Krieg im Orient - Ulrich Tilgner - E-Book

Krieg im Orient E-Book

Ulrich Tilgner

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Nahe und Mittlere Osten ist seit Jahrzehnten ein Brennpunkt der Weltpolitik. Irak, Iran, Saudi-Arabien, Syrien, Libyen, Afghanistan: Die Länder sind ebenso unterschiedlich wie ihre jeweiligen Problemlagen, aber eines, sagt Ulrich Tilgner, haben die dortigen Krisen gemeinsam: Sie strahlen in den Westen ab. Migration und Terror heißen die Stichworte. Mehr noch: Der Westen trägt durch seine verfehlte Politik eine große Mitschuld an der Entstehung und Verbreitung von Terrororganisationen wie dem «Islamischen Staat» oder den permanenten (Bürger-)Kriegen in der Region. Am schlimmsten jedoch ist, so die These von Ulrich Tilgner, dass das Scheitern der westlichen Politik im Orient nichts anderes bezeichnet als einen Wendepunkt der globalen Entwicklung. Der Rückzug der USA aus der Region bedeutet einen weiteren Abschied von ihrer Rolle als weltweiter Ordnungsmacht – und dass auf Europa neue Probleme und Aufgaben zukommen. Es dürfte wenige Journalisten geben, die ein Gebiet der Welt und seine Veränderungen so fundiert analysieren können wie Ulrich Tilgner, der seit vierzig Jahren die gesamte Region kennt. Sein schonungsloser Bericht ist zugleich eine augenöffnende Analyse eines der gefährlichsten Brandherde der Weltpolitik.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 320

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ulrich Tilgner

Krieg im Orient

Das Scheitern des Westens

 

 

 

Über dieses Buch

Der Nahe und Mittlere Osten ist seit Jahrzehnten ein Brennpunkt der Weltpolitik. Irak, Iran, Saudi-Arabien, Syrien, Libyen, Afghanistan: Die Länder sind ebenso unterschiedlich wie ihre jeweiligen Problemlagen, aber eines, sagt Ulrich Tilgner, haben die dortigen Krisen gemeinsam: Sie strahlen in den Westen ab. Migration und Terror heißen die Stichworte. Mehr noch: Der Westen trägt durch seine verfehlte Politik eine große Mitschuld an der Entstehung und Verbreitung von Terrororganisationen wie dem «Islamischen Staat» oder den permanenten (Bürger-)Kriegen in der Region. Am schlimmsten jedoch ist, so die These von Ulrich Tilgner, dass das Scheitern der westlichen Politik im Orient nichts anderes bezeichnet als einen Wendepunkt der globalen Entwicklung. Der Rückzug der USA aus der Region bedeutet einen weiteren Abschied von ihrer Rolle als weltweite Ordnungsmacht – und dass auf Europa neue Probleme und Aufgaben zukommen.

Es dürfte wenige Journalisten geben, die ein Gebiet der Welt und seine Veränderungen so fundiert durchdringen können wie Ulrich Tilgner, der seit vierzig Jahren die gesamte Region kennt. Sein Bericht ist zugleich eine augenöffnende Analyse eines der gefährlichsten Brandherde der Weltpolitik heute.

Vita

Seit 1980 berichtete Ulrich Tilgner als Korrespondent aus dem Nahen und Mittleren Osten. Von 1986 bis 2001 hatte er sein Büro in Amman in Jordanien, danach leitete er das ZDF-Büro in Teheran und war Sonderkorrespondent des ZDF. Ab April 2008 berichtete Tilgner hauptsächlich für das Schweizer Fernsehen aus der Region. Mehrere Buchveröffentlichungen, darunter «Der inszenierte Krieg. Täuschung und Wahrheit beim Sturz Saddam Husseins» (2004), das zum Bestseller wurde.

Inhaltsübersicht

Motto

Warum ich dieses Buch schreibe

Wo stehen wir heute

Das Scheitern der westlichen Politik im Orient

Afghanistan: Am Hindukusch wird keine Demokratie verteidigt

Irak: Der sinnlose Krieg

Libyen: Das komplette Chaos

Syrien: Der Bürgerkrieg ohne Ende

Jemen: Die vergessene Katastrophe

Der Arabische Frühling

Der Terrorismus und die Mitschuld des Westens

Entstehung des Terrorismus

Al-Kaida und die Schaffung eines Terrornetzwerks

Auf dem Weg zu einem eigenen Staat: Der IS

Die weltweite Verbreitung des Terrors

Iran: Der jahrzehntelange Konflikt mit den USA

Die Rolle der USA seit dem Zweiten Weltkrieg

Das Scheitern der Sanktionspolitik

Kommt Krieg oder kommen neue Verhandlungen?

Saudi-Arabien: Konkurrent auf tönernen Füßen

Der allmähliche Rückzug der USA aus dem Orient

Die Weltmacht am Rande ihrer Möglichkeiten

Der neue Weltölmarkt

Der Wendepunkt globaler Entwicklung

Die USA verlieren ihre Vormachtstellung

Die neue Weltordnung und ihre Zentrifugalkräfte

Die Covid-19-Pandemie und was sie (nicht) verändern wird

Persönliches Nachwort

Literatur

Personen- und Sachregister

Dank

Beendet die Seuche des Krieges und bekämpft die Krankheit, die unsere Welt verwüstet.

 

UN-Generalsekretär António Guterres, 24. März 2020

Warum ich dieses Buch schreibe

In meinen bisherigen Arbeiten zum Thema Orient habe ich mich weitestgehend auf konkrete Beschreibungen und Teilanalysen der Lage in Iran, Irak oder generell im Mittleren Osten beschränkt. In diesem Buch möchte ich versuchen, den Blick über den Orient hinaus zu erweitern, um das Scheitern des Westens dort mit seinen katastrophalen Ergebnissen als grundsätzliches Problem des globalen Gesamtsystems beschreiben zu können. Nicht nur in Afghanistan und Irak wurden Failed States, gescheiterte Staaten, hinterlassen – nicht nur in der dortigen Region wurden Kriege und Bürgerkriege ausgelöst, die weltweite Auswirkungen haben.

Ich verbinde meine Erfahrungen und Erlebnisse im Mittleren Osten mit Problemen in anderen Teilen der Welt, wie zum Beispiel dem Scheitern der «Entwicklungshilfe»,[1] die heute mit dem Begriff «wirtschaftliche Zusammenarbeit» bezeichnet wird, den Defiziten der Globalisierung, den Wanderungsbewegungen von Afrika nach Europa und dem erneuten Aufkommen extremer Nationalismen. Ich verfolge dabei zwei Absichten: Zum einen möchte ich die bloß beschreibende Ebene überwinden, zum anderen das Scheitern des Westens verstehen. Dies geht meiner Meinung nach nur, wenn die Fehlentwicklungen im Orient im weltweiten Zusammenhang gesehen werden.

Weil es Überwindung kostet, die Staaten und Gesellschaften des Westens für die zunehmenden Probleme der Welt verantwortlich zu machen, habe ich mich entschlossen, dieses Buch mit autobiographischen Erfahrungen zu unterfüttern. Wie im gesamten Text wurde dabei das generische Maskulinum verwendet; es sind gegebenenfalls Männer und Frauen gemeint. Im Fortgang möchte ich diese Erfahrungen bewerten, wobei mir bewusst ist, dass es sich um persönliche Wertungen handelt. Gleichzeitig bin ich jedoch überzeugt, dass diese Urteile dabei helfen, die globale Entwicklung besser zu verstehen.

Heute bin ich über siebzig Jahre alt und stelle fest, dass ich mich in meinem Leben immer wieder mit den gleichen Problemen im Mittleren Osten auseinandersetzen musste. Immer neue, modische, nur vermeintlich nützliche Modelle sollten die Wende bringen und die Kritiker verstummen lassen. Dabei waren diese neuen Lösungsansätze oftmals nur der Versuch, das vorherige Scheitern zu verdecken. Das Scheitern erfolgte zwangsläufig, selbst wenn der neue Ansatz mit guten Vorsätzen begonnen wurde. Diese scheinbaren Verbesserungen dienten aber oft nur dazu, das Bisherige in Vergessenheit geraten zu lassen oder zumindest die Spuren des Scheiterns früherer Lösungsansätze zu verwischen.

Nun bin ich es müde, immer wieder auf Theorien und Absichtserklärungen einzugehen, die später durch die Wirklichkeit widerlegt werden, weil sie das zentrale Problem nicht benennen. Kritik am Vorgehen des Westens ist notwendig und überfällig. Sie wird oftmals nicht akzeptiert, um die eigene Verantwortung zu verdrängen oder Kritiker ins Leere laufen zu lassen. Aber standhaft zu argumentieren und in diesem Punkt nicht nachzugeben, fällt mir deswegen relativ leicht, da ich die katastrophale Entwicklung im Mittleren Osten und Nordafrika selbst vor Ort miterlebt und schon seit Jahren Beschreibungen der dortigen Fehlentwicklungen geliefert habe.

Wo stehen wir heute

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde versucht, mit der Entsendung von Experten oder Geldzahlungen Unterentwicklung zu beseitigen. Offiziell wurden derartige Maßnahmen «Entwicklungshilfe» genannt, später wurde dieser Begriff durch «Entwicklungszusammenarbeit», danach durch «Wirtschaftliche Zusammenarbeit» ersetzt. Die unterschiedlichsten Konzepte und Bemühungen, durch staatliche Initiativen Unterentwicklung zu bekämpfen oder wirtschaftliche Probleme zu lösen, sind im Großen und Ganzen gescheitert. Jetzt will die Privatwirtschaft die Probleme angehen, bei deren Überwindung selbst reiche Staaten versagt haben. Zunehmend sollen Stiftungen die weltweite Armut und das globale Elend reduzieren, Superverdiener wollen einen Teil ihrer Einkommen dafür einsetzen, um Ungleichheit zumindest abzuschwächen. Nur wird die Unterentwicklung in Wirklichkeit nicht abgebaut, vielmehr vergrößert sie sich. Unterschiedliche Stiftungen schaffen zwar Arbeitsplätze in den entwickelten Zentren, können aber die Unterentwicklung insgesamt nicht mindern und schon gar nicht beseitigen.[1] Sie werden auch nicht die ungleiche Entwicklung unterschiedlicher Teile des Planeten verhindern können.

Denn ein großer Teil von privatwirtschaftlich bereitgestellten Geldern wird bereits in den Industriestaaten ausgegeben. Zudem handelt es sich vielfach um Propagandaaktionen gegen Forderungen, Gewinne zu versteuern oder die Spitzensteuersätze zu erhöhen. Dabei kann nur abgeschöpfter Reichtum und dessen globale Umverteilung zunehmende Ungleichheit rückgängig machen.

Die Debatte um das Verbot von Rüstungsexporten verdeutlicht, wie Industrieländer versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Eine Behauptung lautet, es sei falsch, ein Verbot der Ausfuhr zu fordern, da kein Zusammenhang zwischen den steigenden Waffenexporten und der Zunahme von Kriegen in den ärmsten Gebieten der Welt bestehe. Oft heißt es in diesem Zusammenhang, Kriege und Konflikte würden weltweit abnehmen. Hierbei wird die vergleichsweise friedliche Entwicklung der Industriestaaten zum Maßstab genommen. Man übersieht dabei aber, dass bewaffnete Konflikte heute meist außerhalb der Grenzen dieser Staaten geführt werden. Gegner des Verbots von Rüstungsexporten begründen ihre Haltung oft mit Argumenten, die jegliche moralische Verantwortung für das eigene Handeln leugnen. So heißt es zum Beispiel, ein Exportverbot der deutschen Regierung könne nicht unterbinden, dass die Waffen stattdessen von anderen Staaten geliefert würden. Zudem seien nicht die waffenliefernden Exportstaaten, sondern die beteiligten Parteien für den Ausbruch von Kämpfen und bewaffneten Konflikten verantwortlich zu machen.

Der jahrzehntelange Aufenthalt in einer anderen Kultur und das Kennenlernen anderer Lebensweisen hat mich in der Ansicht bestärkt, dass Interessen in der Regel auf unterschiedlichen Einstellungen und Bewertungen gründen. Oft trägt auch räumliche Distanz zu einer abweichenden Bewertung bei. So verlieren Tote, die nicht zum eigenen Kulturkreis zählen, an Bedeutung. Je weiter weg ein Todesfall sich ereignet, desto weniger berührt er uns. Ereignisse, von denen man sich nicht direkt bedroht fühlt, werden nicht als relevant angesehen.

Diese einfache Einsicht habe ich erst nach einigen Umwegen entwickeln können. Zuerst musste ich mir eingestehen, dass die Wirklichkeit ganz anders war, als ich es erwartet hatte. Einen ersten richtigen Kulturschock erlebte ich 1983 in Jordanien, als mir bewusst wurde, dass ich meine Freizeit nahezu täglich mit Männern verbrachte, deren Ehefrauen ich niemals kennenlernen würde. Aber diese Beobachtung darf nicht dazu führen, die in der eigenen Heimat fehlende Gleichberechtigung der Geschlechter zu beschönigen, nur weil es anderswo darum noch schlechter bestellt ist. Vielmehr ist es wichtig, eine Sensibilität dafür zu entwickeln, dass Überlegenheit in einzelnen Bereichen mit Unterlegenheit in anderen gepaart ist.

Während meiner Arbeit als Journalist ist mir zunehmend klar geworden, dass immer unterschiedliche Sichtweisen auf die- selben Vorgänge bestehen. Dies mag ein Allgemeinplatz sein, aber er entwickelt Sprengkraft, wenn es um die Wertung von Vorgängen oder Entwicklungen geht, die sich weit weg vom eigenen Lebensbereich abspielen. Voreingenommene Überzeugungen beruhen auf den eigenen Einschätzungen, wie sie zu Hause üblich sind, und widersprechen oft den tatsächlichen Verhältnissen. Das «Andere» ist anders, als man normalerweise denkt.[2]

Die Ursachen dieser subjektiven Sichtweise gehen weit über den Umstand hinaus, dass Beobachter an voneinander entfernten Orten eine unterschiedliche Wahrnehmung von derselben Situation haben. Das Beispiel des Todes wird höchst brisant, wenn es um den eigenen geht. Im Orient und in weiten Teilen der islamischen Welt wird der Tod meist als eine das Leben begrenzende Normalität angesehen. Da niemand weiß, wann das eigene Ende kommt, wird das Überirdische bemüht. Die Lebensdauer, so meint man, sei vorherbestimmt, weil Gott es so wolle. Dessen Allmacht sei entscheidend.

Hinter dieser Haltung Gleichgültigkeit zu vermuten oder auch nur die mangelnde Bereitschaft zur Gestaltung des eigenen Lebens zu sehen, führt in die Irre. Auch gläubige Moslems sehen die Begrenztheit und Zerbrechlichkeit des Lebens. Völlig absurd wird es, wenn im Krieg die Tötung von Zivilisten billigend in Kauf genommen wird, weil es sich um Moslems handelt.[3] Natürlich hängen auch sie an ihrem Leben, und viele von ihnen versuchen, es zu verlängern. Aber sie verdrängen den Tod nicht und sind sich bewusst, dass er auch überraschend kommen kann und jeder Mensch gerade deshalb auf ihn vorbereitet sein sollte.

Die Rückkehr in meinen ursprünglichen Kulturkreis hat mir 2013 die Augen weiter geöffnet. Waren für mich «Andere» normale «Gläubige», so waren sie für Landsleute abzulehnende «Flücht- linge», die «uns» langfristig zu «dominieren» und zu «überlagern» drohen. Es ist kein Zufall, dass die Ausländerfeindlichkeit dort besonders groß ist, wo es keine oder kaum Fremde gibt.

Die seit 2015 verstärkt geführte Debatte über Flüchtlinge verfolge ich mit Schrecken. Obwohl Politiker Migrationsbewegungen unterbrechen und gegen Schutzsuchende tödliche Barrieren errichten lassen, werden sie von fremdenfeindlichen Bürgern beschimpft und kritisiert, nichts gegen den Zuzug von Fremden zu unternehmen. Menschen wird außerhalb Europas, fern von den eigenen Wählern, die Freizügigkeit verweigert. Flüchtlinge werden dort gestoppt und müssen beim Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, aufs Schlimmste leiden, werden nicht selten misshandelt und sterben.[4]

Mit Schiffbrüchigen im Mittelmeer existiert immerhin eine begrenzte Solidarität, und auf dort Ertrunkene wird mit Betroffenheit reagiert. Dagegen werden Menschen, die beim Versuch, die Wüste Sahara zu durchqueren, verdursten, in der Regel nicht einmal mehr registriert. Die Abschottung Europas und die schwache Solidarität mit Flüchtlingen und Menschen, die ihre Heimat verlassen und sich eine neue Existenzgrundlage schaffen wollen, schockieren mich immer wieder.

US-Präsident Donald Trump hat diese Politik auf die Spitze getrieben. Gleichzeitig glaubt er, durch Verhandlungen mit Nordkorea und die Verteufelung Irans neue außenpolitische Akzente setzen zu können. Durch eine aggressive Haltung Moslems gegenüber und die Blockade des Zuzugs von Fremden will er die Privilegien von Alteingesessenen stärken und Letztere vor Konkurrenz durch Zuwanderer schützen. Eine neue Zollpolitik mit der Androhung oder der Einführung von Strafzöllen soll die Unternehmen der USA stärken. Vor allem die ärmsten Staaten der Welt werden einen zusätzlichen Preis für diese auf falsch verstandenem Nationalismus gründende Politik bezahlen.

Bei Trump handelt es sich nicht um einen Hochstapler, der durch geschicktes Taktieren zum mächtigsten Politiker der Welt geworden ist. Trump ist vielmehr der Ausdruck einer Politik, die auf der Durchsetzung von nationalen Eigeninteressen basiert und weltweit wachsenden Zuspruch findet. In Deutschland wird diese Tendenz im weiteren Erstarken der AfD sichtbar, deren Gründung (2013) und Aufstieg vor dem Amtsantritt Trumps begann. Für mich handelt es sich um die Spitzen eines Eisbergs, denn eine Politik, die den Zweck verfolgt, «weiße» Vorherrschaft zu verteidigen, ist auch in anderen Parteien verbreitet.[5]

Diese Politik, die letztlich eine angebliche Überlegenheit der «weißen Rasse» behauptet, verschweigt, dass Europäer die Welt kolonialisiert und ausgebeutet haben. Menschen, die Flüchtlinge abweisen, leugnen den Zusammenhang zwischen dem eigenen Wohlstand und dem Elend in anderen Teilen der Welt. Sie sind entschlossen, diesen Wohlstand mit allen Mitteln zu verteidigen, und wollen sich an der Unterwerfung und Ausbeutung von Menschen in anderen Erdteilen bereichern.[6] Wohlstand allein auf das Ergebnis eigener harter Arbeit zurückzuführen, verhindert nicht nur das Erkennen der wirklichen Zusammenhänge, sondern verdeckt auch den Grund, warum der Reichtum zwischen unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedlich verteilt ist.

Die europäische und damit westliche Politik im Orient ist seit Jahrhunderten von Gewalt geprägt. Im Zeitalter des Kolonialismus wurde der Orient vor allem britischen und französischen Interessen unterworfen. Bereits den Kreuzzügen des Mittelalters lagen nicht nur religiöse Absichten zugrunde. Sie galten auch dem Zweck, Märkte zu erschließen und Handelswege zu kontrollieren. Zwischen 1500 und 1800 (Zeitalter des Merkantilismus und Beginn der Neuzeit) wurden die finanziellen und wirtschaftlichen Interessen dann immer weniger verschleiert.

Selbstherrliche Herrscher nutzten den zusammengeraubten Reichtum und die enormen Handelsgewinne, um ihren Prunk zu erhalten und ihre Macht zu sichern. Gleichzeitig bildeten das Geraubte oder der Handelsgewinn seit zweihundert Jahren eine Basis für die wirtschaftliche Entwicklung und den Aufschwung der europäischen Staaten. Die Kenntnis der vorindustriellen Zusammenhänge ist notwendig, um die Verteilung des heutigen weltweiten Reichtums zu verstehen.

Eine besondere Rolle bei der Ausplünderung anderer Erdteile nimmt der Sklavenhandel ein, an dem umfassend verdient wurde. Er basiert auf der Theorie, einige Menschen seien niedriger gestellt als andere. Insofern bildet der in den vergangenen Jahren aufgekommene Nationalismus in den Industriestaaten, der mit der Einschränkung oder der Beseitigung der Menschenrechte einhergeht, nichts Neues. Alte Sichtweisen und Wertesysteme werden wiederbelebt und zur Verteidigung aktueller Machtpositionen genutzt.

Die Entrechtung von Menschen durchzieht die Geschichte vermeintlich entwickelter Gesellschaften seit dem Altertum wie ein roter Faden. Wer die Demokratie der griechischen Stadtstaaten eine Errungenschaft nennt, ohne auf die damalige Sklavenkultur einzugehen, vernebelt geschichtliche Zusammenhänge und schwächt die gesellschaftlichen Kräfte, die notwendig sind, Faschismus oder einen rassistischen Nationalismus abzuwehren. Ich habe mich als Journalist mit der aktuellen Politik der westlichen Staaten beschäftigt und auch Menschenrechtsverletzungen durch Soldaten dargestellt. Doch erst nach meinem Berufsleben wurde mir bewusst, dass Menschenrechtsverletzungen in der Regel einem bestimmten Schema folgen. Viele nehmen sie wegen eines neuen Wertesystems hin, weil sie ihr altes aus Eigeninteresse geändert haben. Menschenleben und Menschenwürde werden unterschiedlich gewertet.

Das Scheitern westlicher Politik im Mittleren Osten steht im Mittelpunkt des Buches. Heute führe ich dieses Scheitern nicht mehr nur auf einzelne Fehler von Militärs und Politikern zurück, sondern begreife es als Ausdruck einer grundsätzlich falschen Politik. Es markiert einen Wendepunkt der gesamten globalen Politik. Zurückblickend wird nämlich deutlich, dass den westlichen Industriestaaten inzwischen die Kraft fehlt, ihre Ziele im Orient mit Gewalt durchzusetzen. Der Kolonialismus wurde zwar durch eine neue Vorherrschaft der westlichen Industriestaaten abgelöst, doch auch diese neigt sich derzeit ihrem Ende zu.

Neokolonialismus scheint mir einer der passendsten Begriffe für diesen geschichtlichen Abschnitt vom Ende der Kolonialherrschaft bis heute zu sein. Das militärische Scheitern beim Versuch, die eigene Vormachtstellung mit Waffeneinsatz zu verteidigen, betrifft zwar vor allem die Vereinigten Staaten, doch die Mehrheit der EU-Staaten hat sich an dieser Politik beteiligt und folgt bis heute dem militärischen Vorgehen der USA.[7]

Diese haben bislang weltweit die Interessen der westlichen Industriestaaten vertreten und mit ihren militärischen und politischen Kräften auch durchsetzen können. Die Bundesrepublik Deutschland beginnt erst, aus dem Schatten der USA zu treten, seit klar ist, dass deren Stärke nicht mehr ausreicht. Vielfach wird eine weitere europäische Einigung als Schritt gesehen, diese Interessen ohne die Vereinigten Staaten durchsetzen zu können. Solange ein Eintreten für die Einigung Europas nicht mit Forderungen nach Verzicht auf militärische Stärke einhergeht, handelt es sich um klassische Machtpolitik. Die großen Medien in Deutschland haben ihre Kritik an den USA seit dem Amtsantritt Trumps verstärkt. Damit tragen sie dazu bei, eine Stimmung anzuheizen, bei der ein starkes deutsches Auftreten, auch als Militärmacht, immer wichtiger wird.

Statt Hintergründe und Ursachen für die laufenden Veränderungen darzustellen, verspotten Medien Trump oder zeigen die Sprunghaftigkeit seiner Politik. Das ist leicht verdauliche Kost. Auch wenn es damit gelingt, Auflagen und Quoten zu steigern, geben die Medien mit derartigen Berichten dem aufkommenden Nationalismus zumindest Raum, statt die ihr zugrunde liegende, verhängnisvolle Wendung aufzudecken.[8] Bis zur Ermordung George Floyds wurde Trumps Politik nur in Ausnahmefällen als eine im Kern rassistische und nationalistische beschrieben. Stattdessen spüren die Medien nur offensichtliche Widersprüche und extreme Unstimmigkeiten auf.[9]

Derartig oberflächliche Darstellungen habe ich vor Jahren im Orient erlebt. Kolleginnen und Kollegen haben den Einsatz der US-Streitkräfte in den Medien oft kritisiert, aber über gleiches oder ähnliches Auftreten deutscher Einheiten wiederholt nicht berichtet oder deutsche Soldaten gar als reine «Helfer in Uniform» dargestellt. Der immer größeren Rolle des Militärischen steht die zunehmende Oberflächlichkeit der Medien gegenüber, die dazu führt, dass bedeutende Konflikte nicht mehr richtig verstanden werden können.

Besonders deutlich werden diese Veränderungen bei der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus. Statt die eigene Mitverantwortung bei dessen Entstehung zu erkennen, wird im militärischen Einsatz, im sogenannten «Krieg gegen den Terror», eine Art Allheilmittel gesehen. Die Logik einer derartigen Politik führt zu einer weltweiten Ausbreitung des Terrorismus und damit geradezu zwangsläufig zu weltweiten Militäreinsätzen. Deren steigende Zahl im Ausland erfolgt nicht allein aus der Zunahme dortiger Konflikte. Vielmehr muss sie als Ausdruck der Bereitschaft seitens der Regierenden gesehen werden, am Krieg gegen den Terrorismus teilzunehmen und Konflikte im Ausland mit militärischen Mitteln zu lösen.

Auch in diesem Bereich entspricht die Politik von Trump einem internationalen Trend. Es ist nur konsequent, wenn er den Mitarbeiterstab im Außenministerium der USA und die Zahl der Mitarbeiter im diplomatischen Dienst ausdünnt, während gleichzeitig die Militärausgaben steigen. Diese Militarisierung der Politik gefährdet den Frieden, obwohl der US-Präsident immer wieder betont, keine neuen Kriege führen zu wollen. Seine Aussagen deuten darauf hin, dass die USA im «Krieg gegen den Terror» überfordert sind. Gleichzeitig zeigen der Ausbau und der Einsatz des Militärs aber auch, dass Trump in der Tradition steht, die politischen Ziele der USA mit militärischer Gewalt durchzusetzen.

Trumps Drohungen gegen Iran sind Ausdruck dieser gefährlichen Position. Doch gerade im Verhalten des Präsidenten gegenüber Iran zeigt sich die Beständigkeit der US-Politik seit Jahrzehnten. Drohungen und Sanktionen sind nicht neu. Sie begannen nach dem Sturz der prowestlichen Schah-Monarchie. Auslöser war die Besetzung der US-Botschaft im November 1980. Doch war diese Politik von Beginn an ein zugleich stumpfes und zweischneidiges Schwert in den Händen der größten Weltmacht.

Erst unter Trump errichteten die USA ein Sanktionsregime, das Iran zu lähmen droht. Zuvor hatten Sanktionen eher dazu beigetragen, dass sich die iranische Wirtschaft entwickeln konnte. Seit 1980 stufenweise verschärfte Maßnahmen haben das Land vom Weltmarkt getrennt und dadurch eine gewisse Eigenständigkeit erzwungen. Im Bereich der Politik haben sie das Gegenteil von dem bewirkt, was erreicht werden sollte. Statt die Führung zu einer Änderung ihrer politischen Linie zu bringen, wurden die Politiker in Teheran nur in ihrer Unnachgiebigkeit bestärkt. Damit ist den Vereinigten Staaten sogar ein militärischer Gegner erwachsen. Iran hat auf militärischen Druck aus Washington mit einer dauernden Verfeinerung seiner Mittel reagiert und will der militärischen Supermacht USA asymmetrisch, also durch die Entwicklung ungleicher Kampfformen begegnen. Ähnlich wie sein amerikanischer Gegenspieler nimmt Iran dabei keine Rücksicht auf die Unabhängigkeit und die Unantastbarkeit von Staaten im Orient.

Langfristig werden die USA diese Politik der Machtdemonstrationen und der politischen Einschüchterungen nicht durchhalten können. Ob das Ende ihrer Vormachtstellung aus einem Zermürbungskrieg gegen Iran, einer Aufkündigung der politischen Gefolgschaft durch die Industriestaaten Europas oder einfach aus fehlender wirtschaftlicher und militärischer Macht erfolgt, lässt sich derzeit nicht vorhersagen. Mit dem Abbau der militärischen Brückenköpfe der USA im Orient hat Präsident Barack Obama einen Rückzug eingeleitet. Trumps Verstärkung der US-Streitkräfte im Orient ist eine vorübergehende Maßnahme und ein Rückfall in alte Verhaltensmuster, selbst wenn es zu einem Krieg gegen Iran kommen sollte.

Derartige Veränderungen werden durch die neuen Entwicklungen auf dem Weltölmarkt und die damit veränderten Interessen der Vereinigten Staaten beschleunigt. Der Wandel im Auftreten in der Golfregion ging mit dem Verlust der weltweiten Vormachtstellung der USA einher. Die Volksrepublik China dürfte versuchen, diese frei gewordene Stellung zu übernehmen. Eine neue Weltordnung kann aber auch zur Bildung regionaler Zentren führen, die ihre Widersprüche durch Verhandlungen und eben nicht, wie in der Geschichte bisher üblich, durch Kriege lösen. Persönlich halte ich eine derartige Entwicklung für unwahrscheinlich. Zum einen werden die USA ihre Positionen sicher nicht kampflos räumen. Zum anderen werden die jetzt aufstrebenden Mächte nicht bereit sein, ihren Reichtum für einen Ausgleich weltweiter Gegensätze aufzugeben.

Das Scheitern der westlichen Politik im Orient

Mit den Anschlägen auf die beiden Türme des World Trade Center in New York am 9. September 2001 begann ein neues Kapitel internationaler Politik. Es ist geprägt vom Kampf gegen den Terrorismus, der von den Industriestaaten des Westens als Krieg geführt wird. US-Präsident George W. Bush startete ihn, als er seinen Streitkräften den Befehl gab, Afghanistan deshalb anzugreifen, weil die Taliban-Regierung sich weigerte, Osama Bin Laden, den Führer von Al-Kaida, auszuliefern.

Die Aussichten auf einen schnellen militärischen Erfolg gegen die im Land unpopulären Taliban machten es für Präsident Bush einfach, den Krieg zu beginnen. Dabei sind in den letzten zweihundert Jahren sowohl die britischen Truppeneinmärsche als auch die sowjetische Besetzung in Afghanistan gescheitert. Möglicherweise hat der US-Präsident den Angriffsbefehl aber auch überhastet gegeben, weil der Nachrichtensender CNN bereits Stunden nach den Anschlägen auf das World Trade Center seine Dauerberichterstattung unter das Motto «America at War» gestellt hatte. Die USA standen unter Druck, militärisch zu reagieren, und entschlossen sich zum Afghanistankrieg, auch wenn sich unter den Attentätern des 11. September kein Afghane befand. Sie machten die Regierung in Kabul mitverantwortlich, weil sie Al-Kaida Gastrecht im Land gewährt hatte.[1]

Zwei Jahre später, am 20. März 2003, folgte der Krieg gegen den von Saddam Hussein und der Baath-Partei beherrschten Irak. Die US-Regierung setzte auf einen schnellen militärischen Erfolg, der mit dem leichten militärischen Sieg in Afghanistan vergleichbar sein sollte. Doch anders als beim Vorstoß gegen die Taliban blieben die USA weltweit politisch isoliert. Sie konnten die Mitglieder des Weltsicherheitsrats nur durch ein Lügengebäude davon abhalten, eine Resolution gegen den Krieg zu verabschieden.[2] Sechs Wochen nach dem Angriff auf Irak, am 1. Mai, nannte Präsident Bush an Bord des Flugzeugträgers «USS Abraham Lincoln» den Sturz Saddam Husseins einen Sieg im Krieg gegen den Terror, der weitergeführt werden müsse, und erklärte den Irakkrieg zur «mission accomplished» und damit für beendet.[3] Tatsächlich zeichnete sich aber schon wenige Tage nach der Besetzung Bagdads ab, dass die US-Streitkräfte in Irak in einen Zermürbungskrieg verwickelt werden würden.

Welche Konsequenzen diese Fehleinschätzung hatte, lässt sich fast zwanzig Jahre später aus der Rückschau wesentlich einfacher beurteilen als zu Kriegsbeginn. Allein die Kriegskosten übersteigen selbst die Möglichkeiten der USA. In einer Studie des Watson-Instituts der Brown-Universität über Opfer und Kosten der Kriege ermittelte die Politikwissenschaftlerin Neta C. Crawford einen Betrag von 4933 Milliarden US-Dollar.[4]

Fünf Billionen US-Dollar allein für die Kriege in Afghanistan, Irak und Pakistan überfordern selbst die größte Wirtschafts- und Militärmacht der Welt. Donald Trump hat diese Zahl bei den von ihm genannten Ausgaben für die Kriege im Orient (sieben Billionen) um 40 Prozent überboten. Diese hohen Kosten bilden einen wichtigen Grund, Trump davon abzuhalten, einen weiteren Krieg zu beginnen. Zusätzlich zu den von Crawford errechneten fünf Billionen US-Dollar werden die amerikanischen Steuerzahler in den kommenden Jahren weitere Hunderte von Milliarden für die Versorgung von schwerverletzten Veteranen und für Renten an die Hinterbliebenen der getöteten Soldaten zahlen müssen.

Die wirtschaftliche und soziale Lage in Irak und Afghanistan ist weiterhin katastrophal. Trotz des Sturzes der alten Regierungen und gewaltiger Ausgaben im zivilen Bereich blieben die angekündigten Verbesserungen der Lebensverhältnisse weitgehend aus. Die Zustände sind bis heute verheerend. Bestechungen und Veruntreuung haben ein neues Ausmaß angenommen. Die beiden Staaten stehen in der Weltbestechungsrangliste von Transparency International auf den Plätzen 162 und 173. Bei insgesamt 180 aufgeführten Ländern werden sie in dem Teil der Welt nur noch von den Bürgerkriegsstaaten Jemen und Syrien (177 und 178) unterboten.[5]

In Afghanistan, Pakistan und Irak hat die Kriegsführung des Westens der einheimischen Bevölkerung Tod und Zerstörung gebracht. In den Aufstellungen über die Kriegsopfer finden sich in den verschiedenen Studien zwar unterschiedliche Zahlen, doch in allen übertrifft die Zahl der toten Zivilisten in diesen Ländern die der Toten in den Reihen der Angreifenden deutlich.[6]

Todesopfer in den Hauptkriegszonen Afghanistans, Pakistans (jeweils Oktober 2001–Oktober 2018) und Iraks (März 2003–Oktober 2018)

Afghanistan

Pakistan

Irak

Insgesamt

US-Militär

2401

4550

6951

Zivile Todesopfer laut US-Verteidigungsministerium

6

15

21

US-Sicherheitsfirmen

3937

90

3793

7820

Nationales Militär und Polizei

58596

8832

41726

109154

Andere alliierte Soldaten

1141

323

1464

Zivilisten

38480

23372

182272–204575

244124–266427

Oppositionskämpfer

42100

32490

34806–39881

109396–114471

Journalisten/Medienberichterstatter

54

63

245

362

Humanitäre Helfer/NGO-Mitarbeiter

409

95

62

566

Todesopfer insgesamt

147124

64942

267792–295 170

479858–507 236

Todesopfer

147000

65000

268000–295000

480000–507000

(gerundet auf ~1000)

Tabelle nach Crawford, Human Cost of the Post-9/11 Wars

 

Die hohe Zahl der zivilen Opfer zeugt von der Rücksichtslosigkeit der westlichen Mächte. Sie bildet einen wichtigen Grund für die Entwicklung des erfolgreichen Widerstandes gegen die Fremden. Unter den Angehörigen der ausländischen Streitkräfte, die inzwischen zum größeren Teil abgezogen wurden, gibt es immer weniger Tote. Auch die Zahl der Selbstmordanschläge ist zurückgegangen. Aber die vom Westen aufgebauten und ausgebildeten Streitkräfte setzen die Tradition des Kampfes gegen Aufständische mit der Rücksichtslosigkeit der Ausländer fort. Die hohe Zahl ziviler Opfer blieb deshalb unverändert.

Bushs Nachfolger Barack Obama hat im Krieg gegen den Terror eine Wende eingeleitet, die Trump im Kern weiterverfolgt. In einer Rede in der Militärakademie West Point sagte Obama am 28. Mai 2014: «Auf absehbare Zeit wird die direkteste Bedrohung für Amerika sowohl im Inneren und Äußeren der Terrorismus bleiben. Aber eine Strategie, die beinhaltet, jedes Land zu erobern, in dem terroristische Netzwerke existieren, ist naiv und nicht durchzuhalten. Ich glaube, wir müssen unsere Antiterrorstrategie ändern. Dabei müssen wir aus den Erfolgen und Misserfolgen in Irak und Afghanistan lernen. Wir müssen effektiver mit Ländern zusammenarbeiten, in denen Terroristen Fuß fassen wollen.»[7]

Diese neue Militärtaktik hat bis heute weitreichende Konsequenzen. Die US-Streitkräfte suchen Partner für die einzelnen Schlachtfelder, auf denen der Krieg gegen den Terror geführt wird. Dadurch werden alle möglichen Bündnisse für Militäreinsätze vorstellbar.[8] Diese geänderte Haltung brachte der US-Generalität einen Machtzuwachs, von dem sie bis heute zehrt. Die amerikanischen Streitkräfte führen ihre Kriege seither gleichermaßen offen und verdeckt. Mit einem Haushalt von 716 Milliarden Dollar verfügte das Verteidigungsministerium 2019 über genügend Mittel, Kriegsteilnahmen zu finanzieren, obwohl der US-Kongress keine Angriffe beschlossen hatte. Dies gilt zum Beispiel für die Beteiligung der USA am Jemenkrieg. Für 2020 sind im Verteidigungshaushalt Ausgaben von 738 Milliarden US-Dollar, also eine Erhöhung um weitere 3 Prozent, geplant. Der zwischen Demokraten und Republikanern im Kongress erzielte Kompromiss stellt erneut einen Erfolg für die Republikanische Partei dar. Die Militärausgaben der USA sind etwa dreimal so hoch wie die der Volksrepublik China, und sie betragen das Zehnfache der russischen. Mit dem Geld werden unter anderem achthundert Militärstützpunkte im Ausland unterhalten. Mit dem zusätzlichen Geld kann Präsident Trump den Handlungsspielraum für die US-Streitkräfte erneut erweitern und den Militärs noch größere Verantwortung übertragen. Generäle können heute sogar Entscheidungen treffen, die früher nur von Politikern gefällt wurden.[9]

Damit dürften sich die Schwierigkeiten der USA und in deren Folge auch die ihrer Partner vergrößern, denn die Tendenz der vergangenen Jahre, politische Probleme militärisch zu lösen, wird bis auf Weiteres fortgesetzt werden. Dies erklärt auch, warum die Bemühungen, den Krieg im Jemen und den Bürgerkrieg in Libyen und in Syrien diplomatisch zu beenden, hinter der Bereitschaft verblassen, militärische Gewalt einzusetzen. Ein derartiges Vorgehen hat bisher zu einer Stärkung und weltweiten Ausbreitung des Terrorismus beigetragen, wird es auch weiter tun und bildet einen wichtigen Grund für das Scheitern des Westens im Orient.

Präsident Trump hielt zu Beginn seiner Amtszeit eine große Rede in der arabischen Welt. Anders als Amtsvorgänger Obama, der für seinen Auftritt die Universität Kairo ausgewählt hatte, sprach er am 21. Mai in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, das zu dem Zeitpunkt bereits im Jemen Krieg führte. Statt zu Studenten zu sprechen, verkündete Trump den Herrschern islamischer Staaten, am Vortag sei vereinbart worden, dass Saudi-Arabien für hundertzehn Milliarden Dollar Rüstungsgüter in den USA kaufe. Saudi-Arabien werde im eigenen Land und in den USA vierhundert Milliarden Dollar investieren und damit in beiden Ländern «viele Hunderttausende von Arbeitsplätzen» schaffen.[10]

Auch in diesem Fall kam es in verschiedenen arabischen Staaten nach der Rede eines US-Präsidenten zu Demonstrationen. Diese Bewegungen, sogar die Hunderte von Toten bei den Protesten, wurden von den deutschsprachigen Medien meist übergangen. Oft waren die Berichte, wenn es denn doch welche gab, nicht korrekt. Es wurde nicht wirklich gewürdigt, dass im Laufe dieses neuen Arabischen Frühlings in verschiedenen Ländern mehrere arabische Regierungen gestürzt wurden. Anders als die Proteste in den Jahren 2010 und 2011 wird diese neue Welle an Aufständen nicht mehr zu großen Teilen von einzelnen politischen Fraktionen getragen, die auf einen Machtwechsel hinarbeiten. Die Aktivisten fordern keinen Austausch der Eliten, sondern einen Systemwechsel.

Afghanistan: Am Hindukusch wird keine Demokratie verteidigt

Die islamische Aufstandsbewegung der Taliban hat, seitdem die von ihr gestellte Regierung im Krieg gegen die USA im Herbst 2001 gestürzt wurde, stetig an Durchschlagskraft gewonnen. Um diese Entwicklung verstehen zu können, sollte man einige Besonderheiten der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Geschichte Afghanistans kennen. Auch wenn die afghanischen Städte in einer atemraubenden Geschwindigkeit wachsen, ist die politische Entwicklung des Landes von der Haltung der Menschen in den ländlichen Regionen geprägt. Anders als in den meisten Ländern des Orients wird sich daran in den kommenden Jahren wenig ändern. Die Mehrheit der im Jahr 2020 etwa 39 Millionen Afghanen wohnt in etwa 30000 Dörfern. Meist haben diese Dörfer keine Strom- und Wasserversorgung. Die Bewohner können Krankenstationen oder Krankenhäuser oft nur mit äußerster Mühe, im Winter manchmal gar nicht erreichen. In der Hauptstadt Kabul leben heute etwa vier Millionen Menschen.[1] 1950 waren es nur etwa 150000 Einwohner. Bis zum Jahr 2050 dürfte die Hauptstadt auf etwa 15 Millionen Einwohner anwachsen. Damit würde sich die Zahl der Bewohner in hundert Jahren um etwa das Hundertfache vergrößert haben. Neben Kabul wird es mindestens vier weitere Städte mit mehreren Millionen Einwohnern geben (Herat, Masar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad). Seit 2015 ist nach der Beobachtung meines ehemaligen Producers Eamal Parsalai eine zunehmende Landflucht zu beobachten. Die Grundstückspreise am Stadtrand oder in Stadtnähe seien um ein Vielfaches gestiegen.

Dieser Trend einer Verstädterung Afghanistans dürfte anhalten. Wegen des vierzig Jahre andauernden Krieges hat sie hier später als in den anderen Ländern der Region begonnen. Auch wenn 2050 die Landbevölkerung nicht mehr die Mehrheit der nach einer Schätzung der Vereinten Nationen dann 65 Millionen Menschen ausmachen und der Gegensatz von Stadt und Land also zurückgehen wird, ist die aktuelle Politik von diesem Gegensatz geprägt.[2] Bedeutsam ist auch, dass neunzehn Jahre nach dem Sturz der Taliban etwa die Hälfte der Afghanen weder lesen noch schreiben kann. In abgelegenen Regionen ist die Rate der Analphabeten deutlich höher als in den Städten.

In der Provinz hat die Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder zu einem Stamm eine wesentlich größere Bedeutung als in den Zentren, und die Abwehr des Fremden wird als Verteidigung der eigenen Werte, also der des Stammes oder der Volksgruppe, empfunden. Diese Haltung ist insbesondere bei den Paschtunen, der bedeutendsten Volksgruppe in Afghanistan, die sich aus verschiedenen Stämmen zusammensetzt, verbreitet. Für sie besitzt das Paschtunwali – das Regelwerk für das Recht und die Ehre der Paschtunen – einen großen Stellenwert, in ländlichen Regionen sogar einen größeren als die staatlichen Gesetze, die von Politikern in der Hauptstadt entworfen und erlassen wurden. Im Paschtunwali spielt das Gast- und Asylrecht eine besondere Rolle. Danach dürfen zum Beispiel Gäste nicht abgeschoben oder ausgeliefert werden.[3] Besonders für die Paschtunen ist das Gastrecht unantastbar. Gleichzeitig sehen sie es auch als Pflicht, gegen Fremde zu kämpfen, um äußere Einmischung abzuwehren.

In den abgelegenen Dörfern sind die Menschen bis heute bereit, das eigene Leben für die Verteidigung dieser Werte zu opfern. Die Taliban nutzen diese Bereitschaft, um den Einfluss der vom Ausland aufgebauten Regierungstruppen zurückzudrängen. Die Bewohner der ländlichen Regionen haben nicht nur die Mehrheit der Mudjahedin im Kampf gegen die Sowjetarmee gestellt, sie waren auch als Erste bereit, den ab 2003 aus Pakistan zurückkehrenden Kämpfern der Taliban Unterschlupf zu bieten oder sich sogar der Organisation anzuschließen. In den von Paschtunen besiedelten Gegenden gelang es den Taliban auch, alte Organisationsstrukturen wieder zu beleben. Diese waren 2001 nach der schnellen Niederlage im Krieg gegen die US-Streitkräfte und die mit den Staaten des Westens verbündeten Gruppen der Taliban-Gegner zusammengebrochen.

Die Frage, ob die Regierung oder die Taliban den größeren Teil des Landes kontrollieren, wird von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich beantwortet. Entscheidend ist, dass in Afghanistan ein Bürgerkrieg herrscht, dessen Frontverlauf zwischen Stadt und Land verläuft. Auch der Kampf gegen die kommunistischen Regierungen, die nach Putschen 1978 und 1979 an die Macht gekommen waren, begann in den ländlichen Regionen. Damals lebten über 84 Prozent auf dem Land. Ähnlich war es im Kampf gegen die sowjetischen Besatzungstruppen, die im Dezember 1979 einmarschiert waren.[4] Da in Afghanistan seither ohne Unterbrechung Krieg geführt wird,[5] hat die Landflucht so spät eingesetzt. Deshalb wird sich in den kommenden Jahren nur wenig an der militärischen Situation ändern. Die Taliban werden die ländlichen Regionen mit den Distrikten beherrschen, und die Regierung wird vor allem die Ballungsgebiete kontrollieren, selbst wenn es ihr gelingen sollte, einige Distrikte zurückzuerobern. Dieser Stadt-Land-Gegensatz wird andauern, und deshalb ist ein schnelles Ende der Kämpfe nur möglich, wenn sich die Taliban und die Regierung in Kabul bei Verhandlungen auf ein Ende dieser Kämpfe einigen. Ein militärischer Sieg einer der beiden Seiten ist ausgeschlossen.

Der Krieg von 2001 und der gescheiterte Neuanfang

Bereits am 19. September 2001, also nur acht Tage nach den Terroranschlägen von New York, forderte der UN-Sicherheitsrat die Taliban-Regierung auf, Bin Laden «sofort und bedingungslos auszuliefern». Die USA hatten anfangs nur eine Ausweisung Bin Ladens gefordert, nicht eine Auslieferung. Warum George W. Bush sich für einen Krieg gegen Afghanistan entschloss, ist bis heute unklar. Die US-Streitkräfte begannen am 7. Oktober mit den Kampfhandlungen, weil die afghanische Regierung sich weigerte, den Führer von Al-Kaida auszuliefern. In den ersten Tagen unterstützten die US-Streitkräfte die Kampfverbände der Nordallianz vor allem mit Luftangriffen. Die Nordallianz war ein Bündnis von Taliban-Gegnern, die das Pandschschir-Tal und Teile der Provinz Badakhshan kontrollierten und bei vielen Menschen in Nordafghanistan Rückhalt fanden. Burhanuddin Rabbani, einer der Kriegsfürsten, leitete in Faizabad eine Gegenregierung, nachdem er aus Kabul geflohen war. Er zählte zu den ehemaligen Kommandeuren der Mudjahedin, die untereinander zerstritten waren und 1996 die Nordallianz mit dem Namen Nationale Islamische Vereinigte Front zur Rettung Afghanistans gebildet hatten, um den Siegeszug der von Pakistan unterstützten Taliban-Bewegung zu stoppen. Der Krieg zwischen den Taliban und der von den Staaten des Westens anerkannten Gegenregierung war nach der Ermordung von Ahmad Shah Massoud, des tadschikischen Führers des afghanischen Widerstandes, am 9. September 2001 durch zwei Selbstmordattentäter, die von Al-Kaida gesteuert waren, wieder entbrannt.

Die Taliban hatten die Regierungsgewalt in Kabul übernommen und kontrollierten den größten Teil des Landes. Ein wichtiger Grund für ihren Erfolg war die Haltung der Bevölkerung. Die Afghanen wünschten ein Ende des Bürgerkrieges zwischen den Kriegsfürsten der Mudjahedin. Bei diesen handelte es sich nicht um traditionelle Führer, die sich auf Stämme stützen konnten. Sie haben ihre Macht erst im Kampf gegen die Sowjettruppen aufgebaut und sehr oft die Hilfe Saudi-Arabiens und der USA genutzt, um ihre Position zu festigen oder gar auszubauen. Weil die Taliban den Bürgerkrieg beendeten und islamische Gerechtigkeit versprachen, nahmen viele Afghanen sogar deren Herrschaft in Kauf, da sie den Taliban zutrauten, Korruption und Vetternwirtschaft beseitigen zu können. Die Kriegsfürsten waren die entschiedensten Gegner der Taliban. Als sie im Jahr 2001 von den USA militärische Unterstützung erhielten, bildeten diese damit von Beginn an eine Partei im innerafghanischen Machtkampf.

Zu Beginn des Krieges bin ich von Iran aus nach Afghanistan gereist und habe die Vertreibung und die Flucht der Taliban erlebt. Dabei kam es zu einer höchst merkwürdigen Kooperation. Ismael Khan, der Kriegsfürst in Westafghanistan, wurde zusammen mit ihm ergebenen Kämpfern von den iranischen Revolutionsgarden an die afghanische Grenze gebracht. US-Hubschrauber haben sie dann in östlich gelegene Dörfer geflogen. Wahrscheinlich hat Qasem Soleimani, der am 3. Januar 2020 von den USA in Bagdad ermordete iranische General, damals den Einsatz von Ismael Khan und seinen Leuten mitorganisiert und deren Zusammenarbeit mit den US-Streitkräften unterstützt.[1] Iran hatte sich auf einen Krieg gegen die Taliban vorbereitet und sich mit der Nordallianz zusammengeschlossen. Da Soleimani bereits seit 1997 Kommandeur der Auslandsbrigaden der iranischen Revolutionswächter war, dürfte er auch das militärische Bündnis mit den Kämpfern gegen die Taliban organisiert haben. In Westafghanistan brach die Herrschaft der Taliban über Nacht zusammen.

Die Militärstützpunkte der Taliban in Westafghanistan wurden durch die Angriffe der US-Luftwaffe zerstört, und zahlreiche Mitglieder der Streitkräfte der Taliban wurden dabei getötet. Aber die meisten von ihnen zogen sich in den Süden des Landes zurück oder flohen nach Pakistan. Ismael Khan konnte seine Anhänger in den Bergdörfern östlich von Herat versammeln und die Millionenstadt einnehmen, ohne auf größeren Widerstand zu treffen. Ein Kriegsfürst und alter Bündnispartner der USA übernahm also mit Unterstützung Irans die Macht in Westafghanistan, weil Iran und die USA beim Sturz der Taliban zusammengearbeitet hatten.

Da ich Ismael Khan und seine Leute nicht begleiten durfte und das gesamte ZDF-Team an der Grenze zurückgeschickt wurde, beantragten wir im von Taliban-Gegnern übernommenen Konsulat im iranischen Mashad afghanische Visa.[2] Wir erreichten Herat wenige Stunden, nachdem Khan mit seinen Milizen die Macht übernommen und diejenigen Taliban, die nicht geflohen waren, festgenommen hatte.