Lassiter Sammelband 1845 - Jack Slade - E-Book

Lassiter Sammelband 1845 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Seit über 30 Jahren reitet Lassiter schon als Agent der "Brigade Sieben" durch den amerikanischen Westen und mit über 2000 Folgen, mehr als 200 Taschenbüchern, zeitweilig drei Auflagen parallel und einer Gesamtauflage von über 200 Millionen Exemplaren gilt Lassiter damit heute nicht nur als DER erotische Western, sondern auch als eine der erfolgreichsten Western-Serien überhaupt.

Dieser Sammelband enthält die Folgen 2416, 2417 und 2418.

Sitzen Sie auf und erleben Sie die ebenso spannenden wie erotischen Abenteuer um Lassiter, den härtesten Mann seiner Zeit!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 392

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Jack Slade
Lassiter Sammelband 1845

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covermotiv: © Boada/Norma

ISBN: 978-3-7517-2996-3

www.bastei.de

www.sinclair.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Lassiter Sammelband 1845

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Lassiter 2416

Ein leichtes Mädchen aus Kentucky

Lassiter 2417

Die Squaw vom Blutberg

Lassiter 2418

Lassiter und die Schulmeisterin

Guide

Start Reading

Contents

Ein leichtes Mädchen aus Kentucky

Sie war der weibliche Star der Wanderbühne, die seit einigen Tagen in Dry Wells gastierte. Die heutige Vorstellung war wieder restlos ausverkauft, das große Zelt bis auf den letzten Platz besetzt. Isabell de Roquefort, wie sich die junge Tänzerin und Schauspielerin nannte, erhielt wie gewohnt stürmischen Applaus.

Das größtenteils männliche Publikum war weniger wegen ihrer künstlerischen Leistung als wegen ihrer aufregenden Kurven herbeigeströmt. Sie war eine strahlende Schönheit. Nur mit einem fast durchsichtigen Schleiergewand bekleidet, zog sie jeden in ihren Bann.

Den stürmischsten Beifall spendete ihr der Rancher Rex Stone, der einen weiten Ritt auf sich genommen hatte, um die junge Künstlerin zu bewundern. Doch das war bei weitem nicht alles, was er sich erhoffte. Er wollte diese Frau besitzen. Und dazu war ihm jedes Mittel recht.

Nach der abendlichen Vorstellung besuchte er Isabell in ihrer Garderobe im vorderen Teil des bunt bemalten Wohnwagens, den sie sich mit einer jungen Kollegin teilte. Diese stellte ihn bei Isabell vor und winkte ihn dann heran. Der Rancher musste den Kopf einziehen, als er den Wohnwagen über eine Klappstiege betrat, denn er war ein Riese von Gestalt. Mindestens zwei Meter maß er und mochte gut zweihundertfünfzig Pfund auf die Waage bringen. Und mit seinen fünfundvierzig Jahren befand er sich im besten Mannesalter.

Isabells türkisfarbene Augen weiteten sich bei seinem Anblick fast erschrocken, denn von Stone ging etwas Animalisches und zugleich Beherrschendes aus. Neben ihm wirkte sie klein und zerbrechlich.

Immer noch trug sie ihr gewagtes Tanzkostüm, in dem sie an eine Haremsdame aus dem fernen Orient erinnerte. Sie saß mit dem Rücken zum Spiegel vor ihrem mit allerlei Utensilien übersäten Schminktisch. Ihre junge Kollegin war nach hinten in das Schlafgemach verschwunden.

»Sie möchten mich sprechen?«, fragte Isabell. »Leider kann ich Ihnen keinen Platz anbieten. Sie sehen ja, wie beengt es hier ist. Aber ich bin gern bereit, Ihnen ein Autogramm zu geben.«

Der Hüne räusperte sich. »Deswegen bin ich eigentlich nicht gekommen.«

»Warum dann?« Isabell spürte instinktiv, dass der Besucher sie am liebsten nackt ausgezogen und anschließend vernascht hätte. Die Art, wie er sie anblickte, war beunruhigend.

»Ich bewundere Sie«, antwortete Stone auf ihre Frage. »Sie sind nicht nur schön, sondern auch sehr begabt. Ihre Darbietung hat mir jedenfalls außerordentlich gut gefallen.«

»Das freut mich«, erwiderte Isabell, die es zwar gewohnt war, Komplimente zu erhalten, sich aber trotzdem geschmeichelt fühlte.

»Von einer Frau wie Ihnen habe ich schon immer geträumt«, erwiderte Stone. »Am liebsten würde ich Sie mit Schmuck überhäufen.«

»Tun Sie sich keinen Zwang an.« Die Tänzerin mit dem dunkelblonden Haar lächelte spöttisch.

»Lassen Sie sich überraschen. Ich mache keine leeren Versprechungen.« Während Stone sprach, ließ er Isabell keine Sekunde aus den Augen. Es waren verlangende Blicke, die ihr unter die Haut gingen. Sie war einiges gewöhnt und hatte mit liebestollen Männern ihre Erfahrungen gesammelt, dennoch errötete sie.

»Was wollen Sie wirklich?«, fragte sie ohne Umschweife.

Rex Stone verharrte einige Momente schweigend, als müsste er sich seine nächsten Worte erst zurechtlegen. Schließlich sagte er: »Ich möchte Ihnen ein Angebot machen …«

»Ein Angebot?«, wiederholte Isabell irritiert. »Und das wäre?«

Stone blickte kurz auf den Vorhang, der den vorderen Bereich des Wohnwagens vom hinteren Teil trennte und hinter dem das andere Mädchen ganz gewiss lauschte. Dann fuhr er, ohne seine kräftige Stimme auch nur um eine Spur zu dämpfen, ungeniert fort: »Ich möchte mit Ihnen schlafen, Isabell. Und ich bin bereit, mich das einiges kosten zu lassen. Ich biete Ihnen tausend Dollar für eine Liebesnacht.«

Die junge Schauspielerin war zu überrascht, um eine Antwort geben zu können.

»Ja, das wäre mir dieses Vergnügen wert«, bestätigte der Hüne und nickte ernst. »Ich weiß, das ist eine Menge Geld, aber ich bin kein armer Mann. Zwei Tagesritte von hier besitze ich eine große Ranch. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass ich Sie übers Ohr haue.«

»Ich … ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, kam es zögerlich über Isabells Lippen.

»Sie müssen mir nicht gleich eine Zusage machen«, versuchte Stone einzulenken, »denn ich bleibe einige Tage hier. Mir schwebt ein Treffen im hiesigen Hotel vor. Dort warten tausend Dollar auf Sie. Die können Sie doch sicher gut gebrauchen, nicht wahr?«

»Wer könnte das nicht?«, meinte sie kühl, aber mehr denn je unentschlossen. Sie war keine Dirne, die ihren Körper verkaufte. Genau genommen war das Anliegen des Ranchers sogar eine Unverschämtheit. Er war nicht unattraktiv, aber bildete er sich wirklich ein, mit seinen Dollars alles kaufen zu können? Zudem bestand für Isabell die Unsicherheit, dass er sie einfach flachlegen und dann lachend davonreiten würde. Nur ein Verrückter legte einen solchen Haufen Geld für eine Liebesnacht auf den Tisch. Jede Hure in der Stadt spreizte ihre Beine bereits für zehn Dollar.

»Werden Sie es sich überlegen?«, hakte der hochgewachsene Mann nach.

Isabell de Roquefort schaute ihn durchdringend an. »Sie sollten jetzt gehen, Mister Stone«, sagte sie nur und wandte sich wieder ihrem Schminkspiegel zu. Das enttäuschte Gesicht des Ranchers blieb ihr nicht verborgen. Doch wenn er es wirklich ehrlich meinte, ließ er es nicht bei der Abfuhr bewenden.

Die Hitze New Mexicos wollte das Land ersticken. Schier endlos dehnte sich die Wüste in alle Richtungen. Der Schweiß rann Lassiter in Strömen übers Gesicht; seine Kleidung klebte am Körper, als wäre sie mit ihm verwachsen.

In den flirrenden Schwaden, die über der Wüste lagen, glaubte er, einen Tupfen zu erkennen. Eine Stadt vielleicht oder ein Dorf, womöglich auch nur eine verlassene Ortschaft, die in den sengenden Strahlen der Sonne kochte. Alamogordo aber, wo er den nächsten Auftrag der Brigade Sieben entgegennehmen sollte, konnte es nicht sein. Seiner Schätzung nach lag die Stadt noch gut hundert Meilen entfernt.

Er wischte sich die salzige Nässe aus dem Gesicht und rieb sich über die Augen. Mehrmals musste er blinzeln, um wieder eine klare Sicht zu bekommen. Und als sein Blick aufs Neue geschärft war, musste er sich eingestehen, sich geirrt zu haben. Dieser Fleck in der weißen Einöde war weder eine Stadt noch ein Dorf – es war eine Gestalt, die schwerfällig durch den Sand kroch, ihn offenbar gesehen hatte und mit letzter Kraft eine Hand hob, um auf sich aufmerksam zu machen.

Lassiter trieb seinen Hengst an. Dieser Mensch, der ein paar Steinwürfe voraus alle Viere von sich streckte, benötigte dringend Hilfe. Als der Brigade-Agent nur noch wenige Yards entfernt war, erkannte er, wen er vor sich hatte. Der Anblick versetzte ihm einen Stich ins Herz.

Es war eine junge dunkelhaarige Frau, die lediglich noch Fetzen von Kleidung am Leib hatte. Ihre Bewegungen, mit denen sie sich über den Sand geschoben hatte, waren erlahmt. Die Hitze des feinkörnigen Untergrunds tat ein Übriges, sie zu schmoren und sie ihrer Kräfte zu berauben.

Der Mann der Brigade Sieben sprang aus dem Sattel, riss seine Feldflasche an sich und warf sich neben der Frau auf die Knie. Ihre Lippen waren spröde und aufgesprungen. Es musste eine Ewigkeit her sein, dass sie einen Tropfen Wasser getrunken hatte.

»Hilfe …«, röchelte sie brüchig. »Bitte … helfen Sie mir …«

Vorsichtig führte Lassiter die Wasserflasche an den Mund der Frau und beträufelte ihre Lippen. Gleich darauf benetzte er seine Hand und wischte ihr übers Gesicht. »Ich gebe Ihnen Wasser, aber Sie dürfen nicht zu hastig trinken«, sagte er. Schluck für Schluck flößte er der geschundenen Frau aus seiner Wasserflasche ein.

»Dieses Scheusal …«, ächzte sie. »Ich … ich bin ihm entkommen. Aber da sind noch viele andere …« Ihre Stimme versagte.

Lassiter bettete ihren Kopf auf seinem Unterarm. »Wie lautet der Name des Mannes, der Ihnen das angetan hat?«, fragte er. »Wo kann ich ihn finden?«

»Ranch …«, wisperte die Frau. Ihre Lider flatterten. Kraftlos strichen ihre zitternden Finger über die Wasserflasche. »Viele Männer … mit Waffen …« Sie schluckte hart. »Rawlins …«

Erneut wollte Lassiter ihr zu trinken geben, doch der Körper der Frau war bereits erschlafft.

Kalte Wut befiel den großen Mann. Sein brennender Blick war auf die Tote gerichtet, das Opfer eines skrupellosen Menschenhändlers. Das zumindest reimte sich Lassiter aus den Aussagen der Frau zusammen.

Der Auftrag der Brigade Sieben konnte warten. Erst musste dieser Kerl aus dem Verkehr gezogen werden, der unschuldige junge Frauen auf seiner Ranch gefangen hielt und ihnen womöglich Schreckliches antat.

Er nahm den Leichnam auf und legte ihn quer über sein Pferd. In der nächsten Stadt wollte Lassiter dafür sorgen, dass er würdevoll bestattet wurde.

Rex Stone war überzeugt, dass die schöne Tänzerin und Schauspielerin Isabell de Roquefort sein großzügiges Angebot annehmen würde. Denn welche Frau konnte schon auf die Chance, sich in einer Nacht tausend Dollar zu verdienen, verzichten? Für eine solche Summe würden wohl die meisten schwach werden und ihre moralischen Bedenken über Bord werfen. Stone malte sich bereits aus, wie er die Liebesnacht mit ihr bei Champagner und Kerzenlicht verbringen würde, sie entblätterte und im weichen Hotelbett genüsslich vernaschte.

Doch zu seinem Leidwesen sollte es nicht dazu kommen, denn Isabell wurde am nächsten Tag von Sheriff Gilford verhaftet. Ihr Manager Laster Babcock war nämlich erstochen in seinem Wagen aufgefunden worden, und der dringende Verdacht, ihn ermordet zu haben, war auf Isabell gefallen. Nicht nur war bei ihr blutbefleckte Kleidung, sondern auch die Tatwaffe gefunden worden – ein mexikanischer Dolch. Das hatte dem Sheriff für ihre Festnahme ausgereicht.

Isabell leugnete die Tat, aber das half ihr nichts. Immerhin musste sie zugeben, dass sie mit Babcock einen Streit wegen ihrer Gage gehabt hatte und damit ein Motiv, ihn zu töten. Unter Tränen beteuerte sie ihre Unschuld und behauptete, das Opfer einer gemeinen Intrige geworden zu sein. Ein anderes Mädchen der Künstlertruppe, eine gewisse Cheryl, war neidisch auf sie, weil Isabell der Star des Ensembles war. Diese Cheryl hatte es schon länger auf die Hauptrolle abgesehen, war beim Manager jedoch abgeblitzt und hätte daher ebenfalls einen Grund gehabt, ihm nach dem Leben zu trachten. Doch die belastenden Gegenstände waren nun mal nicht bei Cheryl, sondern unter Isabells Bett gefunden worden. Und Isabell war es gewesen, die man aus Babcocks Wagen hatte kommen sehen.

Nun wurde Isabell de Roquefort nach eingehendem Verhör in eine Einzelzelle im Town Jail gesperrt, welches dem Sheriffbüro angeschlossen war. Scheppernd fiel die Gittertür hinter ihr ins Schloss, und die schöne Isabell warf sich laut aufschluchzend auf die in der hinteren Ecke stehende Schlafpritsche.

Die Gefangenen in der Nebenzelle, zwei verkommen wirkende Kerle, begannen breit zu grinsen. Hier im Gefängnis so hübsche Gesellschaft zu bekommen, hatten sie nicht erwartet.

»Na, du Schöne, was hast du ausgefressen?«, fragte der Jüngere der beiden Gefangenen, als er an das Trenngitter herantrat und die junge Frau ungeniert musterte.

»Gar nichts«, schluchzte sie. »Ich bin unschuldig!«

»Unschuldig?«, rief der Typ und lachte. »Das glaubst du doch selbst nicht! Eine, die so aussieht wie du, kann gar nicht unschuldig sein.«

»Wahrscheinlich hat sie einem Freier die Brieftasche geklaut«, mutmaßte der andere Kerl. Ein zerkautes Streichholz zwischen den Zähnen, saß er auf einem Hocker und blickte ebenfalls interessiert in die Nachbarzelle. »So ist es doch, Schwester, nicht wahr?«

Isabell gab keine Antwort. Dass man sie für eine Prostituierte hielt, verletzte sie. Sie wischte sich die Tränen ab und drehte ihr Gesicht zur Wand.

»Sie will anscheinend nicht mit uns reden«, sagte der Mann, der sie zuerst angesprochen hatte. Er besaß ein derbes Gesicht, eine knochige Gestalt und lange Haare, die in fettigen Strähnen auf seine Schultern herabfielen. »Hält sich wohl für was Besseres. Aber der Stolz wird ihr noch vergehen.«

Als Isabell weiterhin schwieg und keine Notiz von ihm nahm, ließ er einige Minuten verstreichen, dann versuchte er von neuem, mit ihr ins Gespräch zu kommen.

»Du solltest nicht so tun, als wären wir nicht vorhanden«, brummte er. »Schließlich sind wir jetzt Zellennachbarn, sitzen sozusagen im selben Boot. Ich schätze, wir sollten uns miteinander bekannt machen. Ich heiße Mitch Crocker und wurde eingelocht, weil ich einen reichen Pinkel um seine Barschaft erleichtern wollte. Und der hier«, – Crocker zeigte mit dem Daumen auf seinen Zellengenossen –, »ist Mattie Hewitt. Er hat im Suff seinen Zechkumpan erschlagen. In nüchternem Zustand ist er recht friedlich, aber wenn er betrunken ist …«

»Musst du mich unbedingt herabsetzen?«, protestierte der bullige Kerl auf dem Hocker. Er hatte einen runden Kopf und eine Halbglatze. Seine restlichen Haare waren kurz geschoren und standen als zentimeterlange Stifte von seinem Schädel ab. »Die junge Lady soll doch keinen schlechten Eindruck von mir gewinnen.« Er erhob sich und trat neben den anderen ans Gitter, umklammerte mit beiden Händen die eisernen Stäbe und blickte zwischen ihnen hindurch auf die junge Tänzerin. »Jetzt weißt du, wer wir sind«, fuhr er fort. »Und wer bist du? – He, ich hab dich ganz höflich nach deinem Namen gefragt«, fügte er grantig hinzu, als die Gefangene weiterhin schwieg. »Willst du ihn nicht nennen?«

Die Tänzerin hob ihren Kopf, wischte sich die letzten Tränenspuren mitsamt der verwischten Schminke vom Gesicht und sagte: »Nennt mich einfach Isabell. Man will mir einen Mord anhängen, den ich nicht begangen habe. Und jetzt fragt mich nichts mehr, sondern lasst mich in Ruhe!«

»Einen Mord?«, rief Mitch Crocker. »Sieh mal einer an! Wenn das so ist, wird man dich ja ebenfalls in die County-Hauptstadt bringen, denn hier in diesem Kaff gibt es keinen Richter. Nein, hier finden keine Prozesse statt. Man wird dich gemeinsam mit uns nach Alamogordo bringen.«

Isabell wurde blass, als sie das hörte. Erneut begann sie zu schluchzen. Denn sie wusste, dass ihr im Falle einer Verurteilung eine lange Freiheitsstrafe drohte. Dieser Gedanke versetzte sie in Angst und Verzweiflung.

Ihre Stimmung besserte sich erst wieder ein wenig, als Hilfssheriff Tom Hadley ihr das Abendessen brachte. Er war ein schlaksiger Bursche in den Dreißigern, mittelgroß, dunkelblond und schlank.

»Für Sie«, sagte er kurz angebunden und schob einen gefüllten Blechnapf unter der Zellentür hindurch. »Das Zeug sieht nicht toll aus, ist aber durchaus genießbar. Also lassen Sie es sich schmecken, Miss … Wie war doch gleich Ihr Nachname?«

»Den hat sie uns erst gar nicht verraten«, rief Crocker aus der Nebenzelle. »Sie zeigt sich leider recht zugeknöpft.«

»Sie muss sich auch gar nicht mit euch Halunken unterhalten«, knurrte der Hilfssheriff. »Lasst sie bloß in Ruhe! Haltet eure Zungen im Zaum. Oder habt ihr sie bereits mit unzüchtigen Reden belästigt? He, Miss, gibt es einen Grund, sich über die beiden Kerle zu beschweren?«

»Nein«, antwortete Isabell. Sie hatte den Essnapf an sich genommen und auf den Zellentisch gestellt, rührte ihn aber nicht an. »Es ist alles in Ordnung, Deputy.«

Tom Hadley grinste sie durch die Gittertür freundlich an. Es war klar ersichtlich, dass sie ihm gefiel. Seine Stimme klang ausgesprochen sanft, als er erwiderte: »Dann bin ich beruhigt. Die Umstände lassen es leider nicht zu, Sie gegen die anderen Gefangenen abzuschirmen, denn wir sind hier in Dry Wells auf weibliche Gefangene nicht eingestellt. Aber ich werde mich bemühen, Ihnen den Aufenthalt hier so erträglich wie möglich zu machen. Sollten Sie einen Wunsch haben, den ich erfüllen kann, dann sagen Sie es mir.«

»Ja, ich habe einen Wunsch«, sagte Isabell. »Bitte bringen Sie mir eine saubere Decke, von der ich mich nicht ekeln muss.«

»Gern«, erwiderte der Hilfssheriff und brachte ihr statt einer gleich zwei Decken, für die sie sich mit einem Lächeln bedankte, was ihn noch zugänglicher stimmte.

»Wenn ich noch etwas für Sie tun kann, so lassen Sie es mich wissen«, sagte er. »Sie sollen hier fair behandelt werden. Bitte verzweifeln Sie nicht«, tröstete er sie. »Wie sagt doch ein altes Sprichwort? Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«

Er warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu und ermahnte dann die beiden Sträflinge in der anderen Zelle erneut, sich ihrer Mitgefangenen gegenüber anständig zu verhalten. Danach verließ er das Jail und begab sich hinaus ins Sheriff’s Office.

Der Mord am Manager der Wanderbühne und die in diesem Zusammenhang erfolgte Verhaftung der schönen Isabell war in Dry Wells das Gesprächsthema Nummer eins. Ob in den Saloons, im Mietstall, beim Barbier oder in den verschiedenen Läden – überall sprach man von nichts anderem.

Die Theatertruppe kampierte mit ihren Wagen auf einem freien Grundstück am Rande der knapp zwanzig Meilen westlich des Pecos River gelegenen Stadt. Zurzeit fanden keine Vorstellungen statt, und es würde wahrscheinlich auch keine mehr geben. Man musste den Ausgang der Sache abwarten. Der Verlust ihres Managers und der Ausfall eines ihrer wichtigsten Mitglieder waren ein schwerer Schlag für das kleine, bisher aber recht erfolgreiche Ensemble. Niemand wusste, wie es weitergehen sollte.

Sheriff Gilford hatte auch die Schauspielerin Cheryl verhört, von der Isabell meinte, dass sie den Mord begangen haben könnte und ihr diesen nur in die Schuhe schieben wollte, um sie als Konkurrentin auszuschalten. Doch dieses Mädchen behauptete äußerst überzeugend, mit dem Mord an Lester Babcock nichts zu tun zu haben, und blieb auf freiem Fuß.

Der schreckliche Verdacht blieb an Isabell hängen. Ob sie schuldig war oder nicht, würde ein Richter in Alamogordo, der achtzig Meilen entfernten Distrikthauptstadt, entscheiden. Dort amtierte der als ausgesprochen streng bekannte Judge Loftus Greenwood.

Der Gefangenentransport sollte schon bald von Sheriff Gilford und seinem Deputy Tom Hadley durchgeführt werden. Weil nun aber eine weibliche Gefangene dazugekommen war und deshalb unterwegs mit Problemen zu rechnen war, beschloss Gilford, einen weiteren Mann zu seiner Unterstützung mitzunehmen.

Seine Wahl fiel auf jemanden, der erst vor wenigen Stunden in Dry Wells angekommen war. Er hatte die Leiche einer Frau zum Bestatter getragen, was den Sheriff unweigerlich auf den Plan gerufen hatte. Doch ihm war schnell klar geworden, dass dieser Mann – er hieß Lassiter – kein Täter war, sondern die Sterbende völlig entkräftet in der Wüste gefunden hatte.

Für Gilford hatte dieser Lassiter, der vom Alter her leicht sein Sohn hätte sein können, genau das richtige Format, um einen Gefangenentransport zu begleiten. Er vereidigte ihn als seinen Gehilfen. Somit würden sie beim Gefangenentransport zu dritt sein. Der alte säbelbeinige Rusty, der normalerweise für Hilfsdienste zuständig war, würde den Sheriff während seiner Abwesenheit vertreten.

Nach seiner Vereidigung begab sich Lassiter in Stinners Saloon, um sich nach der Hitze des Tages ein kühles Bier zu gönnen. Und nach einer Weile fiel ihm ein junges Ding auf, das immer mal wieder verstohlen zu ihm herüberschaute. Die Frau hatte flachsblondes Haar und veilchenblaue, keck blickende Augen. Wenn sie lächelte, legten ihre roten, hübsch geformten Lippen zwei ebenmäßige Reihen schneeweißer Zähne frei. Mit ihrer gesunden Gesichtsfarbe und ihrer jugendlichen Frische sah sie zum Anbeißen aus. Und ihr Rock war auffallend kurz, sodass man nicht nur ihre schlanken Fesseln, sondern auch ihre wohlgeformten Waden sehen konnte.

Lassiter ging auf sie zu und kam mit ihr ins Gespräch. Sie hieß Patty und war die Tochter des Saloonbesitzers. Tag für Tag half sie im elterlichen Betrieb mit, bediente auch die Gäste oder arbeitete in der Küche. Manchmal, wenn eine lustige Runde beisammen war, spielte sie auch auf ihrer Gitarre. Aber sie war kein Nachtvogel und ging meistens schon weit vor Mitternacht ins Bett.

Patty und er standen am Ende der Theke und unterhielten sich eine ganze Weile. Durstig trank Lassiter ein gut gefülltes Bierglas und ließ sich, als es leer war, ein zweites geben, das er jedoch langsamer austrank.

»Du bist ein interessanter Mann«, meinte Patty und schaute Lassiter tief in die Augen. »Wie ich gehört habe, bringst du die Gefangenen zum County-Richter und wirst wohl eine ganze Woche fort sein.«

»Vielleicht länger«, erwiderte Lassiter. »Sehr viel länger sogar. Ich habe noch einige Erledigungen zu machen.«

»Oh«, machte Patty und wirkte mit einem Mal betroffen. »Das hört sich ganz so an, als würden wir uns nicht wiedersehen.«

Stumm nickte Lassiter und nahm einen Schluck Bier.

Patty zögerte einige Sekunden, sprach dann aber aus, was ihr auf dem Herzen lag. »Ich fühle mich zu dir hingezogen, Lassiter. Könntest … du dir vorstellen, mit mir auf mein Zimmer zu gehen?« Sie errötete leicht.

»Warum nicht?«, gab Lassiter zurück.

Patty strahlte vor Freude. »Dann komm, ich warte auf dich!« Kurz erklärte sie ihm den Weg.

Die beiden tauschten noch einen verstehenden Blick, dann verschwand Patty durch eine Tür hinter dem Tresen. Lassiter blickte ihr nach, trank in Ruhe sein Bier aus und legte einige Münzen auf das Thekenblech. Dann rückte seinen Stetson zurecht und trat in die Nacht hinaus. Er umrundete das Saloongebäude und stieg auf der Rückseite die nach oben führende Treppe hinauf.

Oben war ein Podest, von dem aus eine Tür ins Haus führte. Lassiter schob sie auf und betrat einen schmalen Flur. Zielsicher näherte er sich einer spaltbreit geöffneten Tür und klopfte leise an.

»Es ist offen«, klang daraufhin eine weibliche Stimme an sein Ohr.

Lassiter betrat das gemütlich eingerichtete Zimmer, in dem eine Petroleumlampe für bescheidene Helligkeit sorgte. An den tapezierten Wänden hingen ein paar gerahmte Bilder. Lassiter verriegelte die Tür und hängte Stetson sowie Revolvergurt an einen Haken.

Patty lag, wie die Natur sie erschaffen hatte, auf ihrem Bett und schaute ihm lächelnd entgegen. Bei ihrem Anblick verspürte er sofort ein erregendes Kribbeln. Ohne ein weiteres Wort beugte er sich über sie und küsste sie – zuerst ihren blühenden Mund, danach ihre spitz von ihrem Oberkörper abstehenden Brüste mit den zarten, an reifende Erdbeeren erinnernden Knospen. Der Duft, den ihre glatte Haut verströmte, weckte im Nu seine Begierde.

»Es ist schön, dass du da bist«, sagte Patty. »Komm zu mir ins Bett.«

Lassiter machte, dass er aus seinen Kleidern kam, und warf sie achtlos auf einen Stuhl. Patty beobachtete ihn mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck, der verriet, dass sie sich ebenfalls in Erregung befand. Zwischen ihren Beinen, die sie ungeniert geöffnet hatte, glänzte es feucht.

Aber obwohl sie sich nach einer körperlichen Vereinigung sehnte, fielen die beiden nicht gleich übereinander her, sondern begnügten sich vorerst mit einigen Streicheleinheiten. Das Liebesspiel wurde jedoch rasch feuriger und fand seinen ersten Höhepunkt, als Lassiter in die Blondine eindrang.

Patty stöhnte auf vor Lust und erwiderte nach Kräften seine Stöße. Und da gegenüber vom Bett ein Wandspiegel hing, konnten sie sich bei ihrem amourösen Akt beobachten, was ihre Begierde noch steigerte.

Irgendwann hielten sie erschöpft inne und ruhten sich, Seite an Seite liegend, aus. Und als Patty nach einer Weile nicht mehr wie ein zufriedenes Kätzchen schnurrte, sondern gleichmäßige Atemzüge von sich gab, da wusste Lassiter, dass sie eingeschlafen war. Er küsste sie nochmals zärtlich, dann folgte er ihr ins Reich der Träume.

Drei Stunden später weckte ihn seine innere Uhr. Ganz vorsichtig, um Patty nicht aufzuwecken, löste er sich von seiner Liebschaft, kleidete sich an und verließ auf leisen Sohlen das Zimmer, um im Mietstall sein Pferd zu satteln.

Noch ehe es richtig Tag wurde, machten sich die drei Gesetzeshüter samt ihren Gefangenen auf den Weg. Nur wenige Bewohner von Dry Wells waren um diese Zeit schon auf den Beinen und konnten beobachten, wie sie die Stadt verließen.

Zum Transport der Gefangenen diente eine alte Kutsche vom Frachthof, wo sie schon längere Zeit nutzlos herumgestanden hatte. Sie sah bereits recht schäbig aus, denn ihr Anstrich war teilweise abgeblättert, und sie wies auch etliche Schrammen und Kugellöcher auf. Innen sah sie nicht besser aus. Die Sitzüberzüge waren zerschlissen, und das lederne Faltdach war brüchig geworden. Doch das Fahrgestell war noch in Ordnung; Räder und Achsen hatte man geschmiert.

Sheriff Gilford und Tom Hadley wollten sich beim Lenken des Gespanns abwechseln. Im Moment führte Gilford die Zügel, während sein Deputy mit einem geladenen Gewehr zwischen den Knien neben ihm saß. Lassiter begleitete die Kutsche auf seinem zähen Grauhengst. Locker im Sattel sitzend, ritt er hinter der schwankenden Kutsche her. Er war außer mit seinem Remington mit einer Winchester bewaffnet, die neben seinem rechten Knie im Sattelhalfter steckte. Dass er nur wenige Stunden geschlafen hatte, sah man ihm nicht an. Die Erinnerung an die zurückliegende Liebesnacht jedoch zauberte ein zufriedenes Lächeln auf sein Gesicht.

Mitch Crocker und Mattie Hewitt saßen, mit Handschellen aneinander gefesselt, gegen die Fahrtrichtung auf der vorderen Sitzbank. Ihnen gegenüber saß die schöne Isabell auf der Rückbank und hatte diese ganz für sich. Auch sie trug Handfesseln. Da die Schminke inzwischen ganz aus ihrem Gesicht verschwunden war, wirkte sie bleich und um einige Jahre älter. Ihrer natürlichen Schönheit aber tat dies keinen Abbruch.

Die Gebäude der zu neuem Leben erwachenden Stadt blieben hinter ihnen zurück. Vor ihnen lag der nach Westen führende staubige Wagenweg, erstreckte sich das weite, wüstenhafte und eintönige Land. Man würde auf dem Weg nach Alamogordo mindestens zweimal übernachten müssen, vielleicht sogar dreimal. Das hing ganz davon ab, wie gut man vorankommen würde und ob es unterwegs nicht zu unvorhersehbaren Zwischenfällen kam. Bei einem Unternehmen wie diesem mussten der Sheriff und seine Gehilfen auf alles gefasst sein.

Die aufgehende Sonne überflutete die Landschaft mit ihrem goldenen Licht und verbannte die grauen Schatten aus den Senken und Mulden. Grüne Farbflecken kontrastierten mit dem Rotbraun oft bizarr geformter Sandsteinfelsen.

Isabell schien sich mit ihrem Schicksal abgefunden zu haben. Schweigend saß sie an ihrem Platz und vermied es, den Blicken ihrer Mitgefangenen, die sie fast pausenlos anstarrten, zu begegnen. Der Sheriff hatte ihr erlaubt, eine Tasche mit sauberer Wäsche und etwas Kleidung und noch ein paar andere Utensilien mitzunehmen. Diese Tasche stand neben ihr auf der zerschlissenen Sitzbank und spendete ihr ein wenig Trost.

Ihr klingender Name ließ manche Menschen vermuten, dass sie von französischem Adel abstammte. Aber es war nur ihr Künstlername, den sie sich zugelegt hatte, um interessanter zu erscheinen. In Wahrheit hieß sie Fanny Miller und stammte wenig spektakulär aus Kentucky. Ihre Mutter war eine Prostituierte gewesen; ihr Vater ein Kellner in einem zwielichtigen Lokal. Dort, zwischen Dirnen und Zuhältern, war Isabell aufgewachsen und hatte schon mit zehn Jahren mehr Unzucht erlebt als andere Frauen in ihrem ganzen Leben. Dass nicht auch sie selbst ins Laster abgerutscht war, verdankte sie ihrem schauspielerischen Talent. Trotz widriger Umstände war sie ein Star geworden, wenn auch nur in einem durch die Lande ziehenden Schmierentheater. Aber diese Tätigkeit hatte ihr zu einem einigermaßen guten Leben verholfen.

Nun war sie verhaftet worden, weil sie in den Verdacht geraten war, ihren Manager erstochen zu haben. Und der County-Richter würde sie vielleicht für viele Jahre hinter Gefängnismauern schicken, sollte er zu der Überzeugung gelangen, dass sie den ihr angelasteten Mord wirklich begangen hatte. Vor dieser Möglichkeit fürchtete sich die schöne Isabell gewaltig. Die Vorstellung, den Rest ihres Lebens hinter Gittern verbringen zu müssen, verursachte ihr Übelkeit und Albträume.

Um die Mittagszeit, als es fast unerträglich heiß wurde, ließ Sheriff Gilford neben einem Wasserloch zu einer längeren Rast anhalten. Die Gefangenen durften die Kutsche verlassen und sich in den Schatten eines nahen Felsens setzen. Jeder bekam Wasser und etwas vom mitgeführten Trockenproviant.

Lassiter kümmerte sich um die Pferde.

»Zwölf Meilen haben wir bereits geschafft, schätze ich«, sagte Sheriff Gilford, als er die Feldflasche absetzte, aus der er ausgiebig getrunken hatte. »Bis zum Abend werden es mehr als zwanzig sein, vielleicht sogar fünfundzwanzig.« Er war ein mittelgroßer, untersetzter Mann, in dessen Gesicht sich tiefe Kerben und Falten eingegraben hatten. Er war längst ergraut, aber seine Augen blickten noch immer scharf. Er hatte eine besonnene Art.

Als man nach zwei Stunden aufbrach, lenkte er wieder das Gespann, während Tom Hadley den Aufpasser machte.

Lassiter ritt auf seinem grauen Hengst hinter und manchmal auch neben der Kutsche her. Man kam wieder gut voran. Die Gegend, durch die sie zogen, war fast menschenleer. Nur da und dort waren, in der Landschaft verstreut, menschliche Behausungen oder auch Rinderrudel zu erkennen. Die Ranches und Farmen im südlichen New Mexico fristeten ein recht bescheidenes Dasein.

Nur zweimal während der nächsten Stunden begegneten den westwärts Ziehenden einige Reiter und Fahrwerke, und einmal überholten sie einen kleinen Wagenzug, der seitlich des Weges rastete. Dann wieder kam ihnen ein Trader mit seinem Kastenwagen entgegen, beladen mit unaufhörlich klappernden und scheppernden Töpfen und Pfannen.

Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang erreichten sie eine Pferdewechselstation der Butterfield Mail. Diese war zugleich auch Herberge und Handelsposten. Sie lag an einer Furt des Sacramento River, geführt von einem älteren Ehepaar und zwei Helfern, von denen einer ein Halbblut war.

Im Hof vor dem aus Feldsteinen und Zedernholz errichteten Hauptgebäude kam die Kutsche mit den Gefangenen zum Stehen.

Vor dem Haus waren drei gesattelte Pferde angebunden. Es waren also einige Reiter hier, die erst vor einer halben Stunde angekommen sein konnten, denn der Schweiß auf den Fellen der Tiere war noch nicht eingetrocknet. Vermutlich befanden sich ihre Besitzer drinnen im Gastraum.

»Wer sind diese Männer?«, erkundigte sich Gilford beim Stationer, der bei der Ankunft des Gefangenentransports ins Freie gekommen war.

»Es sind Fremde«, antwortete der Oldtimer. »Wie ich sehe, sind Sie mit Gefangenen unterwegs, Sheriff. Wollt ihr hier übernachten?«

»In der Scheune, wenn es geht.«

»Das lässt sich machen. Ihr könnt auch bei uns essen. Meine Frau ist gerade beim Kochen und wird bald fertig sein. Eure Pferde könnt ihr im Korral unterbringen. Der Stall ist nur für die Gäule der Postgesellschaft da.«

»Klar.« Sheriff Gilford nickte.

Er wartete, bis Tom Hadley das Gespann ausgeschirrt und einem Helfer übergeben hatte. Dann erst ließ er die Gefangenen aussteigen und brachte sie mit Unterstützung von Lassiter in den Gastraum des Stationsgebäudes, wo die drei Männer, denen die am Holm angebundenen Pferde gehörten, an der Theke standen.

Bei ihrem Anblick beschlich Lassiter ein unangenehmes Gefühl.

Es handelte sich um verwegen aussehende Typen, alle noch unter dreißig Jahre alt. Ein schwarzhaariger, indianerähnlicher Bursche schien ihr Anführer zu sein. Er hatte einen Goldring im linken Ohr und einen schmalen Schnurrbart auf der Oberlippe. Tief an seiner rechten Hüfte hing ein schwarzes, am Oberschenkel festgebundenes Lederhalfter, aus dem der Nussholzgriff eines Revolvers ragte. Mit einem kühlen Lächeln musterte er die Eintretenden, wobei er lässig am Tresen lehnte und mit seiner an einem Knopfloch seiner Weste befestigten Uhrkette spielte. Sein besonderes Interesse galt der schönen Isabell, die von Lassiter hereingeführt wurde. Als die Ankömmlinge an einem der Tische Platz genommen hatten, beobachtete er sie weiter durch den Barspiegel, was auch seine Freunde taten. Alle hatten sie gefüllte Biergläser vor sich stehen.

Lassiter hatte sich so hingesetzt, dass er die drei Unbekannten gut im Auge behalten konnte. Deshalb entging es ihm nicht, dass der Anführer des Trios mit Isabell einen Blick tauschte. Es war zwar nur ein kurzer Blick, aber er schien nicht ohne Bedeutung zu sein. Die beiden waren sich offenbar nicht fremd.

Auch Tom Hadley; der zunächst noch draußen bei der Kutsche geblieben war, kam jetzt herein und nahm an der Seite des Sheriffs Platz. Ihnen gegenüber saßen Crocker und Hewitt, die ihre Handschellen trugen, was bei Isabell nicht der Fall war. Ihr sollte die Fesselung während des Essens erspart bleiben.

Draußen brach die Abenddämmerung herein. Der Hausdiener hatte einige Lampen angezündet, und die Frau des Stationers trug das Essen auf. Es gab einen kräftigen Eintopf, den sie aus einem großen Topf in die Teller schöpfte. Dazu reichte sie selbst gebackenes Brot.

Auch die drei Fremden bekamen zu essen. Sie hatten sich an einen anderen Tisch gesetzt. Und an dem saßen sie noch, als die Gesetzeshüter ihre Gefangenen wieder nach draußen brachten, hinüber zur Scheune.

Beim Verlassen des Hauses bemerkte Lassiter, dass sich die schöne Isabell und der Anführer des Trios erneut einen seltsamen Blick zuwarfen. Wenn er sich nicht täuschte, versuchte der Dunkelhaarige der Gefangenen ein Zeichen zu geben, indem er leicht grinsend mit dem Kopf nickte. In Lassiter verstärkte sich der Verdacht, dass die beiden sich kannten. War das die Spur, die der Brigade-Agent gesucht hatte? Nicht umsonst hatte er sich von Sheriff Gilford anwerben lassen. Seine Tätigkeit als Deputy gab ihm Befugnisse, die er im Auftrag der Brigade Sieben nicht besaß. Und er würde leichter an Informationen von offizieller Stelle kommen.

Die Gefangenen wurden, jeder für sich, an einen Stehbalken gefesselt. Als Schlafunterlage diente ihnen eine Strohschütte. Eine an einem Balken hängende Laterne verbreitete in der Scheune eine schwache Helligkeit. Es roch nach Hafer und Heu.

Gilford und seine Deputies wollten abwechselnd Nachtwache halten, um vor bösen Überraschungen sicher zu sein. Die Reihenfolge wurde ausgelost. Obwohl Lassiter erst als Letzter an der Reihe war, legte er sich noch nicht schlafen, sondern setzte sich vor der Scheune auf eine umgestülpte Kiste und rauchte einen Zigarillo.

Drüben im Stationsgebäude herrschte noch Betrieb. Eine gelbe Lichtbahn fiel durch die offene Tür auf den Hof heraus und zeichnete ein grobes Muster in den Staub. Stimmengemurmel und auch Gelächter drangen ins Freie. Die drei Fremden standen wohl noch immer an der Bar.

Aber sie hatten nicht vor, sich zu betrinken. Nach einer Weile – Lassiter hatte zu Ende geraucht und den Rest des Zigarillos unter seinem Stiefelabsatz zertreten – kamen sie heraus und gingen zu ihren Pferden. Sie banden die Tiere los und saßen auf.

Da Lassiter im Dunklen saß, bemerkten sie ihn nicht, obwohl sie forschend zur Scheune herüberblickten, als sie in die Sättel stiegen. Sie ritten an und verließen im Galopp den Hof der einsamen Station. Der Hufschlag ihrer Pferde verklang in der Nacht.

Schon früh am nächsten Morgen ging es weiter. Bald blieb die einsam gelegene Station hinter den westwärts Ziehenden zurück und geriet, als sich eine Bodenwelle dazwischen schob, außer Sicht. Sie kamen wieder zügig voran, denn die Pferde waren ausgeruht und hatten genug Futter bekommen.

Unterwegs hielten Sheriff Gilford, der das Führen des Gespanns Tom Hadley überlassen hatte, und Lassiter ständig nach Verfolgern Ausschau, suchten das Gelände nach für einen Hinterhalt geeigneten Stellen ab. Denn die drei Fremden, denen sie in der Relaisstation begegnet waren, gingen ihnen nicht aus dem Sinn. Es konnten Freunde oder Bekannte von Isabell sein, die die Absicht hatten, sie zu befreien.

Doch die Sternträger bekamen keinen verdächtigen Reiter zu Gesicht. Weit und breit war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Das obskure Trio war in der Weite des Landes verschwunden.

Je näher sie den Bergen kamen, desto rauer wurde das Gelände. Es war unberührte Wildnis, durch die der nur aus zwei Radfurchen bestehende Wagenweg führte. Die an das heiße Klima angepasste Vegetation bestand aus Hartlaubbüschen, Dornengestrüpp und kargem Büschelgras. Da und dort standen mächtige Saguaro-Kakteen, die ihre Arme grotesk in den Himmel streckten. Hoch in den Lüften kreisten große, nach Beute Ausschau haltende Raubvögel. Die altersschwache Kutsche rumpelte und polterte über am Boden liegende Steine und andere Unebenheiten. Oft wurden ihre Insassen ordentlich durchgeschüttelt, was vor allem Mitch Crocker zu saftigen Flüchen veranlasste.

»Ich schätze, die Blechsternträger wollen, dass wir uns alle Knochen brechen«, rief er, als eines der Räder wieder einmal in ein Schlagloch geriet und die Kutsche umzustürzen drohte. »Der Teufel hole diese Schinder! Mir tut schon alles weh, und mein Sitzfleisch spüre ich gar nicht mehr.« Er wandte sich an Isabell. »Wie geht es denn deinem Allerwertesten, he? Ich wette, er ist schon grün und blau von dem vielen Gerüttel.«

Sie gab ihm keine Antwort, sondern blickte an ihm vorbei auf die vorbeiziehende Landschaft. Auch sie hatte Schmerzen, aber sie verbiss sich diese tapfer.

Crocker ließ keinen Blick von ihr. Es ging ihm schon eine ganze Weile etwas durch den Kopf. »Ich möchte dich etwas fragen, Honey«, sagte er unvermittelt.

»Was denn?«, erkundigte sie sich gelangweilt.

Er schüttelte seine langen Haare aus der Stirn und sagte dann gerade so laut, dass Isabell ihn verstehen konnte: »Spätestens übermorgen sind wir in Alamogordo und werden dann ins dortige Gefängnis eingeliefert. Ich meine, wenn wir nichts tun, um das zu verhindern. Sag mal, würdest du mit mir kommen, wenn du dazu die Gelegenheit bekämst?«

Isabells Miene wurde aufmerksam. »Willst du etwa fliehen?«

»Ja, das habe ich vor!« Crocker nickte. »Denn ich habe verdammt wenig Lust, vom County-Richter zu einer langen Haftstrafe verurteilt zu werden oder gar am Galgen zu landen. Und Mattie auch nicht. Deshalb wollen wir türmen. Bist du dabei?«

»Wohin soll es denn gehen?«, fragte sie zurück.

»Das müssen wir im Moment noch dem Zufall überlassen. Wie sieht’s also aus?«

»Das kommt ganz darauf an«, sagte Isabell. »Beweise mir erst mal, dass du es schaffst, den Sheriff und seine Männer auszutricksen. Dann reden wir weiter.«

Crocker gab sich mit dieser Antwort zufrieden.

Die Ausläufer der Sacramento Mountains rückten immer näher. Als die Sonne ihren höchsten Punkt erreichte, ließ der Sheriff am Rande eines Zederngehölzes zur Mittagsrast halten. Alles flüchtete unter die schattenspendenden Bäume. Aber heiß war es auch hier. Und besonders heiß schien es Isabell zu sein, denn sie öffnete, mit hochgezogenen Knien auf dem sandigen Boden sitzend, die oberen Knöpfe ihrer Bluse, sodass ihre Brüste ins Freie zu quellen drohten. Sie bot einen äußerst aufregenden Anblick

Als Lassiter seine Augen auf sie richtete, erwiderte sie seinen Blick mit einem herausfordernden Lächeln. Provozierend straffte sie ihren Oberkörper, wodurch sich ihr strammer Busen noch deutlicher in den Vordergrund drängte.

Lassiter lächelte schmal. Er hätte lügen müssen, würde er behaupten, die schöne Tänzerin gefiele ihm nicht. Aber er dachte nicht im Traum daran, sich von der Gefangenen den Kopf verdrehen zu lassen.

»Sie haben wirklich schöne Brüste, Isabell«, sagte er spöttisch. »Aber Sie sollten sie besser in ihrer Verpackung lassen, sonst kriegen Sie womöglich einen Sonnenbrand. Im Übrigen kenne ich eine Menge Frauen mit prächtigem Vorbau. Bemühen Sie sich also nicht, mich beeindrucken zu wollen.«

Ärgerlich und enttäuscht verzog Isabell das Gesicht.

Lassiter beachtete sie nicht weiter, sondern genoss die Ruhepause. Er gönnte sich dabei einen Zigarillo und trank ein paar Mal aus seiner Feldflasche, während er das umliegende Gelände unter Beobachtung hielt. Bisher hatte er sich nur wenig mit Sheriff Gilford unterhalten und war auch nicht mehr auf die Frau zu sprechen gekommen, die er halbtot in der Wüste aufgelesen hatte. Einen Ansatzpunkt, den vermeintlichen Frauenhändler ausfindig zu machen, hatte er bislang noch nicht gefunden. Doch irgendetwas sagte ihm, dass dieser Gefangenentransport ihn weiterbringen würde. Zudem konnte er in Alamogordo die Unterlagen aus Washington entgegennehmen.

Die Sonne knallte erbarmungslos vom wolkenlosen Himmel. Es herrschte eine brütende, schweißtreibende Hitze. Die Pferde standen mit hängenden Köpfen im spärlichen Schatten und knabberten lustlos am Fettholzgesträuch, welches zwischen den Zedern wuchs.

Tom Hadley hatte seine Augen halb geschlossen. Unter der Krempe seines tief in die Stirn gezogenen Hutes hervor blickte er immer wieder auf Isabell, deren Bluse aufreizend weit offen stand.

Dass sich Crocker mit ihr unterhielt, störte ihn in seinen Betrachtungen nicht. Letzterer sprach flüsternd auf sie ein und wollte von ihr wissen, ob sie über seinen Vorschlag nachgedacht habe.

»Maul halten!«, rief Sheriff Gilford. »Weg von der Frau, Crocker!«

Mit einem gehässigen Grinsen kam Crocker der Aufforderung nach.

Die Lawmen wollten an diesem Tag noch etliche Meilen schaffen, wollten dem im Dunst der Nachmittagshitze verschwimmenden Bergen noch näher kommen. Hinter diesen Bergen lag Alamogordo, die Hauptstadt des Countys und Sitz des Gerichts.

Am Abend kampierten sie in einem engen, von bewachsenen Hängen gesäumten Tal. Weil dieses von einem aus den Bergen kommenden Creek durchflossen wurde, gab es frisches Wasser, was nicht zuletzt für die Pferde wichtig war. Außerdem konnte man sich auch Gesicht und Hände waschen.

Während Gilford die Gefangenen beaufsichtigte, sammelten Lassiter und Hadley Holz für ein Feuer, über dem Kaffee gekocht und ein einfaches Mahl zubereitet werden sollte.

Lassiter fungierte als Koch und bereitete Büchsenbohnen, gebratenen Speck und in frischem Fett gebratene Mehlklöße zu. Isabell machte eine abfällige Miene, als ihr Lassiter einen gefüllten Teller reichte.

»Was soll das sein?«, fragte sie naserümpfend.

»Sie müssen es ja nicht essen«, entgegnete Lassiter. »Außerdem wette ich, dass Sie nicht besser kochen können.«

»Das glaube ich auch«, rief Mattie Hewitt grinsend. »Ihre Stärke liegt woanders.«

»Dich hat niemand gefragt«, knurrte Lassiter. Er händigte auch dem Bulligen eine Essensportion aus und ließ sich dann abseits vom Feuer nieder, um, auf den Fersen kauernd, seine eigene Mahlzeit zu verzehren.

Isabell saß auf der anderen Seite der Feuerstelle und geizte wieder nicht mit ihren Reizen. Sie hatte ihre Röcke hochgeschlagen und mit angezogenen Knien eine ziemlich schamlose Haltung eingenommen.

Tom Hadley konnte ihr mühelos zwischen die Beine sehen – und sie wollte, dass er genau das konnte. Der Deputy machte von der sich bietenden Gelegenheit nur zu gern Gebrauch. Immer wieder wanderten seine Augen unter ihre Röcke, um beim prallen Zwickel ihres Schlüpfers zu verharren. Er bekam bei diesem Anblick nicht nur einen trockenen Mund, sondern auch eine Ausbeulung in der Hose.

Als die Gefangene erkannte, in welchen Zustand sie den Hilfssheriff gebracht hatte, grinste sie zufrieden. Entschlossen setzte sie ihre Verführungskünste fort.

Als sich ihre Blicke begegneten, lächelte sie Hadley offenherzig an und fuhr sich mit der Zungenspitze auf laszive Weise über ihre roten Lippen.

Er wurde immer erregter. Hatte er anfangs noch versucht, das schamlose Verhalten des jungen Weibes zu ignorieren, so gab er seinen Widerstand bald auf. Immer wieder, wenn er sich von seinen Gefährten unbeobachtet fühlte, kehrte sein Blick zu ihr zurück, wanderte dieser erneut unter ihre Röcke und hinauf ans Ende ihrer wohlgeformten Beine. Was er zu sehen bekam, wirkte auf ihn wie ein Magnet.

Nachdem Isabell ihren Schlafplatz aufgesucht hatte und er dann nochmals ihre Fesseln überprüfte, flüsterte sie ihm in sehr vertraulichem Ton zu: »Du gefällst mir, Deputy. Wirklich schade, dass wir nicht befreundet sein können, weil wir auf verschiedenen Seiten stehen. Denn du bist ein Mann nach meinem Geschmack. Unter anderen Umständen hätten wir ein Paar werden können.«

»Was redest du da?«, fragte er heiser.

»Es ist wahr«, erwiderte sie. »Ein so hübscher Bursche wie du hätte bei mir wirklich Chancen gehabt. Leider kann aber nichts daraus werden, weil ich ja hinter Gitter muss.«

Tom Hadley wurde es ganz heiß bei ihren Worten. Er fühlte sich auch geschmeichelt. Dass er in Wirklichkeit gar nicht gut aussah, sondern eher ein hässlicher Bursche war, wurde ihm nicht bewusst. Gern nahm er Isabells Worte für bare Münze. Der verlockende Gedanke, dass sie mit ihm schlafen würde, wenn sie keine Gefangene wäre, ließ ihn nicht mehr los.

Immer wieder, wie unter einem Zwang, spähte er zu ihrem Schlafplatz hinüber. Dort zeichneten sich unter einer karierten Wolldecke die Konturen ihres so aufregend geformten Körpers ab, den er besitzen konnte, sobald Isabell frei war.

Mitch Crocker schlief in dieser Nacht nicht. Sein Fluchtvorhaben hielt ihn wach und ließ ihn an nichts anderes mehr denken. Gefesselt lag er an seinem Platz und wartete geduldig auf den richtigen Zeitpunkt zum Handeln. Er erinnerte jetzt an einen Wolf, der seine ahnungslose Beute belauerte.

Längst war auf dem Lagerplatz nächtliche Ruhe eingekehrt. Verschiedene Schlafgeräusche drangen an die Ohren des mit Handschellen gefesselten Bankräubers. Er lag unweit der Kutsche auf dem Boden. An seiner Seite schnarchte Mattie Hewitt, als wollte er Bäume zersägen.

Tom Hadley hatte gegen Mitternacht die zweite Wache übernommen. Zusammengesunken saß er am mittlerweile erloschenen Feuer und war offenbar eingenickt.

Lassiter hatte sich bei den Pferden einen Platz gesucht und holte wohl den vor Mitternacht versäumten Schlaf nach, als er selbst Wache gehalten hatte. Von ihm war jetzt wohl nichts zu befürchten.

Auch der Sheriff schien fest zu schlafen. Mit über das Gesicht gezogenem Hut lag er neben der erkalteten Feuerstelle und atmete gleichmäßig. Neben ihm lag sein Gewehr. Und er besaß den Schlüssel für die Handschellen.

Der Mond zog seine nächtliche Bahn. Unzählige Sterne glitzerten am blauschwarzen Himmel. Manchmal fuhr ein Windstoß durch die Büsche und brachte sie zum Rascheln. Ein jagender Nachtvogel schrie. Immer wieder scharrte eines der Pferde mit den Hufen im Sand oder blies lautstark durch die Nüstern.

Auch Isabell schien zu schlafen. Bleiches Mondlicht fiel ihr ins Gesicht und zeichnete die Konturen ihres schlanken Körpers nach. Sie war ebenfalls gefesselt, wenn auch nicht mit Stahlarmbändern, sondern mit Lederriemen. Unaufhörlich hob und senkte sich beim Atmen ihre Brust.

Sie würde mit ihm kommen, wenn es ihm gelang, den Sheriff und seine Gehilfen zu überwältigen, sagte sich Crocker. Dankbar würde sie ihm sogar sein und sich mit heißem Sex revanchieren. Das hoffte Crocker jedenfalls.

Er blickte wieder forschend zum Himmel. Der Mond näherte sich soeben einer breiten Wolkenbank. Mit einiger Ungeduld wartete der Outlaw darauf, dass sie sich vor den Mond schieben würde. Als dieser endlich hinter den Wolken verschwand, wurde es schlagartig so dunkel, dass man kaum noch die Hand vor den Augen sehen konnte.

Damit war der Moment gekommen, auf den Crocker gewartet hatte. Entschlossen setzte er sich in Bewegung, kroch wie eine Schlange auf den schlafenden Sheriff zu. Zoll für Zoll robbte er über den Boden, stets darauf bedacht, jedes verräterische Geräusch zu vermeiden. Immer näher kam er seinem Ziel. In dunklen Umrissen erkannte er vor sich den schlafenden Gesetzeshüter. Matt schimmerten die Metallteile des neben ihm liegenden Gewehrs. Dieses wollte Crocker an sich bringen, und dann wollte er den Sheriff zwingen, den Schlüssel für die Handschellen herauszurücken.

Vorsichtig schob sich der Bandit noch näher an den Schlafenden heran. Er vermied es dabei, laut zu atmen, um sich nicht vorzeitig zu verraten.

Nur noch wenige Zoll trennten ihn schließlich von seinem Ziel. Als der Sheriff sich im Schlaf bewegte, hielt Crocker sofort inne und verharrte, flach auf den Boden gepresst, sodass er fast mit diesem verschmolz. Doch schon schlief Gilford ruhig weiter.

Der Bandit atmete erleichtert auf und schob sich noch näher an den Schläfer heran. Schon wollte er seine Hand nach dem Gewehr ausstrecken, als eine messerscharfe Stimme erklang.

»Was soll das werden?«, rief jemand in seinem Rücken.

Crocker zuckte zusammen, als habe ihn eine Tarantel ins Genick gestochen. In der nächsten Sekunde fuhr er herum und erkannte in der Dunkelheit eine hohe Männergestalt, die mit einem Revolver auf ihn zielte.

Es konnte sich nur um Lassiter handeln, den er drüben bei den Pferden vermutet hatte. Doch nun begriff er, dass er sich getäuscht hatte. Lassiter hatte nicht arglos geschlafen, sondern sein Vorhaben mitbekommen und sich von hinten an ihn herangeschlichen.

»Verdammter Hund!«, würgte Crocker wütend hervor.

Trotz der auf ihn gerichteten Waffe warf er sich auf seinen Gegner, packte ihn an den Beinen und konnte ihn zu Boden reißen. Und beinahe wäre es ihm geglückt, Lassiter in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Er war ein gerissener, mit allen faulen Tricks vertrauter Bursche. Wie ein angreifender Puma stürzte er sich auf den Hilfssheriff und versuchte, ihm den Remington zu entreißen. Doch es gelang ihm nicht. Lassiter stieß ihn von sich, indem er ihm ein Knie in den Bauch rammte, und konnte Crocker, indem er sich herumwarf, unter sich bringen.

Im nächsten Moment schien an Crockers Schädel etwas zu explodieren. Es war der kantige Lauf von Lassiters Revolver, der ihn an der Stirn traf und betäubte. Aber bewusstlos wurde er nicht. Brüllend kämpfte er weiter und gab erst auf, als ihm Lassiter einen zweiten Hieb mit dem Revolverlauf verpasste. Und dann war auch der durch den Lärm erwachte Sheriff zur Stelle und wunderte sich, was in seiner nächsten Umgebung geschehen war.

»Der Halunke wollte sich Ihr Gewehr schnappen«, erklärte ihm Lassiter die Sachlage. »Zum Glück konnte ich das verhindern.«

»Danke«, sagte Gilford erleichtert. »Das hätte ins Auge gehen können.«

Mit vereinten Kräften schleppten sie den bewusstlosen Outlaw hinüber zur Kutsche und fesselten ihn an eines der Hinterräder.