Lassiter 2673 - Kenneth Roycroft - E-Book

Lassiter 2673 E-Book

Kenneth Roycroft

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Beschreibung

Rafe Stanbury glaubte zu schweben. So fühlte es sich also an, wenn man sterben musste. Er konnte nichts sehen, denn seine Augen waren verbunden. Er konnte sich nicht bewegen, denn er war gefesselt. Dem Mann neben ihm ging es nicht besser. Gemeinsam waren sie dem Tod geweiht.
Das Dampfboot, das die beiden Delinquenten zum Hinrichtungsort brachte, drang immer tiefer in das Sumpfland des Mississippi-Deltas vor. Die Decksplanken unter ihnen vibrierten. Ab und an schrammte der Bootsrumpf an den Luftwurzeln von Mangroven entlang. Die kleine Dampfmaschine arbeitete zuverlässig. Doch das Schrammen nahm zu; der Mangrovenwald wurde dichter.
Augenblicke später verkeilte sich das Boot rumpelnd zwischen den Luftwurzeln. Die Dampfmaschine verstummte. Harte Schritte näherten sich. Der kalte Stahl einer Laufmündung legte sich auf Rafe Stanburys Stirn.


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Seitenzahl: 124

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Estelles doppeltes Spiel

Vorschau

Impressum

Estelles doppeltes Spiel

von Kenneth Roycroft

Rafe Stanbury glaubte zu schweben. So fühlte es sich also an, wenn man sterben musste. Er konnte nichts sehen, denn seine Augen waren verbunden. Er konnte sich nicht bewegen, denn er war gefesselt. Dem Mann neben ihm ging es nicht besser. Gemeinsam waren sie dem Tod geweiht. Ihre Entführer hatten es höhnisch grinsend angekündigt.

Das Dampfboot, das die beiden Delinquenten zum Hinrichtungsort brachte, drang immer tiefer in das Sumpfland des Mississippi-Deltas vor. Die Decksplanken unter ihnen vibrierten. Ab und an schrammte der Bootsrumpf an den Luftwurzeln von Mangroven entlang. Die kleine Dampfmaschine arbeitete mit rhythmischer Leichtigkeit. So entstand jenes Schwebegefühl, wenn das Boot über freies Wasser glitt.

Doch das Schrammen nahm zu; der Mangrovenwald wurde dichter. Augenblicke später verkeilte sich das Boot rumpelnd zwischen den Luftwurzeln. Die Dampfmaschine verstummte nach einem Schnaufen. Harte Schritte näherten sich. Der kalte Stahl einer Laufmündung legte sich auf Rafe Stanburys Stirn.

»Destino final – Endstation«, sagte eine Stimme, die so glatt klang wie Schmieröl. Dennoch war der raue spanische Akzent des Mannes unüberhörbar. Es musste eine Gewehrmündung sein, die ihm der Kerl auf die Stirn drückte. Wäre es ein Revolver gewesen, hätte er seinen Atem gespürt. Doch mit der Langwaffe blieb der Hurensohn auf Abstand. Vielleicht hielt er es für eine Vorsichtsmaßnahme.

Wie dem auch sein mochte, für Rafe war es das Ende aller Wahrnehmungen, aller Empfindungen. Nun gab es nichts mehr. Keine Todesangst. Keine Anspannung. Kein Zittern. Kein Bangen und kein Hoffen. Alles war belanglos geworden. Dieser erbärmliche Rest von Leben, der ihnen noch blieb, war ohne jeden Sinn.

Wie lange dauerte das Krümmen eines Zeigefingers um den Abzug? Eine Zehntelsekunde? Oder nur eine Hundertstel?

Nur, wie zum Teufel konnte es sein, dass diese kurze Zeitspanne vollgepackt war mit Gedanken? Sie jagten sich regelrecht, fuhren Karussell hinter Rafe Stanburys Stirn. Er war überzeugt, dass er noch nie in seinem Leben so viel und so lange nachgedacht hatte wie in diesem Moment vor seinem Tod.

Der Kerl mit der öligen Stimme war kein Kubaner und kein anderweitiger Latino. Er stammte aus dem Mutterland wie die vielen anderen Spione und Agenten Spaniens, die sich neuerdings in New Orleans breitmachten. Rafe war mit der spanischen Sprache ausreichend vertraut, um Akzente und Dialekte unterscheiden zu können.

Er verfluchte sich dafür, dass er sich mit den Dons aus dem alten Europa eingelassen hatte. Es war einfach zu verlockend gewesen, ihnen für harte Dollars Informationen aus dem amerikanischen Teil der Welt zu verkaufen.

Und noch verlockender war es gewesen, doppelt zu verdienen. Seine Landsleute in New Orleans zahlten gut für Nachrichten aus der Kolonie Kuba – egal, was es war, und wenn es sich um den aktuellen Preis handelte, den eine Hure im Hafen von Havanna von einem spanischen Seemann für ihre Liebesdienste verlangte.

No, Sir, ein bisschen bei den Spaniern herumzuhorchen, war nicht besonders schwierig. Hinzu kam, dass sie es einem leichtmachten, weil sie zur Prahlerei neigten. Wenn es wegen Kuba zum Krieg kommen sollte, würden sie es den Yanquis schon zeigen, den blasierten Gringos, wie sie in Lateinamerika so treffend genannt wurden.

Das behaupteten sie in ihrer grenzenlosen Großspurigkeit. Aber daran würden sie über kurz oder lang ersticken – sie und ihre verdammte alteuropäische Monarchie. Rafe hatte nie begriffen, wozu Menschen einen König brauchten. Zu allem Überfluss setzten sie ihm eine alberne Krone auf den Kopf und knieten vor ihm nieder. Damit nicht genug, ließen sie sich von so einem Kerl auch noch ausbeuten.

Die Vernünftigen unter den Europäern sahen es genauso wie er. Sie hatten der menschenverachtenden Adelsherrschaft den Rücken gekehrt und waren nach Amerika abgehauen. Hier, in der endlosen Weite des Westens waren alle Menschen gleich. Jeder, der hart arbeiten konnte, hatte die Chance, es zu etwas zu bringen.

Und wenn es Unstimmigkeiten gab, Meinungsverschiedenheiten oder gar Feindseligkeiten, konnte jeder Mensch sich einen Equalizer zulegen. Einen Gleichmacher. So nannten sie den 45er Colt, einen sechsschüssigen Revolver. Die Waffe, die jeder frei erwerben konnte, stellte alle Menschen auf eine Stufe.

Rafe hatte so einen Colt besessen. Er hatte sich eingebildet, ganz gut damit umgehen zu können. Sein Jackett hatte er so schneidern lassen, dass die Waffe darunter nicht auffiel. Bedauerlicherweise hatte es ihm nicht wirklich genützt. Denn gegen die Revolverschwinger, die die Spanier für sich arbeiten ließen, hatte er keine Chance gehabt. Sie hatten ihm die Waffe abgenommen, bevor er sie ziehen und »Verdammt!« sagen konnte.

Sie hatten ihm aufgelauert, als es stockfinster war. In jener Stunde, als in New Orleans sämtliche Lichter erloschen waren und das Morgengrauen noch auf sich warten ließ. Im Hinterhof seines Zuhauses hatten sie ihn wie aus dem Nichts eingekreist und überwältigt. Seinen Leidensgefährten hatte das gleiche Schicksal ereilt, als er versucht hatte, ihm zu Hilfe zu kommen.

Es war beschämend, dass ihm so etwas hatte passieren müssen. Denn er hatte sich für einen begnadeten Doppelagenten gehalten. Rein äußerlich sah er tatsächlich so aus, wie sich Stadtmenschen einen Agenten vorstellen mochten – schlank, pomadisierte dunkle Haare, Menjoubärtchen. Einfach ein blendend aussehendes Mannsbild.

Wenn er im dunklen Anzug und mit Zylinder in New Orleans unterwegs war, passte er perfekt ins Bild. Man konnte ihn für einen Geschäftsmann halten oder auch für den Spieler, der er war. Auf alle Fälle war er ein Mann, der den Frauen gefiel.

Das hatten ihm die Ladys in mannigfachen Liebesschwüren bescheinigt. Und oft genug hatte er bemerkt, dass sich selbst die Vornehmsten aus den Reihen des schwachen Geschlechts nach ihm umdrehten, wenn sie in einer offenen Luxuskutsche vorbeifuhren.

Das Rumpeln des Bootsrumpfs zwischen den Luftwurzeln endete mit einem Ruck. Einen Moment lang befürchtete Rafe, der Mann mit dem Gewehr würde ungewollt den Abzug durchreißen. Doch er täuschte sich.

Der Mündungsdruck verschwand von seiner Stirn.

Stattdessen gab sein Leidensgefährte einen erschrockenen Laut von sich – ein ersticktes Quieken, kaum vernehmbar. Einen wirklichen Angstschrei ließ der Knebel nicht zu. Doch Rafe Stanbury glaubte zu spüren, dass der Mann vor Angst zitterte. Und die dumpfen Laute, die er von sich gab, hörten sich an wie das Vaterunser.

Rafe begriff. Der Spanier musste die Laufmündung auf die Stirn seines Nebenmanns gelegt haben. Ein Kreole. Der arme Kerl arbeitete als Schuhputzer und hatte seinen Stammplatz vor dem »Ebony-Palace«, einem Luxusbordell, zu dessen Inhaberin Rafe eine enge Beziehung hatte.

So drückte sie es aus, wenn ihre vornehmen Freunde bei ihr einkehrten. Für alle anderen war er ihr Liebhaber, ihr Loverboy – hinter vorgehaltener Hand, das wusste er, titulierten ihn die Leute durchaus gehässiger. Handlanger, Faktotum, Fußabtreter und sogar Sklave war er für sie, seine Herrin.

Estelle Pelletier.

Gerede und Gerüchte kümmerten ihn nicht. Alle im French Quarter, die sich das Maul zerrissen, waren im Grund nur neidisch – die Kerle auf ihn, weil er die begehrenswerteste Frau in ganz New Orleans die Seine nennen durfte. Und die Ladys auf Estelle, weil sie den charmantesten und bestaussehenden aller verfügbaren Gentlemen ihr eigen nannte.

Sein Mitgefangener war dagegen ein ziemlich bedeutungsloser kleiner Mann. Sie nannten ihn Peque. Das war eine Abkürzung von El Pequeño, der Kleine. Seinen wirklichen Namen kannte niemand. Nicht einmal er selbst. Rafe hatte ihn direkt und unverblümt danach gefragt. Dem Kleinen gefiel sein Spitzname. Er wollte nur noch Peque heißen, nicht anders.

Ausgerechnet ihn für einen Agenten zu halten, bewies wieder einmal, wie einfältig die Dons waren. In Kuba und anderen lateinamerikanischen Ländern spielten sie sich immer noch als Kolonialherren auf. Und selbst in den Vereinigten Staaten spielten sie sich auf, als würde ihnen auch dieses Land gehören. Wie jedes Land, auf das sie ihren Fuß setzten.

Seine Gedanken wurden unterbrochen.

»Vamos, Amigos! Auf geht's, Freunde!« Es war der spanische Hurensohn mit der öligen Stimme, der die beiden Gefangenen aufforderte, als hätten sie einen Spaziergang vor sich. Sein freundschaftlich-unternehmungslustiger Ton war von beißender Ironie angesichts der Tatsache, dass sie kaum mehr als den kleinen Finger bewegen konnten.

»Eure Schiffsreise ist jetzt leider zu Ende«, fuhr er fort. »Ihr dürft an Land gehen – wenn man es ›Land‹ nennen kann.« Er lachte in sich hinein, bevor er weitersprach. »Auf menschliche Gesellschaft müsst ihr leider auch verzichten. Dafür gibt es hier aber Alligatoren und Kaimane in Hülle und Fülle – falls euch das tröstet.« Wieder lachte er, lauter und gehässiger diesmal.

Seine Heiterkeit wurde von Schritten gestoppt, die sich rasch näherten.

Die Schritte endeten. Der Mann klang gereizt, als er sich mit knarrender Bassstimme vernehmen ließ: »Fang jetzt bloß kein Palaver an. Raus mit den Bastardos und dann nichts wie weg hier. Bald kommen die Mücken, und außerdem will ich vor Dunkelwerden zurück in New Orleans sein.«

Der Ölige lachte wieder. »Willst du die ach so süße Aymee endlich mal bei Tageslicht sehen? Hoffentlich erlebst du dann keine Überraschung. Vielleicht ist die Schöne der Nacht in der Sonne nur noch ein hässliches...«

Einem schnellen Schritt folgte ein klatschender Laut, und dem Mann blieb das Lachen im Hals stecken. Doch anscheinend wage er es nicht, sich für die Ohrfeige zu revanchieren.

»Ich warne dich«, knurrte der mit der Bassstimme. »Du kannst gern Witze machen, aber nicht auf meine Kosten. Verstanden? Sonst kann es dir nämlich ganz schnell genauso gehen wie unseren beiden Amigos hier.«

Der Ölige blieb still. Offenbar hatte er großen Respekt vor dem anderen. Rafe merkte sich den Namen. Aymee. Das war kreolisch, und wahrscheinlich handelte es sich bei der Lady um eine Prostituierte, die der Kerl mit der Bassstimme zu seiner Favoritin erkoren hatte.

Aymee, nicht vergessen, hämmerte Rafe sich ein. Mit Estelles Hilfe würde es ein Leichtes für ihn sein, die süße Kreolin aufzuspüren. Und dann würde es ein Spaziergang für ihn werden, dem Mistkerl mit der Bassstimme eine Falle zu stellen.

Rafe hätte über sich selbst gelacht, wenn er gekonnt hätte.

Du lieber Himmel, er glaubte doch nicht allen Ernstes, dass Peque und er die nächsten Minuten überleben würden. Zukunftspläne zu machen, war das Absurdeste, was sein gemartertes Hirn ausbrüten konnte. Freiheit, geschweige denn auch nur Bewegungsfreiheit, würde es für sie beide nie wieder geben.

Unvermittelt ging alles sehr schnell. Ihre Bezwinger wechselten kein Wort mehr miteinander, packten nur noch zu. Nachdem sie ihnen die Fußfesseln abgenommen hatten, beförderten sie Rafe und Peque unsanft von Bord. Dass die Gefangenen sich dabei die Köpfe stießen und unliebsame Bekanntschaft mit Ecken und Kanten der Decksaufbauten machten, kümmerte die Dons nicht.

Mindestens zwei weitere Kerle hielten sich auf dem Dampfboot auf. Viele Schritte waren zu hören, und Rafe und Peque bekamen mehrere harte Fäuste zu spüren, die sie über eine rasch ausgebrachte Gangway an Land beförderten.

Sie landeten auf weichem Boden, der allem Anschein nach mit hohem Gras bewachsen war. Die Spanier platzierten sie sitzend nebeneinander und entfernten sich. Kein weiteres Wort wurde gesprochen. Das Gras raschelte unter ihren Schritten.

Rafe biss die Zähne zusammen und hielt ungewollt den Atem an. Jetzt würden sie die Gewehre in Anschlag bringen. Und jeden Moment musste das metallische Ratschen der Verschlüsse zu hören sein.

Nichts dergleichen geschah.

Stattdessen polterten die Kerle an Deck und holten die Gangway ein. Gleich darauf nahm die Dampfmaschine ihre Arbeit auf, und das Boot löste sich schrammend von den Mangrovenwurzeln. Anschließend verschwand es rasch außer Hörweite.

Laut und deutlich waren vielmehr die Laute der Lebewesen zu vernehmen. Unter dem Dach der Baumkronen verstärkten sich die Tierstimmen wie in einem Resonanzkörper. Vögel kreischten, keckerten oder sangen. Bodenbewohner gaben sonderbar hohlklingende Grunz- und Gurgellaute von sich.

Rafe war gerührt, als Peque ihn auffordernd mit der Schulter anstieß. Allright, es würde ihnen wohl gelingen, sich von Augenbinden, Knebeln und Handfesseln zu befreien. Aber das war es dann auch. Ohne ein Boot gab es aus den Sümpfen des Mississippi-Deltas kein Entkommen.

Allright, schon während der Fahrt mit dem Dampfboot hatten sie sich an die enorme Luftfeuchtigkeit gewöhnt. Doch nun, da sie festen Boden unter den Füßen hatten und der leichte Fahrtwind fehlte, fiel ihnen das Atmen zunehmend schwer. Es schien, als würde die Luft Fäden ziehen, sobald sie in der Lage sein würden, Hände und Arme zu bewegen.

Ein unbestimmbarer Modergeruch hing in der Luft. Ursache waren der Schlamm zwischen den Luftwurzeln der Mangroven, verwesende Tierkadaver und Fraßreste der Alligatoren im seichten Wasser. Bessere Luftverhältnisse herrschten nur auf den freien Wasserflächen der größeren Bayous.

Den beiden Männern kam es vor, als hätte sich eine unsichtbare Warmhaltehaube über sie gestülpt. Die Luft fühlte sich an wie zum Schneiden, und die ersten Moskitos hatten Witterung aufgenommen. Nicht mehr lange und ganze Schwärme der kleinen Plagegeister würden sie umschwirren.

Doch eine Mückenplage war nichts, verglichen mit der Gefahr, die ihnen von anderen Sumpfbewohnern drohte. Alligatoren beherrschten die Swamps, die Sümpfe von New Orleans und Louisiana, in unüberschaubarer Zahl. Die Riesenreptilien vermehrten sich nahezu ungehindert. Jäger bemühten sich, ihre Zahl zu verringern, doch ihr Erfolg war mäßig.

Kanalähnliche Bayous durchzogen das wasserreiche Gebiet und machten es für Menschen erreichbar. Die wenigen, die an den Ufern der Bayous lebten, waren die Cajuns – französischsprachige Leute, deren Vorfahren einst aus Kanada heruntergekommen waren und sich in angesiedelt hatten.

Rafe hatte viel von den Cajuns gehört. Doch er machte sich keine falschen Hoffnungen. Die Spanier würden Peque und ihn nicht ausgerechnet in der Nähe einer Siedlung der Sumpfbewohner abgesetzt haben. Ihre Hilferufe sollten ungehört verhallen, denn nach dem Willen der Dons sollten sie elend zugrunde gehen – wenn sie nicht vorher von Alligatoren gefressen wurden.

Peque machte sich unverzüglich an die Arbeit. Rafe blieb geduldig sitzen und rührte sich nicht, als der kleine Kreole sich rücklings an ihm hochschob. Gleich darauf spürte er Peques Fingerkuppen in seinem Nacken. Die gefesselten Handgelenke ließen den Fingern des kleinen Mannes immerhin ein wenig Bewegungsfreiheit.

Er erwies sich als überaus geschickt. Mühelos zupfte er die verknoteten Enden der beiden Stofflappen auseinander. Zuerst fiel die Augenbinde, dann gelang es Rafe, den nun lockeren Knebel mit der Zunge aus dem Mund zu stoßen.

Er krächzte und hustete seine Stimmbänder frei. Noch bevor er die Augen öffnete, sagte er: »Danke, mein Freund. Jetzt bist du an der Reihe.«

Während er dem Kreolen half, in die Hocke zu gehen, gelang es ihm, langsam die verklebten Lider zu heben. Die Helligkeit blendete ihn, obwohl nur wenig Sonnenlicht durch die Baumkronen drang. Nur für einen Moment schloss er die Augen wieder, dann öffnete er sie vorsichtig von neuem und sah sich um.

Sie befanden sich auf einer Insel inmitten eines Mangrovenwalds. Der Boden war erstaunlich fest und mit kniehohem struppigem Gras bewachsen. Die kreisförmige Insel war zum größten Teil vom Wald aus Luftwurzeln, Baumstämmen, Blätterdach und herabhängendem Spanischem Moos umgeben.

Nur zu einer Seite hin gab es offenes Wasser. Es handelte sich um den schmalen, sich verjüngenden Ausläufer eines offenbar größeren Bayous. Das Dampfboot hatte die enge Zufahrt benutzt, um bis an die Insel heranzufahren.

Der Anblick des Wassers weckte die trügerische Hoffnung, wenigstens nicht verdursten zu können. Doch es handelte sich um Brackwasser, jene Mischung aus Süßwasser und Salzwasser, die so ungenießbar war wie das Salzwasser des Meeres.

Über dem Zufluss vom Bayou her gab es größere Lücken zwischen den Baumkronen. Dort drang mehr Sonnenlicht durch. Ausläufer davon erreichten auch die Sumpfinsel.