er resigniert.

|24|Jetzt wurde ihm selbst klar, dass er es aus einem ominösen Respekt gegenüber der »reinen Mathematik« heraus bislang nicht gewagt hatte, bei diesem Mitarbeiter auf Kooperation zu drängen. »Den lasse ich eigentlich meistens nur so machen«, überlegte er. »Gelegentlich mäkle ich ein bisschen herum, aber eigentlich fordere ich auch nichts von ihm. Dadurch lasse ich ihn im Prinzip links liegen.« Im Verlauf eines imaginativen Rollentauschs erlebte er in der Rolle des Mathematikers auch wirklich nicht, dass ihn der Chef und die Kollegen in ihr Team einbeziehen wollten. Was seitens des Jungunternehmers (und wohl auch seitens der Kollegen) ominöser Respekt gegenüber diesem Mitarbeiter als »personifizierte Mathematik« war, wurde von diesem als Interesselosigkeit an seiner Person erlebt. Nun merkte der Firmenchef, dass er es bislang versäumt hatte, dem Mathematiker gegenüber als Vorgesetzter aufzutreten. Daraus folgte, dass er diesem keinerlei Orientierung gab, weder im Sinne von Anerkennung noch im Sinne von Kritik.

Auf der Basis dieser Rekonstruktion fand nun im Coaching, wiederum im Rahmen eines imaginativen Rollentauschs, ein Rollentraining statt, während dessen der Unternehmer versuchte, dem Mathematiker bei unterschiedlichen Gelegenheiten seine Anforderungen an ihn als Mitarbeiter zu vermitteln. Dabei zeigte sich deutlich, dass es dem Firmengründer schwer fiel, die reale Rollenkonstellation (übrigens auch seinen anderen Mitarbeitern gegenüber) überzeugend auszugestalten. Es gelang ihm erst nach einigen weiteren Coachingsitzungen, dem Mathematiker gegenüber seine formale Dominanzposition in überzeugender Weise zum Ausdruck zu bringen.

Gleichlaufend mit der interaktiven Veränderung gegenüber dem Mathematiker entwickelte der Unternehmer auch gegenüber seinen übrigen Mitarbeitern veränderte Haltungen. »Ich glaube, jetzt ist so etwas wie ein Pionierstadium vorbei«, meinte er nachdenklich, »wir müssen jetzt in unserer Firma formaler werden.« Daraufhin wurde er im Coaching angeregt, neue Funktionsverteilungen innerhalb des Mitarbeiterstabs zu überdenken. »Der Mathematiker, aber auch die anderen müssen ja nicht ein Projekt von einem Kunden von Anfang bis Ende durchziehen.« Der Unternehmer initiierte daraufhin eine breite Diskussion im Team, wie sie die anfallende Arbeit sinnvoller als bisher unter sich aufteilen könnten. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen schälte sich heraus, dass der Mathematiker für einige Vorarbeiten besonders prädisponiert war, die Kundenkontakte aber und die endgültige Installation der Software wollte er lieber den anderen, den »Informatikspezialisten« überlassen. Der Unternehmer erlebte durch die neue Funktionsverteilung auch eine zeitliche Entlastung, denn nun trat er Routineaufgaben an |25|seine Mitarbeiter ab und konnte sich umfassender als bisher den Kundenkontakten widmen.

Am Ende der 10 Coachingsitzungen hatte sich die private und berufliche Situation des Unternehmers erheblich konsolidiert: Er konnte wieder besser schlafen und mehr Zeit mit seiner Partnerin verbringen; außerdem hatte er seine Firma wieder »im Griff«, wie er fand.

Im Sinne von Personalentwicklung fand der Coaching-Klient ein neues Verhältnis zu Führungsphänomenen und ein neues Selbstverständnis für seine Rolle als formaler Vorgesetzter. Außerdem gelang es ihm, seine Firma gemäß ihrem organisatorischen Entwicklungsprozess umzustrukturieren und alle Beteiligten besser als bisher entsprechend ihren Möglichkeiten und Vorlieben einzusetzen. Die Aufgabe als Dialogform über Freud und Leid im Beruf erfüllte Coaching hier insofern, als der Klient eine subjektive Verbesserung seiner ursprünglich als bedrängend erlebten Situation erfuhr. Der Mathematiker als designierter Hauptkontrahent befand sich am Ende des Coachings vermutlich ebenfalls in einer besseren Lage als am Anfang.

Die Zielgruppen

Coaching richtet sich an Menschen, die in Betrieben, Verwaltungssystemen oder sozialen Dienstleistungseinrichtungen mit Managementaufgaben betraut sind. Dabei dient Coaching Führungskräften auf allen Hierarchiestufen, also Vorarbeitern ebenso wie Topmanagern.

In der betriebswirtschaftlichen Literatur werden Managementaufgaben von Sachaufgaben differenziert. Bei Sachaufgaben handelt es sich um Aktivitäten, die der üblichen Zielerreichung einer Organisation dienen. In Kliniken zum Beispiel würde man die Aktivitäten von Pflegekräften als Sachaufgaben definieren, Koordinationsaktivitäten von Stationsleiterinnen oder Stationsleitern dagegen als Managementaufgaben. Dabei ist allerdings zu beachten, dass viele Menschen in Führungspositionen durchaus auch Sachaufgaben zu erledigen haben. Das Verhältnis von Sach- zu Managementaufgaben bestimmt sich im Allgemeinen nach der Hierarchiestufe, auf der eine Position angesiedelt ist. Dabei gilt als Faustregel: Je höher der Status einer Managementposition in einer Organisation ist, |26|desto weniger Sachaufgaben sind mit ihr verbunden bzw. desto mehr Managementaufgaben beinhaltet sie (Steinmann & Schreyögg, G. 2005). So hat etwa eine Stationsleiterin neben ihren Steuerungsfunktionen noch vielfältige »Sachaufgaben« an den Patienten zu erledigen, was bei einer Pflegedirektorin kaum mehr vorstellbar ist. Deren Arbeitszeit ist ausschließlich mit Managementaufgaben angefüllt.

Im Allgemeinen werden fünf Managementfunktionen beschrieben: die Planung, die Organisation, die Personalfunktion, die Führung und die Kontrolle (ebd. 2005; Staehle 1989 u. a.).

Bei der Planung handelt es sich um Reflexionen, was erreicht werden soll und wie es am sinnvollsten zu erreichen ist. Hier geht es um die Entwicklung von Zielvorstellungen, um ihre Selektion und die Festlegung von Zielen mit den entsprechenden Handlungsrichtlinien, Verfahrensweisen usw. Planung ist allerdings kein einmaliger Akt, sondern eine Aufgabe, die laufend zu leisten ist.

Während Planung in gedanklicher Arbeit besteht, wird mit der »Organisation« bzw. mit dem »Organisieren« die Umsetzung von Zielen angestrebt. Hierbei gilt es, eine angemessen arbeitsteilige und eventuell noch hierarchische Struktur zu entwickeln, die im Allgemeinen als »organisiertes System« bezeichnet wird. Sie ist idealerweise so gestaltet, dass sie die Planung zu realisieren vermag.

Die Personalfunktionen von Managern dienen dazu, die organisatorische Struktur, die ja immer aus realen Menschen besteht, angemessen auszugestalten. In diesen Bereich gehören Aktivitäten, die Führungskräfte ergreifen müssen, um einen qualifizierten und engagierten Personalbestand zu sichern, das heißt hierher gehört die Gewinnung, der Aufbau und die Erhaltung des Personals.

Dieses »Personal« müssen Manager nun führen. Unter »Führung«versteht man angemessene Formen der Beeinflussung (Irle 1980), damit die unterstellten Mitarbeiter im Sinne des Organisationsziels handeln. Beim »Führen und führen lassen« (Neuberger 2002) handelt es sich um komplexe Interaktionsprozesse, die durch zahlreiche Variablen bestimmt sind.

Inwieweit durch Planung, Organisieren, Personaleinsatz und Führung die Organisationsziele wirklich erreicht wurden, oder ob vielleicht neue |27|Planungen entwickelt werden sollten, anders geführt werden muss usw., ist vom Manager zu kontrollieren. Bei der Kontrolle geht es also um einen Vergleich von Ist- und Soll-Daten.

Nun wurde allerdings schon früh nachgewiesen (Carlson 1951), dass der Arbeitsalltag von Managern nicht so klar geplant ist, wie es sich frühe Managementtheoretiker noch gedacht hatten. Ihr Alltag ist sogar ausgesprochen zerstückelt in viele kleine Kommunikationsakte und Handlungsmuster. 1975 legte Mintzberg erstmalig eine Studie vor, in der er anhand von Tagebüchern, die Manager selbst geschrieben hatten, und anhand von Aufzeichnungen teilnehmender Beobachter zeigen konnte, dass Manageraktivitäten sich wahrscheinlich besser durch »Managementrollen«fassen lassen. Dabei unterscheidet er drei Rollenbündel mit ihren jeweiligen Rollen:

Interpersonale Rollen: Repräsentant, Vorgesetzter, Vernetzer.

Informationale Rollen: Radarschirm, Sender, Sprecher.

Entscheidungsrollen: Innovator, Störungsregler, Ressourcenzuteiler, Verhandler.

Zur Realisierung dieser Managementfunktionen und -rollen benötigen Führungskräfte spezifische Kompetenzen. Als »Schlüsselkompetenzen des Managements« (Katz 1974) bestehen sie zum einen in technischen Qualifikationen, das heißt in faktischem Wissen und in faktischen Fertigkeiten, wie zum Beispiel eine Personalbedarfsplanung zu erstellen ist. Sie bestehen zum anderen in konzeptionellen Kompetenzen, die es der Führungskraft erlauben, in größeren Zusammenhängen zu denken, einzelne Phänomene und einzelne Entscheidungen auf der Folie eines organisatorischen Gesamtsystems und seiner relevanten Umwelt zu begreifen. Und jeder Mensch mit Steuerungsfunktionen benötigt soziale Kompetenzen, damit er mit anderen effektiv und konstruktiv zusammenarbeiten kann.

Die beschriebenen Funktionen, Rollen und Kompetenzen gelten in der Literatur als feldübergreifend, das heißt sie sind für Führungskräfte in Unternehmen, in Verwaltungssystemen und in sozialen Dienstleistungseinrichtungen relevant.

|28|Die Themen

Thematisch ist Coaching auf sämtliche Steuerungsfunktionen von Führungskräften und die entsprechenden Kompetenzen gerichtet. Es unterstützt also bei der Planung, bei der Entwicklung angemessener Organisationsstrukturen. Schwerpunkte bilden allerdings im Coaching meistens die Personal- und die Führungsfunktionen sowie die dafür besonders relevanten Rollen und sozialen Kompetenzen. Die von den Klienten faktisch vorgetragenen Anliegen bewegen sich auf allen Ebenen sozialwissenschaftlicher Paradigmatik; sie zentrieren sich also teils auf individuelle Themen, teils auf Themen mit interaktivem Gehalt und oft auch auf Fragestellungen, die ein gesamtes System und seine relevante Umwelt betreffen.

Je nach dem Milieu, aus dem sich die Coaching-Klienten rekrutieren, lassen sich unterschiedliche thematische Akzente feststellen. Führungskräfte aus Betrieben, in denen technische oder betriebswirtschaftliche Grundberufe dominieren, thematisieren oft Fragestellungen mit einem individuellen oder interaktiven Gehalt. Bei Sozialmanagerinnen und Sozialmanagern, also bei Personen, die soziale Dienstleistungssysteme leiten, stehen im Coaching vielfach Themen im Vordergrund, die den organisatorischen Kontext und dessen Umfeld betreffen. Im Prinzip lässt sich postulieren, dass eine jeweilige Gruppierung genau das zu verhandeln sucht, was in ihrem Grundberuf zunächst nicht thematisiert wurde.

Die Ziele

Das basale Ziel von Coaching besteht in der Förderung beruflicher Selbstgestaltungspotenziale, also des Selbstmanagements von Führungskräften. In diesem Punkt ähnelt das Management-Coaching dem im Sport. Hier wie dort spielen Höchstleistungen eine Rolle, auf die der Coach seine Klienten vorbereiten soll. Wie im Sport erstrebt das Coaching von Managern immer eine erhöhte Effizienz, nämlich alle ihre Aufgaben möglichst zielgerecht und mit möglichst sparsamem Ressourcenaufwand wahrzunehmen. Dabei beabsichtigt Coaching eine Förderung aller Managementkompetenzen.

Außerdem zielt Coaching auf Humanisierungen. Führungskräfte sollen |29|unterstützt werden, die von ihnen geleitete Organisation oder Abteilung möglichst menschengerecht auszugestalten. Auf diesem Weg leistet Coaching im Idealfall einen Beitrag zur konstruktiven Weiterentwicklung von Organisationen.

Der Unterschied zwischen Coaching und Supervision

Mit den Intentionen von Humanisierung weist Coaching Nähe zur Supervision auf. Im Hinblick auf seine Thematik, nämlich die Auseinandersetzung mit Managementfunktionen, -rollen und -kompetenzen, und damit auch im Hinblick auf seine Zielgruppe, nämlich Führungskräfte, stellt Coaching allerdings eine anders geartete Beratungsform dar.

Coaching und Supervision entstammen unterschiedlichen Traditionen. Das färbt ihre konzeptionellen Orientierungen ein. Supervision entstand in Bereichen der Sozialarbeit und der Psychotherapie (Belardi 1992), Coaching dagegen resultierte aus betrieblichen Personalentwicklungsmaßnahmen. Dementsprechend werden in beiden Beratungsformen unterschiedliche, zumeist allerdings eher verdeckte ideologische Positionen transportiert. Supervision ist bis heute primär als Maßnahme der »Personenentwicklung« (Neuberger 1994) definiert. Menschen erhalten hier Gelegenheit, anhand beruflicher Themen ihre persönlichen Ressourcen zu erweitern oder personale Verengungen, die sie an ihrer Entfaltung behindern, aufzuarbeiten. Supervision zielt jedenfalls schwerpunktmäßig auf die personale Entwicklung von Menschen. Da Supervision primär in sozialen Dienstleistungssystemen entwickelt wurde, wo es immer um eine möglichst qualifizierte Interaktion mit Klienten geht, sind solche Intentionen verständlich.

Coaching dagegen, das ursprünglich in Betrieben und Verwaltungssystemen entstand, beabsichtigt im Gegensatz zur Supervision die einzelne Führungskraft als relevantes Mitglied des »Personals« zu fördern. Unter »Personal« ist die Gesamtheit der Funktionsträger einer Organisation zu verstehen (Neuberger 1994). Damit betont Coaching die Eingebundenheit des Einzelnen in den organisatorischen Kontext und seine dafür notwendige Funktionsfähigkeit. Einschränkend sei aber bemerkt, dass dieses »Personal« als »human capital« einer Organisation im Gegensatz zu sächlichen Kapitalsorten wie Maschinen oder Immobilien nicht beliebig veränderbar |30|ist. Menschen haben »Eigensinn und Eigenwert«. Deshalb können sie sich dem kontrollierenden Zugriff bzw. dem »Sozialkannibalismus« (a.O., 11) organisatorischer Systeme jederzeit entziehen.

Aus diesem Grund müssen auch Maßnahmen der Personalentwicklung wie etwa das Coaching immer dialektisch orientiert sein: Einerseits wissen wir spätestens seit Weber (1921), dass der Einzelne in formalen Systemen immer ersetzbar bzw. austauschbar ist. Diese Personenunabhängigkeit garantiert einer Organisation im Gegensatz zu traditionellen oder charismatischen Konstellationen (Steyrer 1995) eine gewisse Stabilität gegenüber Krisen. Durch den formalen Charakter dieses Systemtyps erscheint dann jedes Mitglied als entpersönlichter Funktionsträger, der durch Personalarbeit wie etwa durch Coaching entsprechend fit gemacht werden muss. Auf der anderen Seite wissen wir aber seit Crozier & Friedberg (1993), dass sich Menschen niemals nahtlos von Organisationen vereinnahmen lassen, dass sie vielmehr ein hohes Maß an Kreativität mobilisieren, um ihre Integrität als einmalige Menschen zu wahren. Um dieses typisch menschliche Potenzial nicht in organisatorischen Widerständen zu verschleißen, sondern es lebendig zu halten und sogar konstruktiv zu nutzen, muss jede Personalarbeit neben dem Funktionsträger auch den Menschen im Berufstätigen ansprechen.

Aus diesen antagonistischen Positionen folgt, dass jede Personalentwicklung, die einseitig pragmatisch nur den Berufstätigen als Funktionsträger anspricht, zum Scheitern verurteilt ist. Ihre Berechtigung, aber auch ihre erwünschten Effekte ergeben sich erst dann, wenn dem je einmaligen Menschen ebenfalls Rechnung getragen wird.

Trotz dieser einschränkenden Bemerkungen sei betont, dass Supervision Entwicklungen des Menschen und Coaching die des Funktionsträgers akzentuieren. Das schlägt sich auch in der konzeptionellen Fundierung beider Beratungsformen nieder. Supervision basiert zu großen Teilen auf psychotherapeutischen Modellen, während im Coaching eher Managementkonzepte und organisationstheoretische Ansätze eine Rolle spielen. Aufgrund ihrer unterschiedlichen konzeptionellen und damit fast automatisch verbundenen ideologischen Orientierungen verfolgen sie auch unterschiedliche Veränderungsstrategien. Supervision strebt durch ihre »Personenorientierung« meistens »Veränderungen von unten« an. Wenn in organisatorischen Systemen »Teamsupervision« stattfindet, erhofft man sich zumindest implizit positive Impulse von untersten hierarchischen Ebenen. |31|Coaching als Beratungsform für Führungskräfte strebt aber »Veränderungen von oben« an. Durch das Fit-Machen von Menschen mit Steuerungsfunktionen werden nämlich organisatorische Entwicklungen angestrebt, die von machtvollen Instanzen angestoßen und dann auch mit getragen werden (Schreyögg 2003).

1.2 Die Rolle des Coaches und Settings im Coaching

Bei den Rollen des Coaches und bei den Settings finden wir heute eine gewisse Variationsbreite.

Die Rolle des Coaches

Als Coaches kommen entweder freiberufliche Berater oder Mitarbeiter aus Personal- bzw. Personalentwicklungsabteilungen in Frage, die sich auf Coaching spezialisiert haben. Die im deutschsprachigen Raum ursprünglich propagierte Rolle des freiberuflichen Coaches wird bis heute von hochrangigen Führungskräften bevorzugt, denn sie legen meistens gesteigerten Wert auf maximale Intimität in der Beratung. Bei der Inanspruchnahme von organisationsinternen Coaches käme es in solchen Dyaden auch zu Rolleninterferenzen. Hausinterne Personalentwickler nehmen ja niemals eine vergleichbar hohe Position in Unternehmen ein. Diese Coaches erfreuen sich aber einer wachsenden Beliebtheit bei Managern auf mittleren und unteren Führungsebenen, sodass sie in Industriebetrieben vielfach Meister bei der Etablierung neuer Organisations- und Führungskonzepte oder Manager auf mittleren hierarchischen Ebenen bei der Übernahme neuer Funktionen unterstützen.

Einen Vorteil des organisationsinternen Coachings stellt sicher die zumeist hohe Feldkompetenz der Berater dar. Sie sind nicht nur mit den jeweiligen Formalien eines Systems, wie etwa den Strukturen oder den Funktionen, vertraut, sie sind auch »Kulturkenner«, denn sie durchschauen das Symbolsystem einer Organisation sowie ihre Normen und Standards mit den entsprechenden Basisannahmen (Schein 2010). Ein Nachteil dieser Gruppierung besteht allerdings häufig in der automatisch |32|erworbenen »Betriebsblindheit«. Das heißt, manche organisatorischen Phänomene können sie gar nicht mehr aus exzentrischer Position erfassen und damit kritisch reflektieren. Durch kritische Analysen geraten organisationsinterne Berater ohnedies leicht in Loyalitätskonflikte gegenüber ihrem Arbeitgebersystem, sodass in diesem Punkt eine gewisse Zurückhaltung zu empfehlen ist.

Bei der Etablierung und Fortentwicklung von organisationsinternen Coachingabteilungen müssen vor allem Imagekomponenten sorgsam bedacht werden. Im ungünstigsten Fall werden die Coaches als »Nachhilfelehrer« für diejenigen begriffen, »die noch nicht kapiert haben, wie man’s macht«. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, Coaching in der Einführungsphase als Angebot für regelmäßig auftretende organisatorische Geschehnisse anzubieten, wie etwa die Einführung von Newcomern. Erst im weiteren Verlauf sollte es als Unterstützung bei Krisen und Konflikten offeriert werden. So ist es auch wenig empfehlenswert, Coaching erstmalig bei Restrukturierungen eines Systems anzubieten. Der in solchen Situationen regelmäßig auftretende Veränderungswiderstand (»resistance to change«), der für die Organisationsmitglieder mit vielfältigen Krisen- und Konflikterfahrungen einher geht, befördert eher aversive Assoziationen im Hinblick aufs Coaching.

Die Settings

In den letzten Jahren lässt sich eine zunehmende Variationsbreite bei den Settings von Coaching beobachten. Während in früheren Jahren das Einzelcoaching dominierte (Looss 1993), finden derzeit viele Coachingaktivitäten im Gruppensetting statt. Bei diesem werden meistens hierarchie- und funktionsgleiche Führungskräfte von 5 bis 7 Personen zusammengefasst (Fabian 2000 u. a.).

Die neueste Variante ist sicher das Teamcoaching, bei dem ein ganzer Führungskader Coaching erhält (Weland & Lange 1996). Dieses Setting beobachten wir nicht nur in Betrieben, sondern zunehmend auch in Kliniken mit Pflegedirektoren und Pflegedienstleitern oder mit Pflegedienst- und Stationsleitungen. Hier wie in anderen Milieus erhält es oft einen zentralen Stellenwert bei der Neugestaltung von Organisationen. Bei hochrangigen Führungsteams hat es anfangs oft die Funktion von Strategieberatung, |33|bei nachfolgenden gezielten Wandlungsprozessen wird es zur Begleitung des Veränderungsmanagements. Solche Funktionen hat es zum Beispiel beim Fusionsmanagement (Fuchs 2001).

1.3 Anforderungen an den Coach und sein Konzept

An Coaches werden im Allgemeinen hohe Anforderungen gestellt (Rauen 2008). Sie lassen sich nach personenspezifischen und fachlichen Qualifikationen unterscheiden.

Ein Coach sollte über breite Lebens- und Berufserfahrungen verfügen sowie über eine ansprechende persönliche Ausstrahlung. Und er sollte einen angemessenen Interaktionsstil praktizieren. Im Hinblick auf sein Geschlecht lässt sich postulieren, dass beispielsweise weibliche Führungskräfte in männlichen Milieus gerne einen weiblichen Solidarpartner als Coach bemühen, dass sie aber umgekehrt in solchen Situationen vielfach auch einen männlichen Coach bevorzugen. Von ihm erwarten sie eher, mit ihrer Rolle als weibliche Führungskraft unter Männern angemessen konfrontiert zu werden. Daran wird schon deutlich, dass menschliche Merkmale eines Coach subjektiv sehr unterschiedlich zu bewerten sind.

Über die fachlichen Qualifikationen lässt sich dagegen leichter Konsens herstellen: Da die Fragestellungen von Führungskräften oft eine hohe Komplexität aufweisen, sollte der Coach über intellektuelle Flexibilität und über ein breites sozialwissenschaftliches Wissen verfügen. Außerdem braucht er ideologische Offenheit und eine dem Klienten entsprechende Feldkompetenz.

Es ist allerdings nicht unbedingt notwendig, oft auch gar nicht möglich, dass Berater über Intimkenntnisse von der jeweiligen Arbeitssituation ihrer Klienten verfügen; sie sollten sich aber im Verlauf der gemeinsamen Arbeit zumindest einen vertieften Eindruck von deren Arbeitsfeld erwerben. Eine grundlegende Anforderung wäre allerdings, dass sich der Coach für die Arbeitssituation seines Klienten interessiert. Dieses Interesse kann übrigens in Fällen, in denen der Coach maximal feldkompetent ist, also vielleicht schon in ähnlichen Funktionen in vergleichbaren Systemen tätig war, gering entwickelt sein. Vielleicht fühlt sich der Berater dann sogar |34|schon verschlissen von diesem Milieu, das ihm nun in Person des Coaching-Klienten erneut begegnet.

Von zentraler Bedeutung ist das Konzept des Coaches. Wenn Coaching nicht im aktuellen Dunst von modischen Worthülsen versacken soll, bedarf es fachlich kompetenter Berater, die ihre Arbeit auf ein ausformuliertes Coachingkonzept gründen. Dieses dient ihnen dann als »mind map« für alle diagnostischen und methodischen Fragen (Schreyögg 1995).

Bei der Kreation eines solchen Konzeptes ist zu berücksichtigen, dass die Fragestellungen von Führungskräften in diagnostischer und methodischer Hinsicht fast unübersehbar vielgestaltig sind und dass ein Coachingkonzept deshalb eine große Theorie- wie Methodenbreite aufweisen muss. Für die spezifische Konzeptentwicklung lässt sich Anleihe nehmen bei Anwendungsmodellen, die für andere Bereiche angewandter Sozialwissenschaft mit ähnlich breiter Thematik kreiert wurden. Wir finden sie in der Psychotherapie (Hagehülsmann 1984; Petzold 1993 u. a.), in der Pädagogik (Herzog 1984) und in der Supervision (Schreyögg 2010).

Als basale Prämisse entsprechender Modellkonstruktionen gilt, dass Anwendungsfälle als Gesamt eine unendliche Vielfalt aufweisen, die nur mit theorie- und methodenpluralen Modellkonstruktionen abzudecken ist. Psychotherapie, Pädagogik oder Beratung, die sich dann aber wahllos jeder verfügbaren Theorie und jeder verfügbaren Methode bedienen, münden leicht in unreflektierten Eklektizismus. Es entstehen kontraproduktive Effekte, und bei den Klienten wird Konfusion erzeugt. Zur Vermeidung solcher Phänomene empfehlen einschlägige Autoren die Kreation von Handlungsmodellen, bei denen Theorien und Methoden auf begründete Weise in eine so genannte Wissensstruktur integriert werden.

Die Basis einer solchen Wissensstruktur bildet regelmäßig ein Metamodell, das erkenntnistheoretische und anthropologische Prämissen enthält. Es dient als Maßstab für alle diagnostischen und methodischen Elemente des Ansatzes. Das bedeutet dann, dass die jeweils verwendeten Theorien zur Strukturierung von Praxisereignissen und die Methoden zu ihrer Bearbeitung nicht nach rein pragmatischen Gesichtspunkten ausgewählt werden, sondern jeweils auch an die Prämissen des Metamodells anschließen müssen. In diesem Sinne schlage ich auch fürs Coaching eine Modellkonstruktion vor, die bei erkenntnistheoretischen und anthropologischen Setzungen ihren Ausgang nimmt. Wie sich der vorliegenden Literatur entnehmen lässt, bieten phänomenologische Ansätze derzeit die umfassendsten |35|Prämissen, die den Menschen am ehesten gerecht werden können. So gründet sich auch das hier unterlegte Beratungskonzept, das ich an anderer Stelle ausführlich dargestellt habe (Schreyögg 2009, 2010), auf entsprechende Positionen.

Eine dem Metamodell nachgeordnete Ebene sind Theorien, die fürs Coaching besonders bedeutsame diagnostische Positionen zu markieren vermögen. Das sind neben interaktionistischen Konzepten vor allem solche aus der Managementlehre, aus der Organisationstheorie – und für unseren Zusammenhang solche aus der Konfliktforschung. Hier sind allerdings jeweils die Ansätze zu präferieren, die den Prämissen des Metamodells möglichst nahtlos entsprechen.

Die dritte Ebene eines ausformulierten Coachingkonzeptes besteht in grundlegenden methodischen Anweisungen. Sie beinhalten Aussagen, welche Ziele mit dem Modell verfolgt, welche spezifischen Wirkungen ihm zugeschrieben und wie Praxisereignisse rekonstruiert werden. Darüber hinaus sind Anweisungen enthalten, welchen Interaktionsstil der Coach praktizieren sollte, und schließlich, wie unterschiedliche Settings in welcher Weise vom Coach zu handhaben sind. Auch diese Ebene des Coachingkonzeptes muss zu den Prämissen des Metamodells in Beziehung stehen bzw. an ihnen orientiert sein.

Die basalste Ebene des Konzeptes stellt die Praxeologie dar, die aber auch wieder Bezüge zum Metamodell aufweisen muss. Wie bei allen Beratungsformen gründet sich auch die Coachingpraxeologie auf Formen professioneller Gesprächsführung. Wenn es allerdings um Fragestellungen mit prärationalen Inhalten geht, empfiehlt sich eine Integration erlebnisorientierter, psychotherapienaher Methodik. Und in Fällen, die ein vorbereitendes Üben erfordern, lässt sich auf handlungsorientierte Arbeitsformen zurückgreifen. In vielen anderen Coachingsituationen ist es unumgänglich, zur Veranschaulichung von komplexen Ist-Situationen oder von komplexen Prozessen mit Medien zu arbeiten. Dann werden entsprechende Phänomene gemalt oder etwa durch bunte Magnetplättchen veranschaulicht.

|36|1.4 Anlässe von Coaching

Wer nimmt nun wann Coaching in Anspruch? In den letzten Jahren lässt sich eine zunehmende Breite von Anlässen wie etwa die Karriere- oder Rollenberatung (vgl. Schreyögg 2003; Klein 2000 u. a.) beobachten. Häufiger wird aber Coaching in beruflichen Krisen angefragt. Hier ist eine große Palette zu nennen. Ein typischer Anlass für Coaching ist der Eintritt in eine neue Organisation oder auch die erstmalige Übernahme einer Führungsposition. Bei diesen regelmäßig als krisenhaft erlebten Schritten (Nelson et al. 1991) kann Coaching Unterstützung bieten, die anfänglich bestehende Isolation zu überwinden, neue Beziehungen anzubahnen oder die spezifischen kulturellen Muster des noch fremden Systems besser zu erfassen. Fast ebenso häufig werden »schleichende Krisen« (Ulich 1987) wie Jobstress, Burnout oder berufliche Deformationen thematisiert. Sie entwickeln sich zwar langfristig, werden aber von Einzelnen meistens erst dann als Krise wahrgenommen, wenn noch ein zusätzliches, aktuelles krisenhaftes Ereignis das Fass zum Überlaufen bringt (Fengler 2008).

Neben individuellen Krisen werden allerdings auch kollektive thematisiert. Sie können durch Fusionen, durch Marktveränderungen, durch Modifikationen von Finanzierungsstrategien seitens der Finanzgeber oder Leistungsträger oder sogar durch politische Entwicklungen wie den Transformationsprozess Ost-West verursacht sein. Durch kollektive Krisen sind dann ganze Abteilungen, ganze Firmen oder ganze Verwaltungssysteme krisenhaft in Mitleidenschaft gezogen. Die Organisationsmitglieder (und natürlich auch die Führungskräfte) erleben im Verlauf dieser Krisen manifeste soziale Konflikte. Und soziale Konflikte in allen ihren Variationen stellen sicher den häufigsten Anlass dar, Coaching in Anspruch zu nehmen. Je nach ihrer Funktion, ihrer Schwere, ihrer sozialen Reichweite oder der Dauer ihres Bestehens erleben sie die Betreffenden vielfach als gravierende Belastung, die selbst in das private Umfeld hinein ragen kann. Im Coaching werden Konflikte meistens mit erheblicher emotionaler Erregung berichtet, denn für Führungskräfte haben sie immer gravierende Bedeutung.

In solchen Situationen wünschen sich Führungskräfte allerdings vielfach, dass der Coach oder ein anderer Berater im Stile eines »deus ex machina« den Konflikt regeln soll. Das hat aber einen gravierenden Nachteil: Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Führungskraft in den Augen ihrer Mitarbeiter als zu schwach oder zu hilflos erscheint, um einen Konflikt |37|selbst in den Griff zu bekommen. Deshalb ist Coaching, das Führungskräfte auf eine eigene Konfliktbewältigung vorbereitet, vorzuziehen. Selbstverständlich treten aber auch Fälle auf, in denen Führungskräfte trotzdem gut beraten sind, wenn sie einen externen Berater engagieren:

Das sind zum einen Situationen, wo die Führungskraft selbst hochgradig in einen Konflikt verstrickt ist und befürchten muss, dass sie durch Versuche, diesen zu bewältigen, immer tiefer in seine Dynamik hinein gerät.

Das sind zum anderen Ereignisse, wo die Führungskraft den Eindruck hat, dass Konflikte zwischen Mitarbeitern in ihre Privatsphäre hinein ragen; denn private Belange sollte eine Führungskraft prinzipiell nicht thematisieren, obgleich sie für die Gestaltung der weiteren Zusammenarbeit von erheblicher Bedeutung sein können, wie etwa gegenseitige Kränkungen.

Ein weiterer Grund, einen externen Berater zu engagieren, wäre eine organisatorische Situation, in der sich eine Front zwischen zwei Gruppierungen so festgefahren hat, dass sie trotz aller Bemühungen der Führungskraft um Lockerung den internen Dialog lahm legt.

Im Prinzip handelt es sich aber bei Konflikten um allgegenwärtige Phänomene, die in jeder »gesunden« Organisation eine Rolle spielen, und wie wir im Weiteren noch sehen werden, sogar spielen sollten.

Coaching bietet nun Unterstützung, (1) wie unproduktiven Konflikten, also solchen, die nur aufhalten oder Ärger machen, vorzubeugen ist, wie also eine sinnvolle Konfliktprophylaxe zu bewerkstelligen ist. (2) Coaching unterstützt natürlich auch bei der Bewältigung von Konflikten. Denn in jeder Organisation können Konflikte auftreten, die für die Funktionsfähigkeit eines Systems schädlich sind und deshalb beseitigt oder gemildert werden müssen. (3) Und schließlich unterstützt Coaching auch bei gegenläufigen Intentionen, nämlich bei der Stimulierung von Konflikten (De Dreu & Van de Vliert 1997). Das ist notwendig in Fällen, wo Führungskräfte ein System aus einem erstarrten Status quo »aufwecken« oder ganz generell für Innovationen gewinnen wollen.

Alle diese Intentionen sind für die jeweilige Führungskraft mit einem erheblichen psychischen Aufwand verbunden, den sie durch Coaching verringern |38|will. Darüber hinaus möchte sie Unterstützung für die professionelle, also funktions- und positionsgerechte Handhabung konfliktärer Konstellationen. Das aber setzt aufseiten des Coaches ein solides Fundament voraus, wie Konflikte zu diagnostizieren und zu handhaben sind.

|39|2. Konflikte in Organisationen

Konflikte sind allgegenwärtige Phänomene. Sie werden zu unterschiedlichen Fragestellungen in unterschiedlichen Disziplinen thematisiert, etwa in der politischen Philosophie, der Soziologie, der Psychologie, der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Entsprechend den vielfältigen Phänomenbereichen, in denen Konflikte auftreten, existiert keine in sich geschlossene Konflikttheorie, sondern wir finden vielfältige, ganz unterschiedliche Begrifflichkeiten und Gegenstandsbeschreibungen (vgl. Bonacker 1996). In unserem Zusammenhang geht es ausschließlich um »soziale Konflikte«, genauer gesagt, es geht an dieser Stelle um »Konflikte in Organisationen«. Denn Coaching als Beratungsform für Führungskräfte ist regelmäßig mit sozialen Erscheinungen in formalen Systemen, also in Organisationen, befasst. Der organisatorische Kontext bildet dabei immer eine relevante Folie für die Fragestellungen der Coaching-Klienten. In einem ersten Schritt befassen wir uns mit konzeptionellen Positionen, Begriffen und Manifestationen von Konflikten in Organisationen, sodann setzen wir uns mit ihren Ursachen auseinander. Daran anschließend wenden wir uns den Besonderheiten von Konfliktdiagnosen zu.

2.1 Konzeptionelle Positionen, Definitionen, Manifestationen

Für einen Coaching-Klienten kann es nicht gleichgültig sein, welches Verständnis von Konflikten sein Coach transportiert, ob er eher ängstlich auf möglichst schnelle Beseitigung hinarbeitet, ob er in erster Linie auf Konfliktprophylaxe ausgerichtet ist, oder ob er hier und da sogar empfiehlt, »ein Feuerchen zu legen, damit sich die Mannschaft etwas mehr bewegt«. |40|Außerdem ist es sinnvoll, dass ein Coach unterschiedliche Manifestationen von Konflikten kennt und differenzieren kann. So versuche ich an dieser Stelle zunächst einen grundlegenden Rahmen für die Auseinandersetzung mit Konflikten in Organisationen abzustecken.

Konzeptionelle Positionen

Zum Verständnis von Konflikten begegnen uns in der Literatur drei grundlegende konzeptionelle Positionen: Ein Teil von Autoren betrachtet sie eher neutral als selbstverständlichen Bestandteil jeder sozialen Situation, ein anderer Teil bemüht sich, ihre zerstörerischen Potenziale möglichst kunstvoll zu bändigen, und ein dritter, allerdings ziemlich kleiner Teil von Autoren begreift Konflikte sogar als positiven Motor für Neuentwicklungen. Alle drei Positionen haben ihre Berechtigung, denn je nach der spezifischen sozialen Situation kommt ihnen eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung der jeweils »richtigen« Handlungsstrategie zu.

Frühe Soziologen, die sich zu sozialen Konflikten äußerten, wie Weber (1921) oder Simmel (1908), betrachteten sie als selbstverständlichen Bestandteil einer jeden Gesellschaft. Die Soziologen Coser (1956) und etwas später Dahrendorf (1961) postulierten sogar, dass es ohne Konflikte keinen sozialen Wandel gäbe. Solche Sichtweisen wurden im Verlauf der 70er und 80er Jahre kaum mehr propagiert. Hier standen Autoren im Vordergrund, die Konflikte eher als Bedrohung antizipierten (z.B. Krüger 1972; Rüttinger 1977; Gebert & v. Rosenstiel 1981 u. a.). Erst im Verlauf der 90er Jahre meldeten sich Autoren zu Wort, die nun sogar »Konfliktstimulation« unter dem Titel »Using Conflict in Organization« propagierten und die die Förderung von Konflikten geradezu als Programm betrachteten (vgl. De Dreu & Van de Vliert 1997). Ein ähnlicher Zugang zum konstruktiven Umgang mit Konflikten begegnet uns in der modernen Change-Literatur. Im Zuge bewusst gestalteter Wandlungsprozesse in Organisationen werden konfliktäre Aktionen der Mitarbeiter genutzt und in die Handlungsstrategien der Change Agents integriert (Roth 2000).

Im Hinblick auf Konflikte in Organisationen ist allerdings zunächst zu bedenken, dass durch die Formalisierung eines sozialen Systems, das ja erst dadurch zur »Organisation« mutiert, »Konflikte aus der Erwartungsstruktur verbannt werden« sollen (Luhmann 1964). Da aber in jedem Sozialsystem |41|auch potenziell unvorhergesehene Konflikte auftreten, lassen sich durch Formalisierung niemals alle beseitigen. Die »formale Organisation bestimmt« aber »die Topographie der Landschaft«, in der sich die konfliktären »Manöver bewegen« (a. a. O., 245). Wie auch Crozier & Friedberg (1979) anhand einer Reihe von »Machtspielen« zeigen, bildet die formale Organisation immer den entscheidenden Rahmen für innerorganisatorische Konflikte. Die einzelnen Personen mit ihren Beziehungen fügen sich auf ihre je spezifische Weise in diesen Rahmen ein. Gleichzeitig ist aber zu bedenken, dass »die Basis für alle organisatorischen Konflikte letztlich der Erhalt der Mitgliedschaft und die Anerkennung der formalen Ordnung ist« (Luhmann 1964, 245).

Definitionen

Da es sich bei sozialen Konflikten um sehr vielgestaltige Phänomene handelt, begegnen uns bei den Definitionen zum Teil ausgesprochen »barocke« Varianten. Nach eingehender Beschäftigung mit Begriffsbestimmungen zahlreicher Autoren gelangt Friedrich Glasl (2009, 14), der »Altmeister des Konfliktmanagements« im deutschsprachigen Raum, zu folgender Definition:

»Sozialer Konflikt ist eine Interaktion

zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen),

wobei wenigstens ein Aktor

Unvereinbarkeiten im Denken/Vorstellen/Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen

mit dem anderen Aktor (anderen Aktoren) in der Art erlebt,

dass im Realisieren eine Beeinträchtigung

durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolge.«

Manche Autoren akzentuieren stärker das subjektive Erleben der Akteure. So spricht Rüttinger (1977) von einem subjektiven Spannungszustand |42|der konfligierenden Interaktionspartner. Und dass ein Konflikt erst dann zur psychologischen Wirklichkeit wird, wenn sich wenigstens eine der Parteien der Tatsache bewusst ist, dass sie von der anderen frustriert wird.

Autoren, die im Bereich der Arbeits- und Organisationspsychologie wie etwa Berkel (2008) angesiedelt sind, ergänzen vergleichbare Definitionen durch organisationstypische Aspekte:

Ein Konflikt geschieht immer zwischen zwei oder mehr Personen, die sich gegenseitig beeinflussen können; Konflikte weisen also immer eine wechselseitige Einflussnahme auf.

Ein Konflikt beginnt schon, wenn Parteien die Absicht hegen, jemand anderen zu beeinträchtigen. Ein Konflikt beginnt auch schon, wenn sich eine Partei durch das Verhalten einer anderen beeinträchtigt fühlt. Solche Konflikte stellen zumindest ein latentes Konfliktpotenzial dar. Führungskräfte müssen lernen, latente Konfliktpotenziale wie etwa Neid, Rivalität, Missgunst bei ihren Mitarbeitern zu antizipieren und einzukalkulieren. Jede Führungskraft muss auch lernen, ihren eigenen Beitrag zum Konflikt zu verstehen, und sie muss zu erkennen lernen, welche Konflikte zu bewältigen sind, welche nicht, welche sich vermeiden lassen und welche konstruktiv zu wenden sind.

Konflikte haben immer eine Basis. Auslöser und Ursachen für Konflikte sind allerdings oft gänzlich andere, als die Organisationsmitglieder artikulieren oder artikulieren können bzw. wollen.

Äußere Konfliktauslöser verschärfen Konflikte. Auf der anderen Seite lassen sich aber immer wieder Hemmschwellen für die Bereitschaft zur Konfliktaustragung beobachten. Es lassen sich zwei Typen unterscheiden:– innere Hemmschwellen ergeben sich durch freundschaftliche Beziehungen untereinander, Befürchtungen, das Gesicht zu verlieren usw. und – äußere Hemmschwellen bestehen in Gruppennormen, Machtstrukturen und raum-zeitlichen Begrenzungen.

Wenn ein Konflikt offen ausgebrochen ist, kann er auf der Gegenseite unterschiedliche Reaktionen auslösen, das heißt es lässt sich nicht von |43|einem typischen Konfliktverhalten sprechen. Im Prinzip kann fast jedes Verhalten in bestimmten Situationen von der gegnerischen Partei als Konfliktverhalten interpretiert werden.

Jeder Konflikt hat Folgen. Wenn beide Parteien den Konflikt bewältigen, wird sich die Beziehung festigen. Dann finden sie beim nächsten Konflikt schnell eine Lösung. Wenn aber eine der Parteien eine Niederlage erlebt hat, setzt sich der Konflikt zumindest unterschwellig fort.

Manifestationen

Konflikte weisen unterschiedliche Manifestationsformen auf. Viele von ihnen »versickern«, denn je nach der Bedeutung, die einer Kontroverse beigemessen wird, lassen sich die Organisationsmitglieder davon berühren oder eben nicht. Es wird auch nicht jeder Konflikt als solcher thematisiert. Aus Unternehmen oder Verwaltungssystemen wird immer wieder berichtet, dass Konflikte geleugnet, bagatellisiert oder ins betont Sachliche gezogen werden (Bock-Rosenthal 1974). Das ist durchaus kompatibel mit der Bestimmung von Organisationen, denn sie werden ja als rational strukturierte Systeme etabliert. Deshalb besteht bei vielen Organisationsmitgliedern die Illusion, dass emotional geleitete Kontroversen in Organisationen kaum auftreten können oder sich rein rational regeln lassen.

Dem entspricht auch eine geradezu klassische Dichotomisierung in »kognitive« und »affektive« Konfliktformen. Sie wird besonders von Autoren aus dem Managementbereich (z. B. Krüger 1972) und aus der Arbeits- und Organisationspsychologie (z. B. Tjosfold 1997) bemüht. Anhand der Beschäftigung mit Konfliktursachen und besonders anhand der Auseinandersetzung mit konfliktären Prozessen wird sich diese Unterteilung für uns aber als zu vordergründig erweisen. Kognitive Konflikte wandeln sich nämlich unter bestimmten Voraussetzungen schnell in affektive. Das wiederum führt in vielen Fällen zur weiteren Verschärfung eines Konflikts. Angesichts solcher Phänomene erweisen sich Wissensbestände aus der Klinischen Psychologie als äußerst nützlich fürs Coaching; denn durch sie lässt sich die enge Verknüpfung zwischen Rationalität und Emotionalität im Konfliktgeschehen besser verdeutlichen.

|44|Wie Konflikte in Organisationen faktisch in Erscheinung treten, unterteilt Königswieser (1987, 1242) aus ihrer Erfahrung als Unternehmensberaterin in vier Kategorien:

In leistungsorientierten, emotionsarmen Organisationen begegnet uns am häufigsten eine Konfliktumgehung. Man verdrängt, deutet um, harmonisiert und verschiebt negative Gefühle auf die Sachebene. Ihre Spannungen agieren die Organisationsmitglieder dann in der Privatsphäre aus. Gruppen entlasten sich häufig, indem sie Widersprüche auf Außenseiter verlagern bzw. sie personalisieren. Das kann Mobbing-Prozesse zur Folge haben.

Als sozial reduktive Formen der Konfliktaustragung beschreibt Königswieser besonders aggressive Handlungsmuster, die auf die Vernichtung des Gegners abzielen. In Betrieben geht es allerdings in der Regel nicht um physische Schädigungen, sondern um – soziale Schädigungen, zum Beispiel Rufmord oder Entmachtung, – ökonomische Schädigungen, zum Beispiel Entlassung, Verhinderung von Gehaltserhöhungen, – psychische Schädigungen, zum Beispiel permanente Abwertung.

Gelegentlich finden sich auch pro-soziale Formen der Konfliktaustragung, die im Aushandeln bzw. Verhandeln bestehen. Unterschiedliche Interessen bleiben dann ganz oder teilweise erhalten, man billigt sich Andersartigkeit zu und sucht nach Kompromissen. Außerdem werden Formen der Metakommunikation (Watzlawik et al. 1969) gepflegt, das heißt, man setzt sich über unterschiedliche Interessen offen auseinander.

Als vierte Form der Manifestation von Konflikten nennt Königswieser »in Ruhe lassen«, »versickern« oder »verebben« im Sinne indirekter Wirkungen. In Organisationen werden tatsächlich viele Konflikte durch das Alltagsgeschehen absorbiert, wie etwa durch Umstrukturierungen oder durch Neuregelungen, wer mit wem zusammenarbeiten soll. Die Autorin postuliert, dass manche Vorgesetzte über eine erstklassige Intuition verfügen, wie man Konflikten vorbeugen kann oder wie man sie jedenfalls nicht »aufkochen« lässt. Manche andere fördern sogar die Konfliktbereitschaft auf dem Hintergrund einer reflektierten Führungshaltung (Baron 1997).

|45|Schwarz (1995, 215 ff) systematisiert Manifestationsformen organisatorischer Konflikte nach sechs Kategorien in

Flucht,

Vernichtung des Gegners,

Unterordnung des einen unter den anderen,

Delegation an eine dritte Instanz,

Kompromiss,

Konsens.

Er bezeichnet sie als »Grundmodelle der Konfliktlösung« und postuliert, dass sie sich im Sinne eines phylogenetischen Entwicklungsmodells von primitiven, archaischen Formen bis zu hoch entwickelten, zivilisierten Handlungsmustern entwickeln. Aus der Sicht dieses Autors werden Kontroversen mit jeweils den Mustern ausgetragen, die dem Reifeniveau eines Systems entsprechen:

Als primitivste Form der Konfliktbewältigung bezeichnet der Autor Flucht. In Analogie zum Tierreich fliehen »kleine Tiere« vor den großen, bevor diese einen Angriff starten. Es handelt sich dabei um ein archaisches Handlungsmuster jenseits von Rationalität und Ethik. Es manifestiert sich etwa häufig in der Fahrerflucht, wenn Autofahrer panikartig den Unfallort verlassen. Aus psychoanalytischer Sicht könnte man sagen, dieses Muster entspringt dem ES, ohne die Instanzen des ICH oder des ÜBER-ICH einzuschalten. Wir finden es besonders häufig in autoritären Konstellationen, wo sich Mitarbeiter unterer Ränge aus Angst den aggressiven Zugriffen vorgesetzter Instanzen durch Kontaktvermeidung oder Flucht in die Krankheit zu entziehen suchen.

Bei der Vernichtung eines Gegners handelt es sich bereits um einen gezielteren Akt, der zumindest auf Zukunftsperspektiven beruht. Auf der Basis eines elementaren Kalküls: »wenn ich den Störenfried beseitige, habe ich meine Ruhe«, werden Konfliktpartner in mehr oder weniger |46|