Land unter - Wolfram Weimer - E-Book

Land unter E-Book

Wolfram Weimer

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Beschreibung

Was in unserer Demokratie fehlt: Rückgrat beweisen – Haltung zeigen

Christian Wulff und Theodor zu Guttenberg – nur zwei Beispiele von vielen, deren mangelndes Unrechtsbewusstsein unser Vertrauen in die Politik und ihre Gesichter nachhaltig erschüttert hat. Moral, Ernsthaftigkeit, Loyalität, Hal­tung – diese Grund­­werte haben kaum noch Gewicht in unserer Gesellschaft. Das Resultat: Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit, eine Demokratie auf rasanter Talfahrt.

Wolfram Weimer zeigt nicht nur die Schwächen unseres Systems und seiner Vertreter. Er ruft in Erinnerung, was ganz oben auf der Prioritätenliste steht: »Die Politik muss wieder lernen, dass Wahrheiten unabdingbar sind (...) und dass heute nicht mehr gilt, mehr Demokratie zu wagen, sondern mehr Haltung.«

  • Kluge Gedanken zur Lage der Nation
  • Ein überzeugender Appell für mehr Haltung in Politik und Gesellschaft

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Seitenzahl: 73

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Inhaltsverzeichnis

DIE ARGENTINISIERUNG EUROPASDER MODERNISIERUNGSBRUCHDER FLUCH DES MITTEISMUSDER VERLUST AN HERKUNFTBRAUCHEN WIR DAS SAARLAND?DER SUPERNANNY-STAAT BEVORMUNDETDIE MISSTRAUENSREPUBLIKDAS FANAL DER VERSCHULDUNGDAS UNTERGANGSMÄRCHENCopyright

Alle klagen über die Schuldenkrise, die finanzielle. Dabei leiden wir an größeren Kreditoren, den kulturellen nämlich, und womöglich bedingen diese die finanziellen sogar.

Nehmen wir Lothar Matthäus oder Daniela Katzenberger oder Mario Barth. Jeder kennt sie. Aber wer hat schon einmal etwas von Herbert Kroemer, Peter Grünberg oder Gerhard Ertl gehört? Kaum einer. Dabei sind sie deutsche Nobelpreisträger der jüngsten Zeit. Allerdings Wissenschaftler. Und da beginnt das Problem. Wir haben eine seltsame Hierarchie von Wichtigkeiten etabliert, die technische und wissenschaftliche Intelligenz gering schätzt, die rhetorische höher und die inszenatorische am höchsten. Das Gewusste und Gekonnte sind uns zusehends weniger wert als das Interpretierte und noch weniger als das zur Schau Gestellte. Wie der Schuldschein zum wahren Vermögen steht auch der Bühnenschein zum intellektuellen Vermögen in einem immer krasser werdenden Missverhältnis.

Entdecker, Erfinder, Wissenschaftler, Akademiker  – die konzentrierte Sphäre der Intelligenz, die Wahrheitssucher also – haben Deutschland groß und vor allem reich gemacht. Es gab dereinst sogar einen Heldenkult um Wahrheit und Wirklichkeit, woraufhin Kinder Forscher, Ingenieure, Lokführer, Ärztinnen werden wollten. Vorbei. Heute träumen sie von dreierlei Äußerlichkeitsberufen: Model-, Fußballer- und Showmaster-Karrieren. Die Welt der Bühne hat die des Labors als Sehnsuchtsort abgelöst – Wunderkerzen ersetzen Wahrheiten.

Man mag den Niedergang des Bildungssystems schelten, die Technikfeindlichkeit der Postmoderne oder die Fahrigkeit einer Vergnügungswelt. Die Folgen sind jedenfalls heikel, denn uns zerrinnt das Intelligenzbewusstsein wie in einer Sanduhr der Zerstreuung. In dieser Sanduhr aber steckt nichts weniger als unser künftiger Wohlstand. Dem finanziellen Schuldennehmen geht das kulturelle also voraus. Wir leben nicht nur monetär von der Substanz. Die schleichende Erosion unserer kollektiven Intelligenz, unserer technischen Dominanz, unserer finanziellen Solidität entspringt aus einer kulturellen Haltung des Spielerischen, des Unernstes, weil wir die Hierarchie der Wahrheiten durch eine Hierarchie der Fahrigkeiten ersetzen. Wir schätzen Wahrheiten einfach nicht mehr genug.

Lieber schauen wir auf Heidi Klums stolzierende Mädchen, salbadern mit Oliver Kahn, lauschen millionenfach den Selbstblamagen von Deutschland sucht den Superstar – und lassen es zu, dass Tausende unserer besten Wissenschaftler auswandern.

Die fehlende Wertschätzung für das Wahrheitsprinzip und der Marsch in die Power-Point-Selbstpräsentationswelt laufen parallel. Das Kleid des Marketing umschmeichelt alles: Professoren, Politiker und Unternehmer, Sportler, ja selbst Bischöfe, die etwas gelten wollen, müssen inzwischen darauf achten, dass sie medial geschmeidig und präsent sind. Die Aufmerksamkeitsökonomie treibt dabei ihre eigenen Blüten. Wenn zum Beispiel Ursula von der Leyen – eine Meisterin in diesem Fach – für eine vermeintlich gute Sache morgen halbnackt auf einem Schimmel durch eine deutsche TV-Kita reiten würde, man würde es fast als normal erachten.

Immer weniger hört man auf das, was einer zu sagen hat, als auf das, wie und wo und vor wie vielen er es sagt. Ernst Jüngers Diktum »Die Intelligenz ist unsere glitzernde Uniform« hat sich ins Gegenteil verkehrt. Heute ist häufig die glitzernde Uniform unsere Rest-Intelligenz.

Der Marsch in die Blendwerkwelt ist für Deutschland nicht nur ungewöhnlich, er ist vor allem gefährlich. Denn Deutschland lebt weder von Rohstoffen noch von politisch-militärischen Machtoptionen noch von billigen Standortfaktoren, am wenigsten von der Kunst der Verzauberung, sondern vornehmlich von der pragmatischen Intelligenz seiner Menschen.

Unsere Goldgruben sind Schulen, Universitäten, Unternehmen und Forschungsstätten. In ihnen wird der wertvollste Rohstoff, den wir haben, erschlossen: Intelligenz. Obwohl diese Erkenntnis bis zur kollektiven Ermüdung in Sonntagsreden wiederholt wird, tut Deutschland dramatisch wenig für diese Wohlstandsbasis.

Deutschlands Anteil am weltweiten Talentpool geht rapide zurück. Der Bildungsbericht 2011 von der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dokumentiert den Abstieg der deutschen Bildungselite. Demnach sind unter den 55- bis 64-Jährigen zwar noch 6,3 Prozent der Hochqualifizierten in sämtlichen OECD-Ländern Deutsche.

Unter den 25- bis 34-Jährigen indes stellt Deutschland nur noch 3,1 Prozent der Toptalente. Grund dafür ist einerseits, dass aufstrebende Nationen wie Indien oder China aufholen. Andererseits aber sackt Deutschland von sich aus richtig ab: Unter den Industriestaaten hat die Bundesrepublik die geringsten Zuwachsraten an Hochqualifizierten. Ein Land nach dem anderen zieht am vermeintlichen Volk der Dichter und Denker vorbei.

Über die vergangenen fünf Jahrzehnte ist die Quote an Hochqualifizierten – das sind in der Betrachtung der OECD diejenigen mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss oder Meisterbrief – hierzulande kaum gewachsen.

Anfang der 1960er-Jahre erwarb in Deutschland knapp jeder fünfte junge Erwachsene einen Hoch-oder Fachhochschulabschluss oder einen Meisterbrief. Damit lag Deutschland damals im Mittelfeld der Industrieländer. Bis heute stieg der Anteil der Hochqualifizierten zwar ein wenig auf 26 Prozent. Im OECD-Durchschnitt beträgt dieser Anteil aber inzwischen 37 Prozent, sodass Deutschland auf einen der unteren Plätze abgerutscht ist. Die größten Fortschritte machten Korea und Japan, die von einem niedrigen bis mittleren Niveau starteten und heute an der Spitze stehen. Die USA liegen mit 41 Prozent noch knapp über dem OECD-Durchschnitt.

Auch an den Mitteln, die Deutschland für Bildung aufwendet, zeigt sich der systematische Niedergang. Die Investitionen in Bildung sind in den vergangenen Jahren gemessen an der Wirtschaftskraft sogar zurückgegangen. Gaben öffentliche und private Stellen 1995 noch 5,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildungseinrichtungen aus, so waren es 2008 nur noch 4,8 Prozent. Damit ist Deutschland beinahe Schlusslicht unter den OECD-Ländern. Nur Tschechien und die Slowakei investieren einen kleineren Anteil ihrer Wirtschaftskraft in die Bildung.

Besonders problematisch ist die Lage in Deutschland im Grundschulbereich. Während hier im OECD-Durchschnitt pro Schüler 7.200 Dollar im Jahr fließen, investiert Deutschland umgerechnet nur 5.900 Dollar (rund 4.330 Euro).

Die systematische Geringschätzung von Wissen und Bildung, von Wahrheits- und Erkenntnissuche hat tiefere Ursachen als nur das vermeintliche Versagen der Politik. Sie ist kulturell grundiert. Sie erwächst aus einer Subprime-Kultur, die die kollektive Hierarchie von Werten und Wichtigkeiten verschiebt. So sehen wir einen Rigorismus Kants ebenso schwinden wie eine Systematik Thomas von Aquins. Dagegen haben Friedrich Nietzsche, Jeremy Bentham und Jürgen Habermas durchaus Konjunktur und weben am unterbewussten Äußerlichkeitskleid mit.

Die Zyniker und Machtmenschen, die Karrieristen und Realpolitiker folgen Nietzsche heute mit einer Selbstverständlichkeit, mit der Wind durchs Land weht. Die Selbstlegitimation von Wahrheit durch Macht ist ein Gift, an dem nicht nur Diktatoren schnüffeln, es hat in verdünnten Dosen des Manageriellen und der Machbarkeiten mehr Gefolgsleute, als man ahnt. Die Ethik des modernen Managements ist eine des Zarathustra, getrieben von Einsamkeits- und Überlegenheitsgefühlen, geschärft in einer Welt, die das Machbare als Zentralinstanz, das Moralische aber nur als Ableitung davon begreift, und erprobt in einem Regelwerk des totalen Wettbewerbs. Es ist eine Ethik, die den Sinn als Gestaltungsergebnis betrachtet und die ethische Pflicht permanent mit dem Recht des Stärkeren verwechselt. Da wir den Wettbewerb verabsolutiert haben, verhindern wir immerhin, dass einzelne zu Absolutisten werden. Mit ihm brechen wir die Macht andauernd, weil es immer neuen Wettbewerb gibt und keiner auf Dauer erfolgreich sein kann. Im Großen ist die Zarathustra-Funktion also durchaus demokratisch, in ihrer Struktur aber ist sie im wörtlichen Sinne amoralisch.

Die zweite modische Versuchung eines variablen Wahrheitsbegriffs liegt in der Tradition Benthams und seines Utilitarismus, der Nutzwertideologie, die tatsächlich glaubt, das Praktische sei das Eigentliche. Wenn es aber um die essentiellen Dinge des Lebens und der Gesellschaft geht, auch um diskursfähigen Journalismus übrigens, dann wirkt das Nutzwertige zuweilen wie eine Gebrauchsanweisung zur Infantilisierung. Vom kommunikativen Utilitarismus leitet sich nichts ab, was über die Sondertarife für Mallorca-Reisen oder den Wirkungsgrad von Hautcremes hinausgehen würde. Er be-deutet nichts, darum hat er dort nichts zu suchen, wo es um Deutung gehen sollte. Der Benthamismus ist zwar ein zuweilen sympathisch praktischer Zug der Wahrheitssuche, tatsächlich aber höhlt er in einer Welt der Machbarkeitsfixierung das Bewusstsein von Relevanzen und Existentiellem aus. Er befördert eine Gesellschaft, der alles egal ist, solange die Cholesterinwerte stimmen und der Handytarif günstig ist.

Die dritte und wichtigste Versuchung gegenwärtiger Wahrheitsrelativierung liegt in der Auflösung von Wahrheiten zu diskursiven Konsensen. Vom deutschen Idealismus bis zu Jürgen Habermas reicht die Fraktion der Post-Veritaten, die Wahrheiten nur aus subjektiven Kategorien oder als Diskursfußnoten akzeptieren. Diese Auflösung fundamentaler Verbindlichkeiten führt im Alltag dazu, dass die Politik sich am liebsten auf Umfragen stützt, dass die Wirtschaft sich an Analysten und der Marktforschung orientiert und der Journalismus an der nackten Quote. Alles nachvollziehbar – nur zahlen wir mit diesen lemurenhaften Techniken der Vermittung unseres Bewusstseins einen Preis der opportunistischen Verflachung.

DIE ARGENTINISIERUNG EUROPAS

Wir Europäer leben seit Jahrhunderten in dem Bewusstsein kultureller und wirtschaftlicher Dominanz. Wir sind die Weltbestimmer.