Lass es Liebe sein - Julia Schöning - E-Book

Lass es Liebe sein E-Book

Julia Schöning

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Beschreibung

Um ihrem Leben nach einer Trennung eine neue Richtung zu geben, beschließt die Versicherungskauffrau Sarah sich von ihren langen Haaren zu trennen, nicht ahnend, dass der Friseurbesuch ihr Leben gehörig durcheinanderbringen wird. Denn die rationale und konservative Sarah verliebt sich in ihre völlig gegensätzliche Friseurin, die unkonventionelle, impulsive und freiheitsliebende Katja. Einige Zufälle führen dazu, dass die beiden eine leidenschaftliche Nacht miteinander verbringen, doch danach wird deutlich, dass Katja nicht an einer Beziehung interessiert ist. Sarah ist verzweifelt, denn sie wünscht sich, dass es auch bei Katja Liebe sein möge ...

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Julia Schöning

LASS ES LIEBE SEIN

Roman

Originalausgabe: © 2010 ePUB-Edition: © 2013édition el!es

www.elles.de [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-95609-011-0

Coverfoto:

Es war an der Zeit, endlich etwas Grundlegendes in ihrem Leben zu verändern. Sie musste einen Neuanfang wagen. So wie in den letzten beiden Monaten konnte es nicht mehr weitergehen. Davon war Sarah überzeugt.

Mit einem etwas mulmigen Gefühl in der Magengegend öffnete Sarah die Tür, über der in bunten Buchstaben »Crazy Cut« prangte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal bei einem richtigen Friseur gewesen war. An ihren langen Haaren, die sie normalerweise zu einem einfachen Pferdeschwanz gebunden trug, waren höchstens die Spitzen nachzuschneiden. Das erledigte meistens ihre beste Freundin. Aber heute sollte alles anders werden.

Das Klingeln der Türglocke kündigte ihren Besuch an.

Ein junger Mann, der hinter der Theke im Empfangsbereich gerade etwas notierte, blickte zu ihr auf und sah sie erwartungsvoll an.

Sarahs Herz klopfte schneller. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, hierherzukommen. Vielleicht sollte sie einfach auf dem Absatz kehrtmachen.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte der junge Mann Sarah lächelnd, als sie keinerlei Anstalten machte, ihr Anliegen zu erklären. Die Musik im Friseurladen war so laut aufgedreht, dass er beinahe schreien musste, damit sie ihn verstehen konnte.

Sarah räusperte sich. Sie sollte sich nicht so anstellen. Es war schließlich nur ein Friseurtermin. »Guten Tag. Mein Name ist Sarah Wohlfahrt. Ich hatte einen Termin ausgemacht«, brachte sie endlich hervor. Dabei versuchte sie, die Mundwinkel zu einem Lächeln zu bewegen, doch dieser Versuch endete in einem gequält wirkenden Gesichtsausdruck.

Der junge Mann warf einen Blick in den Terminkalender. »Ach ja. Hier habe ich dich. Katja wird gleich bei dir sein. Nimm doch bitte dort drüben noch einen Moment Platz.« Er deutete auf eine kleine Sitzecke.

Sarah kam der Aufforderung nach und ließ sich in einen großen Ledersessel sinken. Die warme Märzsonne schien durch die große Fensterscheibe, die mit undefinierbaren bunten Mustern verziert war. Nervös wippte ihr Fuß auf und ab. Sie versuchte sich auf die Musik zu konzentrieren, aber es wollte ihr nicht gelingen.

Der Salon machte seinem Namen alle Ehre. Bereits nach wenigen Minuten des Wartens fühlte sich Sarah tatsächlich so, als würde sie verrückt werden. Vor ihr auf dem Tisch lagen einige Zeitschriften, die spannende Neuigkeiten über einen Haufen Prominenter oder die, die sich dafür hielten, versprachen. Sie nahm eine der Illustrierten in die Hand und blätterte sie durch. Der Inhalt verschwamm vor ihren Augen.

Noch wäre es denkbar, einfach aufzustehen und zu gehen. Sie hatte noch alle Möglichkeiten. Was wollte sie nur hier? Sie musste den Verstand verloren haben. Ihre langen Haare opfern zu wollen, nur um Ramona endlich aus ihrem Kopf zu verbannen. Als ob das eine vernünftige Lösung wäre! Wie war sie nur darauf gekommen? Sarah merkte, wie ihre Finger feucht wurden.

»Du musst Sarah sein«, riss eine freundliche Stimme sie aus ihren Gedanken. »Ich bin Katja. Du hast einen Termin bei mir. Komm doch bitte mit.«

Als Sarah aufsah, starrte sie geradewegs in die strahlend blauen Augen, die zu der zierlichen Frau gehörten, die vor ihr stand. Sie musste einige Zentimeter kleiner sein als sie.

Dieser Eindruck bestätigte sich schnell, als sich Sarah erhob. Sie überragte die Frau sicherlich um einen Kopf. Das war nichts Neues für Sarah. Sie war so hochgewachsen, dass sie selten genug eine Frau traf, die mit ihr auf Augenhöhe lag.

Katja führte Sarah zu einem Stuhl und stellte sich hinter sie. Sie begann sogleich, Sarahs Haargummi zu entfernen, um mit professioneller Miene ihre Frisur zu begutachten. »Was soll ich denn bei dir machen?« Sie zupfte einige Haarsträhnen zurecht.

Nun war es so weit. Sarah atmete einmal tief durch. »Ich möchte gern eine ganz neue Frisur. Am liebsten hätte ich einen Kurzhaarschnitt.«

Verdutzt hielt Katja in ihrer Bewegung inne. »Meinst du so eine Länge, wie meine Haare haben, oder noch kürzer?« Sie legte ihren Zeigefinger an ihr Kinn. »Das ist aber ein gewaltiger Schritt. Ich hoffe, darüber bist du dir im Klaren.«

Erst jetzt betrachtete Sarah Katja etwas genauer. Sie trug ihre schwarzen Haare, in denen rote Strähnen leuchteten, in etwa kinnlang, und sie wirkten etwas zottelig. Eigentlich entsprach die Frisur nicht wirklich dem, was Sarah sich vorgestellt hatte.

Katja schien Sarahs musternde Blicke zu bemerken. Sie zwinkerte Sarah zu. »Keine Angst, ich will dir weder so rote Strähnen noch so eine fransige Frisur verpassen, wie ich sie habe. Wir können das auch etwas konservativer halten.«

Ertappt senkte Sarah ihren Blick. Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. Zu Katja passte dieser ausgefallene Haarschnitt sicherlich, aber zu ihr ganz bestimmt nicht. So würde sie sich im Leben nicht trauen herumzulaufen.

»Hast du dir denn schon einmal unsere Frisurbücher angesehen? Sonst können wir das vielleicht jetzt gemeinsam machen. Was hältst du davon?«, schlug Katja vor.

»Ja, das wäre vielleicht das Beste«, bemerkte Sarah.

Sofort war Katja verschwunden und kam wenige Sekunden später mit einem dicken Stapel Bücher wieder. Aber Katja schien schon eine genaue Vorstellung davon zu haben, welcher Schnitt Sarah am besten stehen würde. Geschickt zog sie ein Buch von weiter unten aus dem Stapel hervor und schlug eine Seite auf.

Eine blonde Frau mit einem modernen Kurzhaarschnitt lächelte ihnen entgegen.

»Das könnte gut zu dir passen«, stellte Katja fest. »Das sieht sportlich und aktiv aus, aber dennoch weiblich. Genau so würde ich dich auf den ersten Blick einschätzen. Stimmt doch, oder?«

Sarah starrte Katja verblüfft an. Sie hatte exakt ins Schwarze getroffen. Das war wirklich beeindruckend. »Na ja, ich spiele Handball und treibe auch so Sport, wenn ich die Zeit dazu finde«, erklärte Sarah. Mit ihrer Hand rieb sie kurz über ihren Nasenrücken.

Katja lächelte ihr zu und schob dabei ihren schwarzen BH-Träger, der unter ihrem engen knallroten Top hervorblitze, zurecht. »Ich werde deine Haare etwas ausdünnen. Der Nacken bleibt jedoch ein kleines bisschen länger. Außerdem ist diese Frisur ganz pflegeleicht und lässt sich problemlos umstylen. Du kannst somit jeden Tag etwas anders aussehen, wenn du möchtest«, erläuterte sie fachmännisch.

Sarah hatte keine Ahnung, was das alles genau bedeutete, aber Katja strahlte so viel Kompetenz aus, dass es ihr nicht schwerfiel, ihr zu vertrauen. Katja würde schon wissen, was sie tat. Wenn sie selbst das nur auch wüsste! Ob ihr diese Frisur wirklich stehen würde?

»Wäre das etwas für dich?«, fragte Katja, als Sarah noch immer keine eindeutige Antwort gegeben hatte.

Sarah nickte schwach. Richtig überzeugt war sie von ihrer Entscheidung noch immer nicht, und wenn Katja sie nun weiter verunsicherte, würde sie ganz schnell einen Rückzieher machen.

»Etwas mehr Zustimmung von dir brauche ich schon.«

Sarah schluckte kräftig. »Okay. Leg los.«

»Also gut. Dann werde ich mich mal an die Arbeit machen. Zuerst müssen wir allerdings deine Haare waschen. Komm doch bitte mit.« Fröhlich pfeifend ging Katja auf das Waschbecken zu, und Sarah folgte ihr deutlich weniger enthusiastisch.

Seit ihrer Kindheit hatte Sarah ihre blonden Haare stets lang getragen. Sie hatte niemals Experimente mit der Farbe gemacht, geschweige denn mit der Länge. Es hatte ihr immer so gefallen, wie es war, darum hatte sie nie einen Grund gesehen, etwas zu verändern. Nun jedoch war das anders. Ihre beste Freundin hatte sie genötigt, endlich etwas in ihrem Leben zu ändern. Und da war Sarah nichts Besseres eingefallen, als mit einer neuen Frisur in einen neuen Lebensabschnitt zu starten.

Sarah legte den Kopf in den Nacken und spürte das warme Wasser, das Katja über ihren Kopf laufen ließ. Unwillkürlich schloss sie die Augen und seufzte.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Katja mit besorgter Stimme.

»Ja, ja. Auf jeden Fall. Ich genieße nur«, erwiderte Sarah etwas verlegen.

Katjas Finger begannen ihre Kopfhaut zu massieren, während sie dabei das Shampoo verteilte.

Erneut entfuhr Sarah ein leiser Seufzer. Die Berührungen fühlten sich ausgesprochen gut an und entspannten sie zusehends. Noch einmal ließ Katja den Wasserstrahl über ihren Kopf wandern. Eine angenehme Gänsehaut jagte Sarahs Körper hinunter.

Viel zu schnell wickelte Katja ihre Haare in ein Handtuch ein. Dabei streiften ihre Finger Sarahs Wange und hinterließen ein Prickeln auf ihrer Haut. Sarah hätte noch stundenlang so weitermachen können.

Peinlich berührt von diesen Empfindungen, die eine einfache Haarwäsche offensichtlich bei ihr auslösen konnten, ging Sarah zu ihrem Platz zurück. Es war lange her, dass sie so empfindlich auf die einfachsten Berührungen reagiert hatte.

»Möchtest du etwas trinken? Einen Kaffee vielleicht?«, wollte Katja wissen und holte Sarah wieder zurück in die Realität.

»Ich hätte lieber einen Tee, wenn das geht«, entgegnete Sarah. Normalerweise trank sie höchstens morgens eine Tasse Kaffee, weil sie zu viel Kaffee für ungesund hielt, auch wenn sie den Geschmack eigentlich mochte. Sie konnte nicht verstehen, dass manche Menschen Unmengen von der braunen Flüssigkeit in sich hineinschütteten und so vielleicht ihre Gesundheit ruinierten.

»Selbstverständlich. Auch wenn ich nicht verstehen kann, wie man Tee einer schönen Tasse Kaffee vorziehen kann. Ich glaube, ich bin süchtig danach. Darf ich dir einen Früchtetee bringen?«

»Gern«, nahm Sarah das Angebot an, und wenig später stellte Katja die heiße Tasse vor ihr ab.

»Dann kann es ja endlich losgehen.«

Katja versuchte Sarah aufmunternd zuzulächeln, doch das konnte Sarah gerade nicht beruhigen. Sie fühlte sich etwas schwindelig, als sie im Spiegel sah, wie Katja mit der Schere herumfuchtelte. Sarah kniff die Augen fest zusammen.

»Okay, fang einfach an«, presste sie mühsam zwischen ihren Lippen hervor.

Sie hörte, wie Katja die Schere langsam öffnete und schnitt. Eine lange Haarsträhne fiel herunter und kitzelte sie dabei am Unterarm, der etwas unter dem Umhang hervorlugte. Das Herz klopfte Sarah bis zum Hals.

Das war’s! Jetzt war es unmöglich, die Entscheidung rückgängig zu machen. Es war zu spät. Sie würde ihre langen Haare nie wiedersehen.

»Oh mein Gott«, stöhnte Sarah auf. »Was mach ich bloß?«

»Keine Panik, du wirst verdammt gut aussehen nachher. Das verspreche ich dir. Und zur Not wachsen die Haare ja auch wieder nach«, sprach Katja beruhigend auf sie ein.

Die Worte brachten Sarah tatsächlich dazu, sich etwas zu entspannen. Immerhin konnte sie sich nun nicht mehr vorwerfen lassen, dass sie nie bereit wäre für etwas Außergewöhnliches, dass sie nie für eine Überraschung sorgte. Ihr Pulsschlag normalisierte sich. »Du hast ja recht«, sagte sie mehr zu sich selbst. Sarah lehnte sich zurück und versuchte ihre verkrampften Schultern zu lockern. Im Spiegel beobachtete sie Katja bei ihrer Arbeit. Katjas schlanke Finger ließen die Schere gekonnt durch ihre Haare gleiten. Zwischen ihren Augenbrauen hatte sich ein kleines Fältchen gebildet. Sie war ganz vertieft in ihr Tun.

Eigentlich war Katja wirklich niedlich, das war Sarah zuvor gar nicht aufgefallen. Sie wirkte so unkonventionell, ganz anders, als Sarah war. Ein kleines Piercing glänzte jeweils an ihrem Ohr sowie am äußeren Rand ihrer linken Augenbraue. Irgendwann hatte Sarah einmal gehört, dass man diese Art Piercing am Ohrknorpel Tragus-Piercing nannte. Seltsam, dass sie sich gerade jetzt an ein derart unwichtiges Detail erinnerte . . .

Die schwarzen Haare mit den roten Strähnen brachten Katjas blaue Augen hervorragend zur Geltung. Selten zuvor hatte Sarah eine Frau gesehen, die sie schon nach so kurzer Zeit in ihren Bann zog. Irgendetwas an Katja faszinierte sie.

»Wovon träumst du?«, riss Katjas liebliche Stimme sie aus ihren Gedanken. Ein unwiderstehliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

Sofort erröteten Sarahs Wangen, als ob Katja ihre Gedanken hätte lesen können.

»Ich hatte dich gefragt, ob du aus Bremen kommst. Ich bin nämlich erst seit vier Wochen in der Stadt.«

»Oh, entschuldige. Ich war mit meinen Gedanken woanders«, erwiderte Sarah. Wie von selbst fuhren ihre Finger über ihre Nasenspitze.

»Das habe ich gemerkt.« Katja lachte ein unbeschwertes Lachen. Es war so ungewöhnlich ansteckend, dass Sarah unweigerlich mitlachen musste.

»Ich bin heute wohl ziemlich durcheinander. Um deine Frage zu beantworten: Ich bin hier geboren und wollte auch nie von hier weg.«

Überrascht ließ Katja wenige Sekunden die Schere ruhen. »Du hast nie woanders gelebt? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich bin schon einige Male umgezogen.«

»Wo kommst du denn ursprünglich her?« Eigentlich vermied Sarah es, über Belanglosigkeiten zu plaudern, aber heute war es anders. Sie konnte nicht erklären, warum, aber sie genoss Katjas Gegenwart und wollte mehr über sie erfahren.

»Ich komme eigentlich aus Aurich, das ist ja nicht weit von hier, und ich wollte wieder etwas näher zu meinem Vater ziehen. Aber ich lebe lieber in einer größeren Stadt, und so fiel meine Wahl auf Bremen.« Katja lächelte Sarah zu.

Ihre Blicke trafen sich im Spiegel und hielten sich fest.

Sarahs Herz blieb einen winzigen Augenblick stehen, ehe es viel zu kräftig weiterpochte. Sie versank buchstäblich in Katjas Augen. Sie erinnerten Sarah an das Meer. So blau, so unergründlich, so tief und so wunderschön. Ein heftiges Kribbeln machte sich in ihrer Magengegend breit.

Katja beugte sich näher zu Sarah, um sich den seitlichen Haarpartien zu widmen. Dabei berührte ihr Oberkörper ganz leicht Sarahs Arm. Ein heftiger Blitz schoss durch Sarahs Körper. Sie spürte, wie Katjas weiche Brüste sich gegen den Umhang drängten. Das Kribbeln breitete sich nun in jeder Zelle ihres Körpers aus, um sich schließlich in ihrem Bauch zu sammeln.

Sarah holte tief Luft, um ihren Pulsschlag in gesundere Bahnen zu lenken, doch augenblicklich stieg ihr Katjas berauschender Duft in die Nase und vernebelte ihr die Sinne noch zusätzlich. Was war denn nur los mit ihr? Dergleichen war ihr noch nie passiert. Sarahs Atem beschleunigte sich. Sie schloss die Augen.

Konnte es etwa sein, dass Katja sie als Frau interessierte, auch wenn es vollkommen absurd klang? Sarah musste sich eingestehen, dass sie Katja durchaus attraktiv und anziehend fand.

Katja schien von alldem nichts zu merken und schnitt ungerührt an Sarahs Haaren weiter. »Was machst du denn so beruflich?«, versuchte sie das Gespräch wieder aufzunehmen.

»Äh . . . ich . . . ja, ich arbeite bei einer Versicherung«, stotterte Sarah. »Als Versicherungskauffrau. Bei der Kabede, in der Abteilung für die private Krankenversicherung«, ergänzte sie ihre Ausführungen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie noch bei vollem Bewusstsein und Herr der Lage war. Sie merkte, dass sie leicht zu schwitzen begann.

Katja musste schmunzeln. »Klingt ja höchst spannend.« Dann schüttelte sie grinsend den Kopf.

»Das ist es auch«, protestierte Sarah. »Ich liebe meine Arbeit. Ich könnte mir nichts anderes vorstellen«, stellte sie klar.

»Da haben wir ja etwas gemeinsam!«

Um die Haare perfekt auf eine Länge zu bringen, kam Katja Sarah so nah, dass diese ihren Atem an ihrem Ohr spüren konnte. Der zarte Lufthauch hinterließ ein sanftes Prickeln auf ihrer Haut.

Als Katja sich endlich wieder zurückbeugte, nahm Sarah einen großen Schluck aus ihrer Tasse. Der Tee war mittlerweile schon ziemlich abgekühlt. Ob Katja wohl lesbisch war? Ihr Gespür dafür, ob andere Frauen ebenfalls Frauen bevorzugten, war nicht allzu ausgeprägt. Bisher war das aber auch nicht nötig gewesen. Nachdem ihr selbst bewusst geworden war, lesbisch zu sein, hatte sie kurze Zeit später Ramona kennengelernt, und diese Beziehung hatte gerade erst geendet.

»Gleich bin ich fertig«, bemerkte Katja, während sie konzentriert weiterarbeitete.

Für einen Moment hatte Sarah vergessen, was der Grund für ihre Begegnung mit Katja gewesen war, doch schlagartig erinnerte sie sich wieder zu genau daran. Die schlimmsten Befürchtungen drängten sich ihr auf. Sie hatte es die letzten Minuten vermieden, sich im Spiegel zu betrachten. Die ganze Zeit war sie so sehr in das Gespräch mit Katja vertieft oder mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen, dass sie die Veränderung ihrer Haare etwas außer Acht gelassen hatte.

Ungläubig starrte Sarah in den Spiegel, aus dem eine fremde Frau zurückstarrte. Erst jetzt registrierte sie, dass ihre Haare tatsächlich ganz kurz waren.

»Du bist ja ganz blass.« Katja warf Sarah einen besorgten Blick zu.

Sarah bemühte sich, ein Lächeln aufzusetzen, um Katja etwas zu beruhigen, doch es geriet schief. »Es geht schon.«

»So schlimm ist es doch nicht, oder? Warte ab, bis ich deine Haare geföhnt und deine Frisur etwas gestylt habe.«

Sarah nickte unsicher. Ob es wirklich nicht so schlimm war, wusste sie noch nicht.

Katja hielt den summenden Rasierapparat in ihren Nacken. Augenblicklich zuckte Sarah zusammen. Sie war so empfindlich in ihrem Nacken, dass diese unvorbereitete Berührung eine Gänsehaut ihren Rücken hinunterjagen ließ. »Es tut mir leid, aber ich bin da etwas empfindlich«, entschuldigte sie sich, während sie sich an die Lehne ihres Stuhls presste, um den unangenehmen Reiz, den der Rasierer auslöste, zu unterdrücken.

»Du hast Glück gehabt. Jetzt hätte ich dir beinahe eine Macke in deine Haare rasiert.« Katja stellte den Apparat ab. »Es ist vollbracht.« Sie wischte ihre Finger an ihrer weiten, schwarzen Hose ab und beugte sich nach vorn, um den Föhn aus der Halterung in die Hand zu nehmen.

Sarah konnte nicht anders, als Katjas knackigen Po zu begutachten, der sich unweigerlich in ihr Blickfeld schob. Sie merkte, wie sich augenblicklich ihre Brustwarzen aufrichteten. Glücklicherweise schützte der Umhang Sarah davor, dass Katja es bemerken konnte. Sie musste den Verstand verloren haben. Sie kannte Katja doch kaum. Außerdem war sie nur beim Friseur. Da gab es keinen Platz für erotische Empfindungen.

»Möchtest du auch ein Kaugummi? Lakritzgeschmack.« Katja hielt Sarah eine kleine Packung vor die Nase, während sie sich selbst einen Kaugummi in den Mund schob.

»Nein, danke. Lakritz ist nicht so mein Ding«, lehnte Sarah um Gelassenheit bemüht ab, während in ihrem Bauch die Schmetterlinge wild umherflatterten.

Katja zuckte mit den Schultern und begann zu föhnen. Mit einer Hand verwuschelte sie Sarahs Haare, während sie mit der anderen den Föhn hielt. »Im Prinzip brauchst du beim Föhnen auf nichts zu achten«, erklärte sie Sarah.

Gebannt verfolgte Sarah das ganze Schauspiel im Spiegel. Dieser Anblick war so ungewohnt, dass es ihr beinahe surreal vorkam. Es würde sicherlich Tage dauern, bis sie sich nicht mehr vor ihrem eigenen Spiegelbild erschreckte.

Bereits nach wenigen Minuten waren ihre Haare trocken.

Katja steckte ihre Finger in einen Topf und schmierte kurz darauf etwas in Sarahs Haare. »Am besten, du erwärmst eine Portion davon zwischen deinen Handflächen, verteilst es in deinen trockenen Haaren, und dann kannst du deine Haare ganz leicht in Form bringen, so wie ich es hier mache.« Konzentriert zupfte Katja die einzelnen Strähnen zurecht. »Das war es. Ich finde, du siehst großartig aus. Diese Veränderung hat sich wirklich gelohnt. Du bist kaum wiederzuerkennen.«

Das fürchtete Sarah auch. Ihre Begeisterung hielt sich daher noch etwas in Grenzen. Sie musterte sich kritisch. Auf ihrer Stirn bildete sich dabei eine tiefe Falte.

Katja hielt einen kleinen Spiegel hinter sie, sodass Sarah ihren Hinterkopf betrachten konnte. Die Zeit der Pferdeschwänze war Geschichte.

»Gefällt es dir auch?«, wollte Katja wissen.

»Doch. Es sieht wirklich nicht schlecht aus«, musste Sarah schließlich zugeben.

Katja lächelte erleichtert. »Das freut mich.« Dann befreite sie Sarah von ihrem Umhang. »Du darfst meinen Folterstuhl verlassen.« Sie konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.

Katja sieht umwerfend aus, schoss es Sarah durch den Kopf, sie vertrieb den Gedanken aber so schnell wie möglich. Eilig lief sie zur Kasse, um zu bezahlen.

Mit der Quittung reichte Katja ihr eine Gratisprobe dieser Paste, mit der sie gerade Sarahs Haare gestylt hatte. »Damit kannst du morgen zu Hause deine Haare genauso hinbekommen, wie sie jetzt sind. Aber nicht verzweifeln, wenn es dir nicht gleich gelingt. Etwas Übung gehört schon dazu. Zur Not kommst du einfach noch mal vorbei, und ich zeige dir, wie es geht.«

Sarah nickte. Sie war sehr skeptisch, dass sie selbst diese Frisur auch nur ansatzweise zustande bringen könnte. Gerade als sie sich zur Tür umdrehen wollte, spürte sie plötzlich Katjas warme Hand auf ihrer Schulter. Sie hatte das Gefühl, ihre Haut würde unter Katjas Berührung anfangen zu brennen.

»Warte. Ich gebe dir noch unsere Karte mit. Dann kannst du anrufen, wenn du wieder einen Termin brauchst.« Katja hielt ihr ein Stückchen Papier hin, auf das sie ihren Namen geschrieben hatte. Die Hand auf Sarahs Schulter bewegte sich keinen Millimeter.

»772398. Ich kenne eure Nummer. Aber danke.«

Katja starrte Sarah ungläubig an. »Wieso kennst du unsere Nummer auswendig?«

Sarah rieb mit ihrer Hand kurz über ihre Nase und räusperte sich. »Na ja, meine Freunde sagen, ich hätte da so einen Zahlentick. Irgendwie merke ich mir alle Telefonnummern, wenn ich sie einmal benutzt habe, und ich habe ja heute schon für meinen Termin bei euch angerufen.«

Wieder lachte Katja dieses ansteckende Lachen und nahm Sarah damit ihre Befangenheit. »So etwas habe ich ja noch nie gehört. Ich vergesse sogar manchmal meine eigene Telefonnummer. Du bist wirklich erstaunlich.«

Ich hätte nichts dagegen, wenn du jetzt versuchen würdest, ob du deine Nummer noch zusammenbekommst, dachte Sarah, sprach es aber nicht aus. Warum stand sie sich mir ihrer Schüchternheit nur immer selbst im Weg? Sie wollte Katja irgendwie einen Hinweis geben, dass sie Lust hatte, etwas mit ihr zu unternehmen, ganz unverfänglich natürlich. Doch sie wusste nicht, wie sie dies anstellen sollte.

»Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder«, war schließlich alles, was Sarah zur Verabschiedung hervorbrachte. Für diesen blöden Spruch hätte sie sich selbst in den Hintern treten können.

»Das hoffe ich doch sehr!«

Einen Augenblick dachte Sarah, dass es unter Umständen nicht nur Katjas berufliches Interesse war, doch schon holte Katja sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. »Vielleicht hast du irgendwann ja mal Lust auf Strähnchen.« Katja zwinkerte Sarah zu.

Wahrscheinlich wäre es ein hoffnungsloser Fall, sich jetzt in Katja zu verlieben. Sarah musste das unbedingt verhindern, das konnte nur Ärger mit sich bringen. Sie hatte genug von Beziehungen, die letzte hatte ihr gereicht.

Genauso unsicher, wie sie gekommen war, verließ sie den Friseursalon auch wieder. Nur dieses Mal gab es einen anderen Grund dafür.

~*~*~*~

»Oh là là. Ich muss mich wohl in der Tür geirrt haben. Diese Frau hier habe ich noch nie gesehen.« Kim grinste breit über das ganze Gesicht.

Genervt verdrehte Sarah die Augen und zog eine Grimasse. »Komm schon rein und lass die blöden Sprüche.« Aber was hatte sie auch anderes von ihrer besten Freundin erwartet?

Kims Mundwinkel schienen sich nicht wieder in die Ausgangsposition begeben zu wollen. »Nein, im Ernst, die Frisur steht dir wirklich gut. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht von dir gedacht hätte, dass du das mit der Veränderung so wörtlich nimmst.«

Sarah legte den Kopf etwas schief. Sie hatte sich damit ja auch selbst mehr als überrascht. Hätte ihr jemand vor einigen Tagen gesagt, dass sie einmal ihre langen Haare abschneiden würde, hätte sie ihn sicherlich für verrückt erklärt. Trotzdem war sie mit dieser Veränderung nun durchaus zufrieden. Die neue Frisur gefiel ihr besser, als sie das jemals erwartet hätte.

Kim ließ ihr keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Stürmisch umarmte sie Sarah und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich bin froh, dass du es gewagt hast«, freute sie sich und presste Sarah so eng an sich, dass sie ihr beinahe keine Luft zum Atmen ließ.

»Ich bin gleich so weit. Mach’s dir so lange auf der Couch bequem«, bat Sarah ihre beste Freundin. »Ich muss noch mal kurz im Badezimmer verschwinden.«

Kim indes schien keinerlei Anstalten zu machen, sich zu setzen. Stattdessen ließ sie ihren Blick durch die Wohnung schweifen, um sich die Wartezeit zu vertreiben. Sie holte Sarah ab, weil sie gemeinsam in eine kleine Cocktailbar gehen wollten. Die beiden hatten sich fast eine Woche nicht gesprochen, was für sie eine Ewigkeit war. Es gab jede Menge zu bereden, und bei einem Cocktail machte es doppelt so viel Spaß.

»Himmel, wann sortierst du endlich diesen ganzen Nippes aus, den Ramona dir aufgeschwatzt hat? Das ist ja fürchterlich«, schrie Kim durch die Wohnung, sodass Sarah sie hören konnte.

Sarah trat aus dem Bad und sah sich um. Tatsächlich stand in beinahe jeder Ecke irgendein kitschiges Erinnerungsstück an ihre Exfreundin. Ramona hatte ihr ab und zu etwas geschenkt, vieles hatten sie aber auch gemeinsam ausgesucht, auch wenn es überhaupt nicht Sarahs puristischem Stil entsprach. Sie bevorzugte klare Linien und Formen ohne Schnickschnack, genau das Gegenteil von dem Nippes, wie Kim es bezeichnet hatte, der nun ihre Wohnung dekorierte.

»Hm«, war alles, was Sarah entgegnete. Sie hatte es noch nicht übers Herz gebracht, sich davon zu trennen und so alle Spuren von Ramona zu verwischen.

»Das wirst du mal schön aussortieren, und dann werden wir Samstag zu IKEA fahren und deine Wohnung neu dekorieren«, bestimmte Kim, ohne eine Widerrede zuzulassen. Mit den Fingern raufte sie sich ihre braunen Haare. »Was hältst du davon?«, forderte sie schließlich doch Sarahs Einwilligung.

Ja, was hielt Sarah davon? Sie wusste nicht, ob sie es tatsächlich fertig brächte. Aber wenn Kim sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es schwer, sie wieder davon abzubringen. Also ergab sich Sarah. »In Ordnung. Das klingt gut.« Zwar gefiel ihr die Dekoration nicht sonderlich, aber im Laufe der Zeit hatte sie sich daran gewöhnt. Zudem hingen viele Erinnerungen an den einzelnen Gegenständen. Außerdem wollte sich Sarah nicht schon wieder, gezwungenermaßen, einer Veränderung unterziehen. Es würde sicherlich eine ganze Weile dauern, bis sie sich an ein neues Erscheinungsbild ihrer Wohnung gewöhnt hätte.

»Wollen wir los?« Kim hatte ihre braunen Augen fragend auf Sarah gerichtet.

»Ja, ich bin so weit. Meinetwegen können wir los«, erklärte Sarah, die gerade dabei war, ihre Turnschuhe zuzuschnüren. »Auf ins Devil’s!«

Nur wenig später standen sie in der vertrauten Cocktailbar, in der sie sich schon viele Stunde um die Ohren geschlagen hatten und der sie die eine oder andere Erinnerungslücke zu verdanken hatten.

Sie entschieden sich für einen Fensterplatz und begannen die Karte zu studieren, die sie eigentlich schon längst auswendig kannten.

Als der Kellner ihre Bestellung aufgenommen hatte, konnte Kim ihre Neugier nicht mehr länger zurückhalten. »Jetzt erzähl mir endlich, wie es zu dieser neuen Frisur gekommen ist, sonst platze ich vor Spannung. Außerdem könnte ich endlich auch etwas Motivation gebrauchen, um aus meinen Haaren etwas Aufregendes zu machen.« Sie zwinkerte Sarah zu und fuhr sich dabei durch ihre schulterlangen braunen Haare, die jeglicher Frisur entwachsen zu sein schienen.

Sarah seufzte schwer. Allein die Erinnerung an ihren Friseurbesuch brachte ihr sofort Katja in den Sinn. Die ganze Woche hatte sie an nichts anderes denken können als an diese bezaubernde Frau. Sarah schüttelte ihren Kopf, um die Gedanken an Katja zu vertreiben. Doch diese Taktik hatte sich bereits in den letzten Tagen als wirkungslos erwiesen.

»Erde an Sarah. Ich warte auf eine Erklärung!«, holte Kim Sarah in einem ungeduldigen Tonfall aus ihren Träumereien.

Sarah fuhr mit ihren feuchten Fingern über ihre Nasenspitze. »Du hast doch gesagt, du willst mich erst wiedersehen, wenn sich endlich etwas in meinem Leben verändert hat, weil es so nicht mehr weitergehen kann.«

Kim nickte. »In der Tat. Das war auch dringend nötig. Und da hast du dich ernsthaft entschieden, deine langen Haare zu opfern?«

»Ganz genau. Ich habe beschlossen, einen Neuanfang zu wagen und mein Leben umzukrempeln«, erklärte Sarah bestimmt. Dass sie sich getraut hatte, sich eine neue Frisur zuzulegen, hatte ihr das nötige Selbstbewusstsein gegeben, tatsächlich Veränderungen in ihrem Leben herbeiführen zu können.

Kim musste laut lachen. »Wenn ich mit etwas nicht gerechnet hätte, dann damit. Sonst lehnst du doch immer alles ab, was mit Veränderungen einhergeht.«

»Siehst du, manchmal bin auch ich für eine Überraschung gut.«

»Ja, aber wirklich nur manchmal.« Kim lachte noch immer.

Sarah fand das weniger witzig und zog einen Schmollmund. »Ist ja schon gut«, entgegnete sie beleidigt.

In der Zwischenzeit servierte der Kellner ihre Bestellungen. Er stellte zwei große Schüsseln mit Nachos, diverse Dips und ihre bunt schimmernden Cocktails auf den Tisch.

»Der ist aber echt knackig«, flüsterte Kim Sarah zu, als der Kellner außer Hörweite zu sein schien. Ihr Blick schweifte dem Mann, der wahrscheinlich nicht älter als zwanzig war, hinterher. Ein anerkennendes Pfeifen kam über ihre Lippen.

Sarah wäre am liebsten unter dem Tisch verschwunden. Manchmal war Kims Verhalten wirklich peinlich. Kein Mann konnte ihrer Begutachtung entgehen, und wenn sie ihn halbwegs interessant fand, ließ sie keine Möglichkeit aus, zu flirten.

»Was hast du denn schon wieder? Objektiv betrachtet ist er wirklich süß«, versuchte Kim Sarah noch einmal zu überzeugen.

Sarah verdrehte die Augen. »Natürlich. Du hast recht. So einen schönen Mann habe ich selten gesehen. Und das ist bei meiner Erfahrung wirklich ein Wunder.« Jetzt musste sie doch schmunzeln. Sie wusste, dass Kim es wirklich bedauerte, dass sie mit Sarah so schlecht über Männer quatschen konnte. Zumindest wenn es nur darum ging, Männer auf ihre Betttauglichkeit zu prüfen, war Sarah ihr keine gute Hilfe.

»Sonst ist dir doch auch keiner gut genug«, gab Sarah zu bedenken, als Kim ihren Blick noch immer nicht von dem Kellner abwenden konnte. Sie tunkte einen Nacho in die Salsa und biss genüsslich hinein.

»Ach, aber von der Bettkante schubsen würde ich ihn nicht«, bemerkte ihre Freundin mit einem süffisanten Grinsen.

Das überraschte Sarah nicht wirklich. Für eine ernsthafte Beziehung musste Kims Traummann vollkommen überzogene Kriterien erfüllen, aber das hielt sie nicht davon ab, die sonstigen Qualitäten auszutesten.

Nach einer halben Ewigkeit richtete sich Kims Aufmerksamkeit wieder Sarah. »Wie sieht es denn bei dir in der Liebe aus? Gibt es etwas Neues?«

Sarah sah direkt in Kims braune Augen, die erwartungsvoll auf ihr ruhten. Sie musste schlucken und senkte peinlich berührt ihren Kopf. Ihre Wangen erröteten leicht. Wieder einmal hatte Kim es geschafft, direkt ins Schwarze zu treffen.

»Oh«, kam es Kim überrascht über die Lippen. »Gibt es da etwas, von dem ich noch nichts weiß?«, hakte sie neugierig nach.

Bevor Sarah antwortete, nahm sie einen großen Schluck von ihrem zu süßen Cocktail. Ihre Finger umklammerten das klebrige Glas und verwischten die Feuchtigkeit, die sich gebildet hatte.

»Tja, also . . . als ich beim Friseur war, hab ich . . . so eine Frau getroffen«, stotterte Sarah. Warum fiel es ihr nur so unendlich schwer, über ihre Gefühle zu sprechen?

»Eine Frau. Wer hätte das gedacht?«, konnte Kim einen bissigen Kommentar nicht unterdrücken. »Beim Friseur. Aha. Deswegen hast du bisher fast nichts dazu gesagt, und ich muss dir jedes Wort aus der Nase ziehen.«

Sarah nickte. Sie konnte Kim noch immer nicht in die Augen sehen. »Sie heißt Katja und war meine Friseurin. Sie ist unglaublich hinreißend.« Bei der Erwähnung von Katjas Namen strahlte das Grün ihrer Augen vor Begeisterung. »Eigentlich ist sie so gar nicht mein Typ. Sie hat rote Strähnen in den Haaren und Piercings.«

»Nein, das geht nun wirklich nicht«, stellte Kim mit pikierter Stimme fest.

Überrascht sah Sarah zu Kim auf und blickte in das breit grinsende Gesicht ihrer besten Freundin.

»Du schaffst wirklich Probleme, wo keine sind. Wenn sie dir gefällt, und wenn du sie magst, spielt es doch keine Rolle, ob sie deinem spießigen Weltbild entspricht.« Kim bedachte Sarah mit einem tadelnden Blick.

»Ich bin nicht spießig«, protestierte Sarah so lautstark, dass sich die Leute vom Nebentisch zu ihr umdrehten.

»Ach, Süße, ich mag dich wirklich gern, aber manchmal hast du schon recht starre Vorstellungen davon, wie jemand sein darf und wie nicht.« Kim ergriff Sarahs Hand. »Und jetzt erzähl weiter. Hast du sie angesprochen?«

»Ich wollte, so sehr, aber ich konnte nicht.« Sarah zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ja nicht einmal, ob sie überhaupt auf Frauen steht.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Aber ich bekomme sie nicht mehr aus meinem Kopf. Egal, ob ich morgens aufstehe, ob ich bei der Arbeit bin oder ob ich nachts träume. Ich kann nur noch an sie denken.«

Kim lächelte ihr zu. »Das klingt, als hättest du dich verguckt! Das freut mich für dich.« Aufmunternd tätschelte sie Sarahs Hand, die sie noch immer festhielt.

Katjas Bild erschien scharf vor Sarahs Augen. Unwillkürlich huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, es kribbelte in ihrer Magengegend. Kim hatte offensichtlich recht. Vielleicht hatte sie sich verliebt, zumindest ein klitzekleines bisschen.

»Wirst du sie wiedersehen?«, riss Kims Stimme Sarah aus ihren Gedanken.

Sarah räusperte sich. »Ich habe sie schon wiedergesehen«, gestand sie schließlich.

Kim blieb der Mund offen stehen. »Und das sagst du erst jetzt, dass ihr euch getroffen habt?!«

Genau genommen hatten sie sich ja auch nicht getroffen, und Katja hatte wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, dass Sarah sie zwischenzeitlich beobachtet hatte. Kim würde ihr albernes Verhalten sicherlich nicht verstehen können. Sie selbst war immer so offensiv, wenn es um einen Flirt ging, und nicht so verklemmt und schüchtern wie Sarah.

»Na ja, eigentlich kann man das nicht treffen nennen. Ich bin mehrfach am Friseursalon vorbeigeschlichen, um durch die Fensterscheibe einen Blick auf Katja zu erhaschen. Aber jedes Mal, wenn ich dachte, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, noch einmal hineinzugehen, hat mich der Mut wieder verlassen.« Um Kims fragendem Blick auszuweichen, nahm Sarah einen großen Schluck aus ihrem Cocktailglas. Langsam merkte sie, wie der Alkohol ihr zu Kopf stieg.

»Warum bist du nur so feige?«, fragte Kim. Ohne Sarah die Möglichkeit zu geben, zu antworten, fuhr sie fort: »Das müssen wir noch ändern. Da läuft dir vielleicht deine Traumfrau über den Weg, und du lässt deine Chance einfach ungenutzt verstreichen.« Bestimmt klopfte Kim mit ihrer Faust auf den Tisch.

Sarah ließ die Schultern hängen. Sie stand sich viel zu oft selbst im Weg, das wusste sie selbst.

»Fang jetzt bloß nicht wieder an, dich selbst zu bemitleiden«, stöhnte Kim auf. »Ich bin so froh, dass du aus deinem Selbstmitleid wegen deiner gescheiterten Beziehung mit Ramona endlich wieder aufgetaucht bist.«

Manchmal fragte sich Sarah ernsthaft, warum Kim ihre beste Freundin war, wenn sie ständig etwas an ihr auszusetzen hatte.

»Auch wenn neben einer neuen Frisur auch noch eine kleine Friseurin nötig war, um dich zu retten.« Kim zwinkerte Sarah zu und lächelte sie liebevoll an.

»Stimmt. Wo würde ich nur ohne dich diese Erkenntnisse gewinnen?« Sarah grinste Kim an. Sie konnte ihr nicht länger böse sein. Kim war eben doch die Beste.

Etwas zu überschwänglich winkte Kim dem Kellner zu, der sofort zu ihnen herbeieilte. »Können wir bitte zahlen?« Unverhohlen starrte sie in seine Augen.

»Zusammen oder getrennt?«, wollte er wissen.

»Zusammen«, mischte sich Sarah ein und erntete einen bösen Blick von Kim, da der Kellner nun seine ganze Aufmerksamkeit Sarah schenkte.

Umständlich begann er die Preise untereinander zu notieren und schriftlich zu addieren.

»Vierundzwanzig fünfzig«, fuhr Sarah entnervt dazwischen. Wieso brauchten nur alle so eine Ewigkeit für das bisschen Kopfrechnen? So schwer war das doch nun wirklich nicht. Sie hatte das Ergebnis schon vor mindestens einer Minute errechnet gehabt.

»Sie müssen meine Freundin entschuldigen. Sie übertreibt immer etwas, wenn es um Zahlen geht. Mathe ist ihre große Leidenschaft. Auch wenn ich das nicht verstehen kann. Meine Leidenschaft gilt etwas ganz anderem.« Den letzten Satz betonte Kim übermäßig und grinste den Kellner anzüglich an, während sie ihm mit einem betörenden Augenaufschlag einen kleinen Zettel mit ihrer Telefonnummer zusteckte.

»Wir müssen gehen«, bestimmte Sarah scharf, nachdem sie endlich bezahlt hatte.

Als sie vor der Tür waren, seufzte sie. »Wenn ich nur ein bisschen mehr von deiner Offenheit hätte!« Zärtlich knuffte sie Kim in die Seite. »Aber bitte nicht ganz so viel!«, bat sie mit den Augen gen Himmel gerichtet.

~*~*~*~

Bereits zum dritten Mal drückte Sarah auf die Hupe. Einige Anwohner hatten schon irritiert aus dem Fenster gesehen, nur Kim war noch immer nicht aufgetaucht, dabei wollte sie pünktlich unten auf sie warten.

»Entschuldige. Ich habe etwas verschlafen«, erklärte Kim, als sie schwungvoll die Autotür öffnete. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ihre Wangen glühten, und ihr mit unzähligen Sommersprossen geschmücktes Gesicht strahlte.

Den Grund für Kims Verschlafen konnte Sarah sich denken. Dieses Grinsen kannte sie zu genau, und es bedeutete immer, dass sie die Nacht mit etwas anderem als Schlafen verbracht hatte. »Dann hoffe ich, dass es sich wenigstens gelohnt hat.« Zu Sarahs Unverständnis sammelte Kim Bettgeschichten wie andere Briefmarken.

»Ja, das kann man wohl so sagen.« Kim lehnte sich zurück und schloss genießerisch die Augen.

Sarah startete den Motor und fuhr los. Offensichtlich wollte Kim nicht genauer ins Detail gehen.

»Hast du ordentlich Platz geschaffen, damit wir jetzt jede Menge neue Dekoration für dich kaufen können?«, unterbrach Kim nach einiger Zeit das Schweigen.

Sarah nickte. Sie hatte alles entfernt, was sie auch nur im Entferntesten mit Ramona in Verbindung brachte, und es kam ihr vor, als sei ihre Wohnung nun leer geräumt. »Es steht alles in einem Müllsack vor meiner Haustür«, verkündete Sarah stolz.

Vor Begeisterung klatschte Kim in die Hände. »Das wurde aber auch Zeit!«

Sarah parkte ihren Wagen in einer Parklücke in der hintersten Reihe. Offensichtlich hatten an diesem Samstagvormittag viele eine ähnliche Idee wie sie.

»Wollen wir unsere Shoppingtour vielleicht doch lieber vertagen?«, fragte Sarah, der so große Menschenansammlungen zuwider waren.

»Nichts da! Jetzt sind wir schon einmal hier, jetzt stürzen wir uns auch ins Getümmel«, erklärte Kim, ohne weitere Widerworte zuzulassen. »Außerdem freue ich mich schon die ganze Woche auf unseren gemeinsamen Ausflug ins schwedische Shoppingparadies.«

Bereits als sie den Eingang passierten, strömten ihnen unzählige glücklich kichernde Pärchen entgegen, die ihre Einkäufe kaum tragen konnten.

Am liebsten hätte Sarah auf der Stelle kehrtgemacht. So viel Glück auf einem Haufen – das war kaum zu ertragen.

Aber Kim zerrte sie schon durch die gemütlich eingerichteten Wohnzimmer.

»Guck mal hier! Ist das nicht eine schöne Farbe und ein schönes Muster?« Ihre beste Freundin zeigte auf einen roten Sessel mit rosa Schnörkel.

»Oh bitte, Kim!« Sarah schüttelte ihren Kopf. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«

Kim zuckte mit den Schultern. »Ich weiß gar nicht, was du hast. Etwas mehr Farbe würde deiner tristen Wohnung durchaus stehen. Nicht immer nur Schwarz und Braun.«

»Sicherlich jedoch nicht Rosa.«

Die beiden Frauen folgten dem Rundgang. Alle paar Meter entdeckte Kim ein neues Möbelstück, das ihr kleine Jubelschreie entlockte, während Sarah nur die Augen verdrehte.

»Sieh mal diesen Küchenschrank. Das ist ja wohl genial konstruiert. Vielleicht würde ich es sogar schaffen, damit etwas Ordnung zu halten.« Kim lachte.

Doch Sarah reagierte nicht. Wie vom Blitz getroffen blieb sie stehen. Diese laute, schrille Stimme kannte sie nur zu gut. Das konnte nur ein Traum sein! Sie musste sich irren! Die Stimme redete weiter.

Es konnte kein Irrtum sein, so eine Stimme gab es nur ein einziges Mal, und sie gehörte zu ihr. Nervös zog Sarah Kim am Ärmel, um sie um die nächste Ecke zu drängen. Doch es war schon zu spät.

»Was ein Zufall! Was machst du denn hier?«

Sarah starrte geradewegs in Ramonas dunkle Augen. Sie war nicht fähig, sich zu rühren.