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"Adam!" Jemand rüttelte ihn an der Schulter. "Adam! Wach auf!"
Adam Masterson blinzelte, bemerkte verschwommen ein Gesicht über sich und kniff kurz die Augen zusammen. Diesmal sah er klarer: ein leidlich hübsches Gesicht mit leuchtend blauen Augen und Lippen, die geschwollen und wund von seinen Küssen waren.
"Was 'n los?", knurrte er. Er glaubte gerade erst eingeschlafen zu sein. Von draußen sickerte silbriges Mondlicht durch einen Spalt zwischen den Planen des Studebakers herein. Mitternacht konnte noch nicht lange vorüber sein.
"Da draußen ist jemand", wisperte sie. "Ich habe es gehört. Jemand schleicht um den Wagen. Du musst nachsehen, Adam!"
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Ein heißer Fang
Vorschau
Impressum
Ein heißerFang
»Adam!« Jemand rüttelte ihn an der Schulter. »Adam! Wach auf!«
Adam Masterson blinzelte, bemerkte verschwommen ein Gesicht über sich und kniff kurz die Augen zusammen. Diesmal sah er klarer: ein leidlich hübsches Gesicht mit leuchtend blauen Augen und Lippen, die geschwollen und wund von seinen Küssen waren.
»Was 'n los?«, knurrte er. Er glaubte gerade erst eingeschlafen zu sein. Von draußen sickerte silbriges Mondlicht durch einen Spalt zwischen den Planen des Studebakers herein. Mitternacht konnte noch nicht lange vorüber sein.
»Da draußen ist jemand«, wisperte sie. »Ich habe es gehört. Jemand schleicht um den Wagen. Du musst nachsehen, Adam!«
Adam verzog das Gesicht zu einem wölfischen Grinsen. Falls sich einer da draußen herumtrieb, würde er gleich sein blaues Wunder erleben, denn eines stand fest: Die Gefahr lauerte nicht da draußen, sondern hier drinnen. Das schien der Herumtreiber jedoch nicht zu wissen, denn wieder waren Geräusche von draußen zu vernehmen.
Ein Scharren. Ein Kratzen.
In der Tat: Vor dem Wagen ging irgendetwas vor sich.
Und er würde der Sache nun wohl auf den Grund gehen müssen.
Adam fluchte in sich hinein.
Ein paar Stunden mit einem anschmiegsamen Girl, das war alles, wonach ihm der Sinn gestanden hatte. Nun jedoch würde er sich als Retter in der Not hergeben müssen. Eine Rolle, die ihm nicht sonderlich behagte. Zumal ihm ein stundenlanger Ritt in den Knochen steckte.
Die Hitze hier im Süden war mörderisch.
Nicht umsonst wurde diese Gegend das heiße Herz von Arizona genannt. Die Temperaturen kletterten in Höhen, die Vögel tot vom Himmel fallen ließen. Hier draußen kämpfte das Leben um jeden noch so kleinen Atemzug. Karge Felswände, trockene Büsche und kandelaberförmige Kakteen – so weit das Auge reichte. In der kargen Einsamkeit war es schwer, sich zu orientieren, und so war Adam an diesem elenden Tag länger geritten, als er vorgehabt hatte.
Der sandige Boden reflektierte das Sonnenlicht, sodass ein Reiter von oben und von unten gleichzeitig geröstet wurde. Das Fegefeuer, davon war der junge Rancher überzeugt, konnte nicht heißer sein als ein Ritt durch den Staub und die Felsen hier unterhalb des Mazatzal Peak. So war es wohl auch kein Wunder, dass der Trail von zahllosen Knochen gesäumt wurde, ausgebleicht von Sonne und Wind zeugten sie davon, dass nicht jeder die Gluthitze überlebte.
Erst jetzt, nach Sonnenuntergang, sanken die Temperaturen spürbar.
So fegte nun auch eine Windböe zwischen den Planen herein, brachte die ersehnte Abkühlung. Der Blondschopf vor ihm war splitternackt, bis auf einen Zipfel eines weichen Plaids, der ihre weiße Schulter bedeckte. Darunter lugten ihre appetitlichen Brüste hervor. Gerade genug, um seine Hände zu füllen, mit dunklen Spitzen, die unter der kühlen Brise hart wurden und ihn einzuladen schienen, mit ihnen zu spielen. Zwei pralle Kirschen, so süß, so verlockend. Er wollte sie mit breiter Zunge lecken, sie beißen, an ihnen lutschen... Heiliger Rauch! Er wurde schon wieder hart. Ihr Anblick jagte sein Blut wie Feuer durch seine Lenden.
Sein Pint stand wie eine eins. Pulsierte. Forderte.
Beinahe hätte den Herumtreiber draußen ignoriert, sie auf das Lager geworfen und in sie gestoßen, bis sie ihren eigenen Namen vergaß und... Später, ermahnte er sich selbst. Dafür muss noch warten.
Alles hat seine Zeit.
Und jetzt ist die Zeit zum Handeln.
Entschlossen streckte er sich nach seinem Army-Colt.
Sally... oder Sadie... wie auch immer... sie war mit einem Treck unterwegs gewesen, hatte sie ihm erzählt. Mit ihrem Vater und ihren zwei kleinen Brüdern. Die Mutter war bei der Geburt des Jüngsten gestorben. Sandy und ihre Familie waren Mormonen. Sie wollten sich im Westen etwas aufbauen. Doch dann waren ihre Brüder am Fieber gestorben, und der Vater war ihnen bald darauf gefolgt. So hatte Sondra allein gestanden. Der Treckführer hatte ihre Situation ausgenutzt und sie bedrängt. Dabei hatte er eine Frau und ein Baby bei sich. Sie hatte ihn abgewiesen – und damit gegen sich aufgebracht. Was dann geschehen war, hatte sie Adam nicht erzählt, hatte nur scheu zu einer der Planen geschaut, auf der sich dunkle Spritzer abzeichneten. Er hatte nicht gefragt. Musste es nicht wissen. Wollte es auch gar nicht. Sie war entschlossen, sich allein durchzuschlagen.
Bis ein Rad an ihrem Wagen gebrochen war.
Zwei Tage hatte sie festgesessen, bis Adam vorbeigekommen war. Er hatte ihr geholfen, ihren Wagen wieder flottzumachen. Kein leichtes Unterfangen hier draußen, wo Holz so knapp war wie das Höschen eines Saloongirls.
Ihr Esstisch hatte daran glauben müssen.
Über der Reparatur war es Nacht geworden.
Sally... oder Sadie... verdammt... sie hatte ihn zum Essen eingeladen.
Dazu waren sie allerdings noch gar nicht gekommen. Kaum war die Plane hinter ihnen herabgefallen, waren sie übereinander hergefallen.
Verdammt, sie war unersättlich. Hatte ihm fast das Mark aus den Knochen gesaugt. Bei der Erinnerung zuckte sein Pint sehnsüchtig.
Ja, sie war ein Prachtweib.
Unter anderen Umständen hätte er vielleicht erwogen, eine Weile mit ihr zu reisen. Auch wenn sie vermutlich keine Minute zum Schlafen gekommen wären.
Doch er war nicht grundlos in dieser elenden Staubwüste unterwegs.
Er musste eine Aufgabe erfüllen – und das möglichst bald!
Aus der Ferne rollte ein Donnergrollen heran.
Da braute sich etwas zusammen. Und es war bestimmt nichts Gutes.
Sie zuckte sichtlich zusammen.
»Ist schon gut«, begütigte er. »Ich werde nachschauen, wer da draußen ist, Sadie.«
»Sally«, seufzte sie.
»Sag ich doch. Ich werde nachschauen.« Seine Hand schloss sich fester um den Colt.
Außerhalb der Plane war ein gedämpftes Grollen zu vernehmen.
Sally versteifte sich.
»Das ist kein Mensch«, wisperte sie und fasste nach seiner Hand.
»Nein, ist es nicht«, murmelte er und entzog ihr seine Finger.
»Könnten das Wölfe sein? Ob sie es auf meine Ochsen abgesehen haben?«
»Das bezweifle ich. Nicht so weit im Süden. Außerdem jagen Wölfe im Rudel und absolut lautlos. Nein. Keine Wölfe«, beschied er sie.
»Was ist es aber dann?«
»Das werden wir gleich wissen.« Nackt, wie er war, stemmte er sich auf seine Füße und schob den Colt durch den Spalt zwischen den Planen. Vorsichtig hob er das mehrfach gewachste Gewebe an und spähte darunter hervor.
Ein Schatten huschte an dem Wagen vorbei.
Adam knirschte mit den Zähnen.
Im spärlichen Licht der Silbersichel am Horizont war für einen kurzen Moment zu erkennen gewesen, wer oder vielmehr was sich hier draußen herumtrieb.
Ein Puma!
Normalerweise töteten Pumas ihre Beute, bevor die auch nur ahnte, dass sie in der Nähe waren. Es waren schnelle, lautlose Jäger.
Dieses Tier hier nicht.
Es musste verletzt sein.
Wenn er sich nicht täuschte, zog es den rechten Hinterlauf nach. Der Bauch hing durch, als wäre er gebrochen. Und er zog eine feuchte Spur hinter sich her.
Etwas musste dieses Tier übel zugerichtet haben.
Etwas, das wesentlich größer und schwerer war.
Adam hörte, wie Sally hinter ihm scharf den Atem einzog.
Sie hatte gesehen, was er gesehen hatte.
Er hob seinen Colt und richtete ihn in die Dunkelheit.
Der Puma schien auf leichte Beute aus gewesen zu sein. Die Bewegung genügte, um ihn abziehen zu lassen. Er entfernte sich von dem Wagen.
Adam zögerte nicht.
Er spannte den Hahn, zielte und schoss.
Ein Knall zerriss die nächtliche Stille. Die Kugel fetzte dem Puma in den Leib und riss ihn von den Pfoten. Keinen Laut gab er noch von sich, als er im Staub aufkam und reglos liegen blieb.
Sally schluckte hörbar. »Warum hast du ihn erschossen? Er wollte fliehen. Er war keine Gefahr mehr für uns.«
»Womöglich wäre er irgendwann wiedergekommen. Dann hätte er uns im Schlaf die Kehle aufgerissen. Ein Übel muss man an der Wurzel ausreißen, sonst wird man es niemals los.« Seine Stimme klirrte wie eine rostige Eisenkette. Er wandte sich um und sah Sally die Schultern hochziehen.
»Dich möchte ich nicht zum Feind haben«, flüsterte sie.
»Und daran tust du gut«, grollte er.
»Warum bist du hier, Adam? Hier draußen, meine ich?«
»Ich suche eine Frau.«
»Zum Heiraten?« Sallys Augen weiteten sich.
Er gab ein Geräusch von sich, das Lachen und Bellen zugleich war.
»Nein. Das nun wirklich nicht. Das Weib, das ich suche, taugt nicht für die Ehe.«
Sally neigte den Kopf, dass ihr Blondhaar über ihre Schulter fiel. »Wer ist sie?«
»Ihr Name ist Betty Thompson, aber sie hatte schon viele andere Namen. Ich glaube kaum, dass es außer ihr jemanden gibt, der sie alle kennt. Manche Leute nennen sie auch Black Widow.«
»Warum denn das?«
»Weil sie den Tod bringt. Sie ist wunderschön – und gefährlich.«
»Warum suchst du dann nach ihr?«
»Weil ich noch eine Rechnung mit ihr offen habe. Mehr musst du nicht wissen, Sally. Es ist meine Angelegenheit. Ich werde dafür sorgen, dass sie bezahlt.«
»Du willst sie tot sehen, nicht wahr?«
Adam senkte das Kinn.
Das war Sally Antwort genug. Sie presste die Lippen zusammen, sodass sie ganz weiß wurden.
»Weiß sie von deinem Plan?«
»Noch nicht, aber das wird sie bald. Doch dann wird es zu spät sein.«
»Sie tut mir direkt ein bisschen leid.«
»Das muss sie nicht. Sie hat verdient, was sie erwartet.« Grimmig presste er die Kiefer so fest aufeinander, dass es in seinen Ohren knirschte. »All devils, ja, das hat sie tausendfach verdient!«
✰
Ein kräftiger Nordwester trieb Wolkentürme heran. Das Mondlicht, das sich vor wenigen Augenblicken noch über Copper Hill ergossen hatte wie flüssiges Silber, verschwand zusehends. Dunkelheit kroch wie die Arme eines Kraken um die Stadt und umschlang auch den Leib des Mannes, der auf dem Stiefelhügel umherstolperte. Es war so finster, dass er immer wieder über umgestürzte Holzkreuze stolperte.
Der Mann blieb stehen, schaute sich prüfend um und versuchte, den hölzernen Rundbogen zu erkennen, durch den er zurück in die Stadt gelangen würde. Doch vor ihm lagen nichts als Schatten.
Ray Ortega kannte sich in Copper Hill nicht aus. Es war ein Fehler gewesen, nach einer Abkürzung zu suchen. Sein Weg hatte ihn nicht zum Saloon, sondern geradewegs in die Irre geführt. Er musste zurück und durch die Stadt gehen.
Aber wo war der Pfad, auf dem er hergekommen war?
»Logik«, murmelte er, »es gibt keine Misere, die nicht durch Logik beendet werden kann.« Er drehte sich langsam im Kreis und versuchte, sich zu orientieren.
Links, entschied er dann. Nach links zu laufen, würde ihn höher auf diesen Hügel bringen. Sobald er die Lichter der Stadt ausmachen konnte, würde er wissen, in welche Richtung er sich wenden musste. Ja, das war ein guter Plan.
Mit der Überzeugung, schon bald einen Lichtschimmer zu sehen, machte er sich auf den Weg. Doch statt heller zu werden, schien sich die Dunkelheit zu verdichten und näher zu rücken. Nur mit Mühe konnte Ray Ortega einen Fluch zurückhalten. Zeit hatte er sparen wollen und nun verplemperte er sie hier oben mit der Suche nach...
Moment mal! Plötzlich blieb er stehen und das Scharren von Schritten hinter ihm verstummte. Allerdings nicht schnell genug. Das war kein Echo gewesen.
»Wer ist da?«, rief er scharf. Seine Hand tastete an seine Hüfte, fühlte Leder und kühles Metall. Er umschloss die Waffe und lauschte.
Keine Antwort außer dem lauter werdenden Fauchen des Windes, der um die Grabhügel wehte.
Ein Schauder rieselte ihm zwischen den Schulterblättern hindurch.
Er verfluchte sich selbst dafür. Wenn seine Männer ihn so sehen würden, wäre der hart errungene Respekt dahin. Doch es behagte ihm nicht, zwischen den Toten umherzulaufen. Er zog den Revolver aus dem Holster, drehte sich einmal im Kreis und versuchte, die elende Schwärze zu durchdringen. Seine Augen begannen zu brennen, deshalb wischte er mit dem Handrücken darüber.
Der Schweiß auf seiner Haut machte sie Sache eher noch schlimmer.
Nichts zu erkennen.
Dafür war nun das Knirschen von Lederstiefeln zu hören. Es kam von rechts... Er drehte sich in die Richtung, hob seine Waffe.
»Stehenbleiben!«, befahl er. »Oder ich...«
Weiter kam er nicht, denn etwas schien plötzlich auf seinem Schädel zu explodieren. Der Hieb war so kräftig, dass seine Knie unter ihm einknickten wie dürre Äste. Die Bastarde waren zu zweit! Der zweite Angreifer hatte sich lautlos von hinten genähert und... Bevor er den Gedanken weiterführen konnte, war sein Widersacher bereits über ihm und bohrte ihm ein Knie in die Brust. Ein dunkles Augenpaar starrte ihn unter einer Kapuze hervor an. Eine Bandana verbarg den größten Teil des Gesichts. Dazu war der Unbekannte so schwarz gekleidet, dass er mit der Nacht zu verschmelzen schien.
Ray Ortega wollte seinen Sechsschüsser hochreißen, da trat ihm der erste Angreifer auf die Hand, dass ein wilder Schmerz seinen Arm hochschoss.
Mit der Stiefelspitze trat der Unbekannte die Waffe weg.
Verdammt! Ray Ortega wollte sich herumwälzen und nach seinem Revolver tasten. Da presste sich etwas Kaltes, Metallenes an seine Kehle. Ein Messer! Scharf genug, um ihm die Haut beim kleinsten Druck zu ritzen. Er spürte den Schnitt, nicht tief, noch nicht, doch es genügte, dass warmes Blut über seinen Hals sickerte.
»Wo ist es?« Die Frage drang dumpf unter dem Tuch hervor. Kaum mehr als ein Grollen.
»Wo ist was?«, bellte er, wütend ob seiner ausgelieferten Position. Verdammt, er hatte sich überrumpeln lassen wie ein blutiger Jungspund. »Was wollen Sie von mir?«
»Das Amatl!«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.«
»Noch eine Lüge, und ich ritze dir ein zweites Grinsen in die Kehle, verstanden?« Das Messer drückte sich weiter gegen seinen Hals.
Ray Ortega wagte kein Nicken. Schweigend blickte er in die vermummte Visage, während sich die Gedanken in seinem Schädel jagten wie junge Kojoten.
Woher wusste dieser Kerl von dem Dokument?
Niemand außer seinen Männern hatte Kenntnis davon.
Waren die beiden Bastarde womöglich zwei seiner eigenen Leute?
Verrat in den eigenen Reihen? Er hatte schon lange den Verdacht, dass er nicht mehr allen seinen Gefolgsleuten trauen durfte. Das hier, das schürte die kalte Flamme des Misstrauens.
Jetzt war jedoch nicht die Zeit, um darüber nachzusinnen. Er musste sich der beiden Kerle entledigen, bevor sie erkannten, dass er nicht bei sich trug, worauf sie aus waren, denn dann war er für sie nicht mehr wert als eine Fliege auf ihrem Stiefel.
»Das Amatl...«, sagte er gedehnt, während seine Hand schmerzhaft pochte. »Das steckt in deinem Arsch, du Mistkerl!« Mit diesen Worten grätschte er blitzschnell die Beine, riss sie hoch, winkelte die Knie an und trat seinem Angreifer mit aller Kraft vor die Brust.
Der wurde von dem Schwung nach hinten gerissen und landete rücklings im Staub. Zischend entwich die Luft seinen Lungen. Das Messer hielt er weiterhin fest umklammert.
Ray Ortega sprang auf die Füße und setzte nach. Ein Tritt schleuderte dem Unbekannten die Klinge aus der Faust.
Dessen Spießgeselle schaute jedoch nicht tatenlos zu. Nein, er feuerte!
Ray Ortega duckte sich gedankenschnell ab. Die Kugel verfehlte ihn nur um eine Fingerbreite. Zu einem zweiten Schuss kam der Angreifer nicht, weil sich unvermittelt eine weitere Gestalt aus den Schatten löste. Ein Stock wirbelte durch die Luft, und ehe der Vermummte reagieren konnte, trafen ihn mehrere Hiebe in Brust und Beine.
Er stürzte hin und wälzte sich brüllend im Staub.
Ein langes, wehendes Gewand... ein Schleier... Niemand anderes als eine junge Nonne kam Ray Ortega gerade zu Hilfe. Sie hielt einen der beiden Halunken mit ihrem Stock in Schach. Ray Ortega packte den anderen Kerl am Schlafittchen und zog ihn zu sich hoch.
»Wer bist du, Bastard?« Er wollte dem Unbekannten gerade das Tuch vom Gesicht ziehen, als zwei weitere Schüsse durch die Nacht peitschten. Da war noch ein dritter Mann! Eine Kugel schrammte seine Wange. »Verdammt noch mal!« Er ließ von seinem Gegner ab und hechtete seitwärts hinter ein trockenes Gebüsch in Deckung.
Auch die Nonne setzte zu ihm herüber, stöhnend.
Schnelle Schritte waren zu vernehmen.
Die Halunken suchten ihr Heil in der Flucht!
»Bist du verletzt?«, murmelte Ray Ortega.
»Nur ein Kratzer. Nicht der Rede wert.« Seine Tochter richtete sich auf und strich sich den Staub vom Habit. Tracy hatte vor zwei Jahren entschieden, dass das Leben, wie er es führte, nichts für sie war. Anstatt weiter mit seinen Männern umherzuziehen, zu kämpfen und oft nicht zu wissen, wie nah die Sternträger ihnen wirklich waren, hatte sie sich einen Ort zum Verweilen gewünscht und war dem Ruf in das Kloster der Heiligen Johanna gefolgt. Das jedoch war von einer Bande Mädchenhändler übernommen worden und bei einem Kampf abgebrannt. Nun stand Tracy wieder ohne Heimat da.
Ray Ortega richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
»Du hättest mir nicht helfen müssen«, grollte er. »Ich hatte das im Griff.«
»Das habe ich bemerkt.« Ein Lächeln schwang in ihrer Stimme mit. Jeden seiner Männer hätte er für die Neckerei angebrüllt, aber bei Tracy lagen die Dinge anders. Bei ihr konnte er sich ein Grinsen erlauben.
»Warte hier.« Er stapfte los und vergewisserte sich, dass die Angreifer wirklich auf und davon waren, ehe er zu seiner Tochter zurückkehrte.
Tracy umschloss ihren Stab mit einer Faust, als wäre es die Hand eines Geliebten.
»Sollen wir den Plan besser abblasen?«, fragte sie.
»Kommt nicht in Frage.«
»Wir können noch warten.«
»Können wir eben nicht. Wir brauchen sie. Und wenn ich sie heute nicht finde, entwischt sie uns womöglich wieder. Ich weiß nicht, wie lange die Männer das noch mitmachen. Ich muss etwas vorweisen, sonst könnte es reichlich Ärger geben.«
»Mit Calvo, meinst du?«
»Er wär' nun mal gern der Boss.«
»Pshaw! Er kann dir nicht das Wasser reichen.«
»Trotzdem weiß er zu führen. Ich muss das heute Nacht erledigen, und das werde ich auch.« Er hob den Zylinder auf, der ihm während des Kampfes vom Kopf geflogen war, wischte etwas Sand ab und setzte ihn sich wieder auf. Anschließend klopfte er sich ein paar trockene Halme von der Anzugjacke. »Wir ziehen das durch.«