Küss niemals einen Highlander - Janet Chapman - E-Book
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Küss niemals einen Highlander E-Book

Janet Chapman

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Beschreibung

Eine Liebe, die die Grenzen von Raum und Zeit sprengt

Als der attraktive Matt Gregor die temperamentvolle Winter MacKeage bittet, ihm bei der Gestaltung seines Hauses zu helfen, ist es um sie geschehen. Noch nie hat ein Mann sie so leidenschaftlich angezogen, wie dieser geheimnisvolle Fremde, der erst vor kurzem nach Pine Creeks kam. Aber darf sie für den einzigen Mann, den sie jemals wirklich begehrte, ihre Bestimmung verraten?

Die »Highlander«-Reihe:
Band 1: Das Herz des Highlanders
Band 2: Mit der Liebe eines Highlanders
Band 3: Der Ring des Highlanders
Band 4: Der Traum des Highlanders
Band 5: Küss niemals einen Highlander
Band 6: In den Armen des Schotten
Band 7: Lockruf der Highlands

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Seitenzahl: 475

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Buch

Als der attraktive Matt Gregor die temperamentvolle Winter MacKeage bittet, ihm bei der Gestaltung seines Hauses zu helfen, ist es um sie geschehen. Noch nie hat ein Mann sie so leidenschaftlich angezogen, wie dieser geheimnisvolle Fremde, der erst vor kurzem nach Pine Creeks kam. Aber darf sie für den einzigen Mann, den sie jemals wirklich begehrte, ihre Bestimmung verraten?

Autorin

Janet Chapman ist das jüngste von fünf Kindern. Schon immer hat sie sich Geschichten ausgedacht, aber erst mit ihrem ersten Roman »Das Herz des Highlanders« begann die Gewinnerin mehrerer Preise, professionell zu schreiben. Janet Chapman lebt mit ihrem Mann, ihren zwei Söhnen, drei Katzen und einem jungen Elchbullen, der sie regelmäßig besucht, in Maine.

Besuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvalet und www.instagram.com/blanvalet.verlag

Janet Chapman

Küss niemals einen Highlander

Roman

Deutsch von Anke Lenz

blanvalet

Die Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Only with a Highlander« bei Pocket Books, a divison of Simon & Schuster, Inc., New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright der Originalausgabe © 2005 by Janet Chapman

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by Blanvalet Verlag,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Covergestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Augustino; iulias; Phovoir) LH · Herstellung: sam Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-12208-9 V002

www.blanvalet.de

1

Winter MacKeage verlor den Faden des Gespräches, als die stattliche männliche Gestalt in ihr Blickfeld trat. Rose hingegen sprach weiter, ungeachtet der Tatsache, dass das prächtigste Mannsbild, das je seinen Fuß nach Pine Creek gesetzt hatte, eben jetzt stehen geblieben war, um die Bilder im Schaufenster von Winters Kunstgalerie zu betrachten.

»Sag ihr, dass ich recht habe«, forderte Rose und stieß Winters Arm leicht an. »Sag Megan, dass kein Mensch hinter ihrem Rücken tuschelt. He!«, rief Rose und fasste nach Winters Ärmel, um sie wieder ins Gespräch zu ziehen. »Deine Schwester glaubt, dass der ganze Ort sie bemitleidet.«

Winter riss den Blick von der göttlichen Erscheinung vor dem Fenster los und sah Rose und ihre Schwester Megan blinzelnd an, bemüht, sich zu erinnern, worüber gesprochen worden war.

Rose seufzte. »Verdammt, Winter, leiste mir Schützenhilfe. Mach Megan endlich klar, dass sie nicht das Hauptthema des Dorfklatsches ist.«

Nun erst sah Winter in die tränenfeuchten Augen ihrer Schwester. »Ach, alle reden über dich, Meg«, sagte sie. »Aber nur, weil du herumläufst wie eine Fetzenpuppe, die den ganzen Sommer über draußen im Regen stand.«

»Das ist nicht sehr hilfreich«, fuhr Rose sie an und stieß sie in die Seite.

Winter wich aus, verschränkte die Arme und ignorierte Rose, während sie Megan finster anschaute. »Du machst immer ein so langes Gesicht, dass es ein Wunder ist, dass du nicht über dein Kinn stolperst, wenn du dich dahinschleppst wie ein verprügelter Hund.« Winter berührte die hängende Schulter ihrer Schwester. »Schwangerschaft ist keine Krankheit«, fuhr sie sanfter fort. »Und auch kein Weltuntergang. Die Einzige, die dich bemitleidet, bist du selbst. Wenn damit nicht bald Schluss ist, kommt dein Kind mit einem Dauerschmollen zur Welt.«

Megan MacKeage fuhr sich über ihr gerötetes Gesicht und begegnete Winters liebevollem Lächeln mit einem wütenden Blick. »Dich möchte ich hören, wenn dein Herz gebrochen wird«, zischte Megan, »und du nach Hause flüchtest, weil die Liebe deines Lebens Reißaus genommen hat, als sich ein Kind ankündigte.«

Winter umfasste Megans Schulter und beugte sich zu ihr. »Ich habe dich lieb, Meg. Mama und Papa haben dich lieb, und Rose hat dich lieb. Ganz Pine Creek liebt dich. Dass ein fieser Typ von allen, die dich lieben, aus der Reihe tanzt, ist deinen Kummer nicht wert. Wayne Ferris ist ein niederträchtiger Schleimer, zu beschränkt, um würdigen zu können, was für eine wundervolle Frau du bist. Du musst ihn abschreiben und dich auf dein Kind konzentrieren. Wenn du so weiterheulst, wird dein Kind noch glauben, dass es unerwünscht ist.«

Megans Blick wanderte an Winters Schulter vorbei, während ihre Unterlippe zitterte und ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten. »Ich dachte, er liebt mich«, flüsterte sie und sah Winter verzweifelt an. »Er hat gesagt, dass er mich liebt.«

»Er hat geliebt, was du für seine Karriere tun konntest«, sagte Winter ebenso leise. »Aber monatelang draußen in der Tundra zu kampieren, das tut Babys nicht gut. Dieser Wayne hat sich entschieden …«

Das Bimmeln des Glöckchens an der Galerietür unterbrach sie. Als Winter sich umdrehte, sah sie, dass Rose fassungslos zur Tür starrte. Megans Augen waren ebenfalls aufgerissen, ihr Mund stand offen. Aber wer wäre in Gegenwart so unglaublicher … Männlichkeit nicht wie vom Donner gerührt gewesen? Der eintretende Mann war so hinreißend, dass einem die Worte fehlten.

Was für Winter ein so unmittelbares Problem zu sein schien, dass sie nicht einmal reagieren konnte, als der große, gut aussehende Fremde ihr zunickte – obwohl sie Rose seufzen hörte und Megans Schubs im Rücken spürte.

»Was … was kann ich für Sie tun?«, brachte Winter schließlich heraus.

Rätselhafte, goldene Augen suchten ihre, und es bedurfte ihrer ganzen Willenskraft, nicht noch einen Schritt zurückzuweichen. Der Mann schien den gesamten Raum auszufüllen.

»Stammt das Bild im Schaufenster von einem einheimischen Künstler?«, fragte er.

Das tiefe und volle Timbre seiner Stimme beeindruckte Winter. Ein zweiter heftiger Stoß in den Rücken verhinderte, dass sie nicht zu atmen vergaß. »Ja … ja«, sagte sie. »Die Malerin lebt hier in Pine Creek.« Winter deutete auf eine Wand ihrer Galerie. »Die meisten Gemälde sind von ihr. Und alles, was wir verkaufen, stammt von einheimischen Künstlern«, schloss sie fast flüsternd, nicht imstande, den Blick von seinem markanten, gebräunten Gesicht abzuwenden.

Er erwiderte ihren Blick mit amüsiert zusammengekniffenen Augen.

»Bitte, sehen Sie sich ruhig um«, fuhr sie mit einer halbherzigen Handbewegung fort, erleichtert, dass ihre Stimme wieder einigermaßen normal klang. »Ich stehe für alle Fragen zur Verfügung.«

»Danke«, sagte er mit einem leichten Nicken, ehe er sich der Wand mit den Bildern zuwandte.

Kaum sah er in die andere Richtung, drehte Winter sich blitzschnell um und sah Megan und Rose an. Keine der beiden bemerkte jedoch ihren Blick, da sie den Mann weiterhin verdutzt anstarrten. Besorgt, dass er sich umdrehen und sie ertappen könnte, packte Winter sie beide am Arm und schob sie vor sich her ins Hinterzimmer.

»Lasst das«, zischte sie leise. »Ihr seid ungezogen.«

»Habt ihr gesehen, wie breit seine Schultern sind?«, flüsterte Rose und verrenkte sich den Hals, um einen Blick zurück in die Galerie zu werfen.

Winter zog die beiden von der Tür fort. »Rose Dolan Brewer, du bist eine glücklich verheiratete Frau mit zwei Kindern. Die Schultern anderer Männer sollten dir nicht mal auffallen!«

Rose lächelte. »Gucken ist ja wohl erlaubt.«

»Habt ihr sein Haar gesehen?«, flüsterte Megan, deren Augen noch immer groß, aber nicht mehr im Geringsten verheult waren. »Sein Anzug hat vermutlich mehr gekostet als meine gesamte Garderobe, aber sein Pferdeschwanz …«

»Und diese Augen«, warf Rose ein, ehe Winter antworten konnte. »Satt wie die goldenen Augen eines Tigers. Meine Knie wurden ganz weich, als er dich ansah, Winter.«

»Das reicht. Raus jetzt«, sagte Winter und drängte sie zur Tür, die das Hinterzimmer ihrer Galerie mit Dolan’s Outfitter Store verband. »Ihr vergrault mir noch den aussichtsreichsten Kunden des Tages.«

Rose betrat ärgerlich schnaubend ihren Laden und fuhr sich mit den Fingern durch ihr kurzes braunes Haar. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas gibt, das diesen Mann vergraulen könnte«, murmelte sie und strich ihre Bluse glatt, als sie sich zu Winter umdrehte. »Schick ihn danach rüber in meinen Laden«, sagte sie mit spitzbübischem Lächeln. »Ich … ich werde ihm passendere Klamotten für diese Gegend verpassen.«

Megan seufzte. »O Gott, was sieht der Bursche doch blendend aus! Vielleicht sollte ich bleiben und dir helfen, die Figuren aufzustellen, die Talking Tom heute gebracht hat.«

Winter hatte nicht das Herz, Megan zu erinnern, dass sie Männern – prächtig aussehend oder nicht – abgeschworen hatte, als sie letzten Monat von ihrem Feldforschungsprojekt in Kanada zurückgekehrt war, verlassen und im zweiten Monat schwanger. Sie fand es erfreulich, dass sich das Gesicht ihrer Schwester aufgehellt hatte.

»Danke«, sagte Winter mit zärtlichem Lächeln, »aber ich glaube, ich warte damit noch und stelle Toms Schnitzarbeiten erst morgen aus.«

Nach einem letzten Blick zur Galerietür folgte Megan Rose seufzend in die Camping-Abteilung, und Winter schloss leise die Verbindungstür. Sie fuhr sich durch die langen blonden Locken, richtete sich mit einem beruhigenden Atemzug zu ihrer ganzen Größe von eins fünfundsechzig auf und ging zurück in die Galerie.

Mr. Tigerauge stand noch immer mit dem Gesicht zur Wand. Er hatte sich bis zu einem Gemälde vorgearbeitet, das an der Stirnseite des Ladens hing, die Arme vor der Brust verschränkt, das Kinn auf eine seiner großen gebräunten Fäuste gestützt, eine Haltung, die bewirkte, dass sich der Stoff seines teuren Anzugs eng um seine Schultern spannte, die eine beeindruckende Breite aufwiesen. Er warf Winter nur einen beiläufigen Blick zu, als sie an den Ladentisch trat, dann widmete er sich wieder dem Bild.

Es war ein großformatiges Aquarell, das es ihm offenbar besonders angetan hatte. Sie hatte die nächtliche Szene, die einen Bergwald im Mondschein zeigte, vergangenes Frühjahr gemalt und Moon Watchers genannt. Um einen dicken alten Baumstumpf drängten sich drei Bärenjunge, deren geplagte Mutter sich ein Nickerchen gönnte, während die Kleinen im Dunkeln spielten. Eines der Jungtiere hockte gewagt oben auf dem Stumpf, die kleine Schnauze himmelwärts richtend, und heulte die große silberne Scheibe am sternenübersäten Himmel an, während seine Geschwister mit gebanntem Ausdruck auf den mondbeschienenen Gesichtern zusahen. Und wenn man das Bild lange genug betrachtete, fielen dem Betrachter noch andere, im Dunkeln verborgene Nachtgeschöpfe auf, die die kleinen Bären im Mondschein heimlich beobachteten.

Es war ein Bild, das wegen seines verspielten Motivs und der mystischen Stimmung normalerweise eher weibliche als männliche Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

Winter wandte ihren Blick zu dem davor stehenden Mann.

Er war mindestens so groß wie ihr Vetter Robbie MacBain, und Robbie maß knapp zwei Meter in Socken. Die Schultern dieses Mannes waren ebenso breit, seine Beine so lang und muskulös unter dem perfekt sitzenden Maßanzug, seine Hände ebenso groß und kräftig. Er hatte den Körper eines Athleten, was zeigte, dass er, wer immer er sein mochte, nicht seine gesamte Zeit in Sitzungsräumen mit Papierkram zubrachte.

Wie Megan ertappte Winter sich dabei, dass sie seinen Zopf fragwürdig fand, falls er wirklich ein erfolgreicher Geschäftsmann sein sollte. Er trug sein braunes Haar, das dicht und glatt war, aus dem Gesicht gekämmt und im Nacken mit einer dünnen Lederschnur zusammengebunden. Winter schätzte, dass sein Haar, wenn er es offen trug, gerade seine Schultern streifte.

Plötzlich wurde ihr klar, dass sie ihn ebenso ungehörig anstarrte, wie Megan und Rose es getan hatten. Mit einem lautlosen Seufzer senkte Winter den Blick auf den Zettel, den Tom auf die Ladentheke gelegt hatte, als er seine jüngste Kollektion von Holzfiguren gebracht hatte. Eine kurze Liste, wie Winter sah, als sie sich darauf zu konzentrieren versuchte. Diesmal waren es nur fünf Stück, die dort aufgeführt waren.

Die erste Figur auf der Liste war ein Backenhörnchen, für das Tom hundertfünfzig Dollar verlangte. Die nächste war ein Fuchs, den er mit zweihundert ausgepreist hatte. Eine Forelle sollte vierhundert Dollar kosten, eine Schneeeule zweihundert.

Winter lächelte, als sie die letzte Figur sah – eine ihre Brut im Nest hegende Krähe, für die er zwölfhundert Dollar verlangte.

Tom oder Talking Tom, wie er im Ort liebevoll genannt wurde, schnitzte jede Menge Krähen. Und immer verlangte er einen höheren, wenn nicht sogar lächerlich hohen Preis für sie. Das Erstaunliche war, dass Winter in den letzten eineinhalb Jahren in ihrer Galerie ziemlich viele dieser Krähen verkauft hatte. Je teurer etwas war, desto begehrenswerter war es für die Touristen.

Talking Tom. Mindestens siebzig Jahre alt, war er an einem schönen Aprilmorgen vor zweieinhalb Jahren einfach in Pine Creek aufgetaucht und seither meist für sich geblieben. Man wusste nicht viel von ihm, außer der Tatsache, dass er mit sich selbst redete, wenn er die Wälder durchstreifte – daher auch der Spitzname Talking Tom. Da er sich mit krankem Getier gut auskannte, brachten die Leute ihre kranken Haustiere meist zu Tom, anstatt die vierzig Meilen bis zum nächsten Tierarzt zu fahren.

Soweit Winter wusste, hatte Tom niemandem seinen Nachnamen genannt. Er war scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht und hatte sich in einer alten verlassenen Hütte auf dem Bear Mountain einquartiert, der sich am Ortsrand und Ostufer des Pine Lake erhob.

Winter hatte spontan Zuneigung zu Tom empfunden, weil sie in ihm eine verwandte Seele erkannte. Wenn Tom seine kleinen Kunstwerke schuf, verlieh er wie sie dem Wald und seinen Geschöpfen eine magische und geheimnisvolle Aura. Seine fein gearbeiteten Holzfiguren waren wie ihre Bilder eher mystisch als realistisch.

Winter hatte fast ein ganzes Jahr benötigt, um Tom zu überreden, seine kunstvollen Figuren in ihrer Galerie zu verkaufen. Seine Bedürfnisse waren gering, und ein guter Teil des Geldes, das er mit seinen Schnitzereien verdiente, gab er oft für andere aus. Kam er in die Stadt, war er meist in Dolan’s Outfitter Store anzutreffen, und jedes weibliche Wesen – von der Neugeborenen bis zur Neunundneunzigjährigen, verheiratet oder ledig – verließ den Laden mit einer Packung Schokolade. Rose bestellte Schokolade inzwischen kistenweise, seitdem Toms Neigung, die Damen zu verwöhnen, ihre Bestände immer rasch dahinschmelzen ließ.

»Übernimmt sie auch Auftragsarbeiten?«

Winter blickte auf und hielt die Luft an. Wie hatte sie vergessen können, dass sie einen Kunden im Laden hatte. Zumal einen solchen! »Wie bitte?«, fragte sie.

»Die Künstlerin«, sagte er, und wies mit einem Kopfnicken auf die Bilderwand. »Übernimmt sie auch Auftragsarbeiten?«

»Ja … ja, sie nimmt auch Aufträge an.«

Eine seiner dunklen Brauen wölbte sich. »Das sind Ihre Bilder«, stellte er leise fest, als er wieder den Blick auf die Wand richtete. Er betrachtete das große Aquarell noch eine Weile, dann drehte er sich zu ihr um und sah sie mit seinen tiefgoldenen Augen an. »Ich nehme die Moon Watchers«, sagte er. »Aber ich möchte das Bild hierlassen, bis ich eine Wand habe, an der ich es aufhängen kann.«

Winter blickte ihn verwirrt an. »Eine Wand, um es daran aufzuhängen?«, wiederholte sie.

Er ging ein paar Schritte auf sie zu, blieb dann stehen und lächelte verschmitzt. Es war das Lächeln eines kleinen Jungen und passte nicht in ein Gesicht, das … das so maskulin war.

»Ich werde hier in Pine Creek bauen«, erklärte er, »und möchte das Bild bei Ihnen lassen, bis mein Zuhause fertig ist.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Wand, ohne den Blick von Winter abzuwenden. »Wenn Sie wollen, können Sie es hier ausstellen, und ich komme und sehe es mir an, wann immer ich möchte. An Stelle des Preises machen Sie ein ›Verkauft‹-Schild. Geht das in Ordnung?«

Sie durfte nicht länger in seine Augen starren! Sie konnte nicht denken, geschweige denn dem Gespräch folgen, und benahm sich noch alberner als Megan und Rose. Winter riss ihren Blick los und suchte auf dem Ladentisch, bis sie ihr Verkaufsbuch unter Toms Liste entdeckte und schließlich einen Stift fand.

Als Nächstes fand sie ihren Verstand und dann ihre Stimme wieder. »Kein Problem, wenn Sie das Bild hierlassen möchten. Sagen Sie bitte, was Ihnen an Moon Watchers gefallen hat, Mr. … Mr. …« Sie verstummte, den Stift schreibbereit, um seinen Namen zu notieren.

Sie blickte auf, als er sich mit der Antwort Zeit ließ und sah, dass er nur zwei Fuß entfernt dastand und seine goldenen Augen ihren Blick erwiderten. »Gregor«, sagte er leise, und seine tiefe Stimme jagte ihr wieder Schauer über den Rücken. »Matt Gregor. Ich hatte immer schon eine Schwäche für Bären.«

Sie versuchte mühsam, sich zusammenzureißen. Er war schließlich nur ein Kerl. Zugegeben, ein umwerfender Kerl, sie aber benahm sich, als hätte sie noch nie mit einem Mann gesprochen, geschweige denn mit einem, der ihr gefiel. Wieder riss Winter ihren Blick von ihm los und schrieb seinen Namen oben auf das Blatt. Sie notierte den Titel des Bildes und wollte den Preis daneben schreiben.

Eine große, warme Hand legte sich auf ihre, und Winter hielt den Atem an. Aufblickend sah sie, dass Gregor sie wieder wie ein kleiner Junge anlächelte. Sie konnte sein Lächeln nur hilflos erwidern.

»Zwanzig Prozent Nachlass, wenn ich ein zweites Bild nehme«, forderte er mit herausfordernd funkelnden Augen. »Ich möchte auch das kleine Aquarell mit dem Panther.«

Langsam und sehr bemüht, ihn nicht merken zu lassen, wie seine Berührung sie verwirrte, entzog sie ihm ihre Hand. »Tut mir leid, aber der Panther ist unverkäuflich«, gab sie zurück. »Er gehört zu meiner Privatsammlung. Das Bild hängt nur hier, weil ich gerade ein anderes Bild verkauft habe.«

Matt Gregors Miene verwandelte sich von der eines kleinen Jungen zu der eines Jägers auf der Pirsch. Aus seinen Augen wich das Lächeln. »Ich zahle für den Panther so viel wie für die Moon Watchers«, äußerte er mit ruhigem Nachdruck. »Keinen Nachlass auf beide.«

Verdammt! Wenn er sie so ansah, hätte sie ihm am liebsten alle Bilder der Galerie gegeben – besonders den Panther. Winter verkniff sich mit Mühe ein lautes Wutschnauben. Matt Gregor war es gewohnt zu bekommen, was er wollte, das stand fest.

»Gesader ist unverkäuflich«, sagte sie und bekräftigte ihre Worte mit einem Kopfschütteln. »Suchen Sie sich etwas anderes aus, das Ihnen gefällt, und Sie bekommen einen Rabatt.«

Er verschränkte die Arme und betrachtete sie auf ähnliche Weise wie ihre Bilder. Winter spürte, wie ihr Wärme in die Wangen stieg, doch hielt sie unbeirrt seinem Blick stand, entschlossen, sich ihre Verwirrung nicht anmerken zu lassen.

Winter konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zum letzten Mal von einem Mann so provoziert gefühlt hatte. Und innerlich so warm und dem Dahinschmelzen nahe. Und so herausgefordert.

Sie legte den Stift weg und kam hinter dem Ladentisch hervor, um an Matt Gregor vorbei zur Bilderwand zu gehen. Vor einer kleinen Pastellzeichnung blieb sie stehen und verschränkte die Arme. »Wenn Sie Katzen mögen, hätte ich hier die Zeichnung eines Maine-Luchses.«

Sie spürte, dass er neben sie trat, wandte den Blick aber nicht von der Zeichnung eines verwirrten Luchses auf der Suche nach dem Hasen, den er jagte. Im Hintergrund sah man einen perfekt getarnten Schneehasen. »Wenn Sie in dieser Gegend ein Haus planen, Mr. Gregor, könnte ich mir denken, dass Ihnen Bilder zusagen, die einheimisches Wild zeigen. In Maine gibt es zwar keine Panther, dafür aber Luchse, Rotluchse und Bären.«

»Woher haben Sie den Namen Gesader?«, fragte er, ohne auf ihren Vorschlag einzugehen.

Ihr Blick glitt die Wand hinunter zu dem kleinen Aquarell des schwarzen Leoparden, der auf einem starken Ast döste. »Das heißt ›Zauberer‹ auf Gälisch«, sagte sie mit liebevollem Lächeln.

»Gälisch?«, wiederholte Matt Gregor und wandte sich ihr zu. »Mir war doch, als hörte ich bei Ihnen einen leichten Akzent heraus … Sind Sie Irin?«

»Nein, schottischer Abstammung«, sagte sie mit übertriebenem schottischen Zungenschlag. Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das neben dem Bild angepinnte Informationskärtchen und streckte ihm die Hand entgegen. »Winter MacKeage.«

Seine Hand verschluckte ihre. Sein Griff war warm und fest, aber nicht zu stark. »Sehr erfreut, Miss MacKeage.« Wieder zog er eine Braue hoch. »Oder etwa Mrs.?«

»Miss. Für meine Kunden Winter.«

Sein Handgriff wurde fester. »Ich bin noch kein Kunde, Miss MacKeage. Wir haben unser Geschäft noch nicht abgeschlossen.«

Winter zwang sich, dem Händedruck standzuhalten. »Für Moon Watchers den vollen Preis, aber Um Hasenbreite können Sie für die Hälfte haben«, bot sie ihm an und nickte in Richtung der Luchs-Zeichnung.

Matt Gregor, der noch immer ihre Hand festhielt, stieß einen leisen Seufzer aus. »Für den Panther kann ich Ihnen wohl kein Angebot machen, das Sie reizen würde, oder?«

Endlich bekam Winter ihre Hand frei, versteckte sie hinter dem Rücken und rieb ihre Finger, während sie langsam den Kopf schüttelte. »Tut mir leid, der ist unverkäuflich.«

Sein Blick wanderte von ihr zur Luchs-Zeichnung. Er studierte diese sekundenlang, ehe er wieder zu ihr schaute. »Einverstanden«, sagte er mit einem Nicken. Er zog den Sticker von der Wand, ging dann zu Moon Watchers und entfernte auch diesen. Dann ging er an den Ladentisch und legte die Sticker neben die halb ausgefüllte Rechnung, während Winter hinter den Tisch ging und zu ihrem Stift griff.

»Hm … ich komme noch einmal auf die Auftragsarbeit zurück«, sagte er, als sie zu schreiben anfing.

Sie hielt inne und blickte auf. »Was möchten Sie? Allerdings zeichne ich ausschließlich lebendige Wesen.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Es geht nicht um ein Bild, Winter MacKeage, sondern um Ihren Blick.«

Winter legt den Stift aus der Hand. »Wie bitte?«

»Um Ihren Künstlerblick«, sagte er geheimnisvoll. »Ich möchte Sie beauftragen, den Standort für mein Haus auszusuchen.«

Winter konnte ihn nur anstarren.

»Und dann sollen Sie nach Ihrer Vorstellung ein Aquarell von dem Haus anfertigen.«

»Nach meiner Vorstellung?«, wiederholte sie erstaunt. »Sie meinen wohl nach den Bauplänen? Aber man fertigt doch eher ein Modell an.«

Er schüttelte den Kopf. »Es gibt noch keine Pläne. Ich möchte Ihr Aquarell den Architekten zeigen und mein Haus an der von Ihnen ausgesuchten Stelle bauen lassen.«

Nun war Winter völlig sprachlos.

Matt Gregor stieß wieder einen leisen Seufzer aus, stützte beide Hände auf den Ladentisch und beugte sich zu ihr. »Es ist eine einfache Bitte, Winter. Vor zwei Jahren habe ich Bear Mountain gekauft, und jetzt bin ich bereit, dort zu bauen … sobald Sie den optimalen Standort für diese Gegend gefunden haben.«

»Und warum ich?«

Er beugte sich noch tiefer zu ihr. »Weil mir gefällt, was Sie für den Wald empfinden und was Sie in ihm sehen.«

»Ein Haus ist aber etwas sehr Persönliches.«

»Ja«, gab er ihr bereitwillig recht, richtete sich auf und verschränkte wieder die Arme. »Aber wenn Sie ein paar Tage mit mir mein Land durchstreifen, werden Sie mich gut genug kennen, um sich etwas einfallen zu lassen, das mir gefällt.«

Winter war nicht mehr verwirrt, sie war wieder beunruhigt. Plötzlich kam ihr ein Gedanke. »Sollte Ihre Frau nicht ein Wörtchen beim Bau mitzureden haben?«

»Ich bin nicht verheiratet.«

»Ach so … nun ja … ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Ich bin Malerin, Mr. Gregor, und nicht Architektin.«

»Ich heiße Matt«, sagte er leise, griff in seine Anzugjacke und zog eine schmale schwarze Lederbrieftasche heraus. »Und ich bitte Sie nicht, mein Haus zu planen, sondern es sich nur vorzustellen und den Standort auszusuchen.« Er zog eine Kreditkarte heraus und legte sie auf den Ladentisch neben die noch immer nicht fertige Rechnung. »Ich habe eine Suite im TarStone Ski Resort gebucht«, fuhr er fort, zog eine Visitenkarte heraus und legte sie neben seine Kreditkarte.

Er griff zu ihrem Stift und schrieb VERKAUFT in schwarzen Blockbuchstaben auf die Rückseite des Schildchens, ging zurück und pinnte es neben Moon Watchers an die Wand. Dasselbe machte er mit Um Hasenbreite.

Winter war endlich mit der Rechnung fertig, steckte seine Kreditkarte in das Lesegerät, riss den Ausdruck des Apparates ab und reichte ihm diesen zur Unterschrift.

Er unterschrieb zügig, nahm sodann Kreditkarte und Empfangsbestätigung und steckte sie in seine Brieftasche. »Es ist doch kein Problem, wenn ich meine Bilder hierlasse?«, fragte er.

»Nein, kein Problem. Ihnen also gehört Bear Mountain? Wollen Sie sich fest in Pine Creek niederlassen oder sich nur ein Ferienhaus bauen?«

»Ich baue ein Domizil, weiß aber noch nicht, wann ich umziehe«, sagte er und steckte die Brieftasche wieder in seine Jacke. »Das hängt von meinem Bruder ab.«

»Von Ihrem Bruder?«

Matt Gregor lächelte freundlich und ging nach einem kurzen Nicken zur Tür. Dort blieb er stehen und drehte sich um. »Ich erwarte, dass Sie sich mit mir morgen um zehn in der Lobby des TarStone treffen und mir Ihre Zusage geben. Enttäuschen Sie mich nicht, Winter. Absagen nehme ich nicht gut auf.« Er sagte es, öffnete die Tür und ging unter dem Gebimmel der Türglocke hinaus.

Winter griff nach der Visitenkarte, die er hinterlassen hatte. Matheson Gregor stand in fetten grünen Buchstaben darauf, dazu eine Adresse in New York City, allerdings ohne Bezeichnung einer Geschäftsbranche. Sie sah zu dem Bild

2

Verflixtes stures altes Biest«, grollte Winter, als sie den Sattelgurt zum zehnten Mal anzog.

Ein leises Lachen von links, und Winter blickte auf und sah ihren Vater die Boxen entlanggehen. »Den armen alten Snowball auszuschimpfen, hat in zwanzig Jahren nicht ein einziges Mal etwas bewirkt«, sagte Greylen MacKeage, der Winter wegdrängte und dann geduldig wartete, bis das alte Zugpferd das Spielchen satt hatte und schließlich ausatmete. Rasch zog Greylen den Riemen stramm und stellte den Steigbügel auf die richtige Höhe ein. »Und wohin schleichst du dich in aller Herrgottsfrühe eine Stunde vor Sonnenaufgang davon?«, fragte er und drehte sich zu ihr um.

Winter sah ihn mit hilflosem Lächeln an. »Was hat mich verraten? War es das Dielenbrett, das du nicht festmachen willst? Ich war sicher, dass ich es heute ausgelassen habe.«

Ihr Vater zupfte liebevoll an einer losen Strähne, die dem dicken Zopf entschlüpft war, der ihr über den Rücken hing. »Ich brauche kein knarrendes Dielenbrett, um zu wissen, wenn eine meiner Töchter aus dem Haus schleicht.« Er wurde ernst. »Du willst zum Bear Mountain, stimmt’s? Ich dachte, wir hätten gestern beim Dinner entschieden, dass du Gregors Auftrag nicht annimmst.«

»Ich selbst habe noch nicht entschieden. Du und Mama habt die Entscheidung getroffen, und zwar ausschließlich auf Grund von Megans Aussage.«

»Deine Schwester schilderte uns Matt Gregor als gefährlich aussehenden Mann«, konterte er leise, wobei seine Augen sich vor väterlicher Besorgnis verdunkelten. »Außerdem sagte sie, er wäre so groß wie Robbie. Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass du mit ihm die Wälder durchstreifst.«

Winter verdrehte die Augen. »Für Megan ist jeder Mann groß und gefährlich. Sie ist ja nicht einmal eins sechzig. Sogar ich komme ihr groß vor.«

»Wir wissen nichts über Gregor«, entgegnete Greylen und pflanzte sich mit verschränkten Armen in väterlich autoritärer Haltung vor ihr auf. »Nur, dass er gestern in unserem Hotel abstieg und an der Rezeption sagte, er würde mindestens einen Monat bleiben.«

Das Gebaren ihres Vaters hatte bei Winter kein einziges Mal in vierundzwanzig Jahren gewirkt, und das tat es auch an diesem Morgen nicht. Winter lächelte. »Ich mache nur einen Ausritt auf den Bear Mountain, Papa, um mich ein wenig umzusehen, ehe ich Mr. Gregor meine Antwort gebe.«

»Du wirst diesen Auftrag annehmen«, murmelte Greylen. Dann kniff er warnend die Augen zusammen. »Versprich mir aber, dass du immer jemanden mitnimmst, wenn du mit diesem Kerl durch die Wälder streifst.«

»Zählt dabei auch Gesader?«, fragte sie und verkniff sich ein Schmunzeln.

Greylen MacKeage überlegte schweigend, strich über sein Kinn und nickte schließlich. »Das Tier würde jeden töten, der versucht, dir etwas anzutun.« Er schüttelte den Kopf. »Mich verblüfft immer wieder, dass du deine Kindheit überlebt hast, ehe dieser Panther daherkam. Jedes graue Haar auf meinem Kopf beweist, wie oft ich dir nachjagen oder dich aus irgendeinem Schlamassel ziehen musste, in das du geraten warst.«

Winter stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Es tut mir leid, dass ich für dich eine solche Plage war, Papa, aber ich liebe dein Grau«, flüsterte sie und strich mit den Fingern durch sein Haar. »Es macht dich so nobel und weise.«

Ehe sie einen Schritt weg von ihm tun konnte, zog er sie in eine Umarmung, die ihre Zehen vom Boden hob. »Du warst keine Plage, Kleine, du warst mein achtes kostbares Glück.«

Winter lächelte in seine Schulter. Ihre Mutter war das erste Glück ihres Vaters, und seine sieben Töchter verachtfachten es, wie er ihnen immer wieder versicherte. »Ich hab dich lieb, Papa. Mach dir meinetwegen keine Sorgen. Ich habe einen ganzen Wald voller Beschützer.«

»Ja«, knurrte er, ehe er sie wieder auf die Füße stellte. Er machte Snowball von seiner Kette los und reichte ihr die Zügel. »Warte draußen auf mich. Ich reite ein Stück über den TarStone mit dir.«

»Und was hast du so früh am Morgen zu tun?«

Seine Augen funkelten wild. »Der alte Priester hat mich zum Frühstück eingeladen.« Er schüttelte den Kopf. »Er muss etwas sehr Wichtiges wollen, wenn er wagt, mich statt Robbie MacBain zu sich zu bitten.«

Winter lachte auf und führte Snowball aus dem Stall. »Und deine Neugierde hat die Oberhand gewonnen«, sagte sie über die Schulter. »Und deshalb schleichst du dich auch vor Sonnenaufgang aus dem Haus.«

Draußen führte Winter Snowball zu einem als Aufstiegshilfe gedachten Treppchen. Ihr Onkel Ian MacKeage hatte die Stufen vor fast dreißig Jahren gebaut, als Winters älteste Schwester Heather mit dem Reiten begonnen hatte.

Alle sieben MacKeage-Mädchen hatten zum Entsetzen ihrer Mutter reiten gelernt, fast ehe sie laufen konnten. Ihr äußerst eigenwilliger Onkel Ian hatte sie an den Umgang mit großen Pferden gewöhnt und Grace MacKeage gleichzeitig zu überzeugen versucht, dass ihre Töchter auf lammfrommen Großformaten sicherer wären als auf Ponys. Snowball war Ians Geschenk zu Winters fünftem Geburtstag. Sie hatte noch den Aufschrei ihrer Mutter im Ohr, als sie unter dem Bauch ihres neuen Lieblings durchgegangen war, ohne mit dem Kopf das Pferd zu streifen.

Snowball und Winter hatten sofort aneinander Gefallen gefunden und im Verlauf zwanzig abenteuerlicher Jahre die Wälder um TarStone Mountain gemeinsam erkundet.

»Ich weiß, dass dir dein Onkel noch immer fehlt, Mädchen, doch solltest du daran denken, dass er jetzt glücklich ist«, sagte ihr Vater, als er sein eigenes Pferd zu ihr führte.

Winter merkte, dass sie das Treppchen anstarrte, das ihr Onkel vor so langer Zeit liebevoll für sie gezimmert hatte. »Ich konnte ihm nicht einmal Lebewohl sagen. Er ging ohne ein Abschiedswort von uns«, antwortete sie traurig.

Ihr Papa hob ihr Kinn an, damit sie sein zärtliches Lächeln sehen konnte. »Er hinterließ dir eine Nachricht, Mädchen, in der er dir sagte, wie lieb er dich hat.«

»Glaubst du … glaubst du, dass er noch am Leben ist, Papa?«, fragte Winter, als sie Snowball bestieg.

»Ja. Er ist erst seit zwei Jahren fort, und Ian standen noch viele gute Jahre bevor. Er ist mit seiner Frau und den Kindern zusammen. Da er glücklich ist, solltest auch du für ihn glücklich sein.«

»Ich kann für ihn glücklich sein und ihn dennoch vermissen.« Sie stellte sich auf die oberste Stufe und drehte sich zu Snowball um. »Du …versprich mir, dass du nicht plötzlich verschwindest, Papa, ja?«, bat sie mit einem Blick zurück.

Er schüttelte langsam den Kopf. »Das verspreche ich. Ich bleibe hier, bis die Engel mich dir entreißen.«

Auch Greylen stieg in den Sattel, dann trieb er sein Pferd an, den Blick auf den Gipfel des TarStone richtend. »Der verdammte alte Priester tut gut daran, nichts im Schild zu führen«, sagte er und blickte sich nach Winter um. »Ich werde langsam zu alt für seine Possen.«

»Dann bist du sicher auch zu alt für ein Wettreiten!«, rief sie und trieb Snowball zum Galopp an.

In Sekundenschnelle war ihr Vater wieder an ihrer Seite, wobei sein eigenes Pferd sich leichtfüßiger bewegte. Greylen MacKeage ritt kein Zugpferd wie seine Töchter, sondern ein halbwildes Tier, einen Nachkommen des Schlachtrosses, das es mit ihm vor achtunddreißig Jahren durch den großen Strudel des Zeitsprungs geschafft hatte.

Der alte Priester Daar – in Wahrheit ein uralter Druide namens Pendaar – hatte einen Zauber gesprochen, der vier MacKeage- und sechs MacBain-Krieger mit ihren Schlachtrössern aus dem mittelalterlichen Schottland achthundert Jahre in die Zukunft katapultiert hatte. Fünf der MacBains waren in den ersten zwei Jahren hier verstorben. Winters Vater Greylen und ihre Onkel Ian, Callum und Morgan sowie Robbies Vater Michael MacBain waren als Einzige von den ursprünglichen zehn übriggeblieben.

Nur war Ian vor zweieinhalb Jahren in seine alte Zeit zurückgekehrt. Robbie MacBain hatte ihn durch den mächtigen Malstrom geleitet. Robbie, der den zwei Clans zugehörige und selbst mit magischen Kräften ausgestattete Wächter, konnte dank seiner Fähigkeiten seine Lieben schützen und verstand es, Vater Daar einigermaßen zu zügeln.

Winter, die diese fantastische Geschichte von Kindesbeinen an immer wieder zu hören bekommen hatte, begriff sehr bald, dass es sich um ein streng gehütetes Familiengeheimnis handelte. Zauberei war für moderne Menschen etwas Unfassbares, etwas, das man lieber der Fantasie von Romanautoren und Filmproduzenten überließ. Dass sie selbst der lebendige Beweis für die Existenz dieser Zauberkräfte war, bedeutete Winter wenig, da sie damit aufgewachsen war, dass man das Unerklärliche hinzunehmen hatte. Sie zügelte Snowball zum Schritttempo, als sie das Ende der mondbeschienenen Wiese erreichten und in die Dunkelheit des Waldes eintraten.

»Falls du Tom auf deinem Morgenritt sehen solltest«, sagte ihr Vater, als er sein Pferd neben ihr hielt, »könntest du ihn darauf vorbereiten, dass sein Hausherr jetzt da ist.«

Winter hielt Snowball an. »Ach richtig … ich hatte ganz vergessen, dass Tom am Bear Mountain lebt. Du glaubst doch nicht, dass Mr. Gregor ihn aus seiner Hütte werfen wird, oder? Tom tut niemandem etwas, und die Hütte liegt ein ziemliches Stück vom Seeufer entfernt.«

Ihr Vater legte seine Hand auf ihre, die die Zügel hielt. »Man muss es ihm trotzdem sagen, Mädchen, damit es ihn nicht unvorbereitet trifft. Du kannst ihm ein Plätzchen auf TarStone anbieten oder vielleicht wird unser Vetter Robbie ihm seine Hütte auf West Shoulder Ridge zur Verfügung stellen.«

»Aber das ist zu weit von der Stadt entfernt. Tom ist schon alt. Er kann nicht so weit den Berg hinauf und hinunter.«

Greylen MacKeage zog seine Hand weg und zog eine Braue hoch. »Er ist etwa so alt wie ich«, sagte er leise. »Und zweiundsiebzig ist nicht alt.«

Winter tätschelte seinen Arm. »Natürlich bist du nicht alt«, beeilte sie sich, ihm zu versichern, als sie ihr Pferd auf einen Forstweg lenkte, der sich bis zur Höhe des TarStone Mountain dahinzog. »Hast du schon mal gehört, dass jemand den Blick eines Malers für einen Auftrag in Anspruch nimmt, nur weil ihm ein Bild des Malers gefiel?«

»Nein, aber unlogisch ist diese Idee nicht«, sagte er. »Wer wäre geeigneter, den Standort eines Hauses auszusuchen, als ein Maler? Deinem Mr. Gregor gefiel deine Arbeit, und dein ausgeprägter Blick für Einzelheiten ist offenbar genau das, was er braucht.«

»Er ist nicht mein Mr. Gregor.«

»Schon gut.« Er lachte. »Nur ein Versprecher.«

»Wenn ich … wenn ich dir jetzt etwas sage, Papa, versprichst du mir, dass du nicht überbesorgt und väterlich reagierst?«

Er hielt sein Pferd an, worauf Snowball automatisch ebenfalls stehen blieb, und sah sie in den heller werdenden Schatten der Dämmerung an. »Aber ich bin dein Vater. Es ist meine Pflicht, besorgt zu reagieren, wenn es um dich geht. Zumal wenn es um deinen Umgang mit Männern geht. Also, heraus damit, Mädchen. Sag schon, was dich an Gregor so beunruhigt.«

Ihr Vater hatte ihre Gedanken immer schon viel zu klar lesen können. Sie war auch so gut wie sicher, dass ihr gemeinsamer Morgenritt kein Zufall war.

»Er flößt mir irgendwie Angst ein«, flüsterte sie. »Nicht dass er mir körperlich etwas antun könnte, aber … innerlich. Ach, ich kann es nicht erklären. Er hat etwas an sich, das mich gestern beunruhigte, als er in meine Galerie kam«, sagte sie angewidert. »Als er mich mit seinen goldenen Augen ansah, hätte ich ihm am liebsten alle meine Bilder überlassen.«

»Ach, Mädchen«, sagte Greylen leise lachend, »du bist dem Zauber zwischenmenschlicher Chemie erlegen. Das passiert uns allen zuweilen, und meist dann, wenn wir es am wenigsten erwarten.«

»Chemie? Das also ist es? Ich wurde zu einer sinnlos quasselnden Idiotin, nur weil mir der Mann gefallen hat?« Sie schnaubte und setzte Snowball wieder in Bewegung. »Es war mehr als Chemie, das sage ich dir. Da war etwas … etwas sehr Beunruhigendes an ihm.«

»So beunruhigend«, sagte Greylen, der sie einholte, »dass du heute hier bist, weil du seinen Auftrag annehmen möchtest.«

Das war nicht die Reaktion, die sie von ihrem Vater erwartet hatte. Wieso untersagte er ihr nicht, sich mit Matt Gregor zu treffen? Warum schwang er sich nicht wie sonst zum Beschützer seines kleinen Mädchens auf?

»Winter«, sagte er und griff nach Snowballs Zügeln, um sie anzuhalten. »Das ist etwas, das du mit deiner Mutter besprechen solltest. Grace kann besser erklären als ich, wie es kommt, dass man an tausend gut aussehenden Männern vorübergeht, aber nur einer darunter sein wird, der dich in ganz besonderem Maße fesselt. Was du empfindest, ist ganz natürlich  – ein auffallender Mann zog deinen Blick auf sich. Was du damit anfängst, ist natürlich deine Sache. Du bist vierundzwanzig, Winter. Höchste Zeit, dass dir ein Mann Herzklopfen bereitet.« Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. Dann richtete er sich auf und trieb sein Pferd wieder an.

Snowball fiel automatisch in Gleichschritt mit ihm.

»Von Kindesbeinen an habe ich dich ermutigt, deinen eigenen Weg zu gehen«, fuhr er fort. »Ich wusste immer, dass dieser Weg dich einmal von mir weg und in die Arme eines anderen Mannes führen wird. Das ist Albtraum und Hoffnung aller Väter.« Er sah sie lächelnd an. »Ob Matt Gregor dieser besondere Mann für dich ist, entscheidest du, Winter.« Er sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Ich möchte aber, dass Robbie seine alten Militär-Beziehungen spielen lässt und etwas über Gregors Vergangenheit herausfindet – meinem Seelenfrieden zuliebe. Wenn Gregor der Geschäftsmann ist, als der er auftritt, halte ich mich zurück und überlasse es euch beiden, die Sache fortzuführen.«

Winter blickte ihren Vater ernst an. »Bist du nicht ein wenig vorschnell? Ich sagte nur, dass er mich verwirrt. Soviel ich weiß, habe ich auf Mr. Gregor keine entsprechende Wirkung ausgeübt.«

Ihr Vater ließ ein leises Lachen hören. »Glaub mir, du hast ihn ebenso verwirrt. Der Mann hat über sechstausend Dollar für zwei deiner Bilder hingeblättert und geradezu gefordert, dass du mit ihm sein Land durchstreifst. Du hast Gregor verwirrt. Ein Blick in dein schönes Gesicht, und er fand sofort einen sicheren Weg, es wiederzusehen.«

Winters ernste Miene verfinsterte sich, und sie trieb Snowball zu schnellem Schritt auf dem Forstweg an. Noch immer leise vor sich hin lachend holte ihr Vater sie ein. Schweigend ging es dahin, bis sie zu einer Weggabelung gelangten und wieder anhielten.

Greylen blickte im heller werdenden Licht um sich. »Ruf dein Tier«, sagte er. »Damit ich ein Wörtchen mit ihm reden kann.«

»Was lässt dich glauben, dass er in der Nähe ist?«

»Er belauert uns, seit wir von Gù Brath aufgebrochen sind.«

Winter führte ihre Finger an die Lippen und stieß einen scharfen Pfiff aus, der grell die frische Septemberluft durchdrang.

Gesader trat keine zehn Fuß entfernt aus dem Schatten heraus und zeigte seine großen weißen Zähne in einem von Knurren begleiteten Lächeln. Winters Vater saß ab, worauf sein nervös gewordenes Schlachtross ein paar Schritte zur Seite machte. Greylen ging auf den Panther zu, ließ sich auf ein Knie nieder und streckte seine Hand aus. Gesader ging direkt auf die Handfläche zu und duckte den Kopf, um sich die Ohren kraulen zu lassen. Winter glitt von Snowball und sah ihrem Vater zu, der sein Gespräch mit ihrem Raubtier fortsetzte.

»Ich möchte deine Meinung über diesen Gregor«, sagte er zum Panther. »Einmal tüchtig schnüffeln, und du müsstest wissen, ob er mit unserem kleinen Mädchen ehrliche Absichten verfolgt.«

»Glaubst du wirklich, er versteht, was du sagst?«, fragte Winter. »Du sprichst mit ihm wie mit einem Menschen.«

»Du doch auch«, rief Greylen ihr in Erinnerung. »Und wenn Gesader ein Mensch wäre«, sagte er, richtete sich auf und wandte sich ihr mit einem Lächeln zu, das bis in seine grünen Augen reichte, »hätte ich ihn nicht zwei Jahre lang in deinem Bett schlafen lassen.« Er blickte auf Gesader hinunter. »Obwohl Megan im Moment nachts seine Gesellschaft gut gebrauchen könnte.«

»Gesader hat mit Megan viel Zeit verbracht, seitdem sie nach Hause gekommen ist«, sagte Winter und kraulte geistesabwesend sein Ohr. »Er begleitet sie bei ihren Wanderungen im Wald, und manchmal ertappe ich ihn in ihrem Bett. Als ob er wüsste, wann ihr nach Kuscheln zumute ist.«

»Tiere haben ein Gespür für unsere Stimmungen«, sagte Greylen, der zu seinem Pferd ging und sich in den Sattel schwang. Dann drehte er das Tier und blickte sie an. »Behalte einen kühlen Kopf, wenn du mit Gregor zu tun hast. Sieh zu, dass du beim nächsten Mal nicht zur ›quasselnden Idiotin‹ wirst. Und genieß die Aufregung, Mädchen. Wenn du Glück hast, erlebst du das alles nur einmal im Leben.«

Nachdem er seine Instruktionen gegeben hatte, lenkte Laird Greylen MacKeage sein Ross bergauf zu Daars Hütte. Er winkte über die Schulter, ehe er im dichten Wald verschwand.

Winter blickte auf Gesader hinunter und streichelte das Fell an seiner Schulter. »Du darfst mitkommen, aber denk daran, dass du unsichtbar bleiben musst. In der Stadt sind schon Gerüchte von einer großen schwarzen Katze im Umlauf. Deine Sicherheit hängt davon ab, dass du nur ein Gerücht bleibst. He«, sagte sie überrascht, ging in die Hocke und umfasste seinen Nacken mit beiden Händen. »Wie konnte das passieren?«

Sie rieb ihre Finger aneinander. »Das ist getrocknetes Blut«, sagte sie und legte seinen Kopf schräg, damit sie besser sehen konnte. »Dein Blut«, fuhr sie fort und strich über einen eingetrockneten Schnitt am Halsansatz. »Was hast du angestellt? Hat sich dein Abendessen gestern zur Wehr gesetzt?«

Winter wusste, dass Gesader selbst jagte, obwohl sie ständig ausreichend frisches Fleisch für ihn auf Gù Brath bereithielt. Als Robbie ihn ihr als winziges Kätzchen brachte, hatten er und ihr Vater sie wiederholt gewarnt, dass ihr Liebling ein wildes Tier war, dessen Instinkte sehr wahrscheinlich mit den Jahren die Oberhand gewinnen würden.

3

Tom! Bist du da?«, rief Winter, als sie auf die kleine Lichtung am Ostufer des Pine Lake ritt. »Tom!«

Sie saß ab und führte Snowball zu der Hütte, die sich unter den Bäumen im Hintergrund der Lichtung versteckte, außer Reichweite der heftigen Stürme, die mitunter vom See her wehten. Der gefährlich windschiefe Bau musste schon über ein Jahrhundert auf dem Buckel haben, die Baumstämme, aus denen er bestand, hatten eine schimmernde graue Patina, die übergroßen Dachtraufen berührten fast die aufragenden Stämme der Fichten zu beiden Seiten.

Beim Anblick der Hütte lächelte Winter unwillkürlich. Aus dem krummen Rauchfang der Hütte stieg Rauch auf, zwei winzige Vorderfenster und eine schmale Holztür verliehen ihr etwas Märchenhaftes, so dass sie immer erwartete, ein Zwerg würde an Stelle Toms heraustreten und sie begrüßen. Als sie ihm dies einmal anvertraute, hatte Tom nur sein liebes Lächeln gezeigt und ihr geraten, ihrer Fantasie lieber Zügel anzulegen, da sie eines Tages hier vielleicht noch ihr blaues Wunder erleben würde, wenn etwas noch viel Unglaublicheres sie empfing.

»Tom!«, rief sie wieder, ließ Snowballs Zügel fallen und ging an der Hütte vorüber zu einem ebenso desolaten Schuppen dahinter. »Ich möchte Tee und Toast!«

»Kann mich nicht besinnen, dass wir uns zum Frühstück verabredet hätten«, sagte Tom, der aus dem Schuppen trat und Staubflusen von seinem dicken Flanellhemd streifte. Er blieb stehen und zog die schiefe alte Tür zu, dann drehte er sich um und lächelte sie an. »Und welchem Umstand verdanke ich diese angenehme Überraschung?«

Winter sah ihn ernst an. »Tom, du verstehst dich doch auf die Arbeit mit Holz. Warum reparierst du nicht endlich die alte Tür?«

Er zog die Schultern hoch, nahm ihre Hand und führte sie zur Vorderseite seiner Hütte. »Ich möchte den ursprünglichen Zustand dieses Ortes bewahren. Was gibt’s?«, fragte er und blieb stehen, um Snowball zu begrüßen und ihm seinen Sattel abzunehmen. Das Pferd machte sich sofort davon, auf die Suche nach einem Fleck, wo es sich gut grasen ließ.

Tom öffnete die Hüttentür und bat Winter mit einladender Geste hinein. »Falls du hier bist, um herauszubekommen, woran ich arbeite, dann kannst du dir deine Mühe sparen. Kein Mensch bekommt meine Arbeiten zu sehen, ehe sie fertig sind. Du schon gar nicht.«

Winter blieb im Eingang stehen und klopfte ihm den restlichen Staub vom Hemd. »Nicht einmal eine Andeutung? Ich habe etwas Großes hier drinnen erspäht, unter einem Tuch. He, das ist ja kein Holzstaub, sondern Steinstaub!«, rief sie und rieb das Pulver zwischen den Fingern. Ihre Augen wurden groß. »Arbeitest du mit Stein, Tom?«

Tom fasste nach ihrer staubigen Hand und führte sie in die Hütte. Dort steuerte er auf den Tisch und die Stühle neben einem uralten Ofen zu. »Kann sein«, sagte er, als er die Ofentür öffnete und in der Glut stocherte. »Aber es geht dich nichts an, Miss Neugierig.« Als er einen Blick über die Schulter warf, strahlten seine klaren blauen Augen vor Heiterkeit. »Ich könnte ja auch Werkzeug an meinem Wetzstein geschärft haben.«

Ehe sie sich setzte, zog Winter ihre Jacke aus und ließ sie auf die Stuhllehne fallen. »Wir sind Geschäftspartner, Tom. Wir sollten keine Geheimnisse voreinander haben.«

Er richtete sich auf und sah sie an. Im heller werdenden Sonnenlicht, das durch die noch offene Tür einfiel, zeigten sich Lachfältchen um seine Augen. »Du verrätst mir eines deiner Geheimnisse, und ich verrate dir eines von mir.«

»Okay«, sagte sie und faltete die Hände mit erwartungsvollem Lächeln im Schoß. »Auf dem TarStone gibt es tatsächlich einen Panther. Er heißt Gesader und gehört mir.«

Toms heitere Miene wich Ernst. Er setzte sich ihr gegenüber und legte die gefalteten Hände auf den Tisch. »Es gibt ihn also«, flüsterte er. »Ich wusste, dass es keine Einbildung war. Ist er dein Tier?« Eine seiner buschigen grauen Brauen hob sich. »In dem Sinn, dass du ihn so adoptiert hast wie alle anderen Waldtiere auch?«

»In dem Sinn, dass er die meisten Nächte in meinem Bett schläft«, sagte sie, und nun funkelten ihre Augen. »Ich habe ihn schon als Junges bekommen.«

Tom lehnte sich zurück und kratzte sich die spärlichen weißen Bartstoppeln an seinem Kinn. »Gesader hast du ihn genannt. Ich nehme an, dass das ein gälischer Name ist. Was heißt das?«

»Zauberer.«

»Ist er ein Leopard oder ein Jaguar?«

»Ein Leopard. Man sieht die Flecken in seinem schwarzen Fell, wenn die Sonne darauf scheint.«

»Wie alt ist er?«

»Er wird drei im nächsten Frühjahr.«

Wieder zog Tom die Brauen in die Höhe. »Und du konntest seine Existenz die ganze Zeit über geheim halten? Warum verrätst du es mir jetzt?«

»Weil ich dir vertraue. Und weil Gesader eine Nackenwunde hat, die du dir ansehen sollst. Ich muss wissen, ob sie genäht werden muss.«

Tom richtete sich auf seinem Stuhl auf, sein Blick schoss zur offenen Tür. »Ist er hier?«, flüsterte er. »Hat er dich begleitet?«

»Ja. Er ist im Wald und wartet auf meinen Ruf.«

Tom stand auf und wischte sich die Hände an der Hose ab, ohne den Blick von der Tür zu wenden. »Du rufst ihn einfach, und der Panther marschiert hier herein?«

»Ja«, wiederholte Winter und stand ebenfalls auf. »Er wird dir nichts tun, Tom. Er ist nur ein ausgewachsenes Baby.«

Tom warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. »Ein Baby mit scharfen Krallen, lang wie meine Finger«, murmelte er und atmete tief durch. »Na denn. Ruf dein … dein Haustier.«

Winter führte diesmal nicht die Finger an die Lippen, sondern pfiff einfach so durch die offene Tür. Lautlos erschien Gesader im Eingang. Anstatt hereinzukommen, setzte sich die große schwarze Katze hin, stieß ein wildes Fauchen aus und präsentierte seine Krallen.

»Benimm dich«, schalt Winter ihn. Sie ging hin und legte die Hand auf seinen Kopf. »Vor Tom brauchst du nicht so anzugeben. Er wird dir helfen.«

Gesader richtete den Blick seiner durchdringenden goldenen Augen auf Tom.

Winter winkte Tom, er solle näher kommen. »Ich verspreche, dass er dir nichts tun wird, Tom. Er will dich nur beeindrucken.«

Tom rührte sich noch immer nicht. »Ich bin beeindruckt«, flüsterte er und starrte den Panther an ihrer Seite mit aufgerissenen Augen an. »Wo ist er verletzt?«

»Am Schulteransatz.« Winter kniete nieder und neigte Gesaders Schädel zur Seite. »Die Wunde ist schon verkrustet. Es muss letzte Nacht passiert sein. Du … du könntest aus der Nähe besser sehen.«

»Ich sehe den Schnitt auch von hier aus. Er sieht gut aus. Wilde Tiere haben ein erstaunliches Immunsystem. Er dürfte keine Infektion bekommen.«

Gesader, dem offenbar die Einsicht kam, dass er zu dick aufgetragen hatte, stand auf und betrat auf leisen Sohlen die Hütte. Er ging direkt auf Tom zu und leckte dem alten Einsiedler die Hand.

Tom zuckte mit keiner Wimper, und Winter war nicht sicher, hatte aber den Eindruck, ihr alter Freund hielte den Atem an. Lachend folgte sie Gesader in die Hütte und setzte sich an den Tisch. »Tom, du hast eben einen Raubtierkuss bekommen. Gesader ist sonst eher sparsam mit seinen Liebkosungen.«

Nun erst blickte Tom auf das Tier hinunter. »Er … er wirkt eigentlich ganz zutraulich.« Er sah Winter an, und sie registrierte, dass seine Haltung sich entspannte und ein Mundwinkel sich zu einem Lächeln hob. »Vorausgesetzt, er wollte nicht prüfen, wie ich schmecke.«

»Los«, drängte Winter. »Sieh ihn dir genauer an.«

Tom setzte sich langsam und legte sacht seine Hand auf Gesader, wobei er dessen breiten schwarzen Kopf zur Seite drehte, damit er den Schnitt im Nacken sehen konnte. »Genäht muss da nicht werden. Es sieht schlimmer aus, als es ist, da er diese Stelle nicht mit der Zunge erreicht.« Er kraulte Gesaders Ohr ganz leicht.

Winter begann vorsichtig: »Ich bin noch aus einem anderen Grund gekommen, Tom. Ein Bursche namens Matt Gregor kam gestern in meine Galerie und kaufte zwei meiner Bilder. Er sagte, ihm gehöre Bear Mountain.«

Diese Neuigkeit schien Tom mehr zu verwundern als zu beunruhigen. »Um mir das zu sagen, bist du heraufgeritten? Warum? Mir doch egal, wem Bear Mountain gehört.«

»Wenn er etwas dagegen hat, dass du auf seinem Grund und Boden lebst, kann es dir nicht egal sein. Er will sich hier ein Haus bauen.«

Tom zog die Schultern hoch. »Der Berg ist groß genug für uns beide.«

»Papa sagte, du könntest am TarStone etwas bekommen. Vielleicht stellt dir mein Vetter Robbie eine Hütte auf West Shoulder Ridge zur Verfügung.«

Tom stützte sich auf den Tisch, die Hände vor sich gefaltet, seine klaren blauen Augen auf gleicher Höhe mit ihren. »Diese Hütte gefällt mir. Sag deinem Vater, dass ich mich für sein Angebot bedanke, doch ich bleibe hier.«

»Aber Mr. Gregor könnte …«

»Wenn Mr. Gregor der ganze Berg gehört, dann gehören ihm zweitausend Morgen«, sagte Tom leise und schnitt ihr das Wort ab. »Er kann sein Haus auf jedem der anderen neunzehnhundertneunundneunzig Morgen aufstellen. Dieses Plätzchen ist schon besetzt.«

Winter gab es auf. Sie hatte keine Lust zu streiten, da es vielleicht gar kein Problem geben würde. Außerdem hatte sie ihn ja nur warnen wollen. »Okay«, sagte sie, richtete sich auf und ahmte ihn nach, indem sie die Hände gefaltet auf den Tisch legte. »Jetzt bist du dran. Verrate mir ein Geheimnis.«

Er zog einen Mundwinkel zu einem Lächeln hoch. »Ich kann nicht tanzen.«

»Das ist kein Geheimnis! Auf unseren Tanzabenden verschanzt du dich in einer Ecke, auch wenn sich die Damen noch so bemühen, dich auf die Tanzfläche zu locken. Los, verrate mir ein vernünftiges Geheimnis, eines, das mit meinem Panther mithalten kann.«

Er beugte sich näher zu ihr und umfasste ihre Hände auf dem Tisch. »Na schön. Du darfst es aber nicht weitererzählen.«

»Versprochen«, sagte Winter und beugte sich ihrerseits näher zu ihm.

»Letzte Nacht sah ich etwas Merkwürdiges auf dem Berg«, flüsterte er. »Ich war auf dem Heimweg aus der Stadt, als ich vom Berg her fürchterliches Getöse hörte.«

»Von diesem Berg? Vom Bear Mountain?«

»Ja«, bestätigte er, während sein Blick nach links wanderte, als er sich konzentrierte. »Erst dachte ich, es wären zwei Elchbullen in der Brunft, so laut ging es zu.« Nun sah er sie wieder an. »Ich schlich mich also näher, bis ich die Wiese auf der Nordseite von Bear Brook erreichte. Du weißt, welche ich meine?«

»Ich kenne die Wiese.« Winter beugte sich erwartungsvoll noch näher zu ihm. »Hast du sie gesehen? Waren es zwei große Bullen, die dort kämpften?«

Er schüttelte den Kopf und umfasste ihre Hände fester. »Es waren zwei Männer. Sehr komisch angezogen. Es sah aus, als hätten sie Kilts angehabt.«

»Kilts!«

»Und der Lärm, den ich hörte, war Schwertergeklirr. Es gab einen Schwertkampf.«

Winter entzog ihm ihre Hände, lehnte sich zurück und starrte Tom an. »Du willst mich wohl auf den Arm nehmen! Du hast keinen Schwertkampf gesehen.«

Auch Tom lehnte sich zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe ihn gesehen«, sagte er ruhig und nickte dazu. »Der Vollmond beschien die Wiese, es war fast taghell. Ich sah zwei Männer in Kilts, die einen Schwertkampf ausfochten.« Er beugte sich ein wenig vor und sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. »Und es war kein bloßer Sparring-Kampf, es war todernst. Ich dachte, sie würden einander umbringen.«

Winter überlegte fieberhaft. Ob zwei ihrer Vettern gestern Kriegsspiele inszeniert hatten? Robbie? Und vielleicht Duncan, der Älteste ihres Onkels Morgan? Sie konnte es sich nicht denken. Das Festival hatte gegen Ende des Frühjahrs stattgefunden.

»Hast du … hast du einen der beiden erkannt?«, fragte sie. »Könnten sie aus der Stadt gekommen sein? Du weißt ja, meine Vettern lieben Schwerter und alten Kram. Sie nehmen jedes Frühjahr an den schottischen Spielen unten an der Küste teil. Könnten sie es gewesen sein, Tom?«

Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich kannte keinen der beiden. Sie waren groß wie deine Vettern, der eine aber hatte richtig langes Haar, bis auf den Rücken. Und sie trugen keine MacKeage- oder MacBain-Tartans. Die Stoffe waren eher grau mit etwas Grün und Rot.« Er legte nachdenklich den Kopf schräg. »Bei Mondschein kann man Farben schwer erkennen. Aber das Gesicht des Langhaarigen konnte ich sehr gut sehen, und ich kannte ihn nicht.«

»Wurde auch gesprochen?«

»Nein.« Wieder schüttelte Tom den Kopf. »Die waren mehr daran interessiert, einander in Stücke zu hauen.«

Winter starrte ihn wieder fassungslos an. Tom konnte nicht gesehen haben, was er behauptete. Wer würde denn mitten in der Nacht den Bear Mountain erklimmen, um Schwerter zu schwingen?

»Sag es niemandem, Winter. Auch deinem Vater nicht. Greylen würde befürchten, ich wäre übergeschnappt, und mir ist lieber, wenn ich hier in der Gegend nur als ein wenig schrullig gelte«, sagte Tom mit einem Lächeln. Er deutete auf Gesader, der zu seinen Füßen lag. »Wie dein Schoßtier hier sollten auch die Schwertkämpfer Ausgeburten der Fantasie bleiben.«

»Aber gesehen hast du sie«, flüsterte sie.

Er nickte. »Ja. Sie kämpften über eine halbe Stunde lang, und plötzlich war alles aus. Sie standen einander sekundenlang gegenüber, dann drehten sie sich um und schritten Seite an Seite in den Wald. Einer der beiden schlug dem anderen auf den Rücken und ließ den Arm dort liegen. Ich hörte sie noch lachen, als sie im Wald verschwanden«, schloss er kopfschüttelnd. »Erst versuchten sie, einander um die Ecke zu bringen, und im nächsten Moment lachten und scherzten sie miteinander.«

Er rückte vor und streckte eine Hand auf dem Tisch nach ihr aus. »Winter, ich weiß, dass du nachts gern den Wald durchstreifst, und deshalb habe ich dir erzählt, was ich sah. Ich denke, du solltest eine Zeitlang nur bei Tag malen. Der Gedanke, diese Männer könnten im Wald über dich stolpern, ist mir nicht geheuer.«

»Ich habe ja Gesader«, wandte sie ein.

Er schaute auf den Panther hinunter, der zu seinen Füßen döste, dann sah er sie an und schüttelte wieder den Kopf. »Dein Tier ist zwei Männern mit Schwertern nicht gewachsen.« Er sah sie ernst an. »Versprich mir, dass du nachts nicht in den Wald gehst, andernfalls muss ich deinem Vater berichten, was ich gesehen habe.«

»Aber du hast gesagt …«

»Ich habe gesagt, mir wäre lieber, wenn Greylen nichts davon erfährt«, sagte er und schnitt ihr das Wort ab. »Deine Sicherheit ist aber wichtiger als mein Ruf. Also erspar uns beiden viel Ärger, indem du deinen Eigensinn aufgibst und es mir versprichst.«

»Okay, Tom«, sagte sie leise. »Ich verspreche, dass ich nach Einbruch der Dunkelheit nicht allein in den Wald gehen werde.« Winter stand auf. »Und ich bin nicht eigensinnig, sondern willensstark«, erklärte sie.

»Nein, du bist verwöhnt«, konterte Tom, als er aufstand und ihr ein Lächeln schenkte. »Eines Tages wird ein Mann kommen und es ändern.«

»Ich bin nicht verwöhnt. Ich hätte gute Lust, Gesader zu sagen, dass er dich beißen soll«, drohte sie Tom mit finsterem Blick.

Tom schnaubte leise und schüttelte den Kopf. »Du bist die jüngste von sieben Töchtern. Als du zur Welt kamst, hatten es deine Eltern sicher schon aufgegeben, euch Mädchen zu