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Gibt's dort oben noch mehr als Weltraumschrott und Sterne? Wohl eher nicht. Zumindest wenn es nach der sechzehnjährigen Texas geht, die auf der Farm des selbsternannten Alienhunters John lebt. Seien wir uns doch mal ehrlich, es gibt sicher eine plausible Erklärung, wie der Kornkreis in ihr Feld gelangt ist … oder? Damit nicht genug, dass man von einem Truck angefahren und von einem verrückten Farmer am Straßenrand aufgelesen wird, der von der Existenz außerirdischen Lebens überzeugt ist. Nein, man wird auch noch gleich nach der Fundstelle benannt, als wär man eins dieser grünen Marsmännchen, nach denen diese Alienspinner Ausschau halten. Seit dem Unfall hat Texas – so viel zur Fundstelle – ihr Gedächtnis verloren. Nicht mal an ihren echten Namen kann sie sich erinnern, was die Ausforschung ihrer wahren Herkunft zur sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen macht. Schon bald wird klar, sie muss sich ihrem Schicksal fügen und bei dem verrückten, aber netten, alten Farmer und selbsternannten Alienhunter, alias Grandpa John bleiben, der ihr schon bald ans Herz wächst. Auch wenn er davon besessen ist, Aliens wären hinter ihr her und sie mit Aluhütchen davor schützen will, führt sie auf seiner Farm ein sehr schönes Leben. Bis eines Tages Johns "empfindliche Instrumente", die in Wahrheit aus wahllos zusammengezimmerten Schrottteilen bestehen, verrücktspielen. Für Grandpa John ist klar – die Aliens sind gekommen, um Texas zu holen. Für Texas ist klar – jetzt dreht er endgültig durch. Doch was, wenn dort oben mehr ist als nur Sterne und Weltraumschrott? Die Frage stellt sich ihr spätestens, als sie vor dem Kornkreis in Grandpa Johns Feld steht. Und auf seltsame Art und Weise ist ihr das Muster total fremd und unsagbar vertraut zugleich.
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Seitenzahl: 597
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Marie Lu Pera
Lass die Sterne nach dir greifen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Impressum neobooks
Ein abartig lautes Donnergrollen reißt mich aus dem Schlaf. Augenrollend kicke ich die Alufolie vom Bett, mit der mich Grandpa John vor Strahlung schützen wollte, als er sich hier – schon wieder – mitten in der Nacht reingeschlichen hat. So viel zu Privatsphäre.
Nachdem ich ihn damit konfrontiert habe, er könnte mich ja mal theoretisch mit einem Jungen hier drin erwischen, hat er nur gemeint: „Ich hab genug Alufolie im Haus.“ Das muss man sich mal vorstellen.
Er ist von der fixen Idee besessen, dass es Außerirdische auf mich abgesehen haben – als ob die Alufolie aufhalten würde.
Zugegebenermaßen ist er etwas schräg drauf, um es gelinde auszudrücken, aber ich hab ihn trotzdem gern. Immerhin hat er mich bei sich aufgenommen.
Blöderweise hab ich mein Gedächtnis verloren, als mich ein Truck angefahren hat. Zumindest glaube ich, dass das passiert ist – kann mich nicht erinnern.
Grandpa John hat mich an der Straße gefunden – ich war wohl etwas angeschlagen und hab wirres Zeug gefaselt. Ihm gehört auch die Farm, auf der ich jetzt lebe, nachdem alle Versuche, mich zu identifizieren, gescheitert sind.
Naja, die Kenntnis meines Namens würde vieles erleichtern, aber irgendwie ist er mir entfallen, was das Ganze zur sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen macht. Genaugenommen erinnere ich mich an gar nichts, was vor dem Unfall passiert ist. Nada – nichts. Totale Mattscheibe.
Hab sogar das ABC vergessen und musste neu schreiben lernen. Erste Klasse ich komme, sag ich nur.
Seitdem ist der Farmer John mein Grandpa John, der mich – in alter Alienhunter Manier – nach meinem Fundort benannt hat: Texas.
Nein, das ist kein Scherz und nicht mal die Tatsache, dass ich kein grünes Männchen bin, hat ihn davon abgehalten, mir den Namen zu verpassen. Naja, ich sehs positiv – zumindest heiße ich nicht Route 66 oder Las Vegas.
Ein Poltern, das durchs Haus hallt, lässt mich vom Bett hochfahren. Okay, sag nicht, John, alias der verrückte Professor, geistert noch immer durchs Haus. Der Wecker steht auf drei Uhr morgens. Prima.
Ich raufe mir die kurzen, braunen Haare, schlage energisch die Bettdecke zurück und stapfe die Treppen des kleinen, schäbigen Farmhauses hinunter. Aus dem Spalt der Kellertüre flackert blaues Licht in unregelmäßigen Abständen. Oh, John ist in seinem „Labor“ zugange. Da ist normalerweise Eintritt verboten, aber da sehen wir mal einfach großzügig darüber hinweg.
Ich stoße die Türe auf und schleppe mich verschlafen nach unten. Dort finde ich Grandpa John natürlich – wie kann es auch anders sein – an seinen Geräten fummelnd vor, die er aus Schrottteilen zusammengezimmert hat. Er hat eins dieser Aluhütchen auf dem Kopf, womit er wie ein absoluter Vollidiot aussieht.
Mein „John?“ lässt den hageren Sechsundsechzigjährigen mit den, in alle Richtung abstehenden, weißen Strubbelhaaren zusammenzucken und sich blitzschnell zu mir umdrehen. Seine runde Brille sitzt schief auf seiner Knubbelnase.
Er sieht echt zum Fürchten aus. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn und er fährt sich nervös durch die Haare.
„Wo ist deine Alufolie?“, prustet er haareraufend.
„Gegenfrage: Wo sind die bunten Pillen, die dich so schön beruhigen?“, kontere ich, was ihn wütend macht. Okay, das ist neu. Normalerweise kann seine gute Laune nichts trüben.
„Sie kommen“, flüstert er verschwörerisch.
„Wer?“, frage ich.
„Na die Aliens“, krächzt er, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, weil ich so eine absolut dämliche Frage stelle.
„Ah, wieder mal. Naja, dann stell ich einfach mehr Kakao auf. Wollen die Kekse? Ich hab die krümeligen mit Schokolade oder die mit Nüssen. Vielleicht lieber doch die mit Schokolade. Womöglich sind die allergisch und kriegen eklige, grüne Pusteln“, erwidere ich.
Ihn davon zu überzeugen, dass Aliens nicht existieren, bringt nichts – hab alles versucht. Es ist leichter, einfach mitzuspielen.
Grandpa John kommt auf mich zu und packt mich an den Schultern. „Du musst dich verstecken. Sie kommen, um dich zu holen.“
„Oooookkkkayyy, gut, ich versteck mich in der Küche“, schlage ich vor und haue ab, bevor er die Alufolie rausholt. Das Zeug ist sicher krebserregend.
Sein „Nein, da finden die dich. Wir müssen von hier verschwinden“ ignoriere ich mal eben, doch er hält mich am Arm zurück und verpasst mir eins seiner Aluhütchen.
„Ich bin sicher, jeder, der mich entführt, gibt mich spätestens morgen wieder zurück“, will ich ihn schulterklopfend beruhigen, winde mich aus seinem Griff und lasse das Aluhütchen auf dem Weg zur Küche verschwinden. Dafür ist jetzt das ausgestopfte Faultier im Flur, das John bei einer Australienreise ergattert hat, optimal geschützt.
In der Küche angekommen, muss ich feststellen, dass der Strom ausgefallen ist. Na toll, matschiger Kühlschrankinhalt, was gibt es Schöneres.
Mein Grandpa hat unten einen alten Generator stehen. Damit seine „empfindlichen“ Geräte immer mit Strom versorgt werden. Er hätte ruhig mal den Kühlschrank mitanschließen können. Wenn das kein empfindliches Gerät ist, weiß ich auch nicht mehr.
Draußen herrscht Weltuntergangsstimmung. Immer wieder zucken Blitze durch das nächtliche Texas und das Donnergrollen geht einem durch Mark und Bein. Hoffentlich braut sich da kein Hurrikan zusammen.
Auf dem Weg zum Sicherungskasten knalle ich mit Grandpa John zusammen, der aufgebracht herumwuselt und mich damit jetzt schon nervt.
Sein theatralisches „Ich opfere mich“, lässt mich die Augenbrauen hochziehen. Als er schon zur Vordertür stapft, hechte ich hinterher und kralle mir seinen Arm.
„Spinnst du, John? Bleib im Haus. Das ist Wahnsinn, dort rauszugehen. Zum Schluss schlägt noch ein Blitz in dein Aluhütchen ein“, versuche ich, auf ihn einzureden.
Er schüttelt mich so energisch ab, sodass ich an die Flurwand knalle. Wow, neuer Highscore seiner Obsession wurde soeben erreicht.
Meine kurze Irritation nutzt er, um abzuhauen. Okay, jetzt macht er mir echt Angst. Fuchsteufelswild folge ich ihm nach draußen.
„JOHN, DU KOMMST JETZT SOFORT WIEDER INS HAUS!“, brülle ich ihm hinterher, während ich gegen die Sturmböen ankämpfe, die mich beinahe von den Socken hauen. Bei so einem Wetter jagst du nicht mal die Aliens raus.
Ich glaubs nicht, dieser Spinner hüpft leichtfüßig im Pyjama, Bademantel und Schlappen übers Feld und winkt in den Himmel. Dabei ruft er etwas, das ich nicht verstehen kann. Jetzt
dreht er echt vollkommen durch.
Blitze, die in unmittelbarer Nähe einschlagen, lassen mich aufschreien und blenden mich bis zur Schmerzgrenze.
Falls dort tatsächlich ein Alien-Raumschiff schwirrt, drehen die beim Anblick von zwei bekloppten Erdlingen, von denen eine einen Hello Kitty Schlafanzug trägt und der andere ein offensichtliches Realitätsproblem hat, sicher sofort ab. Oder sie finden sowieso nur verkokelte Überreste von uns vor, wenn uns gleich ein Blitz lebendig grillt.
Zumindest können sie unsere Körper später leicht identifizieren. John ist der mit dem Aluhütchen auf der Birne. Okay, das war abartig.
Als ich Grandpa John endlich ganz oben auf dem kleinen Hügel unserer Farm, den man bei Gewitter lieber meiden sollte, erreicht habe, folge ich seinem geschockten Blick, der aufs Feld gerichtet ist.
Okay, krass – ein Kornkreis. Runde Muster, die in unregelmäßigen Abständen von den Blitzen erhellt werden, haben unseren Weizen geplättet. Das darf doch nicht wahr sein. Warte mal, die hab ich doch schon mal irgendwo gesehen. Wahrscheinlich auf einem Bild im Internet.
Ich halte Ausschau nach irgendwelchen Serientäter-Trekkies, die hier eine Spur der Verwüstung ziehen, sehe aber im Licht der Blitze niemanden. Die sind sicher schon längst über alle Berge. Oder das hat eine Windhose angerichtet. Die sind hier keine Seltenheit.
Das gibt John sicher wieder Kanonenfutter für seine Alientheorie, die wohl in die nächste Phase übergeht, da er „Sie sind schon gelandet“ stammelt.
Augenrollend packe ich ihn am Kragen und will ihn vom Hügel ziehen. „John, ein für allemal. Es gibt keine Aliens. Und wenn, dann schlägt sie der Anblick deines löchrigen Pyjamas sicher in die Flucht. Sowas haben die noch nicht gesehen. Danach erklären sie die Erde sicher zur Assimilationszone.“ Okay, unglaublich, dass ich in so einem Moment noch spotte.
Als ich zum Haus zurückblicke, erkenne ich eine schwarze Gestalt, die gerade zur Vordertür rauskommt. Mir bleibt fast das Herz stehen.
„EINBRECHER!“, brülle ich und will schon zur Scheune laufen, in der wir eine Schrotflinte aufbewahren, da klammert sich Grandpa John von hinten an meinen Körper.
„SIE SIND HIER. LAUF“, brüllt er mir ins Ohr, was mich die Augen zusammenkneifen lässt.
„Die räumen uns die Bude aus, wenn wir nicht was tun“, wehre ich mich. „Lass los, John.“ Dieser Verrückte lässt einfach nicht los.
Der Kornkreis war wahrscheinlich nur ein Ablenkungsmanöver, um uns rauszulocken. Der Stromausfall auch.
Zu meinem absoluten Horror kommt der Einbrecher im nächsten Moment schnell übers Feld gelaufen – direkt auf uns zu. John zerrt mich hinter sich und verpasst mir einen Stoß, der mich zurücktaumeln lässt.
„LAUF!“, beschwört er mich erneut.
„Ich lass dich doch nicht mit dem allein“, widersetze ich mich.
„Ich habe Hilfe gerufen, aber ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis sie hier sind. Ich halte ihn auf, solange ich kann. Lauf!“, ruft er und schubst mich wieder von sich weg.
„Du hast die Bullen gerufen?“, krächze ich, weil der Typ schon so nahe bei uns ist.
„Nein, die Aliens“, erklärt er. Was? Wie kann er in so einem Moment immer noch solch wirres Zeug faseln?
„LAUF!“, ruft er und stürzt sich auf den ankommenden Typen, der so eine Art Motorradkleidung mit schwarzer Kapuze trägt. Der Typ erinnert mich irgendwie an Ghost Rider.
In meiner Panik bin ich wie erstarrt und kann nur dabei zusehen, wie der Einbrecher Grandpa John weit von sich schleudert. Mir steht der Mund offen, denn der Typ muss Superman sein, um einen Menschen so weit werfen zu können.
„Oder ein Alien“, meldet sich die böse Stimme in meinem Kopf zu Wort.
Obwohl es total irrational ist, den Blick von seinem Angreifer abzuwenden, sehe ich zu John rüber, der leblos im Feld liegt. Sein Aluhütchen reflektiert das Licht der Blitze. Ob es ihm gutgeht?
Der Arm des Motorrad-Jack-the-Rippers schnellt vor. In einer Kurzschlussreaktion gehe ich brüllend auf den Kerl los und schlage mit den Fäusten auf ihn ein. Seine Brust ist so hart, als wär er aus Plastik.
Bei mir hat reiner Instinkt Grundfunktionen übernommen, was nur mehr im Entferntesten etwas mit überlegtem Handeln zu tun hat. Ich kreische mir die Seele aus dem Leib und trete um mich, aus Angst, mein letztes Stündlein hätte gerade geschlagen.
Er braucht mich nur leicht anzurempeln, um mich von den Socken zu hauen. Ich schlage hart auf dem Rücken auf, was mir die gesamte Luft aus meinen Lungen quetscht.
Dabei habe ich mich im Fall in seine Jacke gekrallt, die etwas aufgesprungen ist. Darunter blinken LEDs und im Licht der Blitze erkenne ich elektronisches Zeugs.
Drehen die hier den Terminator? – ist das absolut Dämlichste, was einem in so einem Moment durch den Kopf gehen kann.
Der Typ beugt sich über mich und will nach mir schnappen, da rolle ich mich weg und versuche, mich aufzurichten. Da mein Blick vor meinen Augen immer wieder verschwimmt, gestaltet sich das als relativ schwierig.
Noch dazu spüre ich, wie sich eine Hand um meinen Arm schließt. Das lässt mir grad das Blut in den Adern gefrieren. Vor allem, weil er seinen Handschuh verloren hat und ich Roboterfinger um mein Ärmchen erkennen kann, was mich erneut total durchdrehen lässt. Ich kann nicht mal mehr schreien, als er mich zu sich heranzieht.
Plötzlich schlägt ein Blitz ganz in der Nähe von uns im Feld ein. Der Kerl lässt mich ebenso blitzschnell los, was mich zurücktaumeln und erneut hinfallen lässt.
Die Elektrizität spürt man förmlich in der Luft prickeln. Über seinen Körper ziehen sich feine, blaue Blitze. Mir stellen sich die Haare auf und Gänsehaut zieht in Wellen über meinen Rücken.
Bevor ich kapiere, was hier gerade läuft, fällt der Typ wie ein steifes Brett um – und das meine ich nicht sprichwörtlich.
Mein Atem geht stoßweise. Sekundenlang blicke ich auf den kaputten Roboter vor mir, bevor ich ein paar Mal energisch blinzle und mich hochdrücke.
Ich stolpere immer wieder über meine eigenen Füße, während ich auf Grandpa John zulaufe, der sich immer noch nicht rührt.
„JOHN!“, brülle ich und zerre an seinem Pyjama, der total verkokelt ist. Auf meinen Fingern spüre ich schwarzen Staub, bevor eine Salve Blitze den Nachthimmel erhellt und mir das ganze Ausmaß des Horrors offenbart. Ich schreie laut auf und schlage mir die Hand vor den Mund.
„Neeeeeiiiiiinnnn“, hauche ich gequält.
Die Haut meines Grandpas ist schwarz, als wär er bei lebendigem Leibe verbrannt und er riecht auch so. Ein Blitz hat ihn getroffen. Mit schier übermenschlicher Kraft versuche ich, die Tränen zurückzuhalten. Vergeblich.
Mein Schluchzen vermag nicht über das Donnergrollen hinweg zu klingen, das jetzt von sintflutartigen Regenfällen untermalt wird. Im nächsten Moment balle ich die Fäuste und zwinge mich dazu, mich zusammenzureißen.
Ein Blick auf meinen Angreifer verrät mir, dass er noch außer Gefecht ist. Was, wenn er aufwacht?
Ich dränge die Tränen zurück und sprinte zur Scheune rüber. Purer Überlebensinstinkt hat überhandgenommen.
Da ist nur ein Gedanke, der mir unentwegt im Kopf herumgeistert: Hatte John die ganze Zeit über recht?
Wenn das tatsächlich – unfassbar, dass ich das jetzt denke – ein Terminator-Alien ist, der gekommen ist, um mich zu holen, hab ich schlechte Karten. Okay, jetzt fang ich auch schon an, zu spinnen.
Dafür gibt es sicher eine absolut plausible Erklärung. Mir fällt jetzt zwar keine ein, denn wenn das ein Filmset wäre, hätten die sicher eine Drehgenehmigung von uns eingefordert und mich würde ein Regisseur gerade zur Schnecke machen, weil eine Hello-Kitty-Pyjama-Figur in seinen Streifen platzt, die gar nicht im Drehbuch vorkommt.
Mit zitternden Fingern öffne ich die Truhe und krame nach der Schrotflinte. Die Schachtel mit den Patronen verstreue ich mal eben über den gesamten Scheunenboden, so unkoordiniert sind meine Bewegungen.
Mit bebendem Körper fische ich nach den Patronen, mit denen ich die Waffe lade. Mein Grandpa hat mir verboten, mit Waffen zu hantieren, aber das ist hier sowas wie Freizeitsport, also bin ich hinter seinem Rücken zur Schießbude gegangen.
Ich bin so fertig, dass mir ein gequälter Laut entweicht. Dabei läuft mir ein Strom Tränen über die Wangen. Ich realisiere langsam, dass er da draußen liegt und nicht mehr aufwacht.
Okay, reiß dich zusammen, Texas. John hätte nicht gewollt, dass ich mich von so einem Roboter unterkriegen lasse.
Das Klacken der Flinte gibt mir Kraft, um in den strömenden Regen hinauszutreten. Zu meinem absoluten Horror ist der Roboter weg. Die Blitze zucken immer noch über den Nachthimmel, sodass ich es erkennen kann.
An seiner Stelle stehen nun drei Typen mit schwarzen Kapuzen und Kampfanzügen, die die Umgebung mit ihren Blicken absuchen. Und die sehen ganz und gar nicht so aus, als wären sie von der hiesigen Armee. Einer davon kniet über meinem Grandpa.
Das ist wahrscheinlich Verstärkung, die nachsehen kommt, wo ihr Freund geblieben ist. Sie haben mich natürlich sofort entdeckt.
Ohne zu überlegen, lege ich die Waffe an und ziele den Kerl, der sich von der Gruppe gelöst hat und auf mich zukommt.
Ich erkenne gerade, dass es absolut was anderes ist, auf ein Lebewesen zu schießen, anstatt auf Dosen oder Tontauben. Dementsprechend zögerlich ruht mein Finger auch am Abzug. Ich kann das nicht.
Die Bilder des Roboters und meines Grandpas tauchen wieder vor meinem geistigen Auge auf und lassen mich einen Warnschuss abgeben. Vielleicht treibt sie das ja in die Flucht.
Über das Donnergrollen hinweg ertönt der Schuss gefolgt vom Rückstoß, der mich etwas zurücktaumeln lässt.
Das Projektil schlägt direkt am Boden vor den Füßen des Kerls ein, der kurz stehenbleibt, an seinem Körper herabsieht, aber scheinbar total unbeeindruckt weiterläuft.
Moment, trägt er etwa eine kugelsichere Weste und ist sich sicher, dass ihm die Waffe nichts anhaben kann? Sind die etwa doch vom Militär? Vielleicht von einem Spezialkommando.
Ja, denen ist womöglich der Roboter aus Area 51 entwischt und da ich alles mitangesehen habe, machen die mich jetzt kalt. Den Roboter haben sie sicher vorhin weggepackt, als ich in der Scheune war.
Die sind hier, um alles zu vertuschen – die Zeugen zu beseitigen – lässt mich erneut scharf die Luft einziehen. Der Aufräumtrupp. Höchste Geheimhaltungsstufe. Men in Black mit Blitzdingsgeräten, die alle Spuren unserer Existenz beseitigen – okay, jetzt geht meine Phantasie mit mir durch.
„Oder es sind die Aliens, die den Roboter geschickt haben und jetzt gekommen sind, um den Scheiß selbst zu machen, weil Grandpa John sie mit seinen Instrumenten auf sich aufmerksam gemacht hat“, wendet die böse Stimme wieder ein, die mich die Waffe erneut laden lässt.
Ich lege sie an, da erkenne ich, dass der Typ ebenfalls eine Waffe gezückt hat, die er auf mich richtet. Scheiße.
Im letzten Moment kann ich mich durch einen Hechtsprung hinter den Traktor retten, bevor mich der gebündelte Lichtstrahl, der ins Scheunentor einschlägt, getroffen hätte.
Okay, was ist das für eine abartige Waffe? Ich hab gehört, dass das Militär mit Laserstrahlen herumexperimentiert, aber dass die schon so weit sind, hätt ich nie gedacht.
Wieder ein Punkt, der für die Alientheorie spricht. Nein, ich halte an der Militärgeschichte fest, zumindest wär meinem gesunden Menschenverstand das bedeutend lieber.
Da die sicher auch Nahkampftechniken draufhaben, mit denen ich nicht im Geringsten mithalten kann, brauch ich schnell irgendeinen Plan. Mehr, wie mit vollen Hosen wegrennen, will mir aber beim besten Willen nicht einfallen, was ganz schön dämlich wäre, da die sicher bei Weitem schneller sind als ich.
Kurzerhand nehme ich all meinen Mut zusammen, steige von hinten auf den Traktor, den ich sogleich starte und das Flutlicht anwerfe, das ihn so richtig schön blendet, da er die Hand schützend über seine Augen hält.
Ich gebe Vollgas – was bei dem alten Ding nicht wirklich schnell ist – und rolle auf ihn zu. Relativ unbeeindruckt bleibt er einfach stehen, so als würde er jederzeit damit rechnen, dass ich kneife, bevor ich ihn plattmache. Das wird nur nicht passieren. Hoffentlich.
Ich fixiere das Gaspedal mit der Schrotflinte und springe aus dem fahrenden Gefährt, nur um hinter dem Ungetüm davon zu sprinten.
Dass ich noch zu solch überlegten, kriegerischen Manövern fähig bin, wundert mich selbst am meisten. Eigentlich sollte ich heulend in der Scheunenecke kauern und um mein Leben betteln. Das ist sicher das Adrenalin, das durch meinen Körper schießt. Naja, es gibt Beispiele, wo Leute im Angesicht des Todes Superkräfte entwickeln. Schneller laufen zu können, wär jetzt nicht schlecht oder fliegen.
Da ich keine Schuhe anhabe, graben sich die spitzen Steine, die aus dem matschigen Untergrund ragen, in meine Fußsohlen, was mir grad sowas von scheißegal ist.
Die Bilder vom verbrannten Körper meines Grandpas schießen mir wieder durch den Kopf, was mir grad unsagbare Angst macht. Bin ich die Nächste?
Mein Atem geht stoßweise und viel zu schnell, aber ich laufe sprichwörtlich um mein Leben. Ich muss so viel Vorsprung wie möglich raushauen, bevor sie mein Ablenkungsmanöver durchschauen, was wohl schon passiert ist, denn ich kann Laute von Männerstiefeln hinter mir hören – und sie kommen schnell näher. Verdammt, verdammt, verdammt.
Ich laufe an dem alten Geräteschuppen vorbei, schlage einen Haken und verstecke mich hinter dem Verschlag. Dort lehnt eine Mistgabel, die ich mir kralle. Ich war immer zu bequem, sie reinzuräumen – bin ich froh. Faulheit zahlt sich doch irgendwann mal aus. Zumindest habe ich wieder eine Waffe.
Der Typ läuft an mir vorbei, durchschaut es natürlich – wie kann es auch anders sein – sofort und stoppt, um sich umzusehen, was ich im Licht der Blitze erkennen kann. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich mich fester an den Schuppen drücke.
Da er immer noch die Kapuze trägt, kann ich sein Gesicht nicht erkennen. Ich weiß nur, dass er ziemlich groß und trainiert aussieht. Hoffentlich ist er kein Roboter.
Als er in die andere Richtung kuckt, ist das meine Chance und ich schleiche mich an ihn heran, nur um ihm das Teil im nächsten Moment über die Rübe zu ziehen.
Er hatte es kommen sehen und duckt sich weg. Der hat sicher Kung-Fu drauf oder was auch immer die im Militär so lernen, deshalb lasse ich die Waffe sofort los, die ich der Länge nach vor ihm fallenlasse.
Ich hatte schon damit gerechnet, dass er die Mistgabel nicht gegen mich verwenden würde und einfach nur auf mich zukommt.
Womit er aber nicht gerechnet hat – ich habe sie „strategisch günstig“ fallenlassen. Als er direkt über dem Holzstiel steht, hüpfe ich auf die leicht nach oben gebogene Seite der Mistgabel und knalle ihm den Stiel dadurch direkt in die Zwölf.
Er keucht laut auf und geht in die Knie. Dass er auf den ältesten Trick der Welt reingefallen ist, ist eigentlich zu schön, um wahr zu sein und zeigt mir obendrein, dass er nicht sehr intelligent sein kann, was wieder für einen Menschen sprechen würde.
Er ist auch kein Roboter – der würde sich nicht gerade mit schmerzverzerrten Lauten seine Kronjuwelen halten – glaub ich zumindest.
Geistesgegenwärtig schnappe ich mir die Mistgabel und setze zu einem weiteren Schlag an, den er erneut abfängt und mir mit seinem Bein meine Beine wegtritt. Ich knalle so hart auf den nassen Boden, dass mir die Luft wegbleibt.
In meiner Panik taste ich nach einem Stein, den ich meinem Angreifer, der über mir auftaucht, entgegenfeuere. Er prallt an seiner Brust ab, ohne Schaden anzurichten.
Und wieder greift ein Typ aus dieser Position nach mir. Erneut rolle ich mich weg, doch diesmal ist der Kerl schneller und zieht mich grob hoch. Ich schreie vor unbändiger Angst.
Meine Boxhand, die zu einem Schlag ausgeholt hat, fängt er in der Luft ab und dreht mich um, nur um mich von hinten umklammert zu halten.
Mein Ellbogen, den ich ihm in die Seite ramme, hat sein Ziel aber nicht verfehlt. Ein dumpfer Schmerzenslaut entweicht ihm. Mir auch, denn das hat total wehgetan.
Er umklammert mich fester, während ich mich winde und wie eine Verrückte strample. Nun beginnt er, in einer mir fremden Sprache zu sprechen. Seine Stimme ist aber ruhig – ja beinahe beruhigend, obwohl ich kein einziges Wort verstehe. Ist das mexikanisch? Wir sind in den USA, verdammt nochmal.
„Lass los, Pissnelke“, fauche ich in der Hoffnung, er würde diese Sprache verstehen. Der Kerl lässt aber nicht locker, zerrt mich mit sich zu den anderen, die gerade vor uns auftauchen. Auch ihre Gesichter sind von tiefhängenden Kapuzen verdeckt.
Er sagt etwas zu ihnen, das anscheinend komisch gewesen ist. Ihr Lachen lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
„Lass los“, verlange ich erneut und funkle die Typen wild an, was sie noch mehr zu erheitern scheint.
Ja, zugegebenermaßen unterstreicht mein Pyjama nicht gerade meine Kampfeslust, aber wenn ich gewusst hätte, dass ich heute mitten in eine mexikanische Truppenübung, alias Roboterjagd, platze, wär ich nicht vor die Tür gegangen.
Der Grund meines Verlassens der Farm wird mir wieder bewusst und ich beginne erneut, mich stärker zu wehren. Was, wenn die mich gleich umbringen? Was, wenn die vorher noch mit mir spielen?
Ich seh mich schon im Feld neben John liegen – im Hello Kitty Pyjama. Mir knicken die Beine weg, aber der Moment der Schwäche war nur von kurzer Dauer.
Dreh jetzt nicht durch, Texas. Ich werde nicht kampflos aufgeben.
Mit einem Lachen kommentieren sie meinen jämmerlichen Versuch, meinen Umklammerer zu treten, was anscheinend irre komisch war. Okay, jetzt ist die Zeit gekommen, um durchzudrehen.
Bevor ich den ohrenbetäubenden Schrei ganz loslassen kann, wird er von der Hand des Typen erstickt, der mich kurz an einer Seite losgelassen hat.
Mit aller Kraft bäume ich meinen Körper auf, aber er lässt nicht locker, flüstert etwas und dann verschwimmt mein Blick irgendwie, weil ich nicht genügend Luft bekomme. Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, kämpfe gegen eine bevorstehende Ohnmacht an.
Im nächsten Moment schwirrt mir der Kopf und ich fühle mich, als hätte ich soeben mal meinen Körper verlassen und wär wieder reingestopft worden.
Im nächsten Augenblick heben meine Beine vom Boden ab und ich schwebe dahin. Bin ich tot? Womöglich ist das so ein außerkörperliches Erlebnis. Oder die haben mir Drogen gespritzt.
Nur unter größter Anstrengung schaffe ich es, die Augen aufzubekommen und erhasche einen Blick auf meine Entführer, von denen sich einer gerade die Jacke auszieht und – zu meinem Horror – seinen nackten Oberkörper offenbart.
Er hat definitiv etwas von Arnold Schwarzenegger. An ihm sprießen bereits blaue Flecken, für die ihn seine Begleiter gerade lauthals auslachen. Er sieht sie sich genauer an, schüttelt belustigt den Kopf und sieht zu deren Verursacher rüber – nämlich zu mir.
Damit, dass ich wach bin, hatte er wohl nicht gerechnet, denn er sieht kurz ertappt aus. Erst jetzt sehe ich mir sein Gesicht genauer an.
Mir steht der Mund sperrangelweit offen. Das sind definitiv keine Mexikaner. Es sei denn, die tragen jetzt auch diese halsverlängernden Ringe, wie die in den Urwäldern und haben sich die Nasen wegoperieren lasen.
Aliens, ich werd verrückt. Tausend Gedanken schießen mir gerade gleichzeitig durch den pochenden Schädel. Hier ein Auszug: Die … die haben mich entführt. John hatte recht. Die sind gekommen, um mich zu holen. Er wusste es die ganze Zeit über und ich hab ihn ausgelacht. Jetzt ist er tot und ich …
Als ich mir dieser kranken Situation wieder bewusst werde, springe ich panisch von meinem Platz am Boden hoch. Mir ist so schwindlig, dass ich gefährlich wanke, mich aber an die Wand presse und tief durchatme, um nicht zusammenzuklappen.
Nun habe ich die gesamte Aufmerksamkeit im Raum – wo bin ich eigentlich? Ein kurzer Blick reicht, um mich zu orientieren.
Das ist ein Raumschiff – zumindest stellt man es sich so vor. Das volle Programm: Konsolen mit blinkenden Lichtern, viel Technik, von der ich absolut keine Ahnung habe, Schlingpflanzen. Warte mal, Pflanzen? Vielleicht fürs Raumklima.
Der halbnackte Typ hebt die Hand in meine Richtung und sagt wieder etwas, das ich nicht verstehen kann.
Mein Blick bleibt an dem Fenster (ich weiß nicht, wie ich es anders bezeichnen soll) hängen. Draußen ziehen Sterne an uns vorbei.
Okay. Betrachten wir das mal von einer vollkommen unemotional, wissenschaftlichen Seite her. Dich trennt nur eine dünne Scheibe vom Weltraum, in dem dein Körper nicht überleben kann. Wahrscheinlich ist das hier Lichtgeschwindigkeit, mit der wir uns von meinem Zuhause wegbewegen – womöglich, um mich auf einem Intergalaktischen Sklavenmarkt zu verticken oder direkt zu den Experimenten überzugehen.
Horrorszenarien formieren sich bereits vor meinem geistigen Auge und zeigen mich an einen Operationstisch geschnallt.
Okay, jetzt wird es Zeit für die emotionale Betrachtungsweise. Wie eine Irre brülle ich meine Angst hinaus, während ich mich fester an die Wand presse.
„Bringt mich zurück zur Erde“, verlange ich aufgebracht. Als ob die mich verstehen könnten, aber bei mir bricht grad die Beherrschung weg. Das ist so ziemlich das horrormäßigste Horrorszenario, das man sich vorstellen kann. Dementsprechend nahe stehe ich vor der Hyperventilation.
Alle drei Typen ziehen synchron die Augenbrauen hoch und lachen drauflos, als ich wahllos auf die Konsole drücke, um diesen Kahn anzuhalten. Jämmerlich, ich weiß.
Es tut sich nichts, vielleicht ist da so eine Art Tastensperre drin. Ich knalle meine Faust fest auf die Platte und brülle erneut.
Aus dem Augenwinkel heraus erkenne ich eine Wand, an der Waffen hängen – zumindest sieht es danach aus. Ich hechte darauf zu, werde aber vom Körper eines der Typen gestoppt, der sich vor mich stellt und mich grob packt.
Mein Schlag trifft ihn in den Magen, daraufhin boxe ich ihm ins Gesicht. Ich bin so froh, dass nur Jungs in meiner Nachbarschaft wohnen, mit denen ich mich regelmäßig gekloppt habe.
Der Typ taumelt zurück und greift sich ungläubig an die aufgeplatzte Lippe. Lila Blut – er hat echt lila Blut! Mein Kopf schießt zu den zwei anderen Männern, die mit offenem Mund auf mich starren.
Jetzt lacht keiner mehr. Im Gegenteil, der Typ ohne Hemd sieht ziemlich angepisst aus, zieht ein Seil aus seiner Tasche und kommt auf mich zu. Alarm, er will mich damit fesseln, dieser abartige Alien.
Ich balle die zitternden Fäuste angriffslustig und stelle mich ihm entgegen. Dass ich noch die Kraft habe, mich zu wehren, liegt wahrscheinlich daran, dass mein Körper auf rein instinktiven Angriffsmodus geschaltet hat, da die Flucht nach hinten losgegangen ist. Okay, das ist hier Aliens vs. Mensch.
Der andere Typ, der noch nichts von meinen Schlägen abbekommen hat, hilft ihm dabei, wird mich wahrscheinlich gleich festhalten – zumindest pirscht er sich grad von der Seite an.
Erneut richtet der Typ ohne Hemd Worte an mich. Auch ohne der Aliensprache mächtig zu sein, kapiere ich die unmissverständliche Warnung stillzuhalten. Ich sitze in der Falle.
Mein jämmerlicher Versuch, auf den Typen, der schon nahe bei mir ist, loszugehen, scheitert kläglich. Blitzschnell konnte er sich hinter mich schieben, beide meiner Handgelenke packen und hält sie nun dem, der schon mit dem Seil wartet hin, der nähertritt und sie festbindet. Dabei lässt er mich keine Sekunde aus den Augen.
Ich brülle ihm alle Schimpfwörter, die ich kenne, in Erdensprache entgegen, die er wortlos über sich ergehen lässt, bevor er ein zweites Seil hervorzieht und damit meine Fußgelenke fesseln will. Ich strample aber so stark, dass sie mich kaum zu zweit bändigen können.
Dem Mann hinter mir wird das Ganze wohl zu bunt, denn er hält mir eine kalte Klinge an den Hals, was mich schreien lässt.
Der ohne Hemd tadelt seinen Freund und reißt ihm das Teil, das sich als abartig langes Messer entpuppt, aus der Hand.
Mein Ellbogen trifft meinen Hintermann in dem Moment, in dem sie sich beide herausgefordert anfunkeln. Er keucht, lässt aber nicht los.
Ich werde schon müde, habe kaum mehr die Kraft, mich zur Wehr zu setzen, deshalb schaffen sie es, mich bis zur Bewegungsunfähigkeit festzuzurren und platzieren mich wieder in der Ecke, in der ich zu mir gekommen bin, nachdem sie mich irgendwie betäubt hatten. Wie sind wir hier überhaupt reingekommen? Ich glaube, ich hab irgendwie ein Blackout.
So gut es geht kauere ich mich zusammen, während sie vor den Konsolen Platz nehmen und sich der Steuerung des Schiffes widmen.
In regelmäßigen Abständen sehen sie nach, ob ich noch einen sinnlosen Fluchtversuch gestartet habe.
Aus meiner vollkommen verdreckten, klitschnassen Pyjamahose schauen beide meiner aufgeschlagenen Knie raus. Überall an mir kleben feuchte Erde, Asche und Blut meiner zahlreichen Schürfwunden.
Ich bin so aufgeputscht und geschwächt zugleich, dass ich doch tatsächlich noch überlege, wie ich aus der Sache wieder rauskomme.
Das Adrenalin entweicht schön langsam aus meinem Körper, der überall zu schmerzen und krampfhaft zu zittern beginnt, was ich nur mühevoll unterdrücken kann. Eigentlich brauch ich grad alle Kraft, nicht wie ein kleines Kind loszuheulen.
Das sind Aliens, verdammt nochmal, und wir sind im Weltraum. Seien wir uns doch mal ehrlich, wie tief kann man eigentlich in der Scheiße stecken?
Der Gedanke an Grandpa John bereitet mir unglaubliche Seelenqualen. Erste Tränen fluten bereits meine Augen. Ich lege den Kopf in die Arme, damit sie es nicht mitkriegen.
Sieht so aus, als wär das ein wahrgewordener Alptraum, vor dem mich John immer gewarnt hatte.
Eine Erschütterung lässt mich hochschrecken. Hab ich etwa geschlafen? Nicht zu fassen.
Der Typ ohne Hemd, der jetzt wieder eine Jacke trägt, zieht mich hoch. Er hat wohl schon meine Hand- und Fußfesseln gelöst, während ich eingenickt war.
„Fass mich nicht an“, hauche ich ängstlich, mich aus seinem Griff windend. Er lässt mich los und hebt die Hände abweisend in die Höhe.
„Hör auf, dich zu wehren“, aus seinem Mund lässt mich abrupt innehalten. Warte mal. Wieso spricht er jetzt meine Sprache?
„Dein Spracherkennungssensor, der in dein Ohr eingepflanzt wurde, war defekt. Ich konnte den Fehler beheben. Wir verstehen uns jetzt“, beantwortet er meine unausgesprochene Frage gleich selbst. Ich hab absolut keine Ahnung, wovon er da faselt.
Bis auf das „Wir verstehen uns jetzt“ hab ich nichts kapiert. Naja, wenn das so ist. „Fass mich bloß nicht an, Scheißkerl“, herrsche ich ihn an.
„Wie hast du mich gerade genannt?“, fragt er sichtlich amüsiert.
Ich greife mir an die pochende Birne. Mein Blick verschwimmt erneut, was mich nicht davon abhält, ihn anzumotzen: „Bring mich sofort zurück. Hast du sie noch alle, mich in deinem scheiß Raumschiff zu entführen?“, musste an der Stelle einfach mal gesagt werden.
Alle im Raum ziehen synchron die Augenbrauen hoch. Also er und seine zwei Gefährten.
„Wir haben dich nicht entführt, sondern gerettet“, widerspricht er irritiert. „Wir haben einen Hilferuf erhalten und sind ihm gefolgt.“
„Was?“, zische ich. Ups, dann ist das die Hilfe, von der Grandpa John gesprochen hat. „Ach so“, lenke ich ein. Sind das jetzt die guten Aliens, die mich vor dem bösen Roboter bewahrt haben, oder was?
Die hätten ja ruhig mal die weiße Fahne schwenken können, oder so. „Ich hatte alles im Griff“, murmle ich und verdränge die Bilder meines Grandpas.
Warte mal. „Wieso nehmt ihr mich dann mit, verdammt nochmal?“, frage ich erschöpft.
„So dankst du es uns also, dass wir dich zurückgebracht haben“, raunt einer der drei Aliens. Zurückgebracht?
Okay, keine Panik. Mit denen kann man reden. „Ich will sofort wieder zurück auf die Erde“, verlange ich.
„Nein“, widerspricht mir der Typ, der mich geweckt hat. Nein? Er hat echt nein gesagt. Einfach so.
„Bist du es wirklich?“, will einer von ihnen wissen und kassiert böse Blicke von seinen Freunden.
„Ja, ich bins wirklich“, motze ich, obwohl ich absolut keinen blassen Schimmer habe, wovon er spricht.
Zwei von ihnen verlassen im nächsten Augenblick den Raum. Der Typ, der noch mit mir hier drin ist, deutet in die Richtung der Schiebetüre, aus der uns seine Freunde gerade eben verlassen haben.
Obwohl sich jede einzelne Zelle in meinem Körper dagegen sträubt, dort hindurchzugehen, tue ich es dennoch. Was hab ich denn für eine andere Wahl? Die haben Laserwaffen, die mich pulverisieren können.
Tränen brennen in meinen Augen, als ich ihm den Rücken zuwende, aber ich schlucke sie sauber runter.
Komischerweise muss ich gerade an Neil Armstrong denken und hab dieses Bild seines Schuhabdruckes, den er auf dem Mond hinterlassen hat, vor Augen.
Ich blicke auf meine nackten, dreckigen Füße runter und strecke die Schultern durch. Womöglich betrete ich gleich als erster Mensch einen anderen Planeten, da sollte ich das letzte bisschen Würde zusammenkratzen.
Über einen kurzen Gang, der vollständig in schwarzes, glänzendes Plastik gehüllt ist, taumle ich Schritt für Schritt, pralle aber immer wieder von einer Seite zur anderen, weil mir irgendwie übel ist. So viel zur Würde, wenn gleich Kotzspuren meine ersten Schritte pflastern.
Vor mir öffnet sich eine Luke, was mich zusammenzucken lässt. Ich bin sogar zurückgewichen und gegen die Brust des Kerls geprallt, der mich vor dem Fall bewahrt, bevor ich mich von ihm losreißen kann und hindurchgehe.
Mir bleibt der Mund offen stehen. Wir sind auf einer Art Raumschiffflughafen gelandet, aber alles ist so überdimensional, dass ich mir wie eine Ameise vorkomme. Nein, wie ein Floh, der auf einer Ameise sitzt.
Gefühlte hundert Schiffe parken auf schwebenden Plattformen, was mich zwar flasht, aber ich mir sowas in der Art schon vorgestellt habe. Natürlich brauchen die Dinger auch Parkplätze.
Absolut abartig sind die Lebewesen, die aussteigen und sich zu mir umdrehen. ZU MIR. Ich meine Hallooooo? Da sind Wesen dabei, die vollständig aus warzenartigen Knubbeln zu bestehen scheinen, welche mit so langen Hälsen, wie Giraffen, haarige Wesen, wie Chewbacca aus Star Wars und die glotzen MICH an? Ich bin hier noch das Normalste.
Sie tuscheln sogar und einige Strecken ihre Tentakel in meine Richtung aus, rempeln sogar ihre Freunde an, als würden sie sagen: „Kuck mal das rosa Ding da, sowas hast du noch nicht gesehen“.
Vor dem Schiff erwarten uns die zwei anderen Männer, von denen einer mittlerweile eine recht geschwollene Lippe hat. Ups, das war wohl ich.
Meine Beine zittern und ich hab ganz schwabblige Knie. Dementsprechend unbeholfen stolpere ich über die Rampe auf die Plattform. Meine nackten Füße hinterlassen keine Abdrücke, da unter mir sowas wie schwarzer Beton zu sein scheint. Okay, aber das Kotzen könnte zur Realität werden.
Dass sich ständig die Aliens nach mir umdrehen, macht die Sache auch nicht besser. Wieso werd ich das Gefühl nicht los, dass die gerade vor einer Entdeckung einer neuen Spezies stehen und nicht ich?
Ich drehe mich im Kreis und strecke den Kopf in den Nacken, um die Decke zu bewundern, die scheinbar nicht existiert. Wir stehen noch im Weltall, zumindest sieht es so aus. Über mir erkenne ich Sterne. Wahrscheinlich ist das so ein unsichtbares Kraftfeld, das uns davor bewahrt, in die Tiefen des Alls gerissen zu werden.
Plötzlich schwirren schwebende, mechanische Kugeln um mich rum und piepsen nervig. Verängstigt versuche ich, sie abzuschütteln, als wären es lästige Fliegen, die es zu vertreiben gilt. Ohne Erfolg.
Mein Blick bleibt an einer Leinwand hängen, die aussieht, wie eine dieser riesigen Werbeflächen, auf denen bei uns immer die Burger- oder Autowerbungen laufen. Hier werden komische Zeichen eingeblendet, die ich noch nie zuvor gesehen habe, bevor ein Bild von einer Frau erscheint.
Mir bleibt der Mund offen stehen. Das bin ich – ohne Scheiß. Zumindest sieht mir das Mädchen auf dem Video zum Verwechseln ähnlich. Ihr Blick ist mir aber fremd. Es sieht so aus, als wäre sie in Gedanken versunken. Und dann dreht sie den Kopf, als hätte etwas ihre Aufmerksamkeit erregt. Kurz blitzt so etwas wie Sehnsucht in ihren Augen auf.
Im nächsten Moment verschwimmt das Bild und wird durch eine Animation von Raumschiffen ersetzt, die aufeinander feuern, was in einer gewaltigen Explosion endet. Okay, was hat das zu bedeuten?
Der Typ, der immer noch hinter mir steht, stupst mich an und bedeutet mir, weiterzugehen.
Erst jetzt kapiere ich, dass das der ultimative Moment für eine Flucht wäre. Ich denk lieber nicht länger drüber nach, sonst kneife ich noch, deshalb schnappe ich mir eine der Kugeln, die mir immer noch vor der Nase rumschwirrt, und werfe sie einem dicken Alien mit Rüssel an die Birne.
Als er sich umdreht, zeige ich mit meinem Unschuldslamm-Blick auf meinen Hintermann, alias vormals hüllenlos – zumindest am Oberkörper – der total verblüfft aussieht, dass ich das gewagt habe.
Der Rüssel-Alien versteht wohl keinen Spaß, denn er kommt brüllend auf uns zu. Die Gefährten meines Entführers kommen ihm sogleich zu Hilfe und stoppen den fuchsteufelswilden Typen, bevor er ihn verkloppen kann.
Das ist meine Chance. Als sie am Diskutieren sind, stehle ich mich davon und sprinte los. Jemand brüllt etwas und schon kommen mehrere gleich gekleidete Soldaten auf mich zugelaufen. Die Bullen, verdammt.
Wie eine Bekloppte bahne ich mir einen Weg durch die Menge und remple jeden auch noch so schleimigen Alien an, der mir im Weg steht.
In meiner Verzweiflung klettere ich an einer wabenartigen Wand hoch, an der mir der Weg abgeschnitten wird.
Plötzlich spüre ich eine Art Tentakel, der sich um meinen Bauch windet. Bevor ich schreien kann, zieht mich das Teil ruckartig von der Wand, wirbelt mich durch die Luft, nur um mich unten wieder direkt vor sich auf die Füße zu stellen.
Der Alien, der erschreckenderweise totale Ähnlichkeit mit einer Riesenqualle hat, brüllt mich an, sodass meine Haare zurückfliegen. Das Teil hat sogar Mundgeruch.
Dass es das rosa Ding, also mich, gleich fressen könnte, nimmt mich gerade dermaßen mit, dass ein Pfeifen in meinen Ohren ertönt.
Im nächsten Moment werde ich so abrupt losgelassen, dass ich es erst Sekunden später realisiere.
Der nächste Alien – ein Mann mit quadratischem Kopf – kommt auf mich zu.
Das schnelle Pochen meines Herzens ist alles, woran ich mich grad klammere, bevor das Pfeifen in meinen Ohren lauter wird und mir schon die Beine wegknicken.
Ich spüre, wie mein Körper auf den Boden auftrifft, aber meine Glieder sind so taub, sodass es sich anfühlt, als würde ich in Watte fallen.
Der inbrünstig, qualvolle Laut einer Frau reißt mich so schlagartig aus meiner Ohnmacht, dass ich zusammenzucke.
Im nächsten Augenblick werde ich in die Arme eines Mannes übergeben, der mich so fest an sich drückt, dass mir die Luft wegbleibt. Daraufhin lässt er sich mit mir so fest auf seine Knie fallen, dass es meinen gesamten Körper erschüttert.
„Ich habe jeden Tag für diesen Moment gebetet“, haucht er mir ins Ohr.
Plötzlich brüllt er so laut, dass ich schreie und mich strampelnd aus seinem Griff befreie, um wankend Abstand zu gewinnen.
Eine Frau in den feinsten Kleidern, die ich je gesehen habe, läuft auf den Mann zu und kniet neben ihm nieder. Dabei weint sie sich die Seele aus dem Leib.
Die sehen aus, wie Menschen, aber ihre Haut ist so blass, dass sie fast durchsichtig wirken. Der Mann hat einen schwarzen Vollbart und gütige, graue Augen, während die Frau wunderschöne, in hunderte, feiner Zöpfe geflochtene Haare und ein makelloses Gesicht hat, als wäre sie ein Porzellanengel.
Neben ihnen steht der Quadratschädel, der mich am Raumschiffhafen aufgegabelt hat. Er ist groß, ziemlich kräftig und hat eine Angriffslust in den Augen, die seinesgleichen sucht.
„Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“, sind mal die drängendsten Fragen, die mir auf der Seele liegen.
Sie senden sich irritierte Blicke zu. Der Mann mit den gütigen Augen erhebt sich und zieht die Frau mit sich, bevor er mir mit einer Gegenfrage antwortet: „Erkennst du uns denn nicht, Kaja?“ Kaja? Okay, klassischer Fall von Verwechslung.
„Mein Name ist Texas“, erwidere ich, während ich mich fester an die Wand hinter mir drücke.
Die Frau bricht erneut in bittere Tränen aus und wirft sich ihrem Mann – zumindest denke ich, dass sie verheiratet sind – an den Hals. „Sie erkennt uns nicht. Wieso erkennt sie uns denn nicht?“, schluchzt sie.
„Dein Name ist Kaja“, erklärt der Quadratschädel. „Du wurdest als Fünfzehnjährige von uns unbekannten Tätern entführt. Dies sind deine Eltern.“ Er zeigt auf die sich erhebenden, bleichen Gestalten, die mich konzentriert mustern.
Ich schüttle energisch den Kopf. „Nein. Ich bin Texas von der Erde und wurde gerade von dort hierher entführt“, musste einfach mal gesagt werden.
„Die Queroxianer haben dich dort gefunden und nach Hause gebracht“, korrigiert mich der Quadratschädel. Tja, die Story hat vorhin schon keinen Sinn ergeben.
„Mein Zuhause ist die Erde“, stelle ich fest.
„Die Erde. Heißt so der Planet, wo du die ganze Zeit über warst?“, will die Frau, die mir als meine Mutter vorgestellt wurde, wissen.
„Ja“, antworte ich. „Aber ich bin dort geboren. Sie verwechseln mich mit jemandem.“
Ja gut, ich hab keine Erinnerungen an meine leiblichen Eltern und an das, was vor meinem Leben auf Johns Farm passiert ist, aber ich bin doch kein Alien. Ich meine, Hallooooo?
„Ich bin ein Mensch“, stelle ich klar.
Außerdem ist das sicher nur ein Wahnsinns-Zufall, dass das Mädchen auf dem Bildschirm so aussieht, wie ich. Hoffentlich. Eigenartig ist das schon.
„Du bist die Byzantinische Kronprinzessin. Eine von Zwillingstöchtern, die entzweit wurden. Daran besteht kein Zweifel“, knallt mir der Quadratschädel vor den Latz.
Ich lache belustigt auf. „Okay, selten so gelacht. Spaß beiseite, wo ist hier der Ausgang?“
„Hol den Arzt, schnell“, befiehlt ihm der mit dem Vollbart. Das Wort „Experimente“ schießt mir sofort durch den Kopf.
„Hiergeblieben, Quadratschädel“, fauche ich den Typen an, der gerade den Raum verlassen wollte. „Ich brauch keinen Arzt, ich brauch ein Raumschiff mit Nonstop-Ticket zurück auf die Erde – meinem Zuhause. Tut mir leid, was mit ihrer Tochter passiert ist, aber sie haben hier absolut die Falsche erwischt.“
„Dies ist dein Zuhause. Du bist zu uns zurückgekehrt, Tochter“, erklärt der Mann, der sich für meinen Vater hält, und stellt sich mir mit ausgestreckten Händen entgegen.
Ich will gerade anfangen, zu protestieren, da geht eine Schiebetür auf und im Türrahmen stehe – ich. Also jemand, der genauso aussieht wie ich, was mich grad etwas überfordert, um es gelinde auszudrücken.
Naja, genaugenommen kann ich mich nicht erinnern, jemals so böse gekuckt zu haben. Ich hab auch keine langen Haare – meine sind ziemlich kurz – und sowieso ist die Frau viel hübscher wie ich, aber die könnte definitiv als meine Doppelgängerin durchgehen.
Die Szene will beim besten Willen keinen Sinn ergeben, so sehr ich mich anstrenge.
„Okay, was läuft hier?“, ist mein jämmerlicher Versuch, diese Situation zu hinterfragen.
„Das ist deine Zwillingsschwester Eleonike“, stellt mich der Quadratschädel vor.
Wenn wir uns nicht so ähnlich sehen würden, hätt ich jetzt ein vollkommen überzeichnetes „Im Traum“ ausgestoßen, aber scheinbar ist das hier die Realität.
Meine „Zwillingsschwester“ steht einfach nur da und mustert mich mit starrem Blick, ohne die kleinste Emotion zu zeigen.
Ich schüttle energisch den Kopf. „Bitte sagt mir, dass ich hier in einer dieser kranken Reality-Shows stecke“, hauche ich und suche nach den versteckten Kameras. Der Raum ist total grau gestrichen und eher karg möbliert. An die raumhohe Fensterscheibe prasseln dicke Regentropfen.
„Das ist deine leibliche Schwester“, widerspricht der Quadratschädel. Aber wie ist das möglich? Auf jeden Fall ist es total beängstigend, sich selbst zu begegnen.
„Ich … ich erinnere mich nicht an sie. An das hier auch nicht. Ich war nie zuvor hier. Ich … bin Texas, von der Erde“, wiederhole ich wie ein Mantra, bevor meine Knie schwabblig werden, ich an der Wand herunterrutsche und meine Fäuste in meine Haare kralle.
„Man hat mich von der Erde entführt. Da war ein Gewitter … und ein Roboter … John. Ich …“ Die Bilder dieser Horrornacht poppen wieder in meinem Kopf auf und diesmal schaffen es die Tränen wieder, meine Augen zu fluten.
Mir ist total übel und schwindlig. Sogar im Sitzen hab ich Schlagseite und knalle auf den Boden. „Ich bin die Erde von Texas …“, hauche ich, bevor mir schwarz vor Augen wird.
„John?“, flüstere ich mit rauer Stimme, als ich aufwache.
„Keine Angst, du bist jetzt in Sicherheit“, flüstert eine Frau in mein Ohr und streicht mir über die Wange, was mich hochfahren lässt. Ich stöhne und greife mir an die pochende Birne.
„Nicht so schnell, Prinzessin“, rät mir ein mir unbekannter Mann im grünen Mantel, der mich stark an den alten, weißhaarigen Opa von Jurassic Park erinnert. Zusammen mit dieser Michael-Jackson-Haut sieht er aber wie die Albino-Version des Opas aus.
Ich liege auf einer blinkenden Plastikplatte. Hey, hat er mich grad Prinzessin genannt? War das als Verarsche gedacht?
„Sie haben doch keine Experimente mit mir gemacht?“, verlange ich mich überall abtastend, ob ich Operationsnarben davongetragen habe, was auf den ersten Blick nicht so aussieht und sich auch nicht so anfühlt.
Er grinst schief. „Du hast die Weltraumkrankheit und dein Gedächtnis verloren. Experimente mache ich nur mit einwandfreien Probanden.“ Hat er mich grad verarscht? Jemand mit Humor, ein Lichtblick.
Ich lächle. Er ist mir sympathisch. „Weltraumkrankheit?“, hinterfrage ich. „Ist das schlimm?“
„Nein. Sie tritt auf, wenn man sich eonenlang nicht im Orbit aufgehalten hat.
Symptome sind Schwindelanfälle und Übelkeit, aber nach ein paar Wochen sollte sich dein Körper erholt haben. Dein Gedächtnis macht mir mehr Kopfzerbrechen. Ich weiß nicht, wann du dich wieder zurückerinnern wirst.“ Ich nicke.
Scheinbar ist an der Sache doch mehr dran, als ich dachte. Ich meine, die junge Frau, die meine Zwillingsschwester sein soll, ist doch Beweis genug. Die Ähnlichkeit kann man nicht abstreiten und meine „Eltern“ scheinen ja auch fest davon überzeugt zu sein, dass ich ihre Tochter bin. Wenn einen jemand in- und auswendig kennt, dann doch seine leiblichen Eltern.
Das Video auf dem Bildschirm am Weltraumflughafen ist wahrscheinlich so eine Art, von ihnen initiierte, Vermisstenwerbeeinschaltung, wie die Bilder von den vermissten Kindern auf den Milchpackungen bei uns auf der Erde.
Heißt das, Unbekannte haben mich tatsächlich mit fünfzehn entführt? Wer entführt denn bitte jemanden und setzt ihn auf der Erde aus und wieso hab ich absolut keine Erinnerungen an mein früheres Leben? Vielleicht haben die mir was über die Rübe gezogen.
Okay, also, mein Name lautet anscheinend Kaja. Mal sehen, was ich noch so alles vergessen habe.
„Wie alt bin ich?“, verlange ich.
„Achtzehn“, informiert mich der Arzt. Achtzehn? Verdammt, ich dachte, ich wär sechzehn. Toll, gleich mal zwei Jahre älter geworden – über Nacht. Prima.
Wir haben mich damals, kurz nachdem mich John aufgelesen hat, gemeinsam auf elf geschätzt. Da war ich wohl schon dreizehn. Das ist fünf Jahre her.
Sieht so aus, als war John seiner Entdeckung näher, als er geglaubt hat. Oder wusste er es von Anfang an?
Bin ich womöglich mit einem Raumschiff abgestürzt, das bei uns in der Scheune gebunkert ist – wie bei Superman? Das wär der ideale Platz, um sowas zu verstecken, denn da drin herrscht ein Chaos, das seinesgleichen sucht. John. Er fehlt mir so. Wenn er das hier sehen könnte.
„Ich war also fünf Jahre weg“, stelle ich fest und schlucke die Tränen runter. Warte, hier stimmt was nicht. Die sagten doch, man hätte mich mit fünfzehn entführt. Wenn ich jetzt achtzehn bin, war ich ja nur drei Jahre weg. Ich war aber fünf Jahre bei John.
„Jahre? Ist das die Zeitrechnung, die dort herrscht? Nun, hier sind drei Eonen vergangen“, klärt mich der Arzt auf. Eonen.
Hm, dann vergeht im Weltall die Zeit langsamer als auf der Erde? Oder sie zählen einfach anders. Ich hätte mir definitiv mehr Bücher von Hawking reinziehen sollen. Da steht sowas sicher drin.
Jetzt bin ich auf jeden Fall laut ihrer Zeitrechnung achtzehn. Ich sollte erwachsen werden. Das ist man doch mit achtzehn, oder? Mann, das zieht mich grad echt runter.
„Die Schäden an deiner Haut sind bedauerlicherweise von Dauer“, fährt der Arzt fort und lässt mich hellhörig werden. Die Frau, die wohl tatsächlich meine leibliche Mutter ist, schlägt sich entsetzt die Hand vor den Mund.
„Welche Schäden denn?“, will ich wissen und mustere meine Haut, die eigentlich wieder total okay aussieht. Die haben wohl meine Schürfwunden mit so einer Alien-Technologie geheilt und ich bin sogar wieder sauber.
„Sie ist durch UV-Strahlung, derer du ungeschützt ausgesetzt warst, dunkel geworden“, informiert er mich.
„Und?“, hake ich nach. „Das kommt von der Farmarbeit. Ist doch nur eine leichte Bräune. Ich hatte immer Sonnencreme drauf.“ Meine Mutter lässt einen entsetzten Laut los, den ich nicht deuten kann.
Der Arzt räuspert sich. „Aus rein medizinischer Betrachtung, ist mit deiner Haut alles in Ordnung. Aber aus ästhetisch-gesellschaftlicher Sichtweise, wirst du wohl herausstechen.“ Ich weiß, was er meint. Ihre Haut ist beinahe durchsichtig und ich wirke dagegen wie ein Afroamerikaner. Naja, vielleicht löse ich damit einen neuen Trend aus.
Ich zucke mit den Schultern. „Sie können mir ja eine Glatze schneiden, Doc. Dann kuckt keiner mehr auf meine Haut“, schlage augenzwinkernd vor.
Meine „Mum“ schnappt entsetzt nach Luft. Der Doc schmunzelt belustigt. Im nächsten Moment wankt mein Oberkörper bedrohlich, weil mir plötzlich wieder schwindlig wird.
„Das geht bald vorüber. Leg dich hin“, höre ich den Doc von irgendwoher.
Ich schließe die Augen, damit es besser wird, was auch ganz gut klappt.
„Jetzt wird alles gut, mein Liebling“, flüstert die Frau mit so einer mütterlichen Stimme.
Naja, daran könnte ich mich glatt gewöhnen. Eltern zu haben, meine ich. Die Alien-Geschichte ist mir aber immer noch suspekt.
Ich bin wohl mitten im Grübeln eingeschlafen, denn ein Flüstern weckt mich, aber ich halte die Augen noch geschlossen.
„Wie geht es ihr?“ Das ist die Stimme meines „Dads“.
„Sie schläft“, antwortet meine Mum. Krass, dass ich jetzt richtige Eltern habe. Ich weiß gar nicht, wie es ist, überhaupt welche zu haben – und dann noch König und Königin. Irgendwie ein komisches Gefühl, aber auch total beruhigend.
„Unus?“, haucht sie.
„Ja, Kalla?“
„Sie ist so … verändert.“
„Ich habe in den Archiven nachgesehen. Die Erde ist ein Klasse-G-Planet am äußersten Rand der Galaxie, der stark unterentwickelt ist“, klärt sie mein Dad auf. Unterentwickelt? Wir haben immerhin schon bemannte Raumfahrt.
Meine Mutter lässt einen Seufzer los und heult gleich wieder. „Kalla, hör auf zu weinen. Sie wird schnell lernen und alles aufholen.“
„Sie war so lange dort. Sieh dir ihre Haut an, ihren Körper, ihre Hände.“ Hey, was stimmt denn nicht mit meinen Händen?
„Sie musste harte, körperliche Arbeit verrichten“, sagt sie so entsetzt, als hätte sie gerade festgestellt, dass ich dort jahrelang gequält wurde. Naja, Arbeit schadet ja nicht. Immerhin weiß ich, wie man was anbaut, das man essen kann, was ja ganz praktisch ist.
„Sie ist am Leben. Das ist alles, was zählt“, flüstert mein Dad. Meine Rede, Mann.
„Du hast recht, Gemahl“, kuscht sie. „Ich hoffe, sie erinnert sich bald an uns.“
„Lass ihr Zeit“, haucht er, bevor dieses Geräusch einer sich schließenden Schiebetür ertönt.
Ich beschließe aufzustehen, um mir die Füße zu vertreten. Erst jetzt mustere ich meine Umgebung genauer.
Der Raum ist erschreckend steril und sieht ziemlich nach Operationssaal aus. An der Wand befinden sich blinkende Konsolen und über dem „Seziertisch“ auf dem ich bis jetzt noch lag, gibt es eine ovale Platte, von der ich keinen blassen Schimmer habe, wozu die gut sein soll.
Die ersten Probleme mit dieser abgefahrenen Alien-Technologie tun sich schon bei der Schiebetür auf, die einfach nicht aufgehen will.
Ich versuche es sogar mit „Computer! Tür öffnen“, aber es tut sich nichts. Bei Star Trek hat das doch auch geklappt.
Hier gibt’s auch keinen Türknopf und scheinbar auch kein Sensording, denn ich bin gefühlte hundertmal vor der Tür vor und zurückgelaufen – ohne Erfolg.
Wie blöd kann man sich eigentlich anstellen? Wütend kralle ich mich in den Spalt und will sie aufzwängen, was auch funktioniert. Naja, zumindest ein Erfolgserlebnis.
„Die Tür schließt manuell“, von einer Computerstimme lässt mich zusammenzucken.
„Danke Manuell“, spotte ich grinsend und wanke den ebenso sterilen, grauen Flur entlang.
Alles ist so spiegelglatt, dass man sich überall erkennen kann. Erschreckenderweise muss ich feststellen, dass meine Haare afromäßig in allen Richtungen abstehen, als hätt ich eine Dauerwelle, für die man den Friseur verklagen sollte – ohne Scheiß.
Das muss wohl die Elektrizität des Blitzes gewesen sein. Ich bügle sie mit den Händen glatt, aber sie sind widerspenstig und stellen sich immer wieder auf.
Wow, ich sehe aus wie Quasimodo auf Bad-Hair-Day. Kein Wunder, dass mich meine drei Entführer ausgelacht haben. Sowas Hässliches wie mich haben sie wahrscheinlich noch nie zuvor vor die Bugwand bekommen.
Glücklicherweise haben sie mir den Hello Kitty Pyjama ausgezogen. Stattdessen hab ich ein moosgrünes, seidiges Kleid an, das ziemlich schön aussieht.
Okay, ich brauch ein Badezimmer, um die Mähne zu bändigen, sonst wars das mit meinem Prinzessinnen-Image – so ästhetisch-gesellschaftlich betrachtet.
Bedauerlicherweise krieg ich keine einzige Tür auf, die vom Flur abgeht. Eine große, raumhohe Fensterfläche gibt den Blick auf draußen frei und ich erkenne, dass es noch immer in Strömen regnet, was noch untertrieben ist. Es kübelt aus allen Wolken.
Wir scheinen uns auf einer Art Hightech-Palast auf Stelzen zu befinden, der vollständig von stürmischem Meer umgeben zu sein scheint.
Die Wellen schlagen meterhoch aus dem Wasser und treffen sogar auf das Gebäude. Also das nenn ich mal mieses Wetter. Wenn es hier öfter so ist, versteh ich, dass alle so bleich sind. Sonne seh ich nämlich auch keine. Der gesamte Himmel ist wolkenverhangen und Nebelschwaden ziehen wie dicke, weiße Tücher vorbei.
Ich bahne mir einen Weg durch die Gänge und gelange in eine riesige Halle, in der ein Zimmerbrunnen steht, der mit wilden lianenartigen Blumengewächsen, die sich in seinem Zentrum an einem Seil bis an die Decke ziehen, verwachsen ist.
Nach einer kurzen Kontrolle, ob da keine Piranhas oder irgendetwas anderes Giftiges drin wohnt, setze ich mich an den Brunnenrand, lehne mich vor und tauche meine Birne einfach ein. Ich schüttle die tropfnasse Mähne so gut es geht ab und stehe auf.
In dem Moment packt mich erneut dieser Schwindel und ich versuche, mich noch irgendwo festzuhalten. Leider verfehle ich den Brunnenrand, da mein Blick soeben verschwimmt und knalle so richtig schön in das eiskalte Wasser.
Schnell tauche ich auf und huste mir die Seele aus dem Leib, weil ich vor Schreck ziemlich viel Wasser geschluckt habe.
Der Gedanke, dass das ja mal wieder nur ich schaffen kann, sich beinahe in einem Zimmerbrunnen zu ertränken, erheitert mich ungemein. Vor allem, da der Boden so glitschig ist, dass ich andauernd wieder ins Wasser falle, das mir nur bis zur die Hüfte reicht. Ich schaffs einfach nicht, aus eigener Kraft stehenzubleiben.
„Kaja“, höre ich meinen Dad aufgebracht rufen. Im nächsten Moment hechtet jemand über den Brunnenrand und taucht mit den Beinen ins Wasser ein.
Alarmstufe Rot. Das ist so ein Typ Marke Herzensbrecher mit wundervollen, grünen Augen und langen, blonden Haaren.
Zumindest war es das, was ich in der kurzen Zeit erkennen konnte, bevor es ihm die Beine weggerissen hat und er ebenfalls mit dem Kopf untergetaucht ist.
Als er die Oberfläche durchbricht, versuche ich, mein Grinsen mit zusammengepressten Lippen zu verbergen, was mir eigentlich überhaupt nicht gelingt. Obwohl ich alles tue, um es zu unterdrücken, muss ich herzhaft lachen.
Im ersten Moment ist er total verblüfft, dass ich ihn auslache, aber da schwimme ich bereits zum Brunnenrand, stemme mich hoch und wuchte mich darüber.
Die Arme meines Vaters empfangen mich nicht. Ganz im Gegenteil, er sieht mir munter dabei zu, wie es mir beinahe noch so richtig schön am spiegelglatten Boden die Beine ausreißt. Im letzten Moment kann ich mich abfangen.
Grinsend nehme ich neben meinem Vater Aufstellung, wo ich munter vor mich hin tropfe. Er bringt sogar etwas Abstand zwischen uns, damit er nicht nass wird. Mein Dad hat wohl Angst um seinen piekfeinen Anzug.
Der süße Typ ist auch bereits draußen. Ein paar Männer stehen neben ihm und glotzen mich verblüfft an. Allesamt blonde Götter in unterschiedlichen Altersstufen. Ich scheine den Weltraum schön langsam liebzugewinnen, muss ich sagen.
„Wie ich bereits sagte, meine Tochter hat ihr vollständiges Gedächtnis verloren“, wendet mein Dad räuspernd ein, „also erlaubt Ihr, dass ich sie erneut vorstelle.“ Aha, wir kennen uns also.
„Meine Tochter, Kronprinzessin Kaja – die Hoheiten der Toxianer“, stellt mich mein Vater vor, der mir von Weitem seinen Mantel über die Schultern wirft, weil ich schon zähneklappernd vor mich hin bibbere. Scheiße, war das kalt.
Er zeigt auf den ältesten Mann unter ihnen und sagt: „Das ist der Toxianische Imperator.“ Die Hand meines Vaters wandert weiter zu dem tropfnassen Leckerbissen, der mich interessiert mustert. „Und sein ältester Sohn Maxim.“ Schmacht. Sein Sohn ist echt zum Anbeißen. Dass sein Hemd beinahe durchsichtig geworden ist und stahlharte Muskeln entblößt, ist ein echt angenehmer Nebeneffekt von diesen Wet T-Shirt Contests. Ohne Worte, echt. Würde er nicht so von sich eingenommen lächeln, wär er echt süß.
„Und so kehrt die verschollene Tochter zurück. Du musst der glücklichste Mann im Universum sein, Unus“, schwärmt der, den er als den Toxianischen Imperator vorgestellt hat, der mir gerade gefährlich nahekommt.
Instinktiv weiche ich zurück, als er in meinen Wohlfühlbereich eintaucht. Sein Kopf hat sich dabei gefährlich dem meinen genähert. Wollte er mir etwa Küsschen auf die Wange verpassen? So gut kennen wir uns auch wieder nicht.
Mein Vater räuspert sich erneut. „Verzeiht, sie ist mit unseren Gebräuchen nicht mehr vertraut. Zu lange war sie verschollen“, beschwichtigt er.
Dem König, der sich nachdenklich am Kinn kratzt, ist mein Verhalten gar nicht geheuer. Neugierig fragt er: „Was hattest du im Zierbrunnen vor, Prinzessin?“
„Ähm. Baden?“, rede ich mich raus, was ihn zu erheitern scheint.
„Weiß man schon, wer dieses Verbrechen begangen hat?“, will er nun wissen.
„Geh Kind, du frierst“, versucht mein Dad mich so schnell wie möglich loszuwerden. Ich glaube, er schämt sich ein bisschen für mich.
Ich nicke, richte meinen Blick auf den sexy Typen und sage: „Danke für die Rettungsaktion“, und lasse sie einfach stehen, aber nicht ohne ihn vorher anzulächeln.
Erst jetzt bemerke ich die dunklen Flecken an seinem Hals, die entfernt nach Leopardenmuster aussehen. Er scheint wohl einer anderen Rasse anzugehören.
Toxianer. Hm. Die Unterschiede zwischen uns muss ich gleich recherchieren – für rein wissenschaftliche Zwecke versteht sich. Obs hier sowas wie Internet gibt?
Beim Abendessen herrscht eisiges Schweigen. Meine Schwester ignoriert mich vollkommen. Mum sieht immer wieder zu Dad rüber, der echt zum Fürchten aussieht.
„Was ist denn los?“, unterbreche ich diese gruslige Stimmung und wende mich meinem Vater zu. „Du siehst aus, als würdest du gleich über den Tisch springen und mich würgen.“ Meine Eltern sehen mich verblüfft an.
„Hat dir das jemand angetan?“, will mein Vater aufgebracht wissen.
„Nein, war nur so daher gesagt“, stelle ich fest.
„Es ist nichts“, zischt er durch zusammengebissene Zähne.
„Ja klar“, motze ich. „Ich hab was falsch gemacht, oder?“ Verdammt, vielleicht hab ich den Toxianischen König irgendwie beleidigt, weil ich vor ihm zurückgewichen bin. Ich bin so ein Idiot. Das war ja total unhöflich.