Lassiter 2725 - Kenneth Roycroft - E-Book

Lassiter 2725 E-Book

Kenneth Roycroft

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Beschreibung

"Nein, verdammt noch mal! Nein, habe ich gesagt. Will das in deinen verdammten Schädel nicht hinein? Verschwinde! Lass dich hier nie wieder blicken, verfluchter Betrüger!" Sie schrie es, bis sie keine Luft mehr bekam. Wutentbrannt und nach Atem ringend riss sie den Sechsschüsser empor, den sie bis eben noch am langen Arm gehalten hatte.
"Ach, Lucinda", sagte Calhoun spöttisch, wie zu einem garstigen Kind. "Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Nimm den Revolver runter. So was ist kein Spielzeug, Kleines."
"Nenn mich nicht Kleines!", kreischte sie, und ihre Stimme überschlug sich vor Zorn. "Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben! Du kannst nicht mal davon träumen, Teilhaber in meinem General Store zu werden."


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Seitenzahl: 122

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Calhouns großer Deal

Vorschau

Impressum

Calhouns großer Deal

von Kenneth Roycroft

»Nein, verdammt noch mal! Nein, habe ich gesagt. Will das in deinen verdammten Schädel nicht hinein? Verschwinde! Lass dich hier nie wieder blicken, verfluchter Betrüger!« Sie schrie es, bis sie keine Luft mehr bekam. Wutentbrannt und nach Atem ringend riss sie den Sechsschüsser empor, den sie bis eben noch am langen Arm gehalten hatte.

»Ach, Lucinda«, sagte Calhoun spöttisch, wie zu einem garstigen Kind. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Nimm den Revolver runter. So was ist kein Spielzeug, Kleines.«

»Nenn mich nicht Kleines!«, kreischte sie, und ihre Stimme überschlug sich vor Zorn. »Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben! Du kannst nicht mal davon träumen, Teilhaber in meinem General Store zu werden.«

Er tat, als hätte er nicht zugehört. »Komm schon«, lockte er sie. »Nimm mich mit in dein Schlafzimmer. Dann geht's dir schnell bes–« Er verstummte entsetzt, als sie den Hahn des Colts spannte und die Linke zum Fächern darüber hob.

»Tanze!«, rief sie, plötzlich heiter. »Na los, zeig, was du kannst.« Sie hörte sich an wie ein kleines Mädchen, das zu einem vergnüglichen Kinderhüpfspiel animierte. Doch im Gegensatz zu dem imaginären kleinen Mädchen ließ sie es nicht bei Worten bewenden.

Sie feuerte.

Russell Calhoun stierte ungläubig auf den Sechsschüsser in ihrer Rechten, als der erste Mündungsblitz aus dem Lauf zuckte. Und noch im selben Sekundenbruchteil folgte der Einschlag.

Eine Handbreit vor seiner rechten Stiefelspitze fuhr die 45er-Kugel in den Boden der Mainstreet. Es war, als hätte genau dort ein unsichtbarer Vorschlaghammer zugeschlagen. Ein kleiner Staubschwall ergoss sich über ebenjenen Stiefel des schlanken dunkelhaarigen Mannes.

Seine blauen Augen, die Lucinda so sehr fasziniert hatten, weiteten sich vor Schreck unter der vorn herabgebogenen Breitkrempe seines grauen Stetsons. Und reflexartig begann er zu hüpfen – winkelte erst das rechte Bein an und dann das linke, als die nächste Kugel einschlug.

Mit angstverzerrtem Gesicht machte er weiter, als Lucinda die nächsten vier Kugeln aus dem Lauf fächerte. Sofort begann sie mit dem Nachladen, indem sie die leeren Patronenhülsen ausstieß.

Geschickt und blitzschnell zupfte sie neue Patronen aus den Schlaufen des Revolvergurts und ließ sie in die Trommelkammern gleiten.

Calhoun verharrte. Sein Grinsen verriet ihn. Seine Rechte ruckte abwärts. Noch im selben Moment fiel ihm das Grinsen aus dem Gesicht. Denn knapp über dem Revolverkolben stoppte etwas wie aus dem Nichts seine Bewegung.

Lucinda hatte das Laden nur kurz unterbrochen. Mehr als einen Atemzug brauchte sie nicht, dann schnellte ihre Hand hinter dem Rücken hervor.

Der 32er-Smith & Wesson, den sie nun im Anschlag hielt, wurde »Ladysmith« genannt. Auf die kurze Distanz war der kleine Smith genauso tödlich wie der 45er-Colt. Das wusste jedes Kind im Westen.

Der schwere Colt ruhte in der linken Hand der Storekeeper-Tochter, nur halb nachgeladen, die Ladeklappe noch geöffnet.

»Du kannst machen, was du willst«, sagte sie eisig. »Bevor du abdrückst, habe ich dir eine Kugel auf den Pelz gebrannt. Also tanze weiter. Nur diesmal klemmst du die Daumen unter den Hosengürtel. Dann kommst du nicht auf dumme Gedanken. Na, los!«

Calhoun zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. »Du kannst mich mal«, knurrte er. »Ich denke nicht daran...«

Lucinda zog durch. Der 32er-bellte scharf und schneidend. Die Kugel schlug vor Calhouns linker Stiefelspitze ein. Der hammerharte Hieb in den Boden fühlte sich nicht weniger gefährlich an als der des Colts.

Der Betrüger zuckte zusammen. Und augenblicklich hüpfte er wieder. Von Panik getrieben, winkelte er die Beine abwechselnd an. Geradezu elegant federte er ungewollt auf den Stiefelspitzen nach.

Diesmal entging er den Kugeln nur um Haaresbreite.

Denn Lucinda erhöhte das Tempo. Sie zwang Calhoun, den Rhythmus zu steigern. Dabei streuten ihre Schüsse kaum mehr als zuvor. Denn sie war eine Meisterin mit den Revolvern, feuerte nun abwechselnd mit beiden Waffen und erledigte das Nachladen schnell und mit größtem Geschick.

Jedes Mal, wenn Calhoun nach dem Einschlag einer Kugel ein Stück zurückwich, visierte sie neu und präzise an. So gab es keine Erleichterung für den Betrüger. Jeder ihrer Schüsse traf auf die gleiche knappe Distanz, nicht mehr als einen halben Inch von seinen Stiefelspitzen entfernt.

Noch einmal wagte er es nicht, sie beim Nachladen des Colts und des Smith & Wesson zu stören. Gehorsam tanzte er weiter und behielt den hektischen Rhythmus auch in der nächsten Feuerpause bei.

In der vorübergehenden Stille klangen Calhouns Tanzschritte wie dumpfe kleine Trommelschläge.

Verglichen mit dem Colt, liefen Lucindas Handgriffe beim Nachladen des Ladysmith noch schneller ab. Denn es handelte sich um einen Kipplaufrevolver mit modernster Technik. Beim Abknicken des Laufs wurden alle fünf leeren Patronenhülsen auf einmal ausgestoßen.

Frische 32er-Patronen hatte Lucinda in den Gurtschlaufen auf der linken Körperseite untergebracht. Die rechte Gurthälfte war den 45er-Patronen vorbehalten.

Calhoun brach in Schweiß aus. Er begann zu keuchen, während er sich abmühte, seinen rasanten Tanzrhythmus beizubehalten.

Mit jedem Hüpfschritt wurde ihm klarer, dass Lucinda mit Waffen und Munition nicht nur bestens ausgestattet war, sondern dass sie auch routiniert damit umgehen konnte. Warum das so war, hatte sie ihm in der kurzen Zeit ihres Kennenlernens schon einmal erklärt.

Im General Store ihrer Großeltern war sie auch für die Sicherheit zuständig. Einbrecher bei Nacht und Ladendiebe bei Tag stellte sie mit eiskalter Überlegenheit und übergab sie dem Town Marshal.

Bei derartigen Einsätzen verwendete sie eine Schrotflinte mit abgesägtem Doppellauf, um sicherzugehen, dass sie die Strolche nicht verfehlte, wenn es darauf ankam. Meist genügte indes der Anblick der Doppelläufigen im Schein von Lucindas Handlaterne, um die Kerle zur Räson zu bringen.

Unvermittelt änderte sie die Tanzrichtung. Mit wenigen schnellen Schritten, während sie weiter feuerte, wechselte sie auf Calhouns linke Seite. Von der neuen Position trieb sie ihn im Halbkreis über die Mainstreet zurück.

Trotz des demütigenden und anstrengenden Hüpfens entging es Russell Calhoun nicht, wohin sie ihn haben wollte. Noch zwei, drei Yard vom Gehsteig entfernt, musste er sich zusammenreißen, um nicht freudig zu grinsen.

Er befand sich auf direktem Weg zum Eingang des General Stores. Obwohl er innerlich frohlockte, gelang es ihm, abgekämpft und angstvoll auszusehen – wie einer, der nicht die geringste Ahnung hatte, was seine Peinigerin jetzt mit ihm vorhatte.

Auf den Gehsteigen der Mainstreet hatte sich inzwischen eine beachtliche Zahl von Schaulustigen zusammengefunden. Mit dem gebotenen Abstand, amüsiert und gespannt zugleich, beobachteten sie das Geschehen.

Die Frauen unter den Neugierigen tuschelten angeregt, ohne den Blick von der schießwütigen Storekeeperin und ihrem tanzenden Lover zu wenden. Die Männer schauten eher schweigend zu und hatten nicht mehr als ein mitleidiges Grinsen für Calhoun übrig.

Was da passierte, geschah ihm recht. In dem Punkt waren sich alle Zuschauer einig. Vor etwas mehr als einem Monat war er hier in Briscoe aufgetaucht. Seit sich ihre Zukunftsaussichten herumsprachen, lockte die aufstrebende kleine Stadt im texanischen Panhandle Fremde an.

Im Wheeler County, dessen Amtssitz Briscoe war, sprudelte Erdöl aus einer vor kurzem entdeckten Quelle. Es hieß, der Eigentümer des Grund und Bodens, ein Rancher, habe einen Zuber aufgestellt und im flüssigen schwarzen Gold gebadet.

Inzwischen war an der Bohrstelle eine Pumpstation eingerichtet worden. Geologen schwärmten im County aus, um weitere Ölquellen aufzuspüren und zu erschließen. Reichtum kündigte sich an.

Ebendiese Zukunftsaussichten waren es, die das Wheeler County und die Stadt Briscoe bekannt machten. Zeitungsberichte über neu zu erschließende Ölfelder verbreiteten sich überall in den Vereinigten Staaten.

Abenteurer, Glücksritter und Spekulanten machten sich auf den Weg nach Texas. Vergleiche mit dem Goldrausch in Kalifornien wurden gezogen – Vergleiche, die keineswegs hinkten.

Der große Ansturm auf Briscoe stand allerdings noch aus. Auch waren die Menschen in der Stadt nicht einmal sicher, ob der Betrüger Russell Calhoun wegen des Öls hergekommen war.

Gemunkelt wurde, dass er sich zuerst im benachbarten Allison aufgehalten habe und im dortigen Stützpunkt der US-Cavalry gesehen worden sei. Nach Briscoe sei er nur gekommen, weil es in Allison kein Hotel gab.

Aus dem »Lone Star« in Briscoe war Calhoun dann aber nach vier, fünf Tagen ausgezogen und in »Dale's General Store« umgezogen, nachdem er sich bei der jungen Inhaberin eingeschmeichelt hatte.

Vorgestellt hatte er sich als Erbe einer großen Pferde- und Rinderranch in North Dakota. Zu deren bedeutenden Einnahmequellen gehöre die Lieferung von Pferdekontingenten an die Kavallerie.

Und nun, so behauptete er, sei er südwärts unterwegs, um das Geschäft der elterlichen Ranch auszuweiten. Gegenüber Lucinda Dale hatte er bereits damit geprahlt, dass er genau das tue, was von einem dynamischen Jungrancher erwartet werde.

Nämlich, auf dem geschäftlichen Fundament der Eltern aufzubauen und eine neue Erfolgsgeschichte daraus zu entwickeln.

Lucinda hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Wahrscheinlich glaubte sie noch immer, dass er ihre Gefühle erwiderte. Denn davon waren die Menschen überzeugt: Die Show im Straßenstaub vor dem General Store war nur ein Geplänkel, mit dem Lucinda ihre Beziehung zu Russell Calhoun festigen wollte.

Eine erneute Feuerpause fesselte die Aufmerksamkeit der Neugierigen.

Calhoun trat auf der Stelle, als er die beiden Stufen zum Gehsteig unter dem Vordach des Stores erreichte. Zur Straße hingewandt, die Daumen nach wie vor unter dem Hosengürtel, wartete er geduldig tanzend auf neue Instruktionen.

Indes hatte er sein unerschütterliches Selbstbewusstsein zurückgewonnen und war nun sicher, zu wissen, was auf ihn zukam.

Lucinda hatte ihre Revolver gewohnt routiniert nachgeladen. Ein siegesgewisses Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, während sie auf den Straßenstaub vor Calhouns Stiefelspitzen zielte.

Sie feuerte zweimal und lachte, als der Betrüger zusammenzuckte, und seinen Tanz erneut beschleunigte.

»Immer noch der alte Angsthase?«, rief sie, und die Zuschauer stimmten in ihr Lachen ein.

Calhoun lief puterrot an. Doch seine Peinigerin zeigte kein Mitleid. Sie gönnte ihm keine Pause. Unverdrossen feuerte sie weiter.

»Ab in den Laden«, kommandierte sie zwischen zwei Schüssen. »Du kennst den Weg!«

»Klar, ins Schlafzimmer«, antwortete er erleichtert.

»Was bildest du dir ein?«, schrie sie. »Ins Sacklager, aber pronto!«

Johlendes Gelächter begleitete den Betrüger auf seinem Fluchtweg durch die offene Eingangstür des General Store. Lucinda jagte zwei letzte Kugeln in die Gehwegplanken unter dem Vordach. Dann folgte sie dem Gedemütigten und rief laut und drohend wie die Heldin in einer Komödie des Laientheaters: »Dir werde ich die Leviten lesen!«

Die Zuschauer belohnten sie mit begeisterten Bravo-Rufen und anhaltendem Beifall.

Die Postkutsche schaukelte, als Lassiter den Schlag der Fahrgastkabine öffnete und auf das Trittbrett hinaustrat. Eine graue Maus empfing ihn unter dem Vordach des Hotelportals. Er war darüber informiert, dass die Brigade Sieben in Briscoe durch eine Anwältin vertreten wurde.

Weil er der einzige Passagier war und sie die einzige Wartende, brauchten sich beide nicht mit einer Vorstellung aufzuhalten. Die unscheinbar wirkende Frau kam sofort zur Sache.

Am Vordach war ein gelb lackiertes Holzschild befestigt. Mit riesigen schwarzen Lettern verkündete es, dass es sich hier um das »Lone Star Hotel« handelte.

Die Lady redete schnell wie eine Gatling Gun. So erfuhr der große Mann, noch bevor er den Boden der Stadt Briscoe betrat, was sich vor fünf Tagen drei Häuser weiter ereignet hatte – vor dem General Store.

Und den Mann, dessentwegen er hier war, brauchte er nicht erst zu suchen.

Russell Calhoun hatte sich vergaloppiert – und war unter der Fuchtel einer Frau gelandet. Natürlich ließ er sich nicht nur deshalb wie einen Trottel behandeln, weil er sich in der Rolle gefiel.

Lassiter und die Anwältin waren vermutlich die Einzigen in Briscoe, die die wahren Gründe für Calhouns Auftreten kannten.

Die Brigade Sieben verdächtigte ihn, illegale Geschäfte mit Armeewaffen zu machen, die er aus Mexiko beschaffte. Deshalb war seine Trottelrolle hier in Briscoe zweifellos nur eine Tarnung für ihn.

Die Einwohner konnten ohnehin von nichts wissen. Daher nahmen sie es ihm vermutlich ab, dass er sich bei der Storekeeperin nur deshalb beliebt machte, weil sie eine gute Partie war. Aber was führte der Kerl wirklich im Schilde?

Lassiter würde es herausfinden. Die Spuren, die er dazu aufnehmen musste, waren bereits vorgezeichnet.

»Ich kann Ihnen sagen, da haben Sie etwas verpasst«, schloss die Anwältin ihren Bericht und fügte sogleich hinzu: »Sie sind Mr. Lassiter. Mein Name ist Mayme Schafer. Ich betreibe eine Anwaltskanzlei hier in Briscoe, und ich bin Ihre Kontaktperson – ob Sie's glauben, oder nicht.«

»Das ist keine Glaubensfrage, Mrs. Schafer«, erwiderte der große Mann.

»Es ist Miss Schafer«, sagte sie rasch. »Und nennen Sie mich bitte Mayme.«

Er nickte und lächelte. »Gern, Mayme. Ich kann mit einem Vornamen leider nicht dienen. Lassiter ist Nachname und Vorname zugleich.«

Sie schmunzelte und neckte ihn: »Ein bedauernswerter Mangel. Wie soll man Ihnen da näherkommen?«

Er behielt sein Lächeln bei. »Ich denke«, sagte er gedehnt, »dafür gibt es andere Wege und Möglichkeiten.«

Sie schürzte die Lippen. »Und die haben mit meiner beruflichen Qualifikation nicht das Geringste zu tun. Richtig?«

»Keine Frage«, entgegnete er. »Aber stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Mayme. Weil Sie den Job ausüben, haben Sie sich dafür qualifiziert. Weshalb sollte ich also Zweifel an Ihrer Kompetenz haben?«

»Weil es Männer gibt, die Frauen grundsätzlich nichts zutrauen.«

»Die gibt es sicherlich.« Lassiter verzichtete auf einen weiteren Kommentar. Er musste nicht beteuern, dass er keineswegs zu der Sorte gehörte, von der sie sprach. Er wusste, dass ihr Urteilsvermögen ausreichte, um es selbst herauszufinden.

Er war auf der ersten der beiden Stufen zum Gehsteig stehengeblieben. So befand er sich auf Augenhöhe mit der Anwältin. Er hatte die Dauer ihrer Ansprache genutzt, um sie zu betrachten.

Die vermeintliche graue Maus war eine Schönheit. Brünettes, leicht naturgewelltes Haar umrahmte ihr Gesicht mit samten schimmernder Fülle. Ihre Frisur bestach durch eine fast männliche Einfachheit, die ihre ebenmäßigen und zarten Züge dennoch wirkungsvoll unterstrich.

Sanft geschwungene Brauen betonten den tiefgründigen Ausdruck ihrer braunen Augen. Zugleich vermittelten diese Augen eine charakterliche Wärme, die in frappierendem Gegensatz zu der nüchternen Juristensprache stand, in der sie das Geschehen um Lucinda Dale und Russell Calhoun schilderte.

»Calhoun ist Ihr Mann, Lassiter«, schloss sie ihren Bericht flüsternd, nachdem sie sich umgesehen hatte, um sich zu vergewissern, dass niemand zuhörte.

Lassiter nickte und lächelte. Bei jeder anderen Frau hätte er sich spöttisch für ihre Feststellungen bedankt, die für ihn selbstverständlich waren. In ihrem Fall wusste er jedoch auf Anhieb, dass er jede ihrer Bemerkungen als ernsthaft akzeptieren würde – selbst wenn sie ihm vorrechnete, dass zwei plus zwei vier ergaben.

Himmel, nein, er dachte nicht daran, sich über sie lustig zu machen.

Ihrer Ausstrahlung, das spürte er schon jetzt, würde er sich nicht entziehen können. Denn selten hatte ihn eine Frau vom ersten Moment an derart in ihren Bann gezogen wie diese entzückende Anwältin, die so bezaubernd staubtrocken sprechen konnte.

Hinter ihrer Fassade, das ahnte er, glomm ein Feuer der Leidenschaft, das nur entfacht werden wollte.

Der Graue-Maus-Eindruck wurde einzig und allein von ihrem Hosenanzug hervorgerufen. Zum Jackett trug sie eine überaus konservative weiße Bluse, deren Langweiligkeit sie jedoch mit einer aufgeplusterten feuerroten Cravat entkräftete.