Land der Skandale - Wolfgang Fürweger - E-Book

Land der Skandale E-Book

Wolfgang Fürweger

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Beschreibung

Die Lucona-Affäre, der AKH-Skandal, die Waldheim-Affäre, die "Todesschwestern" von Lainz, die BUWOG-Affäre – spektakuläre Großpleiten, heimtückische Morde, mysteriöse Todesfälle, aufsehenerregende Strafprozesse und gefallene Helden: Die jüngere Geschichte Österreichs liest sich spannend wie ein Thriller – mit dem Unterschied, dass die "Drehbücher" der großen Skandale und Affären, die die Zweite Republik erschüttert haben, alle wahr sind. Immer wieder haben Politiker und Manager ihre Macht missbraucht, Geld über dunkle Kanäle verschoben, persönliche Vorteile über das Allgemeinwohl gestellt und gelogen, dass sich die Balken bogen.

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Über dieses Buch

VOM AKH-SKANDAL ZUR BUWOG-AFFÄRE

Die Lucona-Affäre, der AKH-Skandal, die Waldheim-Affäre, die „Todesschwestern“ von Lainz, die BUWOG-Affäre – spektakuläre Großpleiten, heimtückische Morde, mysteriöse Todesfälle, aufsehenerregende Strafprozesse und gefallene Helden: Die jüngere Geschichte Österreichs liest sich spannend wie ein Thriller – mit dem Unterschied, dass die „Drehbücher“ der großen Skandale und Affären, die die Zweite Republik erschüttert haben, alle wahr sind. Immer wieder haben Politiker und Manager ihre Macht missbraucht, Geld über dunkle Kanäle verschoben, persönliche Vorteile über das Allgemeinwohl gestellt und gelogen, dass sich die Balken bogen. Dieses Buch arbeitet die zehn größten Politikskandale, Pleiten und Mordfälle der vergangenen Jahrzehnte auf, zeigt ihre Ursachen und Folgen auf und stellt auch die Frage, was wir tun können, damit sich die Skandal-Geschichte Österreichs nicht wiederholt.

INHALT

Einleitung

MORD UND BETRUG IM DUNSTKREIS DER REGIERUNG

Der Fall Lucona

EUROPAS TEUERSTES SPITAL

Der AKH-Skandal

DIE VERSPEKULIERTEN MILLIARDEN

Die Intertrading-Affäre

SCHMUTZIGE WAFFENDEALS IM GOLFKRIEG

Der Noricum-Skandal

EIN KRIEGSVERBRECHER ALS PRÄSIDENT?

Die Waldheim-Affäre

MASSENMORD IM KRANKENHAUS

Die „Todesengel von Lainz“

DER UNTERGANG DES ROTEN RIESEN

Die Konsum-Pleite

DER AUSVERKAUF DER GEWERKSCHAFT

Die BAWAG-Pleite

„WO WOAR MEI LEISTUNG?“

Die BUWOG-Affäre

MILLIARDENSCHWERER GRÖSSENWAHN

Die Pleite der Hypo Alpe Adria

WAS UNS DIE SKANDALE UND AFFÄREN LEHREN

Weiterführende Literatur

Personenregister

EINLEITUNG

Spektakuläre Großpleiten, heimtückische Morde, mysteriöse Todesfälle, aufsehenerregende Strafprozesse und gefallene Helden: Die jüngere Geschichte Österreichs liest sich zeitweise spannend wie ein Thriller – mit dem Unterschied, dass die „Drehbücher“ der großen Skandale und Affären, die die Zweite Republik erschüttert haben, alle wahr sind. In den vergangenen Jahren entstand in der öffentlichen und vor allem in der veröffentlichten Meinung der Eindruck, die Geschichte der großen Skandale und Affären hätte erst mit der ersten ÖVP-FPÖ-Regierung ab dem Jahr 2000 begonnen. Wie dieses Buch zeigt, ist das eine verzerrte Wahrnehmung. Skandalumwitterte (Ex-) Politiker wie Jörg Haider, Karl-Heinz Grasser oder Ernst Strasser reihen sich nahtlos an eine Riege von unrühmlichen Vorgängern. Seit es diese Republik gibt, haben Politiker und Manager immer wieder Macht missbraucht, Geld über dunkle Kanäle verschoben, persönlichen Vorteil über das Allgemeinwohl gestellt und gelogen, dass sich die Balken bogen. Vor allem in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts spielte es sich – um es salopp zu formulieren – ziemlich ab. 1986 war wohl das turbulenteste Jahr überhaupt in der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Damals beschäftigten gleich vier Affären gleichzeitig das Land: Kurt Waldheim, Noricum, Intertrading und Lucona.

Die Idee zu diesem Buch entstand – wie sollte es bei diesem Thema auch anders sein – aus einem aktuellen Anlass – sprich: Skandal. Nach einer Planungsphase von mehr als sieben Jahren wurde am 18. September 2012 der Grundstein für ein neues Großkrankenhaus in Wien-Floridsdorf gelegt. Dieses sogenannte Krankenhaus Nord mit seinen knapp 800 Betten sollte den ersten Planungen zufolge 600 Millionen Euro kosten und 2013 seinen Vollbetrieb aufnehmen. Beim Baubeginn betrugen die geschätzten Kosten bereits 825 Millionen Euro, der Vollbetrieb war ab 2016 geplant. Ende 2017 wurde dann bekannt, dass sich die geplante Eröffnung massiv verzögen würde. Grund war die Insolvenz mehrerer Bau- und Planungsfirmen, die an dem Projekt beteiligt waren. Diese Verzögerung schlug sich wiederum auf die Kosten nieder, die nun schon jenseits der Milliardengrenze liegen sollten.

Die Wiener FPÖ forderte eine unabhängige Überprüfung – der Bundesrechnungshof schaltete sich ein. Sein Rohbericht sickerte im Februar 2018 teilweise durch und zeigte erstmals schwarz auf weiß gröbere Probleme rund um das Krankenhaus Nord. Im Mai 2018 folgte dann der Endbericht, der die bekannten Auszüge aus dem Rohbericht inhaltlich voll und ganz bestätigte und das Desaster in seinem ganzen Ausmaß offenlegte: Die Prüfer attestierten dem Krankenanstaltenverbund (KAV) der Stadt Wien als Projektbetreiber und Bauherr „fehlendes Know-how, um ein Projekt in der Dimension des Krankenhauses Nord abzuwickeln. Fehlende, späte und falsche Entscheidungen verzögerten das Bauvorhaben und ließen die Kosten massiv steigen“. So führten die Kosten- und Terminüberschreitungen dazu, dass allein die Honorare für externe Auftragnehmer wie Projektleitung, Bauaufsicht, Rechtsberater und Gutachter in Summe 218 Millionen Euro betrugen. Weiters hieß es im Bericht: „Mit Juli 2016 hatte die örtliche Bauaufsicht 8.163 Baumängel erfasst, die von den Schwächen der vom KAV eingerichteten Projektorganisation zeugten.“

Auf der Baustelle passierten haarsträubende Fehler, und es gab unglaubliche Schlamperei und Misswirtschaft. So wurde in einem Bauabschnitt mit dem Innenausbau begonnen, noch bevor die Fassade fertig war. Die Folge: ein Millionenschaden durch Schimmel und Feuchtigkeit. Ein Heilgarten sollte sechs Millionen Euro kosten. Die Wartung des Bauzaunes rund um das Areal wurde mit einem mündlichen Auftrag vergeben und sollte 839.000 Euro kosten. Dabei lag ein Gegenangebot über gerade einmal 13.000 Euro vor, also nur 1,6 Prozent der vergebenen Auftragssumme. In einen nie gebauten Brunnen wurden 610.000 Euro investiert. Angesichts dieser Summen nimmt sich die Posse um einen esoterischen Energetiker, der um 95.000 Euro beauftragt wurde, einen „Schutzring“ rund um das Krankenhaus zu ziehen, geradezu harmlos aus. Mit Stand Juni 2018 lagen die Baukosten für das Krankenhaus Nord bereits bei mindestens 1,34 Milliarden Euro – Ausgangspunkt waren, wie erwähnt, 600 Millionen Euro. Der Vollbetrieb war bei Drucklegung dieses Buches mit Sommer 2019 geplant – eine Verzögerung von mindestens dreieinhalb Jahren. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelte, ob neben den teuren Schlampereien auch gegen das Strafrecht verstoßen wurde – für alle Beteiligten gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.

Da dränge sich ein Vergleich mit dem Skandal um den Bau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses auf, war ich mit einer Kollegin bei einer kurzen Diskussion im Newsroom der Mediengruppe ÖSTERREICH eins. Und wir beide sahen in fragende Gesichter mehrerer jüngerer Kollegen. Sie alle hatten noch nie etwas vom AKH-Skandal gehört, der Anfang der 1980er-Jahre die Republik erschüttert hatte. Eine Mikro-Umfrage in meinem Arbeitsumfeld und Bekanntenkreis zeigte mir dann, dass auch Themen wie Lucona, Noricum, Intertrading oder die Todesschwestern von Lainz, die in meiner Jugend jeweils über Monate die Berichterstattung dominiert hatten, wenige bis keine Erinnerungen hervorriefen. Das brachte mich auf den Gedanken, eine Art Skandalgeschichte der Zweiten Republik zu schreiben – als Erinnerung für die älteren Leser und als „Geschichtsunterricht“ für die jüngeren.

In diesem Buch beschäftige ich mich mit insgesamt zehn spektakulären Politik-Affären, Verbrechen und Wirtschaftspleiten. Die Zahl ist zufällig und hat keine tiefere Bedeutung – ich habe mir einfach jene Skandale herausgesucht, die ich für die größten und weitreichendsten halte. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Weitere Skandale, wie jene um das Krankenhaus Nord, die Beschaffung der Eurofighter oder um Verluste der Tiroler Hypo im Ausmaß von mehr als 400 Millionen Euro, werde ich im Lauf dieses Buches kurz streifen. Andere Affären wie den Weinskandal, der 1985 den Österreichern das Trinken vergällte, den Salzburger Finanzskandal, bei dem es 2012/13 um Spekulationen mit Steuergeld im Ausmaß von 1,8 Milliarden Euro und Verluste von 340 Millionen ging, oder diverse Schmiergeld-Vorwürfe rund um die Telekom Austria oder den Strabag-Konzern von Milliardär und Neos-Geburtshelfer Hans Peter Haselsteiner erschienen mir zwar interessant, aber nicht als „nachhaltig“ genug, um sie in die Liste der größten Skandale der Zweiten Republik aufzunehmen. Es entstand ein ungemein interessantes, spannendes und teils beklemmend zu lesendes Sittenbild der österreichischen Politik, aber auch ein kurzweiliger Überblick über sieben Jahrzehnte heimischer Zeitgeschichte.

Mit diesem Buch geht es mir nicht darum, einzelne Parteien oder Politiker zu verurteilen oder freizusprechen. Ich will auch nicht das gesamte politische System in Misskredit bringen, sondern anhand dieser zehn Fallstudien vielmehr der Frage nachgehen, ob es einen gemeinsamen Nenner gibt – ein politisches und gesellschaftliches Substrat, auf dem Skandale und Affäre besonders gut gedeihen. Und ich versuche am Ende zu ergründen, ob es Gemeinsamkeiten gibt, aus denen wir allgemeine Lehren ziehen können. Ein Schluss gleich vorweg: Moral und politische Verantwortung waren und sind leider in der österreichischen Politik der Nachkriegsgeschichte keine Kriterien. Rücktritte von verantwortlichen Politikern gab und gibt es nur, wenn diese unvermeidlich waren bzw. sind. Das Eingeständnis von politisch fehlerhaftem Handeln fehlt durch die Bank. Und trotz zahlreicher spektakulärer Prozesse und teils langjähriger Haftstrafen lässt sich festhalten, dass so gut wie immer nur die direkt verantwortlichen handelnden Personen zur Rechenschaft gezogen wurden. Politiker, die teils direkt beteiligt waren oder durch Wegschauen bzw. Nichthandeln Affären mit verursacht oder verschlimmert hatten, kamen stets ungeschoren davon.

Der Inhalt dieses Buches beruht auf dem Studium Tausender Agenturmeldungen und Berichte in Zeitungen und Zeitschriften. Dazu kommen mehrere Bücher und Originaldokumente, die ich im Anhang als weiterführende Literatur angebe, sowie zahllose Hintergrundgespräche und Erfahrungen, die ich teils bei den Recherchen für dieses Buch und teils davor in mittlerweile 23 Jahren als Journalist sammeln konnte.

Wer glaubt, Thriller-Autoren würden gute und spannende Plots erfinden, der sollte dieses Buch lesen – die besten Geschichten schreibt noch immer das Leben.

Wolfgang Fürweger

Wien, Dezember 2018

MORD UND BETRUG IM DUNSTKREIS DER REGIERUNG

DER FALL LUCONA

Die Lucona war ein Massengutfrachter, der am 23. Jänner 1977 nach einer Explosion im Indischen Ozean sank. Sechs der zwölf Besatzungsmitglieder starben. Ein freier Publizist deckte schließlich auf, dass der Untergang Teil eines gigantischen Versicherungsbetrugs war. Drahtzieher und Haupttäter war Udo Proksch, Society-Löwe mit besten Verbindungen in die regierende SPÖ, wodurch er eine Aufklärung und Strafverfolgung lange verhindern konnte. Schließlich wurde er aber 1992 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Lucona-Affäre stürzte die Sozialdemokraten in eine tiefe Krise und könnte auch der Hintergrund für den mutmaßlichen Mord am ehemaligen Verteidigungsminister Karl Lütgendorf (SPÖ) sein.

Die Ausgangslage: Ein Liebling der feinen Gesellschaft

Anfang der Siebzigerjahre stand in Österreich die Kür eines neuen Generalintendanten des ORF ins Haus. Für den Posten lag unter anderem die formelle Bewerbung des Unternehmers Udo Proksch vor, der als erlernten Beruf „Schweinehirt“ angab – sehr zum Gaudium der Wiener Gesellschaft. Proksch befand sich damals auf dem Höhepunkt seiner Strahlkraft und war genauso Enfant terrible wie Liebkind der Prominenz. Und ganz so falsch war die angegebene Berufsbezeichnung gar nicht. Rudolf „Udo“ Proksch kam am 29. Mai 1934 in Rostock als Sohn von überzeugten Nationalsozialisten zur Welt. Vater Rudolf senior war unter anderem Sekretär von SS-Gruppenführer und Kriegsverbrecher Otto Gustav Wächter in Galizien und später Mitglied der militärischen Abwehrgruppe Fremde Heere Ost, womit er für Reinhard Gehlen arbeitete, den späteren Gründer des Bundesnachrichtendienstes der BRD. Aufgrund seiner Stellung im Dritten Reich konnte Proksch seinen Sohn in die elitäre Nazi-Erziehungsanstalt Napola schicken. Dort war Udo Proksch vor allem eines: Prügelknabe. „Ich musste stark werden, um zurückprügeln zu können“, erinnerte er sich später.

Bei Kriegsende verschlug es die Familie 1945 nach Salzburg. Rudolf Proksch wurde als belasteter Nationalsozialist von den Amerikanern festgenommen und saß zwei Jahre lang im Internierungslager Glasenbach am südlichen Stadtrand von Salzburg in Haft. Nach seiner offiziellen Entnazifizierung fand er Arbeit in der Aluminiumfabrik von Lend, einer kleinen Gemeinde im Pinzgau, wo er rasch Betriebsrat und Gewerkschaftsfunktionär wurde. Während viele seiner früheren Parteigenossen in der SPÖ Unterschlupf fanden, war Rudolf Proksch 1949 Gründungsmitglied des VdU (Verband der Unabhängigen), der Vorgängerpartei der FPÖ. 1954 trat er unter dem damaligen Landeshauptmann und späteren Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) als Mitarbeiter für Presse, Statistik und Marketing in den Salzburger Landesdienst ein und durfte sich später „Chefredakteur“ nennen. Er wurde in weiterer Folge Mitglied im Bund sozialistischer Akademiker (BSA), obwohl er nie einen Hehl aus seiner nationalen Gesinnung gemacht hatte und weiterhin Mitglied der FPÖ war. Ein Zeitzeuge, der ihn gut gekannt hatte, erzählte mir, dass er oft direkt von Treffen der stramm rechten ehemaligen „Glasenbacher“ zu jenen des linken BSA fuhr und umgekehrt. Rudolf Proksch ging als angesehener und wohlbestallter Landesbeamter mit guten Beziehungen in alle Parteien in Pension. Als er 1996 starb, war seine großflächige Todesanzeige in den Salzburger Nachrichten mit germanischen Runen neben den Lebensdaten versehen – eine österreichische Nachkriegsbiografie.

Weil sein Vater 1945 in Glasenbach einsaß, musste Udo Proksch bereits als Elfjähriger zum Familienunterhalt beitragen, wurde Knecht auf einem Bauernhof und mistete dort vor allem den Schweinestall aus. Nach dem Ende der Pflichtschule brachte Proksch senior seinen Sohn im land- und gastwirtschaftlichen Betrieb der bekannten Familie Friesacher in Anif bei Salzburg unter, wo abermals das Ausmisten des Schweinestalls zu den Aufgaben des Burschen zählte. Der schmiss aber den Job und die landwirtschaftliche Fachschule, in die er nun gehen sollte, und zog ein Jahr durch Europa. In dieser Zeit entdeckte er seine künstlerische Ader: 1952 schrieb sich der damals 18-jährige Udo Proksch als Gastschüler an der Salzburger Kunstgewerbeschule ein. Von 1954 bis 1958 studierte er dann an der Akademie für angewandte Kunst in der Meisterklasse für gewerblich-industrielle Entwürfe von Oswald Haerdtl (1899–1959), der damals einer der bekanntesten und einflussreichsten Architekten und Designer des Landes war und unter anderem Elemente des italienischen Espressostils in die traditionellen Wiener Kaffeehäuser einführte. Die Wiener Kaffeehauskultur sollte später auch Proksch’ Berufung werden. Sein Studium schloss er aber nie ab – vor allem, weil er bereits ab 1957 als Designer und Art-Director für die Firma von „Plastikkönig“ Wilhelm Anger in Traun bei Linz tätig war. Unter dem Künstlernamen Serge Kirchhofer entwarf er Sonnenbrillen, die unter den Marken „Serge Kirchhofer“, „Vienna- line“, „Carrera“ und „Porsche Design“ vertrieben wurden.

Mit dem Geld und Ruhm des Serge Kirchhofer trat Proksch in Wien als Lebemann und zugleich Schrecken der feinen Gesellschaft auf. Er war ein Freund von Bundeskanzler Bruno Kreisky, hatte zumindest eine Zeit lang beste Kontakte zum Kreml, besaß ein sowjetisches Dauervisum und stand später im dringenden Verdacht, Informant des sowjetischen Geheimdienstes KGB und vor allem der ostdeutschen Staatssicherheit gewesen zu sein. Gleichzeitig verkehrte er mit den Kennedys und den Diktatoren von Uganda und Libyen, Idi Amin und Muammar al-Gaddafi. Er bezeichnete sich selbst als völlig apolitisch, erklärte aber offen, die Bourgeoisie zu hassen. Dennoch suchte er stets die Nähe zur Oberschicht und zog vor allem deren Damen an. Obwohl Proksch nur 1,60 Meter groß und äußerlich kein Adonis war, hatte er Dutzende Affären – unter anderem sagte man ihm ein Verhältnis mit Imelda Marcos nach, der Frau des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos – und war allein in den Sechzigerjahren dreimal verheiratet: von 1962 bis 1967 mit der bekannten Burgschauspielerin Erika Pluhar (*1939), von 1967 bis 1968 mit der Film- und Theaterschauspielerin Daphne Wagner (*1946), einer Urenkelin von Richard Wagner, und schließlich ab 1969 mit der Journalistin Ariane Glatz. Nach ihr ging er mit Cecilie Salm-Reifferscheidt-Krautheim eine langjährige Beziehung ein. Deren Titel als Gräfin war zwar mit dem Ende der Monarchie erloschen, wurde aber im Österreich der Sechzigerund Siebzigerjahre noch immer stolz getragen. Mit ihr bekam Proksch zwei Kinder. Aus der Ehe mit Erika Pluhar stammte Tochter Anna Proksch, die 1999 tragischerweise nach einem Asthma-Anfall verstarb. Ein viertes Kind, ein Sohn, ging 1981 aus der Affäre mit Gräfin Alexandra Colloredo-Mannsfeld hervor.

Proksch war ein Lebemann, Windhund der Gesellschaft und eine für ihr Umfeld faszinierende Figur voller skurriler Ideen, die allesamt nicht besonders ernst gemeint waren: So gründete er 1969 den Verein der Senkrechtbegrabenen, dessen Ziel es war, Tote in Plastikrohre einzuschweißen und senkrecht in die Erde zu stellen. So wollte er die Kunststoffindustrie ankurbeln und den Platzmangel auf den Friedhöfen beenden. Mitglieder des Jux-Vereins waren unter anderem der damalige ORF-Fernsehdirektor und spätere Unterrichtsminister und Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, Erika Pluhar sowie der Schauspieler, Kabarettist und Autor Helmut Qualtinger. Eine andere wirre Idee war die Schaffung eines Sperrgebiets, in dem sich Männer mit echten Waffen im scharfen Schuss austoben sollten. So könnten sie ihren unausrottbaren Tötungstrieb kontrolliert ausleben, argumentierte Proksch. Die feine Gesellschaft schlug sich ob dieser geistreichen Gesellschaftskritik lachend auf die Schenkel.

Waffen und das Militär hatten es Udo Proksch, der als sogenannter Weißer Jahrgang nie zum Bundesheer musste, zeit seines Lebens angetan. Er war lange nur im Military-Look unterwegs und fuhr einen Jeep oder Maserati, den er in Tarnfarben hatte lackieren lassen. Außerdem ging er fast nie ohne Pistole aus dem Haus. Einmal schoss er in einem Szenelokal nahe dem Wiener Stephansplatz unter dem Applaus der Gäste einen Luster von der Decke, um seine Treffsicherheit zu demonstrieren. Ein anderes Mal ballerte er einer verzweifelten Kellnerin ein Sektglas nach dem anderen vom Tablett. Und wiederholt drohte er im Streit, er würde sein Gegenüber erschießen. Seinen Waffenpass verlor er dennoch nie. Proksch pflegte auch beste Beziehungen zu Verteidigungsminister Karl Lütgendorf (SPÖ) und durfte daher einmal in einem Saab-Jagdbomber mitfliegen, als dieser über Wien hinwegdonnerte. Der von ihm gegründete Verein CUM (Civil und Militär) erhielt dank Lütgendorf ausgemusterte Flugzeuge und Lkws des Heeres als „Leihgaben“ für die Männerspiele seiner Mitglieder. Und auf dem Truppenübungsplatz Hochfilzen in Tirol führte Proksch wiederholt Sprengübungen durch – unter der Aufsicht des damaligen Heeres-Majors Hans Edelmaier, der später im Lucona-Strafprozess neben Proksch auf der Anklagebank sitzen sollte.

Der Club 45

Im Jahr 1972 stand das Wiener Traditionscafé Demel zum Verkauf und Proksch schlug zu. Er trat jedoch nicht selbst als Käufer auf, sondern schaltete das Schweizer Unternehmen Lylac und seine Lebensgefährtin Cecilie Salm-Reifferscheidt-Krautheim als Strohfrau dazwischen. Denn an den schrillen Emporkömmling Proksch hätte der vormalige Eigentümer, der Baron und Künstler Friedrich Ludwig Berzeviczy-Pallavicini, nie verkauft, auch wenn er mit einem Bein schon vor dem Konkursrichter stand. Das Demel befindet sich noch heute am Kohlmarkt, einer der nobelsten Adressen von Wien. Die ehemalige k. u. k. Hofzuckerbäckerei wurde 1786 gegründet und gilt als eigentliche Wiege der weltberühmten Sachertorte. Legendär waren auch die Kellnerinnen: Die sogenannten Demelinerinnen waren stets schwarz gekleidet und trugen einen weißen Spitzenkragen. Ihren neuen Chef nannten sie respekt- und liebevoll „Herr Udo“. Der sorgte rasch dafür, dass das Traditionscafé weniger wegen seiner Torten und Mehlspeisen von sich reden machte als vielmehr durch seine prominenten Gäste aus Politik und Wirtschaft.

Kurz nach der Übernahme des Demel war Proksch 1973 nämlich auch Mitgründer des Club 45, der als sozialdemokratisch geprägter Herrenclub nach englischem Vorbild die Idee dreier bekannter SPÖ-Politiker war: Leopold Gratz (1929–2006), damals Klubchef im Nationalrat, später Wiener Bürgermeister, Außenminister und Nationalratspräsident, Hannes Androsch (*1938), damals Finanzminister und später auch Vizekanzler, und der damalige Zentralsekretär (Bundesgeschäftsführer) der SPÖ und Nationalrat Fritz Marsch (1926–2009). Bei der Wahl des Clublokals soll Gratz als Gründungspräsident seinen Bekannten Proksch ins Spiel gebracht haben, der einen Raum im ersten Stock des Demels zur Verfügung stellte. Der Club 45 war als schlichter „Geselligkeitsverein“ bei der Behörde angemeldet und wurde alsbald zum Tummelplatz der Spitzen der sozialistischen Partei und der SPÖ-dominierten Wirtschaft, die sich wie Hofschranzen um Udo Proksch und seinen engsten Freundeskreis scharten. Zu den Clubtreffen kamen in den Siebzigerjahren bis zu 200 Mitglieder – unter ihnen auch der spätere Bundespräsident Heinz Fischer, der zu den engsten Freunden von Proksch zählte, und der spätere Kanzler Franz Vranitzky.

Hans Pretterebner, freier Publizist und Aufdecker des Lucona-Skandals, beschrieb in seinem Buch „Der Fall Lucona“ den Club 45 als mafiöses Machtinstrument der SPÖ, die mithilfe der „roten Loge von Wien“ Österreich mit einem System von Korruption und Parteibuchwirtschaft überzogen hätte. Wenn Pretterebner in seiner Abneigung auch etwas übertrieb, so ist doch an seiner Schilderung viel Wahres. „Der Club 45 ist mein Schutzwall gegen die Intrigen, die man gegen mich spinnt“, sagte Proksch über „seinen“ Verein – der „Herr Udo“ litt immer auch ein wenig an Verfolgungswahn. In Wien rankten sich zahlreiche Verschwörungstheorien um eine geheime Loge innerhalb des Club 45. Auch Gerüchte machten die Runde, Proksch hätte die nicht immer jugendfreien Herrenabende mit versteckten Kameras filmen lassen und die Beteiligten dann erpresst. Dank dieser Druckmittel hätte er in weiterer Folge die Aufdeckung des Lucona-Skandals lange Zeit verhindern bzw. verzögern können.

Ein perfider Versicherungsbetrug

Mitte der Siebzigerjahre war der Bohemien, Strippenzieher und Unternehmer Udo Proksch auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Es fiel ihm jedoch nicht ein, sich damit zufrieden zu geben. Pretterebner schildert ihn als manische Persönlichkeit, die immer auf der Suche nach neuen, schrillen und außergewöhnlichen Projekten war. Wie genau die Idee zu einem gigantischen Versicherungsbetrug entstand, der die halbe Welt umspannen sollte, ist nicht ganz klar. Pretterebner, der Proksch auch persönlich gut gekannt hat, glaubt, „der Udo“ habe sich von der Stasi inspirieren lassen. Der berüchtigte DDR-Geheimdienst, zu dem der Demel-Besitzer ja beste Kontakte unterhalten haben soll, organisierte durch große Versicherungsbetrügereien wiederholt wertvolle Devisen für den Arbeiter- und Bauernstaat. Wie auch immer: Das Komplott, das Proksch ausheckte, wäre wohl bei den meisten Hollywood-Produzenten als Drehbuch durchgefallen, weil es so unrealistisch erschien. Im Zentrum des Plans standen die Lucona und jede Menge Schrott. Die Lucona war ein Massengutfrachter, der 1966 auf der Büsumer Werft in Deutschland gebaut worden war, einer niederländischen Reederei gehörte und unter panamesischer Flagge fuhr. Mit einer Länge von 75 Metern gehörte er zu den kleineren Hochseefrachtern und zu einer Generation von Schiffen, die Mitte der Siebzigerjahre bereits weitgehend von den Containerfrachtern abgelöst worden war.

Im Spätherbst 1976 charterten Proksch und sein „kongenialer“ Partner Hans Peter Daimler über die Schweizer Briefkastenfirma Zapata AG, an der sie beide beteiligt waren, die Lucona. Daimler, ein zwielichtiger Spross der gleichnamigen Autobauer-Dynastie, war damals als Gastwirt und Nachtclubbesitzer in der Stadt Salzburg tätig und überreichte neuen Bekannten stets eine Visitenkarte, die ihn als „Vice-President of Zapata SA, Suisse“ auswies. Ende 1976 wurde die Lucona dann im Auftrag der Zapata AG im kleinen Hafen Chioggia nahe Venedig mit einer angeblichen Aufbereitungsanlage für Uranerz beladen. Die Kernenergie galt in den Siebzigerjahren weltweit als Lösung für alle Energieprobleme – in Österreich waren drei Atomkraftwerke geplant, bis sich die Bevölkerung in einer historischen Volksabstimmung 1978 gegen die Inbetriebnahme des bereits fertig gebauten AKW in Zwentendorf entschied. Ihre angeblich so wertvolle Fracht versicherten Proksch und Daimler bei der Bundesländer-Versicherung, der Vorgängergesellschaft der Uniqa, in Wien auf 212 Millionen Schilling (15,4 Millionen Euro), nach heutigem Wert knapp 50 Millionen Euro. Fast gleichzeitig übernahm ein italienischer Mafiaclan über Strohmänner die Reederei der Lucona und schloss eine hohe Versicherung auf das Schiff ab, dessen Fracht angeblich in Hongkong verkauft werden sollte. Der genannte Empfänger, die North Pacific Trading Ltd., war aber nur eine weitere Briefkastenfirma, die Proksch gehörte, und wie sich später herausstellte, sollte die Lucona nie an ihrem Ziel ankommen.

„Wenn dieser Herr ein Betrüger sein sollte, hat er sich diese Versicherung nicht umsonst ausgesucht“, zitierte Pretterebner den namentlich nicht genannten Direktor einer großen Hamburger Seefracht-Versicherung. In Österreich war damals die gesamte Versicherungs- und Finanzwirtschaft zwischen den beiden großen politischen Machtblöcken aufgeteilt. So gehörten die Wiener Städtische und ihre Tochterunternehmen zum Einflussbereich der SPÖ, während die Bundesländer-Versicherung Teil des tiefschwarzen Raiffeisen-Imperiums war. Im Nachhinein betrachtet war es eine ziemliche Dreistigkeit und wohl auch ein zynischer Spaß, dass Proksch als Liebkind der SPÖ und auf Du und Du mit zahlreichen sozialistischen Regierungsmitgliedern für seinen Betrug eine schwarze Versicherung als Opfer wählte. Die dortigen Manager fühlten sich aber geehrt, dass der „Herr Udo“ ausgerechnet ihre regional ausgerichtete Versicherung für ein internationales Urangeschäft wählte, das von der Schweiz über Österreich und Italien bis nach Hongkong führen sollte. Offenbar war Proksch der Meinung, die „Bauernschädel“ der Raiffeisen-Versicherung würden sein weltweit umspannendes Komplott nie durchschauen, geschweige denn vor Gericht nachweisen können. Und er hielt laut Pretterebner die Bundesländer-Versicherung wegen ihrer Nähe zur ÖVP und dubioser Parteispenden für so weit erpressbar, dass sie es nie wagen würde, ihm die Auszahlung der Versicherungssumme zu verweigern.

Am 23. Jänner 1977 war die Lucona nach 17 Tagen auf See im Indischen Ozean nahe der Malediven unterwegs, als um 15.50 Uhr Ortszeit eine Explosion den Rumpf erschütterte. Das Schiff sank binnen zwei Minuten unter Flammen und Rauchentwicklung; sechs der zwölf Besatzungsmitglieder kamen ums Leben: der Erste Ingenieur Caspar Borbely, dessen Verlobte Beatrix van der Hoeven sowie die Matrosen Carlos Medina, Vito Marco Fortes, Andrew Davis und Silvester Roberts. Die Überlebenden konnten sich zum Teil schwer verletzt auf ein Beiboot retten und wurden nach zehn Stunden im Meer treibend von der Besatzung eines türkischen Tankers gerettet. Zuvor waren zwei andere Schiffe einfach vorbeigefahren, weil sie die Schiffbrüchigen für eine Falle von Piraten gehalten hatten. Bei ihrer Bergung und auch noch danach sprachen die Überlebenden übereinstimmend von einer Explosion im Laderaum.

Proksch zeigte sich ob der vermeintlichen Tragödie tief erschüttert. Nur eine Woche nach dem Untergang wurde sein Anwalt Heinz Damian, der „zufällig“ Vorstandsmitglied im Club 45 und auch Rechtsvertreter der SPÖ war, per Express-Einschreiben bei der Bundesländer-Versicherung vorstellig, um ein Akonto von 100 Millionen Schilling (7,72 Millionen Euro) der Versicherungssumme zu verlangen. Allerdings hatte Proksch nicht mit dem Anwalt der Gegenseite gerechnet: Werner Masser war als Mitglied im ÖVP-nahen Cartellverband (CV) ein leidenschaftlicher Gegner der SPÖ und des Club 45 und zweifelte von Anfang an die Unfallversion an. Als die Bundesländer-Versicherung auf sein Betreiben die Auszahlung der Versicherungssumme verweigerte, klagte die Zapata AG. Es begann ein endloser Zivilprozess, der so teuer wurde, dass sich die Streitsumme bis Ende 1989 fast verdreifachte.

Politische Protektion und behinderte Ermittlungen

Die österreichische Polizei und Strafjustiz zeigten trotz der sechs Toten und des zivilrechtlichen Streits keinerlei Engagement, in dem Fall zu ermitteln. Schließlich war der Indische Ozean weit weg, die Idee eines Versicherungsbetrugs klang auf den ersten Blick zu abstrus und jeder wusste, in welchen Kreisen sich Proksch bewegte. Als im Februar 1983 ein Richtersenat des Oberlandesgerichts Wien im Lucona-Zivilprozess der Zapata AG in einem nicht rechtskräftigen Urteil „dem Grunde nach“ recht gab, engagierte Masser den bekannten Schweizer Leibwächter und Privatermittler Dietmar Guggenbichler. Das Urteil wurde übrigens später vom Obersten Gerichtshof wieder aufgehoben und der Senat wegen Befangenheit abberufen – so war etwa Senatsvorsitzender Richard Jäger Dauergast am Richterstammtisch im Club 45. Guggenbichler hatte seit 1981 als V-Mann für die Salzburger Polizei fungiert. Er liebte seinen Revolver mindestens so sehr wie Proksch seine Pistole und genoss wegen seiner unkonventionellen bis hemdsärmeligen Methoden sowie seiner medialen Geltungssucht einen gewissen Ruf. Er galt aber auch als guter Schnüffler.

Masser hatte damals bereits ein einigermaßen vollständiges Bild von den tatsächlichen Ereignissen in Händen, das Privatermittler Walter Penk-Lipovsky schon 1977 gezeichnet hatte. Dieser hatte trotz dreimonatiger Recherchen keine Hinweise auf die tatsächliche Existenz einer Uranmühle gefunden. Die wertvolle Fracht hätte zudem laut Ladepapieren 700 Tonnen wiegen sollen, allerdings zeigten die Tiefgangsmarken beim Auslaufen der Lucona nur 280 Tonnen an. Tatsächlich bestand die Ladung vor allem aus Schrott aus dem aufgelassenen Kohlebergwerk von Oberhöflein in Niederösterreich, das Proksch 1971 über die Firma Optico Forschungs & Vertriebsges. m. b. H. & Co. KG gekauft hatte. Weil das Schiff mit weniger Gewicht schneller war als geplant, wäre es zum Zeitpunkt der Explosion bereits in flachen Gewässern zwischen Indien und Sri Lanka gewesen, wo das Wrack einfach zu orten gewesen wäre. Wie sich im späteren Beweisverfahren herausstellte, unternahm Proksch einiges, um das zu verhindern: So ließ er vor dem Sueskanal am 10. Jänner 1977 die Kanalgebühr zu spät überweisen, womit er einen Tag „gewann“. Danach ließ er nicht in Aden auf der Arabischen Halbinsel, das direkt an der Route gelegen wäre, Treibstoff bunkern, sondern schickte die Lucona nach Dschibuti (Afrika), wodurch sich die Fahrt um einen weiteren Tag verzögerte. Der Zeitpunkt der Explosion war also bereits beim Ablegen festgestanden – die Lucona sollte mit den Verzögerungen in „passende“, tiefe Gewässer gelenkt werden.

Guggenbichler fand im Frühjahr 1983 die letzten Mosaiksteine, die den Fall auf den ersten Blick wasserdicht machen sollten. Er konnte belegen, dass die Kohleanlage von Oberhöflein nie wirklich verkauft und verschrottet worden war, wie Proksch und Daimler das im Zivilprozess ausgesagt hatten. Und vor allem brachte er Max Peterhans, der bis Mitte 1974 alleinzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat der Zapata AG gewesen war, dazu, eine schriftliche Aussage zu verfassen. Proksch hatte in Wien vor dem Zivilgericht erklärt, Peterhans habe ab 1973 das Geschäft mit der Uranmühle eingefädelt, womit er diesem für den Fall des Falles gleich den Schwarzen Peter in einem möglichen Verfahren wegen Versicherungsbetrugs zuschob. Guggenbichler legte dem Schweizer die Proksch-Aussage vor, der daraufhin schriftlich erklärte, nie etwas von dem Deal gewusst, geschweige denn daran mitgewirkt zu haben. Später wiederholte Peterhans diese Aussage vor der österreichischen Polizei.

Am 1. Juli 1983 übergab Guggenbichler der Polizei in Salzburg, wo Zapata-Bevollmächtigter Daimler residierte und er als V-Mann bekannt war, seine Ermittlungsergebnisse. Die Aktion war mit Masser nicht abgesprochen, der darüber fuchsteufelswild gewesen sein soll, aber laut Pretterebner typisch für den Privatermittler: „Er hat immer die Polizei eingeschaltet, diese ermitteln lassen und dann die Ergebnisse übernommen.“ Der zuständige Kripo-Gruppeninspektor Werner Mayer verhörte erstmals Hans Peter Daimler, worauf sich Proksch einschaltete und sich an Innenminister und Club-45-Gründungsmitglied Karl Blecha (SPÖ) wandte. Dieser wies am 9. August 1983 den Leiter der Staatspolizei im Innenministerium, Armin Herrmann, an, dafür zu sorgen, dass die Ermittlungen der Salzburger Polizei sofort eingestellt werden. Dem zuständigen Kripobeamten wurde sogar ein Disziplinarverfahren angedroht, sollte er sich nicht an die Weisung halten. Mayer legte daraufhin noch schnell eine Anzeige „wegen des Verdachts des Mordes, des versuchten Mordes, des schweren Betrugs und der falschen Beweisaussage vor Gericht“ (Lucona-Zivilprozess – Anm.) an und schickte sie pflichtgemäß an die Staatsanwaltschaft Salzburg, die wiederum umgehend angewiesen wurde, den Fall nach Wien abzugeben, in den „Herrschaftsbereich“ von Proksch und der SPÖ. Dort stufte der neue Justizminister Harald Ofner (FPÖ) die Causa umgehend als „Straffall von besonderer Wichtigkeit“ ein und stellte sie damit unter „Berichtspflicht“. Jeder österreichische Beamte wusste, was das zu bedeuten hatte – jeder noch so kleine Schritt musste „von oben“ abgesegnet werden. Und es gab eine weitere prompte Reaktion: Nach einer Weisung des SPÖ-nahen Salzburger Sicherheitsdirektors Günther Thaller wurde Guggenbichler wegen des Verdachts der Gewerbeübertretung angezeigt, weil er in Salzburg keine Lizenz für eine Detektei besaß. Außerdem verlor er innerhalb weniger Stunden seinen Waffenpass, der ihm erst eineinhalb Jahre zuvor in Salzburg ausgestellt worden war. Die Behörden verwiesen dabei auf die „rücksichtslosen“ Methoden des „bedenkenlosen Menschen“ Guggenbichler. In weiterer Folge wurden gegen den Privatermittler zwei Jahre lang Vorerhebungen wegen des Verdachts der Nötigung und Verleumdung geführt.

Gleichzeitig wurden die Ermittlungen gegen Proksch und Daimler auf höchster politischer Ebene und mithilfe eines kleinen Klüngels von parteipolitisch motivierten Beamten in der Oberstaatsanwaltschaft Wien behindert. So durfte die Staatsanwaltschaft Wien auf Weisung der Oberstaatsanwaltschaft Wien, die von Proksch-Freunden durchsetzt war, keine gerichtliche Voruntersuchung durchführen. Denn dann hätten sofort Haftbefehle ergehen müssen, weil bei einer Strafdrohung von 20 Jahren bis lebenslänglich, wie sie für Mord und Mordversuch gilt, automatisch Fluchtgefahr angenommen wird – neben Tatbegehungs- und Fluchtgefahr einer von drei Gründen für U-Haft. Staatsanwalt und Polizei durften nur sogenannte Vorerhebungen durchführen, aber ausdrücklich nur wegen des Verdachts des Betrugs. Am 18. Juli 1984 gab es daraufhin mehrere Hausdurchsuchungen, bei denen Pläne der Kohle-Anlage in Oberhöflein, aber keine für eine Uranmühle gefunden wurden. Dennoch gestattete die Oberstaatsanwaltschaft Wien weiterhin keine Voruntersuchung.

Als Masser ein Privatgutachten vorlegte, das den Verdacht auf eine Sprengung der Lucona erhärtete, ließ Untersuchungsrichter Wilhelm Tandinger, für Pretterebner „der wahre Held“ im Fall Lucona, am 15. Februar 1985 Proksch und Daimler verhaften, obwohl sich das Verfahren nach wie vor nur im Stadium der Vorerhebungen befand. Nach einer kurzen Schrecksekunde setzte Verteidiger Damian die Maschinerie der Proksch-Freunde und des Club 45 in Bewegung: Er selbst sprach von einem „krassen Fall von Politjustiz“. André Heller sandte eine Solidaritätsadresse aus Israel, ORF-Fernsehpionier Teddy Podgorski schickte auf offiziellem Geschäftspapier des öffentlichen Rundfunks einen Brief mit Durchhalteparolen in die Zelle, Niki Lauda besuchte Proksch begleitet von zahlreichen Journalisten im Gefängnis und Außenminister Gratz diente sich via Interview als Entlastungszeuge an: Er selbst habe in Chioggia gesehen, wie die Uranmühle auf die Lucona verladen worden sei. Diese Aussage wiederholte der Gründungspräsident des Club 45 auch unter Wahrheitspflicht, weshalb Proksch und Daimler nach der ersten Haftprüfung, die turnusgemäß nach zwei Wochen angesetzt war, wieder auf freien Fuß kamen. Weil der Außenminister aber eine dreiste Lüge aufgetischt hatte, wurde er später wegen Falschaussage rechtskräftig verurteilt.

Wie später im Untersuchungs-Ausschuss detailliert offengelegt wurde, verhinderten die Oberstaatsanwaltschaft und das Oberlandesgericht Wien weiterhin eine gerichtliche Voruntersuchung. Sie mussten aber die Staatsanwaltschaft Wien und das damalige Landesgendarmeriekommando Niederösterreich, das wegen des Bezugs zu Oberhöflein eingeschaltet worden war, weiter vorerheben lassen. Gleichzeitig gab es zahlreiche massive Interventionen der Proksch-Freunde in Politik und Justiz, die das Verfahren behindern sollten. So wurden die ermittelnden Polizeibeamten und zuständigen Staatsanwälte mit allen Mitteln des Dienstrechts unter Druck gesetzt, Untersuchungsrichter Tandinger drohte gar eine Einweisung in die Psychiatrie. Zwischen 1983 und 1988 wurden laut dem Endbericht des U-Ausschusses insgesamt 35 Berichtsaufträge und Weisungen erteilt, deren „weitaus überwiegende Zahl … sich zugunsten des Beschuldigten auswirken sollte“.

Im Mai 1986 wurde erstmals der Kapitän der Lucona, der Holländer Jacob Puister, in Wien einvernommen. Er hatte längere Zeit als unauffindbar gegolten – Pretterebner spürte ihn schließlich in Costa Rica auf. Obwohl es hierzulande Medienberichte gab, wonach der Verlust des Frachters seine Schuld gewesen sei, erklärte sich Puister bereit auszusagen und äußerte gegenüber den österreichischen Behörden den Verdacht, beim Untergang sei „etwas Schmutziges“ im Spiel gewesen – die Schlinge begann sich langsam, aber sicher zuzuziehen.