Lassiter 2560 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2560 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

"Ich werde gleich die Zellentür öffnen. Dann kannst du dir Wasser holen und eines der Pakete aussuchen." Die Stimme hallte von den schmutzig-weißen Wänden des Kellers wider, und Rosita jagte ein Schauer den Rücken hinunter. Es war so weit! Gleich würden die Kerle sie holen kommen!
Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier unten festsaß. Waren es Wochen? Oder Monate? In dieser Zeit hatte sie viele Girls kommen und gehen sehen. Und sie hatte ihre Schreie gehört. Schreie, die sie jede Nacht in den Schlaf verfolgten.
Dies war kein Ort der Barmherzigkeit. Es war ein Ort des Todes, und Rosita betete, dass er schnell kommen möge ...


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Seitenzahl: 140

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Die Sünden der Väter

Vorschau

Impressum

Die Sündender Väter

»Ich werde gleich die Zellentür öffnen. Dann kannst du dir Wasser holen und eines der Pakete aussuchen.« Die Stimme hallte von den schmutzig-weißen Wänden des Kellers wider, und Rosita jagte ein Schauer den Rücken hinunter. Es war so weit! Gleich würden die Kerle sie holen kommen!

Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier unten festsaß. Waren es Wochen? Oder Monate? In dieser Zeit hatte sie viele Girls kommen und gehen sehen. Und sie hatte ihre Schreie gehört. Schreie, die sie jede Nacht in den Schlaf verfolgten.

Dies war kein Ort der Barmherzigkeit. Es war ein Ort des Todes, und Rosita betete, dass er schnell kommen möge...

Staubflocken tanzten im spärlichen Licht, das durch das schmale Fenster in ihre Zelle fiel. Gitter gab es keine. Die waren auch nicht notwendig. Der Spalt war kaum breit genug, um einem Gilaspecht den Durchschlupf zu ermöglichen. Rosita hatte einmal versucht, einen Arm durchzustrecken – und war beinahe steckengeblieben.

Nein, an ein Entkommen war nicht zu denken.

Sie saß hier fest, bis man sie fortbrachte.

Und dieser Tag schien nun gekommen zu sein.

Rosita wusste nicht, wohin man sie verschleppt hatte. Nach ihrer Entführung hatten die Banditen ihr einen Sack über den Kopf gezogen. Das grobe Leinen hatte nach Schweiß und Eseldreck gestunken. Darunter hatte sie kaum atmen können. Stundenlang war sie auf dem Rücken eines Maulesels durchgerüttelt worden, bis sie unter der sengend heißen Sonne die Besinnung verloren hatte.

Sie war erst in dieser Zelle zu sich gekommen. Irgendwo in einem Kellergeschoss, wo es nichts als muffige Luft, Sand und Staub gab.

Und Einsamkeit.

Die Stunden tröpfelten dahin.

Alle drei Stunden läutete eine Glocke zum Gebet.

Beginnend mit dem Sonnenaufgang. Das hatte ihr verraten, dass sie in einem Kloster festgehalten wurde. Nur wo es sich befand, konnte Rosita nicht sagen. In den Weiten der High Plains vielleicht? Oder schon in der Chihuahua-Wüste? Warm genug war es auf jeden Fall. Im Fegefeuer konnte die Glut kaum heißer sein. Die Hitze kroch in jeden Winkel ihrer Zelle und brannte auf Rositas Haut.

Nahrung und einen Eimer für ihre Notdurft reichte man ihr durch eine Luke in der Tür. Rosita hat sich seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gewaschen und auch ihre Kleidung nicht gewechselt. Das einst hübsche mohnrote Musselinkleid hing zerschlissen an ihr hinab. Es war mit Flecken übersät, über die sie lieber nicht so genau nachdenken mochte.

Noch niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so schmutzig gefühlt.

Und noch niemals zuvor war es ihr so gleichgültig gewesen.

Es war egal, wie sie aussah. Womöglich würden die Kerle das Interesse an ihr verlieren, sobald sie merkten, dass sie mittlerweile zum Himmel stank?

Rosita ballte die Fingernägel in ihre Handballen.

Als ein Schlüssel im Türschloss klirrte, tat ihr Herz einen schmerzhaften Sprung.

In dem Sumpfzypressenholz der Tür zeichneten sich Rillen ab. Spuren von verzweifelten Versuchen, einen Ausweg zu finden. Nicht alle stammten von ihr. Manche waren älter, längst dunkel vom Lauf der Zeit.

Quietschend öffnete sich die Tür. Flackerndes Fackellicht fiel herein und blendete sie. Rosita kniff die Lider zusammen und blinzelte. Als sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, bemerkte sie, wie etwas vor ihrer Zelle davonhuschte.

Eine Maus? Nein. Größer. Eine Ratte!

Eigentlich sollte sie sich daran gewöhnt haben, ihre Zelle mit allerlei Spinnen, Kakerlaken und anderem Getier zu teilen. Das hatte sie jedoch nicht. Und so rieselte ihr auch jetzt ein Schauer zwischen ihren Schulterblättern hinunter, während sie sich zögernd auf die Türöffnung zubewegte.

War das eine Falle?

Sie spähte auf den Gang.

Karge, schmutzig-weiße Wände. Fackeln aller paar Schritte.

Und ein Mann, der breitbeinig abwartete.

Abgerissen sah er aus. Sein Hemd schien nur noch aus Flicken zu bestehen. Dazu trug er eine speckige Weste, aufgerissene Hosen und staubige Stiefel. Seine scharf geschnittenen Gesichtszüge waren von der glühenden Sonne New Mexicos verbrannt, und der mächtige schwarze Schnurrbart zitterte bei jedem Atemzug. Sein rechtes Auge war von einem Geflecht aus Narben eingerahmt. In der Faust hielt er einen Revolver, dessen gut geölter Lauf im Fackellicht blitzte. Damit deutete er nun auf den verbeulten Eimer, der auf einem wackeligen Tisch aus grob bearbeitetem Holz stand.

»Da drin ist Wasser zum Waschen für dich.« Seine Stimme war dunkel wie Donnergrollen. »Nimm dir Seife und ein Tuch.«

Rosita bewegte sich auf den Eimer zu. Nicht schnell genug, so schien es, denn der Schwarzbart murrte: »Das muss schneller gehen. Denkst du etwa, ich habe den ganzen verdammten Tag Zeit?« Er starrte sie finster an. »Beeil dich. Und wehe, du verschüttest das Wasser. Dann gibt's Hiebe auf die Fußsohlen. Kapiert?«

Rosita senkte den Kopf, damit er das empörte Aufblitzen in ihren Augen nicht bemerkte, und beeilte sich, die Waschsachen in ihre Zelle zu bringen.

»Und jetzt nimm eines von den Paketen. Nun mach schon.«

Sie kehrte in den Gang zurück und betrachtete die Pakete, die auf dem Tisch aufgestapelt und in braunes Papier gewickelt waren.

Sie nahm eines mit in ihre Zelle und wog es in den Händen.

Zu leicht, um eine Waffe zu enthalten.

Ganz zu schweigen davon, dass die Kerle ihr sicherlich nichts überlassen würden, womit sie sich verteidigen konnte.

Vorsichtig wickelte Rosita das Papier ab. Darunter fand sich ein dunkelroter Stoff. Samtig und kühl... Sie strich andächtig über die Oberfläche. Und wunderbar sauber! Ein leichter Duft nach Rosenblüten stieg davon auf. Es war ein Kleid... wenn man das bisschen Stoff denn so nennen wollte.

Rosita hob es hoch und hielt es prüfend vor sich. Es würde ihr wohl passen, aber angesichts des tiefen Ausschnitts und der beiden langen Schlitze an den Seiten schoss ihr die Schamröte in die Wangen. Dieses Kleid enthüllte mehr als es verbarg! Ihre Beine würden bei jedem Schritt zu sehen sein.

Neben dem Kleid fanden sich ein rotes Samtband, ein Korsett und hauchdünne Strümpfe in dem Paket.

»Zieh das an«, verlangte der Schwarzbart heiser.

Rosita drehte sich zu ihm um. »Lassen Sie mich bitte allein, wenn ich mich waschen und umziehen soll.«

»Was, hast du etwa Angst, ich gucke dir was ab?« Sein Lachen dröhnte von den niedrigen Wänden wider. »Gewöhn dich schon mal dran, Süße. Bald werden dir noch mehr Kerle zusehen. Und die werden nicht so zurückhaltend sein wie ich und nur gucken.«

Rosita presste das Kleid vor ihren Busen, der sich entrüstet hob und senkte. »Dann behalte ich eben den Fetzen an, den ich am Leibe trage.«

»Schlag dir das aus dem Kopf. Entweder du wäschst dich jetzt und ziehst dir das neue Kleid an oder ich übernehme das für dich. Und wenn ich es recht bedenke, hätte ich dagegen überhaupt nichts einzuwenden.« Er schob seinen Revolver ins Holster und machte zwei Schritte auf sie zu. Dabei leckte er sich über die Lippen.

Rosita wich zurück, bis sie die Wand in ihrem Rücken spürte.

Tränen der Empörung brannten in ihren Augen. Sie blinzelte sie hastig zurück. Nein, diese Genugtuung gönnte sie diesem Schuft nicht. Sie würde ihm auf keinen Fall ihre Angst zeigen. Einen tiefen Atemzug nehmend, hob sie den Kopf und sah ihm gerade in die Augen. Anerkennung trat in seinen Blick, mischte sich mit einem anderen Ausdruck: Gier! Rosita erschauerte.

»Maldito! Ist sie noch nicht fertig?« Hinter dem Banditen tauchte ein zweiter Mann auf. Klein, drahtig, mit tückisch zusammengekniffenen Augen und Zähnen so gelb wie ein verwesendes Wiesel. An der rechten Hand fehlten ihm zwei Finger. »Du solltest doch dafür sorgen, dass sie vorzeigbar ist!«

»Treib uns nicht, Paco«, grollte der Schwarzbart.

»Wenn du glaubst, ein bisschen Eile wäre unangenehm, warte ab, was der Boss mit dir macht. Glaub mir, er wird nicht erfreut sein, wenn seine Kunden eintreffen und sie noch nicht bereit ist. Du weißt, wie schnell er aufbraust.« Paco rieb sich flüchtig die rechte Hand. Dann trat er auf Rosita zu und strich über ihren Arm. »Ah, eine Haut wie Seide und Honig. Ich frage mich, ob sie überall so zart ist.« Seine Finger wanderten an ihrem Körper tiefer, wollten unter ihren Rock tasten.

Rosita schlug sie weg.

Paco fluchte. Dann schlich sich ein böses Grinsen auf sein spitzes Gesicht. »Schau an. Schau an. Das Kätzchen hat Krallen. Aber die werde ich dir noch ausreißen, ehe ich dich dem Boss präsentiere.« Er packte ihren Arm, dass ein scharfer Schmerz durch ihren Körper raste.

Rosita entwich ein Wehlaut.

Im selben Augenblick meldete sich hinter ihrem Peiniger eine helle Stimme.

»Hör sofort auf!« Die Fremde sprach weder laut noch eindringlich. Trotzdem ließ der Gelbzahn von Rosita ab und wirbelte herum. Finster musterte er die Frau, die unerwartet hinter ihm aufgetaucht war. Sie trug ein schlichtes dunkelblaues Kleid, das weit genug war, um ihre Figur zu verbergen. Ihre aschblonden Haare hatte sie im Nacken zu einem Knoten verschlungen. Sie wirkte unscheinbar, aber ihr Blick war offen und gerade, als sie sich nun unerschrocken an den beiden Revolverschwingern vorbeischob und neben Rosita trat. »Nimm deine Hände von ihr, Paco.«

»Halt dich raus, puta«, zischte er, »sonst bist du die nächste, die ich rannehme.«

»In deinen Träumen vielleicht. Du weißt genau, dass ihr aufgeschmissen wärt ohne mich. Wer mischt dir die Salbe an, die das elende Brennen in deinem Schritt lindert, wenn ich es nicht mache? Und wer hat eine Tinktur gegen dein Zahnweh, hm?«

Paco starrte sie bitterböse an. »Jemand muss diesem Weib Benehmen beibringen.«

»Das ist aber nicht deine Aufgabe, Paco. Und jetzt trollt euch. Ich werde Rosita beim Waschen helfen. Und du solltest besser zu Santa Muerte beten, dass du Rosita keinen blauen Fleck beschert hast. Oder willst du eurem Boss etwa erklären, warum ihr seine Ware beschädigt habt?«

Daraufhin zog der Gelbzahn den Kopf ein, als würde der Hammer von Thor persönlich über ihm schweben und jeden Augenblick auf ihn niederfahren.

Er murmelte etwas, das sich wie ein Fluch anhörte.

»Ich wollte doch nur mal proberutschen. Muss ja keiner erfahren.« Er grinste schmierig und ließ zwei Reihen quittegelber Zähne sehen. Doch als er die Hände nach Rosita ausstreckte, wirbelte ihm Fremde herum und stieß ihm den Ellbogen gegen den Unterkiefer, dass seine Zähne aufeinanderschlugen.

Fluchend packte er sie und wollte sie gegen die Wand schleudern, aber sein Kumpan war schneller. Er fiel ihm in den Arm und mahnte: »Lass gut sein, Paco. Den Ärger sind die beiden nicht wert. Wir suchen uns heute Abend Girls, die nicht solche Sperenzchen machen.«

Paco starrte zuerst die Frau, dann den Schwarzbart finster an.

»Du hast gut reden, Miguel. Du kannst dich hier nach Herzenslust bedienen, während du auf die Weiber aufpasst. Unsereins muss sehen, wo er bleibt.«

»Der Boss hat mich zum Aufpassen abgestellt, nicht zum Herumhuren.«

»Willst du mir etwa weismachen, dass du die Weiber nicht mal ausprobierst? Pshaw, gleich wirst du mir noch erzählen, unser Boss wäre 'n Heiliger.«

»Darauf kannst du lange warten. Und jetzt komm mit. Wir haben schon genug Zeit vertrödelt.« Der Schwarzbart zog seinen Kumpan durch den Gang zu einer Treppe, die nach oben führte.

Wenig später klappte eine Tür.

Dann waren die beiden Männer verschwunden.

»Alles in Ordnung?« Die Blonde musterte Rosita prüfend. »Haben sie dir etwas getan? Bist du verletzt?«

»N-nein, mir fehlt nichts.« Rosita ließ das Kleid sinken. »Wer bist du?«

»Mein Name ist Julie. Julie Delaware.«

»Und warum bist du nicht auch eingesperrt?«

»Oh, das bin ich. Hast du die Tür oben nicht gehört? Die ist verriegelt. Ich komme aus diesem Keller auch nicht raus.«

»Aber du kannst dich frei bewegen und sitzt nicht in einer Zelle wie wir anderen.« Rosita deutete den Gang entlang, von dem etliche Türen abzweigten. »Warum?«

»Ich habe ein bisschen Ahnung von Medizin, deshalb lassen sie mir ein paar Freiheiten. Sie wollen mich bei Laune halten, damit ich ihnen helfe, wenn sie sich wieder einmal etwas eingefangen haben. Außerdem wissen sie, dass ich keine Gefahr für sie bin.« Die Blonde lüftete ihren Rock. Darunter war sie barfuß. Ihr linker Fuß war nach innen gedreht und deformiert. Ein Klumpfuß. »Damit würde ich nicht weit kommen, wenn ich versuche, zu fliehen.« Sie ließ den Rock wieder fallen und zuckte mit den Achseln.

»Wo sind wir hier?«

»Im Kloster der Heiligen Johanna, aber gib dich keinen falschen Hoffnungen hin. Das hier, das ist schon lange kein gesegneter Ort mehr. Calderón und seine Männer haben ihn übernommen und ihm ihren Stempel aufgedrückt.« Sie schürzte verächtlich die vollen roten Lippen.

»Also gibt es hier keine Nonnen mehr?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht leben oben noch welche. Oder sie sind alle tot. Wer kann das sagen? Ich sehe nur, was hier unten vor sich geht.«

»Und wie lange bist du schon hier?«

»Zu lange.« Julies blasses Gesicht verschloss sich. »Viel zu lange.«

»Diese Kerle... Sag, was werden die mit mir machen?«

»Sie werden dich ihren Geschäftspartnern vorführen. Die kommen hierher und schauen dich an. Wenn du Glück hast, kaufen sie dich und nehmen dich mit.«

»Und wenn nicht? Was, wenn ich nicht mitspiele und sie mich nicht wollen?«

»Dann bist du für Calderón und seine Männer nichts mehr wert. Sie werden dich einer nach dem anderen benutzen und dann wegwerfen wie...« Julie stockte. »Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Du bist hübsch. Sie werden dich wollen.«

»Und wohin werden sie mich bringen?«

»Das kann dir ich sagen.« Julie wich ihrem Blick aus.

»Wie viele Frauen werden hier noch festgehalten?«

»Ein Dutzend. Die Kunden haben meistens spezielle Vorlieben und Wünsche. Calderóns Handlanger halten die Frauen hier fest, bis der Verkauf perfekt ist.«

»Eine Bande von Mädchenhändlern.« Rosita spuckte in den Staub. »Wie bist du hier gelandet?«

»Ich war mit der Postkutsche unterwegs zu meinem Verlobten. Die Kerle haben uns überfallen, den Kutscher und unseren Begleitschutz erschossen und mich mitgenommen. Sie wollten mich verkaufen, aber sie hatten nicht gemerkt, dass mein Fuß anders aussieht als bei anderen Frauen. Die Kunden wollten mich nicht.«

»Also...« Rosita schluckte ihre Frage hinunter und erzählte stattdessen: »Mich haben sie von daheim entführt. Ich hatte gerade die Wäsche am Fluss gewaschen, als sie kamen und mich wegholten. Mein Vater... er hat keine Ahnung, was mir zugestoßen ist. Vermutlich glaubt er, ich wäre längst tot. Von einem Raubtier geholt.«

Julie nickte kaum merklich.

Womöglich hatte sie diese Geschichte schon oft gehört.

So oder so ähnlich.

Rosita schlang die Arme um sich selbst.

»Wohin werden sie mich verkaufen? Über die Grenze?«

Julie erwiderte nichts, aber ihr Schweigen war Antwort genug.

Rosita zitterte nun stärker, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie so leicht aufgab. »Wir müssen hier verschwinden«, wisperte sie. »Und das so schnell wie möglich. Weißt du keinen Weg hier heraus?«

Julie schürzte die Lippen und starrte an ihr vorbei.

Rosita stutzte – und schöpfte plötzlich Hoffnung. »Du weißt einen, hab ich recht? Du kennst einen Fluchtweg!«

»Ja, aber...« Julie blickte sich gehetzt nach allen Seiten um. »Er ist gefährlich.«

»Hierzubleiben, auch. Bevor ich in der Gewalt dieser Halunken bleibe, versuche ich lieber mein Glück auf der Flucht. Du etwa nicht?«

»Stell dir das nicht zu leicht vor. Vor zwei Tagen hat Thereza versucht, von hier zu entkommen. Sie hat Boggs verführt, seine Waffe genommen und ihn ans Bett gefesselt. Dann ist sie fort, aber diese Kerle... die haben sie geschnappt und dann...« Julie unterbrach sich. »Sie haben ihr Schlimmeres angetan als den Tod.«

»Ich will es trotzdem versuchen. Lieber sterbe ich bei dem Versuch, zu entkommen, als zu warten und an wer-weiß-wen verkauft zu werden! Was ist mit dir? Warum bist du noch hier, wenn du einen Ausweg weißt?«

»Weil es zwei braucht für meinen Plan, und noch keine wollte sich darauf einlassen.«

»Ich schon.«

»Du weißt doch noch gar nicht, was ich vorhabe. Womöglich ist es dir auch zu riskant? Gut möglich, dass wir auf der Stelle erschossen werden.«

»Ist mir egal. Alles ist besser, als tatenlos abzuwarten, bis mich diese Bastarde verkaufen.« Rosita reckte das Kinn. »Wann können wir fliehen?«

»Wenn du es wirklich wagen willst, müssen wir es gleich versuchen«, versetzte Julie rau, »denn morgen bist du nicht mehr hier!«

»Hilfe!« Julie brüllte über den langen schummrigen Gang. »Helft mir!«

In den Zellen regte sich Leben. Helle Stimmen riefen nach Antworten. Die gefangenen Frauen trommelten gegen die verschlossenen Türen, aber sie konnten nicht heraus. Sie konnten nichts ausrichten, nicht einmal für sich selber.

Rosita krümmte und wand sich auf dem Boden und versuchte, nicht darüber nachzudenken, woher die zahllosen schwarzen Krümel kamen, die überall verstreut lagen. Stattdessen stöhnte und japste sie, als hätte ihr letztes Stündlein geschlagen. Schwer fiel ihr das nicht, denn vor lauter Angst wummerte ihr Herz schmerzhaft gegen ihre Rippen und ihr Atem kam stoßweise wie bei einem löchrigen Blasebalg.

»So helft mir doch endlich!« Julies Drängen blieb nicht ungehört. Über ihnen schlug eine Tür, dann waren Stiefeltritte zu hören, die rasch lauter wurden.

»Was veranstaltest du hier für einen Lärm?« Miguel bog in den Gang ein und fluchte lästerlich.

Ein Wunder war das freilich nicht, denn was Julie hier vorbereitet hatte, konnte dem hartgesottensten Revolverschwinger den Schweiß auf die Stirn treiben.