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Die Sprache unserer Zeit, dargestellt in zehn Essays: Welche Wörter sind heute typisch und was verraten sie über die Absichten ihrer Benutzer? "Die Sprache der Merkel-Jahre" ist eine entschiedene Zwischenbilanz sprachlicher Entwicklungen und ihrer einschneidenden Auswirkungen auf unsere Kultur. Dabei handelt es sich jedoch um kein Anti-Merkel-Buch. Statt kurzsichtiger politischer Parteinahme bietet der Band vielmehr einen besonnenen Überblick, mit dem Sie die großen Entwicklungen erkennen und mancherlei detailbezogene Wort-Seziererei miterleben können. Ein besonderer Leckerbissen für jeden, der die Qualität von Formulierungen nicht als Luxus ansieht. Eine Sammlung enthüllender Sprach-Reportagen, die Schneisen in das Dickicht des heutigen Alltagsdeutsch schlagen.
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Seitenzahl: 223
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Freiheit, Freiheit
Ist das Einzige, was zählt
(Marius Müller-Westernhagen, 1989)
… dann liegt es an uns, zu diktieren, wie die Gesellschaft auszusehen hat …
(Herbert Grönemeyer, 2019)
Der Autor dankt der
Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache
für die freundliche Unterstützung.
Vorwort
Genderstern
alter weißer Mann
Deutsch im Nebel des Ungefähren
Erderwärmung
lecker
nachhaltig
aufarbeiten
letztendlich
nice
krank
ehrgeizige Projekte
Zusammenrottungen
charakterlich gescheitert
Europäische Lösung
Bätschi
Islamismus
widerliche Lebensschützer
Haß
Lügenpresse
Lückenpresse
Qualitätsmedien
etwas aufziehen
Europäische Lösung
nationale Abschottung
etwas vom Ende her denken
auf Sicht fahren
ein freundliches Gesicht machen
Stabilitätsunion
Wettbewerbsfähigkeit
die schon länger hier Lebenden
ihre Hausaufgaben machen
Sprache, Ideologie und Emanzipation
Ideologie
Emanzipation
Teilhabe
Liebe Kunden
Liebe Kundinnen und Kunden
starke Frauen
Frauengeschichtsschreibung
Feminismus
Auflösung klassischer Gesellschaftsstrukturen
Geschlechterkampf
Binnen-I
Gleichberechtigung
alle Männer sind potentielle Vergewaltiger
Täter
Opfer
„gendergerechte“ Schreibung
ausschließlich männliche Personenbezeichnungen
Gendern
Studierende
Frauenfeindlichkeit
Gendern ist sexistisch
Ungleichbehandlung
ihren Schließmuskel beherrschen
Das Tricksen mit dem Ungesagten
eine Armlänge Abstand
eine Penislänge Abstand
ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern
Erlebende
Opfer
wertneutral
bewerten
Reichshauptslum
Eine Gruppe
ein Mann
Merkels Gäste
Lügenpresse
Lückenpresse
unsere Qualitätsmedien
Relotiuspresse
Mainstream
Borderline-Journalismus
Friedensmissionen
Toleranz
Demokratie
Vielfalt
Gleichheit
Einheitlichkeit
Umweltschutz
Nationalsozialisten
Sozialisten
Stabilitätsmechanismus
Wir schaffen das
Ärzte, Ingenieure und Atomphysiker
kostenlos
Willkürstaat
Bereicherung
Seenotrettung
Qualitätsmedien
Flüchtlinge
Flüchtilanten
Flüchtling
Asylanten
Schubsen
Rangeln
Rangelei
Menschen mit Migrationshintergrund
Deutsche
Migrationspakt
Neudeutsch
altdeutsch
neue deutsche Medienmacher
neue Deutsche
neues Westfernsehen
Staatsfunk
eine Armlänge Abstand halten
Messerfolklore
Vorzeigeflüchtling
Vorzeigebürger
investigativer Journalismus
Haltungsjournalismus
Faktenchecker
Kreuzgutachten
Eliten
selbsternannte Kämpfer gegen die sogenannten ‚Eliten‘
Alternative
alternativlos
Elite
Eliten
Brain Drain
wachsam sein
Negativzinsen
Rußland-Sanktionen
Toleranz
Null-Toleranz-Politik
aufarbeiten
ein Stück weit
zeitnah
ehrgeiziges Projekt
Aktivist
rocken
aufmischen
batteln
Influencer
Virus
viral
NS-Jargon und Wörterhygiene
widerliche Lebensschützer
völkische Fruchtbarkeitsphantasien
wenn wir das eine Prozent der Reichen erschossen haben
Staatsknete abgreifen
grundsätzlich alles, wo Deutsche sterben
gegen rechts
Nation
charakterlich gescheitert
charakterlich
Rechtsradikalismus
Corona-Pandemie
Krankheitserreger
Krebsgeschwür
krank
verwirrt
krude
kulturelle Aneignung
Menschenfeindlichkeit
Rassismus gegen Weiße
Islamkritik
Islamhaß
Äpfel nicht mit Birnen vergleichen
Bereicherung
Bevölkerungsaustausch
Umvolkung
Umerziehung
großer Austausch
Deutscher
deutscher Staatsangehöriger
deutschlandweit
bundesweit
Deutschland
die Menschen in diesem Land
die schon länger hier Lebenden
hier
dieses Land
Nogo-Areas
Die Sprache im autoritären Umfeld
ihre Hausaufgaben machen
hart arbeiten
die Zügel anziehen
Bedürfnisprüfung
Dialog
Zivilgesellschaft
Kompetenz
Miteinander reden
Öffnungsdiskussionsorgien
Vulgärrationalismus
Küchenpsychologie
Stammtischparolen
Populismus
Gedankenwächter
Fakenews
Hate-Speech
Covidioten
Mix an Menschen
gecancelt
Cancel Culture
Teilhabechancengesetz
Langzeitarbeitslose
Arbeitsloser
Arbeitslosigkeit
Teilhabe
Chancengleichheit
Solidarität
Deutschlandfahne
Einigkeit und Recht und Freiheit
Solidaritätszuschlag
Solidarmodell für Rundfunkbeitrag
Rundfunkgebühr
Rundfunkbeitrag
Demokratie-Abgabe
freiheitliche demokratische Grundordnung
Demokratie
Verfassungsfeind
Rechtsstaat
Unrecht
Unrechtsstaat
Herrschaft des Unrechts
Asylbewerber
Die Inflation der Nazis und die Sprache der Gewalt
Reichsbürger
Rechtsextremisten
Faschismus
Nazi
Nazi-Schlampe
Rechte
Antifaschisten
Antifa
Faschismus
Antifaschismus
marschieren
Aufmarsch
Rattenfänger
gefundenes Fressen
Dunkeldeutschland
Hetzjagden
Hetze
unsere Demokratie
Ausgrenzung
Ewiggestrige
Feindschaft
Fremdenfeind
Ausländerfeind
Islamhasser
Rechtsextremismusexperten
Pegida-Pöbler
Pimmel mit Ohren
Abgehängte
Willkommenskultur
europäische Nachbarn
Haß
Hate-Speech
Faktenchecker
Aufklärung
Menschenverachtung
Menschenbild
Phobie
Transphobie
Transfeindlichkeit
Homophopie
Xenophobie
islamophob
Rassismusvorwurf
Leugner
Klimaleugner
faschistische Verführbarkeit der Deutschen
humanitäre Katastrophe
demokratische Zumutung
den Umständen entsprechend
Klimawahn
Erderwärmung
Klimawandel
Vogelschiß
Asylforderer
Rapefugees
Bereicherer
Kulturbereicherer
Goldstücke
Merkel-Gäste
Eroberer
Invasoren
Reconquista
Verteidigung
Rückführung
Einwanderung
Einwanderer
Flüchtling
Wirtschaftsmigrant
islamische Landnahme
Von der Respekteinforderung zur Selbstüberhöhung
Respekt
Wertschätzung
Würde
Leugner
Wissen
Bekennen
Geschlechterdiskussion
Respekt
Querdenker
Menschlichkeit
Haltung
Humanität
Demokratie
ein freundliches
Gesicht machen
naive Politik
Haltung
Quote
positive Diskriminierung
Doppelspitze
Vulva-Malen
Upskirting
Downblousing
Mix an Menschen
Happy Slapping
divers
testosterongesteuert
Entmenschlichung, Biologisierung und Technisierung
jemanden entsorgen
aufziehen
Gleichschaltung
Schalte
Schaltung
Schreibe
Mache
Denke
aufgestellt
Analyst
Analytiker
Rasse
Menschen
Rassismus
alter weißer Mann
Menschengeschenke
wertvoller als Gold
Goldstücke
die Zunge gerade in den Mund nehmen
Belastung des Materials
Abwärtstrend materieller Einsatzbereitschaft
Asymmetrische Mobilisierung
Normative Heterogenität
Politisch-medialer Komplex
Triumfeminat
Mainstreammedien
Abschiebe-Industrie
Bleiberecht
Abschiebungen
Ankerkind
Ankerzentrum
Bleibepflicht
Fokus
im Fokus
entwaldungsfreie Lieferketten
Gänsemanagement
Faktencheck – Industrie-Bashing
am Stück
Monitoring
andenken
Sonderwirtschaftszone
Leuchtturmprojekte
Wachstumskerne
geht die Saat auf
Zeitfenster
Start-up
sicherheitspolitisches Start-up
Der Kontrast zwischen gehobener und banaler Sprache
Superlativ
ultimativ
ultra
definitiv
interaktiv
Narrativ
von da her
von dem her
Populismus
Populist
Stammtischparolen
populär
popularisieren
Linkspopulismus
Rechtspopulismus
Moralimperialismus
Imperialismus
Asylkrise
Emotionalisierte Sprache und Schaumbäder aus Phrasen
Gutmensch
Teddybär-Werfer
Bahnhofsklatscher
Asyl
Kulturbereicherer
Einwanderer
nachhaltig
einen Beitrag leisten
nachvollziehen
alternativlos
Menschen
für mich sind das alles Menschen
Bevölkerung
Volk
Deutsche
neue Deutsche
Gesellschaft
gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Zivilgesellschaft
nun sind sie halt da
Angst ist immer ein schlechter Ratgeber
Kein Mensch ist illegal
Es ist das beste Deutschland, das wir je hatten
dann ist das nicht mehr mein Land
Land, in dem wir gut und gerne leben
mitnehmen
abholen
mal wieder einen Gottesdienst besuchen
einen, der noch Blockflöte spielen kann, mal bitten
was Pfingsten bedeutet
Wörterverzeichnis
Am 6. Januar 2021 konnte man sich auf der Internetseite der Frankfurter Rundschau folgendes Textstück zu Gemüte führen, das beispielhaft für die Schußfahrt unserer Sprache in die Niederungen von Einfältigkeit und Schwachsinn ist:
Bürgermeisterin Muriel Bowser mahnte die Einwohnenden1, nicht mit den Teilnehmer:innen2 der Demo von Donald Trump und seinen Fans zu interagieren3, die „aus Konfrontation aus“ sind4 und rät dazu, die Innenstadt zu vermeiden.5 Verdächtiges Verhalten, Notfälle oder Drohungen sollen sofort der Polizei gemeldet werden. Der District of Columbia hat zudem die Nationalgarde mobilisiert.6 Alle Polizist:innen der Stadt soll7 dienstbereit sein.8
Bitte lesen Sie sich die drei Sätze aufmerksam durch, am besten mehrmals, und behalten Sie dabei im Hinterkopf, daß die Redaktion zwar Zeit und Mühe aufgebracht hat, die Genderschreibung nochmal zu verändern, aber alle weiteren Fehler übersieht. Wenn die drei Sätze hier dokumentiert und komplett zerlegt werden, dann ganz sicher nicht, um sich an sprachpuristischen Spitzfindigkeiten zu delektieren. Ich habe genügend andere Liebhabereien und empfinde diese Beschäftigung mit dem rasanten intellektuellen Abstieg unserer Zeitungslandschaft ins Gelalle und Gestammel als abstoßend. Aber gehen wir den Text mit seinen sage und schreibe zehn Fehlern (sieben ohne die Genderschreibweisen) einmal genau durch, die Kommentare finden Sie in den Fußnoten.
Die Frankfurter Rundschau ist keine besonders schlechte, aber eine typische Zeitung, sie hatte unter ihren Lesern immer auch geistig nicht so potente, dafür ideologisch recht entschiedene Leser, die sich mit ihr einen linksintellektuellen Anstrich geben wollten. Das sollte aber nicht Grund zu der Annahme sein, daß die wenigen noch verbliebenen Leser es nicht merken, wenn in der Redaktion auf gar nichts anderes mehr Wert gelegt wird als auf „sprachliche Gleichstellung“, die nicht funktioniert, niemanden gleich- oder auch nur besserstellt und dabei schon gar nicht barrierefrei ist. Ein Gebrauch der Schriftsprache, der ganz offensichtlich schwer mit dem Schulstoff der Eingangsstufe zu kämpfen hat, offenbart vielleicht zweierlei: Erstens, daß sich völlig bildungsferne Typen die Zeitungslandschaft zur Beute gemacht haben, und zweitens eine Bereitschaft zur Leserverarschung, die im proportional zum Inhaltsverfall ansteigenden Verkaufspreis dieses bedruckten Einwickelpapiers ihren sichtbarsten Niederschlag findet. Zeitungen wie diese sind dabei gefährlicher als etwa die Taz, weil sie sich bewußt von deren Attitüde des Gruppenraums einer linken Wohngemeinschaft abgrenzt und deshalb von vielen tatsächlich als glaubwürdig angesehen wird. Besonders verdrießlich stimmt einen dabei die Tatsache, daß sich diese Entwicklung durch die gesamte Presselandschaft zieht. Keiner mag denken, daß es bei den „freien Medien“ grundsätzlich besser bestellt wäre: Wolfgang H., der von Frankfurt aus für ein Online-Medium schreibt, das zu schneller Parteinahme neigt, mußte den gravierenden Unterschied zwischen „nicht weniger als“ und „nichts weniger als“ sogar mehrfach erklärt bekommen und hat ihn vermutlich bis heute nicht verstanden, auch wenn er den Fehler inzwischen vermeidet.
Wir haben ein gravierendes Sprachproblem: Wir stehen möglicherweise bereits vor der kollektiven Aphasie, vor dem Verlust unserer Sprache als Kommunikationsmittel.
Ein Buch über den Wandel im Sprachgebrauch zu schreiben, ist mühselig, dabei aber keineswegs prickelnd. Wirklich spannend ist es wohl nur bei akademischem Sachinteresse an linguistischer Feldforschung oder zum Zweck politischer Agitation. Beide Beweggründe treffen auf mich nicht zu, zumindest der zweite aber auf die Mehrheit jener freundlicher Helfer, die sich zum Einsenden kommentierter Wörterfunde bereit erklärt haben. Wie sich bei der Sichtung des Materials zeigte, bot diese Mitmach-Möglichkeit so manchem die Gelegenheit, sich an den primären Trägern des Sprachwandels, die man nicht ganz grundlos in linken sowie regierungsnahen politischen und publizistischen Kreisen verortet, sein Mütchen zu kühlen. Zuweilen waren die Einsendungen in flammende politische Bekundungen gefaßt, manches war fehlerhaft, manches unvollständig. Es hatte oft den Anschein, man wolle mal so richtig Dampf ablassen. Zu stetiger, genauer Mithilfe waren nur ganz wenige bereit.
Das hat das Maß notwendiger Weiterbearbeitung erheblich erhöht und trotzdem dem Ergebnis unserer Bemühungen nicht unbedingt gutgetan. Zudem ist der Autor definitiv nicht die richtige Anlaufstelle für Regierungskritik. Wenn man in Deutschland eine andere Regierung wünscht, dann muß man eben jemand anderen wählen, alle vier Jahre hat man dazu wieder Gelegenheit. Was das Projekt gemeinsamer Sprachbeobachtung anlangt, ist wohl immer dann am meisten zu erreichen, wenn man seine eigene Arbeit nicht gleich durch die Einseitigkeit der Betrachtung desavouiert, sondern sich um eine möglichst sachliche Bestandsaufnahme bemüht. Die wurde auch durch die in letzter Zeit rapide zunehmende Dynamik des Sprachwandels erschwert: Man sinniert noch über die Gender-Tendenzen in der Schriftsprache, da springen sie unversehens auf das gesprochene Wort über, und während man sich auch darüber noch die Augen reibt, explodiert schlagartig der Gebrauch des Gendersterns, dessen Gefährlichkeit darin liegt, daß er ein Zeichen über das „Gemeinte“ in die Vokabeln quetscht. Diese neuen Entwicklungen greifen sehr schnell um sich, und das können sie nur deshalb, weil ein großer Teil der Sprachgemeinschaft sie befürwortet. Solche Fakten als gegeben zu erkennen, gehörte zu den besonderen Herausforderungen dieser Arbeit.
Weit schlimmer als der Wandel der Schriftsprache durch Gebrauch (den es immer gab und der im Prinzip nicht problematisch ist) ist der beschleunigte Zerfall der sprachlichen Einheit: Fast ein Jahrhundert lang hatten wir einen kodifizierten Konsens über die Werkzeuge, mit denen man seine Gedanken ausdrücken kann. Heute unterscheiden sich die Werkzeugkästen je nach politischem, gesellschaftlichem oder emanzipationskulturellem Standpunkt. Und wenn wir einander verstehen wollen, muß jeder die Bedeutung der Werkzeuge aller anderen kennen. Übrigens geben die Leute damit auch mehr über ihr Denken preis, als vielleicht klug ist: Wer den Genderstern benutzt, wähnt über die beiden biologischen Geschlechter hinaus noch eine Vielzahl weiterer geschlechtlicher Befindlichkeiten. Dadurch gerät der Zerfall der Sprache auch zum Instrument politischer Durchleuchtung. Aber es gibt keinen Moment des Innehaltens – die Sprachgemeinschaft, so heterogen und gärig sie auch ist, befindet sich längst im Sprintmodus. Schon wird gefordert, zur Vermeidung stereotyper Rollenklischees Begriffe wie Mütterberatung (dann: Elternberatung) und Mädchenname (dann: Geburtsname) zu tilgen. Es gibt kein Ende, folgerichtig wird bald auch die Muttermilch zur Elternmilch gewandelt werden müssen. Noch schlimmer als dieser Zerfall ist die Wirksamkeit des ihm zugrundeliegenden kulturmarxistischen Konzepts. Anders gesagt: Was hier gerade abläuft, geschieht mit Absicht, und zwar nicht mit der vorgeblichen.
Trotzdem kann man auf Besserung hoffen. Ich persönlich glaube an die klärende Wirkung von Eskalationen, und in einer solchen befinden wir uns gerade – sprachlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch. Die Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie beschleunigt diese Eskalation wie ein Turbolader. Wer in Geschichtsdaten Rhythmen erkennt, sieht unsere Zeit in einer Reihe mit den Jahren 1525, 1618, 1813 und 1914, weitere lassen sich finden. Zweifellos ist unsere Welt im Umbruch, und der zeigt sich in einem dramatischen Wandel der Werte und des Sprachgebrauchs. Aus diesem Grund kann die Betrachtung des gegenwärtigen Sprachwandels nicht unpolitisch sein, denn er ist Teil einer weit über ihn hinausreichenden großen Tendenz, überkommene Wertvorstellungen und die Koordinaten unseres Daseins abzubauen – deutlicher gesagt: einzureißen. Was hat es damit auf sich?
Es braucht gar keinen Umsturz, wenn man die Gesellschaft verändern will, denn der Prozeß der geistigen Unterwanderung, der ihn herbeiführen soll, hat auch für sich genommen reichlich Kraft. Seit den 1990er Jahren wird dieser Vorgang, ausgehend von dem USA, als Kulturmarxismus bezeichnet. Einer seiner geistigen Väter war der italienische Marxismus-Theoretiker Antonio Gramsci (1891–1937). Er vertrat den Standpunkt, daß sich der Marxismus im Westen nicht durch eine Revolution würde errichten lassen wie in Rußland, und schlug deshalb vor, das bürgerliche Moral- und Wertesystem umzustürzen. Wie sich zeigen sollte, bedienten sich die (weitgehend aus der linken Ideologie schöpfenden) Nationalsozialisten einer ganz ähnlichen Strategie, indem sie zahlreiche gesellschaftliche Werte einrissen, umprägten oder durch neue ersetzten: Sie gaben Begriffen wie Demokratie, Humanismus, Christlichkeit, Toleranz usw. eine negative Prägung und erreichten, daß viele derjenigen, die sie als Mittäter in ihre Massenmorde einspannten, in der Lage waren, diese Greueltaten selbst auszuführen. Vergessen wir nicht, gegen welchen politischen Gegner die Nationalsozialisten angetreten sind: gegen das konservative Bürgertum, anders gesagt: die traditionelle Rechte.
Doch auch heute erleben wir den Abbau unserer Werte und Vorstellungen, die ihren Nutzen für die Allgemeinheit teilweise seit vielen Jahrhunderten bewiesen haben: Sichere Grenzen, seit dem Neolithikum nicht diskutierter Garant für Frieden, Sicherheit, später auch Rechts- und schließlich Sozialsystem, somit eine Basis für Gerechtigkeit – sie werden heute als böse und unmenschlich bezeichnet. Die Ehe? Früher der sichtbare Ausdruck eines monogamen Beziehungsentwurfs und einer freien, liebenden Entscheidung für einen anderen Menschen mit all seinen Stärken und Schwächen, dabei die Keimzelle der Gesellschaft. Heute gilt sie vielen als unnötige Verbindlichkeit im leichten Wellenspiel des Lustprinzips, Schlaumeier sehen in ihr ein Instrument der Unterdrückung von Frauen und zugleich Ausdruck der Diskriminierung aller Homosexuellen. Mann und Frau? Einst ehernes Naturprinzip, an das sich nahezu alle einigermaßen entwickelten Lebewesen mit Ausnahme von Regenwürmern, Weinbergschnecken und Lachsen halten müssen, heute als soziale Konstruktion verunglimpft, an deren Stelle nun das Allerlei zahlloser anderer, ebenfalls konstruierter Geschlechter treten soll, je nach aktueller Laune. Eigentum? Einst der Beleg für Tatkraft und ein gütiges Schicksal, dabei Ausweis der Voraussetzung, gesellschaftlich etwas gelten zu können (Politik), heute Indiz für Ausbeutung und fehlenden Gemeinsinn. Die Frage, ob es gerecht sei, andere ihres Eigentums zu berauben, wird oft gar nicht mehr gestellt, staatlicher Interventionalismus gilt als gut. Recht und Rechtsordnung? Aus einem Gerichtsprozeß gehen selten beide Parteien zufrieden heraus, aber es bestand lange die Auffassung, daß kodifiziertes Recht im Prinzip eine gute Sache ist. Heute setzt sich selbst die Spitzenpolitik über geschriebenes Recht und internationale Verträge hinweg. Wie soll da der Einzelne seine Achtung vor dem Rechtssystem behalten? Die Nation war einst das einigende Band, das die Gesellschaft trotz aller sonstigen Unterschiede und Streitigkeiten zusammenhielt. Auf sie war man aus Prinzip stolz – nicht, weil es eine besonders gute Nation war, sondern eben die eigene. Heute gilt die Nation vielen als Vorstufe zum Nationalsozialismus (wahrscheinlich, weil das Wort in diesem Begriff vorkommt). Aber ohne Grenzen und Nation gäbe es keine Rechtsordnung, kein Asylrecht, kein Sozialsystem, keine finanzielle Unterstützung für arbeitslose Einwanderer, nicht einmal den offenen, pluralistischen Raum, in dem die Meinung geäußert werden kann, daß man sie abschaffen sollte.
Schließlich wird auch der alte weiße Mann diskreditiert, verunglimpft und zur Abschaffung freigegeben, dabei war er es, dem die Welt fast ihre gesamte Kultur, ihre Wissenschaft und ihren Fortschritt verdankt, zusammen mit all den Bequemlichkeiten, die davon hervorgebracht wurden, und sogar das ganze System von Begriffen, auf welchem die Forderung seiner Abschaffung überhaupt erst artikuliert werden kann.
Die vorliegende Wörtersammlung ist weder eine empirische, statistisch belegte oder deduktive Erhebung des aktuellen Vokabulars, noch ein sprachkundlich bemänteltes Anti-Merkel-Buch, sondern eine durchaus breit angelegte, dabei jedoch nicht den Anspruch der Vollständigkeit erhebende Momentaufnahme sprachlicher Auffälligkeiten in einer Folge thematisch zusammenhängender Kapitel. Sein Zweck liegt nicht im Nachweis einer großangelegten deutschen Gehirnwäsche (wenngleich dieser Nachweis geführt werden könnte und andernorts9 auch geführt worden ist), auch nicht im Beklagen eines verschleiernden und täuschenden phrasenreichen Ausdrucksstils10, sondern eher in einer Blütenlese, die jeden anregen kann, einmal selbst über den fortschreiten Wandel unserer Sprache mitsamt der Verarmung und Verwahrlosung ihrer Ausdrucksmöglichkeiten nachzudenken. Das ist übrigens weniger eine Frage der politischen Position – immerhin konnte Alexander Kissler seine deutlich gegen Merkel gerichteten „Widerworte“ ausgerechnet im Bertelsmann-Konzern unterbringen – als vielmehr des Bildungsniveaus, denn Kisslers Buch ist unter den Abgesängen auf einstige deutsche Sprachpräzision eine echte Delikatesse.
Gerade die linken Theoretiker und Gesellschaftskritiker zeichneten sich noch in den siebziger Jahren durch exzellente Dialektik, glänzende Argumentation und die Bereitschaft aus, auch opulentere Literatur (Marx/Engels zum Beispiel) zu lesen. Heute kann man relativ leicht feststellen, daß dieser Aufwand links der Mitte längst nicht mehr getrieben und der Denkerplatz entweder von Bürgerlichen, die den allgemeinen deutschen Niveauverfall beklagen, oder von Vordenkern des neurechten Spektrums, die nicht selten eine längere linke Phase durchgemacht haben, eingenommen wurde. Gewiß wären auch Linke noch immer zu streng logischer Argumentation in der Lage, wenn ihnen dabei nicht ihre geschlossene Ideologie im Wege stehen würde.
1 Hier wäre die Parteizugehörigkeit der Bürgermeisterin interessant, diese Information fehlt. Stattdessen werden die „Einwohnenden“ genannt, die dem Wortsinne nach augenblicklich damit beschäftigt sind, einzuwohnen. Ist es nicht eine Binsenweisheit, daß Washingtons Einwohner ungefähr je zur Hälfte Männer und Frauen sind?
2 dann geändert: Teilnehmenden
3 Abgesehen von den Genderformen stellt sich die Frage, was mit „interagieren“ gemeint ist. Guter Ausdruck ist das sicher nicht, möglicherweise auch Ergebnis einer sehr läßlichen Übersetzungsweise.
4 Acht Wörter, drei Fehler: Das erste „aus“ müßte „auf“ heißen, nach „sind“ fehlt ein Komma, außerdem sind die Anführungszeichen unsinnig.
5 Hier haben wir den tiefsten Punkt dieses Sprachmists: Statt „vermeiden“, was hier völlig sinnlos ist, müßte „meiden“ verwendet werden.
6 Der District selbst kann das nicht, sondern nur jemand aus Politik oder Verwaltung. Das hätte man mit einer Recherche herausfinden können.
7 Und hier schließlich noch der Beleg, daß sich die völlige sprachliche Unfähigkeit immer wieder finden läßt, denn es geht ja um mehrere Personen, weswegen es „sollen“ heißen müßte.
8https://www.fr.de/politik/donald-trump-washington-mike-pence-usa-wahl-praesident-demonstration-protest90159434.amp.html
9 Thor Kunkel: Das Wörterbuch der Lügenpresse, Rottenburg 2020
10 Alexander Kissler: Widerworte. Warum mit Phrasen Schluß sein muß. Gütersloh 2019
Sprache dient dem Fassen und Übermitteln von Informationen und Gedanken. Unsere deutsche Sprache geronn erst vor gut 400 Jahren zu ihrer heutigen Form, zuvor unterschied sich das Deutsch im Flickenteppich dieser verspäteten Nation teilweise ganz erheblich; tiefere Sprachgrenzen teilten das Hoch- vom Niederdeutschen. Trotz der durch das neu aufgekommene Massenmedium des Buches verbreiteten einheitlichen neuhochdeutschen Sprache blieben viele Varietäten erhalten, die teilweise und auch aus politischen Gründen (Niederländisch, Moselfränkisch) als eigene Sprachen anerkannt wurden, teilweise (Friesisch, Bairisch) eher als Dialekte gelten. Aus der Verschiedenheit der sich stets munter mißverstehenden deutsch Stämme erwuchsen Teilungen, aber auch der Föderalismus. Die deutsche Sprache unterliegt nicht, wie in zentralistisch regierten Ländern, staatlicher Besachwaltung, sie ist weitgehend offenes Terrain für Sprachakrobaten, Sprachschützer, Sprachästheten und Sprachpädagogen. Auch deshalb unterliegt sie einem steten Wandel: Begriffe und Bedeutungen tauchen auf, setzen sich fest oder lösen sich auch wieder aus dem Alltagsgebrauch, um ins Vergessen zurückzufallen. Es ist nicht besonders gewagt, wenn man der Veränderung unserer Sprache während der Regierungszeit Angela Merkels eine besonders auffällige Dynamik zuspricht.
Zu den wichtigsten Merkmalen jener Jahre, die von der Geschichtsschreibung dereinst mit dem Namen dieser Bundeskanzlerin gekennzeichnet werden dürften, gehört der gravierende Wandel, dem in dieser Zeit unsere Sprache unterworfen ist. Die Ära Merkel hat ein ganz bestimmtes Vokabular und einen sehr spezifischen Sprachgebrauch hervorgebracht, und zwar nicht nur seitens der Regierungsparteien, sondern auch in oppositionellen Gruppen, in den Medien und bei den Menschen. Einige dieser Veränderungen folgen einer klaren politischen Zielsetzung, wenn es etwa darum geht, Diskriminierungen entgegenzuwirken, Frauen besserzustellen oder einen Beitrag gegen die Erderwärmung zu leisten. Ob diese Anstrengungen sinnvoll sind oder nicht sogar einen gegenteiligen Effekt haben, wird in den jeweiligen Kapiteln erörtert werden. Allerdings kann man sehr vielen Sprachveränderungen diesen politischen Impetus nicht unterstellen. Schon der massenweise Gebrauch des Wörtchens „weil“ an Stellen, an denen eigentlich ein „denn“ zu verwenden ist, belegt etwas, das man mit „Dynamik der Gedankenlosigkeit“ bezeichnen könnte. Der Dauergebrauch von Wörtermüll wie lecker, nachhaltig, aufarbeiten, letztendlich und weiteren leeren Begriffen dieser Art gibt Aufschluß darüber, wie unreflektiert und unbewußt mittlerweile mit der Sprache umgegangen wird. Man hört und spricht nach, aber ganz offensichtlich ohne besonders weitreichende kognitive Anstrengungen.
Wenn das schon auf den ersten Seiten in einem Buch, das Streiflichter aus unserer Gegenwartssprache versammelt, als besonderer Aspekt erwähnt wird, dann keineswegs mit der Attitüde humorloser, oberlehrerhafter Sprachpuristik. Deutsch ist eine Sache von 100 Millionen Benutzern und es liegt mir völlig fern, im Rahmen dieses Buches zu besserem Deutsch oder zur Mäßigung beim Gebrauch von Fremdwörtern oder Anglizismen aufzurufen. Das wäre schon deshalb ein aussichtsloses Unterfangen, weil sich unsere Sprache inmitten eines beschleunigten Niedergangs befindet: In der Jugendsprache ist nice das neue „schön“ und krank ist das neue Wort, wenn man etwas bestaunt. Die Werbung preist ein Deodorant (Typ „Afrika“, abgefüllt in schwarze Flaschen, keiner regt sich auf) an11, das seinen Träger vor Schweiß schützen soll, dabei werden doch eigentlich die Umstehenden geschützt. Und dann heißt die Marke auch noch „Lynx“, zu deutsch „Luchs“: Er gehört zu den Tieren mit besonders einprägsamem Geruch. Das kauft man wirklich nur, wenn man ein völlig abgestumpftes Sprachbewußtsein hat.
Eine österreichische Versicherung stellt die Frage: „Kann meine Fahrradversicherung ein Windrad antreiben?“12, als hätte man das nicht bisher dem Wind überlassen. Und wenn ein Bruttoinlandsprodukt oder welcher Wert auch immer um 2 % zurückgeht, dann schreibt praktisch jeder auf jedem Kanal von einem „Rückgang um -2 %“. Flächendeckend spricht man von ehrgeizigen Projekten, obwohl doch der Ehrgeiz nur bei demjenigen liegen kann, der das Projekt verfolgt. Wir leben also in einer sprachlichen Wirklichkeit, die vor allem dadurch charakterisiert ist, daß ein Sachverhalt vollkommen sinnverkehrt aufgefaßt und dargestellt wird und dies überhaupt nicht bemerkt wird. Aber wenn man in einem Onlineforum jemanden auf falsche Interpunktion aufmerksam macht, und sei es nur wegen eines Wortspiels, wird das meistens sehr persönlich genommen und sehr unfreundlich beantwortet.
Im Unterschied zu vielen anderen sprachkundlichen Büchern will diese Veröffentlichung also überhaupt nicht auf Veränderungen hinwirken, sondern eine Reihe von Auffälligkeiten unserer jetzigen deutschen Sprache sammeln und zeigen. Denn eine sprachpflegerische Herangehensweise würde den Kennern ohnehin nicht viel Neues bieten, dabei aber von jenen anderen, die mit solchen Hinweisen kognitiv ohnehin nicht zurechtkommen, als spitzfindige Gängelei zurückgewiesen werden. Beschränken wir uns auf die Autopsie unserer Sprache, gelangen wir zu einer unverstellten Momentaufnahme, zu einem aktuellen Lagebericht. Damit können wir besser verstehen, was hier abläuft. Ein Tierfilmer, der den Kampf einer Spinne mit einer Wespe dokumentiert, wird auch nicht einer Seite helfen. Er zeichnet auf, was vor sich geht. Dadurch lassen sich die Ursachen und Folgen der fortschreitenden, uns alle betreffenden Sprachveränderungen erkennen. Manches davon wird sich lange halten, anderes recht bald wieder verschwinden. Im Rückblick wird man den heutigen Gebrauch von Wörtern und Begriffen eng mit unserer Zeit assoziieren und vielleicht feststellen, daß dieses Deutsch typisch für diese Jahre war.
Was aber sind diese besonderen zeittypischen Aspekte dieser jetzigen deutschen Sprache? Nach Durchsicht der gesammelten Begriffe und noch vor Abfassung der einzelnen Kapitel ließen sie sich so skizzieren: Einerseits eine starke Verflachung mit fortschreitendem Verlust an sprachlicher Genauigkeit, eine grassierende, wahrscheinlich durch das Internet induzierte Neigung zum plakativen Schlagwort, unter dem Gedanken und Zuschreibungen viel zu schnell und unreflektiert eingeordnet werden, eine generelle Tendenz zum Einfachen im Sprachgebrauch mit Dauerverwendung von Phrasen und Allgemeinplätzen. Andererseits eine auffallend starke Brutalisierung und Verhärtung vor allem im politischen Bereich, Tendenzen zur Stigmatisierung, Ausgrenzung und Verächtlichmachung, dadurch oft ungewollte Verharmlosungen, beispielsweise des Nationalsozialismus. Unsere Sprache der Gegenwart ist durch viele pseudo-originelle, aber oft falsche und meistens unpräzise Begriffe geprägt, durch unabsichtliche Rückgriffe in die Sprache des Nationalsozialismus (auch und gerade seitens der SPD) sowie durch einen auffallend häufigen Gebrauch technischer Begriffe, die eine mindestens latente Entmenschlichung vermuten lassen. Unsere Sprache spreizt sich zunehmend zwischen lustvollem Fremdwortgebrauch und einem sehr deutlichen Zug ins Triviale auf.
Seitens der Regierungs- und Verwaltungsstellen ist vermehrt ein autoritärer Unterton zu vernehmen, zugleich wird das Deutsche aber konsequent in den Bereich des Schwammigen geführt, bis hin zum Begriff des Deutschen selbst, der mal „schon länger hier lebt“, mal „türkische Wurzeln hat“, mal als Bewohner „Dunkeldeutschlands“ zum „Pack“ gehört und den „Rattenfängern“ folgt und