Lassiter 2613 - Kenneth Roycroft - E-Book

Lassiter 2613 E-Book

Kenneth Roycroft

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Beschreibung

Lawrence County, Dakota Territory, September 1879
Vernon Ashmore fühlte sich sicher auf dem Kutschbock. Obwohl sein schwerer Frachtwagen immer tiefer ins Indianerland rumpelte, hatte er keine Angst. Jeder konnte sehen, dass er in friedlicher Absicht unterwegs war und Gutes tun wollte. Das zeigte die gut festgezurrte Ladung auf seinem Wagen auch jenen, die nicht lesen und schreiben konnten. Mit Töpfen und Pfannen, Spaten und Schaufeln war es ein ausgewählter Querschnitt des Sortiments, das er gemeinsam mit seinem Bruder Isaac in ihrem Hardware-Store Ashmore Bros. in Deadwood anbot.
Die schmale Strecke glich einem Hohlweg. Auf beiden Seiten ragten Erdreich und mannshohes Buschwerk auf.
Die beiden Gespannpferde scheuten jäh, stemmten sich im Geschirr gegen die Last des Wagens.
Denn plötzlich stand da ein Krieger, mitten auf dem Weg...


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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Lassiter und die Furie

Vorschau

Impressum

Lassiter unddie Furie

von Kenneth Roycroft

Lawrence County, Dakota Territory, September 1879

Vernon Ashmore fühlte sich sicher auf dem Kutschbock. Obwohl sein schwerer Frachtwagen immer tiefer ins Indianerland rumpelte, hatte er keine Angst. Jeder konnte sehen, dass er in friedlicher Absicht unterwegs war und Gutes tun wollte. Das zeigte die gut festgezurrte Ladung auf seinem Wagen auch jenen, die nicht lesen und schreiben konnten. Mit Töpfen und Pfannen, Spaten und Schaufeln war es ein ausgewählter Querschnitt des Sortiments, das er gemeinsam mit seinem Bruder Isaac in ihrem Hardware-Store Ashmore Bros. in Deadwood anbot.

Die schmale Strecke glich einem Hohlweg. Auf beiden Seiten ragten Erdreich und mannshohes Buschwerk auf.

Die beiden Gespannpferde scheuten jäh, stemmten sich im Geschirr gegen die Last des Wagens.

Denn plötzlich stand da ein Krieger, mitten auf dem Weg ...

Wie aus dem Nichts war er aufgetaucht. Vernon Ashmore konnte sich nicht erinnern, ob er von links oder rechts aus dem Gebüsch gesprungen war. Die nächste Wegbiegung war zehn Yard entfernt. Von dort konnte der Indsman nicht so schnell herbeigelaufen sein. Und Geräusche hatte er auch nicht verursacht.

Reflexartig straffte Ashmore die Zügel. Die Pferde warfen die Köpfe hoch, schnaubten unwillig. Hatte er eine Sekunde lang gedöst? Wie sonst konnte der Mann ihn so überrascht haben? Ashmore erschauerte.

Ohne dass er es wollte, verkrampften sich seine Hände um die Zügelenden – so respektgebietend sah der Mann aus.

Ein wahrer Hüne, ohne jede Kriegsbemalung. Das jettschwarze Haar hatte er straff zurückgebunden und zu einem Zopf geflochten, der an der linken Seite seines Halses bis auf den mächtigen Brustkasten fiel. Muskelpakete begannen dort und setzten sich in harten Strängen fort über die Schultern bis zu den Armen.

Seine Kleidung war einfach, eine aus Rohleder gefertigte Weste und Leggings aus dem gleichen Material, dazu noch Mokassins. Den Winchesterkarabiner hielt er wie ein Baby in der Armbeuge.

Letzteres wertete Vernon Ashmore als ein Zeichen dafür, dass der Indianer keine feindseligen Absichten hegte. Vermutlich gehörte er dem Stamm der Lakota Sioux an, die sich in dieser Gegend, westlich von Deadwood, neu angesiedelt hatten.

Die US-Army hatte sie vor wenigen Jahren vertrieben und in ein Reservat in North Dakota eingewiesen. Etwa hundert von ihnen waren von dort geflohen und in ihre alte Heimat zurückgekehrt.

Das Dorf, das sie hier gegründet hatten, war der Regierung ein Dorn im Auge. Unter Politikern aber auch in der Bevölkerung mehrten sich die Stimmen, die verlangten, es müsse ein Exempel statuiert werden. Ein Aufbegehren der Reservats-Indianer dürfe nicht hingenommen worden.

»Ich komme als Freund«, sagte Ashmore, um für sich erst einmal klare Verhältnisse zu schaffen. »Meine Absichten sind friedlich.«

Der Indianer grinste. »Du kommst, um Geschäfte zu machen.« Sein Englisch war perfekt. »Du willst meinen Leuten Sachen verkaufen, die sie nicht brauchen. Denkst du etwa, sie haben Geld?«

»Das – das müssen sie gar nicht«, stotterte Ashmore. »Wir haben mit euch schon immer Tauschgeschäfte gemacht.«

»Lassen wir das.« Die bronzehäutigen Gesichtszüge des Indianers verhärteten sich. »Wir haben keine Zeit. Ich bin ein Kundschafter meines Dorfs, und ich beobachte dich, seit du hier im Buschland aufgetaucht bist. Ich bin hier, um dich zu warnen. Du begibst dich in Tod und Verderben.«

»Aber ich sagte doch dass ich in friedlicher...«

»Alle werden sterben«, unterbrach ihn der Indianer düster. »Die Blaujacken sind gekommen, um uns alle zu töten. Und sie werden auch dich töten, denn es soll keine Zeugen ihres schändlichen Tuns geben. Also kehre um, bevor es zu spät ist.«

Ashmore konnte nicht glauben, was er hörte. Er wollte sagen: »Aber unsere Armee wird doch kein wehrloses Indianerdorf angreifen. Und mir werden sie schon gar nichts tun, ich bin doch ein Weißer.«

Doch er schwieg. Solche Worte wären der pure Hohn für den Indsman gewesen. Und dessen Absichten waren wirklich ehrenwert, wenn die Warnung denn der Wahrheit entsprach.

»Ich bin dankbar für deine Warnung«, sagte Vernon Ashmore daher. »Aber was kann ich denn tun?« Er blickte nach beiden Seiten. »Sieht so aus, als ob ich hier nicht wenden kann.«

Der Indianer schüttelte verständnislos den Kopf. »Ihr Weißen denkt immer nur an euren Besitz. Ich an deiner Stelle würde den Wagen stehen lassen und weglaufen.«

»Aber es muss doch eine Möglichkeit geben...« Ashmore sprach nicht weiter und sah sich verzweifelt um. Selbst wenn er die Pferde dazu bringen konnte, den Wagen ein Stück rückwärts zu bewegen, hätte es doch keinen Sinn gehabt.

Denn nirgendwo hinter ihm waren eine Ausbuchtung des Hohlwegs oder eine Abzweigung zu sehen. Also blieb nur die Flucht nach vorn. Ashmore unterdrückte ein bitteres Lachen über den Aberwitz, den die Redewendung in seinem Fall bedeutete.

Er wandte sich nach vorn und sagte: »Irgendwo muss ich doch...« Das »wenden können« blieb ihm im Hals stecken.

Denn der Indianer war verschwunden.

Julesburg, Sedgwick County, Colorado – Februar 1888

»Mir wird allmählich warm ums Herz«, sagte Elsie Page verschmitzt. »Und mehr als das.« Zur Untermalung räkelte sie sich in ihrem Sessel, unter der flauschigen Decke, unter der sie sich verkrochen hatte.

Sie hörte nicht auf, das prasselnde Kaminfeuer zu beobachten – wie es auch der große Mann in seinem Sessel gelegentlich tat. Die meiste Zeit war er jedoch damit beschäftigt, seine Gastgeberin von der Seite her zu betrachten. Sie tat, als würde sie es nicht bemerken.

Wahrscheinlich fiel es ihr leicht, Gleichgültigkeit vorzutäuschen, weil sie bewundernde Männerblicke gewohnt war.

Lassiter gab sich keine Mühe, seine Faszination zu verbergen. Seit er sie vor vier Jahren kennengelernt und zuletzt gesehen hatte, war sie noch schöner geworden. Ihr langes blondes Haar schimmerte wie Seide. Ihre Gesichtszüge waren von zarter Ebenmäßigkeit, und das eher dunkle Blau ihrer Augen vermochte tiefe Empfindungen ebenso widerzuspiegeln wie kühle Entschlossenheit.

Von ihm trennte sie ein Beistelltisch mit einer Rotweinkaraffe und zwei noch fast vollen Gläsern. Sowohl die Karaffe als auch die Gläser bestanden aus fein geschliffenem Kristall. Darin erzeugte das Züngeln der Flammen bizarr bewegte Reflexe, die das Scharlachrot des Weins mit Stichen aus glutvollem Licht durchdrangen.

Durch den kegelförmigen Spalt, den die dunkelroten Samtvorhänge der beiden Fenster freiließen, waren die großen Schneeflocken zu erkennen, die aus dem Abendhimmel herabschwebten. Auf den Fensterscheiben blieben sie haften und schmolzen augenblicklich zu dünnen Wasserfäden.

Lassiter hatte unaufgefordert die Kerze angezündet, die in einem Ständer aus massivem Messing ebenfalls auf dem Beistelltisch stand. Elsie hatte es mit einem zustimmenden Lächeln quittiert.

Das Sofa, gleich neben den beiden Sesseln, war leer geblieben. Elsie hatte es sich so gewünscht, ohne einen Grund dafür zu nennen. Warum, zum Teufel, hatte sie sich nicht gleich mit ihm aufs Sofa gesetzt?

Lassiter erinnerte sich, dass sie schon früher ein Faible dafür gehabt hatte, Dinge spannend zu machen. Das Telegramm, das sie ihm geschickt hatte, war entsprechend geheimnisvoll.

Brauche deine Hilfe in Julesburg – Stopp – Komm schnellstmöglich

Er vertraute ihr, seit er sie kannte. Deshalb hatte er seine Vorgesetzten bei der Brigade Sieben verständigt und war aufgebrochen.

Zu ihrer Neigung, Menschen auf die Folter zu spannen, passte auch der Empfang, den sie ihm bereitet hatte. Ihre Haushälterin hatte ihn ins Kaminzimmer geführt und ihm den Sessel zugewiesen – nicht ohne den Hinweis, dass er sich nützlich machen und das Kaminfeuer entfachen dürfe.

In die Decke gehüllt, war sie aus ihren privaten Räumen aufgetaucht – und überließ es seiner Fantasie, sich vorzustellen, ob sie etwas darunter trug oder nicht.

Lassiter dagegen fühlte sich fast nackt, nachdem er der Aufforderung der Haushälterin gefolgt war und seinen Patronengurt mit dem Remington neben sich auf den Fußboden gelegt hatte. Seine pelzgefütterte Lederjacke hatte er der Frau übergeben.

Gleich nach seinem Eintreffen auf dem Bahnhof von Julesburg hatte der große Mann sich auf den Weg zu Elsies Stadtvilla gemacht. Er hatte eine Kutsche genommen, weil die Gehsteige vollständig zugeschneit, die Straßen immerhin aber notdürftig vom Schnee geräumt worden waren.

Und es schneite weiter. Die Menschen verkrochen sich in der wohligen Wärme ihrer Häuser. Lassiter war nicht abgeneigt, es ihnen gemeinsam mit Elsie gleich zu tun. Allerdings hatte sie mit ihrer telegrafischen Bitte um Hilfe keine Einladung verbunden, bei ihr zu wohnen.

Ohne dass sie darüber Worte verlieren mussten, waren sie sich immerhin einig gewesen, dass ihr Wiedersehen an diesem kalten Winterabend ein gewisses Maß an Romantik verdient hatte. Ein Zufall war dieses Wiedersehen ganz und gar nicht. Denn bei ihrer ersten Begegnung hatten Gefühle eine große und überwältigende Rolle gespielt.

Danach hatte sie Karriere gemacht – in einem Beruf, der eher als Männerdomäne galt.

Dr. Elizabeth Page war die jüngste und erfolgreichste Rechtsanwältin und Strafverteidigerin in den Vereinigten Staaten. Umso bemerkenswerter war dies, weil Frauen in der Justiz eine absolute Seltenheit waren.

Fachzeitschriften und Zeitungen hatten über sie berichtet. In Nebensätzen wurde erwähnt, dass Freunde und Bekannte sie ausnahmslos Elsie nannten.

Bereits während ihrer Schulzeit in Julesburg war sie als hochbegabtes Kind aufgefallen. Schon damals hatte sie sich zur Juristerei hingezogen gefühlt. Ohne Frage war das dem positiven Einfluss ihrer Eltern geschuldet.

Beide waren erfolgreiche Anwälte. Inzwischen waren sie nach Kalifornien umgezogen, wo sie sich mit einem gemäßigten Arbeitspensum auf den Ruhestand vorbereiteten.

Die Villa in Julesburg hatten sie bereits Elsie überschrieben – gewissermaßen als Belohnung für ihre außergewöhnlichen Leistungen. Lassiter hatte sie kennengelernt, als sie an einem Kongress des Justizministeriums in Washington DC teilnahm.

Noch während ihres Studiums war sie zu jenem Kongress als Referentin eingeladen worden, weil sie vielbeachtete Aufsätze über die Rechte von Frauen veröffentlicht hatte.

Mit ihrer Forderung, auch Frauen das Wahlrecht einzuräumen, war Elsie nicht allein. Doch durchgesetzt hatten sie und ihre Mitstreiterinnen sich noch immer nicht. Obwohl Elsies Doktorarbeit zu dem Thema Aufsehen erregt hatte, war ihr damit noch kein Durchbruch gelungen.

Elsie hob ihr Glas, Lassiter tat es ihr nach, und über den Kristallrand hinweg wechselten sie einen tiefen Blick, ehe sie einen bedächtigen Schluck tranken.

»Bist du inzwischen weitergekommen?«, fragte er, nachdem sie die Gläser abgestellt hatten.

In ihren Augen entstanden amüsierte Funken, als sie antwortete. »Wenn du mir verrätst, wovon du sprichst, gebe ich dir gern eine kluge Antwort.«

Er schmunzelte. »Das habe ich von dir gelernt.« Auf ihr Stirnrunzeln und ihren fragenden Blick fügte er rasch hinzu: »In Rätseln zu sprechen.«

Sie lachte. »Allright, dann will ich nicht so tun, als ob ich nicht wüsste, was du meinst.« Sie raffte die Decke ein Stück höher. »Nein, mit dem Frauenwahlrecht sind wir – unser Club von Gleichgesinnten – noch keinen einzigen Schritt weitergekommen. Pessimistinnen unter uns befürchten, dass wir den Fortschritt wahrscheinlich nicht mehr erleben werden.«

»Zu den Pessimistinnen gehörst du aber nicht.«

»Du kennst mich gut.« In der Tiefe ihrer Pupillen erglühten Freudefunken.

Lassiter nickte und behauptete: »Deshalb will ich auch gar nicht wissen, weshalb ich hier bin.«

»Ach du Ärmster!«, rief sie. »Jetzt bist du ein beklagenswertes Opfer meiner Rätselhaftigkeit. Erlaubst du mir, dich aus deinem Schmollwinkel zu befreien?«

»Kommt auf die Methode an«, erwiderte er und zwinkerte ihr zu.

Sie ging auf seine zweideutige Anspielung nicht ein. Doch er wusste genau, dass sie darauf zurückkommen würde. Später.

»Es handelt sich um eine Mordanklage«, sagte sie ernst. »Ein Mann soll zum Tode verurteilt werden, obwohl er unschuldig ist. Die wahren Mörder belasten ihn durch Falschaussagen.«

»Wann und wo findet der Prozess statt?«

»Hier in Julesburg, weil der Mann von hier stammt. Einen Termin haben wir noch nicht. Das Gericht setzt aber alles daran, das Verfahren spätestens in drei Monaten abschließen zu können – sprich, den armen Kerl zu hängen.«

»Und du hast seine Verteidigung übernommen.«

Elsie nickte. »Im Auftrag seiner Frau. Sie hat den Richter überzeugt, dass ich den Pflichtverteidiger ersetzen darf. So weit so gut. Aber die Frau ist zugleich ein Problem. Sie ist die reinste Furie. Wenn sie etwas erreichen will, scheut sie selbst vor Tobsuchtsanfällen nicht zurück.«

Lassiter lächelte. »Das heißt, sogar ein Richter lässt sich von ihr um den Finger wickeln, um seine Ruhe zu haben.«

»Du hast es erfasst.« Elsie erwiderte das Lächeln des großen Mannes auf verschmitzte Weise. »Du weißt, dass Männer auf die Durchsetzungskraft starker Frauen meist nachgiebig reagieren.«

»Ist das nicht auch dein Erfolgsrezept?«

Elsie ging nicht darauf ein, reagierte vielmehr mit einem tiefen Blick.

»Ich werde dir den Fall ausführlich schildern«, erklärte sie. »Das kann eine Weile dauern. Natürlich werde ich dich zu später Stunde nicht hinaus in die Kälte schicken. Ich habe eins der Gästezimmer für dich vorbereiten lassen.«

»Weise Voraussicht«, lobte Lassiter sie. Er ergriff sein Glas und lehnte sich zurück. »Erzähle.«

Elsie folgte seinem Beispiel und nippte an ihrem Rotwein. Sie stellte das Glas zurück und begann mit ihrem Bericht über den Hardware-Händler Vernon Ashmore aus Deadwood in South Dakota.

»Alles fing an mit einem Geschehen, das mittlerweile neun Jahre zurückliegt. Es war im September achtzehnhundertneunundsiebzig außerhalb von Deadwood im Lawrence County. Vernon fuhr mit seinem Frachtwagen ins Indianerland, wo Lakota Sioux ein Dorf gegründet hatten. Er wollte ihnen Haushaltswaren und Farmgeräte verkaufen.«

In allen Einzelheiten beschrieb Elsie, wie der Sioux-Krieger den Hardware-Händler unvermittelt aufgehalten und gewarnt hatte. Das plötzliche Verschwinden des Indianers mochte zwar rätselhaft gewesen sein, doch Vernon Ashmore sollte ihn kurz darauf noch einmal wiedersehen – unter grässlichen Bedingungen.

Lawrence County, Dakota Territory – September 1879

Das Gefühl der Sicherheit auf dem vertrauten Kutschbock hatte den Hardware-Händler vollständig verlassen. Er ließ die Zügel auf den Rücken der Pferde klatschen, und während sich der Frachtwagen ruckend in Bewegung setzte, spürte Ashmore die aufsteigende Angst als ein Brennen tief in seinem Inneren.

Der Hohlweg schien kein Ende nehmen zu wollen. An keiner Stelle verbreiterte sich der Weg. Nach jeder Biegung war es das gleiche Bild: Mit festem, hüfthohem Erdreich zu beiden Seiten ging es weiter, und darüber wollte auch das dichte, mannshoch aufragende Buschwerk kein Ende nehmen. Nur der Himmel war sichtbar. Ansonsten glich der Weg einem Tunnel.

Genau das war es, was Vernon Ashmore zur Verzweiflung trieb. Das bisschen freie Sicht nach oben nützte ihm überhaupt nichts. Mehr und mehr fühlte er sich gefangen, in eine Richtung gezwungen, von der er nicht wusste, wo und wie sie enden würde. Nicht er bestimmte über sein Handeln, sondern dieser gottverdammte Tunnelweg.

Er hatte die Pferde längst zu schärferer Gangart angetrieben, doch auch das half ihm nicht. Ein Ausweg kam einfach nicht in Sicht. Er fragte sich, warum der Indianer ihn eigentlich gewarnt hatte, wenn es doch keine Möglichkeit zum Umkehren gab. Hatte der Sioux ihn etwa nur verhöhnen wollen?

Vielleicht hockte der Kerl irgendwo in der Nähe auf einem Hügel und ergötzte sich daran, wie das Händler-Bleichgesicht geradewegs in eine tödliche Falle fuhr.

Angstschweiß rann Vernon Ashmore von der Stirn und setzte sich brennend in seinen Augenwinkeln fest. Seine Gedanken kreisten um das unausweichliche Verhängnis. Inzwischen malte er es sich aus wie in einem Albtraum.

Er sah sich mit seinem Wagen, wie er direkt in einen Kugelhagel fuhr. Auf der einen Seite die angreifenden Kavalleristen, die aus allen Rohren feuerten. Auf der anderen Seite die Indianer, die sich mit veralteten Karabinern verzweifelt zur Wehr setzten.

Nach einer weiteren Biegung gabelte sich der Weg plötzlich.

Es kam für Ashmore so überraschend, dass er die Abzweigung in freieres Gelände fast verpasste. Gerade noch rechtzeitig konnte er die beiden Gespannpferde zügeln und nach links lenken.

Dort öffnete sich der Weg auf eine sandige Fläche, die von vereinzelt stehenden Büschen umsäumt wurde und nach Westen hin offen war. Der Blick dorthin fiel bis zu dem Hügelland am Horizont. Was sich unterhalb der Sandfläche befand, war noch nicht auszumachen.

Ashmore lenkte den Wagen nur bis in die Mitte der Fläche und wendete ihn vorsorglich. Er brachte die Pferde zum Stehen und zog die Handbremse an. Er nahm sich vor, die Tiere gleich als Nächstes aus den Wasserflaschen zu versorgen und ihnen die Hafersäcke umzuhängen.

Vorher aber musste er sich Gewissheit darüber verschaffen, wo er sich befand.