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Das Kind blickte zu der Frau auf. Es schluchzte herzerweichend. Sein kleiner Brustkorb hob und senkte sich wie unter schweren Krämpfen. Tränen überfluteten seine Augen.
"Warum hast du das getan?", schrie das Kind mit aller Verzweiflung seiner wunden Seele.
Eine feine Fahne von Pulverrauch stieg noch aus der Laufmündung, als die Frau den Revolver ins Holster senkte. "Es musste sein, mein Junge", sagte sie sanft. "Du weißt, dass ich keine andere Wahl hatte. Es ist das Beste für uns beide."
"Ist es nicht!", schrie er und schlug ihre Hand weg, als sie ihm über das Haar streichen wollte. Breitbeinig und mit trotzig verschränkten Armen baute er sich vor dem leblosen Körper seines Vaters auf, als würde er ihn noch im Tod beschützen können.
Seine Mutter schüttelte den Kopf. "Eines Tages wirst du es verstehen." Ihr Lächeln nahm einen kalten Zug an, als sie es sagte.
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Im Land der schwarzen Todesboten
Vorschau
Impressum
Im Land derschwarzenTodesboten
von Kenneth Roycroft
Das Kind blickte zu der Frau auf. Es schluchzte herzerweichend. Sein kleiner Brustkorb hob und senkte sich wie unter schweren Krämpfen. Tränen überfluteten seine Augen.
»Warum hast du das getan?«, schrie das Kind mit aller Verzweiflung seiner wunden Seele.
Eine feine Fahne von Pulverrauch stieg noch aus der Laufmündung, als die Frau den Revolver ins Holster senkte. »Es musste sein, mein Junge«, sagte sie sanft. »Du weißt, dass ich keine andere Wahl hatte. Es ist das Beste für uns beide.«
»Ist es nicht!«, schrie er und schlug ihre Hand weg, als sie ihm über das Haar streichen wollte. Breitbeinig und mit trotzig verschränkten Armen baute er sich vor dem leblosen Körper seines Vaters auf, als würde er ihn noch im Tod beschützen können.
Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Eines Tages wirst du es verstehen.« Ihr Lächeln nahm einen kalten Zug an, als sie es sagte.
»Niemals!«, hörte Robert Cavanagh sich noch schreien, als er schon erwachte. »Niemals werde ich es verstehen.«
Mit schweißüberströmtem Gesicht fuhr er aus den Kissen hoch. Keuchend setzte er sich auf, streckte die Arme nach hinten und stützte sich mit beiden Händen ab. Er schloss die Augen, obwohl er in der Dunkelheit seines Schlafzimmers ohnehin nichts sehen konnte.
Der Albtraum verfolgte ihn seit seiner Kindheit. Immer wieder durchlebte er die Schreckensszene, die ihn damals in einen Schockzustand versetzt hatte. Tagelang, ja, wochenlang hatte er nicht sprechen können, damals.
Du lieber Himmel, er war fünf Jahre alt gewesen, als seine Mutter seinen Vater erschossen hatte. Wie sollte ein Kind in dem Alter begreifen, was erwachsene Menschen einander antun konnten?
Und noch heute, als Sechsundzwanzigjähriger, konnte er nicht verstehen, wie es möglich war, dass die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau in tödlichen Hass umschlug. Und er war überzeugt: Niemals, wahrscheinlich bis ans Ende seines Lebens, würde er das verstehen.
✰
»Heißen Sie Lassiter, Sir?«
Die Stimme übertönte das einschläfernde Rollgeräusch des Zuges nur knapp. Möglich auch, dass der Mann eingeschüchtert war und deshalb leise sprach.
Der Mann der Brigade Sieben schob den Stetson aus seinem Gesicht. Aus dem Dösen erwachend, sah er als Erstes Messingbuchstaben, die im Sonnenlicht des Pullmannwagens blitzten und ihn blendeten. Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder und entzifferte die Buchstaben. Groß und blitzblank poliert ragten sie über dem schwarzen Schirm einer topfförmigen Dienstmütze auf.
NPRR – Northern Pacific Rail Road
Das Gesicht des Schaffners wurde zur Hälfte von dem Mützenschirm beschattet. Trotzdem konnte Lassiter in dem Gesicht lesen. Noch bevor der Railroad-Clerk ein weiteres Wort von sich geben musste, sagte es stumm: Ich habe Angst. Ich werde bedroht. Ich stehe nicht freiwillig vor Ihnen, Sir.
Laut, doch immer noch zaghaft sagte er: »Jemand hat nach Ihnen gefragt, Sir.«
»Jemand?«, brummte Lassiter gespielt schläfrig. »Ein Mann oder eine Frau?«
»Ein Mann, Sir.«
»Nur einer?«
Eine andere, tiefere Stimme antwortete – aus dem Gang hinter Lassiters Rücken.
»Nein, wir sind viele.«
»Viel Feind, viel Ehr«, entgegnete der große Mann spöttisch, obwohl er in diesem Moment bereits wusste, dass er keinen Grund zum Scherzen hatte.
Er drehte sich nicht um. Stattdessen blickte er dem Schaffner nach, der sich linkisch und mit einem gequälten Lächeln verbeugte und nach hinten in den Gang zurückzog. Die wenigen Passagiere, die es außer Lassiter in dem komfortablen Pullmanwagen noch gab, schlossen sich dem Uniformierten eilends an.
In Windeseile verschwanden alle gemeinsam im Durchgang zum nächsten Waggon.
»Na, dann wären wir ja unter uns«, sagte die Baritonstimme von soeben.
Lassiter machte nicht den Fehler, sich zu bewegen. Stattdessen achtete er auf jedes Detail des Geschehens, soweit es sich innerhalb seines Blickfelds abspielte.
Der Bariton hatte den Platz des Schaffners eingenommen und versperrte den Eingang der Sitzbucht. Um den Mann herum herrschte hektische Betriebsamkeit. Lassiter zählte sechs Kerle, den Bariton mitgerechnet.
Ob es weitere Angreifer gab, blieb vorerst das Geheimnis des Baritons. So oder so wären sie gern von allen Seiten gekommen, hätten ihn am liebsten eingekreist. Das sah er denen in seiner Nähe an.
Doch sie mussten sich mit einem Halbkreis begnügen.
Denn weil die Fensterwand, an der er saß, naturgemäß ausschied, mussten sie sich mit dem Raumangebot zufriedengeben, das ihnen zur Verfügung stand. Es war der Gang beiderseits ihres Anführers mit der sonoren Stimme. Und es waren die luxuriös gepolsterten Sitzbuchten vor ihm, hinter ihm und auf der anderen Seite des Gangs.
Der Bariton hatte einen kugelförmigen Kopf, von pomadisiertem Haar wie von einer schwarzen Lackschicht bedeckt. Sein Mittelscheitel teilte die fettige Haarpracht wie mit Lineal und Messer gezogen von der Stirnmitte bis zum Hinterkopf.
Er war ähnlich gekleidet wie seine Gefolgsleute: Dunkelgrauer Straßenanzug, hellgraues Hemd ohne Krawatte, maßgefertigte schwarze Schnürstiefel. Er war der Einzige ohne Hut, im Gegensatz zu den fünf anderen, die alle einen Pork Pie Stetson trugen.
Alle sechs waren indes auf die gleiche Weise bewaffnet. Ihre Revolver vom Typ Smith & Wesson Schofield ruhten in Schulterholstern, die sie unter der linken Achsel trugen. Sie hielten es nicht für nötig, die Sechsschüsser zu ziehen und auf Lassiter anzulegen.
Ihrer Ansicht nach reichte es offenbar, dass sie die Jacketts offenließen und er die Waffen sehen konnte. Klar, dass sie ihm damit zeigen wollten, für wie überlegen sie sich hielten. Ihre Überheblichkeit entsprach den Wesenszügen der Company, für die sie arbeiteten. Wells Fargo.
Die saubere Firma hielt sich für allmächtig. Die Gentlemen in ihren Chefetagen hatten also Informationen aus Washington DC erhalten und zwei und zwei zusammengezählt. Die Company konnte nicht verheimlichen, welche üblen Geschäftsmethoden sie aktuell in Idaho praktizierte.
Mithilfe von Verbindungsleuten im Ada County betrieb Wells Fargo dort Landankäufe in großem Stil. Noch waren die Pläne der Northern Pacific, dort eine Eisenbahnlinie zu bauen, äußerst vage. Doch als Eigentümerin der infrage kommenden Ländereien konnte die Company dort immense Profite erzielen, wenn die NPRR ihr Vorhaben eines Tages verwirklichte.
Die aktuellen Ankäufe Wells Fargos in Idaho liefen brutal und rücksichtslos ab. Die Grundeigentümer waren meist Farmer oder Kleinrancher. Von den Handlangern der Company unter Druck gesetzt, unterschrieben sie Kaufverträge mit lächerlich niedrigen Grundstückspreisen, denen sie normalerweise nie zugestimmt hätten.
Das Justizministerium in Washington hatte anonyme Hinweise aus Boise, Idahos Hauptstadt, auf die dortigen Machenschaften Wells Fargos erhalten. Das Ergebnis war Wells Fargos Spitzeln in der Hauptstadt nicht verborgen geblieben. Die Regierung der Vereinigten Staaten, so war durchgesickert, schickte ihren besten Agenten nach Idaho.
So waren die Wells-Fargo-Bosse in Chicago darauf gekommen, dass kein anderer als Lassiter auf dem Weg nach Boise sein musste. Folglich hatte die Company ihre Schergen losgeschickt, damit sie ihn noch vor seiner Ankunft dort ausschalteten.
Dass sie damit den Verdacht der illegalen Landgeschäfte bestätigte, spielte für die Firma keine Rolle.
Denn Wells Fargo musste sich vor niemandem rechtfertigen. Vor nichts und niemandem. Lassiter wusste es aus eigener Erfahrung. Wenn die Zeit, in der er gegen Wells Fargo und ihren Top-Agenten Sidney Blood gekämpft hatte, auch lange zurücklag, hatte sich an deren Geschäftsmethoden doch nicht viel geändert.
Die kleinen dunklen Augen des Baritons fixierten den großen Mann mit einem Ausdruck von List und Tücke.
»Du bist also Lassiter. Von dir hört man ja so Einiges.«
»Wenn man für Wells Fargo arbeitet – kein Wunder.«
»Ach. Sehe ich aus wie Wells Fargo?«
»Nicht nur das. Du riechst danach – auf zehn Meilen gegen den Wind.« Lassiter bemerkte ein verstohlenes Grinsen bei drei oder vier der Pork-Pie-Männer. Lassiters Anspielung auf den Pomadenduft ihres Anführers konnten sie nur zu gut nachvollziehen.
Doch der Bariton ließ sich nicht beirren. »Wells Fargos Duft hat Weltrang«, sagte er herablassend. »Da darf man schon stolz sein, wenn man dazugehört.«
Lassiter hob die Schultern. »Und um mir das mitzuteilen, brauchst du fünf Mann zur Unterstützung?«
»Die habe ich mitgebracht, damit du dich geehrt fühlst. Und was unsere Mitteilung für dich betrifft: Wir werden noch vor dem Bahnhof von Boise gemeinsam aussteigen. Auf dem Güterbahnhof. Dafür haben wir den Lokführer bezahlt.«
»Bezahlt?«, wiederholte Lassiter mit vorgetäuschtem Staunen. »Nicht gefoltert?«
»Sehen wir so aus? Der Mann muss doch seine Lok weiter bedienen können.«
»Beachtliche Überlegung«, stellte Lassiter fest und zog anerkennend die Mundwinkel nach unten. »Das nenne ich vorausschauendes Denken.«
Der Pomadige ließ auch diesen Spott an sich abprallen. Das Wortgeplänkel mit dem Mann der Brigade Sieben schien ihm sogar zu gefallen. Doch es gab keine Fortsetzung, denn der Zug verlangsamte seine Fahrt, wie von den Wells Fargo-Agenten angeordnet.
Der Mann der Brigade Sieben verzichtete darauf, eine Begründung für den vorzeitigen Stopp zu verlangen. Denn es gehörte zu seinen Grundsätzen, keine überflüssigen Fragen zu stellen.
Die eben noch vorbeiziehende grüne Landschaft wich beinahe abrupt einem unansehnlichen Grau von Industriebauten. Der Außenbereich von Boise ähnelte vielen anderen mittleren Städten des Westens, die ihr Erscheinungsbild nach dem Bau erster Eisenbahnanschlüsse massiv veränderten.
Handwerks- und Industriebetriebe, die sich ansiedelten, legten keinen Wert auf bauliche Schönheit. Was zählte, waren schnelle und praktikable Verbindungen durch die Schienenwege.
Lassiters eben noch interessierter Gesprächspartner nickte abschließend, und mit einem knappen »Dann mal los!« überließ er seinen Männern das Feld. Er eilte als Erster zum vorderen Teil des Mittelgangs und trat hinaus auf den Perron.
Durch den verglasten Teil der Verbindungstüren war der Tender zu erkennen, an den der Pullmanwagen direkt angehängt war. So gab es erst einmal keine Zeugen für das Vorhaben der Wells-Fargo-Hurensöhne.
Lokführer und Heizer konnten den Ausstieg der Männer nicht sehen, weil der Tender ihnen die Sicht versperrte. Und den Passagieren in den nachfolgenden Wagen würde nicht sofort auffallen, was sich vorn abspielte.
Eingreifen würde ohnehin niemand. Jeder konnte sehen, dass die Männer in den dunkelgrauen Straßenanzügen gefährlich waren. Jeder erfahrene Bewohner des Westens wusste, dass man sich mit solchen Kerlen besser nicht anlegte.
Lassiter dachte ohnehin nicht daran, sich gegen die fünfköpfige Übermacht zur Wehr zu setzen. Den richtigen Zeitpunkt dafür konnte er noch nicht erkennen. Doch wenn der Moment seiner Chance kommen sollte, würde er nicht mehr als einen Sekundenbruchteil brauchen, um sie zu ergreifen.
Bereitwillig ließ er sich von seinen Bezwingern in die Mitte nehmen. Sie erreichten den Perron rechtzeitig, um nach dem Bariton zügig auszusteigen. Als sie neben dem Schotterbett auf den Boden sprangen, kreisten sie ihn sofort ein. Einer von ihnen nahm dem großen Mann den Remington ab.
»Den wirst du nicht mehr brauchen«, sagte der Kerl grinsend. Den Remington schob er sich hinten unter den Hosenbund.
Lassiter merkte sich sein Gesicht. Besonderes Kennzeichen war eine Hasenscharte, die nur unzureichend von einem dunklen Schnauzbart überdeckt wurde.
✰
Die Gruppe teilte sich auf. Eins zu fünf. Vor einem von mehreren Rungenwagen ließen der Anführer und weitere vier Männer ihren Gefangenen und den Schnauzbärtigen zurück. Auf den Ladeplattformen der Wagen stapelten sich Baumstämme, von denen jeder einzelne schätzungsweise eine Tonne wog.
Lassiter stellte fest, dass der Bariton ihn und den Aufpasser etwa vor der Mitte der Baumstammladung platziert hatten. Nacheinander kletterten die fünf Männer über die Kupplung zwischen diesem und dem nächsten Wagen und verschwanden auf der anderen Seite der Ladung.
Hinter seinem Rücken hörte der Mann der Brigade Sieben ein metallisches Knacken.
Amüsiert sagte er: »Der Schofield ist ein Double Action Revolver. Da brauchst du den Hahn nicht zu spannen.«
Der Schnauzbärtige lachte vergnügt. »Ich weiß ich, weiß. Aber es klickt so schön. Deshalb spanne ich ihn trotzdem. Und außerdem kriegst du es mit und weißt, woran du bist. Eine falsche Bewegung, und du kriegst eine Kugel zwischen die Schulterblätter.«
Lassiter nutzte den Redeschwall seines Bewachers, um dessen Entfernung abzuschätzen. Aus dem Klang der Stimme konnte er folgern, dass der Mann nur zwei Schritte hinter ihm stand.
»Auf die kurze Entfernung kannst du zwar nicht daneben schießen...« Er ließ den Rest des Satzes unausgesprochen.
»Aber?«, stieg der Schnauzbärtige prompt darauf ein.
»Aber«, erklärte Lassiter bereitwillig, »du kannst nicht sicher sein, ob du mit einer Kugel erreichst, was du erreichen willst.«
»Was will ich denn erreichen?«
»Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Lassiter. »Vielleicht kommt es mehr darauf an, was deine Freunde vorhaben.«
»Da könntest Recht haben.« Der Mann hinter ihm lachte meckernd. »Ich spiele hier nur eine Nebenrolle – wenn auch eine wichtige.«
»Was für eine Rolle ist das?«
Der Schnauzbärtige lachte lauter. »Das möchtest du wohl, was? Dass ich dir verrate,was dir blüht.«
»Nein, ich will es gar nicht wissen.« Lassiter schüttelte den Kopf, obwohl der andere es nur von hinten sah. »Es kommt auch gar nicht darauf an, was ihr mit mir vorhabt. Entscheidend ist etwas ganz anderes.«
»Ach, wirklich. Ich nehme an, du wirst gleich damit herausrücken, was es ist.«
»Klar. Es ist eine ganz einfache Tatsache. Nämlich die, dass jeder mal einen Fehler macht.«
»Spinnst du?«, empörte sich der Schnauzbärtige. »Wer soll denn hier einen Fehler gemacht haben?«
»Na, du«, antwortete Lassiter trocken.
»Was, ich?« Der Aufpasser klang irritiert. Ihm fehlten die Worte. Doch zu einer Antwort kam er ohnehin nicht mehr, weil ein gellender Pfiff ertönte, der sowohl ihm als auch seinen Komplizen galt.
Der Pfiff musste das Zeichen sein, mit dem der Bariton das Kommando gab.
Vier Männer waren es denn auch, die plötzlich oben auf den Baumstämmen erschienen. Jeder der dunkelgrau Gekleideten hatte sich mit einer armlangen Eisenstange ausgerüstet.
Die Hebelwerkzeuge hatten sie sich entweder vorher besorgt und bereitgelegt, oder sie hatten gewusst, wo die Stangen zu finden waren.
Die vier Kerle erledigten ihre Arbeit im Handumdrehen. Von den vier Rungen, den senkrecht stehenden Streben an der Ladefläche, verlief jeweils eine straff gespannte Eisenkette über die Baumstämme. Auf der anderen Seite des Wagens waren die Ketten mit den dortigen Rungenspitzen verbunden.
Mit roher Gewalt hebelten die Wells-Fargo-Agenten die einfachen Bolzenriegel oberhalb der Baumstämme auf. Rasch brachten sie sich in Sicherheit, als die unter Spannung stehenden Ketten emporschlugen.
Die Baumstämme brauchten zwei oder drei Sekunden, um in Bewegung zu geraten. Die vier Männer auf den oberen Stämmen nutzten die geringe Zeitspanne. Jeweils zu zweit sprinteten sie nach links und rechts.
Gerade noch rechtzeitig erreichten sie die Vorder- und die Rückseite des Wagens. Behende sprangen sie hinab, landeten zielgenau auf den Puffern und erreichten mit einem Satz die sichere Ladung des jeweils nächsten Wagens.
Lassiter spürte das Zögern des Bewachers. Deshalb tat er, was der Mann am allerwenigsten erwartete. Er warf sich zu Boden, vorwärts, den Baumstämmen entgegen, als sie rumpelnd in Bewegung gerieten.
Der Schnauzbärtige feuerte um einen Atemzug zu spät. Lassiter spürte das Sengen der Kugel über seinem Kopf.
Der erste tonnenschwere Stamm polterte ihm entgegen – gefolgt von der mächtigen Masse der anderen. Schon jetzt schwoll das Poltern zu einem Donnern. Der vordere Stamm war noch zwei Yard von ihm entfernt, als der große Mann die Muskeln spannte. Wie von Stahlfedern abgeschnellt, kam er hoch.
Das Donnern der herabrollenden Baumstämme ließ die Erde erbeben.
Noch im Emporfedern wirbelte Lassiter herum. Er senkte den Kopf, stieß sich am Boden ab und katapultierte sich mit flachem Sprung auf den Bewacher zu. Dessen Gesicht war vor Anspannung verzerrt.
Die Tonnenmasse der heranrollenden Stämme polterte näher und näher.
Der Schnauzbärtige schrie vor Verzweiflung. Seine Nerven versagten. Seine Armbewegung war zu unkontrolliert für einen gezielten Schuss. Er schaffte es noch, abzudrücken, doch die Kugel hieb in einen der herbeidonnernden Baumstämme. Die Wirkung war nicht mehr als ein Mückenstich in eine Büffelherde.
Lassiter prallte mit den Schultern an die Schienbeine des Mannes. Es riss ihn von den Füßen. Reaktionsschnell rollte sich Lassiter zur Seite. Haarscharf neben ihm schlug sein Gegner zu Boden. Noch einmal löste sich ein Schuss aus seinem Smith & Wesson, diesmal pflügte die Kugel über die von Öl und Ruß schwarze Bahnhofserde.
Das Donnern wurde ohrenbetäubend.