Lassiter 2583 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2583 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Lautlos glitt die Messerklinge zwischen die Rippen des Ranchers und durchbohrten sein Herz. Der schwarz gekleidete Angreifer hielt sein Opfer, ließ die warme Schwere des reglosen Körpers gegen seine Schulter sacken und vernahm ein Stöhnen, kaum lauter als das Seufzen des Windes in den nahen Goldkiefern. Er verharrte noch einen Moment und sog die kühle Nachtluft in seine Lungen. Die Wolken waren aufgerissen und ließen den schwarzen Samt des Firmaments mit dem Glitzern diamantenheller Sterne zum Leben erwachen. Ein gutes Omen, wenn man an solche Zeichen glaubte. Doch gerade als er sein Opfer langsam in den Staub gleiten ließ, durchbrach das unerwartete Knirschen von Schritten die Stille...


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Seitenzahl: 147

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Lassiter und die Pokerqueen

Vorschau

Impressum

Lassiterund diePokerqueen

Lautlos glitt die Messerklinge zwischen die Rippen des Ranchers und durchbohrte sein Herz. Der schwarz gekleidete Angreifer hielt sein Opfer, ließ die warme Schwere des reglosen Körpers gegen seine Schulter sacken und vernahm ein Stöhnen, kaum lauter als das Seufzen des Windes in den nahen Goldkiefern. Er verharrte noch einen Moment und sog die kühle Nachtluft in seine Lungen. Die Wolken waren aufgerissen und ließen den schwarzen Samt des Firmaments mit dem Glitzern diamantenheller Sterne zum Leben erwachen. Ein gutes Omen, wenn man an solche Zeichen glaubte. Doch gerade als er sein Opfer langsam in den Staub gleiten ließ, durchbrach das unerwartete Knirschen von Schritten die Stille...

Verdammt!

James Reese erstarrte mitten in der Bewegung und lauschte. Ja, die Schritte wurden lauter. Der Störenfried würde ihn früher oder später entdecken. Ihm blieben höchstens noch ein paar Sekunden, um seine Reaktion abzuwägen.

Bleiben oder flüchten?

Nun, im Grunde hatte er keine Wahl...

Lautlos legte er sein Opfer auf der verschneiten Veranda ab. Im fahlen Mondlicht schienen die Augen des Toten in eine Ferne zu blicken, in die ihm kein Lebender folgen konnte. Reese zog den Colt aus dem Holster, spannte den Hahn und presste sich mit dem Rücken gegen die Wand des Ranchhauses. Reglos wartete er ab.

Ein Mann umrundete den Stall und trat in das Licht der Stalllaterne. Er war noch jung, höchstens Mitte zwanzig. Sein bartloses Gesicht wirkte blass vor Müdigkeit und wurde von einem Stetson beschattet. Gekleidet war er nach Art der Cowboys – kariertes Hemd, Arbeitshosen und Stiefel, an denen Kuhmist und Schnee klebten. Dazu eine Schaffelljacke, die ihn vor der winterlichen Kälte schützte. Seine Hände wiesen die Narben von Lassos auf. Ein Mann, der es gewohnt war, mit Tieren zu arbeiten. So schätzte Reese ihn ein. Die Ähnlichkeit mit dem toten Rancher war unverkennbar. Dasselbe kantige Kinn mit der kleinen Kerbe, dieselben durchdringenden blauen Augen und die hagere Statur.

Der Sohn des Ranchers. Daran konnte kein Zweifel bestehen.

Er sollte überhaupt nicht hier sein. Hatte Sharkey nicht behauptet, der Alte wäre an diesem Abend allein mit seinen Helfern auf der Ranch? Lediglich die Köchin und zwei Cowboys sollten sich noch hier aufhalten. Um die Cowboys hatten sich seine Handlanger gekümmert. Die beiden lagen hinter dem Bunkhouse und würden morgen früh mit einem höllischen Brummschädel aufwachen. Wenn überhaupt. Nur die Köchin musste er noch davon überzeugen, ihnen aus dem Weg zu gehen. Nun baute sich jedoch ein unerwartetes Problem vor ihm auf: der junge Rancher!

Aus dem Stall drang das Stampfen und Schnauben der Pferde. Etwas hatte die Tiere in Unruhe versetzt. Ahnten sie, was auf der Ranch vorging? Womöglich. Tiere besaßen einen Sinn für Gefahren, der Menschen abging. Im Notfall verließ sich Reese lieber auf den Instinkt seines Reittiers als auf seinen eigenen.

Der Sohn des Ranchers hatte ihn jedoch noch nicht bemerkt.

Reese packte seinen Sechsschüsser fester – und knirschte mit den Zähnen.

Sharkey, dieser Nichtsnutz, hatte versagt. Niemand wird uns in die Quere kommen, Boss, hatte er versichert. Wir müssen nur den Alten, seine Köchin und die beiden Cowboys ausschalten. Dann ist der Weg zu den Bucks frei.

Ha! Beinahe hätte Reese geschnaubt. Er beherrschte sich gerade noch, ehe er seine Anwesenheit verraten konnte. Der Sohn des Ranchers galt als verdammt schnell mit der Waffe. Er hatte schon mehrere Wettschießen gewonnen. Wenn der ihn entdeckte, sah es zappenduster aus. Reese gestand es sich nicht gern ein, und einem seiner Männer gleich gar nicht, aber er war nicht mehr so schnell wie früher. Die Jahre gingen auch an ihm nicht spurlos vorüber.

Er spannte jeden Muskel in seinem Körper an. Wenn der junge Rancher daheim war, warteten womöglich noch weitere unliebsame Überraschungen auf sie. Anscheinend würde dieser Überfall nicht so glatt laufen, wie er es erwartet hatte.

Nun, vor Schwierigkeiten war er noch nie weggelaufen.

Schon gar nicht bei einer lohnenden Beute.

Theodore Thompson galt als Eigenbrötler, der niemandem traute. Nicht einmal den Banken. Er hortete sein Geld zu Hause. Eine Menge Geld, wenn man den Gerüchten glauben durfte. Genügend Bucks für ein sorgenfreies Leben.

Es war reiner Zufall gewesen, der sie darauf gebracht hatte. Reese hatte eine Schwäche für das Kartenspiel – und nun sollte sich das als Glücksfall erweisen. Bei einer Pokerrunde in Pine Springs hatte ein früherer Cowboy von der Double-T-Ranch mit ihm am Spieltisch gesessen. Der Trunkenbold hatte sich bitterlich beklagt, dass ihn sein Boss rausgeworfen hatte, weil er im Rausch den Stall nicht vom Abtritt unterscheiden konnte. Es hatte Reese nur ein paar Whiskys gekostet, um von ihm alles über die Double-T-Ranch zu erfahren, was er wissen musste: wo der Alte seine Bucks hortete – und dass er nach seinem lohnenden Verkauf im Geld schwamm.

Nun, diese Last wollten sie gern von ihm nehmen.

Sharkey hatte ausgekundschaftet, dass der junge Rancher an diesem Abend nicht daheim sein würde. In Pine Springs trat eine fahrende Theatertruppe auf, diese Vorführung wollte Charly Thompson mit seiner Verlobten besuchen. Es war die perfekte Gelegenheit. Je weniger Bewohner daheim waren, umso weniger Komplikationen würde es geben. Sie hatten entschieden, in dieser Nacht zuzuschlagen. Jedoch: Charly Thompson war daheim!

Reese fluchte in sich hinein. Dieser Überfall sollte sein letzter werden. Er hatte vor, sich zur Ruhe zu setzen, solange er das noch konnte. In seinem Metier gab es keine alten Männer. Er wollte aussteigen und die nächsten Jahre irgendwo verbringen, wo das Klima mild und die Girls willig waren. Vorher musste er nur noch diesen einen Coup über die Bühne bringen. Nur noch diese eine Nacht...

Er ließ den jungen Rancher nicht aus den Augen. Sobald der ihm den Rücken zukehrte... Doch, nein, der andere Mann war stehen geblieben und hatte den Kopf gehoben, als würde er lauschen. Womöglich war er doch nicht völlig ahnungslos?

Reese wagte nicht, zu atmen.

Die Double-T-Ranch lag in einem Tal in den Guadalupe Mountains. Während die höheren Regionen von Wäldern aus Weymouth-Kiefern und Espen dominiert wurden, gediehen in den Schatten der Berghänge Texanische Erdbeerbäume, Walnussbäume und Goldkiefern. Zwischen den Wachholdersträuchern streiften Hasen, Kojoten und Stachelschweine umher. Auch Elche gab es, wenngleich Reese noch keinen zu Gesicht bekommen hatte.

In der Stadt hatte ihn ein Oldtimer vor Berglöwen gewarnt. Diese sollten schon so manchem Reisenden zum Verhängnis geworden sein, der hier verschwunden war und nie wieder gesehen wurde. Reese war auf der Hut. Er hatte nicht vor, sich so kurz vor dem Ziel noch aufhalten zu lassen. Er würde den Überfall hinter sich bringen und verschwinden. Von Kälte und Schneestürmen hatte er ein für alle Mal genug.

Von seinen Männern war nichts zu sehen, aber er wusste, dass sie in der Nähe lauerten und nur auf sein Zeichen warteten, um zuzuschlagen.

Der junge Rancher drehte den Kopf langsam nach links, dann nach rechts.

»Hallo?« Seine Stimme war tief und verriet Argwohn. »Wer ist da?«

Die Gewissheit fuhr Reese wie ein Boxhieb in die Magengrube.

Er hat uns bemerkt!

Nun, damit war es entschieden.

Reese stieß einen Pfiff aus. Im nächsten Augenblick geschahen mehrere Dinge gleichzeitig: Drei Männer stürmten aus der Dunkelheit vor und zogen ihre Waffen. Jemand brüllte. Mündungsfeuer blitzte. Schüsse krachten. Der junge Rancher wurde von einer ungeheuren Macht von den Füßen gerissen, bevor er zu seiner Waffe greifen konnte, und landete rücklings im Schnee.

Eine Frauenstimme gellte: »Neeein!«

Reese fuhr herum. Eine junge Frau stand in der offenen Tür des Stalls. Selbst im spärlichen Licht der Stalllaterne war nicht zu übersehen, wie bildschön sie war. Ein Klasseweib! Lange, rotblonde Haare, die im Laternenlicht schimmerten wie flüssiges Gold. Eine Sanduhrfigur, die genau an den richtigen Stellen üppig gerundet war. Dazu volle rote Lippen, die einem Mann buchstäblich alles versprachen...

»Jennifer!«, gurgelte der junge Rancher. »Geh zurück in den Stall!«

Sie hielt eine braune Flasche in den Händen und blieb stocksteif stehen. Der Schrecken zeichnete sich auf ihrem ebenmäßigen Gesicht ab. »W-was...«

»Zurück!« Die Stimme des jungen Ranchers war nur ein Stöhnen. »Geh zurück!«

Sie schien ihn gar nicht zu hören.

Und dann war der Moment verpasst. Sharkey und Moses waren bei ihr und packten sie bei den Armen. Die Flasche entglitt ihren Fingern und fiel in den Schnee. Jetzt erst schien sie sich zu besinnen, sträubte sich gegen den Griff. Sie wollte sich befreien, aber die beiden Männer hielten sie fest.

Reese trat vor und näherte sich dem Rancher. Der Schnee rings um den Verletzten färbte sich blutrot. Mehrere Kugeln hatten ihn in die Brust getroffen. Kreisrunde, schwarz gefärbte Löcher zeichneten sich auf seiner Jacke ab, und sein Gesicht wurde immer bleicher, als das Leben aus ihm wich. Seine Finger krallten sich in den Schnee, als würde er verzweifelt nach irgendeinem Halt suchen.

Nein, von diesem Mann ging keine Gefahr mehr aus.

Reese wandte sich der jungen Frau zu. Der Angst in der Stimme des Ranchers nach zu urteilen, lag ihm etwas an ihr.

Auch Sharkey und Moses beäugten die Frau. Ein breites Grinsen schlich sich auf Sharkeys Gesicht. Sein Goldzahn blitzte. Moses dagegen zog sie näher an sich und ließ eine Hand begehrlich über ihren Busen gleiten.

Sie wand sich, aber gegen ihre Häscher hatte sie keine Chance. Die rückten nur noch näher an sie heran. Sie verschwand beinahe zwischen ihnen. Ihr Keuchen schien die beiden noch anzuspornen... doch da fiel plötzlich ein einzelner Schuss!

Eine unsichtbare Faust schien sich Reese in den rechten Unterbauch zu rammen. Bevor er wusste, wie ihm geschah, raste der Boden auf ihn zu und er landete mit dem Gesicht voran im Schnee. Es tat nicht weh, zumindest nicht gleich. Als der Schmerz in seinem Inneren explodierte, bäumte er sich auf und wälzte sich herum. Dabei dämmerte ihm, dass er einen Fehler begangen hatte: Er hatte den jungen Rancher zu früh abgeschrieben. Der Kerl hatte auf ihn geschossen! Irgendwie hatte er die Kraft gefunden, um abzudrücken.

Mit wütendem Gebrüll zerrte Sharkey seinen Colt aus dem Holster und schwenkte die Mündung auf den jungen Rancher.

»Nicht!« Die Frau riss sich von Moses los und hechtete vor.

Ein Schuss zerriss die eisige Winterluft.

Ein Ruck ging durch die Frau, dann stürzte sie in den Schnee und blieb reglos liegen.

»Jennifer! Ihr... ihr elenden... Hundesöhne!« Blutiger Schaum brodelte von den Lippen des jungen Ranchers. Er versuchte, sich im Schnee hochzustemmen, sackte aber sogleich wieder zurück. Sein Atem kam schwer und rasselnd. Moses trat näher und kickte seine Waffe mit der Stiefelspitze fort. Dabei verzog er finster das Gesicht.

Reese verwünschte seinen Handlanger. Die Frau war bildschön. Mit ihr hätten sie sicherlich eine Menge Spaß haben können, aber daran war nun nicht mehr zu denken. Was für eine verdammte Verschwendung...

Reese spürte, wie ihm etwas Warmes über die Brust lief. Er verlor Blut. Eine Menge davon. Wenn ihn die Kugel nicht umbrachte, würde es der Blutverlust tun. Und das schon bald, wenn er nichts unternahm.

Er zerrte sein Halstuch vom Hals, schob es unter sein Hemd und presste es auf die Wunde. Der Schmerz ließ blutrote Schwaden vor seinen Augen wabern. Mühsam rappelte er sich hoch und kämpfte sich auf die Füße. Er schwankte, aber er stand. Und er war nicht bereit, aufzugeben. Moses konnte ihn später zusammenflicken. Der Hüne war nicht nur in Bibelsprüchen bewandert, sondern verstand mehr von Medizin als sie alle zusammen. Er hatte sein Brot als Undertaker verdient, ehe er sich der Bande angeschlossen hatte.

»Jennifer...« Ein gurgelnder Atemzug entwich dem jungen Rancher. Er bäumte sich noch einmal auf, dann brach sein Blick.

Reese blickte sich zu seinen Handlangern um.

»Holen wir das verdammte Geld«, schnaufte er, »und dann verschwinden wir von hier!«

Warum ist es denn plötzlich so warm?

Mit einem Wehlaut kam Jennifer zu sich.

Sie blinzelte, sah nichts als verschwommenes Weiß. Es schmerzte in ihren Augen und fühlte sich an, als wäre sie blind geworden. Sie kniff die Lider zusammen und riss sie wieder auf. Allmählich klärte sich ihre Sicht. Schnee. Sie lag hier draußen im Schnee, aber sie fror nicht. Wie war das möglich?

Benommen stützte sie sich ab und richtete sich auf. Ein wütender Schmerz raste durch ihre Brust. Warme Flüssigkeit sickerte durch das Schultertuch, das sie zum Schutz vor der Kälte über ihrem Kleid trug. Sie blickte an sich hinunter, sah das viele Blut und schluckte hastig, weil ein bitterer Geschmack in ihrer Kehle hochstieg.

Der Schuss! Die Kugel hatte ihrem Verlobten gegolten, aber sie hatte sich in den Weg geworfen und war von dem heißen Blei erwischt worden. Und... die Banditen! Jäh dämmerte ihr, dass die Halunken noch in der Nähe sein konnten.

Der Schreck ließ ihre Sinne erwachen. Sie roch den beißenden Gestank von verbranntem Fleisch, hörte ein unheilvolles Knistern und Prasseln eines Feuers und bemerkte die zuckenden Flammen. Graue Rauchschwaden stiegen in den Nachthimmel auf – zum Schneiden dick waren die.

Das Ranchhaus brannte lichterloh! Eine unvorstellbare Hitze ging davon aus.

Jennifers Augen weiteten sich. Die Banditen hatten Feuer gelegt! Sie würden die Ranch in Schutt und Asche legen und... Jäh fiel ihr etwas ein.

»Charly?« Jennifer blickte sich um. »Charly? Wo bist du? Wo... O nein!« Ihr Verlobter lag neben der Viehtränke. Seine Augen waren auf sie gerichtet, als würde er ihr einen letzten, liebevollen Blick schicken. Doch es war kein Erkennen mehr darin. Er lebte nicht mehr. Seine Jacke war von Einschusslöchern gezeichnet. Ihr Charly, der in seinem ganzen Leben keinem Menschen ein Leid zugefügt hatte. Gegen diese Halunken hatte er keine Chance gehabt...

»O Charly!« Sie presste eine Faust vor ihren Mund, biss hinein, bis sie Blut schmeckte. Der Schmerz drang jedoch nicht bis in ihr Bewusstsein. Sie spürte nur den Kummer, die wie ein Wirbelsturm durch sie hindurchraste und ihr jeden klaren Gedanken raubte.

Sie taumelte zu ihrem Verlobten, sank neben ihm auf die Knie und strich zittrig über seine Brust. Von Kummer geschüttelt, beugte sie sich über ihn und weinte.

Wie viel Zeit verging... sie wusste es nicht. Irgendwann kroch die Kälte in ihre Glieder. Jennifer richtete sich auf und bemerkte den toten Rancher. Theodor Thompson war wie ein Vater für sie gewesen. Er hatte ihr versprochen, dass sie auf seiner Ranch immer ein Zuhause haben würde. Damit war es aus und vorbei.

Ihre Eltern waren bei einem Überfall auf die Eisenbahn ums Leben gekommen: Charly und sein Vater waren ihre einzige Familie gewesen. Und nun waren auch sie fort. Mit einem Mal breitete sich eine dunkle Leere in ihr aus, ganz so, als wäre sie mit den beiden einzigen Menschen gestorben, zu denen sie noch gehört hatte.

Aus dem Stall drang kein Laut. Die Pferde... die Halunken mussten sie mitgenommen oder getötet haben, sonst wäre ihr Rufen und Stampfen zu hören gewesen. Der Gestank des Feuers würde sie in Angst und Schrecken versetzen. Jennifer kannte die Tiere und wusste, die Stille war kein gutes Zeichen.

Vor wenigen Stunden hatte sie alles getan, um das Hengstfohlen aufzupäppeln, das von seiner Mutter nicht angenommen worden war. Sie hatte es gefüttert und warm gehalten. Und nun? Nun schien all das weit, weit zurückzuliegen.

Charly und sie hatten ihren Besuch in der Stadt sausen lassen, um das Fohlen zu versorgen. Wären sie doch nur gefahren, dann wäre er jetzt noch am Leben.

Ein ersticktes Schluchzen entfuhr ihr.

Jennifer packte die Lehne der grob gezimmerten Bank, die vor dem Ranchhaus stand, und zog sich daran empor.

Als sie aufrecht stand, war ihr so schwindlig, dass sie beinahe auf der Stelle wieder in den Schnee gestürzt wäre.

»Eddie?« Unsicher blickte sie sich um. »Horace?«

Kein Lebenszeichen kam von den beiden Cowboys.

Auch sonst regte sich nichts auf der Farm.

Keine Spur mehr von den Banditen. Was auch immer sie gewollt hatten – sie hatten es gefunden oder die Suche danach aufgegeben.

Jennifer holte tief Luft, ließ den Rand der Bank los und taumelte auf das Bunkhouse zu. »Eddie? Horace! Wo seid ihr? Bitte, antwortet mir doch.«

Nur das wütende Gebrüll der Flammen antwortete ihr. Das Feuer fraß sich wie ein hungriges Ungeheuer in das Ranchhaus vor. Und Rosita? Jennifers Hand fuhr an ihre Brust. Die Köchin ging abends früh schlafen. Sie...

»O nein!« Jennifer taumelte weiter. Sie suchte nach den anderen Bewohnern der Ranch und wurde allzu bald fündig. Die beiden Cowboys lagen mit eingeschlagenen Schädeln im Schnee. Von der Köchin fehlte jede Spur. Wenn sie noch im Haus gewesen war und geschlafen hatte, als das Feuer ausgebrochen war...

Ich muss sie suchen!

Jennifer taumelte auf das Haus zu.

Just in diesem Augenblick war ein ohrenbetäubendes Krachen zu vernehmen. Das Dach stürzte unter wildem Funkenregen ein! Balken schlugen donnernd auf. Flammen wurden vom Schnee erstickt. Noch mehr Rauch stieg auf.

»Nein!« Mit einem Mal drehte sich alles um Jennifer. Oben und unten schienen sich zu vermischen, und ehe sie es sich versah, stürzte sie erneut lang hin.

Sie wusste nicht, ob sie erneut das Bewusstsein verloren hatte, aber es musste wohl so gewesen sein, denn als sie wieder zu sich kam, lag sie auf einem schaukelnden Untergrund. In einer Kutsche! Sie spürte eine kratzige Wolldecke unter sich, roch den warmen Geruch von Pferden.

Wo war sie? Und, was noch wichtiger war, bei wem war sie? Freund oder Feind?

Als würde das noch eine Rolle spielen. Jennifer biss die Zähne so fest zusammen, dass es wehtat.

Sie tastete nach ihrer Verletzung, spürte einen Verband. Wer auch immer sie auf seinen Wagen geladen hatte, hatte sich um ihre Wunde gekümmert. Also wollte er sie wohl nicht umbringen. Aber wer...

Reese, ging es ihr durch den Kopf. Sie hatte aufgeschnappt, dass einer der Halunken den Anführer der Bande so genannt hatte. Hatten die Banditen sie mitgenommen? Dann musste sie hier weg! Und das schnell!

Sie wollte sich aufrichten, aber die kleinste Bewegung versetzte ihren ganzen Körper in lodernde Schmerzen. Wimmernd sank sie auf die Decke zurück.